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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.05.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-05-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980525028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898052502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898052502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-05
- Tag1898-05-25
- Monat1898-05
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Di» Morgen-Ausgabe erscheint um '/,7 Uhr, di« «bnid-A«-gabe Wochentag« um 5 Uhr. Nedactio« >»d Erpeditto»: Isha»»rs««ffr 8. Di« Expedition ist Wochentag« »uuuterbrochea geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Filialen: ktts Klemm'« Gartim. (Alfred Hahn), UnivrrsitätSstraße 3 (Paulinum), L-«i« Lüsche, Katharinenstr. 14, -art. und König-Platz 7. BezugS-PreiS hi ßa -anprexpedition oder de« im GtaU« bezirk und den Vororten «richteten Au«« oadestell», ab geholt: vierteljährlich ^14.50, oei Meimallger täglich« Zustellung in« Hou« ^l SchO. Durch di» Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vi«Ul,ährltch ^l S.—. Direkt» täglich« Kreuzbandlrndung tu« Ausland: monatlich ^ll 7.50. Abend-Ausgabe. MpMr TllgMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes «nd Nolizei-Amtes der LLadt Leipzig. Anzeigen-PreiS i>le 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Rtdactlonßstrich (4a»> spalten) 50H, vor den AamilirnnachrtchtM (6 gespalten) 40 H. 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Heute und morgen gedenkt indessen die amerikanische Flotte die spanische zum Gefecht zu zwingen, und e« wird Alle« dazu vorbereitet. Jetzt fragt e« sich nur, ob Cervera sich noch im Hasen von Santiago de Cuba befindet — am Montag Vormittag soll er bestimmt noch dort gewesen sein — oder ob er wieder aus gelaufen ist und sich, wie e« heißt, auf der Fahrt nach Martuique befindet. Wir halten Letztere« für unwahr scheinlich, denn Cervera'« Taktik geht offenbar in richtiger Beurtheilung der Sachlage dahin, den Entscheidungskampf hinauSzuziehen, und da« kann er nicht besser, als wenn er in Santiago bleibt. Der Hafen von Santiago liegt im Hintergrund eine« schmalen, gewundenen MeereSeinschnitts, der außerdem höchst gefährliche Klippen enthält, die ohne geschickte Lootsen nicht vermieden werden können. Die äußerst schmale Einfahrt ist durch eine mehrfache Minenkette gesperrt und die innere Bucht ist durch eine Fülle von Kreuz feuer-Batterien vrrtheidigt. Hier liege» 7 spanische Kriegsschiffe, vier Panzerkreuzer, ein Torpedozerstörer und zwei Hilfskreuzer. Der Torpedozerstörer „Terror" und da« Transportschiff „Alicante" blieben in den Gewässern von Martinique zurück, sie müssen aber zur Stunde nach Cuba unterwegs sein; ein anderer „Destroyer" trennte sich kurz vor Ankunft des Geschwaders in Santiago von diesem und nahm eine unbekannt gebliebene Richtung. Da« Cadizer Reservegeschwader umfaßt nachstehende Schiffe: 2 Panzerschiffe „Pelago" und „Carlos V.", 1 armirten Kreuzer „Alfonso XIII.", 2 nicht armirte Kreuzer „Patriot»" und „Rapido" (vormals „Normannia" und „Columbia"), 3 Torpedozerstörer „Audaz", „Ofsado" und „Proserpina", 4 Hilfskreuzer „Alfonso XII.", „Buenos Aires", „Antonio Lopez" und „Ciudad de Cadiz", zusammen also 12 Schiffe. Aus Madrid wird uns gemeldet: „In hiesigen unterrichteten Kreisen versichert man, daß die Weigerung Castillo's, das Ministerium des Aeußeren zu über nehmen, ganz andere Gründe gehabt habe, als in den Zeitungen an gegeben wurde. Castillo habe soeben in Paris sehr wichtige Abmachungen mit Frankreich zu Stande gebracht, und Hanotaux habe eS als unzweckmäßig bezeichnet, wenn Castillo, dessen engere Beziehungen zu den französischen RegierungSkreisen bekannt seien, gerade in diesem Augenblick die amtliche Leitung der auswärtigen Politik Spaniens übernehme. Das von dem Letzteren seit mehreren Monaten vorbereitete spanisch-französische Abkommen hat zur Grundlage die finanzielle und diplo- malische Unterstützung Spaniens durch Frankreich während des jetzigen Krieges, wofür Spanien die französische Marokkopolitik in sehr wesentlichen Puncten unterstützen soll. Hiernach würde Spanien die Ansprüche Frankreichs auf die Thuat- Oasen und da» nördlich« Marokko bi« zur spanischen Festung (Melilla) anerkennen, sowie die Festung Ceuta in einem bestimmten Zeiträume zu einem Krieg-Hasen größeren Stil« ausbaue«. An diesen letzteren Punkt soll sich uoch ein« besondere Militairconveution anschließen, »ach der Frankreich bei einer kriegerischen Verwickelung im Mittel ländischen Meere ebenfalls an Teuta einen Flottenstützpunkt erhalten würde und somit Gibraltar Schach bieten könnte." Was Wahres an dieser Nachricht ist, läßt sich natürlich von hier au« nicht feststellen, aber schon von anderer Seite wurde gemeldet, daß Castillo in Paris wegen einer spanisch französischen Entente verhandele, und in diesem Zusammenhang gewinnt auch die Nachricht an Bedeutung, daß bei Gibraltar eine 7000 Mann starke Expedition zusammen gezogen werde, um nach Marokko zu gehen, um gegebenenfalls Tanger zu besetzen, und daß bereit« eine spanische (nicht, wie ursprünglich gemeldet wurde, englische) Truppen- abtheilung nach der spanischen, Gibraltar gegenüberliegenden. Feste Ceuta verschifft worden sei. Thatsächlich finden bei Gibraltar spanische Truppeuconcentrationen statt, wie aus der folgenden Nachricht hervorgeht: * Madrid, 24. Mai. („«gencia Fabra".) Die Nachricht, daß die spanische Regierung eine Reklamation von der englischen Re gierung wegen Anhäufung von Truppen in der Umgebung Gibraltars erhalte» habe, wird für unbegründet erklärt. Unmöglich ist e« «icht, daß England, die prekäre Lage Spanien« benutzend, einen Streich gegen Marokko plant, daß mau davon in Paris und Madrid Wind bekommen Hal und für diesen Fall rin Handinhandgehen plant. Auch von einer Ueberlaffung der Philipp inen an Frank reich war die Rede. Auf diese Weise solle, so hieß eS, verhindert werden, daß die Inseln an Amerika oder England kommen. Ein solcher Schritt Spanien« wäre ein schwerer Fehler, weshalb wir auch nicht an derartige Absichten glauben. Es bedarf keines Hinweise«, daß zahlreiche europäische Mächte an dem Schicksal der Philippinen sehr lebhaften Antheil nehmen müssen. Die größten HandelSinterrffeu auf den Philippinen haben England und Deutschland. Erinnert man sich, wie lebhaft in der russischen Presse dagegen protestirt wurde, daß die Philippinen von Amerika an England verkauft würden, und erinnert man sich ferner, wie sehr Japan durch seine geographische Lage verhindert ist, die Philippinen al« yuuntitL nSgllgeLblo zu betrachten, so ergiebt sich, daß ein Besitzwechsel von der Bedeutung des in Rede stehenden unmöglich die betbeiligten Mächte al« bloße Zu schauer sehen wurde. In Wirklichkeit aber hat Spanien nicht den geringsten Grund, zur Zeit an die Preisgabe der Philip pinen zu denken, auch deswegen nicht, weil eS sich die neutralen Mächte mit einem Schlage verfeinden würde, wenn es den Zank apfel unter sie würfe. Daß das spanische Blatt „Imparcial" von Erwägungen berichtet, welche die spanische Regierung anstelle in der Richtung, ob die Abtretung einiger Inseln der Philippinen an Deutschland Letzteres nicht etwa von Eng land, an welches e« sich jetzt anzunähern scheine, fernhalten könnte, gehört ersichtlich in da« Reich der Erfindung. Die Spanier werden gut thun, wenn sie sich nicht durch solche Falschmeldungen zu unbegründeten Hoffnungen verleiten lassen, vielmehr der Ansicht des „Liberal" beipflichten: Spanien werde nur durch Selbsthilfe ans der Patsche kommen. Wir stellen nun noch folgende Kriegsmeldungen zusammen: * Ketz West, 24. Mai. Da- Gerücht von dem Verluste de» „Mangrove" ist unbegründet. (ES hieß, da« für die Durch, schueidung der Kabel besonders ausgerüstete Schiff sei an der Süd küste von Cuba von den Spaniern weggenommen worden, ein« Nachricht, die große Aufregung in Key West hervorgerufen hatte. D. Red.) * Tun AranciSc», 24. Mal. Die Truppe« wurden heute auf den Dampfern „City of Sydney" und „Australia" nach Manila eingeschifft. * Havannah, 25. Mai. (Telegramm.) Der deutsche Kreuzer „Geher" geht auf Requisition des deutschen ConsulS heute nach Veracruz mit 20 bis 25 Deutschen und Schweizern an Bord. * Madrid, 24. Mai. (Kammer.) In Erwiderung auf eine Anfrage Billaverdr's wies der Finanzmiuister Puigcrrver die Beschuldigung der Unvorsichtigkeit zurück und führte aus, die Finanzen des Landes würden es gestatten, die Zahlung sämmtlicher Krirgskosteu zu leisten. Der Minister verlangte, daß man den Finanzanträgrn der Regierung zostimme. Politische Tagesschau. * Leipzig, 25. Mai. Nock niemals, seitdem da« Reich besteht, hat sich die „Reichsregierung" so wenig wie jetzt bemüht, auf den Ausfall der Reichstagswahlen durch eine Wahlparole einen Einfluß auszuüben. So lange Fürst BiSmarck mit starker Hand das Steuerruder der Reichspolitik lenkte, wußte er stets da« Augenmerk der Nation auf große Ziele zu richten und ihr klar zu machen, welche Zusammensetzung des Reichstag« nöthig sei, um diese Ziele erreichen zu können. Jetzt bat man anscheinend sogar auf den Versuch verzichtet, von leitender Stelle aus die HauptgesichtSpuncte zu bezeichnen, von denen aus die Reichsrcgierunz die an sie herantretenden Zeitfragen betrachtet und deshalb auch von der Mehrheit deS künftigen Reichstags betrachtet sehen möchte. Der Sammelruf des Vicepräsi- denten des preußischen Staatsministeriums ist an sich viel zu allgemein, und überdies an viel zu wenig deutliche Adressen gerichtet, als daß er als ernstlicher Versuch gelten könnte, dem zu wählenden Reichstage eine geschloffene Mehrheit zuzuführen. Wenn dieser Verzicht von dem Wunsche eingegeben ist, den Versuch zu machen, ob die deutsche Nation reis genug sei, ohne jede Anleitung über ihre Geschicke entscheiden zu könne«, so kann man schon jetzt sagen, daß dieser Ver such bei den bevorstehenden Wahlen scheitern werde. Vielleicht wird er nie glücken, denn eS ist kaum denk bar, daß die große Menge der Wähler vor Beginn einer fünfjährigen Legislaturperiode nicht nur die während dieser Zeit an die Reichsgesetzgebung herantretenden Aufgaben klar übersehen, sondern auch über die beste Art der Lösung auS eigner Kraft und Einsicht sich einigen werde. Diesmal, wie gesagt, werfen die Erscheinungen der Wahlbewegung auf die politische Reife der deutschen Nation ein nichts weniger als erfreuliches Licht. Wenn sogar ein halbes Dutzend von Gegnern des Impfzwanges einen eigenen Candidaten auf stellt, der das Heil deS deutschen Volkes und aller seiner Glieder während eines fünfjährigen Zeiträume« wesentlich vom Gesichtswinkel der Impfung aus betrachten soll, so verräth das jedenfalls alles Andere als politische Reife und zeigt in Verbindung mit der im größten Tbeile der Wahl kreise vorhandenen Canvidatenüberfülle, daß das deutsche Volk wenigstens zur Zeit noch wissen muß, was die Regierung erreichen und mit welchen Mitteln sie cs er reichen will, bevor es sich klar darüber werden kann, was es selbst zu wollen und zu thun hat. Das Versäumte wird nun nicht mehr nachzuholen sein. Um so mehr sollte sich die Regierung angetrieben fühlen, wenigstens durch ihre Presse den Versuchen entgegenzuwirken, die schon durch eine übergroße Fülle von Wahlparolen verwirrte Wahl bewegung noch durch solche Parolen »u belasten, die am wenigsten jetzt am Platze sind. Zu diese« Versuchen gehört in erster Linie der der deutschen FrievenSgesellschaft, ihre Mitglieder zu bestimmen, bei den ReichStagSwahlen allen Candidaten die Frage vorzulegen, ob sie für daS Princip der schiedsrichterlichen Schlichtungen von Streitigkeiten zwischen den Völkern eintreten und sich an den interparlamentarischen FriedenSconserenzen bethei- ligen wollen. Wenn man bedenkt, daß die deutsche Friedens gesellschaft sich wesentlich auS Mitgliedern der freisinnigen Volkspartei recrutirt, die allen Forderungen nach Ver stärkung des deutschen Heeres und der deutschen Flotte sich abgeneigt zeigt, und daß diese Gesellschaft sich eben sowenig wie die übrigen auch nur zu einem papiernen Proteste ermannen konnte, als die nordamerikanische Republik den Krieg gegen Spanien erklärte, während man sicherlich großen Lärm gemacht haben würde, wenn eine Monarchie, wenn Spanien den Krieg vom Zaune gebrochen hätte: so muß man zn der Ueberzeugung kommen, die deutsche Friedensgesellschaft trage sich mit der Absicht, auch andere als volksparteiliche Candidaten auf die Bemühung zu verpflichten, Deutschland zum Boraugehen mir der Abrüstung zu drängen. Von couservativen und national liberalen Candidaten werden ja die Versucher der deutschen Friedensgesellschaft die rechte Antwort erhalten. Je zerfahrener aber die Wahlbewegung ist «nd je kleinlicher die Gesichts- puncte mancher Candidaten sind, um so mehr ist e« am Platze, daß die Regierung ihre warnende Stimme gegen die Wahlbeeinfluffungsversuche der deutschen FriedeoSgrsrllschaft erhebt und nachdrücklich darauf hinweist,, daß in einer Zeit, da eine große Republik, die von keiner Seite feindliche An griffe zu besorgen hatte, eine chauvinistische Kriegspolitik treibt und sogar die Constellation der europäischen Mächte bedenklich zu beeinflussen droht, Deutschland am wenigsten an eine Schwächung seiner Wehrkraft denken darf. Für den Charakter der „deutschen" freisinnigen Partei sind di^ Bemühungen bezeichnend, die von dieser Seite auf gewendet werden, um die mit vieler Mühe endlich herbei geführte Einigung der deutschen Parteien im Reichs- tagswahlkreise Bromberg zu zerstören. Bekanntlich ist bei der ReichStaqSwahl im Jahre 1893 der genannte Wahlkreis zum ersten Male seit dem Bestehen deS deutschen Reichstages durch die Schuld der Freisinnigen den Polen in die Hände gespielt worden. In früheren Jahren siegte der deutsche Candidat regelmäßig in der Stichwahl, indem er ca. 9000 Stimmen auf sich vereinigte (1890 waren es 9274, 1887 waren eS 8841 Stimmen); daS letzte Mal aber erhielt er nur 7142 Stimmen, während der Pole von 5377 eS auf 8388 Stimmen brachte, weil außer den 2475 Socialdemokraten die Freisinnigen, die 4205 Stimmen für sich batten, dem Polen in beträchtlicher Anzahl beisprangen. Diese- Mal war der Regierungs präsident von Tiedemann auch von den Freisinnigen als ReichstazScandidat angenommen worden, unter der Bedingung, daß ein Bromberger Landtag-Mandat den Freisinnigen über lassen werden solle. Kaum war das bekannt, da übte der Muth in der Brust der „Unentwegten" seine Spannkraft; zuerst begrinste ein Bromberger Wadenstrümpfler im „Berliner Tageblatt" das Abkommen der deutschen Parteien, ohne aber ganz mit der Sprache herauSzukommen; jetzt schreibt ein Bromberger Wasserstiefler in der Berliner „Volkszeitung" über „politische Selbstentmannung" und über das „faule Geschäft" mit dem reactionärrn Mischmasch und be- Sanitiitsraths Türkin. 5s Eine Kleiostadt^Seschichte von Klau« Ritt land. Nachdruck vrrbokn. Hedwig Borstewitz sand die Gesellschaft „total mißlungen". Den ganzen Abend schon hatte sie sich bemüht, etwas Feuer aus dem dicken Assessor herauszuschlagen, aber vergebens! Still zufrieden, lächelnd und kauend, breitete er seine Körpermasse an ihrer Seite au«; al« sie ihn fragte, ob er Tennyson'« „Enoch Arden" gelesen, für den sie schwärmte und den sie ihm geliehen hatte, da blickte er sie unsicher fragend an und antwortete, seinen letzten Bissen hinunterschluckend: „Jawohl, jawohl — natürlich. Riesig ulkiges Buch — wa«? " Und wenn sie sich noch wenigstens auf der rechten Seite hätte schadlo« halten können! Aber der Baron war ja ganz „weg" von diesem Fräulein Körting! Abscheulich! Noch vorigen Monat, auf dem Ball deS Concordia-Vereins (wo bisweilen Landedelleute erschienen) hatte er ihr, Hedwig Dörstewitz, so auffallend die Cour gemacht, daß sie schon Hoffnung geschöpft hatte, durch seine Vermittelung vielleicht endlich in näheren Verkehr mit dem umwohnenden Adel zu kommen. Romin's gaben so glänzende Feste — und wenn der Baron sich für sie interesftrte, würde er sie recht oft einladen. Seine Frau war ja nicht eifersüchtig und duldete seine Courmachereien, da« wußte Jedermann. Sie lebte nur für ihre Pferde, Hundezucht und Jagd. Glänzende Zukunftsschlöffer hatte Hedwig auf den schwankenden Boden diese« scheinbar aufkeimenden Interesse« gebaut — und nun? — Wie er Jndschi in die Augen blickte, al« er ihr zutrank! Und wie sie mit ihm kokettirte — mit einem verheiratheten Manne — empörend! Jetzt, die Hauifrau hotte die Tafel aufgehoben und die grsrgnete Mahlzeits-Pilgerreise begann; jetzt beobachtete Hedwig, wie der Baron Jndschi's Hand mindestens fünf Sekunden in der seinen festhielt! Nach Tische wurde es sehr langweilig. Das Absonderungs system der Geschlechter trat von Neuem in Kraft. Nur eimtze besonder« Liebenswürdige widerstanden den Lockungen des Rauchzimmers und setzten sich zu den Damen. Senator Jürgens schob seinen Stuhl zwischen Jndschi und die Justizrathstochter, und Baron Romin bezahlte der Hausfrau seinen Artigkeits tribut, während er zugleich von Weitem Jndschi'» Profil stu- dirt». Allmählich versiegte aber der Gesprächsstoff. Da kam Hedwig auf die Idee, ein wenig zu tanzen. „Ach, wie reizend!" rief Lening Dräsel, kindlich in die Hände klatschend. „Lydia, nicht wahr, Du spielst einen Walzer?" bat Hedwig ihre älteste Schwester. — „Du hast den ganzen Abend wie eine Salzsäule dagesessen", sügte sie hinzu; „etwas kannst Du doch auch zur Unterhaltung beitragen." — Lydia fand die Zu- muthung stark; sie spielte sonst nur Choräle, aber sic fügte sich. Der dicke Assessor und vr. Schmidt wurden der Behaglichkeit de« Rauchzimmers entrissen, und der Tanz begann. Es war sehr heiß und wenig Raum, aber die gewünschte Wirkung, mehr Leben in dl« Gesellschaft zu bringen, wurde doch erreicht. Jndschi fand, daß der Baron sie sehr fest an sich drückte beim Tanzen. Sie wollte sich selbst einreden, daß dies wohl so sein« Gewohnheit sei, denn er war ihr zücht unangenehm; und doch wußte sie ganz genau, daß er ein viel zu perfekter Tänzer war, um eine so unvornehme Gewohnheit zu haben, daß er heute Abend nur mit ihr allein so tanzt«! Beim Abschiednehmen flüsterte er ihr mit einem flammenden, flehenden Blick zu: „Auf sehr baldiges Wiedersehen — ja?" Sie hofft« r« in diesem Moment. Aber al« sie an der Seite de« Onkel« durch die stille dunkle Nacht heimwanderte, al« die eisige Wintrrluft wohlthätig kältend über ihre heiße Stirn dahinstrich und ihre aufgeregten Nerven beruhigte, da nahm sie sich vor, den Besuch in Ströbenhagen nicht so bald aui- zuführrn. Ei war drei Tage vor Weihnachtsabend. In den Straßen von Klützow herrschte noch eine lautlosere Stille wie gewöhnlich, trotz der Festvorbereitungsgeschäftigkeit; denn der massenweise gefallene Schnee hatte einen dicken, weichen Teppich unter Menschenfüße, Wagenräder und Pferdehufe gebreitet, jeden Laut dämpfend, alle« Scharfe, Harte, Schrille gleichsam erstickend in einem großen, sanftbehäbigen Wohlwollen. Alles sah heute so gutmüthig au«, so mollig-abgerundet und reinlich, die mit dicken Schneewulsten bedeckten Dächer, die Fenster mit den sammetweich auSgrvolstertrn weißen Ecken, die unter ihrer schweren, prächtigen Last nirdergrbeugten Bäume und Sträucher, die Pferde mit den bereiften Mähnen und die Menschen mit den greisenhaft bepuderten Bärten und Augenbrauen. Jndschi Körting trabte mit großen russischen Pelzgummi- stiefeln durch die Straßen, Fike« mit einem mächtigen Handkorb am Arme hinter ihr her. Sie gingen in die Backstube zum Honigkuchenbacken, eia wichtiger Moment für die Frauenwelt Klützow«. Jndschi kam diese Sitte freilich höchst possirlich vor; aber sie machte dieselbe trotzdem mit. Neulich, als Frau Dräsel sie gefragt, für welchen Tag sie sich denn beim Bäcker angemeldet, woran Jndschi bisher noch mit keinem Gedanken gedacht, hatte sie sofort mit feinem Instinkt begriffen, daß es sich hier um eine sehr wichtige Sache handelt, und daß matt absolut sein Weihnachtsgebäck selber einmengen und sich „beim Bäcker an melden" mußte, wenn man seinen Hausfrauenberuf nicht gänzlich einbüßen wollte. So hatte sie sich denn von Frau v. Borstewitz gute Honigkuchenrecepte geben lassen, und heute Morgen wollte sie sich mit ihr und Hedwig in der Backstube treffen. Jetzt hatte sie ihr Ziel erreicht. „Morgen, Fräulein, gehen Sie man immer runter; die Frau Majorin is schon da!" wurde sie von der Bäckerin begrüßt und stieg hierauf die schmale steile Treppe hinab, welche in den Backraum führte. Ein warmer, mehliger, süßer, fetter Brodem stieg ihr entgegen, so daß ihr zuerst das Athmen schwer wurde. Aus dem riesigen Backofen in der Ecke holte Jochen, der Gesell, soeben mittels einer zwei Meter langen Holzschaufel die Bleche der jungen Frau Steuer- controleurin hervor, die mit zusammengekrampften Händen und vorgebeugtem Oberkörper — ein Bild angstvoller Spannung — vor dem gluthzitternden Höllenrachen stand und stammelte: „Acbott, wenn man nur die Mandelkuchen nich zu braun ge worden sind!" Aber mit hoheitsvoller Geberde schob der Gesell ihr da» erste Blech vor die Füße. „Na, wat seggen Sei nu?" Strahlend kauerte sie sich vor die goldbraune Herrlichkeit nieder, und Andere drängten sich hinzu. „Jetzt meine, Jochen, jetzt meine!" Aber Jochen hielt das Regiment gut aufrecht. „Nee, nee, tämmenS man noch en Beten; erst Fru Brandten ehr!" Jndschi stand lange still beobachtend am Eingang. Da« leb hafte Treiben gefiel ihr, und mit dem würzigen Kuchenduft wogten so frohe, verheißungsvolle Bor-WeihnachtSgefühle durch den Halbdunkeln Raum. „Ach, Fräulein Körting!" rief jetzt eine Helle Stimme, und Jndschi bemerkte Suse Borstewih, die Mignon« Eiertanz zwischen den zahlreichen den Fußboden bedeckenden Kuchenblechen auffllhrte und hier und da — mit Erlaubniß der Besitzerinnen — ein Stückchen probirte. „Kommen Sie!" Und sie zog das junge Mädchen in die nebenan liegende — nur durch ein breites, dicht über dem Erdboden angebrachtes Fenster erhellte — Stube, in welcher sich erst die eigentliche Thätigkeit der wirthschaftlichen Damen entfaltete. Hier standen sie, eine neben der anderen, vor einer langen, weißen Tafel, die sich an der Fensterwand hinzog, mit dem Formen und Auflegen ihres Gebäcks be schäftigt. In stumpfsinniger Klumpengestalt wurde der Teig inttgebracht, vom Bäcker aufgerollt und dann erst erhielt er von der betreffenden Eigcnthümerin seine künstlerische Gestaltung al» Herz, Krenzel oder Figürchen. Der Bäcker Schulze, ein hübscher, fetter, blonder Mensch mit kräftigen schneeweißen Armen, hatte es schwer, allen Anforderungen gerecht zu werden, und würzte sich und den Anderen die Arbeit mit schnodderigen Witzen. (Er war nämlich ein Berliner Kind!) Frau v. Borste witz, mit einer großen blauen Küchenschürze gewappnet, das dunkle Haar und das große, regelmäßig geschnittene Gesicht von Mehlstaub überhaucht, hatte — mit der ihr eigenen resoluten Unverfrorenheit — natürlich den besten Platz erobert, dicht unter dem Fenster, und stach dort, von Hedwig assistirt, ge schäftig ihre Christbaumfiguren aus; dicht neben ihr entfaltete Frau Dräsel ihre Thätigkeit; sie hatte bereits das zwölfte Blech gefüllt und schaute mitleidig lächelnd auf die kleine Quantität — gewiß sehr leichter! — Küchlein der adeligen Feindin. Im dunklen Hintergründe des Zimmers plagte sich Frau Senator Jürgens, hochroth erhitzt und sehr mißmuthig drrinschauend, selber mit dem Ausrollen ihres Teiges. „Ich bin gleich fertig; dann können Sie meinen Platz ein nehmen, Fräulein Körting", rief Frau Dräsel der in Schulze's Backstube eintretenden Jndschi zu; aber die giftige Stimme der Frau Jürgens ertönte aus der dunklen Ecke: „Da möchte ich denn doch sehr bitten, verehrte Frau Dräsel, auf den Platz warte ich bereits seit einer halben Stunde." „Natürlich gehen Sie vor", versicherte Jndschi sofort und bot der Geärgerten an, ihr bei der mühsamen Arbeit zu helfen, wurde jedoch zurllckgewiesen. „Nein, danke, wirklich, da« ist nichts für so feine Hände, die nur ans Malen und Clavierspielen gewöhnt sind. Herr Schulze wird ja doch wohl nun endlich bald Zeit für mich haben." „Noch zwei Minuten, Frau Senatcrn", rief der Bäcker, „dann wird Ihre Sehnsucht jeftillt." „Herr Schulze, liegen diese Honigkuchenfrauen nicht zu dicht beieinander?" fragte jetzt Hedwig Borstewitz den Meister. Er warf einen Blick hinüber. „Na, aufjehn thut der Teig jehörig. Schieben Se man die lieben Kinder noch en bi-ken auseinander. Donnerwetter, da« iS ja der „SchönheitSjarten Katharina«!" (Schulze war ein Theaterenthustast und hatte immer seinen „festen Platz", wenn die Wandertruppe spielte.) — „I, da kommt ja auch die Frau Olfersen", indem er sich um wandte und eine kleine, sehr bkscheiden gekleidete alte Frau begrüßte. „An Ihnen hatte ich heute überhaupt nich mehr je- dacht. Ihre Ubr kommt wohl noch nich fort mit de mitteleuro päische Zeit? Sie waren doch für neune bestellt!" „Ja, ik heww' mi all tüchtig sput't", erwiderte die Alte ent schuldigend, „aber da i« ja so viel zu thun, Herr Schulze, ik weit jo gor nicht mihr, wo mi de Kopp steiht. Morgen Mittag kommt ja mein Fritzing." Diese Abwrch-lung von Platt und
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