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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.05.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-05-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980526029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898052602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898052602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-05
- Tag1898-05-26
- Monat1898-05
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbcförderung 60.—, mit Postbesörderung ./L 70.—. Ännahmeschluß für Ä-nzeigen: Abend-Ausgabe: BormittagS 10 Uhr. Marge n-Ausgabe: Nachmittogs 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeige» sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 263 Donnerstag den 2k. Mai 1898. 92. Jahrgang. Der spanisch-amerikanische Krieg. —p. Bei dem etwas schleppenden und an Ereignissen armen Gange des spanisch - amerikanischen Conflikts interesstren im Augenblick die internationalen Compli- cationen, die derselbe im Gefolge haben kann, mehr, als die Meldungen vom Kriegsschauplätze selbst. Wir theilten schon im Morgenblatt die Nachricht des New Norker „Evening Journal" auS Manila mit, der amerikanische Admiral Dewey habe dem dortigen deutschen Consul die Erlaubniß, MunD- vorräthe von einem deutschen Schisse zu landen, verweigert, worauf dieser geantwortet haben soll, er werde die Landung mit Hilfe zweier deutscher Kreuzer erzwingen, und Dewey seinerseits erwidert hätte, er werde aufdieKreuzerfeuern. Die Annahme liegt nahe, daß die Meldung auf eine Verdächtigung der deutschen Neutralität hinausläuft und deshalb aus englischer Quelle stammen könnte, allein auch der Madrider „Imparcial" berichtet nach Mel dungen eines von Manila in Hongkong angekommenen japanischen Kreuzers: „Angeblich ist ein ernster Streit zwischen Dewey und dem Deutschen Consul wegen der Löschung deutscher Schiffe in Manila auSzebrochen." Etwas scheint also an der Sache zu sein und überall in Deutschland wird man mit Spannung weitere Aufklärung erwarten. Die Rücksichtslosigkeit der Amerikaner ist derart, daß man ihnen Alles zutrauen kann, haben sie doch schon bei Cuba aus ein deutsches Schiff geschossen und einem anderen deutschen Schiff die Fahrt nach Havannah untersagt. Eine weitere Complication würde sich ergeben, wenn that- sächlich England mit den Vereinigten Staate» ein Ab kommen getroffen hätte und Spanien in Marokko Schwierig keiten Lu machen entschlossen wäre. Zn Spanien zeigt man sich wegen eines englischen Handstreichs auf Tanger sehr besorgt und trifft, wie wir schon mittheilten, Vorbereitungen, um John Bull Schach zu bieten. Heute können wir folgende Meldung verzeichnen: " Madrid, 25. Mai. (Meldung der „Ageuce Fabra".) Die Nachricht, daß der erste Lord der britischen Admiralität Goschen mit dein Unterhausmitgliede Austen Chamberlain heute an Bord des englischen Kreuzers „Terrible", der eine Probefahrt machte, von London nach Gibraltar abreiste, ist hier sehr bemerkt worden. — Algeciras (am Meerbusen von Gibraltar) wird ver stärkt. Die Blätter empfehlen die Befestigung der Anhöhen, welche Gibraltar beherrschen; die Regierung wird jedoch keinen seindseligen Act unternehmen, so lange sich die angebliche eng- lisch-amerikanische Allianz nicht bestätigt; andernfalls würde Spanien genöthigt sein, Maßregeln zur Selbsterhaltung zu treffen. lieber den Stand der beiden Flotten in den Antillen gewässern liegt die folgende bestimmt auftretende Nachricht vor: * New Nork, 25. Mai. Eine Meldung aus Puerto Principe bestätigt endgiltig die Nachricht, daß sich Cervera's Flotte noch in Santiago de Cuba befindet. Diese Nachricht wird anscheinend Durch die folgende aus spanischer Quelle bestätigt: * Madrid, 25. Mai. Nach einer hier eingetroffenen Depesche ist die Ankunft Les Geschwaders des Admirals Cervera vor Santiago de Cuba von der dortigen Bevölkerung mit Be geisterung begrüßt worden. In der Depesche heißt es weiter, gestern hätten sich 5 Schiffe gegenüber von Santiago de Cuba befunden. Wir hoben schon wiederholt hervor, daß Cervera vorläufig kaum etwas Anderes übrig bleibt, als in Santiago Schutz zu suchen. Dabei ist freilich zu bedenken, daß Häsen Mausefallen für I Die Flotte werden können, wie Festungen für die Heere. Wenn I die Spanier mir einigen wenigen Minen die Einfahrt von j Santiago schließen können, so können die Amerikaner ebenso leicht die Ausfahrt schließen, und man müßte doch die Ent schlossenheit amerikanischer Flottenfübrer gewaltig unterschätzen, wenn man nicht annähme. Daß sie lieber mit einigen Schiffs leibern den feindlichen Hafen schlössen, als daß sie ein einmal „eingefangenes Geschwader" wieder aus den Fingern ließen. Aber vielleicht befindet sich Cervera gar nickt in Santiago. Zn Cap Haitien geht nämlich nach New Aorker Depeschen das allerdings noch unbestätigte Gerücht, das Ge schwader Cervera's sei nicht bei Santiago, sondern weit westlich bei Ciensuegos an der Südküste Cubas, und eine weitere Meldung besagt gar: 1.6. Madrid, 24. Mai. Begreiflicherweise beobachtet das Marineministerium über die dem Admiral Cervera zugegangenen Befehle das strengste Schweigen; jedoch ist allgemein die Ueber- zeugung vorherrschend, daß Cervera keinerlei Rückwärtsbewegungen nach Martinique oder Portorico unternommen hat, sondern sich in diesem Augenblick (Dienstag) bereits in nächster Nähe von Havannah befindet. Was die amerikanische Flotte anlangt, so bestätigt sich einem Telegramm der New Iorker „Post" zufolge die Nachricht, daß das Blockadegeschwader des Admirals Sampson am Montag von Havannah nach Santiago mit den Kriegsschiffen erster Classe und den Panzerkreuzern abging. Nach einer weiteren Meldung soll es bereits an Ort und Stelle eingetroffen sein. Dieselbe besagt: * Madrid, 26. Mai. Nach einer Depesche aus Havannah concentriren sich die amerikanischen Schiffe gegenüber Guantanamo und dem Hafen nahe bei Santiago, sowie gegen über Santiago selbst, was darauf hinzuweisen scheint, daß sie sich zu einem Angriffe auf das Geschwader Cervera's vor bereiten. Der glücklich in Jupiter Jnlet eingetroffene „Orr., on" war von dem Kanonenboot „Marietta" und dem „Buffalo", dem früheren brasilianischen Kreuzer „Nictberoy", begleitet. Der „Oregon" ist bereits gestern Nachmittag wieder von Jupiter Jnlet in See gegangen. Der Bestimmungsort ist unbekannt. Ist somit den Spaniern ein guter Fang entgangen, so haben andererseits die Amerikaner sich eine gute Beute ent wischen lassen. Man meldet uns: * Barcckonn, 26. Mai. (Telegramm.) Tas Packetboot „Puerto Rico", das nach gefährlicher Uebersahrt von Cuba hier eingetrossen ist, hat New Orleans am 15. April mit Baumwolle und 300 Maulthieren beladen, für die spanische Armee aus Cuba, ver lassen. In Havannah kam das Boot am 18. April an, ging hierauf nach Santiago de Cuba, das es am 24. April wieder verließ, und wußte Len amerikanischen Schiffen mit Erfolg zu entgehen. TaS Aufgebot an amerikanischen Landtruppen wird, da man sowohl die Philippinen wie Cuba zu occupiren ge denkt, immer größer. Präsident Mac Kinley hat eine Procla- mation erlassen, welche weitere 75 000 Freiwillige zu den Fahnen rüst. Die ganze Armee, Reguläre und Freiwillige zusammen, wird somit 280 000 Mann betragen. Die Frei- > willigen werden zu zweijähriger Dienstzeit einberusen. Die I nach den Philippinen bestimmte Expedition ist gestern Nach- I mittag um 5 Uhr in San Francisco in See gegangen. Nach einer Depesche des „Evening Journals" ans Key West ist dort am Dienstag Abend ein Mann verhaftet worden, welcher sich Domingo Jim enez nannte, und welcher für einen spanischen Spion gehalten wird. Ter Ver haftete soll Der frühere Marineallachö bei der spanischen Gesandtschaft in Washington, Lieutenant Sobral, sein und wird wahrscheinlich erschossen werden. Jimenez befand sich an Bord der „Panama", welche im vorigen Monat von den Amerikanern genommen wurde. Als letzte Meldung verzeichnen wir, daß in Madrid abermals eine Ministerkrise in Sicht ist, und zwar soll diesmal der Finanzminister demissionircn wollen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 26. Mai. Wir haben im heutigen Morgenblatte eingehend die Schrift des Assessors vr. Wilhelm Böhmert in Dresden über die Vertheilung des Einkommens in Preußen unD Sachsen besprochen, die den bündigen Nachweis liefert, daß das socialdemokratische Schlagwort von der sich stetig verschärfenden Verelendung der Muffen nichts ist als ein die Thatsachen ins Gesicht schlagendes Verhetzungsmittel. Allerdings hat die „Verelendungstheorie" schon im verflossenen Jahre einen kräftigen Stoß erlitten, als Herr Liebknecht nach seiner Rückkehr von Holland behauptete, Dort sei die Kluft zwischen Reich und Arm weniger tief und breit als in Deutschland, und als ihm Darauf aus der Mitte seiner Partei heraus entgegengehallen wurde, angesichts der Entwickelung der Ver hältnisse in Deutschland sei die ganze, im Erfurter Programme noch festgehaltene Ansicht von der stetig wachsenden Verelendung nicht mehr zu halten. Aber da für die Wahlen die Verelendungstheorie eines der wirksamsten Agitationsmittel ist, so hat die socialdemokratische Parteileitung es für zweck mäßig gehalten, die im Vorjahre unter den Genossen auf gegangene bessere Einsicht als Verblendung zu bezeichnen und in dem sür die Wahlen berauSgegebeuen Handbuche vor den etwa an jener bessern Einsicht sesthaltenden Genossen folgendermaßen zu warnen: „Mögen also immer Einzelne in der Partei in ihrem hyperkritischen Eifer, die Meister übermeislern zu wollen, sich zu Aeußerungen herbeilassen, die sachlich unzutreffend sind und nachher seilens der Gegner mit Absicht übertrieben und entstellt werden, für die Partei liegt kein Grund vor, sich dadurch beirren zu lassen." Für die Wahlbewegung soll eö also bei der „Verelendungstheorie" bleiben. Es ist daher am Platze, noch auf eine Reihe von Hahlen hinzuweisen, die nicht in den Rahmen der Böhmert'schen Tchrist fallen, aber die Haltlosigkeit jener Theorie ebenso schlagend darthun, wie die in dieser Schrift aufgeführten. Zunächst Zahlen aus der Productionsstatistik. In der ersten Hälfte des vorigen Jahrzehnts belief sich, auf Den Kopf der Bevölkerung berechnet, der Verbrauch von Roggen auf 121,0 KZ, 1895/96 auf 123,6; Der Consum von Weizen stieg in Derselben Zeit von 51,6 KZ auf 74,4, von Gerste von 46,6 auf 58,5; von Kartoffeln von 339,9 auf 492,8 KZ. Der Zucker verbrauch stieg in Der Zeit von 1886 bis 1896 von 7,7 KZ auf 12,7 KZ, Der Bierconsum hat sich in Den letzten fünfzehn Jahren, auf Den Köpf berechnet, von 84,9 auf 115,7 1 gehoben; ebenso ist Der Tabak- unD Brannlwein- consum gestiegen. Der Baumwollconsum, welcher natürlich Die Benutzung von Baumwollfabrikaten beDcutel, hat sich in Den letzten 15 Jahren verdoppelt; Der Koh len verbrauch ist von 1445 KZ auf 2028 KZ für Den Kopf Der Bevölkerung gewachsen; ebenso ist bei Dem Verbrauch an eingeführten Nahrungsmitteln — wie Kaffee, Thee, Reis, auslänDiscke Gewürze — eine sichtliche Zunahme festgestellt. Alles Dies sinD Zahlen, welche eine erhebliche Besserung in der Lebenshaltung geraDe Der breiten Volksschichten be weisen. Auf Der anDeren Seite stehen Die großen Summen, Die auS Der Versicherungsgesetzgebung Der Arbeiterschaft zugeflossen sind. Das sind allein 193 Millionen Mark, welche auf die Alters- und Invalidenversicherung entfallen, zu der freilich auch die Arbeiter einen Bruchtbeil Der Kosten aufbringen. EnDe 1896 empfingen 202 015 Personen Allers-Renten; die Zahl Der JnvaliDen-Rentenempsänger belief sich auf 154 745. Dazu kommt Die Unfallversicherung, Dereu Kosten ganz Den Arbeitgebern zur Last fallen; Die Gesammtsumme Der Ent- schäDigungSbeträge unD Renten belief sich 1896 auf 57,4 Mill. Mark. In diesem Jahre wurden Davon an 329 380 Verletzte Entschädigungen bezahlt und an rund 95 000 Angehörige Gelödteler. Ferner ist hervorzuheben, daß die arbeitenden Classen Durch Die Steuerreformen aller Einzelstaaten wesentlich entlastet, theilweise sogar ganz befreit worden. Daß aller Orten die Löhne gestiegen, die meisten Waarenpreise dagegen und die Capitalrente fortgesetzt gesunken sind. Deshalb sind auch die kleinen Einlagen in den Spa re assen am meisten gestiegen. Das sind thatsachen. Die auch Dem einfachsten Arbeiter einleuchten müssen; deshalb sollten besonders die Herren National-Socialen aus diese Thatsachen Die Arbeiter Hinweisen und ihnen zeigen, mit welchen Mitteln sie Den Zwecken Der socialDemokratischeu Parteiführer Dienstbar gemacht werden sollen. Das würde eine wirksamere „Bekämpfung" Der Socialdemokratie sein, als Die Naumann'sche, Die einer Förderung ähnlicher sieht als einer Befehdung. lieber das Wahlcartell, Das Die Parteileitungen der Freisinnigen Bolkspnrtci und der Freisinnigen Bereinigung abgeschlossen haben,, äußern sich bezeichnender Weise Die beiderseitigen Organe recht verschieden. Die „Liber. Corr.", Das Organ Der Freisinnigen „Vereinigung", ist sichtlich gedrückt; sie giebt zu, Daß Die Zahl der Wahlkreise, in Denen Die enDgiltige Aufstellung von Caudidaten noch nickt erfolgt ist, sehr klein geworden sei. Daß trotz Der Verein barung die Möglichkeit zweier freisinnigen CandiDaturen in Diesen Kreisen noch immer bestehen bleibe und Daß es sehr fraglich sei, ob die Durch den Streit Des letzten Jahres er regten Wähler Das Abkommen ratificiren werden. Die „Freis. Ztg." des Herrn Eugen Richter Dagegen ist sichtlich in gehobener Stimmung und hegt nicht Das geringste Be denken; sie behauptet auch schlankweg, „Die Vereinbarung mit Der Freisinnigen Vereinigung war von Seiten Der Freisinnigen Volkspartei für die Zeit unmittelbar vor Den Wahlen schon bei allen früheren Erörterungen über Das Verhältniß der beiden Parteien zu einander in Aussicht genommen!" Niemand wird über diese Behauptung -erstaunter sein, als die Freisinnige Vereinigung, Denn weder die Reden Des Herrn Eugen Richter, noch die Auslassungen Der „Freis. Ztg.", noch endlich Der Artikel Des letzten, im verflossenen Spätherbst erschienenen Richter'schen A-B-C- Buchs über Die Freisinnige Vereinigung lassen auch nur Den leisesten Hauch dieses versöhnlichen Geistes verspüren. In allen Fällen wurde der Freisinnige» Vereinigung nachgesagt, daß sie keine Bedeutung habe, daß sie Zwietracht säe, daß sie hinter Die Front Der Freisinnigen Volkspartei gehöre, Daß sie den Liberalismus preisgegeben habe, Daß sie sich fortge- Ferrrlletsn. Sanitiitsraths Türkin. 6s Eine Kleinstadt-Geschichte von Klaus Rittland. Nachdruck verboten. Als Olfers gegessen, setzten sich Vater und Sohn neben einander auf das große Familiensopha am Ofen. Ueber der Lehne hing ein Taschentuch zum Trocknen. Fritz nahm das dünne, seine Ding in die Hand. „I, Mudding, Du bist ja hellschen fein geworden! Seit wann trägst Du denn Schnupf tücher mit solcher durchsichtiger Naht?" Sie lächelte schlau. „Ja, bat müggst wol weiten? Dat 's nicht mein Snupdauk. Dat hurt en schönes Mäten. Jk will di verteilen — " Und sie berichtete von ihrem Backhausmalheur und Jndschi's Hilfe. Dann meinte sie, der Sohn könne ja vielleicht morgen das Taschentuch dem Fräulein zurückbringen, da sie noch nicht wieder so weit laufen dürfe. Aber von diesem Vorschlag wollte er nichts hören. „Nee, Mudding, mit den Damen laß' mich zufrieden!" Wenn sie auch eine „beautä" war, die vielgenannte Sanitätsrathsnichte! Er hatte genug Damengesellschaft genossen diese letzten Wochen, seit er durch einen Freund in einige reiche Kaufmanns kreise eingeführt worden war. Und er hatte sich schrecklich ge langweilt auf den langen Hamburger Diners und glänzenden Hausbällen, den Millionärstöchtcr-Ausstellungen, wie er sie nannte! — Hier in Klützow wollte er ein ganz ungestörtes Aus ruheleben führen. Nach dem Kaffee ging er auf sein Zimmer, ein enges Mansardenstübchen, welches ganz so geblieben war, wie er es in seiner Jugend benutzt hatte. „Mudding" hielt streng darauf, daß es nie einem anderen Zwecke dienen durfte. Dort über dem Bett hingen seine Rapiere und Fechthandschuhe — er war in seinen Polytechnikumsjahren eine tüchtiger Schläger gewesen! —, auf der anderen Seite sah es friedlicher aus. Da stand sein Spielsachenschränkchen, darüber das Regal mit den Schulbüchern und den schönen Geschichten von Nieritz und Hof mann; da war auch sein sauber cingerahmter Confirmations- spruch an der Wand aufgehängt. Und hier am Fenster, das vom Vater selbstgezimmerte Schreibpult! Fritz setzte sich davor und musterte die vielfach zerkrihelte Holzplatte. Unter den ein geschnittenen Zeichen war ein „M" besonders häufig, bald allein, bald in einem Herzen, bald mit einem „F" verschlungen. Frei lich, Mariechen seine heißeste Schülerflamme, des Seifensieders Töchterlein von dort drüben. Wie ost war er von seinem Cor nelius Nepos aufgesprungen und hatte sehnsüchtig hinüber gestarrt, ob nicht zwischen Den luftig geschichteten gelben Seifen riegeln der rothbäckige Mädchenkopf mit Den straff hinter gekämmten semmelblonDen Haaren auftauchen wollte. — Jetzt war sie längst verheirathel, nn Ausland, wie die Mecklenburger sagten, an einen vorpommerschen Cantor. Fritz Olfers öffnete das Fenster. Die frische reine Schnee luft that ihm wohl — und die rührend heimliche Stille auf der Gaffe. Wie sanft beruhigend legte sich das auf seine über reizten Nerven. Er hatte zu viel gearbeitet in der letzten Zeit. Dort in Hamburg hastete Alles; man peitschte das Leben durch Arbeit und Genuß hindurch, hier wickelte man es leise, behut sam und regelmäßig ab — eigentlich viel vernünftiger. Kein Mensch auf der langen, schmalen Gaffe! Doch — dort kam oer alte Rath Meier des Weges, natürlich, es war ja Punct vier Uhr, da trat der alte Herr seinen Nachmittagsspaziergang an, seit zwanzig Jahren schon, jeden Tag. Und die gelähmte alte Jungfer gegenüber, die hatte auch schon dort gesessen, mit ihren Stricknadeln geklappert und in den Straßenspiegel gesehen, ob nichts vorbeikäme, so lange Fritz Olfers denken konnte. Er be obachtete sie und freute sich über die Regelmäßigkeit, mit welcher das kleine runzlige Gesicht sich zum Fenster erhob. Das nannte man nun auch Leben! „Wenn eines Tages die Nadeln aufhören zu klappern und die Hände steif und kalt werden — Die gute Alte wird es kaum merken", dachte der junge Mann, „der Unter schied ist ja so gering." Jetzt streckte sie aber den dünnen Hals ganz besonders aufmerksam vor. Das hatte etwas zu bedeuten. Fritz Olfers beugte sich zum Fenster hinaus. Aha — da aus dem Spielwaarenlädchen an der Ecke trat ein weibliches Wesen, reich mit Packeten beladen. Eine reizende Figur, etwas üppig für das junge Gesicht; recht, daß sie ein eng anliegendes Pelz jäckchen trug und nicht so ein abscheuliches modernes „Cape", worunter man nach Belieben bucklig oder schief sein konnte! Sie hatte das nicht nöthig. Wie anmuthig sie ging, etwas faul wiegend, voll natürlicher Grazie; die Klühower Damen gingen meist schlampig oder geziert. Gewiß eine Dame vom Landadel, die Weihnachtseinkäufe in Klützow machte; aber die hatten doch gewöhnlich einen Diener zum Packettragen hinter sich? Fritz fühlte eine Hand auf seiner Schulter. Die Mutter war leise eingetreten. „Du, Mudding" — er zog sie neben sich an das Fenster —, „weißt Du, wer das ist?" In Diesem Moment erhob die Dame den Kopf. Was für schöne, seltsame Augen leuchteten unter dem braunen Pelzkäppchen hervor! „Jawoll", flüsterte Frau Olfers, „dat is sei ja, den Sanitätsrath sin Nichte." Und sie nickte freundlich lächelnd zu der Vorübergehenden hinab. Diese dankte — ein wenig steif, befremdet — vielleicht durch den Anblick des jungen Mannes hinter der Alten. „Das scheint ein hochnäsiges Ding zu sein", meinte Fritz Olfers. Am nächsten Morgen trat er zu der Mutter, die eben das zierliche fremde Taschentuch bügelte. „Na, Mudding, wenn ich Dir einen Gefallen damit thue", sagte er wohlwollend, „dann gieb das Ding man her. Ich gehe eben mal aufs Telegraphen amt, da komme ich vor Sanitätsraths vorbei und kann das Taschentuch abgeben." „Wenns Dir keine Mühe macht, Fritzing?" Frau Olfers blinzelte ihren Jungen schlau lächelnd an. Was hatte er sich für eine feine hellgraue Cravatte umgebunden für den Weg aufs Telegraphenamt. — Eigentlich hatte Fritz Olfers sich nicht melden lasten wollen, nur das Taschentuch dem Dienstmädchen abgeben, aber da hatte, er im Hausflur bei Sanitätsraths eine so weiche Altstimme von der Treppe herab gehört. Altstimmen waren seine Passion. Und ehe er sich's versah, trug das Dienstmädchen seine Karte zu dem gnädigen Fräulein hinauf. Jndschi hatte zwar heute alle Hände voll zu thun, der Sanitätsrath pflegte am Hciligenabcnd reichlich Freuden auszutheilen und hatte diesmal Alles in Jndschi's Hände gelegt, auch wurden am Nachmittag die beiden Söhne des Hauses, der Studio Paul aus Rostock und der Cadett Otto aus Lichterfelde, als Weihnachtsgäste erwartet, da gab es mancherlei Vorbereitungen, aber das half Alles nichts. Der „berühmte" Tischlersohn durfte nicht abgewiesen werden. So ein Kolf-macke-man, das intereffirte Jndschi, und sie nahm sich vor, recht freundlich gegen ihn zu sein, ganz als ob er ein junger Herr aus ihren Kreisen wäre. „Ich lasse bitten." Und er trat ein, ziemlich selbstbewußt, fand Jndschi. Er gab ihr gar keine Gelegenheit zu wohlwollender Herablassung. Mit ein paar höflichen Worten überreichte er ihr das Taschentuch, dankte für den Beistand, den sie seiner Mutter geleistet, und setzte sich dann ihr gegenüber auf einen bequemen Korbsessel, nicht auf das lehnenlose arabische Tabouret, welches sie ihn mit der Hand be zeichnet. Die Unterhaltung schleppte sich anfangs ziemlich schwerfällig hin. Sie sprachen über Hamburg, das Wetter, die Klützower Gegend. Beide waren befangen, Fritz Olfers, weil ihm das junge Mädchen heute lange nicht so vornehm-weltdamen haft erschien, wie gestern vom Fenster aus; er konnte das kritisch abwehrende Gefühl, welches er solchen Damen gegenüber in Be reitschaft hielt, nicht recht zustande bringen; sie hatte so gar nichts Gespreiztes, worüber man sich innerlich moquiren konnte, und ihm war zu Muthe wie Einem, der bis an die Zähne ge wappnet auszieht, und dann statt des erwarteten Feindes ein harmlos lächelndes Kind findet. Jndschi aber war befangen, weil das Bewußtsein seiner bescheidenen Herkunft sie unsicher machte. Auch fand sie sich etwas enttäuscht. Gestern hatte ihr das hinter der alten Tischlersfrau auftauchende Gesicht so gut gefallen, heute kam es ihr ordinair vor. Der schwarze Ueberrock stand „Fritzing" schlecht. Mit augenscheinlichem Inter esse schaute er sich in dem originellen Wohnraum um. Jndschi's phantastische, selbstgefcrtigt: Wandbekleidungen gefielen ihm außerordentlich, und er ließ sich die Technik dieser wunderlichen Arbeit genau erklären. Dann blieb sein Blick an einem Kupfer stich nach Titian's „heiliger Barbara" haften, der auf einer Staffelei in der Ecke lehnte. „Die liebe ich", bemerkte er, und seine kleinen grauen Augen leuchteten hell auf; „sie sieht so urgesund und vernünftig aus, wie alle Titian'schen Frauen". Jndschi fand dieses Kunsturtheil recht prosaisch. „Nun, ich dächte, doch noch etwas Besseres wie vernünftig", entgegnete sie. „Als ob es Besseres gäbe", sagte er. Sie wußte nicht, was sie darauf erwidern sollte. „Sie sind wohl auch durch Italien gereist?" fragte sic. Er nickte. „Vor fünf Jahren. Die italienische Reise war damals ein großes, unverhofftes Glück für mich. Ich hatte die Mittel dazu als Preis von der Akademie bekommen. Vier Monate war ich unterwegs — es war herrlich! Aber freilich, ich hatte Zeit und Geld derartig ausgenutzt, mich Derartig geistig überfüttert und körperlich aus gehungert, daß ich ganz elend heimkam." Er lachte. Und nun mußte er der jungen Dame ausführlich von dem lustigen, hungrigen Vagabundenleben erzählen, welches er damals geführt. Das Eis zwischen ihnen war gebrochen. „Sehen Sie", rief Jndschi lebhaft, „das habe ich mir immer gewünscht, so als BohSmien durch Italien ziehen zu können, in irgend einem einfachen Albergo übernachten, mich von Maccaroni und Land wein nähren und überall Herumkriechen, wo's schön und eigen artig ist; da lernt man Italien ganz anders kennen als an der 'lakle- ki'kütt» Des Hotel Quirinal!" „Ach", entgegnete er achselzuckend, „seien Sie zufrieden, gnädiges Fräulein! Ich würde es ein zweites Mal anders machen. Die Art zu reisen, war doch sehr — jugendlich, und der Genuß oft nur ein eingebildeter. Man kann nur ein ge wisses Quantum geistiger Nahrung vertragen, und bei schlechter körperlicher Verpflegung ein besonders geringes, was man darüber erzwingt, bringt keinen wirklichen Gewinn. Aber Be schränkung im Genießen will eben erst gelernt sein!" Er schwieg. Schon seit geraumer Zeit hatte sein Auge auf einer Stelle der gegenüberliegenden Wand geruht. Jndschi folgte seinen Blicken. Dort war eine kostbare bulgarische Stickerei mit kleinen Goldnägeln befestigt. Zur Seite hing als
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