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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.05.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-05-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980531024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898053102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898053102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-05
- Tag1898-05-31
- Monat1898-05
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Größere Schriften laut unserem Preis» verzeichniß. Tabellarischer und Ztssernsap nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung .H 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Bolz in Leipzig. 27V. Dienstag den 31. Mai 1898. 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 31. Mai. Nachdem der „Reichsanzeiger" nochmal« aus das Bündigste da» von dem Reichstagsabgeordneten Müller in Fulda au-gestreute Gerücht von einer innerhalb der Regierung gehegten Absicht, das verfassungsmäßige RetchStagSwahlrecht zu beseitigen, als jeder thatsächlichen Grund lage entbehrend zurückgewiesen und der AuSstreuer selbst auf die Aufforderung, für seine Behauptungen Beweise vor zubringen und Namen zu nennen, hinter „Rücksichten der Dis kretion" sich verschanzt hat, wäre es nicht mehr nöthig, noch ein Wort über das Agitationsmanöver deS Herrn Müller zu verlieren, wenn nicht der Verfasser einer Broschüre „Gegen die Umstürzler" Anaaben über Vorgänge aus dem Jahre 1894 machte, die Licht auf die Entstehung des Gerüchtes zu werfen scheinen. Der Verfasser, der augen scheinlich der christlich-socialen Richtung sehr nahe steht, erzählt nämlich: „In eingeweihten Kreisen wollte man Anhaltspunkte dafür haben, daß die Umsturzvorlage nur die Einleitung zur Ver fassungsänderung sei. Da wurde plötzlich in dem konservativen Verein „Rappo", dessen ehemaliger Vorsitzender stets enge Fühlung mit der Regierung gehalten und an der officiösen Agitation sür die Militatrvorlage lebhaften Antheil genommen hatte, Alarm geschlagen. Mitte Oktober fand nämlich in diesem Verein eine Versammlung statt mit der Tagesordnung: „Die gegenwärtige politische Lage." Der Referent berichtete, daß das Gerücht von dem bevorstehenden Sturze deS Grafen Caprivi richtig sei. Die Befürchtungen, denen der Redner bei diesem Anlaß Ausdruck gab, waren in dem Entwürfe eines Schreibens an den Vorstand der konservativen Partei, zu Händen deS Freiherrn v. Manteuffel, in folgenden Sätzen sormulirt: „Die Pläne der Eartellfreunde haben feste Gestalt gewonnen. Repressiv- gesetze zur Eindämmung socialdemokratischer und „verwandter demagogischer" Bestrebungen sollen eingeführt und das Reichswahl - gesetz soll abgeändert werden. Diese letzte Eventualität ist unleugbar auch an maßgebenden Stellen Gegen stand ernster Erwägungen gewesen und für die Er möglichung der Durchführung wird mit Hochdruck gearbeitet.... Wir müssen die Uebrrzeugung aussprechen, Laß eine Ver wirklichung dieser Absichten die inneren Schwierigkeiten in einer Zeit vermehren würde, wo täglich auswärtige Verwickelungen unsere ganze Aufmerksamkeit beanspruchen können Eine Unterstützung der gehässigen Classenpolitik und der gefährlichen Experimente der Eartellfreunde würde die Einheit und Macht der konservativen Partei brechen und die Sache LcS Staates und der Monarchie unheilbar schädigen." Die in dieser Zuschrift aufgestellten Behauptungen sind damals weder von der konservativen Parteileitung, noch von Stöcker bestritten worden. Die Ber öffentlichung erfolgte im christltch-socialen Organ, wo man offenbar ganz besondere Gründe hatte, immer wieder auf die Gefahren der Lage hinzuweisen." Daß der Verfasser des hier erwähnten Schreibens an den Vorstand der konservativen Partei wirklich geglaubt habe, die „Eartellfreunde" planten im Vereine mit der Regierung die Einführung von Repressivgesetzen zur Eindämmung socialdemokranscbcr und „verwandter dema gogischer" Bestrebungen und die Abänderung deS Reichswahl gesetzes, ist möglich. Von Herrn Stöcker und den Seinigen, weiche die Conservativen mit Grauen vor dem Cartell zu erfüllen und in da» christlich-sociale Lager zu ziehen suchten, wurden den „Cartellfreunden" so finstere Pläne nachgesagt. Es soll damals auch wirklich von einer Regierung ein Slaats- streichSplan entworfen worden, aber natürlich von den übrigen Regierungen kurzweg zurückgewiesen worden sein. Andere Leute, außer denen, die ein Interesse daran hatten, , die „Eartellfreunde" gefährlicher Experimentirgelüste ver-1 dächtigt zu sehen, haben aber gerade den Anhängern I des alten Cartells am allerwenigsten so dunkle Pläne zugetraut. Daß Herr Stöcker sie „nicht bestritt", sondern sogar den Anklagebrief veröffentlichte, beweist nicht einmal, daß er selbst geglaubt habe, was in dem Briefe stand. Es ist auch gar nicht undenkbar, daß er die alte Verdächtigung hat 'aufleben lassen und daß Herr Müller, ohne es zu wissen, das Mundstück des Herrn HofpredigerS a. D. geworden ist. Die Behauptung des klerikalen Herrn, eine Bundesregierung habe einen Entwurf zur Verkümmerung oder Beseitigung des Reichstagswahlrechts bereits fertig stellen lassen, erinnert auffallend an die im Jahre 1894 in Umlauf gesetzten Gerüchte. Die Aufwärmung dieses alten Kohls ist übrigens ein für die Spieler recht gefährliches Spiel. Gelänge eS mit Hilfe dieses Agitationsmittels, dem neuen Reichstage eine aus Klerikalen, Socialdemokraten und Demokraten bestehende Mehrheit zuzuführen, so drohte zwar nicht die Abänderung des Reichstagswahlrechts, wohl aber die baldige Auflösung eines solchen Reichstags und ein Aufruf an die deutschen Wähler, von ihrem Wahl rechte einen besseren Gebrauch zu machen. Und ein solcher Aufruf würde dann sicherlich die gewünschte Wirkung haben. Wie der Telegraph bereits gemeldet hat, hat die ameri kanische Botschaft in Berlin eine Erklärung des Inhalts veröffentlicht, daß die häufigen Anerbietungen aktiver Officiere fremder Armeen und anderer Nichtamerikaner, in dem gegenwärtigen Kriege mit Spanien in der Armee der Vereinigten Staaten Dienste zu thun, nicht angenommen werden könnten, weil die reguläre Armee jetzt ausschließlich von einge borenen oder naturalifirten Bürgern der Vereinigten Staaten befehligt werde und Ausländer als gemeine Soldaten nicht eingestellt werden dürften. Wie schwer dieser Verzicht auf die Dienste deutscher aktiver Officiere der Regierung der Vereinigten Staaten fällt, geht aus ihren Bemühungen um die Unterstützung solcher ausgebildeten preußischen Soldaten hervor, die das Bürgerrecht in den Vereinigten Staaten erworben haben. Ueber diese Bemühungen weiß der „Hann. Cour." Folgendes zu melden: Eine vortreffliche Illustration zu der mi lila irischen Noth- läge der Vereinigten Staaten bietet die Thatsache, Laß aus gebildete preußische Soldaten, die das Bürgerrecht in den Vereinigten Staaten erworben haben, sich jetzt aber in Deutschland ausbalten, von Bevollmächtigten des ll. 8. ckoxartmeut kor national eoast clekensurs in New Jork ausgefordert werden, sich darüber zu erklären, ob sie persönlich am Kriege mitwirken oder eine peku niäre Unterstützung dazu geben wollen. Uns haben mehrere an solche hier in Hannover lebende amerikanische Staatsbürger gerichtete Schreiben vorgelegen. Sie lauten folgendermaßen: „U. 8. ilepartment kor national ooast äekonsuro Lierv Vorlr. Hannover, d. 20. Mai 1898. Herrn K. 8. Als Bürger der U. 8. und ausgebildeter preußischer Soldat wird bei dem derzeitigen Krieg« gegen Spanien auf Ihre Dienste dringend gerechnet. Sollte persönliche Mitwirkung nicht möglich sein, so wird eine pekuniäre Unterstützung der nationalen Sache von Ihnen erwartet. Behufs Ihrer definitiven Erklärung wollen Sie sich am ... . bei Mr. dl. di. melden. Der Bevollmächtigte. X. dl." Diese Briefe sind aber nicht nur bezeichnend für die mili- tairische Nothlage der Vereinigten Staaten, sondern auch höchst lehrreich für unsere Milizschwärmer. Jenseits deS großen Wassers hat man sich recht oft lustig gemacht Uber die Völker Europas und ihre Rüstungen, indem man ihnen die idealen Verhältnisse der Vereinigten Staaten entgegen hielt, die ohne große militairische Einrichtungen ihre Groß' Machtstellung behaupteten; und in unseren socialen und anderen Demokraten fanden die amerikanischen Verhältnisse begeisterte Lobredner. Jetzt zeigt eS sich, daß der vielver schriene „preußische Militarismus" unter Umständen doch sein Gutes hat. Auf die Dienste des „ausgebildeten preußi schen Soldaten" wird jetzt „dringend gerechnet" — selbst im „Zahlen". Auch die Feiertage über ist auf dem spanisch-amerikanischen Kriegsschauplätze nichts von Belang geschehen, und völlige Aufklärung über den Standort der feindlichen Flotten — dies- wichtigste Frage — noch nicht zu erlangen gewesen. Doch gewinnt, nachdem die sensationellen Nachrichten von einer Entscheidungsschlacht zwischen den beiden Geschwadern keine Bestätigung gefunden haben, die Annahme wieder an Wahrscheinlichkeit, daß Cervera sich doch indem Hafen von Santiago de Cuba in Sicherheit gebracht hat. Nicht nur, daß Commodore Schlei) dies am Montag Mittag nach Washington gemeldet hat, auch aus Port au Prince wird nach New Aork berichtet, daß Nachrichten aus Santiago de Cuba zufolge Admiral Cervera dort 800 Artilleristen und Ingenieure gelandet und 20000 Mansergewehre sowie große für die Forts bestimmten Mengen Munition für schwere Geschütze auSgeladen habe und „World" veröffentlicht eine Depesche aus Le Mule St. NicolaS, nach welcher der auf der Höhe von St. Paul mit seinem Schisse kreuzende Capitain Sigsbee am Sonntag Morgen so weit dem Hafen von Santiago sich genähert habe, daß er dort zwei Kreuzer von der „Viscaya"-Classe und drei Torpedoboote habe unterscheiden können. Die Möglichkeit ist aber nicht aus geschlossen, wenn auch nicht naheliegend, daß Cervera den Hafen wieder verlassen hat. Von der amerikanischen Flotte wird behauptet, Admiral Sampson habe sich von Commodore Schlei- Wieder getrennt und während dieser Santiago blockire, segle jener nach Key West zurück. Die erstere Meldung kann richtig sein, da von allen Seiten berichtet wird, daß eine amerika nische Flotte vor Santiago liege, aber wer bürgt dafür, daß die Meldung nicht bereits überholt ist, da nach weiteren Telegrammen aus Havannah das amerikanische Geschwader aus dem Gesichtskreise von Santiago wieder verschwunden sein soll. Die letztere Nachricht, nach welcher Sampson nach Key West zurückkehre, erfährt eine Bestätigung durch die folgende: * New Park, 30. Mai. Eine Depesche der „Tribüne" aus Washington meldet, eS sei an den Befehlshaber in Tampa Shafter die Weisung ergangen, den größten Theil seiner Streit kräfte, fämmlichc regulären Truppen und die für den Transport am besten ausgerüsteten Freiwilligen-Regimenter, nach Cuba «in» zu schiffen. Die besten Schiffe des reorganisieren Geschwaders Sampson's würden die Expedition begleiten, um die Aus schiffung zu schützen. In welchen Zustand übrigens die amerikanischen Aufgebote sich befinden, darüber wird dem „Standard" auS dem Lager bei Fallchurch (Virginia) gemeldet, Präsident Mac Kinley habe am Sonnabend daS 2. Armeecorps des Freiwilligen-HeereS, auS 13000 Mann bestehend, be sichtigt. Ein beträchtlicher Procentsatz derselben sei ohne Waffen und ganze Regimenter seien ohne Uni formen gewesen; auch ließen Richtung und Marsch fertigkeit viel zu wünschen übrig. Der Präsident habe dem KriegSsecretair Alger und dem General Miles gegenüber geäußert, daß die Vorbereitungen zum Feldzug unvollständig seien, zumal er Nachricht habe, daß sich die Freiwillige» in Tampa und Camp Thomas in gleicher Verfassung befänden. Der Correspondent fügt hinzu, im Hinblick auf diese Besichtigung sei die sofortige Ab sendung von 20 000 Freiwilligen nach Puerto Rico unmöglich. — Auf Cuba wird zwischen den Spaniern und den Auf ständischen mit wechselndem Glück weiter gekämpft. So wird dem „Standard" aus Key West gemeldet: „Die StadtRemedios in der kubanischen Provinz Santa Clara wurde am Sonnabend von 800 Mann deS von Gomez befehligten Aufständischen-Heeres, darunter 300Berittenen, angegriffen und genommen. Dabei wurde ein wenige Tage zuvor für die spanischen Truppen ein getroffener Vorrath an Lebensmitteln erbeutet. Der Verlust der Aufständischen wird auf vier Tobte und drei Ver wundete, jener der Spanier auf 32 Tobte und 63 Ver wundete angegeben. Die Spanier eroberten aber die Stadt später zurück. Die bei dem zweiten Treffen beiderseits erlittenen Verluste sind nicht bekannt." So wird das Kriegsspiel auf Cuba noch eine Weile weitergeben, bis es den Amerikanern gelungen sein wird, den, wie sich berausstellt, arg decimirten Aufständischen, SuccurS zukommen zu lassen. — Die Vermuthung, daß der Bericht eines New Aorker Sensationsblattes über Differenzen zwischen dem deutschen Consul in Manila und dem amerikanischen Admiral Dewey unbegründet sein dürfte, erweist sich als vollständig berechtigt, denn dem „New Aork-Herald" wird nun auö Hongkong vom 26. d. M. Folgende» gemeldet: „Der in Amerika verbreitete und hierher telegraphirte Bericht über gespannte Beziehungen zwischen Admiral Dewey und dem deutschen Consul ist unwahr. Weder die deutschen Kreuzer noch Kauffahrtei-Schiffe haben sich erboten, Lebensrnittel zu landen, abgesehen davon, daß Vorräthe im Inneren reichlich vorhanden sind. Die hiesigen Consuln sind außer Stande, den Bericht zu bestätigen, obgleich sie alle Personen, die in letzter Zeit von Manila eingetroffen sind, auSgefragt haben." Zn einer angeblich aus guter Quelle geschöpften Madrider Mittheilung der „Neuen Freien Presse", die die Nachricht, daß der spanische Botschafter in Pari» mit Hanotaux über die Abtretung der Philippinen an Frankreich ver handele, für falsch erklärt und eine spanische Note an kündigt, die Klage über die Amerikaner führt, weil diese unter singirter spanischer Flagge die Einfahrt in einen kubanischen Hafen erschleichen wollte, liest man: „Zn Madrid constatirt man mit Genugthuung, von Deutsch land in der letzten Zeit manches Zeichen de» Wohl wollens empfangen zu haben." Damit soll wohl wieder einmal der Anschein erweckt werden, al» lasse sich die deutsche Politik neuerdings für Spanien und gegen Amerika einspannrn. Diese Hoffnung wird nicht in Erfüllung gehen. Die spanische Presse sollte das Spiel mit solchen Versuchsballon» nachgerade aufgeben und die österreichische auch. — Deutschland bleibt strikte neutral. — Weitere Meldungen über den Krieg finden sich unter „Amerika". Feuilletsn. Sanitätsraths Türkin. 9j Ein« Kl«iostadt-Gefchicht« von Klaus Rittland. Nachdruck verboten. Die jungen Mädchen konnten sich kaum enthalten, laut auf zulachen — „aber nicht wahr", fuhr Frau Clasen fort, „mein Mann bekommt nichts davon zu wissen? An Kaisers Geburtstag ist nämlich auch sein Geburtstag. Und da will ich ihn über raschen!" Die Vorstellung einer solcher Germania war so grotesk, daß die Majorin all' der Selbstbeherrschung einer wohl gedrillten Officiersdame bedurfte, um ernst zu bleiben und der wackeren Kürschnerin in schonenden Worten klar zu machen, daß zur Personificirung des sieghaften Deutschland doch noch einiges mehr gehöre als guter Wille. „Es hilft nichts, wir müssen uns an Frau Goldstein wenden", beschloß sie endlich, „wenn auch der Bürgermeister, als Anti semit, die Nase rümpfen wird". — Frau Goldstein, die schöne Frau des ersten PutzwaarenhändlerS am Markt, fühlte sich ge schmeichelt, was in Anbetracht der langen Rechnung, welche die Familie Borstewitz bei ihr stehen hatte, nicht zu unterschätzen war — und die brennende Frage war erledigt. So kam der. große Feiertag All-Deutschlands heran. Mittags fand ein Diner der „Spitzen" im „Ochsenkopf" statt und der Abend vereinigte die Honoratioren- und Bürgergesellschaft im Schützenhause, dem Versammlungslocal de» Kriegerverein». Punkt 7 Uhr sollten die Vorstellungen beginnen. Jndschi hatte sich nur an dem Arrangement der Bilder betheiligt, ihre Mitwirkung als Darstellerin jedoch abgelehnt, was dir anderen Damen „sehr taktvoll^ fanden, „da sie doch noch so fremd ist!" Sie zog es vor, bald hinter den Coulissen, bald im Zuschauer raum zu sein, um Alle» ungestört beobachten zu können. In dichtgedrängten Reihen harrte die Menge der Zuschauer. Vor dem geheimnißvollen Vorhang saß die Gtadtcapelle, Herr Schlierke am Lirigentenpult. Jetzt erhob er den Tactstock und „Deutschland, Deutschland über Alles!" trompetete es los. Dann ging der Vorhang in die Höhe. Ein Zigeunerlager! In der Mitte natürlich da» obligate Feuer, vor demselben die karten schlagende Zigeunermutter, im Hintergründe Hedwig Borstewitz, Tambourin schlagend, sehr verführerisch und kokett, ein schwarz lockiger Jüngling, etliche tanzende Mädchen und zwei mit Nuß saft beschmierte Kinder. Eins fing leider an zu heulen, so daß der Vorhang schleunigst Heruntergelaffen werden mußte. Hinter der Scene sang ein ältliches Fräulein mit dünner Harfen mädchenstimme das rührende Hirschfeld'sche Lied „Zigeunerkind darf nicht glücklich sein!", was nicht ganz zu der lustigen Scene paßte. Zweites Bild: ein Menuett; gepuderte Rococo- Gesellschaft, das tanzende Paar im Vordergründe, ein junger Postbeamter und die ziemlich reife Schwester des Obersteuer- controleurs, sehr zierlich und „echt", mit Schönheitspflästerchen und hohen Stöckelschuhen. Suse Dörstewitz trommelte dazu kräftig und schulgerecht das Menuett aus dem „Don Juan". Und wieder ging der Vorhang auf, diesmal schwirrte ein staunendes Ah! durch den Saal. Man erblickte Scheherazade, dem blutdürstigen Sultan Märchen erzählend. Jndschi hatte dieses Bild als „Orientalin" nach eigenem Gutdünken stellen dürfen und es war vortrefflich gelungen. Der dicke Assessor als Türke, mit Turban und Kaftan, das blitzende Schwert zur Seite, und an ihn geschmiegt, die Hand wie in lebhafter Schilderung ihrer Phantasiegebilde erhoben, mit bunten Pracht gewändern geschmückt, Vie hübsche, schwarzhaarige Gastwirths- tochter vom „Ochsenkopf", beide vorzüglich für ihre Rollen ge eignet! Das Orchester begleitete diese Scene mit einem von Herrn Schlierke selbstcomponirten, ziemlich konfusen und „Janitscharenliebe" getauften Capriccio. Auch Hedwig Borstewitz und der schöne Zahnarzt als „Romeo und Julie", Balconscene, wurden eifrig beklatscht; dagegen wurde die künstlerische Vollendung des folgenden Bildes durch einen kleinen Zwischenfall gestört: Lening Drösel lag als Dornröschen, von einer Blattpflanzengruppe und ihrem schlafen den Hofstaat umgeben, auf ihrem Ruhebette, Herr Lehrer Zizzert, als Prinz, mit gewaltigem Federbarett, Pluderhöschen und hell rosa Tricots über den dünnen Beinen, hatte sich von der Seite entzückt über sie zu beugen. Da er etwas zitterig war, hatte er sich — um besser in seiner Stellung ausharren zu können —, einen niedrigen Holzschemel als Stützpunkt für das linke Knie erbeten. Der Vorhang ging auf — Lening sah wirklich ganz nett aus, und wenn auch ihres Prinzen staunend erhobene Hand ein bischen den Eindruck machte, als ob sie zu einer Ohrfeige ausholte — es war doch wunderschön. Da plötzlich — ein Krach — der Oberkörper de» Prinzen fällt vornüber und die schlafende Schöne schnellt aufkreischend in die Höhe. Allgemeines Durcheinander. Der Vorhang senkt sich. Einige mitleidsvolle Zuschauer drängen sich hinter die Coulissen, das bitterlich weinende, blamirte Dornröschen zu trösten, besonders „der Herr Lieutenant" konnte sich aar nicht genug thun; er hatte immer ein Tendre für Lening Drösel gehabt. „Aber es war ja doch so schön, daS schönste Bild von Allen", versicherte er sie immer und immer wieder. „Ich schäme mich todt; ich kann mich vor Keinem mehr sehen lassen", heulte sie. „Ich weiß wirklich noch nicht, wie es kam, ich glaube, der Schemel war schuld", stotterte Prinz Zizzert. Eine wußte, wie es gekommen war: Suse Borstewitz, die als flotter Page zu Dornröschens Füßen gesessen und bemerkt hatte, daß das eine Bein des Schemels wackelte. Herr Zizzert war von jeher ihr „ekligster Lehrer" ge wesen. Konnte man es ihr da wohl verdenken, daß sie im ent scheidenden Moment ein ganz klein wenig an dem schadhaften Bein rüttelte und so den spaßigen Unfall zu Stande brachte? Folgenschwer war ein Zwischenspiel, welcher dem nächsten Bilde voranging. Mariechen Kreßmann sollte „Maria Stuart, von ihren Frauen Abschied nehmend", darstellen. In dem schwarzen Kleide und hohen Stuartkragen sah die blonde Justiz rathstochter auch allerliebst aus, aber — das Schnebbenhäubchen stand ihr nicht und so beschloß die Mama, Mariechen solle auf gelöste Haare tragen — zur Entrüstung der Festordnerin Frau v. Borstewitz. „Unmöglich — das ist total unhistorisch — Maria Stuart trägt auf allen Bildern die Haare aufgesteckt." „Aber so kurz vor der Hinrichtung, da wird sie sich nicht erst haben frisiren lassen!" beharrte die Justizräthin. „Frauen, die hingerichtet werden, haben immer wallende Haare." „Aber, meine Verehrteste, glauben Sie mir, ich verstehe mich auf lebende Bilder — in unserer letzten Garnison —" „Im Hause meines Onkels, des Geheimraths v. Stülprassel, wurden jede Woche lebende Bilder aufgeführt; also, meine Ver- ehrteste —" Die beiden Damen wurden immer spitzer. Schließlich rief man die gerade vorbeikommende Jndschi als Schiedsrichterin an, und diese zog sich diplomatisch aus der Affaire, indem sie meinte, die historische Schottenkönigin habe ja allerdings eine hochge steckte Frisur getragen, aber das Publicum würde es wohl nicht so genau nehmen, da Fräulein Mariechens Haar so besonders schön sei. Dieses salomonische Urtheil gab den Ausschlag; aber der Grimm in den Herzen blieb. Im vorletzten Bilde „Der Krieger Heimkehr" hatte man alle noch nicht Verwendeten untcrgebracht; es war «in sehr rührendes Bild und sehr rührend war auch da» Lied „Des Königs Grenadiere", welches der schöne Zahnarzt sich erboten hatte, zu singen, „aber nicht hinter der Scene, erst nachdem der Vorhang gefallen sei, wolle er vortreten und singen!" Die Macht seiner sechs Fuß hohen Lohengrin-Erscheinunq sollt« Mit wirken. Wahrhaftig, ein ergreifendes Lied! Noch schöner wäre eS freilich gewesen, wenn der Sänger so etwas Aehnliches wie eine Stimme gehabt und den Refrain nicht so entsetzlich herauS- gebrüllt und langgezerrt hätte: besonder- am Schlüsse, wo e» heißt: „Gebt ihnen einen Ehrenplatz, des Königs Gre- nadierö-ä-ähn!" Aber das Publicum war tief ergriffen, und das Schlußbild, in welchem Frau Goldstein-Germanias plastischer Arm wunder voll heroisch das deutsche Schwert in die Luft hinausstreckte, während das gesammte Publicum die „Wacht am Rhein" an stimmte, brachte vollends die rechte, echte Kaisergeburtstags stimmung zu Stande. „Weshalb so in Gedanken, Kleine? Sing' doch mit!" mahnte der Sanitötsrath seine neben ihm stehende Nichte. „Ja so: lieb Vaterland, kannst ruhig sein!" Jndschi hatte allerdings seit der letzten Zwischenpause auf gar nichts mehr geachtet, was um sie her und auf der Bühne vor ging. Dort in der Ecke neben der Eingangsthür war plötzlich ein Gesicht aufgetaucht — nur einen Moment, dann hatte sich das Gas verdunkelt — war das nicht Baumeister Olfers ge wesen? Aber wie kam der heute hierher? Er hatte doch damals auf dem Eise gesagt, es warteten daheim so viele Arbeiten auf ihn, daß er kaum vor Pfingsten wieder die Eltern be suchen würde! Vielleicht hatte sie sich geirrt? Doch nein! Jetzt war das Lied beendet, der Vorhang ge fallen, ein allgemeiner Wirrwarr entstand, suchend irrten Jndschi's Augen durch den Saal. Da kam er auf sie zu, Fritz Olfers in Reservelieutenantsuniform, heute trug ja jeder, der ein Recht darauf hatte, den bunten Rock! Sein Gesicht strahlte, als er sie begrüßte. Und an der heißen Freude, die Jndschi in diesem Augenblick durchströmt«, erkannte sie erst, daß sie sich diese ganzen letzten Wochen leidenschaftlich gesehnt hatte, nach ihm, dem Tischlerssohn! „Welche Urberraschung", rief sie, seine Hand drückend. „Ich hatte in der Nähe zu thun", sagte er, als müsse er sich entschuldigen, „Graf Pantzow will einen Umbau in seinem Schlosse vornehmen lassen, ich mußte zu ihm und da dachte ich: ich kann mir ja hier den Zauber mal mit ansehen und morgen mit dem frühesten Zug Heimreisen." In der That hatte der Besuch beim Grafen gar keine Eile gehabt, aber als Mutter Olfers ihren Sohn von den lebenden Bildern geschrieben hatte, bei denen Fräulein Körting Mitwirken würde, da hatte es dem jungen Manne keine Riche gelassen. Seine Phantasie spiegelte ihm allerlei reizende Situationen, bezaubernd« Costüme vor; er mußt« Jndschi in ihrem Glanz sehen. Nun hatte der Vorhang ein Bild nach dem anderen ent rollt, lauter langweilige, gleichgiltige Figuren, keine Jndschi. Schade! Und dennoch — in daS Gefühl der Enttäuschung mischte sich ein andere-, wohlthuende» — gefiel e» ihm fast besser, daß
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