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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.06.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980601021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898060102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898060102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-06
- Tag1898-06-01
- Monat1898-06
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Gleichzeitig kämpften die amerikanischen nnd spanische» Schiffe. Tas Feuer war antzcrordcntlich heftig. Uni Uhr wnrdc das Fcuer gegen die Forts schwächer, aber gewaltiger a»f dem Schonplätze des Scckampfcs. * London, 1. Juni (Telegramm ) Eine Traht- mcldnng ans Port an Princc von gestern bestätigt, das; gestern beiSa »tiag 0 dcE » ba ei» Kampf stattgcfunden hat. Ter Kampf begann gegen 2 Uhr Nachmittags. Tas amerikanische Geschwader, das ans 14Schiffe», unter denen sich das Flaggschiff „New Nork" mit der Flagge des Admirals Lampson befand und ans zahlreichen Torpedobooten bestand, eröffnete ei» heftiges Feuer auf die Hafen-Forts, unter dem die Forts Morro, Socapa und Pnntaganda besonders litte». Gegen Zr « lUn Nachmittags schwächte sich das Tchicszcn ab. Der Kanonendonner entfernte sich mehr und mehr und verstnnuntc endlich ganz, nachdem man noch eine Zeit lang von hoher See her Schießen vernommen hatte. Ucbcr die Berlnftc von spanischer Seite ist noch nichts bekannt. Nach den letzten Nachrichten hatte man das Geschwader Schleiss, nachdem eS längere Zeit vor Santiago gelegen, am Montag von dort absegeln sehen und gleichzeitig wurde gemeldet, daß eine bedeutungsvolle Bewegung dieses Ge schwaders für bevorstehend gehalten werde, da Schlei) seit einigen Tagen mit der Regierung in Washington leb haften Depeschenwechsel unterhalten habe. Ueber die be deutungsvolle Bewegung Schleiss giebt anscheinend die folgende Meldung Aufschluß. * Washington, 3l. Mai. Admiral Schlei) gebrauchte vor dem Hafen von Santiago de Cuba die Kriegslist, seine Schiffe zurückzuziehen, als ob er beabsichtigte, anders wohin zu segeln. Dadurch bewog er den spanischen Admiral Cervera, seinen Versteckort zu verlassen. Plötzlich zurückkehrend, sah Schlei) einen Theil des spanischen Geschwaders und meldete dies nach Washing ton mit dem Bemerken: „Ich habe sie. Sie werden niemals heimkehren." Der Marinesecretair depeschirte zurück: „Laßt sie unter keinen Umständen ent wischen, vernichtet oder nehmt sie gefangen." Gleichwohl wird gefürchtet, Cervera werde entschlüpfen, da stürmisches Wetter Schlei) nöthigt, auf hoher See zu bleiben. Die Richtigkeit der vorstehenden Meldungen vorausgesetzt, wäre es den spanischen Schiffen nicht geglückt, zu entschlüpfen und Commodore Schlei) und Admiral Sampson, von dem es fälschlich hieß, er sei nach Havanna aufgebrochen, hätten ihnen den Kampf aufgezwungen. Dieser dürfte alsbald größere Dimensionen dadurch angenommen Haben, daß auch die übrigen Schiffe Cervera's sich zur Schlacht stellten, um dem abgesprengten Tbeil der Flotte zu Hilfe zu kommen und der Beschießung der Außenforts ein Ziel zn setzen- Wer in dem Kampfe Sieger geblieben ist, wird in keiner der beiden Meldungen gesagt, cS müßte denn (ein, daß die letztere, die andeutungsweise von spanischen Verlusten spricht, besagen soll, daß Cervera geschlagen sei. Aber man sollte doch, wenn die Amerikaner die spanische Flotte decimirt oder gar vernichtet hätten, annebmen, daß von Washington ausführliche Sieges nachrichten in alle Welt hinaustelegraphirt worden wären. Bedenklich ist außerdem noch Eins: Admiral Schleiss Kriegs list ist doch gar zu plump, als daß er aus dieselbe hätte verfallen, gar zu plump, als daß die Spanier, zumal ihnen auf den hohen Küstenbergen bei Santiago vortreffliche Observatorien zur Verfügung stehen, auf sie hätten hinein fallen können. Ist es doch der Fall gewesen, so ist es hohe Zeit, daß Spanien, das Kriegführen aufgiebt. politische Tagesschau. * Leipzig, 1. Juni. Die diesmalige Mahlbewegunz dreht sich nicht, wie die Kämpfe von 1893 und 1887, um eine Nothwendigkeit der äußeren Sicherheit des Reiches. Das ist behaglich. Ob es aber frommen wird, wenn in dem Wirrwarr von Kleinlichkeiten, in den die Wähler hineingestellt werden, die Rücksicht aus die auswärtige Politik, d. h. auf die Existenz bedingungen unseres Nationalstaates, vollkommen aus der Er wägung der zurUrneRufenden ausscheidet,ist eineFrage oder viel mehr keine Frage. Jedenfalls erwirbt sich die „N a t i 0 n alztg." ein nicht geringes Verdienst, indem sie durch die Veröffentlichung eines Pariser Briefes von H. Prutz daran mahnt, daß es zwischen dem Antrag Kanitz und dem Manchesterthum noch Dinge giebt, von denen sich die deutschen Staats weisen etwas träumen lassen sollten. Der genannte Schriftsteller führt sich mit gutem Recht als seit langer Zeit mit Paris wohlvertraut ein und seine Schilderungen und Betrachtungen verdienen um so mehr Beachtung, als er unmittelbare politische Wirkungen gar nicht zu beabsichtigen scheint; sein Aussatz ist im Feuilleton ver öffentlicht. Er knüpft an die weite Verbreitung und große Beliebtheit der Pariser Zeitung „Patrie" an. Herr Prutz stellt fest, daß die „Tausende und aber Tausende", die das Blatt trotz des elenden Druckes und des schlechten Papieres erstehen und schon im Gehen in ihre Lectüre sich verliefen, ihre Aus gabe unv Mühe keineswegs blos der Curiosität halber auf wenden. Eine Zeitung wie Or. Sigl's „Vaterland", das gerade von den in München lebenden Norddeutschen znr Ergötzung viel gekauft wird, ist die „Patrie" nicht. Prutz fährt dann fort: „Nicht uni dieses ziemlich platonischen Vergnügens (der phantasie vollen deutschsresserischen Behandlung des Zola-Dreyfus-Scandals) willen verschlingt der Pariser, auch der gebildete, der elegante, der vornehme, auch der im Herzen der bestehenden Ordnung gründlich abgeneigte, der resignirte Bonapartist so gut wie der mit immer wachsender Zuversicht erfüllte Royalist, zuerst und vor Allein die „Patrie". Was sie alle in diesem Blatte, das von seinem Standpunkte aus meisterhaft geleitet wird und mit geringen Mitteln eine ganz außerordentliche Wirkung hervorbringt, so un widerstehlich anzieht, das ist in erster Linie sein unversöhnlicher, wahrhaft fanatischer Haß gegen alles Deutsche und die — man kann kaum anders sagen — fast rassinirte Erfindungsgabe, mit der er ihn in immer neuen Gestalte», bei den überraschendsten Gelegenheiten und mit dem bei Len meisten seiner Leser deö Erfolges immer sicheren Brustton der heiligsten patriotischen Ueberzeugung an den Mann zu bringen weiß. Ich würde mit dem Preßgesetz in mehr als einer Richtung in den übelsten Conslict zu gerathen sicher sein, wollte ich es unternehmen, hier auch nur einige — und noch lange nicht die saftigsten von den Lcsefrüchtcn zum Besten zu geben, die ich nur im Lause dieser letzten Wochen ans der „Patrie" habe sammeln können, und ich habe zuweilen das Gesühl gehabt, als ob selbst dem patriotischen Franzose», wenn ihm auch nur noch eine Spur von internationalem Anstandsgefühl geblieben ist, die Scham- röthe hätte (!!) ins Antlitz steigen müssen «aber nicht steigt. D. Red.) bei der Lektüre der nicht wiederzugebenden Ausdrücke, in denen da von unserem Kaiser, von dem Prinzen Friedrich Karl — aus Anlaß der Enthüllung des ihm in Metz errichteten Denkmals — und mit am ärgste» natürlich von dem Altreichskanzler ge sprochen wurde und noch täglich gesprochen wird. Das war früher nicht entfernt in demMaße derFall, selbst nicht in der Zeit der durch die leidige Schnäbele-Afsaire erzeugten mächtigen und bis zu einem gewissen Grade drohenden Erregung. So aber sieht es nicht allein in der sensationslustigen Tagespreise aus, der man es ja noch zur Noth nachsehen könnte, wenn sie mit etwas allzustarken Mitteln arbeitet, uin des er strebten Erfolges sicher zu sein. Man mustere einmal die Aus lagen der Pariser Buchhändler, nicht der Winkelgejchäfte und Zeitungskioske, wo die allerordinärsten, sonst kaum irgendwo sichtbaren Caricaturblätter, deren Zahl in Paris Legion ist, vornehmlich dann immer neue Gruppen von Schaulustigen um sich versammeln, wenn sie sich in Len denkbar Plumpesten und dabei meist recht witzlosen Verhöhnungen preußischer und deutscher Personen oder Zustände ergehen, — sondern die Auslagen der den ganzen Tag von Leuten besten Standes dicht um standenen Librairien an den großen Boulevards, in der Avenue de l'Opera und auch drüben in dem Gelehrtenviertel am Boulevard St. Gerinaiu und nach der Sorbonne zu, und man wird sich der Erkenntniß nicht verschließen können, daß eine umsängliche, den ver- schiedensten Gebieten angehörige und die wechselndsten Formen wählende Literatur ununterbrochen und systematisch an der Arbeit ist, die Franzosen mit Deutschenhaß zn erfüllen und immer weitere Kreise davon zu überzeuge», daß solchen zu hegen und zu nähren nicht nur einer patriotischen, sondern einer moralischen Pflicht genügen heißt. Und auch La gilt der Satz, daß der Tropfen den Stein höhlt! Es ist nicht zu verkennen, daß auf diesem Gebiete gegen früher schon beträchtliche Fortschritte gemacht sind. . . . Auch die plumpste Borspiege- lung angeblicher besonderer Wissenschaft imponirt der Masse der Leser und verleiht auch den handgreiflichsten Lügenmärchen wenigstens eine ephemere Autorität. Man werfe einen Blick in solche Mach werke, wie Hoche's „Lünuarck intime", oder gar in eins wie „üuillaume II. iutims". Man sehe weiter, wie in einer „Biblio thek", die — echt französisch — alle 'menschlichen lasterhaften Ver irrungen mit verführerisch breiter Behäbigkeit ausführlich schildert und durch Illustrationen veranschaulicht, in dem das Allerwider wärtigste behandelnden Bande dies bereits aus dem Titelblatt mit großen Buchstaben als „Io viee allemanck" bezeichnet wird. Diese Beispiele ließen sich leicht vermehren, aber sie werden wohl genügen. Daß ähnliche Gesinnungen, wie sie in den an- geführten Thatsachcn zu Tage treten, seit deni Kriege in gewissen Kreisen des französischen Volkes immer vorhanden gewesen sind, n: gewiß. Aber ebenso gewiß ist, daß sie sich früher nicht in dem Maße wie jetzt an die Oessentlichkeit wagten. Daraus, daß sie das jetzt nickt blos ungestraft, sondern mit so viel unverkennbarem Beifall ihn», wird man ja nun freilich nicht schließen dürfen, daß die Gesamnnbcir oder auch nur die große Mehrheit der Franzosen so denke. Daran' kommt es im Hinblick auf dieZukunst auch gar nicht an. Es genügt, daß die Parole ausgegeben ist, zu der sich im ent scheidenden Augenblicke Alle bekennen. Denn Paris — und das ist doch noch immer ausschlaggebend für Frankreich überhaupt - ist in allen entscheidenden Krisen in der Hand einer Minorität gewesen, auch einer verschwindend kleinen Minorität, so bald diese nur recht zu schreien, im Namen der Gesammtheit zn sprechen und diese bei dem Versuche, ihre abweichende Meinung geltend zu machen, gebührend einzuschüchtern und zu terrorisircn verstand. Und das hat sie bisher immer noch meisterhaft ver standen und wird es im entscheidenden Augenblick auch wieder verstehen! Hier liegt eine große Gefahr, die auch von einsichtigen und unbefangen urtheilenden Fran zosen nicht in Abrede gestellt wird. Niemand wird ja im Ernst der Meinung sein »vollen, Laß jene Ausbrüche wüstesten Deutschenhasses, von denen oben Beispiele angeführt wurden, wirklich der Gesinnung des besitzenden und gebildeten Mittelstandes, auch nur in Paris, entsprächen. Aber auch dieser läßt sie unwidersprochen passiren; er erweckt den Schein der Zustimmung durch" ein Schweigen, das zu brechen er nur deshalb vermeidet, weil er dadurch in den zur Zeit nicht ungefährlichen Verdacht eines Mangels an dem rechten Patriotismus zu kommen fürchtet, und diese Leute werden, wie es ihre Vorgänger bei solchen Gelegenheiten immer gcthan haben, auch dann schweigen, wenn vielleicht dereinst auf irgend einen ganz unbedeutende» Zwischenfall hin jene terroristische Minderheit aus ihrem Deutschenhaß die praktischen Conseqnenzen zu ziehen versuchen wird." Diese Darstellung enthält zwar nichts Neues, aber etwas, WaS nicht nur bei dein bequemen Publicum, sondern auch an verantwortlichen Stellen in Vergessenheit gerathen zu wollen scheint. Wir finden ihre Veröffentlichung be sonders dankenswerth, weil der nach den Pariser Erleb nissen der Kaiserin Friedrich doppelt unverzeihliche Fehler der Zusage der Bctheiligung an der „Weltausstellung" von 1900 begangen worden ist. Dieser falsche Schritt wird nicht mehr zurückgethan werden, kann eS vielleicht auch nicht. Aber cS ist wohl nicht zu früh, davor zu warnen, daß die „verschwindend kleine", aber „in allen entscheidenden Krisen ausschlaggebende" Pariser Minorität in die Lage versetzt werde, Deutschland in seinem obersten Repräsentanten zu beleidigen. Für einen französischen König war Paris eine Messe Werth, für einen Kaiser des neuen deutschen Reicher darf das Vergnügen einer Fahrt über die Boulevards keinen Krieg werth sein. Wie der Telegraph bereits gemeldet hat, hat die ständige Deputation des deutschen JnrtstcntageS beschlossen, den dies jährigen Tag vom 12. bis zum 14. September in Posen abzuhalten. Damit ist einem Wunsche entsprochen, der von den deutschen Juristen der Ottmarken schon wiederholt aus gesprochen worden war. Es wäre überhaupt wünschenSwertb, wenn Tage von ähnlicher, für die gesammte deutsche Bc Feuilleton. Zanitlitsraths Türkin. lOj Eine Kleinstadt-Geschichte von Klaus Rittland. Nachdruck verboten. „Freuen Sie sich nicht zu früh", entgegnete er ein wenig plump. „Das Streben finde ich anerkennenswerth; an den Erfolg glaube ich nicht. Davor, daß der Natur Gewalt ange- than und die Frau ihrem Beruf als Gattin und Mutter ent fremdet werden könnte, bangt mir nicht. Die Natur ist viel zu mächtig, aber ich traue dem Weibe nicht im Entferntesten die Kraft zu, am Wettkampf des Mannes im geistigen und socialen Leben theilzunehmen; es steckt zu tief, es wurzelt zu fest in der niederen Natur, ist viel zu abhängig — ach, ich kann Ihnen das wirklich nicht so genau auseinandersetzen." — Jndschi schwieg. „Es ist eine Art Bosheit von mir, wenn ich alle Frauen- emancipationsbestrebungen gutheiße", fuhr er mit einem eigen- thümlichen Lächeln fort, „durch jeden Erfolg, den die Frauen auf diesem neuen Feld ihres Ehrgeizes erringen, werden sie ungefährlicher — und ich fürchte die Frauen." „Das ist mir nicht ganz klar", entgegnete sie; „drücken Sie sich, bitte, deutlicher aus." Er wurde verlegen. Ja, er konnte ihr wirklich nicht das Alles erklären, was er in dem Weibe, in der echten unverfälschten Evastochter, fürchtete, ihren Einfluß auf das bessere Selbst des Mannes durch die Sinne und die kleinen Lebensinteressen, ihr elementares Hassen und Lieben, ihre Spielsucht — diese schänd liche Spielfucht aus Eitelkeit und Gedankenleere —; seine Er fahrungen in diesem Puncte hatten ihn bitter gemacht; besonders die eine — wie deutlich sah er sie vor sich noch heute nach acht Jahren, die reizende Gräfin mit dem blaffen feinen Gemmen- Gesichtchen, die er damals in Wildungen kennen gelernt, gleich nach seiner schweren Krankheit — er hatte sie für ein selbstständiges, alleinstehendes, junges Mädchen gehalten —, sie hatte sich in dem kleinen Bade gelangweilt und irgend etwas an dem jungen bürgerlichen Architekten hatte sie gereizt und da hatte sie ein bischen „unbezwingliche Leidenschaft" mit ihm gespielt, so na türlich, daß er, der von Frauen nicht Verwöhnte und doch so heiß nach Liebe Verlangende, die ganze Welt darüber vergessen, und kurze Zeit darauf war sie ihm in Berlin begegnet, in Schultes Kunstausstellung, mit einer großen vornehmen Gesell schaft, an der Seite ihres Gatten und ihrer zehnjährigen Tochter! „Ein Reisegefährte", hatte sie ihn ihrem Manne vorgestellt; „sehr angenehm", hatte der genäselt — und dann waren sie sehr bald verschwunden, im nächsten Saal. Der „Reisegefährte" aber war Wochen, Monate lang unfähig zur Arbeit gewesen, müde, angeekelt vom Leben! Ach, dumm, daß er gerade jetzt daran denken mußte! — Als in diesem Moment der dicke Assessor Jndschi zur Quadrille ab holte, war cs Fritz Olfcrs ganz recht. Kaum aber war der Tanz zu Ende, da schlüpfte sic wieder zu ihm in den Hinterhalt. „Es giebt aber doch eine ganze Menge Frauen", nahm sie das vorige Gespräch wieder auf, „die durch ihre Thätigkeit bewiesen haben, daß sie wohl werth und fähig sind, an der Culturarbeit in großem Maße theilzunehmen —" und indem sie ihren Verkehr mit Estrid Lornsen schilderte, entwickelte sie feuereifrig ihre von der jungen Norwegerin aufgenommenen Ideen. Er beobachtete sie dabei voll Interesse. Wie konnte sie sich begeistern, wie blitzten ihre Augen, wie rötheten sich die Wangen! „— Ich glaube ja gern Alles, was Sie mir da erzählen", meinte er dann, „gewiß giebt es starke Frauen, die sich mit den Ellbogen durchs Leben schieben, aber es ist nicht die Regel und — glauben Sie etwa, daß Sie selbst dazu gehören?" „Ich hoffe es", antwortete sie bestimmt. „Ach Gott —", er schüttelte zweifelnd den Kopf; ein plötz liches heftiges Mitleid erfaßte ihn; am liebsten hätte er sie fest in seine Arme geschlossen; sie kam ihm so hilfsbedürftig vor — so gefährdet, mit ihren kühnen Ideen. „Und auf einmal ergriff er ihre herabhängende Hand. Sie zuckte zusammen, aber sie ließ es geschehen. In diesem Moment schaute sich die vor dem Baumeister sitzende Justizräthin um und stieß kichernd ihre Nachbarin, die Frau Amtsrichter, mit dem Arm an. Fritz bemerkte es und ließ die Hand los. „Ach, dort kommt der Baron Romin auf uns zu", sagte er bedauernd, „er will Sie gewiß zum Tanze entführen — seien Sie müde, bitte, ja? — Sehen Sie, ich bin doch expreß von Hamburg gekommen und hatte mich so sehr darauf gefreut —" den Schloßumbau hatte er ganz vergessen. Und Jndschi war „müde", als der Ströbenhagener kam. Er ließ sich aber nicht so leicht abweisen. „Nun, dann sehe ich mich einstweilen mit zu Ihnen. — Ach, sehen Sie doch nur einmal den Amtsrichter — der tanzt ja heute ununterbrochen, wie der jüngste Lieutenant." Jndschi schaute lachend auf. Der Genannte blieb soeben keuchend, außer Athem, vor seiner Gattin stehen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Du scheinst Dich ja vortrefflich zu amüsiren, lieber Elimar", meinte diese. „Ach was, amüsiren", keuchte er — „diese unausstehliche Frau Senator Jürgens ist an Allem schuld. Besteht sie darauf, daß ich mich bei Tische mit ihr an die lebensgefährliche Ecke setze, wo man den Zug von drei Thüren bekommt. Natürlich ist nun bei mir der Gelenkrheumatismus im Anzuge und als einzige Rettung bleibt mir nur, mich halbtodt zu tanzen, damit ich tüchtig in Schweiß komme — darf ich bitten — zum Galopp, Fräulein Dräsel? —" „Er tanzt doch wirklich noch sehr nett, Ihr Herr Gemahl", bemerkte die Mutter der jungen Dame, dem fortgaloppirenden Paare nachschauend. „Ach, übrigens", fuhr sie dann fort, „daß ichs nur nicht vergesse: ich muß morgen meinen Puter für Sonntag abbestellen. Sie wissen ja, verehrte Frau Amts richter, daß ich ein kleines Fest geben wollte, aber nun natürlich — die Borstewitz hat sich doch derartig benommen —" „Ja, selbstverständlich, nun können Sie die Familie nicht einladen —" „Diese Fehde ist ja klassisch", flüsterte Romin seiner Nach barin zu, „und Sie haben sich hier einen charmanten Platz aus gesucht, da kann man so ungenirt beobachten —" Und er blieb fortan neben Jndschi sitzen. Mit der schönen Einsamkeit zu Zweien war es vorbei. Mitternacht kam heran. Da nahte sich Herr v. Langfaden. „Gnädiges Fräulein, Ihr Herr Onkel wurde vorhin plötzlich abgerufen und hat Sie mir anvertraut; ich soll Sie Heimgeleiten, also sobald Sie wünschen —" „Ich denke, es ist Zeit", sagte Jndschi sich erhebend. „Aber es hat so geregnet, die Wege sind unpassirbar, die Herrschaften gestatten doch, daß ich Sie nach Hause fahre?" sagte der Baron. „Mein Wagen steht vor der Thür. Zwar nur ein offener Jagdwagen — ich lasse mir gern auf der Heimfahrt von Bällen den Wind um die Ohren wehen! — aber Sie kommen doch trockenen Fußes nach Hause!" Jndschi nahm den Vorschlag dankend an. Als sie dem Baumeister die Hand zum Abschied reichte, war sie betroffen über dessen finsteres Gesicht. „Also Sie reisen morgen schon in aller Frühe ab?" fragte sie ihn. „Ganz früh. Ich wollte, ich wäre überhaupt nicht gekommen", brummte er vor sich hin, als er von Weitem zusah, wie der Baron Jndschi in seinen Wagen half. Auf einmal war ihm die Mze Freude verdorben. — Sorglich legte Romin dem jungen Mädchen die weicbe ge tigerte Pliischdecke über die Knie; dann nahm er ihr und Lang faden gegenüber auf dem Rücksitz Platz. In flottem Tempo sauste der leichte Jagdwagen über das holprige unebene Klützower Pflaster. Es ging heute ungewöhnlich lebhaft zu auf den sonst so grabesstillen nächtlichen Kleinstadtstraßen. Be sonders eine Rotte angetrunkener Burschen, welche die Straße heraufgezogen kam, Fackeln und Papierlaternen an Stöcken tragend, johlend und patriotische Lieder singend, machte sich unangenehm bemerklich. „Achten Sie auf die Pferde, Franz", rief Romin dem Kutscher zu. Franz nahm die Zügel straffer. Ein anderer Kutscher aber, dessen Gefährt soeben an dem johlenden Fackelzug vorüber Romin's Jagdwagen entgegenfuhr, schien nicht Acht gegeben zu haben. Als die Betrunkenen mit lautem „Hurrah" auf den Wagen zutaumelten, sprangen die Pferde erschrocken bei Seite, bäumten sich, ein heftiger Tumult entstand; der Kutscher, der wohl auch zu Ehren von Kaisers Geburtstag ein Glas über den Durst getrunken hatte, hieb wie unsinnig aus die Thiere ein, da wurde er durch einen plötzlichen Ruck vom Bock geschleudert, die Pferde gingen durch, in rasender Geschwindigkeit sauste das Gefährt die Straße hinunter auf Romin's Wagen zu. Jndscbi hatte noch kaum bemerkt, was vorgefallen war, da hörte sic plötzlich einen Schreckensruf. Jemand packte sie mit starker Hand und riß sie nach vorn, ein Krach, Geschrei, wildes Durch einander, der fremde, führerlose Wagen war in den Jagdwagen Romin's hineingefahren, grade auf die Stelle, wo Jndschi vor her gesessen, war mit aller Wucht die Deichsel hineingestoßen und hatte die Rückwand stark beschädigt. Die durchgeqangenen Pferde standen jetzt, der Kutscher kam herbeigelaufcn, ein dichter Menschenknäuel sammelte sich um die Unglücksstättc. Die In fassen stiegen aus den beiden Wagen, der Schaden wurde unter sucht, die beiden Kutscher sagten sich die üblichen Grobheiten und dann wurde die Fahrt fortgesetzt. Jndschi zitterte noch lange vor Erregung, ebenso der Herr Lieutenant. „Herrgott, ich mag es gar nicht ausdenken", wiederholte er immer von Neuem, „denken Sie doch nur, die Deichsel wär' Ihnen gerade in die Brust gefahren. Sie armes Kind, wenn der Baron nicht so viel Geistesgegenwart gehabt hätte." „Nun, wir wollen froh sein, daß Alles so gut abgelaufen ist", sagte Romin. Seine Stimme klang etwas gepreßt. „Sie sind doch nicht verletzt?" fragte Jndschi besorgt. „Ein kleiner Stoß in die Seite, hat gar nichts zu sagen", antwortete er leichthin, und der Herr Lieutenant erging sich in ausführlichen Berichten über all die Fälle aus seiner Erfahrung, wo auch irgend Jemand ganz oder beinahe durch Earambolage mit einem anderen Wagen verunglückt war. Vor dem Hause des Sanitätsrathes stieg er mit Jndscbi aus und Romin setzte seine Fahrt allein sort. Sobald er sich
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