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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.06.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980606019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898060601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898060601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-06
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M. von 10-12 und 2-4 Uhr im kleinen Saale der Neuen Börse — Eingang von der Promenaden seite über die Freitreppe — zur Besichtigung ausgestellt. Leipzig, den 2. Juni 1898. Die Haudelskammcr. Zweinigrr, Bors. I)r. Gensel, S. Prinz Adalbert von Preußen. Stn Gedcnkblatt zum 6 Juni. Wenn wir heute in fernen Meeren die deutsche Kriegsflagge wehen und deutsche Kriegsschiffe ihre Bahnen ziehen sehen, wenn wir heute wissen, daß auch im Kriegsfälle der deutsche Handel nicht mehr wehrlos darniederliegt und deutsche Küsten nicht mehr einem feindlichen Anprall preisgegeben sind, da ziemt es sich wohl, in dem stolzen Gefühl des heute Erreichten jenes Hohenzollernprinzen zu gedenken, der in schwerer Zeit den Ge danken an die Schöpfung einer preußischen Marine erfolgreich auch gegen zahllose Schwierigkeiten durchzuführcn wußte. Fünf undzwanzig Jahre sind heute dahingegangen, daß Prinz Adalbert von Preußen seine Augen schloß, nachdem er sein Leben im Dienste seines Königs für eine preußische Kriegsflotte dahin gebracht hatte. Als Sohn des Prinzen Wilhelm von Preußen, eines Bruders des Königs Friedrich Wilhelm III. und der Prinzessin Marianne von Hessen-Homburg am 29. October 1811 zu Berlin geboren, hatte der junge Prinz schon früh eine lebhafte Neigung für Reisen in fremde Länder über das Meer empfunden, die durch eine mit seinen Eltern 1826 nach Holland gemachte Reise neue Nahrung erhielt. War auch die holländische Marine da mals nur noch ein Schattenbild ihrer einstigen Größe, so war sie doch immer noch ansehnlich genug, um dem Studium große Gesichtspunkte darzubieten. Noch anregender gestaltete sich für den Prinzen eine 1832 über Holland nach England ausgeführte Reise, wo die gesummten Einrichtungen der englischen Marine, die damals als Muster gelten durften, eingehend besichtigt wurden. Im folgenden Jahre besuchte der Prinz in gleicher Weise den auf 15 Felseninseln aufgethürmten großartigen schwedischen Kriegshafen Karlskrona mit seinen zahlreichen Werften, Magazinen und Instituten. Zwei weitere Reisen, 1834 und 1836, führten ihn in das nördliche und südliche Ruß land, nach Konstantinopel, Griechenland, Triest und Venedig. Hatten diese Reisen schon die Kenntnisse fremder Länder und Verhältnisse mächtig gefördert und den Gedanken in ihm geweckt, daß Preußen zum Schutz seiner Küsten einer Flotte bedürfe, so erhielten nunmehr die seetechnischen Kenntnisse ihre festeste Grundlage auf einer Seereise, die er 1842 und 1843 auf einer ihm zur Verfügung gestellten sardinischen Fregatte über Gibraltar, Tanger, Cadix, Madeira und Teneriffa nach Brasilien machte. Das von ihm auf dieser Reise geführte Tagebuch, das nur als Manuskript gedruckt und später in englischer Ueber- setzung erschienen ist, legt von seiner scharfen Beobachtungsgabe vollgiltiges Zeugniß ab. In der zwischen seinen Reisen liegenden Zeit hatte er nach einander bei allen drei Waffen Dienste gethan, sich aber vor Allem seiner Lieblingswaffe, der Artillerie, zugewendet, die ihm viele Anregungen und Fortschritte verdankt. In Anerkennung dieser Verdienste wurde er zu ihrem Generalinspecteur ernannt. Das Jahr 1848 kam, und die Forderung einer deutschen Flotte wurde auch in der Frankfurter Nationalversammlung aufgestellt und lebhaft unterstützt. In der zur Ausarbeitung der Pläne eingesetzten Marinccommission führte der Prinz vom October 1848 bis zum Februar 1849 den Vorsitz. Das klägliche Ende der deutschen Flotte ist bekannt. Um so ernster ging der Prinz nunmehr an den Gedanken eines Weiterbaues der preußischen Flotte. Schon am 1. März 1849 war er zum Ober befehlshaber der preußischen Marine ernannt, und unbeirrt durch den vielen Widerspruch, den er fand, schuf er rastlos weiter und erreichte mit den geringen zur Verfügung stehenden Mitteln wahrhaft Bedeutendes. Üeber Begründung und Ent wicklung der preußischen Streitkräfte zur See stellte er eine Denkschrift auf, die ein Meisterstück von Einfachheit, Klarheit und logischer Durchführung ist. Die Ernennung zum Admiral im Jahre 1854 war die gerechte Anerkennung seiner Leistungen. Schon 1856 konnte der Prinz zu seiner Freude die Dampf- corvctte „Danzig" in fremde Meere führen, und hierbei war es auch, daß die junge preußische Marine ihre Feuertaufe em pfing. Am Cap Tres Forcas in Marokko war damals ein preußischer Kauffahrer gestrandet und von den Riffpiraten ge plündert worden. Als der Prinz hier durch eines seiner Boote eine Erkundung vornehmen ließ, wurde dieses beschossen. Zur Züchtigung der Piraten landete er an der Spitze von 70 Mann, eroberte eine Anhöhe, pflanzte hier die preußische Fahne auf und zog sich erst vor einer heranrllckenden bedeutend überlegenen Streitmacht zurück, nachdem er selbst schwer am Schenkel ver wundet und sein Adjutant Niesemann tödtlich getroffen war. Im Jahre 1859 trat eine Trennung in der Spitze der Marine ein, indem der Prinz dasObercommando behielt, während die Verwaltung einem besonderen Chef übertragen wurde, der mit dem Range eines Ministers in das Staatsministerium eintrat. Als der Krieg 1864 ausbrach, verfügte Preußen bereits über 23 Kriegsdampfer mit 117 Geschützen, ein Panzerschiff war damals im Bau begriffen, ebenso noch zwei Corvetten. Diese Streitkräfte waren aber den 26 dänischen Dampfern mit 363 Geschützen auch nicht annähernd gewachsen, um so weniger, als sich darunter bereits drei Panzerschiffe befanden. So konnte ihre Thätigkeit nur defensiver Natur sein, und der vom Prinzen Adalbert ausgestellte Entwurf bezeichnete es dem entsprechend als ihre Aufgabe, der Armee die Flanken zu decken, die feindliche Blockade zu erschweren und die Küsten vor Lan dungen und Brandschatzungen zu sichern. Zugleich hatte der Prinz bereits eine Erwerbung und Ausrüstung von trans atlantischen Dampfern vorgeschlagen, um damit Unternehmungen gegen die dänischen Colonien auszuführen und den dänischen Handel zu schädigen. Diese Vorschläge wurden abgelehnt; sie zeigten aber, wie weit der Prinz bereits den Anschauungen seiner Zeit voraus war. Denn heute wird, wie bekannt, diese Maß regel von allen Seiten mehr oder weniger ausgeübt, und die auf diese Weise ausgerüsteten Hilfskreuzer bilden einen nicht unwesentlichen Theil jeder Marine. Daß der Prinz es auch verstanden hatte, der jungen Flotte einen hohen Grad von Unternehmungsgeist und Kühnheit ein zuflößen, dafür legte das Seegefecht von Jasmund am 17. März 1864 den besten Beweis ab. Das kleine preußische Geschwader, das nur aus zwei Corvetten, einem Raddampfer und einer An zahl minderwerthiger Kanonenboote mit zusammen 60 Geschützen bestand, ging ohne Zögern dem weit überlegenen dänischen, aus einem Linienschiff und drei Fregatten mit zusammen 160 Ge schützen bestehenden, entgegen und brachte ihm durch geschicktes Operiren erhebliche Verluste an Personal und Material bei. Die kleinen, aber schnelleren preußischen Schiffe wußten sich dabei stets in solcher Entfernung von den feindlichen zu halten, daß sie die größere Schußweite ihrer gezogenen Geschütze aus nutzten, während es dem Gegner nicht gelang, seine überlegene Artillerie voll zu verwcrthen. Zu der geplanten Mitwirkung der Flotte bei den Operationen des Landheeres für den am 2. April beabsichtigten Uebergang nach Alsen bei Ballegaard kam es nicht, da auch dieser der Un gunst der Witterung wegen aufgegeben wurde. Der Prinz, welcher auf dem Aviso „Grille" seine Flagge gehißt hatte, unternahm mehrfach mit diesem kleinen, nur zwei Geschütze führenden Fahrzeug Erkundungsfahrten gegen das große dänische Geschwader und führte damit am 14. April sogar ein Zweieinhalbstündiges Feuergefecht gegen ein Linienschiff und eine Fregatte mit 106 Geschützen. Auch hier konnten die großen dänischen Schiffe der kleinen, aber schnelleren „Grille", trotz zahlreich abgegebener Breitseiten, nichts anhaben, während die „Grille" mit ihren 30 Schuß mehrere Treffer erzielte. Daß auch die Blockade der preußischen Häfen der Ostsee küste keine effektive im Sinne der Pariser Seerechtsdeclaration wurde, ist nicht zum Wenigsten der Unternehmungslust und un ermüdlichen Thätigkeit des preußischen Geschwaders zu danken. So hatte dieser Krieg gezeigt, was die preußische Marine zu leisten im Stande gewesen wäre, wenn ihr dem Gegner einiger maßen gewachsene Streitmittel zu Gebote gestanden hätten; aber der seit Jahren von der Regierung geführte Kampf um die Heeresorganisation hatte naturgemäß die Seestreitkräfte in den Hintergrund treten lassen. Den Feldzug 1866 machte Prinz Adalbert im Hauptquartier der Zweiten Armee mit und nahm hier an den Gefechten von Nachod, Skalitz und Schweinschädel, sowie an der Schlacht von Königgrätz Theil. Im Jahre 1867 wurde er zum Oberbefehlshaber der nun mehrigen Norddeutschen Marie ernannt. Bis zum Jahre 1870 hatten die Seestreitkräfte zwar eine wesentliche Vermehrung ge funden, indem bei Ausbruch des Krieges bereits fünf Panzer schiffe zur Verfügung standen; aber bei der außerordentlichen Ueberlegenheit der französischen Flotte konnte auch jetzt wieder nur eine defensive Verwendung in Aussicht genommen werden, indem es sich einerseits um Schutz der Elb- und Wesermündung, sowie des noch gänzlich unbefestigten Marineetablissements Wilhelmshaven, andererseits um eine Vertheidigung der Ost seehäfen handelte. Da hiernach auf eine gemeinsame Thätigkeit der Seestreitkräfte verzichtet werden mußte, so wurde Prinz Adalbert von seinem Commando abberufen und machte den Feldzug im Hauptquartier der Ersten Armee und demnächst beim großen Hauptquartier mit. Nach Beendigung des Feldzuges übernahm er zwar das Obercommando der Marine nicht wieder, das auf die neu organisirte Centralbehörde überging, aber auch jetzt noch wirkte er als Generalinspecteur unablässig für das Wohl der Flotie, bis ihn der Tod am 6. Juni 1873 aus dem Leben rief. Die deutsche Marine muß den Prinzen als ihren eigentlichen Begründer ansehen. Von ihren ersten Anfängen an bis zu seinem Tode sind seine Gedanken unausgesetzt auf ihr Ge deihen, auf ihren Ausbau gerichtet gewesen. In ihren Grund zügen und in ihrer weiteren Entwickelung verdankt sie alles Wesentliche seiner Anregung und Einwirkung. Als er am Abend seines Lebens in selbstlosester Weise die Weiterführung seines Lebenswcrkes in jüngere Hände legte, da durfte er sich sagen, daß dessen weiteres Gedeihen gesichert sei; und heute, wo alle Vaterlandsfreunde es mit Freuden begrüßen, daß dir Grundlage der deutschen Flotte aufs Neue befestigt ist, da gebührt auch dem edlen Prinzen, der in schweren Zeiten dafür unermüdlich gerungen, ein voller Kranz dankbarer Erinnerung! Mittheilungen aus der Uathsplenarsitzung vom 14. Mai 18S8.*) Vorsitzender: Herr Bürgermeister Justizrath vr. Tröndlin. 1) Die Stadtverordneten haben die Eingabe des Hausbesitzer vereins Leipzig-Süd-Lst, betreffend das Ersuchen, die Wohnstätten für Exmitlirte in verschiedene Stadtbezirke zu vertheilen, als erledigt betrachtet. Es bewendet hierbei. 2) Sie haben kein Bedenken erhoben gegen die Ausnahme einer Anleihe von 181900 .6 von dem Kirchenvorstande in Leipzig- Connewitz aus Anlaß der Erbauung einer neuen Kirche und haben ihrcn Vorsteher zur Milvollziehung der Schuldverschreibung ermächtigt. Die vollzogene Urkunde ist auszuhändigen. 3) Die Stadtverordneten haben zugestimmt: r». der Proceßeingehnng auf die Klage der Frau Margarethe verw. Metzer in Leivzig-Eutritzsch gegen die Stadtgemeinde. Herr Justizrath Lehme ist zu beauftragen. d. mit einigen Abänderungsanträgen dem Ortsgesetz über die Bebauung des im Plane T. ä. 9109 mit blauem Rande um- säumten Landes und der Feststellung der Beiträge dieses Landes zu den Kosten von in Folge seiner Erschließung uöthwrndigen Bauten und Anlagen. ES ist den Anträgen allenthalben beizutreten und das Erforder- liche zu besorgen. 4) Dem Verein für Sächsische Volkskunde verwilligt man für das in Leipzig seinen Sitz habende Archiv einen jährlichen Beitrag von 200 .« und beschließt Liesen Beitrag in Las nächstjährige Budget Conto 7 einzustellen. 5) Zur Bestreitung seiner Verwaltungskosten werden dein hiesigen Verein für Innere Mission 500 bewilligt und sollen dieselben ebenfalls in das Conto 7 des Budgets für 1899 eingestellt werden. 6) Zur Stiftung von Ehrenpreisen für die diesjährige Hunde- ausstellung werden 250 .L n conto 7 außerordentlich verwilligt. 7) Der Verkauf von 3 gm Areal an der Bornaischen Straße in L.-Connewitz an die Haunstein'schen Erben für 30 .« pro Quadrat meter wird genehmigt. 8) Ebenso wird genehmigt das Gesuch des Lindenauer Turn vereins um pachtweise Ueberlassung von 5— 6000 giu der Parcellen Nr. 708 und 358 in L.-Lindenau in Gemäßheit des Deputations gutachtens. *) Eingegangen bei der Redaction am 4. Juni 1898. Feuilleton. Dichterrausch. Humoristische Novellette von Erich Fließ (Berlin). Nachdruck »erboten. Welche Höllenqualen Anatoli Duboc in den letzten sechs Wochen ausgestanden hatte, war gar nicht zu sagen. Wahr haftig, es war wirklich kein Spaß, ein dramatischer Dichtöc zu sein, der endlich aufgeführt werden sollte! Die lange Warte zeit vorher, ehe die kleine Sittenkomödie ,,L« ekut noir" fämmtliche Theaterbureaus ungelesen passirt hatte, bis sie endlich von dem Director des Thöütre Ambigu acceptirt worden, dünkte Anatole ein reines Kinderspiel gegen die paar kurzen Wochen, in denen auf einigen Dutzend Proben bei Tag und bei Nacht das Stück fertig gestellt wurde. Welche widerwärtigen Scenen mit dem Director, dem Re gisseur, dem Dramaturgen, dem ersten Liebhaber, dem Komiker, dem Souffleur und ferner herab bis zu den lumpigen Coulissen- schiebern! Alle glaubten sie, die Sache besser zu verstehen, als der unglückliche Dichter, der jetzt täglich zum hundertsten Male betheuerte, daß er sich lieber alle zehn Finger einzeln amputiren lassen, als noch einmal auf die Idee kommen wollte, eine Ko mödie zu schreiben! Anatole hatte nicht so ganz Unrecht. Eine Komödie zu schreiben und sie gar bei einer wirklichen Bühne in Paris zur Aufführung zu bringen, ist gerade kein Kinderspiel, wenn man nämlich noch ein in den weitesten Kreisen unbekannter Dichter ist. Und das war Anatole. Er war aber auch gleichzeitig einer der verwöhntesten jungen Leute, die im Quartier Latin wohnten und sich fest vorgenommen hatten, im Sturmschritt den Parnaß und den Olymp zu gleicher Zeit zu erklimmen. So schnell ging das aber nicht. Die Aufregung des jungen Dichters hatte in der letzten Zeit einen krankhaften Charakter angenommen. Seine intimen Freunde ließen ihn nicht eine Sekunde lang aus den Augen, weil sie befürchten mußten, daß ihr „Patient" in einem un bewachten Augenblicke sich zu irgend einer unverzeihlichen Extra vaganz hinreißen lassen würde, noch bevor der entscheidende Schlachttag vor und hinter den Coulissen des Ambigu geschlagen. Auf alle beschwichtenden Vorhaltungen seiner Genossen ant wortete Anatole immer nur mit rollenden Augen und eindring lichem Pathos: „Ihr habt klug reden, ihr kleinen Sterblichen! Bon dieser Premiöre hängt mein Lebensglück, überhaupt mein ganzes Leben ab. Siege ich, gehört mir Paris, die Welt . .Falle ich durch, dann . . . dann . . . Das Uebrige verlor sich in allerhand dunkle Andeutungen und grauenhafte Selbstver- wümchunaen. Nun hat zwar Li« zum heutigen Tage schon so mancher Sterbliche behauptet, daß von diesem oder jenem Schlachttage sein Leben abhinge, ohne daß die Weltordnung deswegen in Verwirrung gerathen; aber so ganz ohne Berechtigung war die Behauptung Anatole's nicht. Außer den neun himmlischen Musen auf dem Parnaß besaß Anatole als echter Poet auch hier auf Erden eine kleine, irdische Kamoene, die auf den Namen Juliette hörte und das einzige Töchterlein des reichen Charcutier auf der Rue Drouot, des Monsieur Charles Pim- perol, war. Bei der schönen Juliette hatte Anatole längst ge wonnenes Spiel. Beim Meister Pimperol hatte der glücklich Liebende aber nur dann auf einen Erfolg zu rechnen, wenn er selbst einen Erfolg errungen; natürlich nicht in Lorbeerblättern, wie sie die Schweinsköpfr in dem großen Laden des Meisters Pimperol zierten, sondern vielmehr in blitzenden Francsstücken und knisternden Kassenscheinen. Einen solchen Erfolg kann be kanntlich heutzutage nur ein dramatischer Dichter herbei zaubern, wenn er einen glücklichen Tag hat. Ob Anatole einen solchen Tag erleben würde, sollte sich eben gerade heute entscheiden. Nach einer schlaflosen Nacht — die wievielte war es eigent lich schon in den letzten sechs Wochen? — war die „Sonne seines Hinrichtungstages" — wie der Dichter pathetisch sich ausdrückte — über Paris aufgegangen. Auf den Straßen war wenig von dem bevorstehenden Ereignisse zu bemerken, als Anatole in der Morgenfrühe sich aufmachte, um die Affichen und die Morgenblätter zu studiren, in denen man wirklich lesen konnte, daß im Ambigu-Theater heute „Lo estut noir" von Anatole Duboc zum ersten Male aufgefllhrt werden sollte! Vormittags um 11 Uhr — das stand natürlich nicht in den Blättern — sollte die letzte Probe vor den Augen des Autors und einer erlesenen Freundesschaar stattfinden. Bis dahin hatte Anatole noch drei Stunden Zeit. Er ging noch einmal durch die Rue Drouot, wo er von einem Fenster aus den heimlich zugewinkten Gruß seiner angebeteten Juliette em pfing, die natürlich am Abend mit ihrem Vater von einem be vorzugten Parkettplatze Zeugin des Triumphes ihres Dichters werden sollte. Obwohl Anatole durch diesen Liebesgruß sich für eine Weile sehr gehoben fühlte, spürte er doch bald darauf ein ganz ge wöhnliches, menschliches Gefühl des Durstes und Hunger». Kurz entschlossen betrat er eins der kleinen Restaurants am Boulevard PoissoniSre, den er eben erreicht hatte. Speise und Trank mundeten ihm merkwürdigerweise zum ersten Male wieder seit langer Zeit. Es war geradezu lächerlich, mit welchem bewun- dernswertben Appetit er sich an das FricaffSe und den Rothwein machte. Die „Henkersmahlzeit" nannte cs Anatole, und bestellte sich eine Flasche feurigen Burgunder, den er in so raschen Zügen hinunterschlürfte, daß er bald darauf eine zweite Bouteille folgen ließ. Das Local war gerade nicht überfüllt, und in dem lauschigen Labinet störte den Zecher keine Menschenseele. Anatole, der auf einmal das Bedürfniß fühlte, sich einer fühlenden Brust mitzu- theilen, lud den freundlichen Wirth des Restaurants an seinen Tisch und entwickelte vor diesem ihm aufmerksam folgenden Zuhörer seine Sittenkomödie, Scene für Scene und namentlich die Schlußscene des zweiten Actes. Diese große Scene, von der eigentlich der ganze Erfolg des Abends abhing, hatte ihm un endlich viel Mühe und Kummer bereitet. Der Regisseur und der erste Liebhaber — diese Dummköpfe! — hatten gerade diese Scene vollständig umkrempeln wollen, aber er, er — Anatole Duboc — hatte ihnen gezeigt, wie falsch ihre Auffassung war, und wie diese Scene genau so arrangirt und gespielt werden mußte, wenn es das Bühnen-Buch des Autors wirklich vor schrieb! .... Mitten in der Vorführung dieser Scene brach der Autor, der jetzt auch zum Schauspieler geworden, ab, sein Haupt sank plötzlich mit einem unartikulirten Laute hinten über. Der große Dichter war — überwältigt von seinen letzten Nacht wachen und dem Inhalte der vier Burgunderflaschen — total „abgefallen". Der joviale Wirth, der diese Katastrophe längst hatte kommen sehen, bugsirte mit Hilfe des Kellners den schwach gewordenen Dichter auf das Kanapee seines Privatcabinets, wo der zur Hinrichtung bestimmte Dichter in einen Todtenschlaf versank. Der Abend war längst hereingcbrochen, als Anatole erwachte. Der Wirth rüttelte ihn kräftig bei den Schultern: „Mein Herr, — stehen Sie auf es ist bereits neun Uhr." Der Schläfer, den die wilden Alkoholgeister kaum zur Hälfte nieder zuzwingen im Stande waren, starrte den Störenfried an. Wo war er eigentlich? Hatte seine Hinrichtung schon stattgesunöen? — oder . . . sollte??! .... Und plötzlich kam es wie eine dunkle Erinnerung über ihn. . . . Die Premiere des „osiat noir" . . . sein Lebensglück . . . Juliette! . . . Meister Pimperol! . . . Großer Gott! — Der Dichter sprang auf. Er blickte verstört vor sich hin. Dann stieß er einen markerschütternden Schrei aus und stürzte davon. Der Wirth und die Kellner, die den Flüchtigen auf halten wollten, gaben das Rennen bald wieder auf. Berauschte sind nach dem Code Irrsinnigen gleich zu achten! Unterdessen hatte im Ambigu bereits der zweite Act be gonnen. Das Stück war nicht schlecht, aber bis jetzt war > s Publicum kalt geblieben; es fehlte an Stimmung. Man lechzte förmlich nach einem erlösenden Intermezzo, das die Scenenfolge in drastischer Weise unterbrach. Plötzlich mischten sich in den Dialog der Schauspieler un verständliche Ausrufe, die hinten aus dem Parterre kamen. „Sch, — Sch! —" mahnten einige Insassen der Parkettreihen. Umsonst; der Lärm wurde stärker. Alles drehte sich um. Ein Mann, der direct aus dem Jrrenhause zu kommen schien, wehrte sich gegen die kräftigen Umarmungen, dir ihm von den Logen schließern und Saaldienern applicirt wurden. „Zum Teufel!" schrie der Besessene, „lassen Sie mich los! Ich muß auf die Bühne, die Scene ist falsch! . . . Monsieur Lcbaudin und Mademoiselle Brissot stehen ganz falsch! . . . . Ich protestire — dagegen! Ich — Pro — test —ire! . . ." Der Schluß des Protestes erstickte in dem Orkan, der jetzt im Parkett und im ganzen Hause losbrach. „Der Dichter! — Der Dichter!" schrien einige Flaneurs aus den ersten Logen. „Laßt ihn doch auf die Bühne!" Dazwischen hörte man an der ersten Parkettreihe eine jammernde Damenstimme: „Anatole! — Anatole!" Es war die unglückliche Juliette, die an dec Seite ihres Vaters dieser „Hinrichtung" ihres Geliebten beiwohnte. „Anatole! . . . Anatole!" wiederholte das ganze Haus unter Lachen. Das Gelächter nahm gar kein Ende, während der mit Händen und Füßen zappelnde, unglückliche Autor endlich mit Hilfe des Constablers herausbugsirt, und da er sich wirklich wi: ein Irrsinniger geberdete, auf die nächste Polizeiwache gebracht wurde. Das Eis war gebrochen, die Verbindung zwischen der Bühne und dem Publicum hergestellt. Anatole war gerettet; das Stück auch. — — — Als der „Hingerichtete Dichter" am nächsten Morgen in der Dctentionszelle erwachte, hatte sein schwerer Rausch glück!: ausgetobt. Dafür hatte ein Jammer ihn gepackt, der ihn bei nahe wieder der Tobsucht anheimfallen ließ. Es war kein Zweifel: er hatte sich unsterblich blamirt. Er war überhaupt unmöglich in Paris geworden: denn — Io rictieulr? Ine! . . . Anatole wurde auf seinen Wunsch nach einem kurzen Pro tokoll von der Wache entlassen und fuhr nach Hause, um sich von seiner vierundzwanzigstündigen Irrfahrt zu restauriren. Auf dem Schreibtische seiner Dichterstube lag ein kleines Couvert mit der bekannten kritzligen Damcnhandschrift Ju liettens. „Der Abschied!" murmelte der zerschlagene Dichter und erbrach zögernd das Couvert. Aber . . . was war . . . das?! „Gratulire zu dem Erfolge. . . . Papa erwartet Dich zum Frühstück . . . tausend Küsse . . ." Anatole glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen; aber an dem Wortlaute ließ sich nichts ändern. Der Dichter machte schleunigst Toilette und begab sich nach der Rue Drouot, wo ihn Juliette sofort nach einer stürmischen Umarmung in das Cabinet des Vaters zog. Meister Pimperol saß in seinem doppelten Lehnstuhl und gab dem zukünftigen Schwiegersöhne mit vertraulichem Augen zwinkern die Hand: „Junger Mann, Sie haben Talent! . . . Sie können's zu was bringen .... Sie haben Ihre Rolle als Betrunkener gestern wahrhaftig brillant gespielt. . . . War ein famoser Coup. ... Ich sehe, Sie verstehen Ihre Zeit! Reclame ist Alles!! Ich kann Sie sehr gut für mein Geschäft gebrauchen! Wir Beide wollen dem Publicum mal zeigen, was eine Harke ist!"
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