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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.03.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-03-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960311020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896031102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896031102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-03
- Tag1896-03-11
- Monat1896-03
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Gestern wurde ihm zunächst eine Bestimmung eingefügt, welche Consumvereine und „andere Bereine" den Anordnungen über den Geschäftsschluß an Sonn- und Feiertagen unterwirft. Um noch ein UebrigeS zu thun, hatten die Abgeordneten Gröber und Holleuffer der Polizei die Befugniß einräumen wollen, den Ausschank geistiger Getränke und den Kleinhandel mit Branntwein in solchen Vereinen Morgens vor 8 Uhr, sowie an Sonn- und Feiertagen während des Hauptgottesdienstes zu verbieten. Die Antragsteller zogen den Antrag zurück mit der bezeichnenden Motivirung, man habe „nur eine Anregung" geben wollen und dieser Zweck sei erreicht, allerdings eine cigeuthümliche Auffassung von parlamentarischer Arbeit. Daraus kam 8 12b zur Verhandlung, welcher den Hausirhandel innerhalb des Gemeindebezirks betrifft. Dieser Hausirhandel kann von der höheren Verwaltungsbehörde der Concessionspflicht zur Zeit uur dann unterworfen werden, wenn die Gemeinde selbst dies zuvor beschlossen hat. Die Novelle nimmt zunächst der Gemeinde dieses Bestimmungsrecht und überträgt es der höheren Ver waltungsbehörde; die Gemeinde soll nur „gehört" werden und ihre Beschlüsse sollen der Genehmigung der erstgenannten Be hörde bedürfen. Vom BundesrathSlische wurde diese Erweiterung der behördlichen Vollmacht damit begründet, daß kaum eine Gemeinde von der Befugniß, den Hausirhandel mit gewissen Waaren zu verbieten, Gebrauch gemacht habe. Nach kurzer Debatte wurde diese Abänderung angenommen, die weiteren Ab änderungen von tz 42 d aus der Vorlage dagegen gestrichen; es bleibt also dabei, daß der Hausir- und Markthandel mit selbst gewonnenen und selbst gefertigten Waaren innerhalb der Gemeinden, soweit es sich um Erzeugnisse der Land- und Forstwirthfchaft und Gegenstände des Wochenmarktverkehrs bandelt, nicht von einer Concession abhängig gemacht werden darf. Weiter genehmigte der Reichstag, daß schulpflichtige Kinder solche Waaren nicht feilbieten dürfen, und nahm dazu den Antrag Lenzmann an, wonach .Kindern unter 14 Jahren an öffentlichen Orten oder von Haus zu Haus das Feilbietcn überhaupt verboten wird, die Ortsbehörde aber für bestimmte Zeitperioden auf zwei Wochen dieses Verbot außer Kraft setzen kann. Darauf kam der vielbesprochene Art. 8 der Vorlage zur Verhandlung, der da bestimmt, daß nach tz 44 Abs. 3 der Gewerbeordnung nicht nur wie bisher das Auf käufen von Waaren nur bei Kaufleuten over Producenten oder in offenen Verkaufsstellen erfolgen darf, sondern auch das Aus stichen v o n B e st e l l u n g e n auf Waaren nur bei Kaufleuten oder solchen Personen geschehen darf, in deren Gewerbebetrieb Waaren der angebotenen Art Verwendung finden. Dem Bundesrath hatte die Novelle dazu in einer Einschaltung die Befugniß zuerkannt, für bestimmte Waaren Ausnahmen zuzu lassen. Schon im verflossenen Jahr hatte dieser Artikel durch den conservativ-klerikalen Uebereifer Abänderungen erfahren, welche den Buchhandel, die Leinen- und Wäschefabrikation sammt dem Weinbandel in berechtigte Aufregung ver setzten. Ein ganzes Heer von solchen und ähnlichen Anträgen lag diesmal vor. Wir erwähnen nur die Formulirung, die dieser Artikel schließlich erhalten hat: aus genommen wurde nur der Buchhandel und die Leinen- und Wäschefabrikation; bei diesen also darf der Detail reisende bezw. Eolporteur bei jedem beliebigen Menschen Bestellungen aufsuchen; die übrigen Ausnahmen darf der Bundesrath anorduen. Dagegen wurde jenes Zugeständniß an die Wünsche des Buchhandels dadurch wieder ciugeschräukt, daß das HauS den conservativ-klerikalen Antrag annahm, wonach der Eolporteur von Druckschriften und Bildwerken ein von seiner Ortsbehörde genehmigtes Verzeichniß mit sich führen muß. Heute wird die Berathung fortgesetzt und, wenn es nach dem Wunsche der Mehrheit gebt, auch beendigt werden, so raß morgen die Berathung deS Colonial- Etats beginnen können. Wenn die extremen Verschärfungen der Börscnvorlage und des Margartnegesehes, wie sie in den Commissionen beantragt sind, nicht an ihrer Undurchfübrbarkeit scheitern müßten, so wäre die Art, wie jetzt die Interesse» Les „in seiner Ehre gekränkten" deutschen Handelsstantes in einem Theile der Presse vertreten werden, völlig geeignet, den tollsten agrarischen Einfällen zur Verwirklichung zu verhelfen. Seit etwa vierzehn Tagen wandelt die Börse als ein vollkommenes Wesen in fleckenloser Reinheit durch die Spalten gewisser Zeitungen, während bisher, wo man sie öffentlich doch nur als Halbgöttin an zubeten wagte, es wenigstens verstattet war, am Saume ihres lichten Gewandes Spuren der Berührung mit Profanen zu erblicken, die bei rem Treiben ohne Terminabschlüsse in den Niederungen des Daseins sich wälzen. Das wäre nunmehr Frevel, nachdem die Apotheose der Ritter und Blumenfcld in einem Hundert Druckzeilen erfolgt ist und die Cohn und Rosenfeld in einem zweiten Hundert für gleiche Erhöhung vorgemcrkt worden sind. Indessen es giebt Frevler, die den Zorn der Hoben nicht scheue», und ihre Zahl wächst, je ausdringlicher die Zumutbung sich hervor wagt, nicht zu sehen, was vor Jedermanns Auge fick voll zieht. Eine Reaction gegen die agrarischen Uebertreibungen ist nothwendig, aber sie wird durch nichts mebr aufgekalten, als durch nicht weniger plumpe Lobhudeleien der Börse und ihrer gesammten Wirksamkeit. Die Methode ist zwar ganz dem Bunde der Landwirthe abgeguckt: wer den Antrag Kanitz ablehnte, war entweder dumm oder schlecht, und wer den Börscnhandel für reformbedürftig hält, dem wird auch keine andere Wahl gestellt, als sich für das Eine von Beidem zu halten. Der Unterschied ist nur der, daß jenen Antrag der Schein der Fürsorge für ein großes, Dutzende von Millionen umfassendes, thatsächlich schwer leidendes Gewerbe umgab, während die Ploetz und Liebermann von Sonnenberg der Börse sich für eine recht gut situirte Minderheit engagiren und demgemäß sehr viel weniger Chancen baben, als die Tavidsohn und Leipziger des Bundes der Landwirthe. Es liegt im Interesse des Handels standes, daß diesem Wettbewerbe eines Theiles seiner Wort führer entgegengetreten wird, und der Staatssecretair III'. von Boetticher hat sich ein Verdienst nm diesen Stand dadurch erworben, daß er gestern in der Plenarversammlung des deutschen Handelstages, der sich übrigens, wie auch gar nicht anders zu erwarten stand, allen Ausschreitungen fern hielt, durchaus nicht merken ließ, daß die Regierung der Kaufmannschaft etwas abzubitten habe, sondern nach dem Hinweise auf den Aufschwung in Industrie und Handel auf die Landwirlhschast überging, deren Nothlage in erster Reihe die Gesetzentwürfe veranlaßt haben, mit denen der Handelstag sich zu beschäftigen hatte. Das wird doch wohl dort, wo es noth thut, etwas abkühlend wirken. Nachdem es dem sranzöfischcn Ministerium Bour geois gelungen ist, auf der Reise in Südfrankreich den Staats Chef in den Hintergrund zu drängen und den Löwen- anlheil des dort sich ebenso rasch als wenig nachhaltig ent wickelnden Enthusiasmus' für die radikale Politik mit Beschlag zu belegen, geht es im Pariser Parlamente schweren Zeiten ent gegen. Mit 28 gegen 5 Stimmen bat die BUdgelcommission der Kammer den Bericht des Deputaten Delombre ange nommen und damit die von der Regierung beantragte Ein kommensteuer abgelehnt. „Der Budget Ausschuß", heißt eS in diesem Berichte, „lehnt jedes Steuersystem, das sich auf die Erklärung des GesammleinkommeuS, eine willkürliche Schätzung und belästigende Ermittelungen stützt, ab und fordert die Negierung auf, einen neuen Steuer-Reform plan cinzubringen, welcher gestattet, die Einkünfte nach ihren verschiedenen Formen zu besteuern und die Lasten, welche die Landwirthschafl und die Arbeit drücken, gerechter zu vertheilen." Die Kammer wird nun angesichts dieser schroffen Ablehnung zwischen der Eommission und dem Finanzminifter Doumer zu entscheiden haben. Außerdem besteht auch ein Eonflict zwischen der Armee Eommijsion und dem Kriegs Minister Eavaignac. Die erstere hat bekanntlich Cavaignac's Entwurf, betreffend die Auflösung des neun zehnten algerischen Eorps und die Errichtung einer Colonial Armee, abgelehut und gleichzeitig vom Kriegsminisler die Vorlage des ebenfalls ablehnenden Gutachtens des Ober- Kriegsrathes über diese Frage gefordert. Cavaignac weigert sich jedoch, dieses Gutachten der Commission mit zutheilen, waS selbstverständlich die Verschärfung des Conflicts zur Folge haben muß. Weiter droht auch die Interpellation Develle-Charmes über die Weigerung der Regierung, den Madagascar-Vertag dem Parlament zur Genehmigung vor zulegen, das bisher anscheinend gute Verbältniß zu dem Minister des Aenßern, Berthelot, einigermaßen zu trüben. Endlich herrscht auch im Senate neuerdings Erbitterung gegen dav Ministerium, weil es ohne Protest geschehen ließ, daß der Senat während der Präsidenlen-Reise in ver schiedenen Städten des Südens geschmäht wurde. In Italien ist das Ministerium di Rudiui nunmehr definitiv gebildet. Die Wege, welche dasselbe in der Afrika politik voraussichtlich einschlagen wird, haben wir schon wiederholt bezeichnet Eine weitere Gewähr für die drei- bundfrcundliche Politik des Cabinets bietet, wenn es einer solchen überhaupt noch bedürfte, die Person des Herzogs von Sernloneta als Minister des Aeußeren. Er genießt bei unserem Kaiser, mit welchem er in persönlichen Beziehungen steht, hohes Ansehen. Bei der letzten Reise Kaiser Wilhelm'S nach Rom gab der Herzog dem Kaiser zu Ehren einen glänzenden Empfang. Der Schatzmeister Colombo batte dem König ein Ministerium Sarney empfohlen, waß eine zweite Auflage deS Ministeriums Crispi gewesen wäre. Auch er bietet also die besten Garantien für die Wahrung der nationalen Ehre und der Stetigkeit in der äußeren Politik. Im Uebrigen gilt Colombo als gleich fähiger und gleich vor sichtiger Finanzmann wie sein Vorgänger Sonnino. So er freulich aber die Zusammensetzung des neuen Cabinets auch auf den ersten Blick erscheint, ein Bedenken läßt sich nickt unterdrücken: es ist lediglich ein Ministerium der Rechten und der gemäßigten Linken, das alle weiter nach Links stehen den Elemente und, wie zu erwarten war, besonders die radi kale und die socialistische Linke aus seinem Kreise ausge schlossen hat. Darin liegen die Keime zu neuen Parlamentärs sehen Conflicten. Man muß sich daran erinnern, daß Rudini den SieH seiner Sache nicht zum geringen Theilo dem radikalen Elemente zu verdanken hat. Bei den letzten Ersatzwahlen, bei denen die radical-socialistischen Abgeordneten die Freunde der Regiernng schlugen, bei dem Widerstande, den die sicilianischen Großgrundbesitzer gegen Crispi's Vor schläge zur Verkleinerung der Latifundien anstrebten, haben sich Conservative und Radicale die Hand zum Bunde ge reicht. Es wird sich nun zeigen müssen, ob bei der zurück gesetzten äußersten Linken der Haß gegen das Ministerium Crispi größer ist als der Ehrgeiz, endlich an der Regierung Antheil zu bekommen. Es wäre aufs Aeußerste beklagenswerth, wenn die nationale Rücksichten nicht kennenden Scandalmacher in der Deputirtenkammer wieder beginnen würdenObstruclion zu treiben und so abermals ein erbitterter Kampf der Parteien iosbräche. Das wäre ein Unglück, denn dann wäre eine möglichst rasche und befriedigende Austragung der afrikanischen Angelegenheit bedenklich in Frage gestellt. Aber möglich ist es auch, daß es erst wieder ein ChaoS geben muß, bas zu beschwören keine andere Hand, als die eiserne Rechte Crispi's fähig wäre. Schon beginnt die erste Erregung über das Unglück von Adua einer ruhigeren Erwägung der Lage in weiten Kreisen des italienischen Volkes Platz zu machen, die sich bald zu einer gerechteren Beurtheilung des abgetretenen „Retters in der Noth" klären dürste. Eine wesentliche Zunahme der Entfremdung zwischen den Italiener» und den Franzose» ist die dauernde Nach Wirkung der jüngsten Vorkommnisse und ihrer Beurtheilung in der französischen Presse für die Gestaltung der politischen Constellation. In Italien wird man es den Franzosen nicht so leicht vergessen, daß sie die Kunde von der Niederlage des Baratieri'schen Expeditionskorps bei Adua mit Jubel begrüßt haben, und in Frankreich wird man fortfahren, allen den jenigen Bestrebungen seine Sympathie, und vielleicht mehr als das, anaedeihen zu lassen, welche der nationalen und colo nialen Machtstellung Italiens feindlich in den Weg treten. In dieser Lage bietet den Italienern ibre Zugehörigkeit zuni Dreibunde einen Rückhalt, ohne den sie jetzt wahrscheinlich ganz auf den guten Willen Frankreichs angewiesen wären, d. b. so viel, alß am Anfang einer langen Reihe von Demütbigungen stehen würden. Die Werlhsckätzung des Dreibundes ist daher in Italien gegenwärtig selbst in solchen Kreisen eine auf richtige Und unbedingte, welche sich weder mit der Politik Crispi's im Allgemeinen, noch mit seiner Afrikapolitik im Besonderen befreunden mochten und auch jetzt am liebsten sähen, wenn Italien je eher desto bester dem trügerischen Boden Afrikas den Rücken wendete. Doch scheint es, als ob jetzt, nachdem die erste Bestürzung wegen der Katastrophe von Adua einer ruhigeren Gemüthsverfassung Platz gemacht bat, die Politik des colonialen Verzichts in der öffentlichen Meinung Italiens sehr rasch an Boden verlöre. Man will den Franzosen den Triumph nickt gönnen, daß ihre abessinischen Schützlinge als Sieger das Feld behaupten, und wenn auch die Empfindlichket der Regel nach in politischen Dingen nicht der beste Rathgeber zu sein pflegt, so scheint doch in diesem Falle eine Ausnahme gemacht werden zu dürfen, da der Gegensatz zwischen Italienern und Franzosen keineswegs ein bloS sentimentaler ist, sondern aus dem klaren Bewußtsein der Unvereinbarkeit der Feuilleton. Leine „dumme" kleine Frau. 211 Roman von F. Klinck-Lütetsburg. Nachdruck verboten Das ganze Amtsgericht befand sich in der denkbar größten Aufregung. Niemand wußte den eigentlichen Zweck der An wesenheit deS Präsidenten anzugeben, aber auch Niemand blieb darüber in Zweifel, daß hinter verschlossenen Thüren viel verhandelt worden war, und dieser Besuch mancher lei Reformen im Gefolge haben werde. Mehr als einmal hatten die neugierig horchenden Bureaudiener die Stimme des Herrn Präsidenten sich über daß Niveau erheben hören, nnd wenn man noch darüber hätte in Zweifel sein können, ob dieser Umstand einer Verstimmung entsprungen, so konnten verschiedene verfinsterte Mienen im Laufe des Tages über diesen Punct Aufklärung geben. In den nächsten Tagen fanden mancherlei dienstliche Um gestaltungen statt. Die Vermuthungen bezüglich der Gründe für diese Maßnahmen kamen der Wirklichkeit sehr nahe. Philipp Allmer machte znm ersten Male in seinem Leben den Eindruck von Unsicherheit. Er war am Nachmittag noch dem Präsidenten in die Quere gekommen und hatte — wie Jeder wußte, obgleich cö unter vier Augen geschehen war — „etwas zu hören" gekriegt, was er so halb nicht vergessen würde. Er zeigte sich doppelt freundlich, doppelt entgegen kommend und bemüht, den Herren „Arbeit zu ersparen", aber er sand keineswegs die rechte Würdigung seines Bestrebens. Einige Tage hindurch fühlte er sich etwas unbehaglich, allmählich aber begann er sich zurecht zu finden. Er war von unbehaglicheren Situationen heinigesucht worden, und gerade ver Aerger des Präsidenten mußte im Grunde ge nommen etwas Tröstliches für ihn haben. Er batte ihm auch nichts Bestimmtes gesagt, nur so im Allgemeinen, daß er ihm nicht traue. Ten daran geknüpften Rath, fick von seinen amtlichen Obliegenheiten zurückzuziehen, war Allmer keineswegs geneigt, anzunehmen. Er — ein Mann in den besten Jahren, sich pensioniren lassen! Schon der bloße Ge danke daran erfüllte Philipp Allmer mit Grausen. Er hatte noch viel zu ordnen. Wie sollte die Maschine weiter gehen, wenn er sie im Stiche ließ?! Und dann gab es noch eins zu erwägen: die Existenz seines einzigen Sohnes. Ursprünglich war es seine Absicht gewesen, ihn Rechtsanwalt oder gar Amtsrichter werden zu lassen. Leider hatte der Bursche dem Willen des Vaters, durch die vollständige Unmöglichkeit, ibn über die Quinta hinauszubringen, Opposition gemacht. Drei Jahre hatte er den Ebrensitz in dieser Classe behauptet und Philipp Allmer dann eingesehen, daß es besser sein würde, dem Sprößling eine Stelle in seinem Bnrean anzuweisen, wo er zunächst seine leidliche Handschrift ausbilden konnte. Unzweifelhaft würde es ihm gelingen, als Unterosficier den Civil-Versvrgungsschein zu erlangen, und mit diesem versehen hoffte Philipp Allmer ihm eines Tages die reiche Pfründe zu sichern, die ihn zu einem mehr als nur wohlhabenden Manne gemacht. So hatte er den Enschluß gefaßt, allen Widerwärtigkeiten zum Trotz, auf seinem Posten auszuharren so lange es nur eben angänglick sei. Er sah sich in seinen mannigfachen Manipulationen zwar sehr beschränkt, aber sein erfinderischer Kopf, auf dem er sich nicht wenig zu Gute that, würde ihn auch in Zukunft über manche sich erhebende Schwierigkeit Hinweghelfen. Schon wenige Tage später sah Philipp Allmer sich ziem lich unsanft aus einer ihn bereits wieder beherrschenden Sicherheit aufgerüttelt. Seine Freude, daß durch die ver änderten Personalverhältnisse beim Amtsgericht sein täglicher Verkehr mit dem Assessor Raguhn ein Ende erreicht, ver wandelte sich in dem Augenblick in ein jähes Entsetzen, als ihm die Mittheilung gemacht wurde, daß der Assessor in der Abtheilung für Strafsachen zunächst mit seiner Person sich zu beschäftigen haben werde. Es handelte sich um eine Prüfung der Acten, die er in verschiedenen Sachen gegen Frau Martha Hilligenfeld geführt. Schon das erste zu bestehende Verhör überzeugte Philipp Allmer, daß er in einer ernstlichen Gefahr sich befinde. Wieder holt war er in ähnlicher Lage gewesen, aber die Aussagen eines „alten, bewährten Beamten" hatten mühelos jeden Zweifel an dessen Zuverlässigkeit beseitigt. Auch in diesem Falle machte er den Versuch, Assessor Raguhn zu überzeugen, daß nur seine wohlwollende Rücksicht ibn in die unangenehme Lage gebracht, als ein Fälscher angesehen zu werden und daß die verschiedenen kleinen Differenzen in den Rechnungen dock Wohl nur als Rechenfehler betrachtet werden könnten. Assessor Ragubn's ganze Art und Weise gab aber nicht zu, daß Philipp Allmer über seine Lage sich täuschen konnte. Er war unstreitig in einer ernstlichen Gefahr, und nicht er allein, sondern mit ihm eine Anzahl ehrenwerther Männer, die er durch seine Wachsamkeit vor jeder Schädigung ihres Vermögens geschützt, während er anderen — guten Freunden — reichlichen Verdienst überwiesen. In dem Augenblick, der ihn zwingen würde, von der Ausübung seines Berufes sich zurückzuziehen, würde die ganze Maschinerie ins Stocken geratben und erst dadurch mancher Dcfect klar werden. Philipp Allmer fühlte sich von einer unerklärlichen Angst ergriffen, und diese Angst war es un zweifelhaft, die ihn dem Assessor Nagubn gegenüber eine Thorbeit »ach der anderen begehen ließ. Die niederschmetternde Kaltblütigkeit deS Mannes, mit welcher er dem Gerichts vollzieher Fälschungen und Unterschlagungen znm Vorwurf machte, ließ diesen den Kopf vollends verlieren und Zu geständnisse machen, denen er bei jeder früheren Gelegenheit vorsichtig aus dem Wege gegangen war, die ihm im gegen wärtigen Augenblick aber verhängnißvoll wurden. Auch Philipp Allmer'S letzte Hoffnung, daß die Folge seiner Irrungen in einer Dißciplinar-Untersuchung ihren Aus gang finden werde, erwies sich als eine trügerische. Diefes Mal hatte er nicht auf Schonung und Rücksichten zu rechnen, die man einem langjährigen, „pflichttreuen" Beamten an- gedeiben zu lassen sich geneigt fühlen konnte, sondern er sollte auf die öffentliche Anklagebank kommen und gegen zahlreiche Rechtsverletzungen im Dienst, sowie verschiedene Criminal- vergehen sich zu verantworten suchen. Friedrich Raguhn arbeitete mit einem Eifer, der ihm von einem Theil seiner Collegen zum Vorwurf gemacht wurde Und eine, durch offenkundige Bevorzugung geweckte Miß stimmung nährte. Es konnte ihm nicht entgehen, daß er mit scheelen Augen angesehen wurde, und doch entsprang sein Eifer keineswegs einem ihm zur Last gelegten Strebertum, sondern nur dem Verlangen, vollkommenes Licht über Dinge zu verbreiten, die seit nahezu zwanzig Jahren zahlreiche ge sicherte, vielleicht sogar glückliche Existenzen vernichtet. Mit steigendem Entsetzen gewahrte Raguhn, je mebr seine Äugen sich an die Dunkelheit des vor ihm sich öffnenden AbgruncS gewöhnten, die furchtbaren Folgen einer unbegrenzten Habgier, die ibm von allen Seiten hohnlachend entgegengrinsten. Im Grunde genommen war daS unheimliche Netz, mit welchem die auserlesenen Opfer umsponnen gewesen waren, nicht rin unentwirrbares, das Verfahren, welches man be obachtet, war ein höchst einfache», aber eS hatte in jedem einzelnen Falle sich verderbenbringend erweisen müssen. Die Art, wie man Herrn von Greifingrn unschädlich zu machen suchte, hatte man mit dieser oder jener Variation bei allen Opfern in Anwendung gebracht. Die Seele des Ganzen war unstreitig Philipp Allmer gewesen, wenngleich er schwerlick die Pläne entworfen haben mochte. Ohne den energischen Beistand dieses Mannes würde aber den Unholden ihr Ver nichtungswerk kaum gelungen sein. Die Mittheilungen, welche Ernst von Rötlingen dem Assessor bezüglich deS Herrn v. Greifingen gemacht, die Combinationen desselben sah Raguhn im vollen Umfange be stätigt. Nicht Einzelne batten gehandelt und sich Vortheilc über unglückliche Mitmenscken zu verschaffen gesucht, sondern eine wohlorganisirte Gesellschaft arbeitete mit vorzüglich vcrtheilten Rollen. Philipp Allmer, in seiner Eigen schaft als Gerichtsvollzieher, war über jeden einzelnen Fall momentaner Zahlungsunfähigkeit unterrichtet gewesen, nickt minder sein Bureauvorsteher, der Sohn eines berüchtigten und bestraften Wucherers. Innig verbunden mit diesen war der Privatsecretair und RcchtSconsulent W., von seinen Genossen um seiner rothen Haare und seines Scharfsinns willen der rothe Doctor genannt, welcher den Hilfsbedürftigen Geld gegen entsprechende Vergütung vermittelt. Er war überall im weitesten Umkreise auf dem Lande und in der Stadt eine bekannte Persönlichkeit. Sein ständiger Auf enthalt in allen nur erdenklichen Wirthshäusern diente dazu, ihn mit den Verhältnissen jeder einzelnen Familie vertraut zu macken. Er war von allen Verkäufen unterrichtet und wußte genau, wem damit gedient war, einen Posten Geld nnterzubringen. Daß er stets den rechten Mann hatte, der zu diesem und jenem Zweck gerade auf kurze Zeit gegen Hohe Zinsen gern die L-umme nehmen würde, war selbst verständlich, aber auck ebenso selbstverständlich, daß durch ganz unberechenbare Zufälle dieser Mann in Vermögens versall gerieth und sich nie mehr daraus erbeben konnte. Darleiher und Empfänger hatten wiederholt in dem selben Augenblick das TodeSurtheil ihrer Existenz unterzeichnet, in welchem der Privatsecretair W. der beiderseitigen klingenden Dankbarkeit sich versichert. Sie reizte zu neuen Erfolgen und erreichte ihr Ende erst in dem Augenblick, in welchem die mühsam erworbene Wohl habenheit, Wohl auch daS Eigenthum der Borsahren, daS väterliche Erbtheil zerstückt und wie Spreu verweht war. Und ungestraft vatten diese Verbrecher am Vermögen und der Ehre ihrer Mitmenschen jahrelang ihr Unwesen getrieben, eine Existenz nach der anderen mit grausamer Berechnung vernichtend. Mancher Unglücklich« hatte zu spät erkannt, wem
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