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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.05.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-05-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189805299
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18980529
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18980529
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-05
- Tag1898-05-29
- Monat1898-05
- Jahr1898
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.05.1898
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Die Streit kräfte Spaniens und Amerikas beginnen die durch die letzten großen Kriege an geschwinde Entscheidungen oder doch an rasches gewaltiges Blutvergießen gewöhnte Welt allmählich zu langweilen, eine Feststellung, die übrigens kein Compliment für eben diese Welt sein soll. Aber die Cbarakterisirung des Philisters, wie sie in dem Oster-Auftritt deS „Faust" geschieht, bleibt ewig richtig, und die hohe Schule der Politik, durch die Bismarck das deutsche Bolt zwängte, kann nicht verhindern, daß es auch bei uns nur allzu zahlreiche Leute giebt, die, vielleicht nach Anhörung einer Predigt über die Internationale»! der Bedeutung deS Pfingsten, die Herren Sampson und Cervera als faule Schuldner anklagen, weil sie nicht für das erlesene Feiertagsvergnügen gesorgt haben. Diese guten Leute könnten ja zu Hause, angesichts der Wahlen, politische Motionen suchen, aber daS ist, bis jetzt wenigstens, vermieden worden. Die gegenwärtige Wahl bewegung entbehrt wie keine frühere im deutschen Reiche der Leidenschaftlichkeit, und das mag gut sein. Es fehlt ihr aber auch an Frische und Kraft. Die „National zeitung" hat zwar Recht, wenn sie ihr neben Schlaff heit Erbitterung nachsagt, aber die Erbitterung finvet sich nur bei gewohnheitsmäßigen und berufsmäßigen Partei politikern, die Massen sind nicht ergriffen. Die geschlossene Legislaturperiode hat keine große Frage hinterlassen, eine solch« auS dem politischen Wirrwarr herauszuschälen, fehlt der Muth, und die Herabdrückung seines Ansehens, die sich der Parlamentarismus hat zu Schulden kommen lassen, thut das Uebrige. Die Wellen, die die Bewegung leicht treibt, sind nur Schmutzwellen, für sie sorgen Centrum, Socialdemo kratie und Freisinn reichlich. Aber am Pfingstfest giebt es Besseres zu thun, als sich mit häßlichen Erscheinungen zu beschäftigen. DaS Erheiternde jedoch paßt für diese Tage. Zu diesem Capitel gehört vor allen Dingen der ewige Landfrieden, den die freisinnige Bolkspartei und die freisinnige Bereinigung auf drei Wochen und nicht unbedingt geschloßen haben, nachdem Herr Richter Alles, was er im Unfrieden für sich durchzusetzen gewillt war, erreicht hatte, erreicht freilich nur in Bezug auf Candidaturen; ob hin- sichtlich der Mandate seiner Taktik der gewohnte Mißerfolg untreu wird, wird man ja sehen. Inzwischen amusirt sich der große Staatsmann mit der Erfindung von Spitznamen für Nationalliberale. Professor Paasche z. B. sigurirt seit einiger Zeit täglich in der „Freis. Ztg." als „Junker Paasche". Diesen Herrn, wie wir ihn kennen, läßt die Bezeichnung gleichgiltig. Aber sie ist doch nnr ersonnen, um das warme Eintreten des nationalliberalen Politikers für die Landwirth- schaft al» ein im Interesse eines Standes, also aus Eigen sucht bewirktes hinzustellen. Herr Richter, der oolkSpartei- liche Führer, ist der Mann der Börse, der Verfechter ihrer auck von Börsenbesuchern als solche anerkannten Auswüchse. WaS meint er zu einer ständigen Artikelüberschrift: „Jobber Richter" ? Zu den erheiternden Erscheinungen der Wahlbewegung darf man auch die unausgesetzten Anstrengungen des Cen trum S rechnen, die Masse durch Erfindung von Gefahren für das Reich stagSwahlrecht bei sich zu halten. Be lustigend ist die Sache freilich nur, weil sie die Zugmittel- Armuth der mit ihrer politischen Vollsaftigkeit prahlenden Partei zeigt. Subjektiv stellt sich der klerikale WahlrecktS- Schwindel als eine Gewissenlosigkeit dar, wie sie größer nicht gedacht, aber allerdings vom Centrum erwartet werben konnte. Herr Bachem hat 1892 auf einem „Katholikentage" erklärt: „Wir (die Centrumsmänner) sind alle Jesuiten." Jetzt bringt er für seine Person, ganz unnöthigerweise, den Beweis. Schon die Wendung: „Es besteht und hat bestanden" (eine Staatsstreichsabsicht) mit ihrer unzweifelhaften Hintansetzung der Vergangenheit hinter die Gegenwart verräth den Mann, der sich bewußt ist, etwas zu sagen, was er später möglicher Weise zn verleugnen sich gezwungen sehen wird. Und ein flußreiche Minister sollen den Staatsstreich ernsthaft erwogen baden. Was und wer einflußreich ist, darüber kann man immer streiten. Der Begriff der Erwägungen ist auch dehn bar und der der Ernsthaftigkeit erst recht. Warum sagt Herr Bachem nicht, wer, wie und wo? Anders als durch seine Reden kann man auch nach Entdeckung der Röntgenstrahlen von Erwägungen eines Andern keine Kenntniß erlangen. Also, wie beißen die einflußreichen Minister und was haben sie gesagt? In den anderen „einflußlosen Kreisen", in denen Herr Bachem noch „Erwägungen" eines Staatsstreichs „gehört" haben will, mag er ja vielleicht ein gelegentliches Wort erhorcht haben, das politisch eben so viel Werth war, wie die in einer Reichstagscommission gethane Aeußerung seines Fractionsgenossen Lingens, der Unterofsicier sei ein Stell vertreter Gottes auf Erden, oder eine im Jahre 1890 im Foyer des Reichstages von einem Centrumsmann zu «»deren CevIrmnSlrvte« gemachte und von diesen zu stimmend angehörte Bemerkung: „Die Aufpäppelung der Socialdemokratie durch uns muß jetzt aber einmal aufbören!" Ehrenmänner verwerthen solche hingeworfenen Worte nicht, aber Ehrenmänner sind sie eben nicht alle. Angehörige des deutschen Buchhandels liefern einen neuen Beweis für die Rührigkeit ihrer Branche, indem sie allerhand illustrirte Werke zum zehnjährigen RegierungS- „Jubiläum" des Kaisers zum Kaufe oder zur Sub- scription anbieten. Diese Unternehmungen erregen, obwohl von einem derselben sogar ein namhafter Üniversitätsprofessor als Betheiligteraufgeführtwird, vernicht einmal Oncken heißt und überhaupt kein Historiker, sondern ein Nationalökonom ist, als rein geschäftliche kein öffentliches Interesse. Da aber der Vicepräsident des preußischen Staatsministeriums vr. v. Miquel kürzlich in einer zu Köln gehaltenen Rede sehr deutlich dazu aufgefordert Hal, den Abschluß jener zehnjährigen Regierungsperiode als ein historisches Ereigniß anzusehen und zu behandeln, so wird wohl die Erinnerung gestattet sein, daß Kaiser Wilhelm I., wie übrigens noch mancher andere aus gezeichnete Deutsche, sich sehr kritisch über das Begehen von selbst — 25jährigen AmtSjubiläen geäußert hat und daß der erste Kaiser die Vierteljahrhundertfeier seiner Regierung, obwohl er sie im bochgereiften Alter angetreten und mit unbeschreiblich großen Thaten erfüllt halte, nicht gerade freudig über sich ergehen ließ. Wie die „Nationalztg." mittheilt, arbeitet der Propst Renkawitz in dem polnischen Städtchen Usch und dessen Umgebung auf das Eifrigste und Hartnäckigste an der Polonisirung der dortigen Deutschen katholischen Bekennt nisses. DaS ist nichts Merkwürdiges mehr. Aber das Berliner Blatt kann hinzufügen: „DaS agitatorische Treiben deS polnischen Propstes hatte schon vor Jahren Unfrieden im Orte gestiftet. Um Verhältnissen, die unhaltbar geworden waren, ein Ende zu machen, wurde ein Ueber- einkommen dahin getroffen, daß sowohl der evangelische Geistliche, der dem Gegner den Widerpart hielt, als dieser selbst versetzt werden sollten. Während in Bezug auf den protestantischen Pfarrer der Abkunft gemäß verfahren wurde, blieb Propst Renkawitz — nun mehr der Hecht im Karpfenteiche. Ja, er ist in der Lage, jetzt seinen Einfluß nachhaltiger denn je geltend zu machen, weil ihm seit einigen Jahren die Aussicht über den katholischen Religions unterricht, die ihm längere Zeit entzogen war, zurückgegeben worden istl" Danach bat die preußische Regierung durch die Uebertragung der Aufsicht über einen Theil deS Unterrichts an den polnischen Propagandisten nicht nur dessen Treiben ignorirt, sondern sogar den, der Darstellung der „National-Ztg." zufolge, auch sittlich anfechtbaren Bruch eines Uebereinkommens gebilligt. Uns bestärkt dieses Stückchen in dem Verdachte, von dem uns die schönsten Reden und Verfügungen niemals ganz loS- machen konnten, daß nämlich in der Polenpolitik der neue Curs, wenn man ihm „auf die Haut kommt", der — neue CurS geblieben sei. Transatlantische „Freiheits"-2deale. -<>. DüS erbitterte Ringen,das zwischen Spanien und den Ver einigten Staaten von Nordamerika um die Perle LerAntillen.das von derNatur verschwenderisch bedachte Cuba, angehoben hat, ist, woran wohl Niemand mebr zweifelt, zunächst als eine Folge der Machenschaften gewisser wirthschaftlicher Gruppen der großen nordamerikaniscken Republik anzusehen, denen die An gliederung des reichen Eilandes, d. h. die Annexion der kost baren westindischen „Zuckerdose", ungeheure finanzielle Vor theile bringen würde. Diese Kreise waren es, welche durch geschickte Bearbeitung der öffentlichen Meinung und ihrer Macher es verstanden, ihre sehr private Cuba-Specu- lation als eine Sache der Allgemeinheit hinzustellen und ihren büchst egoistischen Motiven den Mantel der Humanität umzubängen und sie mit der Flagge der Freiheit zu decken. Allein nie wäre es zu einer nordamerikanischen Intervention auf Cuba gekommen, wenn die Cubaner nicht selbst für eine solche empfänglich gewesen wären, wenn sie nicht selbst nach einer solchen geradezu gerufen hätten. Sie thaten es freilich nicht im Sinne der nord amerikanischen Jingos, die aus Cuba ein seiner Selbst verwaltung beraubtes Anhängsel der Union machen wollen, sondern getrieben von dem glühenden Wunsche, sich von dem spanischen „Mutterlande" loszureißen und eine eigene autonome Republik nach dem Muster der süd- und mittel amerikanischen Staaten aus den Trümmern spanischer Herr schaft erstehen zu lassen. Niemand wird es den Cubanern verdenken, wenn sie un zufrieden mit dem spanischen Regime sind, wenn sie empört sind über die unverantwortliche Wirtschaft der „Colonisatoren" ihrer schönen Insel, eine Wirtschaft, die Jahrhunderte lang in nichts bestand, als in einer scrupellosen Aussaugung deS Landes undseinerBcwohner, daS gut genugwar, den Söhnen der reichen Madrider Granden fette Sinecuren zu gewähren. Allein es fragt sich, zumal da jetzt die Gewährung einer weitgehenden Autonomie auf Cuba und dieCinführunggründlicher Reformen doch nur noch eine Frage kürzester Zeit sein kann, ob die Aufständischen nicht besser täten, auf ihre republikanischen Träume zu verzichten. Nach den letzten Nachrichten sollen sie ja auch zu erneuten Verhandlungen mit den Spaniern bereit sein. In der That das Ideal von RepublikaniSmus, das sie im Süden und Westen unmittelbar vor Augen haben, ist nicht dazu au- gclban, es begehrenswert erscheinen zu lassen, und es wird sich bei ihnen nicht nm ein Jota imponirender, ja vielleicht noch in abschreckenderer Gestalt als dort verkörpern. Die mittel- und südamerikanischen Staatengebilde, waS sind sie säst durchweg anders als Zerrbilder von Republiken, die, von einer Revolution in die andere geworfen, nie zu politischer Ruhe, nie zu wirtschaftlicher Erholung und Kräftigung gelangen können! Sie sind ein Spielball in den Händen ehrgeiziger und beutegieriger Gewalthaber und was das Schlimmste ist. Recht und Gesetz sind Dinge, die meist nur auf dem Papier stehen, aus denen die Inhaber der Macht und des Reich tums vielfach machen können, waS sie wollen. Erst vor Kurzem wurde in den Blättern darauf hingewiesen, daß namentlich auch Deutsche aufö Schwerste unter dem Willkürregiment jener Republiken zu leiden haben. Zwei crasse jüngst in Brasilien vor gekommene Fälle waren namhaft gemacht: di« un erhörte Freisprechung der Banditen, welche den deutschen Lehrer Rot in Palhoca im Staate Santa Cattarina aufs Schrecklichste mißhandelt hatten, und die Frei sprechung der Mörder des Deutschen Ludwig Adam in Curi- tyba durch die Geschworenen. „Durch Vorkommnisse, wie diese Freisprechung, müssen die ohnehin schon äußerst schwachen Rechtsbegriffe verwirrt werden. Der letzte Funken von einer Rechtsvorslellung wird dadurch hinausgetrieben und der Mord hat seine gesetzliche Sanctiou erhalten." So schrieb im be greiflicher Empörung der „Beobachter von Curityba", als der Freispruch der Geschworenen bekannt wurde. Aber man würde fehlgehen mit der Annahme, daß etwas Derartiges nur in Brasilien geschehen könnte. In den kleinen südamerikanischen Duodez-Republiken ist es noch hundert mal schlimmer, und auch in Mexiko, der gewaltigen central amerikanischen Rupublik, der zweiten wirtschaftlichen Groß macht der neuen Welt, die gleichfalls das spanische Joch abgc schüttelt, bleibt noch immer Vieles zu wünschen Übrig, wenn auch unter dem langen Regiment« eines Porfirio Diaz die Um die Erde. Reifebrief« von Paul Lindenberg. Nachdruck vnloien. Die fremden Gesandtschaften. — In der deutschen Gesandtschaft. — Energisches Vor gehen. — Chinesische Diplomatenkniffe. — Versuche Li-Hung-Chang'S. — Der Original- Vertrag von Kiautschau. — Von allerhand Bestechungen. — Ueble Vorbedeutungen. Peking, 15. März. Der Gesandtschaftsstraße habe ich schon in meinem ersten Bericht mit der Schilderung unserer Ankunft in Peking Er wähnung gethan, in ihr finden wir neben der deutschen Gesandt schaft diejenigen Italien», Frankreichs, Japans, Spaniens und der Vereinigten Staaten, während die England» und Belgiens etwas entfernter liegen. Die Herren und Damen dieser Ge sandtschaften halten untereinander einen ziemlich regen, freund schaftlichen Verkehr aufrecht, sie sind ja auch völlig auf sich angewiesen, da außer ihnen und den verhältnißmäßig wenigen Beamten der Kanzleien nur ein paar Europäer hier leben. Während der Wintermonate geht es gesellschaftlich ganz lebhaft zu, Nachmittagsempfänge, Diner» und Abendgesellschaften folgen sich, man unternimmt gemeinsame Spazierritte in die Umgebung, die Herren treffen sich in dem kleinen Club, der eine recht gute Bibliothek hat und in dessen Lesezimmern vielerlei Zeitschriften in fast allen europäischen Sprachen ausliegen. Während der schwülen Sommermonate ziehen die Familien der Gesandten in nahe gelegene Tempel, um den furchtbaren Aus dünstungen und dem grauenhaften Staub der Kaistrstadt zu entgehen; wenn irgend möglich, werden auch einige Wochen Ur laub im nahen Japan verbracht. Bezeichnend für die Zustände in Peking und für die Winzigkeit der europäifchen Colonie ist es, daß hier nicht einmal eine Apotheke nach europäischem Muster besteht; der französische und englische Arzt — nach einem deutschen sieht man sich vorläufig noch vergeblich um, es wird aber ein deutscher Stabsarzt für unsere Gesandtschaft demnächst erwartet — halten die nöthigsten Arzeneien vorräthig, die übrigen müssen au» Tientsin verschrieben werden und können, wenn Alle» gut geht, nach zwei Tagen in Peking anlangen! Daß feiten» der eleganten und verwöhnten Damen, die wir in den Gesandtschaften treffen und die an der Seite ihrer Gatten in bevorzugter Stellung in den ersten europäischen Haupt städten gelebt, die ihre Loge in der Pariser Oper, ihre Corso- fahrten in Rom, ihre Promenaden auf dem Wiener Ring, ihre Festlichkeiten im Kaiserschlosse zu Berlin, ihre feierlichen Vor- ptllungen b«i der greisen englischen Königin gehabt, daß sie oft nach einer Veränderung, nach einer Rückkehr in die euro päische Welt seufzen mögen, wer kann es ihnen verdenken! Das eigene Heim vor Allem muß für Vieles eine Ent schädigung bieten. Wie sehr hat es unser deutscher Gesandter, Baron von Heyking, der seit anderthalb Jahren hier das deutsche Reich vertritt, im Verein mit seiner schönen, klugsinnigen und künstlerisch reich begabten Gemahlin verstanden, seine Wohnstätte mit dem erlesensten Geschmack, mit den kostbarsten kunstgewerb lichen Schätzen Europas, Indiens und Chinas auszustatten! Wohin das Auge blickt, trifft es auf prächtige alte Möbel, herrliche Stickereien, auf seltene Bronzen, schöne Waffen, von Meisterhand geschaffene Gemälde, und Alles paßt zusammen und macht einen vornehm-wohnlichen Eindruck. Aber am sym pathischsten wirken doch die beiden Bewohner selbst, er, der hochgewachsene blonde Mann, der in seiner männlich-stolzen Er scheinung uns wie ein Bild aus nordischer Heldenzeit erscheint, und neben ihm seine zarte, von bestrickender Anmuth umgebene Gattin, eine Enkelin Bettina von Arnim's, erfüllt mit enthu siastischem Eifer für Malerei und Dichtkunst. Ein Ehepaar, das sich in harmonischster Weise ergänzt und welches sich, neben allen anderen Uebereinstimmungen, in hingebender Vaterlands liebe vereinigt und sein ganzes Sinnen und Trachten darauf richtet, Deutschland zu nützen und das junge Reich in würdigster Weise zu vertreten. Gelingt letzteres der Gemahlin deS Gesandten in gesell schaftlicher Hinsicht ausgezeichnet, so ihm nicht minder in po litischer. Dem energischen, zielbewußten Vorgehen Herrn von Heyking's ist eS ja in erster Linie zu verdanken, daß die chi nesische Regierung all die jüngsten Forderungen der Deutschen erfüllte und daß eS zu keinerlei ernstlichen Auseinandersetzungen gekommen ist. Das mannhafte Auftreten Herrn von Heyking's, der, ganz abgesehen von den großen politischen Dingen, weit mehr durchsetzt, als die deutschen Missionare je zu hoffen gewagt, hat unter den Deutschen ganz Ostasiens die freudigste Zu stimmung gefunden und ihm zahllose Sympathiebeweise ein getragen. Herr von Heyking ist den klugen Chinesen in den feinsten diplomatischen Schachzügen gewachsen, er versteht aber auch, mit ihnen eine sehr deutliche Sprache zu sprechen, und ich habe eS mehrfach von gänzlich unbetheiligter Seite gehört, daß die braven Mandarine vor unserem Gefandten den denk barsten Respect hegen, ihm dabei unbedingt Achtung zollen und seinen Wünschen stets entsprechen. So setzte e» u. A. Her« von Heyking durch, daß die wich tigsten Verhandlungen über die Abtretung Kiautschau» nicht mehr im Tsung-li-Damen, dem Auswärtigen Amte Peking«, stattfanden, da an diesen Berathungen allerlei durchgesickert war, fondern in der deutschen Gesandtschaft, wa» zum ersten Male geschah, seitdem China in diplomatischen Verkehr mit fremden Staaten getreten ist, und was das weiteste Aufsehen erregte. Welch große Vorsicht aber im Verkehr mit den chinesischen Diplo maten geboten ist, geht daraus hervor, daß sie im letzten Moment noch versuchten, Herrn von Heyking einen Vertrag zur Unter ¬ schrift vorzulegen, in welchem einige wichtige, die wirtschaft liche Erschließung der Shantung-Halbinsel betreffende Bestim mungen höchst zweideutig abgefaßt waren. Als das Document sofort sehr energisch abgelehnt wurde, versuchte Li-Hung-Chang, der ehemalige Vicekönig, welcher als Großsecretair des Reiches nebst zwei anderen hohen Mandarinen die Verhandlungen mit Herrn von Heyking leitete, letzteren zu günstigeren Abmachungen für China zu bestimmen, Versuche, die übrigens der Klugheit des greisen Staatsmannes kein günstiges Zeugniß ausstellen: er versprach, einer deutschen Firma die Batterien eines Forts in Auftrag zu geben, wenn Dies und Jenes aus dem Vertrage gestrichen würde, „Deutschland hätte doch durch diese Bestellung großen Nutzen", er telegraphirte an Krupp, damit sich dieser in obiger Hinsicht beim deutschen Kaiser verwende, und fchließlich, als Alles nichts half, schickte er einen Unterhändler an Frau von Heyking, ob sie nicht auf ihren Gatten einwirken könne ich brauche nicht zu sagen, mit welcher Antwort und welch langem Gesicht der gute Mann zu seinem Herrn und Auftrag geber zurückkehrte! Von dem von Herrn von Heyking aufgesetzten Vertrage be züglich Kiautschaus und der Erfüllung der übrigen deutschen Forderungen wurde auch nicht ein Jota gestrichen, und Seine Majestät der Kaiser Kuan-Sü von China, Sohn des Himmels, mußte sich bequemen, ihn am 6. März zu genehmigen. Vor wenigen Tagen bot sich mir zufällig Gelegenheit, diefen Original vertrag, der demnächst nach Berlin geschickt wird, um dem Kaiser vorgelegt und dem Archive des Auswärtigen Amtes einverleibt zu werden, zu sehen. Er bildet ein starkes Schrift stück, in länglichem Format, und enthält außer dem chinesischen Text die wortgetreue deutsche Uebersetzung; beide Niederschriften weisen das chinesische große rothc Staatsstempel mit dem Drachen und daneben das deutsche Reichswappen auf, beide sind von Baron von Heyking und den drei chinesischen Unterhändlern, Li-Hung-Chang als Großsecretair und Weng tung po wie Chang yin huang, diesen letzteren als Mitgliedern des Ge heimen Raths, in welcher höchsten Stellung sie Zutritt zu den nächtlich beim Kaiser ftattfindenden Berathungen haben, unter schrieben. Die Texte sind in gelbe Seide — Gelb bekanntlich die kaiserliche Farbe — eingebunden und ruhen in einer mit schön gemusterter Brocatseide bespannten Casiette, die innen mit gelber Seide ausgcschlagen ist. Seinen großen Einfluß konnte Herr von Heyking auch bei der Wahl deS neuen chinesischen Gesandten für Berlin zur An wendung bringen; er hatte den Oberst Pinschang von der Tient- siner Militairfchule vorgeschlagen, der längere Zeit in Deutsch land und Oesterreich gelebt, und welcher der deutschen Sprache durchaus mächtig ist; Pinschang war nun aber nicht im Stande, die großen Bestechungen zu bezahlen, die dazu nöthig gewesen wären. Die Chinesen präsentirten nun einen anderen hohen Beamten, dessen Geldbeutel besser ausgestattet war, einen Be amten, den bereit« als höchst verdächtigen Gentleman die Eng länder abgelehnt. „WaS", so brauste Herr von Heyking auf, „diesen abgestandenen Wein, den Keiner mehr mag, den wollt Ihr nach Berlin schicken?" — Und die Mandarinen krochen in ihre Mauselöcher, wisperten und flüsterten ängstlich und brachten schließlich den richtigen Mann zum Vorschein. Da ich gerade von den Bestechungen sprach, möchte ich noch bemerken, daß jedes der Thore Pekings an einen Prinzen ver pachtet ist, der von jedem Großwürdenträger, welcher nach Peking und an den kaiserlichen Hof will, ein ganz erhebliches „Tborgeld" erhebt. Als nach dem japanischen Kriege Li-Hung Chang in Ungnade gefallen war und sich vor dem Kaiser per sönlich zu verantworten wünschte, wurden ihm Hunderttausende von Mark abgelnöpft, ehe er eine Audienz beim Kaiser bewilligt erhielt. Eines merkwürdigen Vorkommnisses muß ich noch Er wähnung thun. Als Herr von Heyking seinen hiesigen Posten antrat, wurde, wie bei jedem Europäer, der mit Chinesen zu thun hat, sein chinesischer Name festgestellt, weil die europäischen Namen nicht wortgetreu in das Chinesisch« übersetzt werden können. Durch ein Versehen des Dolmetschers war dem chi nesischen Namen Herrn von Heykiüg's ein Zeichen vorgesetzt worden, welches mit den anderen Silben dem Namen die Be Zeichnung „Streit vom Meere" gab. Als sich unser Gesandter den Vertretern des Tsung-li-Pamen vorstellte, da baten sie ihn, doch seinen Namen abzuändern, er wäre unheilverkündend: China hätte doch sicherlich nichts Schlimmes von deutscher Seite, zumal vom Meere her, zu erwarten! Herr von Heyking will fahrte gern der Bitte, und sein Name wurde umgeändert in „Das große Meer"; Prinz Kun, der Onkel des Kaisers und einflußreichste von allen Prinzen, gratulirte dem Umgetauften zu seiner neuen Bezeichnung: „Das klingt nun besser", meinte er, „Sie können gewiß viel trinken, und da paßt der Name", wobei ich hinzufüge, daß ein tüchtiger Trinker bei den Chinesen in gutem Ansehen steht und daß sie es als eine Empfehlung betrachten, wenn Jemand einen biederen Trunk vertragen kann. Manchmal haben diese Bezopften doch ganz vernünftige An sichten ! Noch ein anderes Ereigniß gab dem großen Aberglauben der Chinesen neue Nahrung. Gerade am ersten chinesischen Neu jahrSfeiertage fand hier eine Sonnenfinsterniß statt, und in ganz Peking wurde ein ungeheurer Lärm mit allen zur Ver fügung stehenden Tamtams, Gongs, Bratpfannen, Casserollen rc. vollführt, damit hierdurch der Höllenbund, der die Sonne ver schlingen wolle, verscheucht würde. Die kaiserlichen Wahrsager deuteten das Ereigniß als höchst bedenklich für daS Glück Chinas, und der Kaiser verfügte, daß zum NeujahrSempfange alle Würdenträger nicht in ihren feierlichen StaatSgewändern, sondern in ihren Alltagstrachten erscheinen sollten . . ., so könnte vielleicht der Zorn der Götter besänftigt werden und sie es wieder gut mit China meinen! Wenn er sich man nicht täuscht, der liebe chinesische Kaiso und bevorzugte Sohn deS Himmels!
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