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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.05.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-05-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980528022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898052802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898052802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-05
- Tag1898-05-28
- Monat1898-05
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Reklamen unter dem Redactionsstrich ^ge spalten) 50A, vor den Famtliennachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichnib. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilage» (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung .X 60.—, mit Poslbeförderung »es 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige» sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 28. Mai. Der vielgenannte Centrumsabgeordnete Müller- Fulda hat bekanntlich vor einiger Zeit behauptet, innerhalb der „Regierung" bestehe die Absicht, bas Rcichstagswaylrccht von Grund aus abzuändern; im Ministerium eines Bundesstaates sei ein Abänderungsentwurf bereits aus gearbeitet. Der „Reichsanzeiger" säumte nicht, diese Behauptung als grundlos zu bezeichnen, worauf Herr Müller nach einem Berichte der „Germania" in einer am Freitag voriger Woche in Fulda abgehaltenen Wähler versammlung erklärte, er habe von jener Behauptung nichts zurückzunehmen, könne vielmehr „positiv versichern", „daß die Absicht vorhanden sei, ein anderes Wahlrecht im Reiche ein zuführen". Die „Germania" selbst fügte ihrem Berichte den Satz hinzu: „Wenn gegenüber dieser erneuten Behauptung aberinals Ab leugnungsversuche gemacht werden sollten, so wird schließlich nichts übrig bleiben, als die Fäden völlig aufzudecken, die gegen das bestehende Wahlrecht gesponnen worden sind. Es wäre dabei allerdings unerläßlich, daß Namen genannt würden, auch wenn aktive Beamte in Frage kämen." Selbstverständlich haben es die Inspiratoren des „Reichs anzeigers" nicht für nvthig gefunden, einen „neuen Ableug nungsversuch" zu machen, in nalionalliberalen und conserva- tiven Blättern wurde aber die „Germania" darauf hingewiesen, daß sie sammt ihren Gewährsmännern dem gegründeten Ver dachte groben Wahlschwindels sich aussetze, wenn sie sich nicht beeile, selbst auf die Gefahr hin, die Namen activer Beamten nennen zu müssen, die Fäden völlig aufzudecken, die sie zu kennen behauptete. Die Berechtigung dieser Aufforderung scheint das „Organ für Wahrheit, Frei heit und Reckt" eingesehen zu haben, denn eS beginnt nun mehr mit seiner „Enthüllung". Wer aber erwartet haben sollte, daß die „Germania", um die Unwahrhafligkeit des „Reichsanzeigers" unv seiner Hintermänner recht schlagend darzuthun, zuerst mit dem Namen eines activen Staats beamten, und zwar eines recht einflußreichen, herauSrücken würde, der wird gründlich enttäuscht. Als den Ersten von denen, die mit dem dunklen Plane einer „Entrechtung der Wähler" umgeben, nennt die „Germania" einen Herrn A. Hammer. Und wer ist dieser schwarze Attentäter? Die „Germania" weiß eS selbst nicht; sie weiß nur seinen Namen und daß er in Leipzig eine Broschüre hat erscheinen lassen, die den Titel führt: „Rom, die Bolksschule und das allgemeine Wahlrecht." Von dem Berufe des Herrn hat der Centrumsmoniteur nicht einmal eine Ahnung und von seinem Wohnorte kann sie nur vermuthen, daß er am Nieder rhein, vielleicht in Crefeld oder in der Umgebung, liege, da Hammer mit Vorliebe die „Cref. Ztg." cttirt. Von seiner politischen Qualifikation hält die „Germania" offenbar selbst nicht viel, denn sie macht darauf aufmerksam, daß er den seligen Windthorst noch am 3. Januar im Reichstag reden läßt, obgleich die „kleine Excellenz" bereits am 14. März 1891 gestorben ist, und daß er ferner das wahl fähige Alter bis zum 25. Lebensjahre hinaufrücken lassen will, obwohl man schon jetzt erst nach vollendetem 25. Lebensjahre wählen kann. Und dieser dunkle Reichstagswahlrechtsreformer ist es nun, dessen schauerliche Plä» die „Germania" zuerst aufdeckt. Er hat — man höre und bebe! — in seiner Broschüre gesagt: „Ganz Deutschland, soweit es deutsch und national denkt, strebt nur darnach, das Ende des Reichstagswahl, rechts herbeizuführen." Das ist allerdings fürchterlich, um so fürchterlicher, als man plötzlich erfährt, daß auch das Centrum sammt der „Germania" — die doch selbstverständlich zum deutsch und national denkenden Deutschland gehören — nur darnach streben, das Ende des Reichstagswahlrcchts herbeizusühren! Jedenfalls ist dieser entsetzliche Mensch ein Meister im Hypnotisiren und hat von dieser Kunst den schnödesten Gebrauch gemacht, indem er heimlich der ganzen deutschen Nation, das Centrum einbegriffen, seine finsteren Pläne suggerirte. Deshalb ist er auch des Gelingens dieser Pläne vollständig sicher, denn er schreibt ferner: „In der Wahl der Mittel brauchen wir nicht ängstlich zu sein: die Gründe für eine Reform unseres Wahlsystems sind ohne Ausnahme spruchreif." Ja, wenn ein so unheimlicher Mensch, der die geheimsten Gedanken des ganzen deutsch und national denkenden Deutsch lands lenkt, solches behauptet, dann hat die „Germania" trotz der oben erwähnten kleinen Jrrthümer dcS Herrn Hammer alle Ursache, sich Uber die „nationalen" Blätter zu entrüsten, die immer noch behaupten, das Ncichstagswablrecht sei nicht bedroht! Freilich wird sich die „Germania", da nicht alle Deutschen so glaubensstark sind wie sie, herbei lassen müssen, es bei der Aufdeckung des Hammer-Fadens nicht bewenden zu lassen, auch die Beamten zu nennen, die mit Hammer den Einschlag des dunklen Gewebes bilden, und vor allen Dingen das Mittel anzugeben, durch welches das ganze deutsch und national denkende Deutschland von dem ihm suzgerirten ausschließlichen Trachten nack Beseitigung des Reichstagswahlrechts sich befreien kann. Denn das ist ja doch die Hauptsache. In einem sehr bemerkenswerthcn Gegensätze zu der Zu rückhaltung, welche der Reichstag uud vor Allem die Reichs regierung bei der Behandlung der MilitairstrafgcrichtS- ordnung bewiesen haben, steht die Art und Weise, wie man in Bayern diese Angelegenheit tractiren zu wollen scheint. Zweifellos muß es als ein Recht der parlamentarischen Landesvertretnng Bayerns angesehen werden, die Bayern mehr berührende Frage des obersten Militairgericktöhofes zu erörtern und Stellung zu ihr zu nehmen; indessen durfte man schon mit Rücksicht aus die Thatsache, daß die Regelung jener Frage zur Zeit den Gegenstand von Verhandlungen zwischen der preußischen und der baye rischen Regierung bezw. zwischen den beiden in Betracht kommenden allerhöchsten Contingentsherren bildet, erwarten, daß bei der Geltendmachung dieses Rechtes Alles vermieden würde, was irgendwie zn einer Verschärfung des vor handenen Gegensatzes beitragen könnte. Diese Erwartung erscheint um so berechtigter, als der Reichskanzler bei der dritten Lesung der beregten Vorlage ausdrücklich erkärte, daß die zu findende Lösung der Frage „sowohl die Rechtseinheit wahren, als auch eine ausreichende Berücksichtigung des bayerischenStandpunctes darzustellen habe",und hinzufügte, „daß die Verhandlungen zwischen den allerhöchsten Contingentsherren einen im Sinne der Verständigung wesentlich fortschreitenden Charakter haben." Wenn jetzt im Finanzausschuß der bayerischen Abgeordnetenkammer die Angelegenheit nicht nur von Neuem berührt, sondern auch von Seiten des berufenen Vertreters der Negierung, deS bayerischen Kriegsministers, die schroffe Erklärung abgegeben worden ist, Bayern halte nach wie vor an der Behauptung seines Reservatrechtes fest, so kann das unmöglich als eine Förderung der Verständigung aufgefaßt werden, um so weniger, als diese Erklärung von Seiten der Volksvertretung sofort als eine Art Auf forderung betrachtet worden ist, ihrerseits eine in gleicher Richtung laufende Kundgebung zu Stande zu bringen. Im Reichstage hat das Centrum im Allgemeinen durch Or. Lieber und der bayerische Theil der Fraktion im Besonderen durch Freiherr» von Hertling bekanntlich im Sinne der bayerischen Forderungen Stellung genommen. Für die richtige Beurtbeilung der Situation genügte das voll kommen und Or. Lieber hat nachdrücklichst die Uebernahme der Verantwortung dafür abgelehnt, durch ein weiteres Vor gehen die schwebenden Verhandlungen zu stören und die Er reichung des Verständigungszieles zu erschweren, wenn nicht zu vereiteln. Die bayerische Abgeordnetenkammer hat zudem schon früher in bestimmten Resolutionen ihre Ansicht betreffs der Angelegenheit niedergelegt. Das Verhalten der bayerischen Regierung muß aber auch dadurch in ein schiefes Licht gerathen, daß in ihrer Erklärung lediglich der bewußte Tifferenzpunct eine Betonung gefunden hat, während die un leugbaren Vortheile, die die neue Militairstrafgerichisordnung auch für Bayern im Gefolge hat, ohne jede Würdigung ge blieben sind. Vom fpnttisch - amcrikanischc» Kriegsschauplatz ist heute noch weniger wie gestern zu melden. Wir verzeichnen zunächst folgende Nachricht: * Havannah, 27. Mai. Marschall Blanco hat den Dampfer „Lasayctte" das Auslaufen mit einer Kohlenladung nicht gestattet, da die Kohlen für spanische Schiffe nöthig seien. — Der zum Geschwader Cervera's gehörige Torpedo- bootsjäger „Terror" ist, von Martinique kommend, in Fajardo auf Puerto Rico eingetroffen. Er berichtet, daß er vor dem Eingänge zur Bucht von San Juan de Puerto Rico vier amerikanische Kriegsschiffe kreuzen gesehen und des- halb den Cours geändert habe. — Das Geschwader Cervera's be- findet sich noch in Santiago de Cuba. Die Mehrzahl der Qchiffe deS Sampson'scheu Geschwaders blockirt den dortigen Hafen. Commodore Schley überwacht mit seinem Geschwader die Nuceatanstraße (Südöstlicher Eingang zum Golf von Mexiko). Die amerikanischen Schiffe, die vor Cienfuegos liegen, sind aus- gelaufen. Vor Havannah sind 4 amerikanische Schiffe noch in Sicht. Bor Cardenas befanden sich gestern noch gegen 30 ameri kanische Schiffe. Wie weit der spanischen Nachricht, daß das Geschwader Cervera's sich in Santiago de Cuba befinde, zu trauen ist, läßt sich nicht sagen. Jedenfalls ist es nicht vollständig dort versammelt, da der Torpcdobootjäger „Terror" sich bei Puerto Rico befindet. Uns will eS wenig wahrscheinlich Vor kommen, daß die ohnehin schwache Flotte Cervera's sich auch noch verzettelt haben sollte. Aus amerikanischer und eng lischer Quelle lauten denn auch die Nachrichten etwas anders. So meldet man uns: * Washington, 27. Mai. Tas Marinedepartement nimmt an, daß Cervera sich noch in Santiago befinde. Verschiedene Corre- spondenten melden indessen, daß die Meinung in Key West an Boden gewinne, das spanische Geschwader habe Santiago ver lassen. Einer Auffassung zufolge soll es am Sonnabend in See gegangen sein. * London, 28. Mai. (Telegramm.) Der Kriegsberichterstatter des „Daily Telegraph", der dem Admiral Schley aus einem Privat schisse folgt, meldet aus Kingston, sie feien am Sonnabend Abend dem amerikanischen Kanonenboote „Hawk" begegnet; dies habe mit- getheilt, es komme von Santiago de Cuba und die spanische Flotte befinde sich nicht dort. Man weiß also beute gerade so viel wie gestern. Tic Stadt Santiago de Cuba war bis zum Jahre 1607 die Hauptstadt der ganzen Insel und ist jetzt noch die Hauptstarr des östlichen Departements und der Haupthandelshasen der ganzen Südküstc. Santiago ist der Sitz eines Gouverneurs und eines Erzbischofs, auch befindet sich dort ein deutsches Consulat. Die Stadt liegt an der Mündung deS Rio Jarayo, östlich an einer herrlichen, von mächtigen Waldbergen der Sierra Macstra umschlossenen Bai weit hin auSgebreitel. Die Häuser sind wegen der häufigen Erdbeben meist einstöckig. Sehr zahlreich sind natürlich die Kirchen und Klöster. Die Zahl der Einwohner dürfte zur Zeit gegen 63 000 betragen. Die höher gelegenen Theile der Stadt sind gesund, während die unteren zur Regenzeit Fiebern unterworfen sind. Santiago ist durch Eisenbahnen mit de» übrigen Städten der Insel und durch ein Kabel mit Jamaica (englisch) verbunden. Der Hafen ist durch die Berge geschützt und für die größten Schiffe ticf genug, allein die Einfahrt in den Hafen ist eng und schwierig. Eine Anzahl Leucktthüme ermöglichen die Fahrt durch die Bai auch bei Nacht. Die Einfahrt wird durch verschiedene Befestigungen, von denen daS Castello Morro die älteste ist, geschützt. Die weiter »ach innen gelegenen Forts und Strand batterien, wie die zwischen Morro und Sta. Catalina, sowie westlich bei La Socapa liegenden Batterien, sollen nach den neuesten Methoden befestigt und nut modernen Geschützen armirt sein. Unter solchen Umständen dürfte e« den Amerikanern, falls sie wirklich Santiago blockiren wollten, schwer werden, den Canal ohne empfindliche Verluste zu sorciren. Um diesen Verlusten aus zuweichen, würde eS sich für die Amerikaner empfehlen, zuerst durch das Feuer ihrer Schiffsgeschütze die FortS und Küsten batterien zum Schweigen zu bringen und zu zerstören, und dann Truppen zu landen, welche sich mit den nur 40 Meilen von Santiago entfernt stehenden Insurgenten in Verbindung zu setzen und dann diese Stadt selbst zu bedrohen hätten. In dem Maße, als di« Landungstruppen an der Küste der Bucht vorrücken würden, könnten auch die in die Einfahrt versenkten Seeminen unschädlich gemacht werden. Die Landnng bei Santiago de Cuba könnte ohne besondere Schwierigkeit ins Werk gesetzt werden, da in Tampa, Mobile und Neworleans 30 000 Mann und 30 TruppentranSport- schiffe bereit stehen. Weitere 40 000 Freiwillige sind in Chickamanga concentrirt. Diese Operation würde allerdings einige Zeit erfordern, da aber nach den aus Madrid vom 24. d. M. stammenden Berichten die in Cadiz befindliche Escadre deS Admirals Camara nicht vor zehn Tagen in See stechen kann und die lleberfahrt der Flotte fast drei Wochen dauert, so hätten die Amerikaner fast einen ganzen Monat Zeit, die Landung zu bewerkstelligen. — Von den Philippinen ist Folgendes zu berichten: * Hongkong, 27. Mai. DaS amerikanische Transportschiff „Zafiro" ist von Manila hier eingetroffeo und meldet, daß die Lage daselbst unverändert sei. Die Mittheilung, der Capitain der „Callao" sei erschossen worden, sei unrichtig. Die „Zafiro" kehrt nächsten Montag nach Manila zurück. * Madrid, 27. Mai. (Senat.) Primo de Rivera, der frühere Gouverneur der Philippinen, vertheidigte seine Ver waltung und führte ferner ans, die Amerikaner machten sich Illusionen, Fettillrtsn. Sanitätsraths Türkin. 8s Eine Kleinstadt-Geschichte von Klaus Rittland. Nachdruck verboten. Aber Jndschi wollte lieber etwas über ihn selbst hören. „Sagen Sie mir doch, wie sind Sie eigentlich zu Ihrem Beruf gekommen?" fragte sie ihn; „wann haben Sie zuerst künstlerische Anlagen in sich entdeckt?" „Künstlerische?" wiederholte er zögernd. „Die haben sich eigentlich bei mir erst später entwickelt. Es giebt wohl Archi tekten, die ebenso gut Anlage zur Skulptur oder Malerei haben, vielleicht sogar von einer Kunst zur anderen übergehen, zu denen gehöre ich nicht. Meine Hauptfähigkeit liegt auf technischem Gebiete. Ich hätte auch Ingenieur werden können. Sie sehen mich enttäuscht an? Aber es ist doch nicht anders. Meine Leidenschaft als Junge war die Mechanik. Ich war ein kränk liches, unliebenswürdiges, einsames Kind, und wenn die Anderen herumtollten, saß ich daheim und pustelte über irgend einer Er findung, construirte neue Wirthschaftsgeräthe oder Werkzeuge für meinen Vater. Und die Begeisterung für meinen späteren Beruf habe ich nicht aus der Kunstgeschichte geschöpft, sondern aus der Abbildung und Beschreibung eines amerikanischen Musterwohnhauses, die ich in irgend einer Zeitschrift fand. Da erwachte der Wunsch, Baumeister zu werden, in mir. Sie sehen, ich bin ein echtes Handwerkerkind und von unten herauf ge klettert. Der Zweckmäßigkeitsbegriff war für mich immer der höchste." „Aber ein hervorragendes Zeichentalent besaßen Sie doch?" fragte Jndschi. Er bejahte. „Und später, auf dem Polytechnikum, besonders aber als ich meine erste Studienreise machte, an den Rhein und nach Nordfrankreich, da ist mir auch der Sinn aufgegangen für die reine künstlerische Schönheit, die über der Zweckmäßigkeit steht, obgleich — das ist auch noch die Frage in der Archi ¬ tektur wenigstens schließt Schönheit eigentlich immer auch die Idee der Zweckmäßigkeit ein —" „Sie waren wohl noch sehr jung, als Sie auf das Polytech nikum kamen?" fragte Jndschi dazwischen. Sie hatte jetzt keinen Sinn für ästhetische Betrachtungen. „Oh nein, leider nicht", antwortete er. „Ich habe keine leichte Jugend gehabt — wenn es Sie intereffirt —" Und er erzählte. Jndschi lauschte gespannt, nur dann und wann ihn mit einer verständnißvoll theilnehmenden Frage unter brechend. Gang hingenommen ist sie von der Schilderung. Sie sieht den Mann an ihrer Seite wachsen, werden, ringen, leiden; das Schicksal hat es ihm schwer gemacht; Armuth, Krankheit, Mißerfolge und Enttäuschungen aller Art haben sich seinem Ringen entgegengestemmt, aber er hat die Zähigkeit der Spinne besessen, die das zerrissene Netz immer wieder von Neuem zu weben anfängt. Kaum hat er seine Studien begonnen, da geht durch den Bankerott eines Vorschußvereins das ganze Ersparte seiner Eltern verloren. Aber er verliert den Muth nicht. Durch Zeichnungen für ein technisches Werk, durch Privatunterricht und schriftstellerische Arbeiten für eine Fachzeitung erwirbt er sich die Mittel zum weiteren Studium. Nach Beendigung desselben betheiligt er sich an einer Preisbewerbung. Er hat einen glän zenden Plan und fühlt sich seines Sieges sicher. Da erkrankt er am Typhus. Und als er genesen ist, hört er, daß sein bester Freund, mit dem er zusammen lebt und den er in all seine Ideen eingeweiht, den Preis gewonnen hat, mit heimlicher Benutzung von Fritz Olfers Entwurf! — sehr geschickt freilich, so daß ihm der geistige Diebstahl nicht dircct nachzuweisen ist. Später wird dem Strebsamen aber doch noch der Preis zu Theil, der ihm die ersehnte Jtalienreise ermöglicht. In Rom packt ihn das Fieber. Todtelend kehrt er zurück. Und so kommt immer, wenn er einen gewissen Höhepunkt erreicht hat, das neidische Schicksal und giebt ihm einen Klapps auf den Kopf, daß er nur ja nicht seines Lebens zu froh werde. Aber endlich wird es dieser Procedur müde. Fritz Olfers zwingt den Erfolg. Und nun ist der kränkliche Knaben-Sonderling, der überernste un jugendliche Jüngling zum kraftvollen Manne erstarkt, der stolz und sicher, hoch erhobenen Hauptes, im Leben steht, ein Meister in seiner Kunst, vom Sonnenglanz beginfienden Ruhmes um strahlt! Fritz erzählt seinen künstlerischen Werdegang und Jndschi lauscht. Und während die Beiden Hand in Hand über die weite winterstarre Fläche gleiten, keimt in ihren Seelen ein neues, bedeutsames, zukunftfrohes Leben, da fliegt das Weberschiffchen des Schicksals herüber und hinüber, viel bunte Fäden ver schlingend zu einem festen, unsichtbaren Gewebe! „Aber nun habe ich Ihnen da eine förmliche Generalbrichte meines Lebens abgelegt", sagte der Baumeister endlich, indem er stehen bleibt, die Hände in seine Jaquettaschen steckt und herz haft lacht, „ich hatte gar nicht die Absicht; wie bin ich nur so ausführlich geworden?" „Vielleicht, weil Sie merkten, daß ich Ihnen gern zuhörtr", entgegnete sie in warmem Tone. „Aber, nun will ich auch etwas von Ihnen wissen, gnädiges Fräulein. Ein Stückchen Leben haben Sie doch auch schon hinter sich." „Fünfundzwanzig lange Jahre", antwortete sie, über seine Grobheit lachend. „So meint' ich es gerade nicht, aber ich denke mir, unter so fremdartigen Verhältnissen." „Ach, was Rechtes habe ich dock^ noch nicht erlebt!" Sie kommt sich mit einem Male so klein, schwach und unbedeutend vor, so glatte, mühelose Wege ist sic gewandert, äußerlich we nigstens, und was sie innerlich schon erlebt, das kann sie ihm doch nicht auseinandersehen. „Ihre Mutter war keine Deutsche?" fragte er. „Nein, eine Ungarin, eine Gräfin Korvacz." „Ah, so." Die gräfliche Herkunft verleiht ihr einen Reiz mehr in seinen Augen, aber zugleich wird sie ihm dadurch ferner gerückt. „Also Magnatenblut fließt durch ihre Adern?" „Ja, aber sehr verdünntes", lachte sie, „die Korvacz sind im Laufe der Jahrhunderte heruntergekommen. Mein Großvater war ein armer, untergeordneter Consulatsbeamter und betrachtete den bürgerlichen deutschen Großkaufmann als eine glänzende Partie für seine Tochter." Und nun beginnt sie ihrerseits eine kleine „Generalbeichte". „Aber es wird dämmerig", unterbricht sie sich plötzlich. „Herr gott, und wie weit sind wir denn schon gelaufen?" Sie blickt sich um. „Dort liegt das Seeschlößchen hinter uns." „Ist es möglich? Aber nun schleunigst zurück! Oh, Weh, da hat sich mein Schlittschuhriemen gelöst." „Kommen Sie her an das Ufer, da sehen Sie sich in den Schnee." Er kniet vor ihr nieder und nimmt den im Verhältniß zu Jndschi's Gestalt schmalen, langen Fuß in die Hand. „So ein hoher Spann!" bemerkt er, den Riemen festziehend, „Rasse!" „Ach, nun necken Sie mich doch nicht. Dante schön." Er hilft ihr auf. „Was war das?" Sie schreckt zusammen. In dem schneebedeckten Laube hinter ihnen raschelt es. Etwas Röthlichbraunes taucht auf, rin langer, spitzer Kopf, ein Paar funkelnder Augen, aber nur einen Moment, dann rennt es schleunigst von dannen und plötzlich ist es wie von der Erde ver schlungen. „Ein Füchschrn", sagte Fritz, „wahrscheinlich hat es dort drüben seinen Bau. Sie haben sich gegenseitig erschreckt", fügte er lachend hinzu. „Reinecke hat wohl ein böses Gewissen", meint Jndschi, während sie und ihr Gefährte, die Hände kreuzweis verschlingend, den Heimweg antreten. „Ach nein", erwidert er kopfschüttelnd, „nur die angeborene, instinctive Angst jedes Naturgeschöpfs, die große Angst vor der Vernichtung, welche die ganze Welt durchschauert. Es giebt doch nichts Alberneres, als von der friedlichen Natur zu sprechen und zu behaupten, die Welt sei „vollkommen überall, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual!" Unsinn! Ja für ihn selbst, da bringt er sie erst mit, aber für alles andere Lebendige ist sic schon vorher dagewcsen. Friedliche Natur? Wo Alles, was lebt, im Kampfe liegt? Wo immer Eins das Andere verdrängt, erstickt, beraubt, auffrißt? Wo Alles sich gegenseitig flieht, jedes Kleine in dem Größeren, Stärkeren einen Feind und Vernichter wittert." „Pessimist!" warf Jndschi ein. „Pessimist? Nein. Die Welt ist so wenig schlecht, wie sie vollkommen ist. Beides kindische Begriffe, auf ein Ding ange wandt, für das uns der Maßstab fehlt. Der Kampf ums Dasein ist eben das Wesen der Welt, eine Seite des Weltwesens, weil ich das einsehe, gehöre ich noch lange nicht zu Denen, die jammern, es wäre besser, nicht geboren zu sein!" Tiefer sinkt die Dämmerung herab, und das Schneegewirbel wird dichter, stetiger. Der hellgraue Himmel, die wcißüber- hauchten Waldufer, die bläulichweiße, schneegepudertc Eisfläche, die leise niederfallenden Flocken, Alles verschwimmt ineinander, undeutlich, fahl und dämmerig, wie ein wesenloses Traumbild, wie ein sagenhaftes Nebelland, wo die abgeschiedenen Seelen wohnen, still, wunschlos und weltvergessen, und wie im Traume schweben die Beiden vorwärts, kein Schlittschuhlaufen ist das mehr, rin Fliegen, Wogen sie achten nicht mehr auf die Spalten und Unebenheiten des Eises; über Alles gleiten sie hinweg, wie mit Geisterflügeln. Ganz still sind sie geworden. Leise, rast los geht eS vorwärts. Dort, wo die Sonne untergegangen ist, winken jetzt fern und freundlich die Lichter Klützows, eins nach dem anderen flammt auf durch den dunstigen Schneenebel, und jetzt trägt der Wind einen sanften, lieblichen Ton herüber. „Die Sylvesterglocken!" sagte Jndschi leise und schließt für einen Augenblick die Augen. „Daß wir so den Jahresschluß mit einander feiern — ganz allein in der Oede — sonderbar, nicht?" meint Fritz Olfers lächelnd, „und vor acht Tagen wußten wir noch nichts Eines vom Anderen!" Er zieht ihren linken Arm fester an sich, sie laufen jetzt gan; nahe aneinandergeschmiegt, Schulter an Schulter, und Jndschi findet das ganz natürlich; sie fühlt sich auf einmal so vertraut mit ihm. „Sind Sie religiös?" fragte sie ihn plötzlich ganz unver mittelt
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