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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.03.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-03-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960302018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896030201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896030201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-03
- Tag1896-03-02
- Monat1896-03
- Jahr1896
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Die Morgeu-Au-gabe erscheint um '/.7 Uhr. die Abead-An-gab« Wochentags um 5 Uhr. Re-actio« ««- Er-edition: Juhaunesgufse 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filiale«: Vtt» Klemm'» Sortim. (Alfred Hahn), UuivrrsitätSstraße 1, Lout» Lösche, Katharinrnstr. 14, Part, und Königsplatz 7. BezugS-Prei- s» d« Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk imd den Bororten errichteten Aus« aabestellra abgeholt: vierteljährliche4.50, bet zweimaliarr täglicher Zustellung in« Hau» e 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierlelläbrlich e S.—. Direkte tägliche Kreuzbandlendung in» Ausland: monatlich e 7.50. Morgen-Ausgabe. UaWgcr JaMM Anzeiger. Ämlsksatl -es Königlichen Land- nnd Ämtsgerichtes Leipzig, -es Rathes un- Notizei-Ämles -er Lla-l Leipzig. Rnzeigen.Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 M. Reclamen unter dem Redactionsstrich (4ge- spalten- 50^, vor den Jamilirnnachrichien (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis- verzrichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Taris. Grtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuag 60.—, mrt Postbesörderung »i 70.—. Ännalimeschlnß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen - Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Für die Mvntag-Morgen-Au-gab«: Sonnabend Mittag. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an d« Hxpeditlou zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Montag den 2. März 1896. 9«. ZahMilg. Amtlicher Theil. Bekanntmachung, die An- und Abmeldung der Fremden betreffend. Mit Rücksicht aus die bevorstehende Bormeffe für Mnfter- lager und Musterkollektionen bringt das unterzeichnete Polizei amt dir nachstehenden Bestimmungen des MeldcrcgnlaitvS mit dem Bemerken in Erinnerung, daß jede Vernachlässigung dieser Vor schriften Geldstrafe bis zu »0 oder entsprechende Haftstrafe nach sich zieht. Die An- und Abmeldung der Fremden kann sowohl auf dem Haupt meldeamte, Abtheilung II, Polizeigebäude, Wächterstraße Nr. 5, 2. Etage, und zwar an den Wochentagen in der Zeit von 8 bis 12 Uhr Vormittags und von 2 bis 6 Uhr Nachmittags, an den Sonn- und Feiertagen in der Zeit von '/-II bis 12 Uhr Vormittags, wie auch auf sämmtlichen Vezirksmeldestcllen (Polizeiwachen), und zwar an Wochentagen in der Zeit von 8 Uhr Vormittags bis 1 Uhr Mittags und von 4 bis 7 Uhr Nachmittags, an den Sonn- und Feiertagen in der Zeit von V,H bis 12 Uhr Vormittags erfolgen. Leipzig, am 26. Februar 1896. Da» Polizeiamt der Stadt Leipzig. v. R. 1008. Bretschneider. Saitenmacher. Auszug au» dem Melderegulativ der Stadt Leipzig vom 4. December 1890. 8. 12. Jeder in einem Gasthofe oder in einem mit HerbergS- berechtigung versehenen ähnlichen Hause einkehrendc und über Nacht bleibende Fremde ist vom Gastwirth oder Quartieraeber, und zwar, falls er vor 2 Uhr Nachmittags ankommt, noch am Tage der Ankunft, andernfalls aber am folgenden Morgen spätestens bis 10 Uhr beim Meldeamt des Polizeiamts Abth. II oder der Polizeiwache des betreffenden Bezirks schriftlich mittels des vorgeschriebenen und für jeden Fremden besonders auszufüllen, den Formulars anzumelden. Befinden sich in Begleitung des Fremden Familienmitglieder, Dienerschaft oder sonstige Personen, so sind dieselben auf dem nämlichen Zettel mit zu verzeichnen. Zu- gleich mit diesen täglichen Anmeldungen ist auch die Abmeldung der inzwischen abgereisten derartigen Fremden zu bewirken. 8.14. Die in Privathäusern absteigenden Fremden, sogenannte Besuchsfremde, sind, sobald sie länger als 2 Tage hier verweilen, spätestens am 4. Tage, von erfolgter Ankunft an, vom Quartierwirth beim Meldeamt Abth. II oder der betreffenden Polizeibezirkswache mündlich oder schriftlich mittels des vorgeschriebenen Formulars anzumelden. Bei den etwa in Privathäusern Wohnung nehmenden Metzfremdcn jedoch hat diese Anmeldung in jedem Falle, auch wenn sie nur eine Nacht hier blieben, und zwar binnen 24 Stunden von der Ankunft an, beim Meldeamt Abth. U, «der der betreffenden PoltzeibezirkStvache zu geschehen. In gleicher Weise ist die Abmeldung binnen 3 Tagen, bei Mehsremden binnen 24 Stunden von erfolgter Abreise des Fremden oder etwa erfolgter Wohnungsänderung an zu bewirken. 8- 16. Bei den nur einen Monat oder weniger sich hier auf- haltenden Fremden bedarf es in der Regel der Vorzeigung oder Niederlegung einer Legitimation nicht, doch bleibt der Fremde jeder- zeit verpflichtet, sich auf amtliches Erfordern über feine Persönlich keit auszuweisen. Fremde, welche länger hier verweilen wollen, haben sich in der Regel in ähnlicher Weise zu leaitimiren, wie dies in §. 1 bezüglich der Einwohner vorqeschrieben ist. 8- 18. Für rechtzeitige An- und Abmeldung der Fremden haften nicht nur diese selbst, sondern auch die betreffenden Ouartierwtrthe, welche Fremde bei sich aufnehmen. Gewölbe - Vermiethung. In dem Neubau auf dem alten Gewandhausgrundstücke sollen die folgenden, an der Universitätsstraße gelegenen Berkaufsgewolbe vom 1. Oktober ds. I». ab auf 6 Jahre vermiethet werden, und zwar Gewölbe Nr. 47, neben der Durchfahrt gelegen, ca. 73,4 qm groß, nebst dem darunter im Kellergeschoß gelegenen Lagerräume, ca. 63,8 qm groß, Gewölbe Nr. 48, ca. 95,7 qm groß, nebst dem ebenda gelegenen Lagerraum», ca. 87,5 qm groß, Gewölbe Nr. 49, ca. 54,5 qm groß, nebst ca. 5L,1 qm großem Lagerraum», und Gewölbe Nr. 50, an der Ecke der Universitätsstraße und dem Kupsergäßchen gelegen, ca. 87,7 qm groß, nebst ca. 82,0 qm großem Lagerräume. Miethgrsuche werden auf dem Rathhaufe, 1. Obergeschoß, Zimmer Nr. 8, entgegengenommen. Leipzig, den 10. Februar 1896. Ter Rath der Stadt Leipzig. vr. Tröndlin. Krumbiegel. Aufgebot. 1. Herr Jnüizrath vr. Riintsch hier, als Verwalter im Konkurse der Handelsgesellschaft unter der Firma: Hubmaiin L Jacob in Schönau, 2. Herr Rentier August Wilhelm Werner in Görlitz, 3. Herr Gemeindevorsteher Hübner, als Vorstand der vereinigten Gemeinde Oberleutersdorf haben das Aufgebot behufs Kraftlos erklärung zu 1. des zur Konkursmasse gehörigen, von der Firma: Hub mann L Jacob 6ä. Schönau, den 20. Mai 1894, ausgestellten, von Herrn Restaurateur Richard Sander in Leipzig acceptirten, am 20. August 1894 zahlbaren Primawechsels über 505 50 zu 2. der ihm im Jahre 1891 vermnthlich durch Diebstahl ab handen gekommenen Actien der Allg. Deutschen Creditanstalt zu Leipzig Nr. I0I70 10171 10172 10173 77529 und 8046 im Nominal- werthe von je 300 zu 3. der ihr vor Neujahr 1895 abhanden gekommenen, für den 31. December 1887 zur Rückzahlung gekündigten Schuldscheine der Stadtgemeinde Leipzig Vit. 0 Nr. 716 und 1966 der Anleihe vom Jahre 1850 über je 150 beantragt. Der Inhaber der Urkunden wird ausgesordert, spätestens in dem auf den 10. Mär; 1886, Vormittags 11 Uhr, vor dem unterzeichneten Gerichte, Zimmer 206, anberaumten Aufgebots- termine seine Rechte anzumelden und die Urkunden vorzulegen, widrigenfalls die Kraftloserklärung der Urkunden erfolgen wird. Leipzig, den 5. April 1895. Königliches Amtsgericht, Abth. II'. L2 6. 8. O'x. 8/95. Steinberger. Zwangsversteigerung^ Das im Grundbuche auf den Namen des Tischlermeisters Gustav Richard Lackorn in Leipzig eingetragene, in Leipzig, König-Johann- straße 15, gelegene Hausgrundstück Nr. 1419 Ll des Brandkatasters, Abtheilung L, Nr. 2089 u des Flurbuchs und Folium 3658 des Grundbuchs für die Stadt Leipzig, geschätzt auf 152 0V« Mark, soll an hiesiger Amtsgerichtsstelle, Zimmer 214, zwangsweise ver steigert werden und es ist der 10. März 1806, Vormittags II Uhr, als BerfteigerungStcrmin, sowie . der 20. März 1896, Vormittags 11 Uhr. als Termin z» Verkündung des VertheilungSplanS anberaumt worden. Eine Uebersicht der auf dem Grundstücke lastenden Ansprüche und ihres Rangverhältnisses kann in der GerichtSschreiberei des unterzeichneten Amtsgerichts eingesehen werden. Leipzig, am 20. December 1895. v. 8. 2a. 182/95 Nr. 9. Königliches Amtsgericht, Abth. II S cheiLhaue r. OeKentlielie Üanllelsleliranstalt. vi« ^nmslckunx von Uauälungulebrllugen, velelio kvmmencko Ostern in ckie kräh- oller XackmittaKscurse ller vedrllngs- »dtkvilunx eintretkm sollen, erbittet sieb ller Vvterreiebnets am 2., 8., 6., 6. lUklrr Vormittags von 11 dis 12'/, Vbr, vomöglicb unter persönlicher Vorstellung ller Xneumelllenllen llureb ibro Herren vriosipals. Vas Istrts IZeduIsouxniss oller llis Lensurliste lles 8odülers ist bei llieser Oele^eubsit vorrulexen. IVäbrenll ller xellaebteu 2sit crerllen auch ^nmelllun^en kür llen vlnMlrig kaekirissensednktlieben Oursus ent^exen- xenowmsu, an velekein sieb Uanlllullgslkkrllnxv betbeili^en können, llis im Lesitre lles ^euxuisses kür lliv cvissensekakt icbe LektlbiKunx eum LinjLkrix-k'reivillixellllienste «inll. Unterricht 10 8tunllsn vöodentliob. 8cbulgelll 90 VeipriA, im vebruar 1896. krok. IVolkrum, vireotor. Ein Freund Deutschlands in England. Von August Hagemann. (Nachdruck verboten.) „Er könnte der Verfasser der Wackt am Rhein sein", bemerkte neulich eine große englische Zeitung hämisch über Sydney Whitman. Das Blatt ist so wenig daran gewöhnt, daß ein Engländer frei von nationalem Snobismus und Hochmuth mit Öbjectivität und Liebe sich in das Wesen unseres Volkes vertieft, daß es einen solchen Versuch mit Spott begrüßt. Wahr ist, daß seit den Zeiten Earlyle'S kein besserer Kenner und wärmerer Freund Deutschlands in England gelebt hat als Sydney Whitman; und in diesen Tagen, da sich die britische Gesinnung Deutschland gegenüber wieder einmal in ihrer wahren Form gezeigt hat, verdient dieser Mann Wohl doppelt unsere Aufmerksamkeit. Er hat lange in Deutsckland gelebt, bevor er sein erstes Buch „Imperial Oeimau^ schrieb, dessen Abschnitte Fürst Bismarck als meisterhaft bezeichnete; er hat sorgfältig beobachtet und das Glück gehabt, den repräsentativen Persönlichkeiten unseres neugeeinten Reiches, Moltke und Biömarck, persönlich nabe zu treten. Schon die Art, wie er in seinem neuesten Werke,,'I'outome stückig" die Charakterbilder dieser beiden Großen entwirft, zeigt, daß er von dem Fehler frei ist, Alles durch die Brille englischen Urtheils oder Vorurtheils zu sehen. Er sucht dem für den Engländer sicherlich fremdartigen, strengen Charakter Moltke's auf den Grund zu kommen. Etwas Cäsarisches findet er in seiner Natur, und daraus erklärt er sich Moltke's Geschlossenheit, in der sich vornehme Bescheidenheit und sicheres Gefühl des eigenen Werthes so harmonisch die Waagschale hielten. Whitman bringt aus persönlicher Kenntniß hübsche Belege für diese Züge. Ein Vorwitziger fragte den Marscball, ob er seine Erfolge mehr dem Glück oder seiner eigenen Fähigkeit zuschreibe. „Der fähigste General kann geschlagen werden", antwortete Moltke, „und der unfähigste eine Schlacht gewinnen; aber auf die Dauer haben nur die Fähigen Glück." Ein Verwandter wollte von ihm den eigentlichen Kern der Strategie wissen. „Einfach Menschenverstand", war die Er widerung. Wie sicher er aber seiner Sache war, zeigt eine interessante Aeußerung, die er kurz vor dem Ausbruche des französischen Krieges zu Whitman that: „Ich kann noch immer nicht glauben, daß die Franzosen so thöricht sein werden, es wirklich zum Kriege kommen zu lassen. Thun sie es aber doch, so wollen wir ihre rothen Hosen entsprechend zurichten." Whitman, der vielleicht zuerst unter den Eng ländern den preußisch-deutschen Pflichtbegriff erfaßt hat, ver mochte sich darum auch in den spartanischen Zuschnitt der Persönlichkeit Moltke's einzuleben und seine peinliche Spar samkeit richtig zu würdigen. Ein ungemein glückliches Gegenstück zu der in strengen Linien gehaltenen Skizze über Moltke bildet die, fast möchte ich sagen, mehr lyrische Schilderung des Lebens in Fried richS ruh. Ein herzliches Verständniß, eine warme Liebe durchströmt sie. Nicht vom Staatsmann Bismarck spricht er, den Menschen zeigt er uns mit der anschaulichen Fülle eigener Beobachtung. Er begleitete ihn in seinen Wald und freut sich seiner Liebe zu seinen Bäumen; er tritt mit ihm bei seinen Bauern ein, daS Mütterchen klagt dem Fürsten, sie sei 80 und ibr Mann 82 Jahre. „O, das ist gewiß nicht so schlimm", tröstet der Gutsherr, „Sie sehen ja, wir sind nicht weit auseinander, wir haben beide noch Leben vor uns." Er schildert ihn in der funkelnden Lebhaftigkeit und reichen Liebenswürdigkeit seines Tischgesprächs, und betrachtet mit Nübrung diesen Hünen, wie er nach dem Essen mit mildem Lächeln und weichem Blicke seine Frau auf die Stirn küßt. Die Enkel zeigt er, die sich vor dem „Großpapa" nicht fürchten, und wie Großpapa über Tisch die Töchter seines Sohnes Wilhelm in amüsanter Weise ganz als er wachsene Damen behandelt. Dann lauscht der greise Mann den Tönen der Volkslieder oder den Werken Beethoven's, die er so liebt: Concerte könne er nicht vertragen, meint er zu dem Gaste, „aber zu Hause, wenn die Musik ungeruscn kommt, liebe ich wenige Dinge mehr". Der unwiderstehliche Zauber des deutschen Familienlebens, in dem sich die zurückhaltende deutsche Natur am reinsten und vollsten offenbart, hat in dem einsamen Hause im Sachsenwalde den Fremden bezwungen, die anspruchslose, herzliche, stille Fröhlichkeit. Diese harmlose Lebensfreude, er gesteht es selbst, ist der eigentliche Grund seines „peuctmut" für Deutschland. Er denkt an das sonnenlose sociale Leben der Arbeilermassen in London, Edinburg, Manchester, Sheficld oder Hüll, die Verkommenheit der oft trunksüchtigen englischen Arbeiterfrauen, die Gefahren und schrecklichen Folgen der zahllosen Gin Paläste, und er vergleicht damit den Sonn tag - Nachmittag des deutschen Arbeiters, der mit Weib und Kind fröhlich aufs Land fährt, bei Bier und Musik vergnügt ist und sich eins singt oder tanzt. Ueber Haupt ist die oft besprochene Lage des englischen und des deutschen Arbeiterstandes selten so verständig und zu treffend verglichen worden wie von Whitman. Er faßt die Vortheile des englischen Arbeiters in seiner größeren „Frei heit" zusammen, aber er verkennt nicht, daß diese englische Freiheit eine Sache ganz sui genoris ist, und zugleich Mangel an Disciplin und an Hilfe bedeutet. Dem gegenüber zählt kr aus, was der Arbeiter in Deutschland voraus hat: allgemeines Wahlrecht (in England bisher ein Zukunststraum); aus gedehnten Schutz vor Verfälschung seiner Nahrungsmittel; verhältnißmäßig billige Rechtspflege; relative Leichtigkeit, Eigentümer von Land oder eigenem Hause zu werden; vor züglichcn freien Unterricht; endlich die Hilfe eines aus gedehnten staatlichen Versicherungssystems. Dieser Vergleich führt ihn zu dem für uns ungemein lehrreichen Ergebnisse, daß die unzufriedenen deutschen Arbeiter, wenn sie die Vcr hältnisse deS gepriesenen freien englischen Arbeiters mit eigenen Augen sehen würden, die ost grauenvollen WohnungSzustände, die Freudlosigkeit und ost die Verkommenheit des Lebens, — daß sie bann zu anderen Anschauungen kommen würden. Whitman hat die Thatsache erkannt und spricht sie un umwunden aus, vor der seine Landsleute eigensinnig die Augen schließen: daß Deutschland jetzt wieder die politische und kulturelle Macht geworden ist, die es vor dem unseligen dreißigjährigen Kriege war. Er hat verstanden, wie ver kehrt es von den Ausländern war und ist, in den Deutschen zuerst oder gar ausschließlich Soldaten zu sehen, und weift treffend darauf hin, daß der Deutsche nie, wie die Angehörigen mancher anderer Völker, als „der beste Soldat der Welt" posirt. Er begreift, daß unser Volk durch eine 200 jährige Schule harter Arbeit sich die praktischen Fähigkeiten erworben bat, die die Deutschen jetzt anscheinend so plötzlich als Industrielle, als Kaufleute, als Colonisatoreu zeigen. Er ist der Ueberzeugung, daß Deutschlands Ent Wickelung sich in stark aufsteigender Linie bewegt, und bezeichnet Berlin geradezu als die Zukunftsstadt des europäischen Continents. Er ist nicht blind für unsere Fehler und amüstrt sich sehr, wenn er in der Kissinger Badeliste eine „Fleisch- Waarenfabrikanten-Gemablin" oder eine „Kgl. Hofsilbergeschirr- putzcrS-Tochter aus Berlin" findet. Aber wie köstlich persi- flirt er demgegenüber die anscheinende „Freiheit" englischer Titelverachtung! Freilich, da steht schlicht und bündig: Mr. Harcourt aus England." Aber erlaube Dir nur zu fragen, wer Mr. Harcourt aus England sei. „Was, Sie kennen die Harcourts nicht? Mann, sind Sie ein Krämer oder so'n ge meiner Snob? Aber auch dann müßten Sie die Harcourts kennen, wäre es auch blos daher, daß Sie sie binterm Laden tisch bedient oder ihre Schuhe geputzt haben! Na, der ehrrn- werthe Mr. Harcourt ist der jüngere Sohn Lord Orpinaton's ! Ist Vicar von South-Greggleton-cum-le-Church. Die Pfründe ist jetzt mindestens 300 Zähre in der Familie. Er ist mit Feeerlletsie. Der heirathslustige Provisor. Humoreske von Ludwig Habicht. Nachdruck verboten. DaS Herz meines Freundes war ewig in stürmischer Be wegung. Entweder batte er sich leidenschaftlich in einen „Engel von Schönheit und Güte" verliebt, oder ein solcher Engel war ihm zuvorgekommen und batte an ihn rettungslos sein Herz verloren. DaS Letztere war sogar die Regel, wenigsten» nach den Angaben meines Freundes, dessen Zuverlässigkeit in solchen Dingen über jedem Zweifel erhaben war. Er wußte für seine kühnen Behauptungen stet» so überzeugende Beweise vorzu bringen. Freilich war Freund Anton in dieser Hinsicht so be scheiden. Ein freundlicher Blick aus schönen Augen, ein flüch tiges Lächeln genügte ihm zu der verwegenen Annahme, daß er „Eindruck gemacht habe", und behandelte ihn eine junge Dame mit auffallender Gleichgiltigkeit, dann wußte er grade aus diesem scheinbar kühlen Benehmen den Schluß zu ziehen, daß sie sterblich in ihn verliebt sei, und wenn ich zu diesen verwegenen Behauptungen ein ungläubiges Gesicht macht», er klärte er mit siegeSgewiffer Sicherheit: „Ah, Du kennst die Frauen nicht! Sie sind wie Bootsleute, die dem Ufer, an dem sie landen wollen, auch den Rücken zukehren." Mein Freund Anton war kein schöner Mann, obwohl wir ihn scherzweise Antoniu» getauft hatten und er sich diese Umwandlung seine» Taufnamen» sehr wohl gefallen ließ. Wie idealistisch er auch gesinnt war und wie leicht sich auch jede» junge Mädchen seine Liebe zuzog — eine Tugend besaß er doch — die Vorsicht. Sein Herz war leicht zu entflammen, ja völliger Zunder, der augenblicklich Feuer sing, dann aber behielt eine äußerst nüchterne, realistische Auffassung die Ober band; — er zog heimlich, aber sehr gewissenhaft die sorg- sältigsten Erkundigungen über die Vermögensverhältnisse der Angebeteten ein, und entsprachen sie nicht seinen Erwartungen, dann wurden die kaum aufgeblübten Gefühle gnadenlos an» seinem Herzen herauSgeriffen, und da sie niemals Zeit ge funden, tiefe Wurzeln darin zu fassen, so änderte dies rasche Knuten und Welken niemals da« herzliche Wohlbefinden «aiae« Freunde«. Er war seines Zeichens Apotheker — ein Berufszweig, der ohnehin die meisten Originale aufweist — und da er auf die Erlangung einer Concession vorerst nicht zu hoffen wagte, so sah er für sich keinen anderen Ausweg, als durch eine reiche Frau in den Besitz einer Apotheke zu gelangen. Trotz seiner bodenlosen Eitelkeit hatte Freund Antonius zuweilen Anwandlungen von einer gewissen Selbstcrkenntniß, und in solchen Augenblicken gestand er mir Wohl, nachdem er sich eben gerühmt, daß er sich das Talent zutraue, das reichste und schönste Mädchen für sich zu erobern: „Ein armer Provisor wie ich darf nicht allzu skrupulös sein. Bei sechzigtausend Mark mache ich auf Schönheit keinen Anspruch; hat sie hunderttausend Mark, kann sie sogar einäugig sein, oder einen kleinen Verdruß haben, und bat sie noch mehr, dann nehme ich sie mit verbundenen Augen." Selbst diese Anspruchslosigkeit — wenigstens nach einer Seite hin — war seinen Heirathsplänen nicht günstig gewesen, er hatte mit all' seinem Wagen und Träumen noch immer nicht die Rechte gefunden. Mein Freund AntoniuS besaß noch «ine Tugend: — er schlug niemals eine Einladung zu einer Abendgesellschaft oder zu einem Balle auS. Er batte wieder eine Einladung erhalten; diesmal sogar zu dem Balle «ine» reichen Fabrikbesitzer», und er brachte mir triumphirend dir Nachricht. „Der Mann ist Millionair nnd die jungen Mädchen, die dort erscheinen, sind natürlich alles Goldfische", rief er mit gewohnter Schwärmerei, und seine kleinen Augen zogen sich schmachtend zusammen, als habe er bereits einen solchen Goldfisch gefangen. „Jetzt ist mein Glück gemacht", setzte er siegesbewußt hinzu. „Eine solche Gelegenheit hat mir nur gefehlt. Ich werde eine wahrhaft bezaubernde Liebenswürdigkeit entfalten, und die Ueberzeugung habe ich schon jetzt, daß ich auf jenem Balle der beste Tänzer bin." Am Morgen nach dem Balle, al» ich ruhig an meinem Schreibtisch saß, wurde plötzlich die Thür autgeriffen und Freund Anton stürzte herein. Er stieß schon auf der Schwelle einen Freudenschrei au« und schloß mich jubelnd in seine Arme, noch ehe ich mich rechtzeitig vor seinem stürmischen Enthusiasmus retten konnte. „Gewonnen! Es ist mein! DaS schönste und reichste Mädchen der Stadt!" jauchzte er hervor, und seine Helle Stimme überschlug sich förmlich. „Du siehst mich wieder so zweifelnd an! Ja, du bist ein Skeptiker", fuhr er in einem Athem fort: „Du glaubst mir niemals, aber die Thatsache spricht für mich. Sie hat den Contre und noch zwei Rheinländer mit niir getanzt und mir gesagt: „Sie tanzen ausgezeichnet!" Und wie bat sie eS gesagt!" Er küßte sich vor Entzücken die Finger. „Mit einer süßen Stimme, die mir das Herz umgedreht, und mit Augen, die mich ganz bezaubert haben." Mein ungläubiges Gesicht brachte ibn noch mehr in Eifer: „Denke, was Du willst, ich versichere Dir, ich habe dennoch auf die Göttliche Eindruck gemacht, und auf dem nächsten Ball erobere ich sie mir völlig." „Und wer ist die Holdselige, au die Du diesmal Dein Herz verloren?" „Fräulein Käthchen Helbig. Ihr Vater ist rin reicher Färbermeister, der sich aber schon zur Ruhe gesetzt hat. Köthchen ist die einzige Tochter, und ich hab' mich schon ganz genau erkundigt, der Mann ist mindestens drei Mal hundert tausend Mark schwer. Dreißigtausend Mark bekommt sie mit. Mehr rückt freilich der Alte nicht heraus; aber das schadet nichts. Zur Anzahlung auf eine Apotheke reicht es, und für das klebrige kann ich ja meinem Schwiegervater Hypothek bestellen, dann ist er völlig gesichert und Alles in Ordnung." „Bist Du diesmal Deiner Sache so gewiß, daß Du wieder so kühn träumst?" „Vollkommen", sagte er mit einer Ueberzeugung, die zu erschüttern herzlos und auch unmöglich gewesen wäre. „Du hättest ihren Blick sehen sollen, mit dem sie mir zugeflüstert: „Sie tanzen ausgezeichnet". Ich sage Dir, einen Blick, der mir Alle» verrieth, und ich Tbor hätte gleich ganz anders ins Feuer gehen und rin Bekenntniß wagen -ollen. Auf dem Balle, in solch' bewegten Augenblicken genügen ja wenige gelispelte Zärtlichkeiten und Alle» ist entschieden." Um ihn au» seinerSiegeSgewißbeit doch etwa« aufzuscheuchen, entgegnete ich bedenklich: „Em reiches, junges und, wie Du sagst, auch hübsche« Mädchen wird viele Bewerber haben, und solltest Du wirklich —" „Sei ohne Sorge", unterbrach er mich sofort, „ich habe zwar gesehen, daß Fräulein Helbig viel umflattert wurde, aber es waren Alle nur mittelmäßige Tänzer, und die beiden Herren, die ihr am meisten huldigten, sind mir am wenigsten gefährlich. Referendar Behrend tanzt sehr schlecht und vr. Fraiizbcrg kann gar nicht tanzen. Solche Rivalen schlage ich mit Leichtigkeit aus dem Felde, denn Fräulein Käthchen tanzt, wie ich gekört, leidenschaftlich gern, und da kann ibr freilich nicht die Wahl schwer fallen. Er sah sich schon im Besitz der größten und einträglichsten Apotheke, spielte mit vornehmer Sicherheit den Herrn, gab glänzende Bälle, zu denen er sogar die Gnade hatte, mich ein zuladen, obwohl er meine tiefe Abneigung gegen diese Act Vergnügungen kannte. Wenige Tage darauf konnte mir der Ueberglücklichc mit tbeilen, daß bei einem reichen Rentier sckon wieder eine kleine Privatgesellschaft stattfinde, daß er mit einer Einladung be ehrt worden und, wie er ganz genau erfahren, auch Fräulein Helbig dort erscheinen werde. „Nun naht die Entscheidung", fuhr er mit leuchtenden Augen fort: „Ich will noch herrlicher tanzen als je, und ihr dann in einer Pause mein Herz zu Füßen legen!" „Vor allen Leuten?" „Ach, Du weißt recht gut, daß ich eS nur symbolisch meine", entgegnete er bastig, „aber ich werde nicht länger zögern und den ersten nur sich darbietenden Augenblick kühn benutzen, denn Wortes tortun» achjuvat!" Freuno Antonius schwärmte noch lang« von dein reichen, schönen Mädchen, rühmte seinen Muth, berief sich auf Goethe, der auch empfehle: „geh' den Weibern kühn entgegen", um sie zu gewinnen, und prahlte davon, daß er sem Lebelang diesem Grundsatz gehuldigt habe. Der wichtige Festabend war vorübergegangen, und mein Freund erschien nicht am anderen Morgen, wie rck> erwartet batte, um mir den Erfolg seiner Werbung zu verkünden. Hatte ibn das Glück schon so berauscht, daß er darüber seine alten Bekannten ganz vergaß? Er ließ sich den ganzen Tag über nicht seben, auch am folgenden fand er sich nickt ein. Hätte er auch diesmal eine Niederlage erlitten, so wäre er gewiß bald zu mir gekommen, wie er dies früher stets gethan batte; er mußte also wirklich mit seiner Tanz fertigkeit da« Herz de» jungen Mädchen« erobert haben mrd
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