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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.05.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-05-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980528015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898052801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898052801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-05
- Tag1898-05-28
- Monat1898-05
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Reclamen unter dem Redactioaßstrich (4a*- spalten) 50^, vor den FamtliennachrtchteA (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- vrrzetchniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Taris. hertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefärderung -Nl 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß sSr Anzeige«: Abend-Ausgab«: Vormittags 10 Uhr. Morgen- Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle» je ein« - halbe Stund« früher. Anzeigen sind stet» an die ErpeMtlan zu richten. Druck und Verlag von S. Polz in Leipzig. 92. Jahrgang. Nationaliiberale Partei und Mittelstand. v. Die Handwerkervorlage. — Nach wiederholten Anläufen und Versuchen, für daS Handwerk eine Organisation zu schaffen, ist es in der Session 1896/87 gelungen, einen Gesetzentwurf zur Verabschiedung zu bringen, der, wenn auch die weitgehenden Wünsche der Zünftler nicht erfüllend, doch in mancher Hinsicht als ein entschiedener Fortschritt zu bezeichnen und als solcher in erster Reihe von konservativ-klerikaler Seite mit vertheidigt worden ist. Das umfangreiche Gesetz hier wiederzugeben, verbietet sich von selbst. Wir fassen uns dahin zusammen, daß die in Betracht zu ziehenden Verhältnisse folgendermaßen geregelt sind: 1) Dem Handwerk wird als dem ersten unter allen großen Erwerbsständen eine öffentlich-rechtliche Organisation verliehen. Es erhält in den Hand werkskammern, bezw. Handels-- und Gewerbe kammern je für einen weiteren Bezirk eine geordnete Vertretung. Diese Körperschaften Haven gegenüber den Betheiligten selbst den Eharakter der Selbstverwaltungs behörde; sie üben in wesentlicher Hinsicht das Recht der staatlichen Aufsichtsbehörde aus; gegenüber der Gesetzgebung und Verwaltung sollen sie als Beirath berechtigt sein, gut achtlich anregend zu wirken und in allen das Handwerk be rührenden Fragen gehört zu werden. 2) Oertlich sich in Innungen zu vereinigen, bleibt dem freien Entschlüsse der Betheiligten nach wie vor über lassen; desgleichen bleibt eS den Innungen eines Ortes an heimgestellt, sich zur Verfolgung gemeinsamer Aufgaben im Zwecksverband („Innungsverband") zu vereinigen. Bean- tragen eS aber die Betheiligten selbst und erklärt sich eine Mehrheit aller Betheiligten dafür, so ordnet die Behörde für den betreffenden Bezirk den Beitrittszwang zur Innung an, d. h. dann müssen alle Handwerker desjenigen GewerbzweigeL, für welchen die Innung errichtet ist, Mit glieder dieser Innung werden. 3) Das Lehrverhältniß wird derart neu geregelt, daß die Lehrlinge strenger als bisher in der Zucht des Meisters stehen, andererseits vor Ausbeutung zu nicht gewerblich erzieherischen Zwecken und vor Mißhandlung besser als bisher behütet werden. Dagegen müssen Handwerker, wenn sie Lehrlinge halte» wollen, mehr als bisher die Gewähr bieten, daß sie auch rur Anleitung von Lehrlingen befähigt sind. 4) Das Recht, den Meistertitel zu führen, bleibt den jenigen Handwerkern Vorbehalten, welche berechtigt sind, Lehrlinge anzuleiten, und eine Meisterprüfung bestanden haben. Die im Punct 1 geschaffene Organisation entspricht einem seit Jahren erhobenen, auch programmatisch geltend gemachten Verlangen der nationalliberalen Partei. Ueber die in Punkt 2 gegebene Möglichkeit, örtlich alle Meister eines bestimmten Gewerbes dem Beitrittszwang zu unterwerfen, gingen die Meinungen innerhalb der Partei auseinander. Nichtsdestoweniger stimmte die große Mehrheit der nationalliberalen Fraktion auch dieser Neuerung zu, da sie sich wesentlich von jenen, sich allgemein über alles Hand werk in Stadt und Land hin erstreckenden Zwangsinnungen deS Entwurfes Berlepsch vom Sommer 1896 unterschied, welche vom Delegirtentage am 4. Oktober 1896 abgelehnt waren. Die anderweite Regelung des Lehrlingswesens konnte all gemein als eine höchst erwünschte Reform des Gewerberechtes anerkannt werden; dagegen ließ man es als offene Frage bestehen, ob die Neuerung betreffs deS Meistertitels irgendwem zum Nutzen gereichen werde. Vor die Entscheidung gestellt, daS Ganze zu nehmen oder zu verwerfen, hat die große Mehrheit der Fraktion den Werth der organisatorischen Einrichtungen und der Vor schriften über daS Lehrlingswesen höher gestellt, als die Be denken betreffs der Zwangsinnung und hat dem Gesetze im Verein mit den Conservativen, der Reichspartei, dem Centrum und seiner Gefolgschaft zur Mehrheit verholsen. Sie theilte dabei den Standpunkt des CentrumSabgeordneten von Hert- ling, der sich dahin aussprach, „daß es jetzt auf ab sehbare Zeit hinaus Sache der Handwerker sei, in dem Rahmen der ihnen gewährten Organisation sich kräftig zu regen und sich alle die Einrichtungen zu schaffen, vermöge deren sie sich selbst und den Nachwuchs tüchtiger machen sollen, um im Kampfe ums Dasein sieghaft zu bestehen." Der Gesetzentwurf wurde mit 183 gegen 113 Stimmen an genommen. Professor vr. Hasse hat für den Entwurf im Ganzen gestimmt. Waarenhäuser, Wanderlaaer rc. Die nationalliberale Partei Hal im verflossenen Reichstag durch eigene Anträge, sowie durch ihre rege Antheilnahme in der Besprechung von diesbezüglichen Anträgen anderer Parteien einen Zweifel darüber nicht gelassen, daß sie gewillt ist, den schä digenden Auswüchsen der Waarenhäuser (Osficier- u. Beamten vereine) entgegenzutreten. Es waren insbesondere die Abgg. vr. Hammacher und vr. Osann, die Hinsicht ich der wirthschast- lichen Vereinigungen der Ofsiciere und verschiedener Beamten kategorien auf Vorkommnisse aufmerksam machten, die zu Widerspruch herausforderten und berechtigten. Der Reichs tag beschloß im Zusammenhänge damit gelegentlich der vereine) entgegenzutreten. Es waren ins lichen Vereinigungen der Ofsiciere und ver kategorien auf V zweiten Lesung der Novelle über die Consumvereine folgende Resolution: Den Reichskanzler zu ersuchen, Anordnungen dahin treffen ru wollen, daß die Ueberlassung von im Eigenthum deS Reichs befindlichen Gebäuden oder Theilen derselben an Consumvereine oder Consumanstalten und ebenso auch die Besorgung des Waarenverkaufs, der Buch- und Cassen- führung in solchen Vereinen und Anstalten durch im Dienste des Reiches stehende Beamte künftighin im Wesentlichen auf Veranstaltungen zur Abgabe von Gegenständen des als baldigen Verbrauchs an die in Betriebsanlagen des Reichs beschäftigten Arbeiter und Beamten beschränkt bleibe. Desgleichen wurde in Artikel 2 des am 7. Mai 1896 verabschiedeten Gesetzes über die Consumvereine bestimmt, daß Vie in Artikel 1 Nr. 1, 4 und 8 enthaltenen Vorschriften auch auf Consumanstalten sinngemäße Anwendung zu finden haben, welche von Arbeitgebern für ihre Arbeiter und Beamten betrieben werden, sowie auf Vereinigungen (Gesellschaften, Corporationen), deren wesentlicher Geschäfts zweck es ist, ihren Mitgliedern oder bestimmten ÄerusS- kreisen in dem Bezüge von Maaren Vortheile zu verschaffen, insbesondere auch auf Beamten- und Osficiervereine, so zwar, daß die hinsichtlich der Mitglieder der Consumvereine getroffenen Bestimmungen bei den vorbezeichneten Consum anstalten und Vereinigungen hinsichtlich derjenigen Personen gelten, für welche die Einrichtung bestimmt ist. Der Gedanke einer besonderen (progressiven oder Umsatz-) Besteuerung ist im Interesse des mittleren und kleineren Gewerbes nicht kurzweg abzuweisen; nur muß man sich gegenwärtig halten, daß die praktische Lösung dieser Frage nicht leicht ist, will man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Die Möglichkeit der Verwirklichung liegt, wie daS auch bei der unlängst durch den Finanzminister von Miquel veranlaßten Enquete hervor getreten ist, weder beim Reich, noch bei den Einzelstaaten, sondern wesentlich bei der Gemeinde, der in Preußen die Gewerbebesteuerung ausschließlich zugewiescn ist. Auf diesem Wege dürften sich auch die Mittel finden, die ge eignet sind, berechtigten Klagen abzuhelfen. Daß in der Thal im Wege steuerlichen Eingriffs durch die Ge meinde allgemein schädlichen Erscheinungen beizukommen ist, beweisen die Wanderlager. Seit in Thüringen eine größere Anzahl städtischer und ländlicher Gemeinden durch L rtSstalut eine anderweite Besteuerung der Wanderlager eingeführt haben (so in Apolda z. B. eine im Voraus zu entrichtende Gemeinde gewerbesteuer von wöchentlich 100 .6, die sich um 50 erhöht, falls das Wanderlager mehr als einen Gehilfen be schäftigt, sowie eine tägliche Abgabe von 40 wenn fremde Waarenlager versteigert werden), sind dieselben dort zu einer seltenen Erscheinung und dem seßhaften einheimischen Gewerbe nicht mehr zum Fluch geworden. Der noch nicht allzu weit zurückliegende Versuch der Gründung eines großen Cigarren- und TabakversandthauseS in Berlin, das sein Augenmerk hauptsächlich auf die Cantinen der Casernen gerichtet und einen General a. D. als geeigneten Vermittler in Aussicht genommen hatte, scheiterte an dem zuerst und aufs Kräftigste in der nationalliberalen Presse erhobenen Widerspruche, dessen Berechtigung durch eine bezüg liche Interpellation im Reichstage lediglich bestätigt wurde. Hier erwies sich die öffentliche Meinung stark genug, ein allgemeinschädliches Vorhaben im Keime zu ersticken. Wir schließen damit unsere keineswegs auf Vollständigkeit Anspruch machenden Ausführungen, die, wie bei Anbeginn gesagt, lediglich den Zweck hatten, wohlfeilen Verdächtigungen gegenüber in die Erinnerung rurückzurufen, daß sich die ua- tionalliberale Partei, wie aus anderen wichtigen Gebieten, so auch auf dem der Mittelstandsbewegung niemals der Pflicht praktischer Mitarbeit entzogen und nach bestem Wissen und Gewissen dahin gestrebt hat, die wirthschastlick Schwachen und Bedrängten in ihrem Kampfe um das Dasein zu stützen und zu stärken. Erinnern wollen wir noch an die Mitwirkung der Partei beim Börsengesetz und der Be seitigung des börsenmäßigen Terminhandels in Getreide, an die Gesetze, die zum Schutz und zur Förderung der bedrängten deutschen Landwirthschast auch hier Unter stützung fanden, an die Anregungen des nationalliberalen Abgeordneten Bassermann hinsichtlich besseren Schutzes der Bauhandwerker u. a. m. Ob und wie weit ein Eingehen auf die Mitarbeit der Partei bei der social-poli tischen Gesetzgebung der letzten fünf Jahre geboten erscheint, wird von der weiteren Gestaltung deS Wahlkampfes abhängen. Deutsches Reich. * Leipzig, 27. Mai. Herr Or. Freiherr von Bülow, der neuernannte Senatspräsivent des Reichsgerichts, wird seinen Sitz im zweiten Strafsenat einncbmen, während der bisherige Vorsitzende deS Senats, Herr Senatspräsident vr. Loewenstrin, den durch das Ableben des Senats präsidenten vr. Kayser im 5. Civilsenat freigewordenen Vorsitz übernimmt. An Stelle des Herrn von Bülow wurde, wie wir bereits früher meldeten, Herr Kammer- gerichtörath Spahn in Berlin zum ReichSgerichtsrath er- FeirrUston. Die Memoiren -er Baronin Cecile de Courlot. ii. Im Gegensatz zu den Erlebnissen der Cecile de Courtot in Paris steht die anheimelnde Ruhe des kleinen Landsitzes der Alvensleben. Das ganze Leben, der ganze Zuschnitt der Lebensführung bewegte sich in den einfachsten Verhältnissen. Die geldarme Zeit nach den langen Kriegen Friedrich'« des Großen brachte das damals so mit sich und daS Leben auf den altmärkischen Rittergütern unterschied sich in jener Zeit sonst in keiner Weise von einer schlichten bürgerlichen Haus haltung. Von einer großen Dienerschaft war nicht die Rede, nur ein alter Kutscher Johann, der schon 20 Jahre im Dienste der Familie war, sowie einige Mägde bildeten das ganze Gesinde. Dementsprechend einfach war auch die Lebens weise. Und doch muß es auch in dem großen Hause, das nur ein Erdgeschoß batte, gemüthlich gewesen sei», denn die Aufzeichnungen der Frau von Alvensleben fließen über vor Glück und Freude über ihre Häuslichkeit. Es ist rührend zu lesen, wie damals, wie beute, die kleinen Sorgen der Wirth- schaft die Hausfrau drückten, wie aber immer wieder die abgöttische Liebe zu ihrem Manne durchbricht und diese das ganze bescheidene Dasein dieser Frau verklärt. Und welch einen innigen Freundschaftsbund schlossen die so schwer ge prüfte Französin und die glückliche deutsche Gattin; e» ist rührend zu lesen, wie erst die Hausfrau über ein Jahr die gemüth-kranke Cecile pflegt, während diese, allmählich ge sundet, wieder am Wochenbett der jungen Frau wacht. Im Jahre 1795 macht Werner von Alvensleben eine Reise nach Berlin und läßt sich durch seinen Vetter Philipp von Alvensleben, den späteren Minister, bei Hofe rinführen. In Berlin finden sich eine ganze Menge französischer ResugiSS und diese führen zum Theil daS große Wort. Neben dem wirklichen französischen Adel machen sich auch französische Abenteurer breit, dir hauptsächlich von der Rietz, der Mai tresse des Königs Friedrich Wilhelm II., des dicken Wilhelm, geschützt und gefördert werden. Man kann es dem ehrlichen Werner nacksühlen, wenn er in den Briefen an seine Frau geradezu entsetzt ist über das Leben in Berlin. Da schreibt er am 9. März 1795 an fein, Fran: „Wa« ich itzt Uber die Verhältnisse des Hofe- und der Gesellschaft zu hören bekomme, ist leider traurig genug. Ich freue mich, daß wir beide nicht dazu gezwungen sind, in ihr zu leben. Ich kann sagen, daß ich diese leaSre Auffassung der Moral, wie sie hier selbst in der ersten Gesellschaft herrscht, kaum für möglich gehalten hätte. Wir würdest Du Dich, meine theutre Seele, unter diesen Frauen hier auS- nehmen? Du weißt, meine Liebe, wa- uns Briest damals von der Weissagung der Zukunft sagte, di« der große König dem Grafen Hoym gegenüber grthan haben soll: E- wird nach meinem Tode »in lustige« Leben bei Hofe werden. Mein Neffe wird de» Schatz vergeuden, vie Armee entarten lassen. Die Weiber Warden regieren und der Staat wird zu Grunde gehen!" Philipp erzählte mir diese Einzelheiten, als wir in einem königlichen Wagen den beiden Kindern der Dönhoff be gegneten. Diese werden getrennt von der armen Mutter unter Aussicht der Rietz-Lichtenau in Potsdam erzogen und führen den Namen Graf und Gräfin von Brandenburg. DaS sind doch alles Zustände, die mit Recht daS Gefühl deS ehrsamen Bürgerstandes empören müssen." Es ist kein Wunder, daß unter solchen Verhältnissen die Landedelfrau sich nicht nach Berlin sehnte. Immerhin wurde 1798 die Reise unternommen. Friedrich Wilhelm H. war todt, das Trauerjahr war am 8. August vorüber und die anständige Gesellschaft lebte wieder auf. Cecile de Courtot reist mit nach Berlin und wird dort mit großen Ehren em pfangen, man kennt ihre Leidensgeschichte und weiß, wie sie bis zum Tode ihrer Herrin und ihrer Königin die Treue gewahrt hat. Die schlichte Landedelfrau, trotz ihrer mehr als gewöhnlichen Bildung, fühlt sich aber nicht wohl in der großen Stadt. Am 20. August vertraut sie ihren» Tagebuch ihre Eindrücke in Berlin an. „Wir sind nun wieder daheim. Ich kann wieder mit Dir plaudern, Du mein liebes Tagebuch, daS mir von Tage zu Tage wcrther wird. Was habe ich in den jüngst ver gangenen Tagen Alles gesehen und erlebt! Was habe ich auch für eine koulo von neuen Menschen kennen gelernt! Ich sah in der Hauptstadt die große Welt mit ihrem ganzen Wettkampf der Eitelkeiten, mit ihren sich einander jagenden Lustbarkeiten und ihren so oberflächlichen Vergnügungen. Wie so sehr verschieden ist doch dies« Welt von der, in welcher ich hier mein Leben lebe, und wie köstlich ist letztere» in dem Vergleich zu dem, was nun mit allem seinem Rausch hinter mir liegt. Welcher Friede ist doch hier um mich herum! Nein, ich pass« nicht in jene Welt und ich muß eS mir stets von Neuem sagen, daß mein Glück nur allein in dem Kreise meiner Häuslichkeit enthalten ist. ES liegt allein in der treuen Erfüllung meiner Pflichten als Gattin, Hausfrau und Mutter." Aber sie will die Berliner Tage doch nicht vergessen, und so schreibt sie denn in ihr sorgsam geführtes Tagebuch, dem sie später auch eine Menge Briefe und Briefabschriften bei legt, ihre Beobachtungen und Erinnerungen ein. Natürlich machte sie einen Empfang bei Hof« mit. Sie ist entzückt von der jungen Königin Luise, während der König Friedrich Wilhelm III. ihr nicht gerade zu imponiren scheint. Die DesilScour vor dem KönigSpaar schildert sie: „Vor dem KönigSpaar angekommen, wandte sich eine jede von unS nach rechts und sank in einem tiefen HofgalaknickS ehrfurchtsvoll zur Erde nieder. Die Gräfin Boß nannte dabei Ihrer Majestät jedesmal leis« den Namen der sich ver neigenden Dame. Vor mir ging Cousine Auguste au« Isen- schnibbe; sie war der Königin bereit- vorgestellt und di« hohe Frau hatte die Gnade, ihr einige freundlich« Worte zu sagen. Da hatte ich denn Gelegenheit, mir unsere schön«, jungt Königin au« nächster Entfernung zu betrachten. Ja. sie ,st von einer wahrhaft bezaubernden Schönheit. Ihr« Züge sind von einer wunderbaren, beinah classischen Form, dazu die hohe, schlanke Figur, da- wunderschön«, blonde Haar, und insbesondere diese hohe Lieblichkeit de« Au«druck», dir noch stärker fesselt, al- ihre Schönheit. Die Königin trug eine weiße, mit Hermelin besetzte Robe, um den Hal- eia prachtvolle« Diamantrncollier und in dem schönen, hoch aufgetbürmten, aber nicht gepuderten, blonden Haar ein wundervolles Diadem. Das Haar war hinten in einen griechischen Knoten zusammengerafft. Sie trug um den Hals wieder ein feines, Weißes Spltzengewebe, aus dem ihr zarteS Gesicht wie eine Lilie aus dem Lilienstengel herauS- wuchs. (Dieses Spitzentuch soll die Königin immer getragen haben um eine Anschwellung des Halses, die von einer Krank heit zurückgeblieben war, zu verdecken.) Seine Majestät war während der Vorstellung der Damen aufgestanden und stand, die Hand auf die Lehne des Sessels der Königin gestützt, neben ihr. Er neigte bei der Ver beugung der Damen nur leicht den Kopf. Der König ist von hoher schlanker Figur. Seine GesichtSzüge sind regel mäßig. Es lag aber ein tiefer Ernst in ihnen und nur, wenn die Königin sich mit einer Bemerkung zu ihm wandte, verschönten sie sich zu einem leichten Lächeln. Ich war nun an der Reibe und ich glaube, daß meine Verbeugung an geziemender Correctheit nichts zu wünschen übrig ließ. Als mein Name genannt wurde, ging ein freund liches Lächeln über die Züge der schönen Frau, sie neigte leicht das Haupt, beinah, als wenn sie mir zunickte. Ich schritt dann gemessen weiter, während meine mit einer Rosenguirlande versehene Schleppe lang hinter mir her schlängelte. Cecile ging hinter mir, da ihr als früherer Hofdame der Rang einer verheiratheten Frau eingeräumt war. Als sie sich tief verneigte und die Gräfin ihren Namen nannte und dabei hinzufügte: „weiland Hofdame der Prinzeß von Lam- balle", geschah etwa- Unerwartete-. Die holde Königin neigte sich vor, ergriff mit ihren schlanken Händen Cecile'S liebes Köpfchen und küßte sie auf die Stirn. Ich wandte mich, sehr der Etiquette zuwider, um und vernahm die innig gesprochenen königlichen Worte: „Meine Liebe, ich grüße Sie, Sw Treueste der Treuen. Ich hoffe, Sie noch öfter- bei un» zu sehen." Die Gräfin Voß schüttelte bei diesem Etiquetteverstoß beinahe wie mißbilligend den Kopf, mir aber traten bei dieser hohen Gnade der königlichen Frau die Thränen in die Augen und ich fühlte mich in meiner Freundin mit geehrt. Al- die Dcsilierconr vorüber war, hielt Ihre Majestät Cercle ab, wobei ihr nochmals die noch nicht vorgrstellten Damen präsentirt wurden. Hierbei standen wir Alvens leben- zufällig alle nebeneinander. E» waren die«: Cousine Auguste, Karoline von WolterSkorf, geborene von Radele, Ulrike von Rogätz, geborene von Linkersdorf, Tante Wilhel mine au» Gattersleben und Tante Sophie au» Zichtau, mit mir also sieben. Während wir nun vorgestellt wurden und di« Gräfin Vossin immer wieder von Neuem den Namen von Alvensleben nannte, war auch Sein« Majestät heran gekommen. Er trug eine mir neue, ungewohnt« Tracht, hohe Stiefeln und lange Beinkleider, wahrend die anderen Herren noch oscai-pins anhatten. Al» nun Ihre Majestät zu mir berankam und Vie Gräfin Voß wieder sagte: „Frau von Alvensleben", mischte sich der König mit den Worten «in: „Kalbe Altmark ja heute vertreten sein. Erfreut, all« die AlvenSlebens hier zu sehen. Das alte gut« Familie sein." Er nickte mir hierbei freundlich zu, obaleick di« kurz und in Pausen gesprochenen Worte gar nicht sehr freundlich klangen. Ihre Majestät war dagegen desto lieblicher gegen mich." Im Herbst 1801 naht die Trennungsstunde der beiden nach und nach so eng vertranten Frauen. Cecile hat die Zusicherung auS Paris erkalten, daß ihr ihr Vermögen zurück erstattet werde, und reist am 15. October ab. Neber acht Jahre hat die vom Tode der Guillotine Entronnene auf dem bescheidenen Vorwerk Kalbe in der Altmark Gastfreundschaft genossen. Lange hat sie auch nicht in Paris gelebt, denn als sie ihren in Paris zufällig wiedergefundenen Bräutigam, Baron Trellisac, geheirathet hatte, starb sie 1803 im Kind bettfieber. Die Briefe, die Cecile in den letzten zwei Jahren anS Paris geschrieben bat, geben eine treffliche Schilderung der dortigen Verhältnisse. Sie athmen seines Verständniß und geben ein gereiftes Frauenurtheil wieder. Wie klar diese Cecile dachte, das geht aus einer ausgezeichneten Unter haltung im Tagebuch bervor, die zugleich auch die Tagebuch schreiberin als eine geistvolle Frau kennzeichnet. „Al» ich mit meiner Freundin Cecile", schreibt sie, „darüber plauderte, was denn nun eigentlich die Früchte dieser blutigen Revolution wären und was die französische Nation sich gegen seinen guten König einqetauscht bade, that Cecile eine Aeuße- rung, die mich srappirte, in der ich ihr aber nach ihrer Dar stellung nickt ganz unrecht geben kann. Sie meinte: Ludwig XVI. Ware ein redlicher, einfacher und guter Mann gewesen und seine Regierungsweise brav und gewissenhaft. Er hätte Niemanden leiden sehen können und wollte Keinen beleidigen. Er sei besckeiden und voll Resignation gewesen, in seinem Wesen dabei in sich gekehrt und oft beinahe menschen scheu. In der Gesellschaft habe er sich stets verlegen und ohne Selbstvertrauen gezeigt. „Sind das nun nicht Eigen schaften, wie sie auch Euer König Friedrich Wilhelm III. besitzt?" meinte sie. „Ja, ich mLckte dir Aehnlichkeit Eures Königshauses mit dem meinen nock weiter verfolgen. Ick möchte auch die beiden Königinnen mit einander rrrgleicken. Ich glaube bestimmt, daß unsere herrliche Marie Antoinette, wäre sie damals nicht als halbe« Kind noch auf den Thron gekommen, sich auch die hohen Charaktereigenschaften Euerer himmlischen Königin Luise angreignet haben würde. Die beiden hohe» Frauen besitzen ja auch sonst noch manche Aehnlich- keiten. Beide sind von der gleichen, beinahe classischen Schön heit, sie haben denselben schönen Wuch» und die gleiche be zaubernde Liebenswürdigkeit. Bride lieben den Tanz und die einfachen Vergnügungen. Muß man sie da nicht zu einander in Vergleich ziehen? Ihr habt in dem verstorbenen Könige Wilhelm II. und seiner Regierung auch eine ähnliche Miß- wirthschaft gehabt, wie wir unter Ludwig XV., ein gleiche« Erbtheil wurde von beiden König-familien angetreten. Welche« aber ist der Unterschied zwischen hier und dort? Er liegt allein in Euerem braven Volke, da» sich nickt mit der Meute vergleichen läßt, die damal- mein arme« Könia-Hau- zu Fall krackte. Er liegt aber besonder« in diesem Geschlecht der Hohenzollern selbst, di« diese» treue Volk regieren und di« Treue für diese« Fürstenhaus ist zu fest in dem Volke begründet. So äußerte sich Cecil,. Ich mußte ihr in mancher Be ziehung beistimmen. Sie hatte so unrecht nicht."
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