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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.06.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980603013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898060301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898060301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-06
- Tag1898-06-03
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Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis). Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Taris. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Auuahmeschluß für Auzei-ea: Abeud-Au-gabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen find stet- an die Expedttien zo richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 275. Freitag den 3. Juni 1898. 92. Jahrgang. Zft die Socialdemokratie eine Arbeiterpartei? Aus dem Arbeitercongreß zu Gotha 1875 vereinigten sich die Anhänger Ferdinand Lassalle's und die von Karl Marx zu Einer Partei. Sie nannte» dieselbe „sociale Arbeiter partei". Die Nachfolgerin dieser „socialen Arbeiterpartei" ist unsere heutige Socialvemokratie. Dieselbe behauptet, sie sei nicht bloS „eine", sondern „die einzige" wahre Arbeiterpartei. Sie behauptet, der Arbeiter habe alle Verbesserungen seiner Lage ihr zu danken; ohne sie würde er nicht« dergleichen haben. Diese Behauptung ist gleich so vielen Behauptungen der Socialdemokratie eine grobe Lüge, wie die folgenden That- sachen beweisen werden. 1) Die zahlreichen praktischen Veranstaltungen zur Verbesserung des Looses der einzelnen Arbeiter, als da sind: Arbeitsnachweis und Sorge für Arbeitslose, Asyle für Obdach lose, Kinderbewabranstalten, Volkskindergärten, Feriencolonien, Knaben- und Mädchenhorte, Consumvereine, billige und ge sunde Arbeiterwohnungen, günstige Spar-Gelegenheit und dergl. mehr, sind erweislichermaßen fast ausnahmslos vom Bürgerthum (von Gemeinden, Vereinen, Privaten, ins besondere auch von Unternehmern), nicht von der Social demokratie, auSgegangen. Die wenigen (Consumvereine und Produclivgenossenschaften), welche unter socialdemokratische Leitung gerathen sind, haben den Beweis geliefert, wie diese an geblichen Arbeiterfreunde zum Theil ihre Arbeiter behandeln! 2n einer solchen Genossenschaft in Belgien („Vooruit") kam eS zu einer gerichtlichen Klage gegen den Leiter Anseele, der den Arbeitern Abzüge von ihrem Lohn zu Parteizwecken bis zu 40 Prcc. des Betrages gemacht hatte. Der Staats anwalt sprach auS: „Die Socialistenfübrer machten mit ihren arbeiterfreundlichen Grundsätzen nur Parade, träten sie aber in Wirklichkeit mit Füßen". Aehnliches geschab in der fran zösischen Glasfabrik zu Carmau^, in der Hamburger Ge nossenschaftsbäckerei, wo die Arbeiter klagten, daß ihnen der freie Tag entzogen werde, daß sie manche Arbeit unentgeltlich verrichten müßten, während der Geschäftsführer für drei bis vier Stunden täglich 30 die Woche erhalte, Aehnliches in einer Genossenschaftsdruckerei zu Halle, in einer Genossen- schaflswirthschaft auf dem Universitätökeller zu Leipzig und noch an anderen Orten. Besonders kamen übertriebene Arbeitszeiten vor — bis zu 90 Stunden in der Woche und mehr, sowie Verletzungen der Sonntagsruhe. 2) Was die Gesetze betrifft, welche eine Verbesserung der Gesammtlage des Arbeiterstandes bezweckten und erreichten, so sind diese nicht blos ohne jegliches Zuthun der Socialdemokraten, sondern (so weit es sich um die späteren handelt, bei deren Berathung im Reichstage Social demokraten zugegen waren) gegen deren entschiedenen Widerspruch entstanden. Dahin gehören die Gesetze über EoalitionSfreiheit und Freizügigkeit, das Verbot der Beschlag- nabme des Lohnes, die Erleichterung der Eheschließung, das (1868 von den National-Liberalen angeregte, 1871 vom ersten deutschen Reichstag beschlossene) Haftpflichtgesetz, die vier großen Versicherungsgesetze der achtziger Jahre, durch welche seit ihrem Bestehen bis jetzt nahezu 2000 Millionen Mark theils aus den Cassen des Reich«, theils aus den Taschen der Arbeitgeber den Arbeitern zugeflossen sind, ferner die Bestimmungen der Arbeiterschutzgesetze von 1891 über Sonntagsruhe, Verkürzung der Arbeitszeit in manchen Ge werben, Beschränkung der Frauen- und Kinderarbeit, Vor kehrungen für die Gesundheit der Arbeiter u. s. w. 3) Gegen alle diese Gesetze, und gegen noch andere, welche gleichfalls im Interesse der unbemittelten Classe» waren (das Wuchergesetz, das Börsengesetz, das Gesetz über die Gewerbe gerichte u. a.), haben die Socialdemokraten im Reichstage gestimmt. Sie geben vor, das sei geschehen, weil die be treffenden Gesetze „nicht genug geboten hätten"; der wahre Grund aber war der, daß sie fürchteten, die Arbeiter möchten durch diese Gesetze zufriedengestellt und dadurch ihrer Agitation entzogen werden. „Mit zufriedenen Arbeitern ist uns nicht gedient", sagte ein socialdemokratischer Redner im Reichstage, und ein anderer bezeichnete als daö Geschäft der Social demokratie (statt der Fürsorge für die Arbeiter) nur das „Wühlen, Ausrühren und Hetzen". 4) Aus eben diesem Grunde sind die Reform- anträge, welche die Socialdemokraten im Reichstage oder in einem Landtage stellen und wodurch sie scheinbar dem Arbeiter nützen wollen, fast immer so beschaffen, daß ihre Annahme von vornherein ausgeschlossen erscheint. Werden sie dann von den anderen Parteien oder von den Regierungen zurückgewiesen, so giebl dies jedesmal der Socialdemokratie von Neuem ein treffliches Mittel zur Erregung von Unzufriedenheit und Verbitterung. 5) WaS macht die Socialdemokratie mit den sauer er worbenen Groschen der Arbeiter, welche diese an sie abgeben müssen? Nach ihren eigenen Berichten und nach den Verhandlungen auf ihren Parteitagen geht ein sehr großer Theil davon auf in den Kosten für Agitation, für «streike und für hohe Gehalte der Parteiführer, der Redac teure von Parteiblättern, der Abgeordneten zu Delegirten- tagen und der Reichstagsabgeordneten. Welchen Vortheil haben aber die Arbeiter von Alledem? Das ewige Hetzen vergiftet nur ihr Verhältniß zu ihren Arbeit gebern ; die leichtsinnig angezettelten und halsstarrig durchgeführten Streike bringen Noth und Elend über Hunderte von Arbeiterfamilien; die Anwesenheit der Socialdemokraten im Reichstage hat nur die Folge, daß diese gegen alle, auch die am meiste» arbeiterfreundlichen Vorlagen der Regierung stimme». Was also haben die Arbeiter davon, daß sie an die Socialdemokratie einen Theil ihres Arbeitsverdienstes abgeben müssen? Wenn somit die Socialdemokratie den Arbeitern nichts wirklich nützt, so schadet sie denselben positiv dadurch, daß sie ihnen Hoffnungen von einem para- disischen Zukunftsstaate vorschwindelt, an den sie selbst schon nicht mehr glaubt, oder von dem sie doch zugiebt, daß, wenn er überhaupt jemals kommen könnte, dies erst zu einer Zeit geschehen möchte, wo weder die jetzigen „Genoffen", noch deren Kinder und KinveSkinder eS erlebten. Durch diese Täuschung, in der sie die Arbeiter erhält, macht sie die selben aber unlustig zu einer ruhigen, stetigen Arbeit, hält sie dieselben ab, ihr Fortkommen auf dem allein prak tischen Wege, durch Fleiß und Sparsamkeit, zu suchen. Statt sie zur Selbstbeherrschung und Pflichttreue anzuhalten, reizt sie deren Begehrlichkeit durch den Hinweis aus das bessere Leben der Reichen, macht sie so mit ihrem Loos un zufrieden, verleidet ihnen ihre Häuslichkeit und treibt sie ent weder ins Wirthshaus oder in die Volksversammlung, wo ihnen vorgeredet wird, wie gut sie es haben würden, wenn nur erst die Socialdemokratie die Mehrheit im Reichstage besäße. So ist die Socialdemokratie statt einer wirklichen Freundin eine Feindin des wahren Wohls der Arbeiter. Diese sind ihr gut genug als Beifallsspender in ihren Versammlungen, als halb oder ganz gezwungene Kunde» der vielen „Geschäfts- socialisten" (Schaukwirlhe, Cigarrenhändler, oder auch Ver leger und Redacteure), als Zahler regelmäßiger Beiträge, endlich und hauptsächlich als „Stimmvieh" bei den Wahlen — im Uebrigen kümmert sie sich um deren materielles und sittliches Wohl herzlich wenig. 7) Eine Ahnung davon, daß die Socialdemokratie die Arbeiter nicht als Zweck, sondern nur als Mittel zum Zweck betrachtet, scheint allmählich auch in Arbeiterkreisen aufzudämmern. Schon haben nicht bloS einzelne „Genossen" sich von der Socialdemokratie offen loSgesagt, ja dieselbe be kämpft*), sondern ganze große Vereine, wie z. B. die „Evan gelischen Arbeitervereine" bekämpfen sie fort und fort. In dem officiellen Organ dieser Vereine, dem „Evangelischen Arbeiterbolen" (Nr. 43 vom 31. Mai 1898), findet sich folgende Stelle: „Auch gegen die Flottenvorlage hat die Socialdemokratie gestimmt, obwohl dieselbe gerade der Großindustrie, dem Handel und der Schifffahrt, wo die Mehrheit der Arbeiter ihre Nahrung findet, am meisten nutzen wird, und obgleich beim Bau der Schiffe zahlreiche Gewerbe und Arbeiter reichen Verdienst haben werden. Aber was fragt darnach die socialdemokratische Agitation, die von der Unzufriedenheit der Arbeiter lebt und die der Revolution zusteuert? Es ist aber doch geradezu widerwärtig, anzusebcn, daß die Arbeiter welt sich von dieser socialdemokratischen Agitation fortwährend verhetzen läßt und mit Hohn und Spott alle die Wohllhaten beantwortet, welche ihnen Staat und Gesellschaft zugewiesen haben, während jene Hetzer nicht allein nichts für sie thun, sondern auch das zu hindern suchen, was der Staat für sie thut. Alle Schuld rächt sich auf Erden; das werden auch *) So der frühere socialdemokratische Abgeordnete für Solingen Schuhmacher, so der Oesterreicher Schätzt, auch ein Arbeiter, der Socialdemokrat war, so der Arbeiter auf der kaiserlichen Werst in Kiel Theodor Lorentzen, der in zwei Broschüren „Die Socialdemokratie in Theorie und Praxis" und „Arbeiterpartei oder Revolutions partei" sich sehr entschieden gegen das Treiben der Socialdeinokratie ausjpricht, insbesondere aus S. 39, 73 u. s. w. zu den oben an geführten noch eine Menge anderer Belege beibringt für das nichts weniger als arbeitersreundliche Berhallen der Leiter von Genossen, schaslen gegen ihre Arbeiter. die Arbeiter noch erfahren, welche der Socialdemokratie nach trotten, sie mit ihrem Geld unterhalten und dadurch Staat und Gesellschaft der Revolution zutreiben; denn, wenn sie das erreichen, was die Socialdemokratie erstrebt, dann können sie alle den Bettelsack umhängeu; dann stehen allerdings, wie die Socialdemokratie ihnen schmeichlerisch vorsingt, „alle Räder still" — aber mit den Rädern auch die Arbeit und der Lohn!" Deutsches Reich. L. Berlin, 2. Juni. Bei dem Versuch, das „Deutsch- tbum" des lothringischen Klerus zu reiten, ist der „Germania" ein erheiterndes Mißgeschick widerfahren. Das genannte Blatt läßt sich selbst von einer „sehr geschätzten Seite" hinsichtlich der Auffassung berichtigen, daß Bischof Fleck von Metz im Gegensätze zu seinem Klerus auf die deutsche Seite getreten sei; diese Behauptung sei eine Ver- dächtigmachung(!) des Klerus, der noch nie aus anderer Seite gestanden habe, als auf deutscher. Welchen Werth eine so kühne Versicherung hat, zeigt die „sehr geschätzte Seite" erfreulicher Weise in eigener Person, indem sie unmittelbar darauf wörtlich sagt: „Die älteren Herren mögen wohl in den ersten Jahren nickt so begeistert gewesen sein, das wäre sonstwo wohl ebenso, aber auch diese haben sich jetzt einfach mit den Verhältnissen abgefunden; der jüngere Klerus ist ebenso deutsch als in den Marken." — Das ist immerhin schon ein kleines Zugesländniß an den wirklichen Sachverhalt. Aber es folgt noch ein gewichtigeres. Die „sehr geschätzte Seite" kommt nämlich auf die eingc- gangene „Lothringer Presse" zu sprechen, die sie ausdrücklich als nicht ultramotan-französisch, sondern als katholisch-deutsch bezeichnet. Die Frage, weshalb dieses katholisch-deutsche Blatt eingegangen sei, beantwortet die „sehr geschätzte Seite" folgendermaßen: „Da trifft nun freilich ein großer Theil der Schuld den KleruS selbst, der nicht für eine gehörige Verbreitung der Zeitung sorgte, selten correspondirle und Abonnent des „Elsässer" war." — Also den Klerus ohne Ausnahme, nicht nur die älteren Herren, trifft ein großer Theil der Sckuld! Warum aber sorgte der KleruS nicht für die Verbreitung der „Lothringer Presse", warum correspondirte er selten für sie, warum abonnirte er auf den „Elsässer"? Einfach deswegen, weil die „Lothringer Presse" im Gegensätze zum „Elsässer" nicht französisch genug war. Ist es schon belustigend, daß die „Germania" die widerspruchsvollen Ausführungen der „sehr geschätzten Seite" als Berichtigung auf der ersten Seite des Haupt blattes abdruckt, so wirb ihr „Reinfall" noch komischer durch die Correspondenz aus Lothringen, die sich auf der dritten Seite des Hauptblattes befindet. Da werden dir Candidaten der vier lothringischen ReichstagSwablkreise auf geführt, unter ihnen die bisherigen „elsässischen" Abgeordneten Ehrendomherr und Erzpriester Küchly und Pfarrer ColbuS. Sind auch diese Herren „so deutsch als in den Marken"? Und ist etwa auch der katholische Pfarrer in Chateau-Salins, der soeben eine von Bischof Fleck F-rrrllston- Neues aus -em Gebiete -es Radsports. Plauderei von M. Kofjak. Nachdruck verboten. Vor Kurzem sah ich in einer Remise ein Velociped, das vor reichlich dreißig Jahren das Entzücken seines Besitzers gebildet haben mochte. Ein monströses ungefüges Ding, bei dessen An blick es heute wohl auch den passionirtesten Radler nicht gelüsten wird, darauf eine Spaziertour durch Wald und Flur zu unter nehmen. Mitleidig zuckte ich die Achseln und dachte: „Nun ja, damals besaßen die Leute ja noch keine Erfahrung in der Radbranche, die mußten sie sich eben erwerben." Gleich darauf aber fiel mir ein, daß das ja keineswegs richtig ist. Existirten doch das O^els Oab, das 66löripö6e, das Oauck.v üorse, sowie etliche Dreiräder schon ums Jahr 1819, ja, wenn wir den Chro nisten glauben sollen, hat man bereits Mitte des sechzehnten Jahrhunderts versucht, Räder zu bauen. Freilich, ungefüge genug mögen nicht nur diese, sondern auch die vorher genannten gewesen sein. Die Abbildungen, die uns von ihnen geblieben sind, lasten ihre Construction zwar nur unvollkommen erkennen, aber immerhin zeigen sie uns doch, wie unendlich primitiv und schwerfällig dieselbe war. Wie anders dagegen unsere heutigen! Man vermag sich's kaum vorzustellen, daß immer noch Neues und Besseres auf dem Gebiet geschaffen werden kann, und dennoch belehrt die Er fahrung uns in nächster Zeit schon des Gegentheils. Der jüngste Triumph der Fahrradfabrikation ist wohl das sturzsichere Zwei rad. Wenn die Minister der jugendlichen Königin der Nieder lande dasselbe bereits gekannt hätten, als sie die Bitte an sie richteten, ihr Leben nicht durch Ausübung des Velosports in Gefahr zu bringen, so würden sie sich wohl darauf beschränkt haben, die liebreizende Majestät zu ersuchen, nur dieses Fahr zeug zu benutzen. Seine Construction ist in der That äußerst sinnreich und dabei von einer verblüffenden Einfachheit. Sein Sitz befindet sich zwischen zwei Hochrädern, die, jedes für sich, vermittelst eines Handhebels mit Antrieb durch Zugstangen ohne Kraftübertragung durch eine Kette in Bewegung zu setzen sind. Zum Bremsen dienen zwei Handbremsen, die auf die Antriebskurbelscheiben einwirken. Man kann mit dieser Maschine die kürzesten Wendungen machen, sowie sie in jedem beliebigen Moment zum Stehen bringen. Dabei gewährt sie bequemlich- keitsliebenden Personen auch noch die Annehmlichkeit, sich an lehnen zu können. Wie groß ihre Vortheile für die Großstadt, namentlich für das Fahren in verkehrsreicheren Straßen, sind, begreift sich leicht. Dennoch möge man nicht glauben, daß das sturzsichere Zweirad allen anderen das Lebenslicht aukzublasen bestimmt ist. Wie lange wird'- dauern, dann führt's gleich dem Tricycle den Spottnamen „AltersversorgunySanstalt!" Damit aber ist ihm da- Urtheil gesprochen, denn für jung und schneidig wollen doch Alle gelten, Herren wie Damen. Selbst der Umstand, daß ihm die den meisten Sportsliebhabern so mißfällige Kette fehlt, wird ihm heute, da man allenthalben kettenlose Nieder räder fabricirt, nicht die Gunst des Publicums erwerben. Seit mehreren Jahren hat die Industrie emsig an der Be seitigung der Kette gearbeitet, jetzt aber scheint sie ihr that- sächlich gelungen zu sein. Bei den meisten Systemen dieser Art geschieht die Kraftübertragung durch Zahnräder, unter denen sich die walzenförmigen, beständig um ihre Achse sich drehenden dadurch auszeichnen, daß sie sich weniger aufeinander reiben. Hierdurch aber wird der Kraftaufwand seitens des Fahrenden erheblich eingeschränkt. An anderen Rädern sind die Zähne vollkommen gleichmäßig hergestellt — eine Aufgabe, die keines wegs so leicht ist, als sie den Leuten erscheinen dürfte, und die meines Wissens bis jetzt auch nur einer einzigen englischen Firma gelungen ist. Den angenehmen Gang dieser Maschinen, die absolut nicht schütteln und stoßen, gleich anderen Zahnräder maschinen, muß man freilich mit 600 und mehr bezahlen. Die Krone aller kettenlosen Fahrzeuge repräsentirt aber doch wohl das mit sogenannter mechanischer Bewegung. Natürlich darf man sich darunter nicht eins vorstellen, das etwa wie ein Uhrwerk aufgezogen wird und dann von selbst läuft. Das Wort „mechanisch" erklärt sich nur dadurch, daß die Uebersetzung durch zwei ass den beiden Kurbeln befestigte Stahlbänder ge schieht, welche einerseits an der Kurbelwelle und andererseits an einer federnden Kette sitzen, die sich an einer kleinen, auf der Achse des Treibrades befindlichen Rolle mit dem Pedaldruck abwickelt und bei dem Heraufgehen des Pedals von selbst zu sammenzieht. Diese Einrichtung hat den Vorzug, die un bequeme drehende Bewegung der Füße fortfallen zu lassen und in die natürliche auf- und abwärts gehende abzuändern. Unendlich ist die Zahl der neuerfundenen, für mehrere Per sonen bestimmten Räder. Diejenigen mit acht bis zehn Sitzen und Pedalen nenne ich nur der Kuriosität wegen. Sie erweisen sich vielleicht für festliche Aufzüge als wirkungsvoll, einen prak tischen Werth aber besitzen sie schon deshalb nicht, weil sie sich doch nur auf langen, geraden und menschenleeren Wegen, in der Stadt jedoch überhaupt nicht benutzen lassen. Dagegen giebt es sehr hübsche und zweckdienliche Tandems, die besonders von Ehepaaren viel gekauft werden. Manche kann man auseinander nehmen und getrennt gebrauchen, andere wieder sind sowohl derartig zu verbinden, daß Herr und Dame neben- als auch hintereinander sitzen. Ueberdem vermag man beide Räder be liebig in Herren- und Damenräder zu verwandeln. Sehr leicht und elegant sah ein Hochradtandem aus, das nach Art eines Jagdwagens einen erhöhten Vorder- und einen tieferen Hintersitz hatte. Auf dem letzteren war der Platz des Dieners, auf dem ersteren jedoch der des Herrn oder der Herrin. Wunderlich genug stellen sich dem Auge des Laien jene Räder dar, die für bestimmte Personen oder Zwecke, häufig nur in einem einzigen Exemplar ausgeführt werden. So begegnet man z. B. hier und da seltsamen dreiräderigen Maschinen, bei denen sich der Sitz zwischen einem Hoch- und zwei nebeneinander lau fenden Niederrädern befindet. Sie können einerseits nicht um fallen und andererseits strengt das Fahren auf ihnen nicht an, woher sie denn auch mit Vorliebe von älteren oder kränklichen Personen benutzt werden. Trotz ihrer auffälligen Bauart er scheinen sie doch außerordentlich elegant und leicht — leichter entschieden als das sturzsichere Zweirad. Allerdings ist ihr Preis auch sehr hoch. Ungemein beliebt, besonders unter den Höchsten der Erde, ist der Ooveutr^ 6Iiair, eine Art Fahrstuhl aus feinem Korbgeflecht mit tuchüberzogener Polsterung und einer tambourartigen Decke aus Tuch. Der Sitz, von dem aus ein Diener oder ein Angehöriger das Vehikel lenkt, ist hinten angebracht, indessen giebt es auch Mechanismen, die es dem Drinsitzendcn gestatten, sich ohne fremde Hilfe vorwärts zu bewegen. Dieser Stuhl, der auf drei Rädern — zwei großen Hinteren und einem niederen vorderen — läuft, besitzt besondere Kugellager aus feinstem in Wasser gehärteten Gußstahl, die auf allen rotirenden Theilen vorhanden sind. — An ein Spiel zeug gemahnen die kleinen Velos, welche man für unsere Jüngsten fabricirt. Ich sah ein für ein zweijähriges Mädchen bestimmtes Tricycle und ein Bicycle, das einem um ein Jahr älteren Knaben zu sportlichen Uebungen dienen sollte. Das letztere war vorwiegend aus einem Stück Special-Stahldraht hergestellt. Diese Babyräder mit ihren schneidigen Besitzern darauf machen einen höchst possirlichen Eindruck. Den denkbarsten äußeren Kontrast dazu bilden zweifellos die neuen Motor-Tricycles, die Alles eher als graziös und leicht erscheinen. Dessen ungeachtet hörte ich, daß irgendwo an der Riviera — eine richtige xiu- cke-siöela-Jdee — ein Damenrennen mit diesen schwerfälligen Maschinen arrangirt worden ist. Bei diesen elektrischen Rädern dienen die Pedale lediglich dazu, den Motor durch einen einzigen Tritt in Gang zu bringen. Daß unsere in Dilettantenkiinsten bewanderten Damen das Bicycle bald als Object für Anwendung der verschiedensten Tech niken benutzen würden, ließ sich erwarten. Bisher mußten sie sich jedoch darauf beschränken, den Kettenkasten und das Gestell mit Blumenranken, Rococo-Arabesken und fliegenden Bändern in Emaillefarben zu bemalen oder einen — allerdings mehr zum Ansehen als zum wirklichen Gebrauch bestimmten — lieber-- zug für den Sitz mit Stickerei, Lederschnitt oder Brandmalerei zu schmücken; seitdem aber das Bambus-Damenrad erfunden ist, steht ihnen ein weit größerer Raum zur Ausübung ihrer Fertig keit zur Verfügung. Wie herrlich läßt sich dieses nicht mit dem Schnihmesser und Geißfuß in Kerb- und Drachenschnitt ver zieren! Es dürfte sich um dieser Eigenschaft willen vielleicht noch mehr als wegen seiner die Wirkung auch des heftigsten Stoßes aufhebenden Federung bei uns einbürgern. Eine eng lische Sportsfreundin, die sich längere Zeit in Deutschland auf hielt, hat denn thatsächlich bereits ihr Bambus-Bicycle an allen dafür geeigneten Stellen mit den wundervollsten ausgegründeten und hinterher noch farbig ausgemalten Mustern versehen. ES soll nach Aussage Aller, die es bewundern durften, noch mehr äußeren Chic besessen haben, als die kostbaren, in golddessinirter weißer Emaille ausgefllhrten, mit Handgriffen aus Edelmetall I ausgestatteten Räder, die namentlich in Frankreich heutzutage I vielfach verfertigt werden. Sine interessante Neuheit unter den I Fahrraddecorationen ist auch das Patent-Cycle-Shield, welches hauptsächlich wohl den Zweck hat, die Futzbcwegungen der Radlerin zu verdecken, sowie ihre Füße vor Nässe und Staub zu bewahren, im klebrigen aber kaum so viel Beifall finden würde, wenn es sich nicht so wundervoll ausschmücken ließe. Man stattet es mit Wappen, Monogrammen, sowie allerhand anderen Mustern in Stickerei und Malerei aus oder bezieht es mit kostbaren Brocatstoffen und Stücken alter Meßgewänder. Leider wurden die Luxusräder bisher den Damen dadurch verleidet, daß es keinen recht praktischen Kasten zu ihrer Auf bewahrung gab. Neuerdings ist diesem Mangel nun durch Er findung einer Kiste abgeholfen, in der das Bicycle freischwcbend auf eiserne Träger gehängt wird. Sie läßt sich nach drei Seiten hin auftlappen — eine Einrichtung, die zum leichteren Heraus heben des Rades dient — und nimmt verhältnißmäßig wenig Raum in Anspruch. Ein wasserdichter Ueberzug schützt sie vor Nässe. Dieser neue Behälter wird indessen nicht nur den Be sitzerinnen der vorerwähnten prächtig decorirten Räder, sondern mehr vielleicht noch allen Denen willkommen sein, welche ihre einfachen Gebrauchsmaschinen auf weiten Reisen zur See oder per Bahn bei sich zu führen lieben. Trotz seines mäßigen Um fanges enthält er noch ein längliches verschließbares Fach zur Aufbewahrung von Putz- und Handwerkszeug, Laternen, sowie all jener zierlichen und nützlichen Sächelchen, welche die elegante Sportsfreundin zur Zeit nicht mehr missen mag. Da giebt es niedliche, über die Handgriffe zu ziehende Müffchen, Spiegel, die es dem Fahrenden ermöglichen, zu sehen, was hinter seinem Rücken vorgeht, Landkarten, Büchsen mit Necessaire, Puder schachtel und Kammzeug, die in die Knöpfe der Lenkstange ein geschlossen werden u. s. w. u. s. w. Die Zahl dieser Dinge ist zu ungeheuer, als daß ich sie hier sämmtlich aufzuführen ver möchte. Die Industrie beschenkt uns fortwährend mit neuen, und wer sie alle erwerben wollte, der müßte den Schatz eines Krösus besitzen. Es ist ja überhaupt ein vielverbreiteter Jrrthum, daß auf dem Gebiete des Radsports die Mode weniger gebieterisch herrschte als sonstwo. Allerdings zerfällt sie in zwei Arten, in eine für Sportsgigerln — und Gigerldamen — und eine zweite für Sportsmen und Sportswomen strengster Observanz. Während die, erstere in ihren phantastischen Träumen capriciös geformte Räder, brillantene Glücksspinnen und Trilbyherzen als Gllrtelanhänger, Peitschen mit eingeschlossenen Uhren, grasgrüne und knallrothe Frogskin- und Dogskin-Handschuhe und silber- legirte Stiefel ersinnt, beschenkt die letztere ihre Anhänger mit sogenannten Diamantketten, die sie nie abnutzen können, Sätttln mit Gelatinefüllung, Bürsten, welche während deS Fahrens an der Kette entlang laufen, um jedes Stäubchen sofort davon zu entfernen, und was dergleichen wundersame praktische Neuerungen mehr sind. Welche Moderichtung vorzuziehen ist? Je nun, das zu entscheiden, muß man eben dem individuellen Geschmack überlassen.
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