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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.05.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-05-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980524027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898052402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898052402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-05
- Tag1898-05-24
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VezugS'PreiS t» H« Hauptexpedition oder den im Stadt, bezirk und den Bororte» errichteten AuS- aabestellen abgeholt: vierteljährlich^14.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« Hau« SSO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertestährlich ^il S.—. Direkte tägliche Kreuzbandsenduog t»§ Ausland: monatlich 7.S0. Di« Morgen-Au-gabe erscheint nm '/,7 Uh^ die Abend'AuSgabe Wochentag« um 5 Uhr. Lr-action und Expedition: JohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags unonterbrocheu geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr, Filialen: vtt» Klemm's Tartim. (Alfred Hahn). Uoiversitätsstraße 3 (Paulinum), Laut« Lösche, Aatharinenstr. 14, Part, und König-Platz 7. Abend-Ausgabe. KiMM TagMalt Anzeiger. Amtsblatt des Aättiglicheu Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Nolizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Anzeigen-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Redactionsstrich (4 ge spalten) SO^j, vor den Familiennachrichtr» (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung >/t 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Änzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von L. Polz in Leipzig. 259. Dienstag den 24. Mai 1898. 92. Jahrgang. Der spanisch-amerikanische Krieg. — p. Heute steht man abermals vor einer neuen Situation. Der Washingtoner Correspondent des „New Aorl Herald" meldet, daß das Geschwader unter dem Commodore Schley am Donnerstag von Key West nach Santiago de Cuba abging und das Geschwader unter Commodore Sampson in der Nacht zum Freitag in Eile ausgelaufen sei. Man nehme an, daß Schley Sonntag und Sampson Montag vor Santiago eintresfen mußten. Demnach wartet das vereinigte amerikanische Geschwader nicht länger bei Key West auf die Ankunft Ccrvcra'S westlich von Havannah. Was ist geschehen? Es hieß gestern, das spanische Geschwader werde auf dem Wege nach Havannah um kehren und nach der Insel Martinique zurückfahren, um dort von Neuem Kohlen einzunehmen. Nun ist es wohl möglich, daß Admiral Sampson von dieser Absicht Kunde bekommen hat und beabsichtigt, der spanischen Flotte südlich von Santiago de Cuba in den Weg zu fahren. Andererseits wird aus Madrid gemeldet: Gutem Vernehmen nach befinde sich das Geschwader Cervera's noch immer in Santiago. Dort sei es sich völlig sicher und werde keine Bewegungen machen, bis das Ersatzgeschwader aus Cadix angekommen sei und eine Zweitheilung der amerikanischen Flotte nöthig mache. Das wäre allerdings das Richtigste, was Cervera thun könnte. Wir deuteten gestern schon an, daß es ein Fehler gewesen wäre, Santiago anzu laufen, ohne dort dauernd Station zu machen. Ist die Madrider Meldung richtig, so waren die Nachrichten von der Fahrt der Spanier nach Havannah spanische Falschmeldungen, durch die die Amerikaner sich thatsächlich hätten irre führen lasten. AuS New Jork, 25. Mai, wird uns gemeldet, das „Grening Journal" habe aus Port de Paix (auf der nord westlichen, Cuba zugekehrten Landzunge von Haiti) die Nach richt erhalten, ein starkerKanonendonner würde von Cuba her in nördlicher Richtung gehört; die Kanonade dauere an. Gleichzeitig wird uns aus New d)ork berichtet,nachDepeschen auS Washington sei CommodoreSchley bereits vor Santiago de Cuba angekommen. Das ist durchaus nicht unwahrscheinlich, ebenso wenig, daß das Geschwader Schley's, etwa bei der Umschiffung der Ostküste Cubas mit dort stationirenden spanischen Kanonenbooten oder mit einigen Schissen der Flotte Cervera's, die von Santiago zur Sichtung des Feindes ausgelaufen sein könnten, ins Gefecht gekommen ist. In Key West sollte gestern daö aus Rio de Janeiro er wartete amerikanische Kriegsschiff „Oregon" angekommen sein, doch meldet man uns auS Washington, die Nachricht habe bisher noch keine Bestätigung gefunden. In Washington beginnt die Kriegspartei ungeduldig zu werden und auf Thaten zu drängen. Darauf ist eS zurück zuführen, daß die Negierung sich entschlossen zu haben scheint, neue Landungöversuche auf Cuba unternehmen zu lassen. Viel verspricht man sich aber von der Vernichtung der spanischen Flotte nicht davon, da, wie von allen Seiten bestätigt wird, auf eine erhebliche mililairische Mitwirkung der arg decimirten Aufständischen nicht mehr zu rechnen ist. Amerikanische Berichte geben selber zu, daß die Insurgenten sich im größten Elend befinden und die aus spanischer Quelle stammenden Meldungen, daß dieselben zur Unterwerfung bereit seien, brauchen nicht aus der Luft gegriffen zu sein. Je länger der Kriegszustand dauert, um so mehr zeigt sich, daß die Amerikaner sich Hals über Kopf in einen Krieg gestürzt haben, den sie im Handumdrehen siegreich zu beenden bofften, der sich nun aber resultatlos in die Länge zieht weil der Kriegsplan auf falsche Voraussetzungen aufgebaut war und von vornherein keine Einigkeit unter den maßgebenden Faktoren in Washington bestand. Die Kriegserklärung war eine innere Parteisachc, ebenso ist es die Kriegfüh rung', sonst dürfte nicht, wie gemeldet worden, „jedes Zusammen wirken der Behörden fehlen". Dazu kommt noch, daß die Amerikaner durch ihren Handstreich auf die Philippinen sich selbst zwei Kriegsschauplätze geschaffen haben. Dadurch zer splittern sie nur ihr Kriegsmaterial, das, was die Land truppen anlangt, kaum ausreicht, um Cuba zu occupiren. Im Uebrizen verzeichnen wir noch folgende uns zu gegangene Meldungen: * Washington, 23. Mai. (Reuter'sches Bureau.) Das Staats departement Lementirt in entschiedener Weise, daß Italien oder irgend eine andere Nation gegen die Blockade von Cuba als eine nicht effektive Einspruch erhoben habe. * Madrid, 23. Mai. Im Senate legte Almenas nach drücklich Verwahrung gegen daS Verfahren der Amerikaner bei der Kriegführung ein, und bezeichnete es als nothwendig, daß Spanien sofort die Kaperei als zulässig erkläre, damit der amerikanische Seehande! völlig vernichtet werde. Ter Minister des Innern erwiderte, die Regierung sei mit der Prüfung der Frage beschäftigt, sie habe bereits einige Beschlüsse gefaßt, welche bekannt gemacht würden. Martinez Pacheco erhob Einspruch gegen den Beitritt Spaniens zur Genfer Convention, worauf der Minister erklärte, Spanien sei dieser Convention noch nicht beigetreten. * Petersburg, 23. Mai. Die russische Regierung hat die Generalstabs-Lberslen Shilinski und Jermolow beauftragt, den Operationen im spanisch-amerikanischen Kriege beizuwohnen. Shilinski wird sich in Madrid der spanischen Regierung vorstellen, um sich sodann nach Cuba zu begeben, und Jermolow, zur Zeit Militair-Attache in London, wird in Amerika den Bewegungen der Truppen der Vereinigten Staaten folgen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 24. Mai. Nicht oft genug kann darauf hingewiesen werden, daß das von den socialdemokratischen Blättern und Agitatoren in die Massen geschleuderte Schlagwort, das (koalitionsrecht der Arbeiter sei bedroht, auf nichts sich gründet, als auf den vielbesprochenen Erlaß deS SlaatSsecretairS Grafen Posadowsky, der die Behörden um tatsächliche Fest stellung ersucht, in welchem Umfange, wie, wo und mit welchen Mitteln die Arbeiterschaft von ihrer Arbeits stelle terroristisch festgehallen wird und ob daraufhin dem Reichstag bei seinem Zusammentritte eine Vor lage unterbreitet werden könne. Aus diesem Erlaß geht sonnenklar hervor, daß das Reichsamt des Innern schlauerdings nicht daran denkt, den Arbeitern das Recht, zur Verbesserung ihrer Lage zur Einstellung der Arbeit sich zu vereinigen, auch nur im Mindesten zu verkümmern, und daß es sich lediglich darum handelt, das freie Selb st bestim mun gSrecht derjenigen, die es für nützlicher und richtiger halten, zu arbeiten, von den Streitlustige» nicht verkümmern zu lassen. Und doch benutzen nicht nur socialdemokratische Blätter und Agitatoren, sonder» auch Redner solcher Parteien, welche die Socialdemokratie am besten dadurch be kämpfen zu können glauben, daß sie einen Tbeil ihrer An hängerschaft ins eigne Lager zu ziehen versuchen, jenen Erlaß zur Erregung der Sorge der Arbeiter vor Verkümmerung des Coalitionsrechtes und zu der Mahnung, nur ja keinen konser vativen oder nationalliberalen Candidaten zu wählen, die bereit sein würden, die Hand zu einer solchen Verkümmerung zu bieten. Dir Folge einer solchen Agitationsweise kann keine andere als die sein, die Socialdemottatie in ihrer Anschauung zu befestigen, das Coalitionsrecht der Arbeiter sei gleich bedeutend mit dem Rechte Streitlustiger, Arbeitswillige mit allen Mitteln derGewalt und derBedrohung ihres SelbstbestimniungS- rechtcS zu berauben. Daß in der That diese Anschauung in socialdemokratischen Köpfen herrscht, geht aus jeder Nummer socialdemokratischer Blätter hervor, und besonders klar aus einer schon mehrfach besprochenen Broschüre „Wie der englische Arbeiter lebt". Sie ist verfaßt von dem Bergarbeiter Ernst DückerShoff, der in Folge unliebsamer Erfahrung in Deutschland nach England auSwanderte und dem Professor vr. Böhmcrt, der die Broschüre auf das Wärmste empfiehlt, sogar das Zeugniß ausstellt, „er scheine auch sein socialistisches Evangelium im Vaterlande zurückgelassen zu haben." DückerShoff, der jedenfalls in England Manches gelernt hat und nicht mehr ganz der alte Umstürzler ist, kommt in dieser Broschüre auch auf die englischen Streikbewegungen zu sprechen und drückt die Ueberzeugung aus, daß die englischen Zustände auch deshalb den deutschen vorzuziehen seien, weil man jenseits des Canals sehr milde mit solchen Streikenden ver fahre, die sich Ausschreitungen gegen Streikbrecher zu Schulden kommen lassen. So habe ein Streikender einen arbeitenden Laternenanzünder geschlagen und dafür 15 Schilling Strafe erhalten. „Solche Fälle kommen bei Streiks überall vor und lassen sich auch nicht ganz vermeiden, aber das größte Unrecht üben deutsche Staatsanwälte und Gerichte, wenn sie den Arbeitern gegenüber eine zu scharfe Control« ausüben. Die Streikenden üben allerdings auch starken Zwang unter sich aus. Wird ein Streikbrecher, oder, wir er hier genannt wird, ein „btnoklex" aus der Straße angetrosscn, so bewerfen sie ihn mit faulen Früchten oder sie geben der Straßenjugend ein paar Pennies und die besorgt dann das Weitere. Ein Fuhrmann (hlroklex) wurde durch die angeführte Behandlung so weit gebracht, daß er auf einer der Hauptstratzcn sein Fuhrwerk im Stiche ließ und sich aus dem Staube machte, so daß die Polizei sich des Fuhrwerks annehmen mußte. Es fehlt dabei nicht an Belustigungen. Man betrachtet dieses alles mehr von der hu moristischen Seite, wogegen man in Deutschland Waffen gewalt (?) braucht, und gerade dadurch wird am besten bewiesen, daß das deutsche Volk in Classen eingetheilt ist. Hier handelt man von dem Standpuncte aus: „WaS dem Einen recht ist, ist dem Andern billig", und mit Recht." Der Verfasser,der nachProf.ttr.Böhmert „sein socialistisches Evangelium im Vatcrlande zurückgelassen zu haben scheint", hält es also für daS Recht der Streitlustigen, die Arbeits lustigen mit faulen Früchten zu bewerfen oder von der Straßenjugend bewerfen zu lassen, und weil das ihr Recht ist, so ist cs für die Streikbrecher billig, sich daS gefallen zu lassen. Die deutschen Staatsanwälte und Gerichte aber be gehen daS größte Unrecht, wenn sie auf solchen TerroriSmuS ächten oder gar ihn streng bestrafen. Wenn der „bekehrte" DückerShoff so denkt, so ist es kein Wunder, wenn die unbe kehrten deutschen „Genossen" Anlaß zu Processen geben, wie einer vor Kurzem in Berlin verhandelt worden ist. Es wird darüber berichtet: Als bei einem Maurerau-stande neu angeworbene Gesellen in ein Wirth-haus zum MittagSessen gegangen waren, erschienen dorr dreißig bis vierzig feiernde Maurer, die den Arbeitswilligen Bor würfe machten und schwere Drohungen gegen sie auSstirßen. kam es auch zu thätlichen Angriffen. Der eine der Arbeit- willigen wurde vom Stuhl gerissen, zu Boden geschleudert und schwec mißhandelt, einem andern flog rin Bierseidel an den Kops, daß erblutendzusammensank, und die übrigen bekamen sämnn- lich Schläge. Schließlich rafften sich die angegriffenen zwölf Manp zusammen, durchbrachen mit Gewalt die sie umgebende Schaar Le: Gegner und drangen aus dem Wirthshaus auf die Straße. Hier standen sie aber vor einer lebendigen Mauer von 300—400 Maurern, die sämmtlich eine drohende Haltung einnahmen. Ein Durchbrechen dieser Mauer war unmöglich, die Angegriffenen wollten sich daher in das Haus zurückziehen, woran sie aber von der vierfachen lieber- macht im Hause selbst verhindert wurden. Sie flüchteten daher in den Keller. Dort mußten sie zwei Stunden aushalteu. Zwar war es ihnen gelungen, einen Lehrling zu einer Hinterthür herauSzulassen, damit er polizeiliche Hilfe herbeihole, aber diese Hilfe ließ zwei Stunden aus sich warten. Inzwischen belagerten die Feiernden regelrecht das Haus, und um die Belagerten in die Hand zu bekommen, holten sie Strohbündel herbei, zündeten sie an und schoben sie durch die Kellerluken, um die arbeitswilligen Kameraden auszuräuchern. Schließlich erschien die Polizei, und deren Erscheinen genügte, um sämmtliche Belagerer zu veranlassen, sich seitwärts in die Büsche zu schlagen. Es hat hierauf eine sehr umsangreiche Untersuchung stattgefunden, aber eS ist nicht gelungen, die Thäter festzustelle». Wenn die zielbewußten „Genossen" solche Vorgänge ignorirt und beileibe nicht znsammengestellt sehen möchten, ist das nicht zu verwundern. Aus einer solchen Zusammenstellung würde sich eben die volle Berechtigung des Erlasses deS Grafen Posadowskv und die Nothwendigkeit ergeben, daS freie Selbstbestimmungs recht der Arbeitslusligen ebenso zu schützen, wie daS Coalitions recht der Streitlustigen geschützt ist, und eS würde sich zugleich eine wundervolle Aussicht auf die Zustände im socialistlschen „Zukunftsstaate" eröffnen, in dem der Wille der sociali- strschen Führer daS höchste Gesetz ist. Unbegreiflich aber wäre eS, daß Parteien, die daS „gleiche Recht für Alle" beständig im Munde führen, durch Einstimmen in daS socialdemokra tische Schlagwort von der Bedrohung des CoalitionsrechtS dem socialdemokratischen Terrorismus ein Mäntelchen um- hängen, wenn cs nicht leider eine alte Erfahrung wäre, daß bei den Wahlen der hohe Zweck des Stimmenfanges die be denklichsten Mittel nur allzu oft heiligen muß. Der CentrumSabgeordnete Müller-Fulda hat bekannt lich behauptet, eS liege ein fertiger Gesetzentwurf vor, der das RcichStagSivahlrecht von Grund auS adändere. Diese Nachricht ist vom „Reichsanzeiger" als erfunden bezeichnet worden; trotzdem erklärt jetzt die „Germania": Ter Abg. Müller-Fulda hat seine Behauptung, daß schon ein fertiger Entwurf, wenn auch nicht im Bundesrath oder in dec Reichskanzlei, vorgelegen habe, nicht zurückgenommen, sondern vielmehr aus einer am Freitag in Fulda abgehaltene» Centrumswählerversammlung erklärt: Er könne positiv ver sichern, daß die Absicht vorhanden sei, ein anderes Wahlrecht für den Reichstag einzusühren. Wenn das abgc- leugnet werde, so habe diese Ableugnung nicht viel zu bedeuten; es sei schon mehrmals etwas osficiell abgrleugnct worden, was sich bald nachher als richtig herauSstellte. So habe man 1893 bei Berathuug der Militairvorlage abgeleugnet, daß der Plan bestehe, die Tabaksteuer zu erhöhen, und schon im Jahre FeuiNeto«» Sanitiitsraths Türkin. 4s Eine Kleinstadt-Geschichte von Klaus Ritt land. Nachdruck »rrdotkn. „Liebe Menschen, die Familie v. Borstewitz, nicht wahr?" meinte Fräulein Drösel Nr. I und fügte hierauf in wohl wollendem Tone bedauernd hinzu: „Nur etwas, ja, wie soll ich es nennen? — Leider haben sie ziemlich viele Schulden!" „Wirklich?" „Ja — sie müssen den Kaufleuten geradezu schmeicheln, wenn sie noch etwas haben wollen. Dem jüdischen Schnitt- waarenhändler Rosenberg backt Fräulein Hedwig zu jedem Ge burtstag eine Biscuittorte." , „Nein, Chocoladeniorte!" opponirte Fräulein Dräsel Nr. 2. „Nun denn Chocoladeniorte, und trägt sie ihm eigen händig hin." Und Jndschi genoß nun eine ähnliche Nachmittagsunter haltung wie gestern, nur daß Dräsels nicht so unverblümt wie die Majorstochter sprachen, mehr durch Andeutungen und viel sagendes Kichern verleumdeten und daß ihre Giftpfeile vor wiegend nach der von Fräulein v. Borstewitz verschonten Richtung hinflogen. Als Lening, das siebenundzwonzigjährige Nestküken, so bei läufig erwähnte, der Senator Jürgens sei ein schrecklicher Don Juan, wurde sie von ihrer älieren Schwester mit der tadelnden Bemerkung zur Ordnung verwiesen: „Aber Lening, dergleichen Dinge verstehst Du doch gar nicht!" Jndschi kam nachgerade zu der Erkenntniß, daß die Klützower Honoratiorengesellschast in zwei feindliche Reihen gespalten war, welche Beobachtung sie dem Onkel, nachdem Fräulein Dräsels sich verabschiedet hatten. beim Abendessen mittheilte. Er nickte lächelnd. „Bist Du schon dahinter gekommen? Ja. Augen blicklich ist es eine latente Feindschaft; von Zeit zu Zeit bricht sie aber einmal offen hervor, und das ist dann immer sehr fatal für die Gemllihlick'eit der Scatabende. Denn bei der officiellen Verzürnung sind meisten« auch die Männer betheiligt, während bei dem augenblicklichen Zustand die Damen allein weiter kämpfen." „Das ist aber häßlich", meinte Jndschi; „giebt es wohl eine menschenunwürdigere Zeitvergeudung als solche kleinlichen Zänkereien?" „Und doch ist es natürlich", entgegnete er. „Wenn eine kleine Anzahl Menschen so eng beieinander wohnt, ohne rechte Anregung von außen, dann bilden sich leicht Differenzen aus. Ich wünschte wohl", fügte er nach längerer Pause nachdenklich hinzu, „ich könnte Dir wenigstens einen Umgang schaffen, der so ganz für Dich paßte. Ich fürchte fast „Ach was, ich habe ja Dich, Onkelchen", rief sie, seinen etwas vorgebeugten Rücken streichelnd. „Willst Du nicht mal die Remouladensauce kosten? Ich glaube, diesmal ist sie wirklich ganz mecklenburgisch gerathen." .„Vorzüglich", bestätigte er lächelnd. „Und nachher spiele ich Dir vor aus „Jessonda", Deiner Lieblingsoper." Jndschi war nicht glänzend musikalisch begabt, spielte aber gut vom Blatte all die leichten Clavierauszüge, die der Onkel so gern hörte, von denen er eine große Anzahl besaß, die aber seit dem frühen Tode seiner Frau Niemand mehr angerührt hatte. Und mit ihrer weichen, leisen Altstimme sang sie so ausdrucksvoll und so seltsame fremdartige Lieder, die sie aus der orientalischen Hcimath mitgebracht hatte. Und wie gemüthlich es war, wenn sie nach dem Abendessen miteinander in der Sophaecke saßen und plauderten; er er zählte ihr von seiner Praxis oder alte Geschichten aus seiner und ihres seligen Vaters Jugendzeit und sie erzählte von fremden Ländern und Menschen. Ein warmer Hauch von Schönheit, Anmuth und Poesie war mit der „Türkin" in das stille Doctor- haus eingezogen. Was schadete es da, daß das Wirthschaftsrad nicht ganz so glatt rollte wie unter der Führung der säuer lichen Mamsell Borstell? Manches harte Roastbeef, manche versalzene Brühe mußte der Sanitätsrath mit in Kauf nehmen. Aber er that es gern, Jndschi gab sich ja solche Mühe! und wenn sie ihn beim Genüsse irgend eines besonders zweifelhaften Gerichts mit so ängstlich fragenden Blicken ansah, wandte er sörmliche Derstellungskünste an, den Ausdruck befriedigten Wohlgeschmacks zu treffen. Ach, wenn sie ihm nur blieb! Oft wollt' es ihm scheinen, als könnte diese exotische Blume doch nicht wirklich festwachsen in dem trockenen Boden kleinstädtischer Alltäglichkeit. 4. Capitek. „Herr und Frau Borstewitz lassen sich die Ehre ausbitten Montag Abend zu einem Butterbrot»!" Jndschi nahm die Ein ladung mit besonderem Vergnügen an. Sie war nun schon acht Wochen in Klützow und das Leben begann, ihr, der an lebhafte Geselligkeit Gewöhnten, ein ganz klein wenig einförmig zu er scheinen. Früher hatte sie Gesellschaften oft als „Bußübungen" erklärt, gräßlich, so viel fades Zeug schwatzen zu müssen, Stunden lang an irgend einen unsympathischen Tischnachbar gekettet zu sein! Und doch jetzt meinte sie manchmal, das Einerlei kaum mehr ertragen zu können. Immer dieselben Straßen, dieselben Ge sichter, dieselben Spaziergänge mit dem Onkel am Seeufer ent lang, dieselben Kaffeevisiten mit der Handarbeit. Es war ja Alles ganz nett, aber der Humor, mit welchem Jndschi anfangs die kleinstädtischen Zustände betrachtete, wollte jetzt nicht mehr Stich halten; das, was ihr zuerst Spaß gemacht, erschien ihr jetzt oft unleidlich: dieses Eingesponnenwerden in kleinliche In teressen, dieses beständige Beobachtetsein, dieses Auf-dem-Prä- sentirteller-leben; sie kam sich beraubt, beeinträchtigt in ihrer persönlichen Freiheit vor, wenn ihre Nebenmenschen immer so ganz genau wußten oder wissen wollten, was sie that und trieb, wenn der Amtsrichter ihr auf der Straße gratulirte zu dem schönen Trockcnwetter; er habe ja „Krischan Regel's Wagen vor ihrer Thür halten sehen" (Krischan Regel war der Fuhrmann, welcher die Wäsche der Klützower Hausfrauen zum Spülen im See abzuholen Pflegte), oder wenn Hanning Dräsel ihr nach- rechnete, in welchem Zimmer sie gestern Abend gesessen, „es sei ja ausnahmsweise in der „guten Stube" Licht gewesen?" oder wenn die Frau Pastorin es bitter übel nahm, daß sie bei einer Visite nicht angenommen worden, „da sie doch ganz genau er fahren, daß Fräulein Körting vor einer Viertelstunde nach Hause zurückgekehrt sei!" Früher hatte sie darüber gelacht, jetzt kam es ihr manchmal vor, als müsse sie ersticken unter dem Wust dieser allgemeinen neugierigen Theilnahme; man zerrupfte ihr Selbst, sie war kein freier Mensch mehr, sondern ein Eigenthum dec Klützower Honoratiorengesellschast. Und dann lag es oft wie ein Druck auf ihrem Gehirn, es kam ihr vor, als ob sic allmählich verdummte. Sie versuchte, viel zu lesen. Aber de§ Onkels außermedicinische Bibliothek war nicht bedeutend und enthielt nur Sachen, für die man vor 30 Jahren geschwärmt hatte. Gutzkow's „Zauberer von Rom" war das Neueste! Auch zum Musiciren fehlte Jndschi die Lust, und mit ihrer phantastischen Handarbeit wollte es gar nicht vorwärts gehen. Traurig! Hatte sie denn nur so wenig geistigen Inhalt, daß sie beständig fremder Nahrung, äußerer Anregung bedurfte? Da Jndschi über die Stunde im Zweifel war, zu welcher das bewußte Butter brot» gegessen werden sollte, ging sie am Morgen des Gesell- schaftstages in das Borstewitz'sche Haus, nm sich selbst noch ein mal darnach zu erkundigen. Als sie die Treppe hinaufstieg, sah sie die Thür des kleinen Vorzimmers weit offen stehen. So konnte sie unangemeldet eintreten. Ein wunderlicher Anblick bot sich ihr dar. Suse, der Backfisch, kniete auf dem Fußboden. Vor ihr standen Rothweinflaschen; daneben ein Tellerchen mit feuchter Erde und etwas abseits lag ein Haufen Etiquetten, mit dem stolzen Namen „ChLteau Larose 1875" bedruckt. „Was machst Du denn da, Suschen?" fragte die Besucherin. Suse sprang auf, ein wenig verwirrt. Erst wollte sie eine Ausrede erfinden; dann aber besann sie sich eines Besseren. Wes halb sollte sie denn Fräulein Körting anlügen, die immer so „riesig nett" zu ihr war und ihr jedesmal, wenn sie eine Be stellung von Hedwig zu machen hatte, Chocolade oder sonst was Gutes gab? Und wenn die da drin sich auch ärgerten; das war Susen ganz egal. Sie hatten ihr eben die ganze Gesell schaftsfreude verdorben durch das Verbot, die Fruchtschalen auf zuputzen, was doch Tuschens Lieblingsarbeit war! „Ich mache Wein alt", antwortete sie also herzhaft. „Erst kleb' ich die Titelblätter drauf — und dann beschmier' ich sie mit feuchter Erde. Sehen Sie, — so. Je dreckiger das Papier, desto feiner der Wein, sagt Mutter. Das heißt — wissen Sie — zu toll darf man's auch nicht machen. Es muß natürucy aussehen." Und sie wischte einen allzu dick-lehmigen Fleck wieder ab, zerriß aber das Papier dabei. „Oh weh", klagte sie, „nun reißt das dumme Zeug auck rwm caput!" „Desto echter sieht's aus", tröstete Jndschi ergötzt. „Nachher kommt der Weißwein an die Reihe", fuhr Suse fort, „dort hinten steht er. Aber da werden erst noch zwei Flaschen Appelwein druntergepantscht, das merkt kein Mensch, sagt Mutter. Nur Ihr Onkel und der Bürgermeister kriegen reinen Mosel hingestellt. Denn die haben Weinzungen. Die Anderen trinken allen Pantsch." Jndschi starrte in lächelndem Entsetzen auf den fürchter lichen Backfisch herab, der da so unverfroren die tiefsten Haus standsmysterien ausplauderte. Da erklangen draußen scheltende Stimmen. „Sie zanken sich mit dem Fleischerburschen", lachte Suse schadenfroh. „Aber ich hatte doch Filet bestellt!" ließ sich die geärgerte Stimme der Hausfrau hören. „Wat Anners hedd hei nich, seggt de Meester; wenn Se die Hammelteule nich wollen, dann adjiis!" war die freche Antwort. „Nun denn — her damit! Es ist wirklich unerträglich, dieses Pack!" Jndschi hielt es für besser, die Damen nicht zu stören, und nachdem sie sich von Susen die gewünschte Auskunft geholt, verließ sie dar FestvorbereitungShau«. Abends, bei vortheil-
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