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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.06.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980604015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898060401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898060401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-06
- Tag1898-06-04
- Monat1898-06
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Reklamen unter dem RedacttonSstrich (»ge spalten) SO^, vor den Aamllirnnachtichteir (6 gespalten) 40/-. Großer» Schriften laut unserem Prets- verzeichnih. Tabellarischer und gtffernsay nach höherem Tarif. ^rtra-veilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbeförderung ^l 70.—. Iiunahmeschluß siir Anzeigen: Ab end »Ausgabe: Vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet« an die Erhebtttsn zu richten. Druck und Verlag von L. Polz in Leipzig. 82. Jahrgang. Sollen die Wahlen ein Jubiläum socialiftischen Meuchelmordes werden? 2 Juni 1878, 2,16. Juni 18W. Gerade zwei Wochen nach der 20 jährigen Wiederkehr des traurigen ErinnerungStageS des Nobilina'schen Attentats finden die Wahlen zum deutschen Reichstage statt. Zum zehnten Male seit dem Bestehen des Reiches tritt das deutsche Volk an die Wahlurne, zum zehnten Male soll eS die Männer küren, die in inniger Gemeinschaft mit den Fürsten und ihren Räthen an der Fortentwickelung des Reiche« arbeiten sollen. Sollen die Fürsten mit Denen ver eint arbeiten, die den FUrstenmord predigen, sollen die Social demokraten, die schon über ein halbes Hundert Sitze im Reichstage verfügen, die Zahl ihrer Mandate noch vermehren? Will das deutsche Volk den 16. Juni zu einer Glorificirung jener Mordthat machen, die vor 20 Jahren begangen wurde und die ein unauslöschlicher Schandfleck auf dem stolzen Ge wände der deutschen Geschichte ist? Soll der 16. Juni ein Jubiläum socialiftischen Meuchelmordes sein? Eine ernste Mahnung ergeht in letzter Stunde an die Wählerschaft, zunächst an denjenigen Tbeil derselben, der ge neigt ist, socialistisch zu Wahlen. Dieser Theil zerfallt wiederum in drei Tbeile: in die überzeugten Anbänger der socialdemokratischen Lehren, in die sogenannten „Mitläufer" und in die Arbeiterschaft, die socialistisch wählt, weil sie von socialdemokratischen Wahlen die beste Förderung der Arbeiter interessen erhofft. An den ersten Tbeil der socialiftischen Gruppe richtet sich diese Mahnung nicht; einmal, weil es sich nicht verlohnt, da dieser Theil numerisch sehr gering ist und nicht im Stande wäre, auch nur in einem einzigen Wahlkreise obzusiegen, und zweitens, weil es verlorene Liebesmühe wäre. Die social demokratischen Theoretiker würden sich erst von den That- sachen belehren lassen, d. b. wenn ihr socialdemokratischer Zukunftsstaat sich verwirklicht hätte; dann würden sie bald genug den Bau, den sie zerstört haben, wieder aufrichten wollen. Wohl aber und vor Allem richtet sich die Mahnung an die „Mitläufer", deren Zahl nach dem eigenen Zugeständnis der Socialdemokraten eine gar große ist. Es sind dies Wähler, die weder socialdemokratisch gesinnt sind, noch von der Social demokratie eine Förderung ihrer Interessen erhoffen, sondern die dieser Partei nur darum ihre Stimmen geben, weil sie ärgerlich über die Regierung sind. Diese Wähler erinnern recht lebhaft an jenen Jungen, der gesagt haben soll: „Cs geschieht meiner Mutter schon ganz recht, wenn ich die Hände erfriere, warum kauft sie mir keine Handschuhe?" Denn diese Männer sagen: „Es geschieht der Regierung schon ganz recht, wenn einmal die Socialdemokratie unsere Wirth» schaftliche Existenz, unser individuelles Leben, unseren kulturellen Fortschritt, unsere Lcbenfreude und unsere Freiheit zerstört: warum ärgert uns die Regierung?" Es sollte diesen Mit läufern einmal vor die Seele treten, daß ihr Verhalten kindisch ist, nicht würdig eines ManneS iu dem Augenblicke, wo er die höchste Ehre genießt, die dem Staatsbürger zu Theil werden kann: zu seinem Theile mitzuwirken an der Gestaltung der Geschicke des Vaterlandes. Und wenn noch ein solches Gebühren lediglich kindisch wäre! Aber es ist auch gefährlich obendrein. Denn indem man die social demokratische Stimmenzahl vermehrt, erhöht man den Nimbus dieser Partei und schärft also selbst das Messer, mit dem man geschlachtet werden soll. Man begeht also einen intellektuellen Selbstmord — wenn das Wort „Jntelect" in Verbindung mit dem Gebühren der Mitläufer gebracht werden darf. Die Mahnung richtet sich weiter an die Arbeiter. Diese sind im Irrthum, wenn sie vermeinen, durch die Wahl socialdemokratischer Bewerber ihre Interessen zu fördern. Wenn im Reichstage statt der fünfziasocialistischcu Abgeord neten hundert säßen, ja, wenn sie die Mehrheit im Parlamente hätten, so würde damit die Sache der Arbeiter um nichts gefördert sein. Denn nicht der Reichstag allein entscheidet über den Gang der Gesetzgebung, sondern die Volks vertretung in Verbindung mit den verbündeten Negierungen. Je stärker aber die Macht des RadicaliSmus im Parlamente würde, desto kräftiger würde die Opposition innerhalb der verbündeten Regierungen und auch an der höchsten Stelle, deren Einfluß auf die Leitung der Geschicke des Reichs denn doch nicht unterschätzt werden darf, sich regen. Man sieht das vielleicht schon heute. Die Socialdemokraten Wersen dem Kaiser vor, daß er nicht mehr mit demselben Eifer, wie in den ersten Jahren seiner Regierung bestrebt sei, die Lage des vierten Standes zu ver bessern. Aber ein jeder Arbeiter sollte sich einmal in die Lage des Monarchen hinein versetzen. Würde e r Wohl einen Anderen fördern wollen, der seine Existenz bedroht, der ibn und seine Angehörigen tagtäglich mit Schmutz bewirft? So aber ver fährt die socialbemokratische Partei mit dem Monarchen. Sie leugnet die Berecktigungder Monarchie, sie beschimpft im Parla ment und in der Presse nicht nur den Monarchen selbst, sondern sie läßt selbst dem im Grabe ruhenden Vorfahren des Herr schers nicht den Frieden, auf den auch der schlichteste Mann Anspruch bat, wenn er ins Jenseits hinüber gegangen ist. Soll der Monarch freudigen Herzens Diejenigen fördern, die seinen Todfeinden, seinen Beieidizern zujauchzen und ihnen zur Macht verhelfen? Vielleicht aber wähnen die Arbeiter, daß, wenn Millionen socialistische Stimmen abgegeben werden, die Furcht den Monarchen nnd seine Räthe bewegen möchte, in Bahnen einzulenken, dieben Socialisten genehm sind. Nun,jenes Wort, das vor gerade einem Menschenalter, im Mai 1868, im deutschen Zollparlamente Fürst Bismarck einem ultra montanen Feigling entgegenschleuderte: „Der Appell an die Furcht findet keinen Widerhall im deutschen Herzen", jenes Wort gilt noch heute, und es gilt dem inneren Feinde gegenüber ebenso, wie damals in der Bis- marck'schcn Aeußerung gegenüber dem äußeren. Und aus diesen Gründen kann, wenn eS auf den ersten Blick vielleicht auch ein wenig paradox klingen mag, die Arbeiterschaft ihre Interessen nicht wirksamer fördern, als wenn sie sich von der Socialdemokratie abwendet. Indessen nicht nur Denen gilt die Mahnung, die geneigt sind, socialistisch zu wählen; sondern auch den anderen Parteien. Freilich, dazu ist es bereits zu spät, daß die bürger lichen Parteien gemeinsam den ersten Sturmangriff der Socialdemokratie abwehrcn. Die Parteien haben bereits in allen Wahlkreisen, und leider auch in solchen, in denen ein Zusammengehen der Socialdemokratie gegenüber von vorn herein geboten gewesen wäre, eine große Zahl von Candidaten nominirt, und eS ist nicht darauf zu hoffen, daß noch jetzt Candidaturen zurückgezogen werden, um in gefährdeten Kreisen gemeinsam den socialiftischen Be werbern gegenüberzutreten. DaS gestattet schon jene rage clu nomdro nicht, die eS verlangt, daß jede Partei möglichst viele Candidaten aufstelle, um im ersten Wahlgange eine möglichst hohe Gesammtstimmenzahl zu erlangen. Aber wenigstens vor der zweiten Schlacht sollten die bürgerlichen Parteien sich zusammenthun, um jeden socialistische» Erfolg bei den Stichwahlen zu verhindern. Damit aber ein Zu sammengehen bei den Stichwahlen möglich ist, müssen sich die bürgerlichen Parteien schon vor den Hauptwahlen mit mög lichster Sachlichkeit bekämpfen, weil sonst die durch den Wahlkampf entstandene Verbitterung ein ehrliches Zusammen gehen ausschließt. Vor wenig mehr als Jahresfrist hat man mit großem Glanz die Wiederkehr des hundertsten Geburtstages der ersten Kaisers deS neuen deutschen Reiches gefeiert. Pracht volle Denkmäler sind enthüllt, zündende Reden gehalten worden. Aber wie in dem eigenen Wesen des unvergessenen Kaisers mehr die That lag al« das Wort, so würde er, wenn er noch unter uns weilte, verlangen, daß Die, die ihn lieben, sein Andenken nicht durch Worte ebren, sondern durch Thaten. Und darum würde er eS viel höher als alle Festlichkeiten der Centenarfeier einschätzen, wenn am 16. und am 24. Juni dafür gesorgt würde, daß im neuen Reichstage nicht die Gesinnungsgenossen und Vertheidiger eines Hödel und eines Nobiling, die Verherrlicher aller „Tyrannen mörder", den Ton angeben. Deutsches Reich. 6. U. Berlin, 3. Juni. Aus der Generalversammlung der Bildhauer Deutschlands, die sich zu den eifrigsten „Genossen" zählen, mußte der Hauptcassirer Behrends eine unangenehme Mittheilung machen. Zahlreiche „Genossen", die durch die Vertrauensstellung eines Cassirers ausgezeichnet worden waren, haben Unterschlagungen begangen, oft in ziemlich beträchtlicher Höhe. Herr Behrends machte dann die noch weniger erfreuliche Mittheilung, daß in verschiedenen Fällen nicht Nothlage, sondern Böswilligkeit der Cassirer vorgelegen habe. Also diese „Genossen" waren Menschen, die aus Böswilligkeit Arbeitergroschen stahlen und dann vielleicht in den Versammlungen nickt genug Worte deS Tadels über die Erbärmlichkeit der bürgerlichen Gesell schaft finden konnten. Herr Behrends fügte dann hinzu, daß die örtlichen Verwaltungen von dem Vorwürfe, durch Nachlässigkeit den Unterschlagungen Vorschub geleistet zu haben, nicht ganz frcizusprechen seien. In der sich anknüpfenden längeren Debatte fand im Allgemeinen die Behauptung des HauptcassirerS Bestätigung. Es muß also eine recht saubere Wirthschaft geherrscht haben; Nebencassirer stahlen aus Böswilligkeit Summen bis zu 200 und die örtlichen Verwaltungen erfüllten entweder ihre Pflichten nicht, oder waren den ihnen gestellten Aufgaben nicht gewachsen. Und solche Leute wollen die ganze moderne Welt umkrempeln, während sie nicht einmal die Verwaltung einer kleinen Casse ordnungsmäßig leiten können. Jedenfalls eröffnen diese Vorgänge eine entzückende Aussicht auf den Zukunstsstaat. * Berlin, 3. Juni. Ueber den Minister von Miquel schreibt die in Karlsruhe erscheinende, über officiöse Be ziehungen verfügende „Südd. ReickS-Corresp.": Die Krankheit des Bicepräsidenten des preußischen Staats ministeriums, Finanzminisrers vr. von Miquel, war bedeutend ernster, als es in weiteren Kreisen bekannt war, und es bedurfte der äußersten Vorsicht und Schonung, daß die Unpäßlichkeit ohne Gefahr für den 70 jährigen Staatsmann vorübergegangen ist. vr. von Miquel ist zwar noch nicht ganz hcrgestellt, doch vermag er wiederum den dringendsten Arbeiten sich zu widmen und hier und da einige Persönlichkeiten zu empfangen. Wahrscheinlich wird er noch einer Nachcur in EmS sich unterziehen müssen. Wie wir hören, hat der Kaiser wiederholt Gelegenheit genommen, feinem Finanzminister seine Theilnahme zu beweisen. Wie schon ander weitig angedeutet wurde, haben die Ueberanstrengungen der letzten parlamentarischen Campagne in Preußen, deren Kosten der Minister wesentlich persönlich zu tragen hatte, mit dazu gewirkt, daß der Jnfluenzaanfall für den Minister so gefährlich zu werden drohte. Es liegt daher nahe, daß zur Zeit Erwägungen stattfinden, um den Finanzminister von Miquel, wenigstens was die Vertretung gesetzgeberischer Vorlagen im preußischen Landtage betrifft, möglichst zu entlasten. Man muß dabei in Betracht ziehen, daß im preußischen Finanzministerium der nach dem Minister höchste Beamte, der Unterstaatssecretair Mei necke, 81 Jahre alt ist. Bei aller Rüstigkeit, welcher dieser Herr sich mit Rücksicht auf sein hohes Alter erfreut, können ihm so umfangrriche und schwierige parla mentarische Vertretungen kaum mehr zugemuthet werden. * Berlin, 3. Juni. Ueber den Umschwung in der lithauischen Frage geht der „National-Ztg." aus Ostpreußen eine Zuschrift zu, die nach Erörterung der den Lithauern in der Sprachenfrage in Aussicht stehenden Re- gierungsconcessionen sich iu folgenden Sätzen gegen diesen neuen CurS wendet: „Was aber thut man für die deutschen Kinder deutscher Eltern? Sie müssen in derselben Classr mitunterrichtrt, also ge schädigt werden. Will man aber dies nicht thun, so müssen in zweisprachigen Ortschaften doppelte Schulen errichtet werden: eine deutsche und eine lithauische. Thut man dies, dann wird die Regie rung sehen, wie sich die deutschen Schulen füllen, die lithauischen leeren werden. Das muß doch als Grundsatz im preußischen Staate gellen, daß deutsche Kinder nur deutschem Unterricht beiwohnen und nicht durch eine andere minderwerthige Sprache gehemmt werden! Nur durch eine schnelle Germanisirung, nicht vurck einen lang währenden Todeskampf kann auch der Charakter der Lithauer sich zum Besseren ändern. Man frage die Richter in den lithauischen Bezirken, und man wird die Antwort erhalten: Abgesehen von Berlin — wohin naturgemäß viele unlautere Elemente drängen — werden im ganzen preußischen Staate nicht so viele Verbrechen begangen, wie im Bezirk des Landgerichts Tilsit: Meineid, Mord, Urkundenfälschung rc. sind in Schrecken erregender Weife in den lithauischen Bezirken an der Tagesordnung, so daß fast in jedem Monat eine vierzehntägige Schwurgerichtssitzung abgehaltcn werden muß. Das giebt zu denken. Nur durch das Deutschthum kann vier Wandel geschaffen werden." Diese Schilderung lithauischcr Verhältnisse ist zwar nicht sehr schmeichelhaft, aber im Allgemeinen der Wahrheit ent sprechend. Es haben sich in jenem entlegenen Winkel in ter Thal noch vielfach die Sitten des heidnischen Lithaueu er halten und das ist nicht verwunderlich, da ja erst mit den Salzburgern ein kräftiges, culturbringendeS deutsche-Element nach Lithauen kam. Deutschfeindlich konnten aber bisher die Lithauer nicht genannt werden, sie schätzen die deutsche Cultur hoch und lernen mit Eifer die deutsche Sprache. Ob fick das aber nicht infolge der neueren nationalen Agitation unter ihnen bald ändern wird, ist eine andere Frage. Die Polen, die alten Nationalfeinde der Lithauer, haben jetzt ein natür liches Interesse daran, mit Lithauen Fühlung zu nehmen und die landsmannschaftliche Bewegung iu Ostpreußen zu stützen. L. vcrlitt, 3. Juni. (Privatteleyramm.) Wie die „Nat.-Ztg." hört, findet am 16. Juni im Lustgarten zu Potsdam aus Anlaß deS zehnjährigen Regierungsantritts des Kaisers eine Parade der Regimenter der Potsdamer Garnison, deren Chef der Kaiser ist, statt. CS sind dies das 1. Garde-Regiment zu Fuß, das Regiment Garde du Corps und das Leibgarde-Husaren-Regiment. Außerdem steht auch das Lehr-Infanterie-Bataillon, als Vertreter der gejammten Armee, in der Parade. DaS Leibgarde-Husaren-Regiment feiert gleichzeitig di« zehnjährige Wiederkehr LeS Tages, an welchem es vom Kaiser zu seinem Leib-Regiment er nannt wnrde. (-) Berlin, 3. Juni. (Telegramm.) Der „Reichs anzeiger" meldet: Den vortragenden Räthen des Auswärtigen Amtes v. Mumm und Klehmet wurde die Krone zum Rothen Adler-Orden III. Classe mit der Schleife verliehen. Der „Nordd. Allg. Ztg." zufolge haben anläßlich deS Besuches deS Prinzen Heinrich in China der Gesandte von Peking, Hchking, und der Consul von Canton, Knappe, den Kronen- Orden III. Classe und der erste GesanvtschaftSdolmetscher von Peking, Freiherr v. S. iKoltz, den Rothen Adler-Orden IV. Classe erhalten. (-) Berlin, 3. Juni. (Telegramm.) Der „Reichs anzeiger" veröffentlicht das Gesetz, betr. die Abänderung des Gesetzes über die Naturalleistungen für die bewaffnete Macht im Kriege. Feuilleton. Die siebenundvierzig No-nin. Von Emil Stenzel. NaLtruck vkrbolea. Zur Zeit meines Aufenthaltes in Japan war ich ein eifriger Besucher von alten Tempeln und Heiligthümecn und verweilte mit Vorliebe an Orten von historischer Bedeutung, wo ich mir dann gern Geschichten und Legenden erzählen ließ, die damit in Verbindung standen. So führte mich einst an einem herrlichen Sommerabend mein Weg durch Schinagawa, ein idyllisches Dörfchen in der Nähe der Hauptstadt. Abseits der hügeligen Landstraße gewahrte ich dort einen kleinen Friedhof, „der den raschen Wanderblick hielt zu ernstem Sinnen". Am Eingänge desselben saß vor einer kleinen Holzhütte ein alter Japaner, welcher friedlich aus seinem messingenen Pfeifchen rauchte; er trug noch den altjapanischen Haarknoten, der bereits silbergrau geworden und stammte wohl noch aus einer Zeit, wo kein Europäer diesen Grund betreten durfte. Augenscheinlich war er der Wärter des kleinen Gottes ackers, durch welches Amt ihm noch ein ruhiger Lebensabend gesichert wurde. Als ich näher kam, erhob er sich und begrüßte mich freundlich durch eine stumme Verbeugung. Ich trat in die mit einem durchbrochenen Steinwerk umgebene Stätte; sie wies nur wenige Gräber auf, die jedoch alle sehr sorgfältig gepflegt waren. Dicht am Eingänge befand sich eine kleine, mit rothcn Zetteln behangene Buddhastatue, nicht weit davon, mehr nach der Mitte zu, ein überdachtes Steinbecken zum Händewaschen, wie e» die buddhistische Religion vorschreibt. Große Steinlaternen, die von Zeit zu Zeit den Verstorbenen zu Ehren angezündet werden, ragten zwischen den Grabmälern empor. Abseits von den Ruhestätten stand ein kleiner Heiligenschrein, vor welchem die Besucher stille Andacht verrichten. Jedes Grab trug einen schlichten Stein, dem eine Bambus- dase mit grünen Zweigen gegenüber gestellt war, neben welcher sich wieder ein kleiner ausgehöhlter Stein zur Aufnahme von Räucherwerk befand. Hohe majestätische Bäume überschatteten mit ihren dichten Laubkronen diesen Ort des Frieden» und ver liehen ihm ein um so ernsteres Aussehen. Sie waren alt — sehr alt und wußten sicher Vieles zu erzählen. Schon eine Weile hatte ich in stummer Betrachtung versunken am Eingänge gestanden, als der Alte an mich herantrat und mit wichtiger Handbewegung bedeutete: „Dieses sind die Gräber der siebenundvierzig Ro-nin!" Ro-nin? Ro-nin? ... Ich kannte damals das Wort noch nicht. „Rebell, Geächteter, Aus gestoßener" fand ich im Taschenwörterbuch. Auf mein Be fragen erzählte mir der würdige Alte nun die Begebenheit von den Siebenundvierzig, die hier begraben lagen. Sein Groß vater, welcher sich noch schwach an jene Zeit erinnern konnte, hatte früher oft davon gesprochen. Ich selbst habe mir nachher nochmals von gebildeten Japanern die Geschichte, welche jedem Kinde in Japan bekannt ist, genau erzählen lassen. Auch in einem japanischen Theaterstück „Chushingura" ist sie verherr licht und findet vielleicht selbst bei uns verwöhnten Europäern einigen Anklang: „Vor nunmehr 200 Jahren befand sich im Gefolge des Shoguns Uoschimune ein junger Daimyo Namens Asano, welcher wegen seiner Tapferkeit und Hochherzigkeit von seinen Untergebenen sowohl wie Höherstehenden geehrt und an gesehen wurde. Eines Tage« war Asano beauftragt, eine Ge sandtschaft des Mikado zu empfangen, eine hohe Ehre, welche allerdings auch mit den schwierigsten Hofceremonien verknüpft war, und in solchen Dingen wußte der sonst in den Pflichten eines Kriegers so ausgezeichnete Feudalfürst leider sehr wenig Bescheid. Er wandte sich deshalb an einen anderen Edelmann, Kira mit Namen, der wegen seiner genauen Kenntniß der Hof- etiquette berühmt, aber auch eines gemeinen und niedrigen Cha rakters berüchtigt war. — Asano, dem er ohnehin schon nicht wohlwollend gesinnt, gab er nur mürrisch und unfreundlich den erbetenen Bescheid, wofür er erwartete, bezahlt zu werden; da dies jedoch nicht der Fall war, wurde Kira sehr anzüglich gegen Asano, witzelte und spöttelte über besten Unkenntniß und schalt ihn aus als einen Bauerntölpel, der nicht würdig sei, den Titel eines Daimho zu führen. — Dies Alles hatte der junge Fürst noch über sich ergehen lasten, als ihm jedoch der Unverschämte gar zumuthete, besten Schuhriemen zu lösen, gerieth sein Blut dermaßen in Wallung, daß er das Schwert zog und seinen Be leidiger damit über das Gesicht schlug, und wäre dieser nicht geflohen, so hätte er seine Frechheit mit dem Leben büßen müssen. Der Palast deS Shogun«, in dessen Mauern sich diese Scene I abspielte, war natürlich sofort in Aufruhr. Durch ein der artiges Privatgefecht die Räume des Schlaffes zu entweihen, war eine Majestätsbeleidigung, auf welche Todesstrafe und Güterentziehung stand. Noch denselben Abend wurde Asano verurtheilt, hara-kiri zu machen, d. h. nach japanischer Art sich den Bauch aufzuschlitzen, sein Schloß wurde beschlagnahmt, seine Familie für erloschen erklärt und die Mitglieder seines Stammes wurden vertrieben; um den japanischen Ausdruck zu benutzen: Sie wurden „ro-nin", wörtlich übersetzt Geächtete, Wanderer, Leute ohne Herrn und Heimstätte. — Solches begab sich im Jahre 1701. Dies war der erste Act. Act II ist die Rache. Oishi Kuranosuke, der getreueste Anhänger des verstorbenen Daimyo, beschloß seinen Herrn zu rächen und berathschlagte mit 46 Verbündeten, wie die That auszuführen sei. Alle waren bereit, bei diesem Versuch ihr Leben auf's Spiel zu setzen. Nun lag die Hauptschwierigkcit darin, das Gesetz zu umgehen, denn die Blutrache, welche die Sitte streng erforderte, war vom Ges tz verboten, ähnlich wie heutzutage noch das Duell in Europa. Sich an einem Feinde nicht zu rächen, hatte den Verstoß aus der Gesellschaft zur Folge, andererseits, Blutrache zu üben, zog schwere Strafe nach sich, — sie jedoch zu unterlassen, war ein Gedanke, der nie einem ritterlichen Japaner in den Sinn kam. Nach vielen geheimen Berathungen wurde unter den ro-nin be schlossen, sich von einander zu trennen und unter falschem Namen zu leben._ Die meisten von ihnen suchten sich Arbeit als Hand werker, sie wurden Zimmerleute, Schmiede und Händler, von denen sich viele sogar Zutritt zum Hause des Kira zu ver schaffen wußten, wodurch sie alle Aus- und Eingänge genau kennen lernten. Oishi selbst, der Führer der getreuen Ver bündeten, ging nach Kyoto, wo er sich anscheinend dem Trünke und einem lüderlichen Lebenswandel ergab; er trennte sich sogar von seiner Frau und seinen Kindern und lebte mit einer Dirne zusammen. — So wurde Kira, welchem bisher noch immer durch Spione genaue Berichte über das Thun und Treiben der 47 Verschworenen hinterbracht wurden, endlich in vollständige Sicherheit eingeschläfcrt. — Da auf einmal, in der Nacht des 3. Januar 1703, während eines heftigen Schneesturmes, wurde zur Ausführung des Racheactes geschritten. — Die 47 ro-nin verschafften sich gewaltsamen Eintritt zum Hause Kira's, schlugen seine Vertheidiger nieder und zogen den hochadeligen Feigling aus einem Nebenhause, in welchem er sich hinter einem Haufen Feuerholz und Holzkohlen verborgen hatte, hervor. Respektvoll, wie es einem Krieger geziemt, wenn er einen hohen Adeligen an redet, bat der Anführer der Verbündeten denselben, hara-kiri zu machen und gab ihm so Gelegenheit, durch eigene Hand auf ehrenvolle Weise zu sterben. Kira weigerte sich jedoch, und es blieb somit weiter nichts übrig, als ihn wie einen Schurken, der er war, zu tödten. — Der Morgen war bereits angebrochen nachdem diese That vollendet; die kleine Schaar marschirtc darauf in Reih und Glied nach dem Tempel des Sengakuji am anderen Ende der Hauptstadt. Auf dem Wege nach dort kamen ihnen die Leute entgegen, jubelten ihnen zu und beglückwünschten sie zu ihrer beherzten That. Ein großer Daimyo, an dessen Palast sie vor beizogen, sandte ihnen Erfrischungen und Glückwünsche, und vor dem Tempel wurden sie vom Oberpriester persönlich em pfangen. — Auf das Grab ihres Herrn, welches sich auf dem zum Tempel gehörigen Friedhof befand, legten sie dann das Haupt des erschlagenen Feindes, der ihn einst so schwer gekränkt hatte. Sein Tod war somit gerächt. Eine begeisterte Menge hatte der tapferen Schaar ihre Huldigungen dargebracht und ihr zugejubelt, und alle Welt erkannte diese That nur lobend an, aber trotz alledem konnte das officielle Urtheil nicht ausbleiben. Die Verbündeten wurden somit alle vor Gericht gezogen und verurtheilt, an sich hara-kiri zu vollziehen. Dies thaten sie einzeln in den Häusern der verschiedenen Daimyo. Dann wurden sie gemeinsam auf dem Friedhof desselben Tempelgrund stückes begraben, wo ihre Gräber noch heutigen Tages zu sehen sind. Die Bewunderung und Verehrung eines ganzen Volkes ist nun schon seit 2 Jahrhunderten der Lohn für ihre Befolgung der ethischen Vorschriften ihrer Zeit und ihres Landes." Der Alte war am Ende seiner Erzählung angelangt, welcher ich mit Spannung zugehört. — Inzwischen hatte sich einem Schleier gleich die Dämmerung über den stillen Friedhof herab gesenkt, und in das Violett der Dämmerung mischte sich strich weise da» silbrige Grau des Abendnebel». Ein Glockenton auS dem nahen Tempel drang an mein Ohr und mahnte mich, heim wärts zu gehen, und ich verabschiedete mich von dem guten Alten mit einem inhaltsschweren Händedruck.
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