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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.03.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-03-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960309025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896030902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896030902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-03
- Tag1896-03-09
- Monat1896-03
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zissernsa» nach höherem Tarif. Vrtra-Veilagrn (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmelchluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anreisen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz In Leipzig Montag den 9. März 1896. W. Jahrgang. Amtlicher Theil. Werk- und Lagcrplayverpachtuug. Das früher voin Uvnigl. Sächs. ,0. Insanterie-Reginient Nr. 184 zu Exercir- und Schießübungen benutzte, der Stadtgemeinde Leipzig gehörige Areal hinter der Gasanstalt I soll von jetzt an zur Be nutzung zn Werk- und Lagerplatzzwecken anderweit verpachtet werden. Ein Theil davon ist noch verfügbar und Pachtlustige werden hiermit aufgefordert, ihre Pachtgebote mündlich oder schriftlich auf dem Rathhause, I. Obergeschoß, Zimmer Nr. 8, woselbst auch über die näheren Pachtbedingungen Auskunft erthcilt wird, abzugeben. Leipzig, den 6. März 1896. Ter Rath Vrr Stadt Leipzig. lu. 8160. Or. Georgi. Krumbiegel. Politische Tages schau. * Leipzig, 9. März. Wenn der Mittelstand, von dessen Sorgen vor der letzten Reichstagöwahl so viel die Rede war und dem die ultramonlanen und conservativen (Kandidaten die sorgfältigste Prüfung seiner Anliegen versprachen, künftig auf solche Ver fprechungen nichts mehr giebt, so kann das nicht befremden. So oft im Reichstage agrarische Forderungen zur Besprechung kommen oder das Centrum mit Wünschen hervortritt, wird der Discussion der breiteste Raum gegönnt; als aber am Freitag der Abg. v. Bennigsen sich bemühte, die Novelle zur (Gewerbe ordnung, die so tief in die Lebensinteressen des Mittelstandes einschneidet, einer Com mission zu überweisen, damit in ihr die Fülle von Abänderungsanträgen eingehend geprüft werden könnte, blieb er mit seinem Anträge in der Minorität. Die Fortsetzung der Berathung am Sonnabend Hal nun bereits den Nachweis erbracht, wie verkehrt die Majorität handelte, als sie auf Drängen des Ccntrums auf der weiteren Berathung im Plenum bestand. Fünf volle Stunden wurde zwecklos hin- und hergercdet, und immer augen fälliger wurde die Thatsache, daß die verschiedenen Materien, die in Lieser Vorlage behandelt werden, durch die in srüheren Jahren vorgenommeucn Conimijsivnsverhand- lungen noch keineswegs genügend geklärt sind und daß es im Plenum kaum möglich sein wird, aus der Menge der Abänderungsanträge das Rechte berauszufinden und so zu formuliren, daß eS seinen Zweck erfüllt. Wie sehr man sich nun auch bemühen mag, durch weitere Plenarberathung des Gegenstandes Herr zu werden, in vielen Fällen wird bei der wechselnden Frequenz des Hauses der Zufall über wichtige Bestimmungen entscheiden, die das Lebensinteresse ganzer Erwcrbsgrüppen auf daS Tiefste berühren. Zunächst wurde die Abstimmung über K 33. wonach die Landes regierungen den Kleinhandel mit Branntwein in den Con- snmvereincn, deren Betrieb sich auf den Kreis ihrer Mit glieder beschränkt, als Schankbetrieb behandeln können, ausgesetzt, bis man sich über Artikel 4 der Borlage geeinigt habe. Zum tz 33 hatte der CentrumSabgeordnete Gröber einen Antrag cingebracht, direct von Reichs wegen die vorliegenden Bestimmungen für das Reichs gebiet obligatorisch zu machen, und sein FractionSgenosse Hitze beantragte dazu, alle Erwerbs- und Wirthschafts- genvssenschaften, die unter das Genossenschaftsgesetz fallen, derselben Bestimmung zu unterwerfen. Staatssecretair Or. v. Bo etlicher machte zutreffend darauf aufmerksam, daß daniit die eingetragenen Genossenschaften um ihre Be wegungsfreiheit kämen, und empfahl eindringlich, zum Mindesten bei der dritten Lesung eine einwandSfreie Fassung dieser unklaren Wünsche vorzubringen. Bei Artikel 4, der den Kleinhandel mit Bier, mit Droguen und Heilpräparaten solchen Gewerbetreibenden, welche sich hierin als unzuverlässig erwiesen, verbietet, kamen die con servativen und klerikalen Variationen zu diesen Bestimmungen zur Berathung. Es entspann sich schließlich eine Debatte darüber, ob die Droguisten nützlich oder schädlich seien und inwieweit sie mit den Apothekern in einem Concurrenzkampfe lägen. Darüber verstrich die Zeit, und da man sich über die Sache nicht zu einigen vermochte, einigte man sich wenigstens schließlich über die Vertagung, die selbstverständlich eine Cvmmissionsbcrathung nicht zu ersetzen vermag. lieber den Zweck und die voraussichtliche Folge des Be suches des österreichisch-ungarischen Ministers deö Aenßcrn (Grafen (Ooluchowski in Berlin hat die „Köln. Ztg." einen Artikel veröffentlicht, den das ofsiciöse Berliner Telegraphen-Bureau schleunigst weiter verbreitet hat und von dem also anzunehmen ist, daß er den Auffassungen der maßgebenden Kreise in Berlin entspricht oder Wohl gar von diesen Kreisen inspirirt ist. Er erblickt in diesem Besuche eine neue Bürgschaft für die Sicherung des Friedens und tritt mit aller Eiilsckiedcnheit der Auffassung entgegen, daß der schwere Schicksalsschlag, der Italien betroffen, eine Lockerung des Dreibundes zur Folge haben werde. Ztalien werde jetzt im Gegentheil besondere Gelegenheit erhalten, seine wahren Freunde kennen zu lernen. Durch die Hindeutung darauf, daß zwar „gewisse Schwierigkeiten" in den Beziehungen zn England zu Tage getreten seien, dafür aber eine unverkennbare Besserung in den Beziehungen zu Ruß land cingetrcten sei, wird dann dem italienischen Ver bündeten tundgegcben, daß die beiden anderen Mit glieder des Dreibundes in der jetzigen allgemeinen politischen Lage keinen Grund erblicken, von Ztalien irgend eine Rücksicht aus den Bund zu fordern, und daß sie in der erfreulichen Lage sind, dem Bundesgenossen anheimzustellen, alle seine Kräfte zur Auswetzung der afrikanischen Scharte zu ver wenden. Ganz in der gleichen Richtung bewegt sich Fne Zuschrift, die der „Krcuzzeitung" aus Wien von zweifellos wohlinformirter Seite zugeht. Ihr Schluß, auf den es be sonders ankommt, lauter: „Ganz lächerlich sind die Aeußerungen, daß die Begegnung Erörterungen wegen der Stellung Italiens im Dreibünde zum Gegenstände haben werde, weil bas durch die Niederlage in Afrika geschwächte Italien nicht mehr über die dem Bündnis verträge entiprcchende Truppenzahl verfügen könnte. Wie ost soll man wiederholen, daß von Beipflichtungen wegen eines Truppencontingents bei der Schaffung des Dreibundes nicht die Rede war?" Deutlicher kann nicht gesagt werden, daß man auch in Wien von Italien, das überhaupt durch den Dreibund zur Stellung eines bestimmten Truppencontingents nicht ver pflichtet ist, bei der gegenwärtigen Lage nichts Anderes erwartet, als die Sorge für sich selbst und die Wiederher stellung seines geschädigten Ansehens. Ohne Zweifel wird während dcS Aufenthalts oes Grafen Goluchowski der italienischen Regierung diese Versicherung auch in officieller Form gegeben. Von welcher Wirkung sie auf König Humbert sein wird, unter liegt bei dein Charakter dieses Monarchen keinem Zweifel. Es fragt sich nur, ob er den rechten Mann findet, der ent schlossen ist, den Rath zu befolgen, der in den Versicherungen Deutschlands und Oesterreich-Ungarns liegt. In Italien ist, deutlich erkennbar, eine Strömung an der Arbeit, welche das Fiasco des abessinischen Feldzuges als willkommenen Borwand nimmt, um nicht nur die afrikanische Colonialpolitik in Bausch und Bogen zu verdammen, sondern um den Augenblick zu einem directen Vorstoß gegen die Dreibundspolitik des Königs Humbert, ja gegen die monarchischen Institutionen des Landes über haupt zu benutzen. Radikale und Socialrevolutionaire wett eifern in der Discreditirung der öffentlichen Gewalten; in Rom und in den Provinzen werden anarchistische Brand schriften verbreitet, welche zur verstärkten Wiederaufnahme der unter der „Diktatur Crispi's" unterbrochen gewesenen Umsturzpropaganda auffordern. Wir stehen nicht an, das Hervortreten der subversiven Bestrebungen für den aller bedenklichsten Zug in dem italienischen Augenblicksbilde zu erklären, umsomehr, als der wüste Lärm der berufsmäßigen wie der Gelegenheitsschreier alles Andere übertäubt und die führenden Politiker der gemäßigteren Parteien dermaßen einschüchtert, daß, für jetzt wenig stens, keiner von ihnen sich getraut, in ein Cabinet einzu treten, welches eine, wenn auch anfangs vorsichtig zurück haltende, so doch kraftvolle Fortsetzung der afrikanischen Action befürworten möchte. Bis heute galten die Chancen Rudini's als die aussichtsvollsten, der dem Könige Humbert allen Ernstes rätb, in Abessinien klein beizugeben und damit wiederum den ihm eigenen, von uns schon hervorgehobenen Mangel an Energie und Schneidigkeit vermissen läßt. Der König soll für die Cabinetsbildung drei Bedingungen gestellt haben: 1) Fortführung des Kriegs in Afrika mindestens bis zur Wiederherstellung der militairischen Ehre; 2) Beibehaltung der zwölf Armeecorps; 3) Aufrechterhaltung des Dreibundes. Ein Ministerium zu finden, welches die letztere Forderung zum Hauptpunkt seines Programms macht, würde nicht schwierig sein. Allein nur Colombo scheint dem König geratben zu haben, an den beiden ersten Forderungen festzuhalten und Saracco als den Mann der Situation zu berufen. Von allen anderen Seiten wird dem König nur der Name Rudini zugerufen. Rudini aber ist fest entschlossen, den Krieg nicht weiter zu führen und sich zu keinem Unter nehmen zu verpflichten, welche« über die Grenzen ASmara- Keren, Massaua hinausginge. Etwas weiter scheint General Ricotti zu gehen, und der König hat auch nach den letzten Meldungen ihm den Auftrag zur Cabinetsbildung über tragen, aber auch Ricotti glaubt nicht ohne Rudini an der Spitze des Cabinets vor die erregten Kammern treten zu sollen. Immerhin darf man, wenn Ricotti als Kriegsminister in das neue Ministerium eintritt, die Hoff nung noch nicht aufgeben, daß die Scharte von Asmara voll ständig ausgewetzt wird. Ob Italien nachher seine Afrika politik einschränken oder ausdehnen soll, erscheint uns jetzt als eine ouig, podterior, die auf die Tagesordnung zu setzen dann Zeit sein wird, wenn die Aufregung im Volk und Parlanient sich gelegt bat. Afrika heute schon principiell aufzugeben, wäre ebenso verkehrt, wie von dem neuen Cabinet zu verlangen, daß eS sich nun erst recht für weitgehende Avancen m Abessinien verpflichte. Die englische» Bemühungen, die Schifffahrt aus dem Tigris in englische Hände zu bringen und zu mono- polisiren, sind auf dem Wege, neue Fortschritte zu machen. Die Strecke zwischen Basra und Bagdad ist für den ganzen gewaltigen Schiffsverkehr von Bombay nach Persieg von großer Bedeutung; es handelt sich also für England darum, dort die türkische Dampfschiffsgesellschaft Oman immer mehr in den Hintergrund zu drängen. Englischerseits ist nun zunächst die Verlegenheit, in die die Pforte durch die armenischen Wirren versetzt war, ausgenutzt worden, um das bisher nur der türkischen Gesellschaft zustehende Reckt, Schleppkähne mitzufahren, aus die beiden englischen Fluß dampfer „Mejidieb" und „Kalisab" der englischen Gesellschaft Stephen Lynch ck Co. wenigstens für die Dauer des niedrigen Wasserstandes zu erhalten. Seit Ende vorigen Jahres fahren nun sojche großen Eisenboote im Schlepptau dieser englischen Dampfer auf dem Tigris auf und ab; längst ist inzwischen wieder Hochwasser eingetreten, aber die Schleppkähne waren trotz vielfacher Verzögerungen und Uebelständc, die mit dem hoben Wasserslande Zusammenhängen, weiter gefabren, weil die Gesellschaft hofft, zur Beseitigung dieser Uebelständc durck lebhafte Vermittelung des englischen Botschafters bei ter Pforte die Einstellung eines neuen dritten englischen Fluß raddampferS bewilligt zu erhalten. Gelingen diese Be ftrebungen, an denen englischerseits seit mehr als 20 Jahren unablässig gearbeitet wird, so ist es klar, daß das wirt schaftliche und damit auch das politische Uebergewicht Eng lands auf Kosten des jetzt bestehenden russischen Ein flusses einen wichtigen Schritt nach vorwärts gemacht haben wird. In Serbien ist die Verfassungsfrage in ein Stadium eingetreten, welches für den Bestand des fortschrittlichen Ministeriums sehr gefährlich werden kann. Außer Zweifel steht der ernste Wille des Königs, der seinerzeit von ihm erlassenen Proklamation entsprechend, sobald die Geister sich wieder beruhigt haben, das Land wieder einem regelmäßigen Verfaffungsleben zuzuführen. Der König weiß es jetzt vor Allem nach seinem ganzen Werthe zu schätzen, daß die radicale Partei an die Krone Zugeständnisse zu machen sich bereit erklärt bat, durch die sie ihre Regierungsfähigkeit in entschiedener Weise bezeugt. Ebenso ist sich der König be wußt geworden, daß es im Interesse der Krone liegt, diese guten Dispositionen rechtzeitig zu benutzen. Darum drang er bei der Regierung darauf, daß jetzt unmittelbar, nachdem die Skup schtina ihr Arbeitsprogramm erledigt batte, ein aus Mitglie dern aller Parteien bestehender VerfassungSanSschuß ernannt werde. Da aber daS fortschrittliche Ministerium nicht zu bestimmen war, von seiner alten Anschauung abzugeben, die nächste Skupschtina habe erst über die Frage, ob eine Versassungs änderung geboten sei, abzustimmen, so daß die Verfassungs frage der großen Skupschtina erst im nächsten Jahre vor gelegt werden könnte, willigte der König zwar im Hin blick auf die beiden noch in der Schwebe befindlichen Finanzsragen, die Cotirung der Serben-Papiere an der Pariser Börse und die Realisirung ber serbischen An leihe, in die augenblickliche Vertagung der Frage. Derselbe wird jedoch, wie man mit Zuversicht voraussagen kann, noch in diesem Frühjahr zur Entscheidung kommen und zwar schwer lich zu einer Entscheidung im Sinne der Regierungspartei, die als ausschließliche Grundlage für die Verfassungs durchsicht die Verfassung von 1869 erklärt hat, welche die beiden anderen Parteien, die liberale und radicale, unter keinen Umständen anuehmen. Der fortschrittlichen Partei aber allein das Revisionswerk zu überlassen, daran denkt der König nicht, da nicht die geringste Aussicht vorhanden wäre, sie könnte dasselbe in der großen Skupschtina durchsetzen, deren überwiegende Mehrheit liberal und radical ist. Unter diesen Umständen sind also die Tage deS gegenwärtigen Cabinet« jedenfalls gezählt, pxr König wird das dynastische und da« LandeSmteresse am besten fördern, wenn er in gemessener Frist auf der Ernennung des VerfaffungsauSschusseS besteht, gleichviel ob dieser dann, wie Feuilleton. Zeine „dumme" kleine Frau. 19j Roman von F. Klinck-Lütetsburg. Nachdruck verboten „Wenn hinter der Geschichte mit der Frau Hilligenfeld nur nickt der Gutsbesitzer von Greisingen steckt!" „Wie meinen Sie daS?" „Kennen der Herr Assessor die Beziehungen?" „Die Frau Hilligenfeld war ehemals Wirthschafterin auf dem Gute. Die Pflege des alten Herrn ist ihr zugesallen und sie ist dafür in dem Testament desselben mit einem Legat von siebentausend und fünfhundert Mark bedacht worden." „So ungefähr war'«. Aber — eS ist noch 'was Anderes dabei. Es wird Wohl viel geredet, etwas Wahres ist aber auch gewiß daran, daS weiß der am besten, der die Ver hältnisse kennt. Die Hilligenfeld hat Herrn von Greifingen zn schröpfen versucht und ihm gedroht, daß sie in dem Proceß den sein Bruder gegen ihn angestrengt hat, bezeugen wolle, daß der alte Herr schon seit einer Reihe von Jahren nicht mehr richtig im Kopfe gewesen sei. Da wird er wohl den Spieß umgekehrt und ihr gezeigt haben, wa« 'ne Harke ist. Allmcr will wissen, daß er sie wegen versuchter Erpressung denuncirt habe." Assessor Ragubn batte den Mittbcilungen de« Secretair« scheinbar nur wenig Beachtung geschenkt. Er entgegnete auch nichts, sondern nickte nur ein paar Mal mit dem Kopfe, zum Zeichen, daß er doch einen Zuhörer abgegeben habe. Dann cerlirß er die enge Stube und wenige Augenblicke später auch daS Amtögericbtsgebände. Draußen angclangt, hatte er da« Bedürfniß, wiederholt tief anfzuatbmen, aber auch in den engen, durch Braun- lohlenstaub verschmutzten Gassen lagerte eine dumpfe, schwüle Luft. So eilte er ins Freie hinan«, um in einem außerhalb der Stadt gelegenen Restaurant den Leib zu stärken. Er war der Meinung, daß eine physische Erschlaffung rückwirkend den Geist in Fesseln halte. Auch jetzt quälten ihn allerlei Gedanken, die er nicht in Zusammenhang mit einander bringen konnte und die er zu einem geschloffenen Ringe vereinigt zu sehen wünschte. Erst allmählich wurde er ruhiger und die im Lause der letzten Stunden empfangenen Eindrücke begannen sich zn klären. Er war bemüht gewesen, die plötzliche Idee, die ihn bei der Durchsicht gewisser Acten gekommen war, als einer überreizten Phantasie entspringend wieder zu verwerfen, aber die Aeußerung des Secretairs bezüglich Martha Hilligenfeld's hatte die rasch wieder entstandenen Zweifel an der Nichtig keit seiner Combination beseitigt. Hier war eine das Trieb rad in Bewegung setzende Kraft, die er ergründen wollte. Etwa gegen 6 Uhr Abends kehrte er nach Hause zurück. Hier angelangt, fand er eine Karte Ernst von Rötlingen s vor. Derselbe war also wieder in der Stadt. Das'war ihm au« mehr als einem Grunde unangenehm, da er jeder Begegnung mit ihm aus dem Wege zn gehen entschlossen war. So schrieb er demselben unverweilt, daß er aus ge wissen Gründen vorläufig auf jedes Zusammentreffen mit ihm Verzicht leisten müsse. Als seine Wirthin ihm da« Abendessen brachte, fragte er diese nach dem Verbleiben der Frau Hilligenfeld, die, wie er gesehen, ihren Laden geschlossen habe. Es war da« erste Mal, daß die Frau an ihrem Ein- miether ein Interesse an dem, was in der Stadt vorging, wahrnahm und sofort ging sie mit einem Eifer ans Erzählen, als habe sie eine große Versäumniß nachzuholen. Ob denn der Herr Assessor noch nicht« von der Geschichte erfahren habe? Die ganze Stadt sei ja voll davon. Die habe mit ihrer Schlechtigkeit eine schöne Suppe sich eingcbrockt, die sie nun auch auSessen möge. Den Herrn Georg habe sie hineinlegen wollen, aber es werde ihr jetzt selbst an den Kragen gehen. Der lasse doch nicht mit sich spaßen. In einem Zeitraum von secks Wochen sei die ganze Herrlichkeit zu Ende gewesen und sie habe bettelarm aus dem Hause gemußt. Nun wobne sie in einer kleinen Stube in einem der Vorstadthäuser. Ihr Haus sei zwar noch nicht zur Sub- hastation gekommen, aber die Hypothek gekündigt, und was sie denn ohne Laden, Möbel rc. auch noch dort zu suchen gehabt habe. „Wo wohnt sie?" „Wo? Na — wo denn nur gleich? Ich glaube ganz draußen bei der letzten Fabrik — in der Carlstraße. Sie will nun wohl auSgchen und Putz machen, vielleicht auf den Dörfern, denn die vornehme Kundschaft muß sie schon auf geben. E« hat sich doch reckt berumgesprochen, wie sie'S gemacht hat. Das hat kein Mensch von ihr gedacht. Sie that immer so groß und so vornehm." Geduldig lieh Friedrick Raguhn noch einem weiteren Wort- sckwall sein Obr, obwohl er bereits über daS unterrichtet war, was er zu wissen wünschte. E« war ihm lieb, daß Frau Hilligenfeld außerhalb der Stadt wohnte. So würde er nicht erst den späten Abend und die Dunkelheit abzuwarten brauchen, um seinen beabsichtigten Besuch zur Ausführung zu bringen. Eine Viertelstunde später war er schon auf dem Wege. Auf den Straßen herrschte reges Leben, und zahlreiche Spazier gänger wanderten ins Freie hinaus. Unter diesen konnte Friedrich Raguhn unbemerkt seinen Weg verfolgen, bis er seitwärts in die Carlstraße abbog. Diese führte noch weit hinaus. Sie verdiente eigentlich den Namen einer Straße nicht, sondern war nur ein sandiger Weg, der sich in einer Kiesgrube verlor und zu beiden Seiten von nicht mehr al« einem halben Dutzend kleiner Häuser bebaut war. Die Be- schreibuiig seiner Hauswirtbin genügte vollständig, um ohne weitere Nachfragen Frau Hilligenfeld's kleine Wohnung zu finden. Nach dem Gehörten batte Friedrich Raguhn eine völlig gebrochene Frau in einer elenden Umgebung zu finden er wartet. Statt dessen trat ihm eine scheinbar den besseren Ständen angehörige Dame entgegen, die ihm, nach Nennung seine« Namens, in ein beinahe elegant eingerichtetes Zimmer führte und ihn dann nach seinen Wünschen fragte. Der Assessor fand nicht gleich Worte. Die Begegnung entsprach so wenig seinen Vorstellungen, daß er nicht daran denken konnte, seinen entworfenen Plan unter Verheimlichung seines Namen« zur Ausführung zu bringen. Martha Hilligenfeld imponirte ihm, und er hielt e« für angemessen, sie über den Zweck seines Kommens zu unterrichten. Nachdem er dies gethan, konnte er aber eine veränderte Stimmung an ihr bemerken — sie zeigte von nun an die größte Zurück haltung, die sich erst im Laufe deS Gespräch« wieder verlor. „Ich komme nicht in amtlicher Eigenschaft, sondern nur ein privates Interesse läßt mich wünschen, über verschiedene Dinge Aufklärung zu erlangen", begann Raguhn, nachdem er auf dem Sopha Platz genommen. „Sie Haven sich über den Gerichtsvollzieher Allmer bei dem Herrn Landgerichts präsidenten beschwert. Erlauben Sie mir die Frage, warum Sie das erst gethan, nachdem Ihnen ein so schwerer Verlust zugefügt worden ist." Frau Hilligenfeld gab nicht gleich eine Antwort, in ihrem Gefühl gab sich deutlich Mißtrauen zu erkennen. Assessor Ragubn konnte aber ein solches nicht rechtfertigen. „Ich ahnte nicht, daß ein Beamter seine Befugnisse in dieser Weise zu überschreiten wagen würde", entgegnete sie dann. „Als man mir sagte, daß er mir nicht Alles habe wegnebmen dürfen, war e« schon zu spät." „Sie hätten einen Rechtsanwalt fragen müssen, Frau Hilligenfeld." „DaS habe ich gethan, ich war bei zweien. Der eine war nickt zu Hause. Herr Herrengrund aber meinte, daß cs mir doch nichts nützen werde. Ich bin dann auck aufs Gericht gegangen, aber dort abgewiesen worden, lind daun — ich konnte ja bezahlen, aber die Außenstände nicht so rasch einziehen. Allmer hatte mir gesagt, daß mir Zeit genug bliebe. Ich erfuhr erst durch die Zeitung von dem Verkauf meines Waarenbestandes und meiner Möbel, aber auf dem Gericht wollten sie mir das nicht glauben, Allmer bat andero ausgesagt, und da war nun nichts zu machen. Daß ich mick nachher noch an den Herrn Landgerichtspräsidenten gewentcl und mick über daS Verschleudern der Waaren, die nickt Leu zwanzigsten Theil des Werthes eingebracht haben, beklagte, thut mir leid. Es ist doch ganz zwecklos — Allmer redet sich aus." Friedrich Raguhn mußte an daS „jahrelange Lagern der Waaren und Möbel" denken, durch welche sie an Werth ein gebüßt haben sollten. „Frau Hilligenfeld, wie war denn aber da« Zusammen drecken Ihres, wie ich allerseits gehört habe, gutgebendcu Geschäftes möglich? Es hätte sich doch gewiß umgehen lassen? Verzeihen Sie meine Fragen. Sie^ entspringen dem auf richtigen Wunsche, Klarheit in diese Sache zu bringen." „Das hätte sich nicht umgeben lassen, Herr Assessor, das mußte so kommen, und ich kann nur Gott danken, daß es noch so abgeqangcn ist. Die Verbältniffe waren nickt halb so schlimm, wie ick in meiner Angst angenommen." „Sie hatten hartnäckige Gläubiger?" „Die Gläubiger waren nicht schuld, daS ging von Anderen aus. Ich sollte in die Enge getrieben werden, und so ist es Schlag auf Schlag gekommen. Zuerst hat'« geheißen, daS Geschäft sei zurttckgcgangen und ich könne nicht zahlen. Wahrheit ist daS nicht gewesen, aber der Ansturm, den daS Gerücht hervorgerufen, hat mich in eine schlimme Lage gebracht, und dann habe ich mich nicht mehr herauSsinden können, und ich dachte, daß Allmer Recht habe und e« zum Concur» kommen müsse. Wenn ich nur Rath gehört und Beistand gehabt hatte, dann wäre Alle- aut gegangen. Daran bat S aber gefehlt, und so bin ick übertölpelt worden. Nun komme ich aber doch noch wieder fort, denn da-, wa«
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