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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.06.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980613025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898061302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898061302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-06
- Tag1898-06-13
- Monat1898-06
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Sieclamen unter dem RedactionSstrich (4go- spallen) bO-H, vor den Kamilirnnachrichten (8 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis. Tabellarischer und Ziffrrnsatz uach höherem Tarif. vrtra-Beilagen (gesalzt), nur mit de. Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end »Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je rin» halb« Stund« früher. Anzeige« sind stets an die Expeditta» zu richten. Druck und Verlag von E. D olz in Leipzig. Montag den 13. Juni 1898. 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 13. Juni. Während in vielen Wahlkreisen die Gegner deS Ultra- montaniSinnS, der Demokratie und der Socialdemokratie einander bekämpfen, als ob sic nicht die geringste gemein same Aufgabe hätten, schließt sich der Ring jener Parteien immer fester, und immer klarer wird das Ziel, das die im Reiche „regierende Partei" im Auge hat. Der KlerikalismuS strebt danach, auch in der nächsten Legislaturperiode zwei Mehrheiten zur Berfügung zu haben. Aus die Rechte und die Nationalliberalen ist immer zu rechnen, wenn das Centrum sich unvermuthet vor große politische Aufgaben gestellt siebt, deren Ablehnung daS Volk sich nicht gefallen lassen würde und die darum nicht Wahlparole werden dürfen. Zur unentwegten Opposition aber, mit der es dann die Bezahlung seiner „patriotischen Dienste" erzwingen kann, stehen ihm jeder zeit Socialdemokratie und die beiden Volksparteien zur Ver fügung. Erstere ist absolut uneigennützig, weil es ihr ein Ver gnügen ist, der Reichspolitik Schwierigkeiten zu machen. Die Letzteren sind zufrieden, wenn sie die gloriose Firma vermöge der Theilnahme am Präsidium mitzeichnen dürfen, bei Initiativanträgen genügend Unterschriften erhalten und den lachenden EhoruS der Mitte zur Berfügung haben, sobald man die Regierung oder die anderen Parteien mit Jnvectiven überschütten will, die daS Eentrum selbst als „regierende Partei" sich nicht mehr gut leisten kann. So hat daS Eentrum nun auch offen die Parole der doppelten Mehrheit ausgezeben und der Abg. Richter thut dasselbe; er mahnt, vor Allem dafür zu sorgen, daß eine „conservativ- nationalliberale Mehrheit" von vornherein ausgeschlossen ist. Natürlich hat das Centrum das Bedürfniß, die für die Verewigung der Neichstagsmisöre nothwendigen Voraus setzungen zu schaffen, ohne daß seine Reputation darüber zu sehr zu Schaden kommt. Und das wäre der Fall, wenn man zu deutlich erkennen ließe, daß man im entscheidenden Momente der Socialdemokratie bei den Wahlen Succurs bringen wird. Darum wird theoretisch der sogenannte „Hort gegen die Socialdemokratie" markirt, wie eS ja auch der Patriot Eugen Richter zu thun pflegt, und desto eifriger, je stärker der Abfluß seiner Wähler in daS Lager Derer um Bebel und Singer geworden ist. Aus diesem Grunde hat man auch vom Centrum sofort der schönen specialisirten Wahlparole ab gepfiffen , worin der Socialdemokratie zum Nachtbeil der bürgerlichen Parteien schon jetzt mindestens Wahl enthaltung in Aussicht gestellt und der freisinnigen Volks partei in allen Nöthen Beistand zugesichert wurde. So wird cs aber kommen, ob man es nun zugiebt oder nicht. Der Abgeordnete Richter, der jetzt, vermuthlich zur Stärkung des Liberalismus, täglich die „Freisinnige Zeitung" mit Ausfällen gegen die Nationalliberalen füllt und mit allen möglichen Argumenten nachzuweisen sucht, daß sie das Wahlrecht ver kürzen würden, sieht schon seit Wochen keinen „Agrarier" im Centrumölager mehr, obwohl der Wahlaufruf des CentrumS klar und deutlich die Politik des wirtschaftlichen Ausgleichs sich zu eigen gemacht und bereits mehr als deutlich eine Erhöhung der Schutzzölle für landwirtschaftliche Products in Aussicht genommen hat, obwohl eS in der verflossenen Legislaturperiode — man denke nur an daS Margarine gesetz — mit den extremen Agrariern um die Wette gelaufen ist, obwohl eS schließlich — und daS ist doch die allergrößte Sünde, deren sich heute eine Partei schuldig machen kann — im Wahlkreis Hagen einen eigenen Candidalen aufgestellt hat. Und die Socialdemokratie, so sehr sie tagaus, tagein auch gegen das Centrum im Centrglorgan, wie sich die »Freis. Ztg." so lieblich ausdrückt, den „auSrangirten Rechts anwalt" donnern läßt, ist so begierig über die Wahlrechts parole hrrgesallen, daß daS einmütige Zusammenwirken Derer um Singer, Nickler und Bachem als Thatsache ange sehen werden muß. WaS diesen Aufmarsch, der unter der Flagge „Schutz des vornehmsten VolkSrechtes" anrückt, be sonders kennzeichnet, daS ist das scheue Vorbeibuschen an der Pflicht das Volk zu einer allgemeinen und gewissenhaften Ausübung des Wahl rechtes anzuhalten, die Wähler darauf hinzuweisen, wie sehr das Verfassungslebcn verlangt, daß die Blüte der Intelligenz und des sittlichen Wollens im Volke auch in seiner Vertretung verkörpert sei. Es läge weiter so nahe, die Wähler daran zu erinnern, wie sehr allerwärts der Parlamentarismus beruntergewirthschaftet und wie sehr eS gerade im deutschen Reiche darauf ankommt, den Beweis zu liefern, daß daS Verfassungsleben auf der 1870/7 l geschaffenen Basis weiter entwickelungsfähig geblieben ist. Es wäre so dringend notwendig, tagaus, tagein in Erinnerung zu bringen, wie schwierig und verantwortungsvoll Deutschlands Stellung in Milten Europas ist, wie sehr es im Interesse einer ersprieß lichen Entwickelung des Reiches darauf ankommt, in den sich immer schwieriger gestaltenden Verhältnissen nach dem Aus lände hin den Eindruck eines seiner Macht bewußten und im Bewußtsein seiner weiteren Culturausgaben gefestigten Reiches zu erhalten. Nichts von alledem ist auf Seiten der klerikal - volkSparteili ch - socialdcmo- kratischen Wahlmache bisher zu hören. Man kaust und schachert um Stimmen und hetzt die Wählerschaft durch einander; darum aber, daß eine solche Aussaat der Zer störung sich nothgedrungen in einer Schwächung der Volks energie und des Reiches äußern muß, kümmert man sich nicht. Sache des nationalgesinnten, gemäßigten Liberalismus wie des wahren Conservatismus ist es, au: 16. Juni diese Bresche zu füllen, die alten Traditionen aus ter Zeit der Gründung des Reiches fortzuführen und, den vereinten Anmarsch von KlerikalismuS, Volkspartei und SocialismuS im Auge haltend, allen politisch und wirthschaftlich rück schrittlichen Bestrebungen entgegenzutretcn. Einige Behörden haben an die ihnen unterstellten Beamten die Mahnung ergehen lassen, patriotisch zu wählen, d. h. vor allen Dingen wohl keinem Soeial- -emokratcn die Stimme zu geben. Diese Mahnung ist leider keineswegs überflüssig. Unter den sogenannten Mit läufern, die für die Socialdemokraten eintreten, befindet sich auch immer eine ganze Anzahl unterer Beamten. Sind doch sogar im Wahlkreise Potsdam - Osthavelland socialdemokratische Stimmen auf königlichen Schlössern abgegeben worden. Diese unteren Beamten sind über ihre geringe Besoldung erbittert und lassen sich dadurch be stechen, daß die Socialdemokraten im Reichstage immer mit großem Pathos für die Verbesserung der Lage der unteren Beamten eintreten. Diese Beamten sollten sich zunächst gegenwärtig halten, daß auch die anderen Parteien nicht minder warm für sie eintreten; so haben erst im letzten Winter die meisten Parteien die Erhöhung der Gehälter der Staatssecretaire abgelehnt,weil nicht gleichzeitig eine Gehaltserhöhung für gewisse untere Beamtenkategorien vorgesehen war. Die Beamten sollten aber ferner daran denken, daß für einen Beamten eine gröbere Pflichtverletzung kaum denkbar ist, als wenn er die Tod feinde der Monarchie unterstützt. Wenn die Regierung einen Beamten, von vem sie erführe, daß er für einen Social demokraten gestimmt hat, auf der Stelle entließe, so wäre sie damit völlig im Rechte. Und wenn ein Beamter socialistisch wählt, weil er annimmt, daß seine Abstimmung wegen des geheimen Wahlverfahrens nicht entdeckt werden könne, so handelt er doppelt ehrlos. Es ist zu wünschen, daß am 16. Juni kein Beamter sich dieser Ehrlosigkeit schuldig mache. Nachdem es in den letzten Tagen den Anschein gehabt, daß auf dem spanisch-amerikanischen Kriegsschauplatz der Gang der Ereignisse in rascheren Fluß kommen werde, ist er schon wieder ins Stocken gerathen. Die 27 000 Mann amerikanische Landungstruppen des Generals Shaster sind, wenn die betreffenden Meldungen nicht etwa irre führen sollen, noch immer in Tampa. Ein von dort nach New Aork gesandter Brief meldet: * Tampa, 10. Juni. Am Mittwoch war die Armee Shaster's bereits auf 30 Schissen, die bereit waren, in See zu gehen, mit Munition, Lebensmittel und Pferden cingeschisft, als von der Regierung der Befehl eintraf, die Abreise auszuschieben. Es ging das Gerücht, daß vier spanische Kriegsschiffe gesehen worden seien. Im Hasen wurden deshalb Vorkehrungen gegen einen Angriffe der Spanier getroffen. Ta von den eingeschifften Pferden am Donnerstag in Folge der Hitze 14 verendeten, wurden die übrigen wieder ausgeschisft. Die Mannschaften sind an Bord geblieben, wo sie sehr beengte Unterkunft haben und unter der Hitze sehr leiden. Nach einer Depesche deS „New Jork Herald" soll Shaster's Armee nunmehr endgiltig am Sonnabend von Key West abgehen. Bis dahin wird ja die Angst vor einem zweiten spanischen Geschwader, das schon wiederholt in den amerikanischen Gewässern gesehen sein sollte, nie und nirgends aber in Action getreten, also Wohl gar nicht vorhanden ist, geschwunden sein. Bei Guanta- namo ist inzwischen nach Einnahme des Hafens und Städtchens durch die Amerikaner günstige Gelegenheit zur Landung geschaffen worden, die sehr leicht wieder schwinden kann, wenn Shaster zu lange zögert und so Ge neral Bianco Zeit giebt, größere Truppcnmassen nach Guan- tanamo zu werfen. Dadurch könnte die Ausbootung der Truppen, die unter dem lebhaften Feuer des Feindes ge schehen müßte, sehr erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht werden. Die Landung von kleineren Truppenkörpern und Munition ist dagegen bereits an verschiedenen Puncten der Küste gelungen, zuletzt wieder nach einer Depesche aus Kingston an der Südküste bei Asserado, wo ein Kanonenboot 400 Gewehre, 5 Tonnen Lebensmittel und 60 000 Patronen für die Aufständischen ausgeschifft hat. Augenblicklich gehen, woraus wir wiederholt hinwiesen, gewisse Gruppen von Engländern darauf aus, in den Bereinigten Staaten Stimmung gegen Deutschland zu machen und durch Aufhetzen der öffentlichen Meinung deutsche Maaren, deutschen Einfluß und deutsches Wesen in Mißachtung zu dringen. Die Hetze geschieht in erster Linie durch geschickt erfundene Kabeldepeschen, die von London oder einem andern Orte aus nach New Aork befördert werden und über allerhand amerikafeindliche'Handlungen berichten, deren die deutsche Negierung oder da» deutsche Volk sich angeblich schuldig gemacht haben. Aus der reichen Blüthenlese solcher Tatarennachrichten, die von der anglo amerikanischen Presse unbeanstandet angenommen werden, seien nur einige herausgegriffen, Vie während der letzten Tage die Runde durch die amerikanischen Zeitungen machten. Unter dem 26. Mai kommt aus Gibraltar folgende Meldung: „Aus zuverlässigen Quellen erfahren wir, daß eine Sendung von 40 Kruppgefchützen, für Forts oder Kriegsschiffe gleich verwendbar, aus Eissen in Deutschland nach Cadiz verschifft wurden und sich jetzt bereits in Spanien befinden. Es wird behauptet, daß die Geschütze als „Küchengeräthe" durch die deutschen und fran- zösijchen Zollhäuser gingen." Eine Londoner Drahtmeldung wußte vor einigen Tagen zu berichten, d^ß die Angehörigen der deutschen Colonie in Manila dem spanischen Generalcapitain eine Adresse über» reicht hätten, in welcher erklärt wäre, daß ihre Sympathien ganz auf der Seite Spaniens seien. Die deutsche Colonie habe auf Grund von Weisungen gehandelt, die dem Consulat ans Berlin zugegangen seien. Gleich darauf erfolgte die Nachricht, der deutsche Consul in Manila habe dem amerikanischen Admiral Dewey aus dessen Weigerung, die Landung von Vorräthen aus deutschen Schiffen zu gestatten, gedroht, er werde die Landung unter dem Schutze deutscher Kriegsschiffe erzwingen. AuS Madrid meldete am 19. Mai eine englische Depesche, daß der deutsche Kreuzer „Geier" in Havanna eingetrosfen sei. Beim Passiren deS ameri kanischen Geschwaders habe „Geier" es weder mit seiner Flagge noch mit Len Geschützen gegrüßt, dagegen aber den spanischen Forts den üblichen Salut erwiesen. Gleich nach Ankunft des „Geirr" im Hafen habe der Commandant dem Generalcapitain Blanco und den anderen spanischen Behörden Besuche obgestattet, die „lange mährten und sich durch einen äußerst freundlichen Ton auszeichneten". Als unlängst oie spanischen Artilleristen Havannas einmal besser schossen, wußte man sofort zu melden, daß mit Genehmigung des Kaisers deutsche Artillerieosficiere nach Cuba gegangen seien und jetzt die spanischen Kanoniere befehligten. New Korker anglo-amerikanische Blätter, darunter auch die „Evening Post", ferner alle deutschfeindlichen nativistischrn Hetzorgane verfehlen nie, diesen Depeschen den breitesten Raum zu gewähren und sie mit allerhand hämischen Randbemerkungen zu versehen. Am 11. Mai wußten Londoner Depeschen zu melden, daß Deutschland beabsichtige, die Herrschaft über die Philippinen an sich zu reißen. Das Ziel dieser systematischen Aufreizung ist, Deutschland als einen übelwollenden, hinterlistigen und mißgünstigen Gegner derVereinigten Staaten erscheinen zu lassen, den jeder patriotische Amerikaner im geschäftlichen und gesellschaftlichen Verkehr in gleicher Weise boycvtten müsse, wie dies in Bezug auf das gleichfalls angeschwärzte Frankreich begonnen worden ist. Der durch einen solchen Verruf dem deutschen und dem französischen Ausfuhrgeschäft entstehende Verlust werde, so be rechnen jene Engländer, den englischen Kaufleuten zum Gewinn gereichen, da sie den Ausfall der Ausfuhrwaaren zu decken hätten. Um das zu erreichen, versäumt man keine Gelegenheit, sich den Amerikanern tagtäglich als wohlgesinnte Blutsverwandte und versteckte Verbündete in empfehlende Erinnerung zu bringen. Die berühmte Rete Chamberlain's, der Commentar, den er derselben am Freitag im Unterhaus« gegeben, der stete Hinweis auf die Vorzüge eines anglo-amerikanischen Bündnisse-, das beständige Hrrvorkebren freundnachbarlicher Gesinnung ver folgen nur den Zweck, die festländischen Völker Europa», vor Allem Deutschland und Frankreich, auS dem wertbvollsten Markte der Erde, dem amerikanischen Absatzgebiete, hinau?- zuwerfen. —— Als eine Nachwirkung der Ruhestörungen, deren Schauplatz Italien in jüngster Zeit war, muß eS angesehen werden, daß die Bestimmungen über das RiederlastnngSrrcht FerriHeton. Lauernblut. 4) Roman in drei Büchern. Von Gerhard von Amhntor. (Dagobert von Gerhardt.) Nachdruck verboten. „Mein Gott", ruft Teil überrascht aus, „das ist doch kein Brand?" „Nein, Herr Assessor. Diese Illumination haben wir jetzt alle Abende, schon seit einer Woche." „Was ist eS denn?" „Papa läßt da drüben ein neues Treibhaus bauen, nach einem nagelneuen System, das einer seiner Freunde all» England mitgebracht hat: eine einzige Drehung an einer Kurbel und alle Fenster des Hauses öffnen oder schließen sich wie durch Zauber schlag — dreht man an einer anderen Kurbel, dann bedecken sich die Scheiben mit Holzjalousien zum Schutze gegen den Nacht frost. Da der Bau noch vor Eintritt der rauhen Jahreszeit fix und fertig sein soll, so werden die Maurerarbeiten möglichst gefördert; sie werden jetzt immer bi» zehn Uhr Abends bei künstlicher Beleuchtung fortgesetzt. Wollen wir'» un» einmal ansehen?" Der Assessor nickt und Beide wenden sich recht» und schreiten unter den hier da» Seegestade säumenden Linden entlang, bi» sie den unfernen Obst- und Gemüsegarten erreichen; nachdem die ziemlich weitläufige Anlage durchquert ist, betreten sie das eigent liche Revier der Giesdorfer Treibereien. Weit über ein Dutzend niedriger, langgestreckter, mit schrägen Glasfenstern abgedeckter Häuser erheben sich in drei schnurgeraden Reihen nebeneinander und verkünden schon von Weitem, daß hier eine umfangreiche Cultur von allerlei Warmhaurpflanzen und edlen Fruchtarten getrieben wird, mit denen der herrschaftliche Obergärtner den Berliner Markt zu versorgen hat. Neben diesen drei Gebäude reihen, gewissermaßen den Anfang einer vierten Reihe bildend, ragt da» Fundament eine» neuen Baue» schon mannshoch zwischen zahlreichen Gerüststangen empor. AuS eisernen, naphthagefüllten Gefäßen, die auf feuerfesten Dreifüßen stehen, züngeln lange, flackernde Spitzflammen, die da» Arbeitsfeld röthlich erhellen und ihren gespenstischen Schein weit hinaus in die Nacht werfen. Ein Theil der Arbeitsleute steht dicht ge drängt um einen nicht genügend erkennbaren Gegenstand, der auf dem Fußboden liegt, und ein bester gekleideter Arbeiter scheint auf die Leute rinzureden oder ihnen Befehle zu ertheilen. „Was giebt es denn da?" sagt Dell und tritt mit Ellen näher an die Gruppe heran. Das, was auf der Erde liegt, ist ein Mensch, ein schwach oder krank gewordener Arbeiter, an den der bester Gekleidete eben die Worte richtet: „Ich hab's Euch doch gleich gesagt, Müller, daß Sie zu dieser Ueberstunden-Rackerei nicht mehr jung genug sind. Nun haben wir die Bescherung. Schiebt ihm doch seine Jacke unter den Kopf (der Zuruf gilt seinen Kameraden), damit er etwas bequemer liegt! So! Und hier — hier ist meine Pulle — er soll einen Schluck nehmen — echter Cognac." „Mein Gott!" sagt Ellen, die an den Sprecher herangetreten ist, „der Aermste hat doch keinen Schaden erlitten?" „Einen Schaden wohl, gnädiges Fräulein", tönt die leicht spöttisch« Antwort, „er hat sich überarbeitet; mit seinen zwei- undfiinfzig Jahren hätte er keine Ueberstunden machen sollen." „Aber warum that er es denn?" „Weil er Geld gebraucht für sein krankes Weib!" lacht bitter der Polier, der den Bau leitet. Die vierundzwanzig Mark, die er wöchentlich zusammenschindet, wollen nicht reichen, und da hat er sich freiwillig noch zu den Ueberstunden verdungen. Ich hätte ihn gar nicht dazu genommen — eS ist ja die reine Thierquälerei: jedeSmal fllnfunddreißig Steine L sechseinhalb Pfund, dos sind über zweihundertsiebenundzwanzig Pfund, auf zubuckeln und aufs Gerüst zu schleppen, aber er bat und flehte so dringlich, und da that er mir leid, und ich wollte ihn für sein Alter, für das er ja nichts kann, nicht büßen lasten — Ach! Da richtet er sich wieder auf, die Schwäche scheint vorüber zu gehen. Nun, Müller, geht eS wieder bester?" Ellen beugte sich zu dem nun aufrecht auf dem Erdboden Sitzenden hinab und sagte im Tone wärmster Antheilnahme: „Sie dürfen heute keine Hand mehr rühren, lieber Freund. Sie machen jetzt Feierabend und suchen bei uns im Gesindehause die Ruhe. Und dies hier ist für Ihre kranke Frau. Sie drückt ihm ein Zehnmarkstück, das sie schnell auS ihrem Geld täschchen hervorgesucht hat, in die schwielige Hand. Wenn Sie sich morgen noch nicht ganz wohl fühlen, dann machen Sie auch morgen Feiertag; den Tagelohn werde ich Ihnen in diesem Falle ersehen." Ein beifälliges Murmeln läuft durch die Reihen der Arbeiter. „Nun, Müller, bedankt Euch bei dem gnädigen Fräulein!" sagt der Polier, und indem er sich gegen Ellen wendet, fährt er leise flüsternd fort: „Dem Einen hier haben Sie auf vier- undzwanztg Stunden helfen können; wer hilft aber den Tau enden, die wegen zunehmender Jahre und Schwächlichkeit brodlos sind, den Tausenden, die beim redlichsten Willen keine Arbeit finden?" Er blickt die so Angeredete mit seinen großen feurigen Augen fast feindselig an. Ellen erschrickt über den Ton dieser Frage und doch kann sie dem dreisten Fragesteller nicht eigentlich zürnen, da er mit seinem ansprechenden, hübschen Gesicht es in Haltung und Ge bilde durchaus nicht an Ehrerbietung fehlen läßt, wenngleich diese Ehrerbietung nicht ganz aufrichtig, vielmehr ein wenig erheuchelt und ironisch gefärbt erscheint. „Sie haben Recht, Herr Dechner", sagte sie gezwungen, „es giebt unendlich viel Elend, dem wir leider machtlos gegenüber stehen." Dabei schaut sie sich nach dem Assessor um, wie, um sich seiner Schutz gewährenden Gegenwart zu versichern; der aber ist mehrere Schritte zurückgetreten und befindet sich auf der im Schatten liegenden Giebelseite des nahen Orchideen hauses, wo er einen der Gärtner ins Gespräch gezogen hat. Sie hat das blaffe Entsetzen nicht bemerkt, das den Assessor ergriff, als er die Stimme des Maurerpoliers erkannte; sie hat das nur halb unterdrückte, wie einen Fluch gemurmelte Wort: „Mein Stiefbruder!" von seinen zuckenden Lippen nicht vernommen. Wie von einem Skorpion gebissen, war Teil zurllckgeprallt und dann pfeilgeschwind ins Dunkel geflüchtet, um von dem Manne nicht erkannt zu werden, dem er überall anders noch lieber begegnet wäre, als gerade hier in Giesdorf, in Gesellschaft der Tochter des Hauses. Wenn seine Verwandtschaft mit diesem Maurer polier nun Ellen bekannt würde? Wenn sie erführe, daß Peter Dechner, der socialdemokratische Hetzer und Verführer, sein Stief bruder sei. Wäre es dann nicht für immer und ewig vorbei mit allen den angenehmen Beziehungen, die er bisher im Brank'schen Hause gepflegt hatte? Nur ein Moment war es gewesen, daß ihm diese Frage durch den Kopf schoß, aber dieser Moment hatte genügt, ihm alle Fassung zu rauben und ihn auf die Gefahr hin, durch sein auffälliges Benehmen das Befremden EllenS zu erregen, in die Flucht zu schlagen. Der Polier Dechner hatte seinen Stiefbruder, trotz dessen jähen Zurückweichenr, sehr wohl erkannt und nicht ohne geheime Schadenfreude sagte er zu Ellen, deren suchenden Blick er be merkte: „Der Herr, der mit Ihnen war, gnädige» Fräulein, steht dort; soll ich ihn rufen?" „Ich danke, Herr Dechner, ich gehr nach Hause und muß ja dort vorbei meinen Weg nehmen. Gute Besserung, mein lieber Herr Müller! lassen Si, sich führen, wenn e» allein noch nicht gehen will. Gute Nacht allerseits!" .Gute Nacht!" scholl eS im Chor zurück. Die Maurer und Steinträger rückten an ihren Kappen. Wenngleich der größere Theil derselben, von socialistischen Wahnvorstellungen erfüllt, die Reichen und Vornehmen haßte, so schauten doch alle ohne Aus nahme mit freudigem Schmunzeln dem davonschreitenden jungen Freifräulein nach; so unfehlbar ist die Gewalt, die auch auf das Herz des Verbissensten der Zauber der Jugend und der Schönheit ausübt. „Wo bleiben Sie denn?" fragte arg- und ahnungslos Ellen den Assessor, der ihr am Orchideenhause entgegentrat. Er hatte sich inzwischen gesammelt und raunte ihr vertraulich zu: „Ich will's Ihnen ehrlich gestehen, gnädiges Fräulein: ich habe kein Kleingeld bei mir, und es ist mir unerträglich, die Noth eines so armen Teufels zu sehen, ohne durch eine Spende helfen zu können." „Ich habe es für uns Beide besorgt", versetzte Ellen, schon wieder schalkhaft. „O. das war lieb von Ihnen, das werde ich Ihnen nie ver gessen!" versicherte der Andere mit Wärme. Als sie an einem Heliotropbeete vorüberkamen, pflückte Ellen eine Bluthe und gab sie ihrem Begleiter: „Da, riechen Sie ein mal — duftet es nicht köstlich?" Beglückt nahm der Assessor die Blume, um sie an seine Nase zu führen, und Ellen ries lustig: pense, j'? pense! Ich habe mein Vielliebchen gewonnen!" „Wem raubt eine so reiche Gegenwart nicht die Erinnerung an da» Vergangene?" bemerkte galant der Assessor, ich habe verloren. Er tröstete sich über den Verlust mit dem Gedanken, daß die Gefahr, als naher Verwandter eines Maurerpolier» erkannt zu werden, noch glücklich vorübergegangen war, aber seine Stim mung blieb gedrückt, und ziemlich wortkarg kehrte er mit Ellen nach dem Schlosse zurück. Drittes Capitek. Im Flur des Erdgeschosse» eines ziemlich neuen Hauses in der Genthiner Straße drückte Friedrich Just auf den Knopf der elektrischen Klingel. Er hatte sein Reisejacket mit einem schlichten schwarzen Rock vertauscht und trug den Gommerüberzieher über den linken Arm gehangen, denn e» war ein warmer Lag. Der weiche Filzhut mit der breiten Krempe, den er immer noch auf hotte, wollte nicht recht zu dem schwarzen BesuchSrocke passen; ein Cylinderhut wäre bester am Platze gewesen, aber Friedrich Just war nicht der Mann, der nach Europa» übertünchter Höf lichkeit viel fragte, und wenn er sich auch nicht, wie Seume's „Wilder", einen Canadier nennen durfte, so war er doch so viel zwischen Canada und Mexiko hin- und hergezogrn, daß er sich von der Beobachtung der in Berlin IV. gebräuchlichen Gesell schaftsformen glaubte entbinden zu dürfen. Der Assessor William Lell öffnete eigenhändig die Flurthür,
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