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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.06.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980611022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898061102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898061102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-06
- Tag1898-06-11
- Monat1898-06
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Größere Schriften laut unserem Preis« verzetchniß. Tabellarischer und Ztffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ahne Postbesördrrung ./i 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Volz in Leipzig. Sonnabend den 11. Ium 1898. 92. Jahrgang. Der spanisch-amerikanische Krieg. -p DaS Marinedepartement in Washington veröffentlicht, wie uns von dort berichtet wird, ein Bulletin, nach welchem Sampson am 7. d. M. die „Marblehead" und die „Yankee" beauftragte, Besitz von der äußeren Bucht Guan tau amos (östlich von Santiago) zu nehmen. Die Schiffe fuhren als dann am 7. d. in den Hafen ein, zwangen ein spanisches Kanonenboot zur Flucht in den inneren Hafen und nahmen die äußere Bucht, welche die „Marblehead" gegenwärtig besetzt hält. Hier soll, wenn nicht alles trügt, die Landung der amerikanischen Landlruppen erfolge», aber wie ein Washingtoner Telegramm nach New Jork aus guter Quelle meldet, war auch die letzte Meldung von der Abfahrt der Tronsportflotte von Key West verfrüht. Die für Cuba und Puerto Nico bestimmten Truppen befinden sich vielmehr immer noch in Tampa, doch ist eine starke Flotte von l6 Schiffen in den Gewässern von Florida versammelt, um die 17 Regimenter zu geleiten. ES ist kläglich und deutet auf eine wunde Stelle der ameri kanischen Kriegführung hin, daß seit der officiellen Kriegs erklärung volle sieben Wochen verstreichen mußten, um ein kleines Landheer von recht problematischem Werlhe zusammenzubringen, und dabei hatte die Union, da schon lange vor dem 21. April der Ausbruch des Krieges feststand, übergenug Zeit, alle Vorbereitungen mit Sorgfalt zu treffen. Jetzt kommt außerordentlich viel darauf an, daß die Spanier auf Cuba diese Unfertigkeit der Washingtoner Strategie ausgenutzt und alles für den Landkampf so gerüstet haben, daß sie die Amerikaner zu Paaren treiben können. Vielleicht kommt ihnen auch noch ein clous ox mnebinrr in Gestalt des gelben Fiebers zu Hilfe, das bereits in Mc. Henry am Mississippi, nahe am Golf von Mexiko ausgcbrochen ist und daß, wie man befürchtet, sich leicht nach dem Süden hinausbreiten kann. Gelingt es, die Amerikaner zu schlagen, ihnen die Lust, Ersatz regimenter nach Cuba zu schicken, zu benehmen» und bleiben die Hauptplätze der Insel im Besitz der Spanier, so wäre die ent scheidende Frage nur die, ob die Flotte des spanischen Admirals Cervera sich gegen die Angriffe des amerikanischen Geschwaders so lange zu halten vermag, bis das Ersatz geschwader unter Cämara bei den Antillen in Sicht ge kommen ist. Dann müßie die amerikanische Flotte sich theile» und Cervera bekämt Luft, um sich mit Cämarä zu vereinigen. Aber die weitere große Frage ist, ob Cämara Ordre nach Cuba oder nach den schwer bedrohten Philippinen erhallen wird. Mit den Schiffen des Admirals Cämara hat es eine eigene Be- wandtniß. Gerade eine Anzahl der besten Schiffe der spanischen Marine gehört zu diesem Verbände, den man meist nicht ganz zutreffend das Reservegeschwader genannt hat. Da sind z. B. der Panzerkreuzer „Emperador Carlos V." und der geschützte Kreuzer „Alfonso XIII.", zwei sehr gute neue Schiffe, die sich an Armirung, Bauart und Fahr geschwindigkeit den besten Vertretern ihres Typs in fremden Marinen an die Seite stellen können. Die „Pelayo" ist zwar ein älteres Schiff, aber mit neuen Maschinen und neuen Geschützen versehen. Man darf nicht vergessen, daß neue oder umgebaute Schiffe wiederholte und ausgiebige Probe fahrten zur Prüfung ihrer Kessel und Maschinen, scharfe Schießübungen zum Einschießen der Geschütze und mehrere Fahrten zur Ausbildung des Heizerpersonals und der Besatzung machen müssen, ehe sie von der Marineverwaltung entgiltig übernommen werden können. Solcher Probefahrten hat Admiral Cämara seine Schiffe schon mehrere macken lasse», und es scheint, als ob er damit noch nicht zum Ab schluß gekommen ist. Ueberdies soll der Marineminister drei Tage zur Besichtigung der 15 Schiffe des zweiten Geschwaders in Cadiz gebrauchen wollen, so daß vor Anfang nächster Wocke Cämara iricht auslausen kann. Ein Washingtoner Telegramm des „New Jork Journal" besagt, es seien starke Gründe für die Behauptung vorhanden, daß die amerikanischen Beziehungen zu Deutsch land gespannt seien. Die Vorstellungen, die Deutsch land wegen der Besetzung ver Philippinen durch Amerika machte, seien nicht ganz angenehm gewesen. Zuverlässigen Angaben zufolge hätte Deutschland versucht, amerikanische Versicherungen betreffs der Philippinen zu erlangen, die indeß nicht ertheilt wurden. Daran dürfte kein wahres Wort sein. Aus Berlin wird unS über die Frage: Was wird ans den Philippinen? als die Auffassung wohl unterrichteter Kreise das Folgende mitgetheilt: Es er scheinen drei Möglichkeiten denkbar. Die erste ist, daß die Vereinigten Staaten die Inseln für sich behalten wollen. In diesem Falle wäre für die euro päischen Staaten kaum Gelegenheit zu einer Einrede ge geben. Deutschland jedenfalls würde unter keinen Umständen das Recht der Amerikaner, das eroberte Land festzuhalteu, be streiten. Eine andere Frage ist freilich, ob der Besitz der Philippinen für die Vereinigten Staaten sehr emfehlens- werth wäre. Die Amerikaner haben von ihren farbigen Landsleuten Verdruß genug, und es kann ihnen nicht Wünschenswerth erscheinen, noch 6—7 Millionen davon hinzuzubekommen. Auch würde, insbesondere bei der großen Entfernung der Philippinen von dem ameri kanischen Festlande, ein stattliches stehendes Heer erforderlich sein, um die malayische Bevölkerung im Zaune zu halten. Die zweite Möglichkeit wäre, daß die Vereinigten Staaten die Philippinen an England abtreten. Hier läge der Fall schon anders, denn die Engländer haben keinerlei Rechts grund für den Besitz der werthvollen Inselgruppe. Auch in diesem Falle indessen wäre Deutschland nicht in erster Reihe interessirt, sondern in viel höherem Maße Japan, Frank reich und Rußland: Japan, weil es schon längst ein Auge auf die seiner Besitzung Formosa naheliegende Jnsel- grnppe geworfen hat, Frankreich, weil die Philippinen in unangenehmer Nähe seiner hinterindischen und südchinesischen Besitzungen liegen, Rußland, weil ihm jede Erweiterung der Macht Englands in Ostasien fatal sein muß. Es ist deshalb sehr schlau von der französischen und theilweise auch von der russischen Presse, baß sie gern Deutschland in den Vordergrund einer Action gegen die Besitzergreifung der Philippinen durch England schieben möchten, aber Deutschland wird ihnen diesen Gefallen nicht thun. Damit ist aber nicht gesagt, daß Deutschland sich würde aus schließen wollen, wenn die dritte Eventualität eintrete, nämlich die Auftheilung der Philippinen unter die Mächte. Mit dieser Möglichkeit würde besonders dann zu rechnen sein, wenn seiner Zeit die Friedensverhandlungen auf einem Congresse geführt werden sollten. Die Herbeiführung dieser Eventuailtät dürften sich aus den angeführten Gründen Frankreich und Rußland ganz besonders angelegen sein lassen. Die Gefahr von Reibungen würde jedenfalls im Falle der Auftheilung der Philippinen beträchtlich verringert werden. politische Tagesschau. * Leipzig, N. Juni. In dem Leitartikel unseres gestrigen Morgenblattes über die Berliner Leitung Les Bundes der Landwirthc und über die Enthüllungen betreffs der von ihr bei der Lieferung von Thomas phospkat beobachteten geschäftlichen Praxis sagten wir u. A., die Bundeöleitung werde sich voraussichtlich bis zum 16. Juni „durchhelsen". Daß wir die Herren richtig taxirt haben, geht aus der folgenden Erklärung hervor, die sie an die Mitglieder des Bundes versenden: Die gegnerische Presse wird nicht müde, Tag für Tag uner hörte Beschuldigungen gegen den Bund der Landwirthe und seine Organe, insbesondere gegen den unterzeichneten Borstand zn schleudern. Alle diese Beschuldigungen sind längst und zu wieder holten Malen als Unwahrheiten gekennzeichnet worden, ohne daß die Gegner cs der Mühe für werth halten, der Wahrheit die Ehre zu geben. Sie bleiben vielmehr bei ihren Behauptungen stehen. Der Zweck ihres Vorgehens liegt auf der Haud. Da sie mit wirklich haltbaren Gründen gegen die von uns vertretene Sache nicht ankommen können, so versuchen sie es durch Angriffe auf die persönliche Ehrenhastigleit der Vorstandsmitglieder, durch Herabwürdigung und Verdächtigung ihrer Maßnahmen, Miß trauen in die Reihen der Bnndesmitglieder zu tragen, sowie auch andere Freunde unserer Bestrebungen zu verwirren. Unsere Gegner benutzen die ihnen wohlbekannte Thatsache, daß alle Mitglieder des engeren Vorstandes zur Zeit in ihren Wahlkreisen angespannt und rastlos thätig, also nicht in der Lage sind, in jedem einzelnen Falle geschloffen vorzugehen und die sich überstürzenden persönlichen Angriffe unter Benutzung des vorhandenen Bcweismaterials sofort abzuschlagen. Wir müßten unsere Widersacher nicht kennen, wenn wir annähmen, daß sie sich Liesen zufälligen Vortheil entgehen lassen würden. Vielmehr werden sie ihre verwersliche Taktik bis zum Wahltag gerade darum fortsetzen, weil wir der auf uns ruhenden Wahlarbeitslast wegen nicht im Stande sind, rechtzeitig und Schlag auf Schlag die er- forderlichen Widerlegungen zu bringen. Wir begnügen uns heute deshalb damit, diese Deutschland bislang unerhörte Art des Wahlkampfes zn kennzeichnen. Unsere Mitglieder aber fordern wir auf, nunmehr mit verdoppeltem Eifer in die Wahlschlacht zu ziehen und ihren ganzen Einfluß zur Vereitelung der feindlichen ehrab- schneiderischcn Wahlmache aufzubiete». Es handelt sich hier um einen wohlbedachten Verleumdnngsfeldzug gegen die Männer, die das Vertrauen der Mitglieder selbst zur Wahrnehmung ihrer Interessen an die Spitze des Bundes gestellt hat. Wir lehnen es nach wie vor ab, uns einem von den Gegnern gebildeten Sitten gerichte zu unterwerfen. Unseren Mitgliedern dagegen stehen wir mit jeder gewünschten Auskunft zur Verfügung. Keine Handlung, keine Maßnahme der Bundesleitung braucht die Prüfung und das Tageslicht zu scheuen. Wie wir aber unseren Mitgliedern die Treue bewahren, so erwarten wir auch, daß die Treue unserer Mitglieder uns schützen Hilst vor der Schmutzfluth von Verleum dungen, die über uns ergossen wird. Der erste Vorsitzende v. Plötz, der zweite Vorsitzende vr. Rösicke, der stellvertretende Director Plaskuda. Wenn man bedenkt, daß in der Enthüllung des „Haun. Cour." eine ganz neue, von der Bundcsleitung noch niemals „als Unwahrheit gekennzeichnete" Angabe gemacht und überdies das Datum des die Leitung belastenden Schreibens (23. Jan. 1896) angegeben, sowie Herr vr. Rösicke aus drücklich als sein Verfasser bezeichnet worden war, so muß man sagen, daß der vorstehende Behelf, der mit keiner Silbe auf jenes Dokument eingeht und lediglich mir Schmähungen gegen den „wohlbedachten Vcr- lenmdungsfeldzug" die Mitglieder auf „jede gewünschte Aus kunft" bis nach den Wahlen zu vertrösten sucht, ein überaus kläglicher ist und einem indirecten Zugeständniß so ähnlich sieht, wie ein Ei dem anderen. Ob die Mitglieder deö Bundes so geduldig sein werden, muß man abwartcn. Befremden aber muß es, daß die „Leipz. Z tg." eine solche Geduld nicht nur den Bundesmitgliedern, sondern auch den Gegnern der Berliner Leitung folgendermaßen anempfiehlt: „Wir gehören bekanntlich nicht zn den Freunden der Berliner Bundesleitung und haben ihre Art und Weise, die Interessen der Landwirthschaft zu vertreten, von ihrem ersten Auftreten an bekämp't. Zum Dank dafür hat sie uns in „Boycott" erklärt. Aber alle Liese Dinge, von denen wir natürlich gleichfalls gehört und gelesen haben, gerade jetzt, acht Tage vor den Wahlen, zur Sprache zu bringen, schien uns schon deswegen nicht an gezeigt, weil dadurch unverdient ein Schatten auf die Sachs der Landwirthschaft überhaupt und auf viele hochverdiente Mitglieder Les Bundes fallen würde, der auf die Wahlen nicht anders als nachtheilig wirken kann. Ist an dem Gerede wirklich etwas Wahres, was wir nicht wissen können, so wäre es wohl auch nach den Wahlen noch Zeit gewesen, die Sache zur Sprache zu bringen und damit unsere Landwirthe vor pecuniärem Schaden zu schützen." Wir können nickt einsehen, daß durch eine schleunige Klar stellung den Landwirthen ein pecuniärer Schaden zugefügt werden oder ein Schatten auf viele hochverdiente Mitglieder des Bundes fallen würbe. Im Gegentheil würden durch eine schleunige Klarstellung die Landwirthe vor pecuniärer Benachtheiligung und viele hochverdiente Bundesmit glieder vor dem falschen Verdachte der Mitschuld bewahrt werden. Und an der Wahl von Leuten, die möglicherweise nach den Wahlen höchst bedenklicher Machenschaften völlig überführt werden, kann dock Wohl keine Partei ein Interesse haben, mit Ausnahme der socialdemc kratischen. Die Blätter dieser Partei werden ohnehin den Wunsch der „Leipz. Ztg.", die Klarstellung bis nach de» Wahlen vertagt zu sehen, mit der bissigen und aufreizenden Frage beantworten, ob Wohl der gleiche Wunsch geäußert worden wäre, wenn die Unterzeichner des oben mitgetheilten Behelfes nickt v. Plötz, vr. Rösicke und PlaSkuda, sondern Bebel, Liebknecht und Singer hießen. Die bevorstehende Reise deö -eutschcn Kaisers nack Jerusalem hat die Befürchtungen des katholischen Frank reichs wachgerusen. So wird dem „Soleil" aus Beirut in Syrien geschrieben, daß die Reise des Kaisers Wilhelm v. für bas Ansehen Frankreichs als Beschützers der katholischen Christenheit des Orients verhängnißvoll werden könne. Hervä de Kerohant führt diesen Gedanken näher aus, indem er schreckt : „Nachdem Wilhelm II., der überall den französischen Einfluß durch den deutschen zu ersetzen sucht, mit Abdul Hamid ein Bündniß geschlossen, wie einst Franz I. mit Soliman, manövrirt er mil wunderbarem Geschick, um uns das Protectorat der Christen des Orients zn rauben, das alle unsere früheren Regierungen, sogar die des Nationalconvents, zu vertheidigen und festzuhalten wußten und das unsere jetzige Republik preiszugeben bereit ist. Wir hoben eine schöne katholische Clientcl im Orient, sagte Gambetta. Der Feuilleton. Lauernblut. 3) Roman in drei Büchern. Von Gerhard von Amyntor. (Dagobert von Gerhardt.) Nachdruck verboten. „Menschenkind!" wendet sich Randenstein gegen den Kame raden, „Du hast doch nichts gegen den Dreibund einzuwenden?" „Ich? Gegen den Dreibund? Gott bewahre mich, daß ich mich je um Politik kümmere! Ein politischer Soldat, ein garstiger Soldat! Uebrigens schwärme ich für die Italiener und bin ein begeisterter Verehrer des ritterlichen österreichischen Kaisers." „Bravo, Gotenberg!" ruft der Hausherr, der seine Um kleidung beendet hat und eben in den Saal getreten ist; „haben Sie's gehört, Tollen? Gotenberg hat endlich verrathen, daß er auch einmal für Jemanden schwärmen kann." Tollen, an den sich der Hausherr mit diesen Worten gewandt hat, ist ein lustiger Holsteiner, dem es meist Spatz macht, seine jüngern Kameraden zu necken; er schlägt die Hände zusammen und ruft in verstellter Ueberraschung: „Nu höre Einer dieses junge Volk! Redet von Politik und Dreibund und Italien! Macht doch lieber Kehrt und begrüßt die edle Tochter dieses gast freien Hauses!" Alle wenden sich und erkennen Ellen, die geräuschlos herein- gchuscht ist und schon vom Assessor Tell, der bisher mit dem Maler und dem Pfarrer geplaudert hat, ins Gespräch gezogen ist. Fräulein Ellen von Brank mag achtzehn bis neunzehn Sommer zählen; sie ist nach des Malers Völker mit Vorliebe wiederholter Behauptung eine der süßesten Mädchrnknospen, die je dem Sande der Mark entsprossen sind. Einen Kopf kleiner als die Mutter, erinnert sie in Gestalt und Gesichtsbildung mehr an den Pater. Ihr Haar ist dunkel, fast schwarz; ihre großen, sammetweichen, schwärmerischen Augen leuchten aurikelblau unter langen, tiefdunkeln Wimpern hervor; ein außerordentlich fein modcllirtes Näschen giebt ihrem Antlitz einen ganz be sonderen Ausdruck, fast den einer gewissen Keckheit, aber die weichen Linien des reizend geschnittenen, kaum kirschengroßen Mündchens und die süße Schwärmerei ihres Blickes mildern diesen Ausdruck, und das, was unbestritten aus ihren rosigen Zügen spricht, ist: reinste, lieblichste, siegreichste Mädchen haftigkeit. „Nein, so zeitig lassen wir Sie nicht fort", sagt sie eben zum Assessor, der ihr die Stunde der geplanten Rückkehr nach der Stadt genannt hat, „heute müssen Sie einmal den Abend bei uns bleiben; ich singe Ihnen auch nach dem Abendessen ein Lied." „Eine verlockende Aussicht, mein gnädiges Fräulein", versetzt William Tell, „aber Sie ahnen nicht, was auf die Schultern eines so armen Hilfsarbeiters in einem Ministerium Alles ab geladen wird; ich muß heute wirklich bei Zeiten wieder zu Hause sein; mich erwarten ganze Berge von Acten." „Sagen Sie, Herr Assessor", fragt Ellen mit schalkhaftem Blicke, Sie sind wohl schrecklich ehrgeizig?" „Warum das?" „Weil Sie sich so quälen und abarbeiten; Sie wollen gewiß einmal ein Ministerportefeuille erobern." Tell lächelt: „Ich thue nur meine Schuldigkeit als gewissen hafter Beamter und Staatsdiener. Wer in seiner Wiege kein Rittergut gefunden hat, der muß sich tüchtig placken, wenn er in dem Concurrenzgetümmel des Lebenskampfes nicht erliegen und die Füße der erfolgreichen Mitbewerber nicht über sich Hin wegschreiten sehen will." „Sie machen mir gar nicht den Eindruck, als ob Sie sich so leicht zu Boden werfen ließen", sagt das junge Mädchen, das mit froher Bewunderung an dem hohen, kräftigen, breit schulterigen Manne emporsicht. „Ich wehre mich auch meiner Haut; aber für einen unbe mittelten Beamten ohne Gönner und Schirmherren heißt es: arbeiten und arbeiten und immer wieder arbeiten." „Was beneide ich Sie, daß Sie mit starker Hand Ihr eigenes Geschick schmieden dürfen! Es muß eine hohe Lust sein, bei jedem Hammerschlage, den man auf das spröde Eisen des Schick sals thut, zu denken: das thue ich für mich! Wir arme Mädchen!" Jetzt lachte Tell belustigt auf: „Wir arme Mädchen? Ei, mein gnädiges Fräulein, so sollte die Freiin Brank von Giesdorf nicht sprechen; das klingt ja wie Hohn auf alle ihre minder bevorzugten Mitschwestern! Sie, die Tochter eines Majorats besitzers . . . „Sie nennen das Ding beim richtigen Namen: die Tochter eines Majoratsbesihers hat alle Ursache, bescheiden zu sein. Nach menschlicher Voraussicht wird einst mein lieber Bruder Walther hier herrschen, und wenn dann seine Schwester noch lebt, wird sie froh sein, wenn sie ihm als alte Jungfer die Wirthschaft wird führen dürfen." „Wollen Sie denn eine alte Jungfer werden?" „Wer weiß? Das hängt ja in erster Linie gar nicht von mir ab." „Aber in zweiter?" „Allerdings. Wenn Jemand so thöricht wäre, mich zu be gehren, dann hätte ich in zweiter Linie doch zu entscheiden, ob ich ihm angehören wollte." „Und Sie würden Nein sagen?" Diese Frage kommt etwas ängstlich über die Lippen des Assessors und er fühlt zu seiner geheimen Verwunderung, wie ihm die Stimme ein wenig zittern will. Ellen lacht munter: „Das kann ich doch vorher noch nicht entscheiden; erst müßte ich doch wissen, wer der Begehrende ist und wie er aussieht." „Ich glaube wahrhaftig, die Herrschaften sprechen vom Heirathen", platzt srohgemuth der Premier-Lieutenant von Tollen dazwischen, der Ellen's letzte Aeußcrung aufgcschnappt hat. Unbefangen sieht ihm die Tochter des Hauses ins Angesicht und erwidert: „Gewiß, Herr von Tollen; was meinen Sie dazu? Darf man die Frage aufwerfen, ob ein Mädchen, dem ein An trag gestellt wird, Ja sagen werde?" „Warum nicht?" „Weil es doch darauf ankommt, wer den Antrag stellt." „Ich glaube, das ist ganz egal", versichert Tollen in seiner neckischen Weise; „wenn der Bewerber nicht geradezu ein Quasi- modo oder ein Idiot ist, dann wird er genommen." „Pfui, Herr von Tollen!" ruft Ellen in komischem Abscheu. „Sie setzen also voraus, daß jedes Mädchen sich nach den Ehe fesseln sehnt, gleichviel, wer sie ihr auferlegen will?" „Das ist vollkommen meine Ansicht; jedes normale Mädchen will durchaus heirathen und kann sie Herrn A., den sie viel leicht bevorzugen würde, nicht bekommen, dann tröstet sie sich schnell mit Herrn B. oder C. „Das sind ja recht erbauliche Ansichten, die Sie vom weib lichen Geschlechte haben!" bemerkt freundlich drohend Frau Clara, die mit den anderen Herren nun auch näher kommt; jetzt begreife ich Ihre hartnäckige Junggesellcnschoft, Herr von Tollen; aber Sie irren sich; es giebt manche junge Dame, die ledig bleibt, nicht weil sie nicht begehrt wurde, sondern weil sie andererseits nach der Ergänzung durch das „stärkere" Geschlecht kein Ver langen trägt." „Mit Verlaub, meine gnädigste Frau", wendet Tollen un beirrt ein, „das stimmt nicht ganz. Sie kennen dock die Ge schichte von den Windbeuteln? Nicht? Nun, dann hören Sie. Ein reeller Heirathscandidat forderte in den Zeitungen diejenige junge Dame, die auf sein Gesuch reflectiren tollte, auf, in einer bestimmten Conditorei zu einer bestimmten Stunde erscheinen zu wollen. Das Erkennungszeichen für ibn sollte die junge Dame durch das Verspeisen eines Windbeutels geben. Was geschah? Zur festgesetzten Stunde waren die Säle Conditorei von Dämchenaller Altersstufen überfüllt und jedes dieser Dämchen verzehrte einen Windbeutel, so daß der schlaue Conditor, der das Hcirathsgesuch selbst verfaßt hatte, alle seine in den letzten Tagen altbacken gewordenen Windbeutel zum vollen Preise glücklich an den Mann, richtiger an das Mädchen, brachte. Was sagen Sie dazu, gnädige Frau? Ist das nicht schlagend?" Und er kicherte höchst belustigt Uber seinen eigenen Scherz. „Sollte das Alter dieser Geschichte nicht das der Windbeutel haben?" fragte der Maler und er kniff boshaft sein linkes Auge ein wenig zu. „Nichts für ungut, Herr von Tollen; Sie haben uns sonst immer viel neuere Anekdoten zum Besten gegeben." Sie unverbesserlicher Spötter und Hagestolz!" rief der Haus herr und klopfte den Premier-Lieutenant auf die Schulter, „geben Sie meiner Frau den Arm und führen Sie sie zu Tische. Wir müssen zeitiger als sonst zu Abend essen, wenn Ihr Herren durchaus schon wieder um neun Uhr an der Bahn sein wollt." An der Tafel herrschte, wie immer in diesem Kreise, eine zwanglcse und sehr fröhliche Stimmung. Der Assessor saß zur Rechten der Hausfrau und hatte seinerseits Fräulein Ellen zu Tische geführt. Brank saß seiner Gattin gegenüber zwischen dem Pfarrer, der das Tischgebet gesprochen hatte, und dem Maler, der hier in Giesdorf hartnäckig das Prädicat „Professor" erhielt. Die beiden jüngeren Ulanen-Lfficierc flankckten die beiden Brank'schen Nachbarn. Es wurde deutscher Schaum wein getrunken; die Damen liebten diesen Wein und Tollen erklärte ihn für das allzeit angemessene Tafelgctränk, da man, wie er sich ausdrückte, von diesem Zeuge die unglaublichsten Mengen ohne jeden Nachtheil für seine Repräsentationsfähigkeit vertilgen könnte. Brank berichtete dem Herrn von Gotenberg, der als großer Pferdekenner und Pfcrdearzt galt, daß seine Betty, die er erst vor vier Mocken im Tattersall gekauft hätte, schon auf drei Beinen stände: es sckiene ihm leider eine unheilbare Buglähmc. „Werde mir nachher das Thierchen ansehcn", erklärte Goten berg, „will nicht hoffen, daß Sie so 'reingefallen sind." „Aber Kurt", schmollte die Hausfrau, „Du wirst mir meine Gäste dock nicht in den Stall entführen? Mein Mann ist un verbesserlich", wandte sic sich an den Assessor; „sobald er Herrn von Gotenberg nur erwischt, wird das Thema der Pferde ver bandelt." „Nur zu erklärlich", erwidert Tell, „denn Herr von Goten berg sieht die Pferde als Künstler." „Als Reitkllnstler?" fragt Ellen, die diese Bemerkung gehör' hat. „Wenn Sie es so verstehen wollen, auch als Reittiinstler ßut' sxnckon." „Was heißt das? Ich bin keine Griechin."
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