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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.06.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980607011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898060701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898060701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-06
- Tag1898-06-07
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.0. .0 o. 0. .0. .0. o. o. .v. .W o. 0. v. r>. o. o. l). o. L. s. Di» Morgen-AuSgabe erscheint um '/,7 Uhr, di» dlbeud-Lusgab« Wochentag» um b Uhr. Lrdaction UN- Expedition: JohemaeSgafse 8. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen grLffuet vou früh 8 bi« Abend« 7 Uhr, Filialen: Dtt» Klemm'S Sortiui. (Alfred Hahn), UniversitätSstratze 3 (Paulinum), Louis Lösche, Aatharkneastr. 14, Part, und König-Platz 7. Bezugs-Prei- Al tz« tzauptexpedttion oder den im Stadt. b«irk und den Vororten errichteten Au«, aabestellen ab geholt: vierteljährlich ^l4.b0, ort zweimaliger täglicher Zustellung in« Hau« VLO. Durch dir Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertrnäbrlich S.—. Direkte tägliche Kreuzbandsenduug in« Ausland: monatlich 7.öO. Morgen-Ausgabe. WpMrr TaMalt Anzeiger. Amtsliktt des Königlichen Lund- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Nolizei-Äintes der Ltadt Leipzig. AnzeigeuPreis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfa. Reelamen unter dem Redactionsjtrich (4^.- spalten) 50 ^, vor den FamilieiD^chrickuii (6gespaiteni 40^. Größere Schristen laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ztffernjatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ilnnahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Margen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 282. 92. Jahrgang. Dienstag den 7. Juni 1898. Zur Neichstagswahl. Vor der Wahlschlacht. E« ist bezeichnend für die Leidenschaft, welche bei den politischen Wahlen auch in Deutschland allmählich zum Durch bruch gelangt ist, daß diese ihren Wortschatz zumeist aus dem Lexikon der KriegSwissenschasten entlehnt haben. Heiße Wahlkämpfe bereiten die entscheidende Wahlschlacht vor, nachdem die Führer der Parteien sorglich Wahltactik und Wahlstrategie geübt haben. Leider paßt es völlig in das kriegerische Bild hinein, daß man die Mitbewerber um das Mandat auch als Gegner betrachtet und sie vielfach als Feinde behandelt. Damit werden die Parteien zu wahren Heerlagern und der endliche Sieg hier oder die Nieder lage dort haben mit ihren Namensvettern auf wirklichen Kampfesfeldern auch das noch gemein, daß sie lange — un vergessen bleiben. Die Tbatsacke, daß der friedliche Wettbewerb um ein Mandat zum Reichstage, um das Vertrauen der heimischen Wähler, in den meisten Wahlkreisen ausgeartet ist zu einem wilden Kämpfen um dasselbe, bei dem leider auch manch mal der Zweck die bedenklichsten Mittel heiligen soll, giebt unS den Anlaß, einen Blick auf die Wahl-Situation zu werfen, wie sie sich augenblicklich in unserer guten Stadt Leipzig darstellt. Der Bewerber um daS Leipziger Mandat sind diesmal gar viele. Auf der einen Seite des BlachfeldcS hält in trotzigen Haufen der dräuende Heerbann mit dem blutrothen Banner. Auch dem ruhigsten Bürger, ter es mit dem Worte hält: „Ein garstig Lied — pfui, ein politisch Lied!" und sich gern abkehrt von den trüben Bildern politischer Leiden schaft, sind die Ziele dieses Heerbanns, wenn er allerwärts das Feld behaupten sollte, genugsam klar geworden. Die ent fesselte SiegeStrunkenheit gleicht einer Sturzsee. Sie ver schlingt und zertrümmert Alles, was sie zu erreichen vermag. Und die andere Seite des weiten Feldes, auf welchem der Wahlentscheidungskampf auSgefochten werden soll? Finden wir dort zu muthiger Gegenwehr, zu scharfem Abweis für dauernde Zeiten alle unter gemeinsamem Banner ver einigt, die nickt den deutschen Boden maßloser Herrschsucht, schrankenlosem Verlangen, offener Willkür ausgeliefert wissen wollen? Ack nein, seit wann wären dentsche Männer denn in solchen Kämpfen einig gewesen? Seit wann hätten sie gelernt, den kleinlichen Hader unter Parteien und Partei gruppen angesichts der Feldschlacht zu vergessen und mit einander zu stehen zu starkem unbesiegbaren Schutze heiliger Ordnung und wahrer Freiheit? Und so sehen wir denn trüben Blickes auch in diesen Wochen auf dem alten Schlachtbodcn Leipzigs jenem rothen Heerbanne gegenüber nicht den geschlossenen Heerbann derer, welche doch bas gemeinsame Panier der Ordnung führen, sondern fünf ge trennte Feldhaufen mit eigenen Feldzeichen, bereit, auf daS Signal zum Beginn deS Kampfes einander, sich selbst zu bekämpfen. , . , , Es wäre müßig, jetzt noch, da bereits die erhobenen Feld zeichen jeder Gruppe Reisige zum Kampfe werben, zu fragen: Mußte das sein? Konnte nicht Leipzig anderen Städten ein schönes Bild der Einigkeit geben? Denn, was ist eS in Wahrheit, das die fünf Heerbaufen getrennt hall? Jeder von ihnen beweist durch die Aufstellung eines eigenen Candi- daten, daß er den Wahlkreis in die Hände, eines Social demokraten nicht fallen sehen möchte; in der Hauptsache sind also alle einer Meinung und jeder einzelne ist überzeugt, daß seine besonderen Wünsche am allerwenigsten durch einen social- demokratisckcn Wahlsieg der Erfüllung näher gebracht werden würden. Was sie trennt, ist also nebensächlich im Vergleich zu dem, waS sie zusammenschließen müßte. Allzu nah ist die Entscheidungsstunde, der Kamps um das Mandat wird bereits bei allen energisch gekämpft. Der rothe Heerbann steht unS zu fern und ist zu verschieden von uns geartet, als daß wir ihn in unsere Mahnung mit einbeziehen könnten. Desto näher stehen uns die anderen fünf Heerhaufen. Sie alle stehen auf dem gemeinsamen Boden der Gegnerschaft wider die Partei des Umsturzes, auf dem Boden der Vaterlandsliebe, der Treue zu Tbron und Altar. Sie alle werden, müssen sich ost in den langen FriedenSpauscn zwischen den Wahl schlachten auf eben diesem Boden zu gemeinsamem fried lichen Thun wieder zusammenfinden. Da mag die eine Mahnung am Platze sein: Sorgt Ihr alle, daß m den bevorstehenden Tagen die Parteileidenschaft daS Kampf schwert des Wortes und die Lanze der Feder nickt zu scharfen Waffen macht, welche Wunden erzeugen, die nur schwer wieder heilen. Mußte eS sein, daß sich eine im Grunde und in allen Hauptfragen einige große Schaar in vier Gruppen spaltete, nun, so mögen sich insbesondere die Führer dieser vier Gruppen und ihre Generalstäbler, ihre AgitationS- auöschüsse bemühen, in diesem Kampfe die einmal aufgerichteten Schranken nicht so fest und unübersteigbar zu zimmern, daß sie nie wieder hinweggeräumt werden können. Die Leipziger Bürgerschaft bildet in allen diesen getrennten Heerlagern die Kerntruppe. Just zwölf Monde sind ver flossen, da war sie unter einem friedlichen Zeichen einig wie kaum je zuvor. Da grüßte von den» Hauptportal unserer schönen und unvergeßlichen Ausstellung der Genius des Friedens herab. Und jetzt, da daS Vertrauen allein auf ehrliches Wollen und tüchtiges Können entscheiden sollte, trennt mau sich, hierhin, dorthin, um hüben und drüben ge sondert zu stehen. Freilich, der wirklich Kampf- und Streitlustigen darunter sind nur wenige. Aber wie im Kriege ein wild anfeuerndes Wort auch die Zaghaften mit sortreißt, so sieht sich auch der sonst besonnene Wähler in diesem Wirrwarr der Parteien nur zu leicht geneigt, dem am lautesten und grellsten tönenden Feldschrei zu folgen. Und doch ist gerade bei der bevor stehenden Wahl ein besonnenes Ueberlegen vor der Stimmabgabe unerläßlich. Gewiß, alle die Candidaten, die sich im Rabmen der Ordnungsparteien um ein Mandat bewerben, sind Männer, die Vertrauen verdienen, aber schließlich ist doch nur ein Einziger darunter, der sich durch fünf jährige fleißige Thätigkeit in dem Besitze des Mandates dieses Vertrauens in vollem Maße würdig gezeigt und überdies jene Kenntnis; der parlamentarischen Einrichtungen, der bestehenden Gesetze und ihrer Wirkung, der vielfachen Interessen des Wahlkreises und der oft verschlungenen Wege zum Ziele parlamentarischer Erfolge sich angecignet bat, ohne die der beste Wille lange Zeit bloßer Wille bleibt. Das ist Pro fessor Hasse. Von allen verdienten Männern, welche unsere Stadt bisher im Reichstage vertreten haben, ist er wahrlich einer der trefflichsten gewesen, die Leipzig nicht nur seiner großen merkantilen und industriellen Bedeutung nach, nicht nur nach der seines hoch entwickelten Gewerbes und Hand werks, sondern auch seiner kraftvollen deutschen Eigen art nach vertreten haben. Gewiß, er verschmäht es, mit einem Füllhorn von Versprechungen vor die Leipziger Wähler schaft zu treten und Hoffnungen zu erwecken, die nach seiner Erfahrung sich entweder überhaupt nicht, oder erst in späteren Zeiten nach vollständiger Ermittelung der thatsächlichen Ver hältnisse verwirklichen können; dafür aber liegt sein politischer Charakter so offen und klar zu Tage, daß Jeder, der ge lernt hat, zwischen dem, was die Menschen sich selbst zu trauen, und dem, was sie wirklich sind und zu leisten ver mögen, zu unterscheiden, unter den bürgerlichen Be werbern um das Leipziger Mandat kaum Umschau zu halten braucht, um zur Entscheidung zu gelangen. Wir wiederholen, daß wir bei jedem einzelnen der Candidaten an ein ehrliches Wollen gern und freudig glauben, aber zu diesem Wollen muß ein tüchtiges Können, eine gereiste politische Er fahrung hinzutreten, wenn Leipzig seiner Bedeutung nach im Reichstage vertreten sein soll. Nicht auf das eine oder das andere Verspreche», das sich im Fettdruck auf den Wahlplacaten so imposant und lockend auSnimmt, kommt es an — der Leipziger Wähler hat die einzige Pflicht, sich die Person des Candidaten daraufhin an zusehen, ob sie in allen Fällen, bei allen großen Fragen die Gewähr für eine würdige Vertretung unserer theueren Start im Reichstage bietet. Und folgt der besonnene Wähler dieser Pflicht, dann kann und wird er nicht zweifel haft sein, welchem Candidaten er am 16. Juni seine Stimme geben muß in Betätigung wahren DeutschlhumS und zum Heile unserer Stadt! 6. Deutsches Reich. * Leipzig, 6. Juni. Der „Köln. Ztg." wird auS Bonn telegraphisch gemeldet: In der Versammlung der CentrumS- parlei sprach sich ReichSgerichtsrath Spahn gegen die in der Presse über die Fortsetzung seiner parlamentarijchen Thälig- kcit geäußerten Bedenken aus und nahm die Candidatur für Bonn-Rheinbach an. L. U. Berlin, 6. Juni. Mit 396 Candidaten rückt die Socialdemokratie ins Feld; der einzige Wahlkreis, den sie nicht besetzt hat, ist Aschendorf-Meppen. Das :s: insofern merkwürdig, als in diesem Wahlkreise am 15. Ium 1893 67 socialdemokratische Stimmen abgegeben wurden, während andere Wahlkreise, in denen die „Genossen" bei der letzten Wahl nicht eine einzige Stimme er langten, diesmal mit Candidaten „beglückt" sind. Es be findet sich unter den 396 Candidaten eine ganze Anzahl von „Akademikern"; außer den Genossen Liebknecht, Wurm, Blos, Stadthagen, Haase, I)>. Lütgenau, I)r. Schvenlau! und Peus, die jetzt dem Reichstag angehören, sind aus gestellt Rechtsanwalt Heine in Berlin III, der in Berliner socialdemokratischen Versammlungen fleißig agilirende vr. Weyl in Westprignitz, ein vr. Matz aus Stettin in Naugard-Regenwalde, vr. Winter-Königshütle in Lublinitz Tost Gleiwitz, Ur. Erdmann-Köln in Köln-Land und Wiltgen stein-Siegen, ter vielgenannte ehemalige Demokrat Or. Ouarck in Wiesbaden, vr. Gradnauer in Dresden links der Elbe, Iw. C. Schmidt-Berlin in Leipzig, Katzenstcin in Bingen, I)r. David in Mainz und I)r. Herzfeld in Rostock-Doberan. Angesichts dieses Massenaufgebots von „Akademikern" nimmt eS sich hockst seltsam aus, daß in allen Volksversammlungen der „Genossen" betont wird, nur Arbeiter wüßten, wo den Arbeiter der Schuh drückt. Es unterliegt auch gar keinem Zweifel, daß sehr zahlreiche Genossen Rechtsanwälte, Aerzle und andere akademisch gebildete Leute, die in ihrem Denken und Fühlen wie in ihrer Lebensweise dem „Proletarier" sehr fern stehe», als Abgeordnete nicht wollen; der Wider wille gegen die „Akademiker" isl schon oft recht scharf hervor getreten. Aber die „Genossen" werden eben gar nickt ge fragt; der Candibat wird ihnen aufgedrängt und der Terro rismus der Führer ist so groß, daß er jede Opposition erstick:. Berlin, 6. Juni. Den Nachbetern der klerikalen Treibereien mit der Gefährdung des Reichstagswahl rechts kommen die Erfurter Krawalle insofern sehr ungelegen, als ein Theil der Tumultuanten dreist die Ge sährdung deS ReichstagSwahlrechtS als Grund für seine Aus schreitungen angegeben hat. Es lag unter solchen Umständen die Bemerkung sehr nahe, die durch die Blätter geht, daß die Wirkung der Verhetzung, welche die Abgg.B achem undMüller - Fulda getrieben, prompt eingetroffen und somit diese Herren in guter Gesellschaft seien. Darob geräth die „Germania", welche bei der Arbeit wacker mitgeholfen, aus dem Häuschen. „Die Niedertracht dieser Verleumdung kann mitRücksichl auf das Preßgcsetz leider nicht mit der vollen Schärfe gebrandmartt werden", so schreibt das fromme Blatt und schilt, daß diesem „Janhagel eventuell Glauben geschenkt werde, um gegen ehrenwrrtbe Männer, wie Müller-Fulda und vr. Bachem zn Hetzen! Pfui!" — „Das sind sie alle, alle ehrenwcrtb." Jedenfalls aber wird selbst die „Germania" nicht bestreiten können, daß die Erfurter Tumultuanten, die sich auf die Gefährdung des Wahlrechts berufen, keine anderen Gründe ! für ihre Behauptung haben, als die Herren Müller-Fulda Feuilleton. An Lord eines amerikanischen Schlachtschiffes. Von Hugo Paprnberger. Nachdruck verboten. Der erste Eindruck, den man an Bord eines der amerika nischen, nach allen Regeln modernster Marinetechnik erbauten Schlachtschiffe empfängt, ist ein tiefgehender und seltsamer. Man glaubt nämlich, nicht mehr auf einem Schiffe zu sein, sondern sich im geschützstarrenden Außenfort einer weit, weit rückwärts gelegenen Festung zu befinden, und nur das rollende Rauschen der Brandung am Bug, das dumpfe Stöhnen der kolossalen Expansionsmaschinen und das leichte Schwanken des gigantischen Stahlrumpfes erinnert uns daran, daß wir uns auf dem trügerischsten aller Elemente, auf dem Wasser, und aus dem furchtbarsten aller Seeungeheuer, auf einem modernen Schlachtschiffe, befinden. Alles scheint massiv und schier unzerstörbar, gedrungen und von übergroßer Kraft und Wucht gleichsam strotzend. Die aus den Schießlöchern der massiven Panzerthürme über Deck ihre kolossalen Rohre weit hinausstreckenden Geschütze scheinen, gleich riesigen Fernrohren, den Horizont aufzusuchen, um den Feind zu erspähen, dem sie ihre vernichtenden Geschosse ent gegenzuschleudern jeden Augenblick bereit sind. Der aus zähestem Stahl hcrgestellte Panzermast mit seinen mit Hotchkiß- und Maximkanonen und riesigen Scheinwerfern besetzten ebenfalls gepanzerten Galerien scheint uns ein an Bord gefesselter mo derner Kriegsgott zu sein, der durch seine bloße schreckenerregende Erscheinung allein jeden Feind in respectvoller Entfernung halten müßte. Die zahlreichen, über das ganze Deck und seine Etageck hin zerstreuten Windschuten gleichen ebenso vielen aufgesperrten Nachen, bereit, die etwa enternden Gegner vom Deck in die Höllenlohe der glühenden Oefen oder die Salzfluth des Oceans hinabzuschlingen. Die breiten, unheimlich großen Schlote, welche bei schnellster Fahrt ganze Wetterwolken schwarzgelb her aufquellenden, von Funken und glühenden, oft nußgroßen Loaks- stücken durchsetzten Kohlenrauches auSstoßen, gleichen in steter Eruption befindlichen Vulkanen und scheinen selbst da» Blau des Tageshimmels verrußen zu wollen. Die unförmlichen, in der Nähe des Lugs auf ankerähnlich herausragenden, massiven Unterlagen mit etwa zweizölligen, hänfernen Tauen befestigten Anker müssen, wenn sie einmal im Meeresgründe festsihen, selbst die Erde in ihrer Rotation aufzuhalten im Stande sein. Die auf Deck befindlichen Officiere, Seesoldaten und Matrosen schrumpfen solch gewaltigen Dimensionen gegenüber zu Zwergen ein, und der staunende Besucher, in seines völligen Nichts durch bohrendem Gefühle, glaubt körperlich vollends ganz verschwunden und nur noch im Geiste anwesend zu sein. Mag man noch so sehr deutlich fühlen und denken, so viel steht fest: imposant, verblüffend imposant ist die äußere Er scheinung eines amerikanischen Schlachtschiffe«, und man kann es dem Uankee verzeihen, daß er auf die Marine aller anderen Mächte mit souverainster Verachtung herabschaut. Da« ehrfurchtsvolle Erstaunen de« Besuchers schwindet aber Mit jeder Stufe, di« er unter Deck herabschreitet, und macht einer lautlosen Bewunderung Platz. Hat ihn oben die furcht bare Kriegcsrüstung erschüttert, so überrascht ihn hier nicht nur die Eleganz der Räumlichkeiten, sondern auch die überaus prak tische Vertheilung derselben. Man glaubt nicht mehr, sich an Bord eines Schlachtenungeheuers, sondern in einem Fcenpalaste an Land zu befinden. Vergessen sind die schauerlichen Werk zeuge des Massenmordes und der Vernichtung, und das Auge erquickt sich ordentlich an der ruhigen Pracht und heiteren wohn lichen Einrichtung der Schiffsräume. Die Salons, die In strumenten-, Karten-, Versammlungs-, Speise- und Schlaf zimmer für die Officiere, die geräumigen, sinnreich ventilirten Kojen und Cabinen für die Bemannung, die elektrische Leitung, welche nicht nur die Scheinwerfer über Deck in sonnenhaftem Glanze erstrahlen läßt und die Commandostimme des Capüains bis in den kleinsten Winkel des Schiffsrumpfes ersetzt, sondern auch vermittels gesicherter Bogen- und Glühlampen die Be leuchtung des ganzen Innern besorgt, die bewundernswerth praktische Vorrichtung zur Löschung etwaiger Feuersbrünste; die mit Tausenden von Conservenbllchsen, Kisten und Säcken an gefüllten Provianträume; der Apparat zur Herstellung eiskalten Trinkwassers; die Reparaturwerkstätten der Handwerker u. s. w., die zu beschreiben weit über das Vierfach« der Aus dehnung dieses Aufsatzes beanspruchen und schließlich auch nur den Kenner interessiren, vielleicht auch langweilen würde, — all' dies legt «in unbestreitbares Zeugniß für die hohe technische Aus bildung und für den bis jetzt von keinem Volke der Erde auch nur annähernd erreichten Unternehmungsgeist und praktischen Scharfblick der Amerikaner ab, und es ist äußerst bezeichnend, daß gerade die kriegstüchtigste Nation der Welt, die deutsche, den größesten Postdampfer, also ein Werkzeug deS Frieden», und das im Frieden so große Volk der Yankees die größesten Schlachtschiffe, also Rüstzeuge des Krieges, bisher fertig gebracht haben. Unsere Bewunderung hört aber auf und weicht einem un heimlichen Grausen, wenn wir noch eine Treppe tiefer und damit unter die Wasserlinie hinabsteigen. Welch' ein Höllenbreughrl von Kohlenhaufen, Aschenbergen, Schlammpfützen, blendendem Gluthschein, brausender Flammenlohe und wieder dämmerndem Halbdunkel, Pfeifen, Schreien und Lachen von halbnackten, schweißströmenden, kohlenstaubgesckwärzten, aschenschlatnmbc- schmicrten sogenannten Stokers, Männern, welche mit langer, zolldicker eiserner Schürstange in den weit aufgesperrten, Flam men und Funken speienden Rachen der eine wahre Bratenhitze aushauchenden kolossalen Oefen mit aller Gewalt hin und her stochern, indessen ein hilfreicher Eyklop kie vermittelst eines in eine Brause endigenden Schlauches mit kühlendem Wasser über sprüht, daS jedoch im Nu fast wieder abdampft. „Weich' ein LooS!" mutz man unwillkürlich ausrufen. „Hier gebraten werden, und dann durch einen feindlichen Treffer im Meere zu enden! ES freue sich, wer da athmet im rosigen Licht!" — Und nun diese riesigen Dampfmaschinen! Die Cplinder so groß wie erratische Blöcke! Die Kolbenstangen so dick wie Eichen stämme und doch spielend von der immensen Dampfkraft gehoben und gesenkt! Nun gar erst die Schraubenwellen — unbeschreib lich! Und da» Geräusch? Nicht viel lauter al« eine Schreib maschine! Und nun jener tabakkauende Zwerg dort? Der Maschinist, „üngiueer" genannt, ein Atom, und doch — ein Druck seiner beringten Rechten! — und Tausende von Centnern Stahl und Bronze fliegen durch- und umeinander in scheinbar regellosem und doch nur allzu regelmäßigem Wirrwarr! — Wehe! Hier eine feindliche Granate hinein, und nur einzelne Zeugfetzcn sind von dem Zwerge übrig! Sorglos kaut er sein Primchen, die Hand am Hebel, ab und zu einen Blick auf den Indikator, steht er da und nickt uns zum Abschied ein freund liches „Ooock l>^6, 8ir!" ZU. Durch eine äußerst einfache Hebelvorrichtung können die wasserdichten Schotten mit Dampfkraft geschlossen und die Munitionskammern unter Wasser gesetzt werden. „In Ik-ss tlran nc> tümo!" wird uns gesagt, — erstaunlich, wenn nicht „ouin ffrano salis" zu verstehen! Die Munition selbst wird im Momente der Action mit Elektricität an Deck gehoben und auf Wägelchen, die immer einen Schuß — und was für einen! — aufnehmen, in die Thürme geschafft. Und nun die Torpedo kammer. Da liegen sie, die verderbenbringenden, kupfernen, fischähnlichen Todfeinde der Schiffskoloffe, um im geeigneten Moment, eine Etage höher, in das Lancirrohr, welches durch ein Kugelgelenk an der Mündung mit der Panzerung verbunden ist, heraufgehoben und dem Feinde entgegengeschickt zu werden. Ein himmelhoch spritzender Wasserstrahl, ein dumpfer Knall, etwas Rauch — und der feindliche Kreuzer hat die Todeswunde empfangen, er neigt sich und versinkt in sein nasses Grab! Den wachsenden Schauder von uns abschüttelnd, steigen wir wieder auf Deck, aufathmend, den Schweiß von der Stirne trocknend und umherspähend, was da oben unter dem sengenden Tropenhimmel vor sich geht. Commandoworte erschallen. Eine Abtheilung Seesoldaten, Infanterie, ist beim Exerciren. Dort spricht Jemand. Es ist der Officier, der den Kanonieren am Geschütz die Geheimnisse der Mechanik rc. erklärt, also Jn- structionsstunde abhält. Dort ist eine Abtheilung beim Fechten mit hölzernen Stockdegen beschäftigt. Hier übt man das Herab lassen und Heraufholen der Anker. Geschimpft und geflucht wird fast garnicht. Man nimmt die Straffheit der Bewegungen, die Exaktheit der Handgriffe, das urplötzliche Befolgen des ge gebenen Befehls nicht allzu strenge. Man schwatzt im Gliede, schaut selbst im „Stillgestanden" selten „geradeaus" und im „Kehrt!" oder „I'ncos-aboutI" ist man nicht zu hastig u. s. w. Man glaubt, Rekruten vor sich zu haben, die eben erst die Uni form angezogen. In der That ist das Exerciren auch im Grunde nicht viel mehr, als ein mit Hilfe der vor der Hand noch nicht Desertirten angestelltes Heraufdrillen der Neuan geworbenen, von denen schon jetzt Einzelne ab und zu sehn süchtig nach „Land" ausschauen. Es ist wahr; in der Marine mögen sie uns vielleicht über sein, die stolzen Söhne der großen Republik, aber in der DiSciplin, in der Taktik, in der praktischen Ausbildung ihrer Mannschaften werden sie unS Deutsche nie erreichen; wollen es wohl auch nicht, denn man hat dort drüben einen unüberwindlichen Abscheu vor allem und jedem „Zwang". Nur durch die Masse könnte man im Ernstfälle wirken, durch die Uebermacht und die rücksichtslose Brutalität, mit der man sie einsetzt; stets aber wird eine wohldiSciplinirte, wenn, auch kleinere, und mit guten, präcisen Waffen versehene Trupp« die schließlich obsiegende sein. Diese» Urtheil sind wir unserem unvergleichlichen, vaterländischen Heere schuldig, und die im jetzt schwebenden Kriege zwischen der Union und Spanien bekannt gewordenen Thatsachen bestätigen es. Zweifellos ist der Unter gang der „Maine" auf eben diese lockere Disciplin und un soldatische Fahrlässigkeit der Besatzung zurückzuführen, ganz gleich, von woher die Explosion erfolgte. Sehen wir uns zum Schluß noch die Nichtcombattanten und „Landratten" an, die zur Bemannung eines solchen Schlachi schiffes nach amerikanischer Vorschrift gehören. Da ist zuerst der „oiiaplsin", um mit dem geistlichen Stande zu beginnen: dieser Seelenhirte wird vom Präsidenten selbst ernannt. Seine Confession ist ohne Belang, zumeist ist er Katholik. Jeden Sonntag Vormittag hält er eine Stunde Gottesdienst, hie und da eine Gebetsversammlung ab, wobei er durch einen, aus etwa 4—6 „stimmfähigen" Matrosen bestehenden c-.yor unterstütz: wird. Der Besuch ist Jedem freigestellt. Der „olravlain" hat Lieutenantsrang, muß also gegrüßt werden und -ist sehr beliebt an Bord. Für das Heil des Körpers sorgt ein Arz:. Er m u ß an Bord sein, sonst würde kein Soldat oder Matrose sich zum Dienst stellen oder gar in ihm verweilen. Er hat Officiersrang, muß eine Prüfung, bevor er in den Marinedienst tritt, und eine zweite nach ^wei Jahren bestehen, nach welcher e, erst sein volles Gehalt erhalt. Ihm zur Seite stehen Kranken Wärter und ein gut eingerichtetes Hospital, für dessen Instand Haltung jeder Mann monatlich 20 Cent abzugeben hat. Em Barbier ist vorhanden, der sehr gute Geschäfte macht. Er er hält monatlich 16 Dollars und freie Station, was er an Land nie verdienen würde. Außerdem hat er daS Recht, für zwe. maliges Rasiren pro Woche 35 Lent zu fordern, Haarscheeren i mit eingeschlossen. Wie gesagt, sein Geschäft blüht, denn durd schnittlich 200—300 Köpfe zu behandeln, muß Geld cinbrinqc«. Ein Polizeichef und ein Dutzend oder mehr, bi- an die Zätm bewaffnete „rnastor-ak-snnas" oder Schutzleute, wie wir sage» würden, sorgen für die Aufrechterhaltung der Zucht und Sitte an Bord und machen ebenfalls — gute Geschäfte. Nun noch ein ergreifendes Schauspiel und wir sind zu Ende. Einer der Matrosen ist gestorben. Allgemeine Stille an Bord. Aller Dienst ruht. Das Schiff steht still. Man Hai den Verschiedenen in seine eigene Hängematte, in welche man noa- eine 32pfündige eiserne Kugel zu seinen Füßen gelegt, eingenäh: DaS Bcgräbniß findet um neun Uhr Morgens an Deck statt. Den „estnplain" im Ornate mit dem Brevier „vnrinl ok tim voack nk 8es" in den gefalteten Händen voran, steigt der Leichen zug die Treppe empor, so daß die Füße des Verstorbenen übee Bord liegen, tritt in Reih und Glied an und lauscht in tiefste- Stille den Worten des Geistlichen. Sobald dieser geendet Hai treten zwei Matrosen herzu an das Kopfende der Leiche, hebe i diese« auf Commando in die Höbe und der Lobte gleitet langsam hinab — ein klatschendes Geräusch, ein Aufspritzen des Wasser-; und Alles ist vorbei. Nun ertönt die Dampfpfeife. Der Ea pitain lüftet sein Käppi und ruft: „Tstroe oiresrs lor rlu- Stars anck Ztripes!" und ein dreimaliges Hoch erschallt au- allen Kehlen. Die Maschinen arbeiten wieder, der Koloß folgt zitternd dem Drucke der Schraube, die Mannschaften eilen auf ihre Plätze und der Dienst beginnt wieder
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