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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.06.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980603024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898060302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898060302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-06
- Tag1898-06-03
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AllerdingS suchen Washingtoner Berichte die Sache so darzustellen, als ob der erste Hieb auf den zu fällenden Baum bereits ge sessen habe: die beiden Eingangsforts Morro und Socapa seien gänzlich zerstört, der „Christobal Colon", der sich quer über die Hafenmündung gelegt, sei in Brand gerathen, und ganze Schaaren von Spaniern seien durch Granaten in Stücke geschaffen worden; von amerikanischen Schiffen sei nur der Kreuzer „St. Paul" schwer beschädigt worden, alle anderen Schiffe seien unversehrt. So soll Commodore Schley an das Marineamt berichtet, er will sogar mit eigenen Augen geseh« haben, wie die Spanier in „ganzen Schaaren in Stücke zerAffen wurden." Allein es muß doch nicht so siegerisch vor Santiago zugegangen sein, sonst würde man sich m Washington nicht veranlaßt sehen,Herrn Schley durch Admiral Sampson zu ersetzen. Das Wahr scheinlichste ist demnach doch, daß Schley die ihm ertheilten Instructionen nicht zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten hat ausführen können. In Bezug auf das Gerücht, Admiral Servers sei während der Beschießung nicht in Santiago gewesen, bemerkte der spanische Marineminister gestern im Senat auf eine An frage, daß Cervera die Operationen selbst und zwar vom Bord des „Christobal Colon" aus geleitet habe, wo er seine Flagge gehißt gehabt hätte. Nach Prioatmeldungcn seien die Befestigungen an der Einfahrt zur Bucht von Santiago mit schweren Geschützen vom Kreuzer „Reina Mer cedes" armirt, der wegen Unbrauchbarkeit seiner Kenel in ein Ponton verwandelt wurde. In Bezug auf das Gerücht, daß das Geschwader Cervera'S nach dem Gefechte Santiago verlassen habe, beobachtete der Minister Zurückhaltung. Weiter erhalten wir folgende Meldung: - * New Vork, 2. Juni. Eine Drahtmeldung der „Evening World" aus Puerto Rico berichtet, das amerikanische Geschwader habe gestern den Angriff auf die Forts von Santiago erneuert. Gleichzeitig hätten 3000 Aufständische die Stadt Santiago angegriffen. Ein heftiger Kampf fei im Gange. — Nach einer Drahtnachricht aus Port Antonio ist Admiral Schley vom Marinedepartement benachrichtigt worden, daß das Schlachtschiff „Oregon", der Kreuzer „NewPork", ein anderer Kreuzer und zwei Kohlenschiffe nach Santiago gesendet werden würden. Die Cooperation mit den Aufständischen, falls sie wirklich zur Thatsache geworden ist, würde von entscheidendem Werihe nur dann fein, wenn es der amerikanischen Flotte gelänge, die Hafenbefestigungen zu demoliren und in den Hafen selbst einzudringen. Aber abgesehen davon, daß über eine Wieder holung des Bombardements noch keinerlei Nachricht einge laufen ist, scheint gerade die Meldung, daß eine Verstärkung für Schley'S Geschwader von Key West abgehen werde, dafür zu sprechen, daß eine neue Operation gegen Santiago un mittelbar nach der mißglückten ersten nicht im Plane liegt. Wenn hinzugefügt wird, daß unter den Reserveschiffcn auch der Kreuzer „New Aork" sich befindet, so darf man daraus schließen, daß die Nachricht, er habe als Flaggschiff Sampson's mit diesem an Bord an dem Bombardement vom Dienstag theilgrnommen, falsch war. Vielmehr dürfte Sampson jetzt erst nach Santiago gehen, um Schley im Commando abzulösen. Einem New Yorker Draht berichte aus Tampa zufolge kann bestimmt versichert werden, daß bisher keine regulären amerikanischen Truppen nach Cuba abgegangen sind. Aus diesem Grunde ist es unwahrscheinlich, daß die Insurgenten sich zu einer so bedeutenden Operation wie ein Angriff auf Santiago entschlossen haben sollten. Amtlich wird in Madrid bestätigt, daß das Schiss „Alfonso XIII." sich in Puerto Rico befindet, wo es Lebensmittel ausschiffte. Die Nachricht, das Schiff sei mit 1300 Mann Besatzung und viel Munition von dem amerika nischen Hilfskreuzer „St. Paul" weggenommen worden, ist also unrichtig. Der Gouverneur von Puerto Rico hat im Drahtwege nach Madrid gemeldet, daß ein Mangel an Lebensmitteln dort nicht bestehe, einem etwaigen Angriff der Amerikaner also ruhig entgegengcsehen werden könne. Das Washingtoner Repräsentantenhaus nahm den gestern Morgen eingebrachten Gesetzentwurf, betr. die KriegS- credite, an. Die Höhe der Credite beläuft sich auf 17 845 000 Dollar einschl. 10 000 000 Doll, für die Marine. Auf die Anfrage eines Abgeordneten erklärte der Vorsitzende der Finanzcommission, die Kriegskosten würden sich auf un gefähr 600 Millionen Dollar belaufen, wenn der Krieg ein Jahr dauern sollte. Auf eine rasche Beendigung desselben rechnet man demnach nicht mehr. lieber den Untergang der „Maine" im Hafen von Havanna veröffentlicht jetzt Corvettencapitain Hermann Gercke vom Obercommando der deutschen Marine einen interessanten Bericht. Es haben ihm natürlich die Berichte der spanischen Untersuchungscommission und der Report of the Naval Court os Jnqniry vorgelegen. Corvettencapitain Gercke kommt in seinem Artikel in der „Marine-Rundschau" zu folgendem Resultat: Die Frage definitiv zu beantworten, welches derGrund der Explosion an Bord der „M a i n e" gewesen sei, ist schwer, wenn nicht unmöglich. Die größte Wahrscheinlichkeit hat die Annahme, daß in Folge von Gasbildung aus Kohlen oder frischer Farbe und durch irgend welche Ent zündung dieser Gase die vorderen Munitions räume zur Explosion gebracht worden sind, daß nur eine Explosion stattgefunden hat, daß aber eine Mine nicht mit im (sehr ernsten) Spiele gewesen ist. Es ist noch zu bemerken, daß die amerikanische Commission da durch, daß sie zwei Explosionen zugegeben hat, sich scheinbar in einen Widerspruch verwickelt hat. Hätte sie ihr Gutachten dahin gefaßt, daß nur eine Mine das Schiff zerstört habe, so wäre dies Urtbeil weniger anfechtbar gewesen als das jetzige. Wird aber die Vergangenheit die Ursachen zum Untergange der „Maine" nicht klar legen, so muß die Zukunft lehren, ob die Ansicht der amerikanischen Commission thatsächliche Begründung Hal oder nicht. Denn wenn die Explosion einer Mine allein oder mit ihren Folgen im Stande ist, so ungeahnt verheerende Wirkungen auszuüben, wie im Falle der „Maine", dann müssen in Zukunft weitgehende Aenderungen im Schiffsbau, wie Verstärkung der Bodenconstruction, Ver legung der Munitionsräume u. A., statlfinden, um Schiffe gegen Minen und folglich auch gegen Torpedos besser als bisher zu schützen. Geschieht dieses nicht, so wird es als ein Beitrag dafür anzusehen sein, daß das Gutachten der Untersuchungscommission der Vereinigten Staaten Trugschlüsse enthielt. Politische Tagesschau. * Leipzig» 3. Juni. Mit ihrer „t-cfiihrvnng des Wahlrechts" verstrickt sich die klerikale Wahlmache immer mehr. Jetzt erklärt der Abg. Müller-Fulda, daß er mit seiner Behauptung, das Wahl recht stehe in Gefahr, weder die Reichsregierung, noch den Bundesralh, noch die verbündeten Regierungen, sondern lediglich einen neuen „Cartellreichstag" gemeint habe! Außerdem aber steht Herr Müller-Fulda auch den Artikeln der „Germania" über diesen Gegenstand fern. Das ist für das fromme Blatt etwas unbequem, denn es hat auf die düsteren Warnungen des Herrn Müller bereits muthig gedroht,mit Namen herauszukommen. Da nun Herr Müller sich hinter seine „Discretion" flüchtet, sitzt das Centrumöblatt auf dem Trocknen und sucht sich nun gleichfalls mit „Discretion" zu salviren. Dabei muß ihm die „Franks. Ztg." helfen, die auch in Gefährdung des Wahlrechts macht. Diese schreibt nämlich, es sei „sehr billig, zu verlangen, daß Namen und Beweise erbracht werden sollen. Die sind natürlich actenmäßig in einem solchen Falle schwer zu erbringen und Namen nennen beißt gleichzeitig die Discretion verletzen, die im politischen Verkehr zwischen Parlamentariern verschiedener Parteien, Mitgliedern der Regierung und der Presse eine erheblich größere Nolle spielt, als der Laie glaubt." Das Nächste, was die „Germania" daraus entnehmen müßte, wäre doch ein Rüffel für sie selbst, weil sie trotz dieser „Discretion" Namen angemeldet hat. Sie verläßt sich aber darauf, daß der geschätzte „Laie" Las nicht mehr beansprucht und nach der Belehrung des Frankfurter Schwesterorgans in seines Nichts durchbohrendem Gefühle in frommem Schauder geht und — schweigt. Wir schätzen die politische Reise des deutschen Volkes außerhalb des Centrumsbereichs etwas höher ein und trauen ihm Urtheil genug zu, um zu begreifen, daß es ebenso „billig" ist, ein leeres Schlagwort und eine haltlose Behauptung in den politischen Kampf zu werfen und sich die Beweise nut dem Hinweis auf eine sogenannte Discretion zu ersparen. Sehr unzufrieden mit dieser „Dis cretion" ist übrigens die Nau mann'sche „Hilfe", die gleich den ultramontanen, demokratischen und socialdemo- kratischen Blättern das Bedürfnis nach einem zugkräftigen Agitationsmittel empfindet und nun ihrerseits alte Gerüchte aufwärmt, die die Wähler gruseln machen sollen. Das national sociale Blatt schreibt nämlich: „Uns ist . . . „aus sehr guter conservativcr Quelle" der Name eines hohen, einflußreichen bayerischen Beamten und Bundes rathsbevollmächtigten genannt worden, der im Jahre 1893 bereits einen fix und fertig ausgearbeiteten Wahlgesetz entwurf vorgelegt habe. Es wäre gut, wenn die Herren vom Centrum etwaige persönliche Rücksichten hinter sachliche Er wägungen zurückstellen und Namen nennen wollten. Aus jeden Fall (!) haben wir Grund (!) anzunehmen, Laß die Sorge um Rückwärtsrevidirung des Reichswahlrechts begründet ist. Unsere Besorgniß wird auch durch den neuesten officivseu Ableugnungs versuch des „Reichsanzeigers" nicht verringert, weil eine Sache nicht glaubwürdiger wird, wenn man sie in derselben Form zweimal sagt." Was jene alten Gerüchte betrifft, so haben wir bereits am Dienstag auf ihren wahrscheinlichen Ursprung hingewicsen. Seitdem haben die verbündeten Regierungen, die schon damals einen Abänderungsvorschlag kurz und bündig von der Hand gewiesen haben sollen, sich aufs Neue von der Unentbehrlich keit des verfassungsmäßigen Reichstagswahlrecbtcs überzeugt. Nur dieses und die Furcht des im Jahre 1893 gewählten Reichstages vor einem Appell an das Volk hat dem Bürger lichen Gesetzbuche und dem Flottengesetze zur An nahme verhelfen; die verbündeten Negierungen würden also sich selbst und dem Reiche den übelsten Dienst erweisen, wenn sie an diesem Rechte rütteln lassen oder selbst rütteln wollten. Wenn trotzdem Ultramontane, Socialdemokraten, Demokraten und National-Sociale daraus dringen, daß die Candidaten nach ihrer Stellung zum Neichstagswahlrechie befragt werden, so ist das ihr gutes Recht; behaupten sie aber, sie hätten „auf jeden Fall" Grund zu der Annahme, daß die Sorge um die Rückwärtsrevidirung dieses Rechtes begründet sei, so erheben sie gegen die Reichsregierung einen Vorwurf, der hart an verleumderische Beleidigung streift. Auf die bereits von einzelnen „Genossen" als durch die Thatsachen widerlegt bezeichnete und deshalb verworfene, aber trotzdem als Wahlazitationsmittel verwerthete Lehre von der wachsenden Verelendung der Mafien fällt ein inter essantes Licht durch die von H. Hör n in der „Socialen Praxis" veröffentlichten statistischen Angaben über die Arbeitslöhne in Deutschland nach den Ergebnissen der Invalidenversicherung, die, den weitesten Kreis der gegen Lohn beschäftigten Personen umfassend, einen gewissen An halt für die Beurtheilung der Lohnvcrhältnisse in den einzelnen Gegenden Deutschlands gewähren. Zwar gelten für die Berech nung des Iahresverdienstes eines versicherten Arbeiters auch hier besondere Vorschriften, es wird auch hier der wirklich ver diente Lohnbetrag nicht immer zu Grunde gelegt, sondern es findet eine gewisse Berechnung statt. Aber die eingeklebten Marken entsprechen doch einigermaßen dem, was den Ver sicherten an Lohn gezahlt ist. Für die Bemessung der Bei träge sind bekanntlich vier Lohnclassen gebildet: Classe I bis 350 Classe II von mehr als 350 bis 550 Classe II l von mehr als 550 bis 850 Classe IV von mehr als 850 ab. Die Bertheilung der Wochen beiträge auf die einzelnen Lohnclassen gestaltet sich nun in der Zeit von 1891 bis 1896 folgendermaßen: 189l kamen in runden Zahlen auf Lohnclasse I 25 Proc., auf Classe II 38 Proc., auf Classe III 21 Proc., auf Classe I)' 11 Proc. . dagegen kamen 1896 auf Classe I 22 Proc., aus Classe II 38 Proc., auf Classe III 24 Proc., aus Classe IV 15 Proc. Demnach zeigt sich eine, wenn auch nicht be deutende, so doch bemerkbare Verschiebung aus den unteren beiden Lohnclassen in die oberen beiden. Daß auch absolut die Löhne gestiegen sind, lehren folgende Zahlen: 1891 wurden Beiträge entrichtet in Classe I 108 310 459, in Classe II 163 871 844, in Classe III 92 514 918, in Classe IV 62 485 699; dagegen wurden 1896 Bei träge entrichtet in Classel 105 830 416, in Classell 184 740 012, in Classe III 115 436 086, in Classe IV 73 505 583. Die Gesammtzahl der Beiträge stellte sich im Jahre 1891 auf 427 182 950; im Jahre 1896 auf 479 512 097. Allerdings ist im Laufe der Jahre auch die Zahl der versicherungs pflichtigen Personen gestiegen; aber nach den amtlichen Ermittelungen stellt sich die Beitragszahlung auf den Kops der Versicherten folgendermaßen: Im Jahre 1891 kamen von rund 39 Beitragszahlungen auf Classe I 10 Proc., auf Classe II 15 Proc., auf Classe III 8 Proc., auf Classe IV 5 Proc. Dagegen kamen im Jahre 1896 von 43 Beitrags zahlungen auf Lohnclasse I 9 Proc., auf Classe II 16 Proc., auf Classe III 10 Proc., aus Classe IV 6 Proc. Auch aus dieser Zusammenstellung ist demnach eine Verschiebung aus den unteren Lohnclassen in die oberen zu erkennen. Feuilleton. Slmitiitsraths Türkin. 12j Eine Kleinstadt-Geschichte von Klaus Rittland. Nachdruck verboten. Drei Tage später war es. Fritz Olfers schlenderte durch die üppigen, buntblühenden Anlagen auf das Häuschen des Fischers Pott zu. Dort wollte er sich ein Ruderboot miethen. Heute lockte die sommerliche Gluth, die spiegelglatte Seefläche mit Nixenverführungsgewalt. Und Fritz Olfers hoffte, die gesunde Körperbewegung sollte ihm gut thun. Er war gar nicht mit sich zufrieden. Dieses Mal hatte er wirklich der Erholung bedurft, und nun fühlte er sich seit seiner Ankunft in Klützow weniger wohl als in den gehetztesten Hamburger Arbeitstagen. Diese schlaflosen Nächte! Zu dumm! Und mit der beabsichtigten Sommerfrischbeschäftigung, dem Studium eines neuen Werkes über Elektrotechnik, zu solchen Lieblingsprivatstudien kam er ja jetzt nur noch, wenn er die eigentliche Arbeitslast von sich ab geschüttelt, da wollte es gar nicht vorwärts gehen. Unmöglich, auch nur eine Seite mit Verständniß zu lesen. Und warum, warum diese Rastlosigkeit, Dumpfheit, Zerfahrenheit, dieses quälende, nagende, brennende Unbefriedigtscin, dieses tolle Sehnen? „Die alte Geschichte", murmelte er vor sich hin und bohrte die Hacken in den Sand, als könnte er damit Alles, was ihn quälte, in den Grund bohren, „Herrgott, das läßt sich doch schließlich überwinden!" Die alte Geschichte, ja ja, die alte Geschichte! War's nicht, als ob ein leises, spöttisches, frühlingsfrisches Lachen ringsum durch die ganze junge Lenznatur kicherte? Die uralte Geschichte, die wird nicht überwunden, so lange noch irgend etwas lebt auf dieser weiten, schönen Welt, und wenn sie erst nicht mehr passirt, dann ist's mit dem Leben selber vorbei! Aber Fritz Olfers hatte ja keine Zeit zur Liebe! Nur wenige Erholungstage, kaum zwei Wochen, dann ging das Treiben von Neuem an, und jetzt, für den kommenden Herbst lag eine Aufgabe vor ihm, an die er sein Bestes setzen wollte, auf die er stolz war, wie noch auf keine andere, die ihm erst einen wirklichen Namen machen sollte, einen Namen für die Nachwelt! Nein, vorläufig wollte, durfte er die Hand noch nicht ausstrecken nach einem Ziele, welches ihn seinem selbst vorgesteckten Ehrgeizziele abwendig machen konnte. Und er mißtraute den Frauen, der Liebe, vor Allem aber seiner eigenen Natur, in der so viel heiße, nur müh sam bezähmte Leidenschaftlichkeit schlummerte. Er war auch bei all seinem sonstigen Selbstbewußtsein sehr wenig eitel in diesem einen Punct, so fest überzeugt, kein „Damen-Herr" zu sein. Zum Manne nehmen würden ihn Viele, o gewiß, in Klützow vielleicht Alle, beinahe Alle, aber lieben? Ja, wenn er nicht schon so manche bittere Erfahrung gemacht hätte, früher, in der leicht gläubigen, holden, ersten Iugendeselei! Das Schlimmste war die Kraft, Schwere, Wuchtigkeit seiner Empfindung. Spielen mußte man können, wollte man ungestraft mit Frauen verkehren, spielen, wie sie! Da leuchtete etwas Gelblichrothes hinter den Jasminbüschen auf. Hoch klopfte des jungen Mannes Herz. Das schillernde Seidendach kannte er. Jetzt bog es sich nach hinten, und Jndschis erglühendes Gesicht kam darunter zum Vorschein. „Guten Tag, Herr Baumeister." Stehen bleibend reichten sie sich die Hände, und vergaßen, dieselben wieder zurllckzuziehen. „Ich gehe zu Amtsrichters", sagte Jndschi. „Bei dem schönen Wetter?" entgegnete er. Das klang ein bischen einfältig. „Ja, ich muß eilen, habe es so halb und halb versprochen." Aber sie blieb ruhig stehen. „Ach", wandte er ein, „wozu wollen Sie sich bei dem köst lichen Sonnenschein in die geschmacklose gute Stube setzen und die neueste Krankheit erklären lassen, die der gute Elimar sich irgendwo aus seinen medicinischen Rathgebern zusammengelesen hat? Sparen Sie sich das für einen Regentag auf. Wissen Sie was?" — mit einem kindlich verlegenen Lächeln — „wir wollen eine Kahnfahrt zusammen machen; bitte, ja — wollen Sie?" Sie zögerte einen Moment. „Oder fürchten Sie, daß die Menschen etwa —" Da lachte sie. „Nun denn, gut! Auf, Matrosen, die Anker gelichtet." Und sie wanderten miteinander nach dem Anlegeplatz des Fischers Pott, schweigsam, vergnügt vor sich hin lächelnd, wie zwei Kinder, die einen heimlichen Schelmenstreich vorhaben. Das zierliche leiche Ruderboot war zum Glück noch frei. „So und nun vorsichtig!" Fritz faßte das junge Mädchen beim Hinein treten leise schützend um die Taille, unter dem leichten Batist stoff fühlte er wunderbar intensiv die Wärme ihres Körpers. Das verwirrte ihn, so daß er einen falschen Tritt that, das Boot kippte einen Moment. „Und sie schreit nicht auf, sondern macht nur die erforderliche Bewegung nach der anderen Seite", dachte Fritz befriedigt. „So, nun kann die Reise losgehen." Das war eine wonnige Fahrt! Auf dem leuchtend blau grünen, ölglatten Wasserspiegel zitterten metallisch glitzernde Sonnenreflexe; ruhig und gleichmäßig glitt das Boot über den stillen See, an den lieblichen grünen Waldufern vorüber, die jetzt in höchster, vollentwickelter Spätfrühlingsschöne prangten. Heiß glühten die Sonnenstrahlen herab. Die Beiden im Boot waren wie betäubt von der allzu sengenden Gluth. Auf des Ruderers Stirn perlten dicke Schweißtropfen. „Nicht wahr, ich darf mein Jaquet abwerfen?" bat er. Das blau und weiß gestreifte Flanellsporthemd mit dem um geschlagenen Matrosenkragen ließ den kräftigen, breiten Hals frei hervortreten, das blonde, bärtige, geröthete, vom Rande eines großen Strohhutes beschattete Gesicht strahlte jetzt von heißer Lebensfreudigkeit, kräftig traten bei den Ruderbewcgungen die gut ausgearbeiteten Muskeln der Arme und Peine hervor. Jndschi hatte früher immer nur sehr hochgewachsene Männer schön gefunden; heute meinte sie, noch nie eine so männliche Erscheinung gesehen zu haben, wie diesen „Plebejersohn" in seiner gedrungenen, concentrirten Kraft. „Und Sie wollen mal ein kränklicher Junge gewesen sein", sagte sie lächelnd vor sich hin und schüttelte den Kopf. Dann kam ihr wohl zum Bewußtsein, daß sie ihn schon seit recht langer Zeit stillversunken angestarrt hatte. Sie wandte verwirrt das Köpfchen, bog sich über den Bootrand, zog die Handschuhe aus und steckte den rechten Arm bis zum Ellenbogen ins Wasser, die Fluth so im Weiterfahren durchschneidend. Dann erschien ihr das Stillschweigen gar zu lang, allzu ver traulich. Sie wies mit der Hand auf einen hinter den Wäldern auftauchenden Schloßthurm. „Krckow!" sagte sie, „reizend gelegen, nicht? Das Ziel meines Reitausfluges mit den Romins neulich." „Ach, die Baronin war auch dabei?" fragte er. „Ja." „Aber weshalb sagten Sie denn das nicht Sonntag, als die Justizräthin Sie daraufhin anredetc?" „Und weshalb sollte ich es denn sagen?" Sie warf hochmllthig den Kopf in den Nacken und zog weg werfend die Oberlippe empor. Er schwieg einige Minuten. Dann begann er wieder: „Fräulein Jndschi, ich möchte Sie etwas bitten, es ist nur, ich meine nämlich. Sie müssen mich recht verstehen." „Ihren Demosthenestag haben Sie heute nicht", warf sie mit einem boshaften kleinen Lachen dazwischen. „Ich möchte Sie nämlich bitten: nehmen Sie sich vor dem Romin in Acht." „Aha, der Frau Justizräthin und der anderen bösen Zungen wegen — oder etwa " „Ihres Rufes wegen " , . Da bekam er aber einen eisigen Blick. ' „Mein Ruf steht über dem Geschwätz kleinlicher Leute, Herr Baumeister. Ich weiß ganz genau, was ich mir selber schuldig bin." „Jetzt sind Sie ungerecht in Ihrem Hochmuth", entgegnete er. „Ich meine es gut mit Ihnen. Sie kennen unsere Ver hältnisse nicht. Romin steht nun einmal in dem Renommee eines Mannes, der sich viel gegen Damen erlaubt. — Und — sehen Sie, ich selbst bin gewiß nicht engherzig, ich achte einen Menschen deswegen noch lange nicht geringer, wenn auch eine ganze Gesellschaft über ihn Anathema schreit — aber wir leben doch nun 'mal in der Welt — und jetzt sehen Sie schon wieder freundlicher, vernünftiger aus, nicht mehr so eisig heroinenhaft! — Wollen Sie mir nicht versprechen, sich künftig etwas mehr in Acht zu nehmen? Ja? —" „Sie sind ein komischer Mensch! Nun, wenn Ihnen ein Gefallen damit geschieht — gut, ich verspreche es Ihnen!" Sic lachte wie über eine närrische Caprice. Fritz Olfers erzählte nun, daß er morgen für ein paar Tage zum Grafen Pantzow fahren müsse wegen des Schloß Umbaues, bei welchem sich einige, die Gegenwart des Baumeisters dringlich erfordernde Schwierigkeiten herausgcstellt hätten. Dann fragte Jndschi ibn allerlei über die bevorstehende Chicagoer Weltausstellung, welche er zu besuchen gedachte. Aber Keines war so recht bei der Sache. Bald trat wieder das süß beklemmende Stillschweigen ein. Mit verzehrenden Blicken verschlang Fritz Olfers Jndschi's reizende Mädchcngestalt da vor ihm — diese junge, volle, üppig erblühte Gestalt in dem gelben Batistkleide: ganz frisch war das Kleid nicht gerade mehr; um so reizender! Jede Falte, jede vcrknüllte Stelle gab ja dem Stoff etwas Lebendiges, In dividuelles, erzählte von einer Bewegung des verhüllten Körpers! Und dieses süße Gesicht mit der gelblich-weißen klaren Haut farbe, dem stark vorstehenden Näschen, den langen schwarzen Augenwimpern — und dann dieser wonnige herabhängende Arm, der sich gegen den Andrang der blauen Wasserfluth stemmte — und das Füßchen mit dem hohen Spann — Alles an Jndschi war so weich, so zum Lieben, Streicheln geschaffen. Und die unreife Pflaumenfarbe deS Sonnenschirms übergoß die Gestalt mit einem eigenthümlich warmen Schimmer. Jetzt blickte sie auf; feucht schimmerten die süßen dunklen Augen. Und plötzlich schien es Fritz Olfers, als könne er durch diese lieben Augen bis auf den Grund ihrer Seele blicken; und es kam wie eine Offenbarung über ihn, wie ein Helles, freudiges, sicheres Erkennen: das war nicht nur ein reizendes Weib, das Weib, das einzige auf der Welt war es für ihn, die Frau, an die er bisher nicht geglaubt, die er aber nun
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