02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.06.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980621023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898062102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898062102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-06
- Tag1898-06-21
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Brößere Schriften laut unserem Preis- Verzeichnis. Tabellarischer und Ziffexnsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung «/L 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Itnnahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morge n-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. M. Dienstag den 21. Juni 1898. 92. Jahrgang. Der spanisch-amerikanische Krieg. -(>. Das Fragespiel „Wo ist Cervera mit seiner Flotte?" bat geraume Zeit die Amerikaner in Athem erhalten nnd sie vielfach Gespenster sehen lassen. Jetzt wiederholt sich die Sache mit dem NeservegeschwaLer, das letzter Tage von Cadiz ausgelaufen ist. Wo ist Cämara? fragt man sich besorgt in Washington. Wird er plötzlich an der atlantischen Küste aus tauchen und unsere großen Hafenstädte in Schrecken setzen? Fährt er nach den Philippinen? Bleibt er in den spanischen Gewässern, um einen Handstreich amerikanischer Schiffe gegen spanische Häfen unmöglich zu machen? Geht er nach den Kanarischen Inseln, um dort dem gleichen Zwecke zu dienen? Hat sich seine Flotte getheilt? Kein Mensch weiß sichere Antwort, und so vermag man auch aus der Nachricht, welche die Regierung in Washington gestern er hielt, Cämara sei in einen spanischen Hafen zuriickgekchrt, nichts zu machen, sie kann in der nächsten Stunde demen- lirt sein. Auch über die Landung SHafters an der Südvstküste Cubas hat die Regierung in Washington, wie uns von dort telegraphisch gemeldet wird, noch keinerlei Nachricht, wenn sie auch überzeugt sei, daß die Transportflette bereits am Bestimmungsorte augelangt ist. Die Wahl des Platzes und die Zeit der Landung sei vollständig dem UrtheileSampson's über lassen. Auffallend bleibt es aber Loch, daß man amSitze derCentral- regicung über das Schicksal der Landungstruppen völlig ohne Orientiruug ist. Wären sie, wie bestimmt erwartet, gestern vor Santiago angekommen, so müßte man doch in Washington und auch hier beute davon unterrichtet sein, lieber den Grund der Verzögerung kann man sich freilich nur Ver- muthungen hingeben. Leicht wird die Landung den Ameri kanern nicht gemacht werden, da, wie wir schon berichteten, das User bei Santiago auf eine Entfernung von 15 Meilen von den Spaniern scharf bewacht wird. Hinkt fomit die Kriegführung der Union im Südostcn Eubas ganz bedenklich, so ist cs im Nordwesten fast noch trostloser bestellt. Ein in hervorragender Stellung befind licher Einwohner von Havanna, der die Stadl am 5. ds. Monats verlassen hat, erklärte, so wird uns aus Key West telegraphirt, die Blockade sei völlig unwirksam. Havanna sei in Wirklichkeit ein offener Hafen, da durch die Eisenbahnverbindung mit Batabano ein beständiger Verkehr mit Islade Pinos und Aucutan aufrecht erhalten wird. Dampfer und Segelschiffe landen fortgesetzt ganze Schiffsladungen. Die Versorgung Batabanos mit Vieh geht ungehindert von Statten. Die Negierung in Washington weiß seit Langem, das; Havanna über Batabano mit Lebensmitteln versehen wird, und daß die Gewässer bei Batabano der Untiefe wegen schwer abzu- patrouilliren sind. Sobald Santiago und die Flotte Ecrvera'S genommen sein werden, soll eine Anzahl kleinerer Fahrzeuge von der Flotte Sampson's abcommandirt werden, um diese Quelle für die Versorgung Havannas zu verstopfen. Es fragt sich nur, ob Santiago und Eervera sich so bald ergeben werden. In den letzten Kämpfen mit den cubanischen Aufstän dischen sind die Spanier ausnahmslos glücklich gewesen. Erst gestern wieder griffen die Letzteren Herrabura an, wurden aber nach Meldungen aus Havanna unter großen Verlusten zurück- geschlagcn.Sehr sonderbar berührt die von Washington verbreitete Nachricht, daß man dort über die Begrüßung der cubanischen Flotte bei der Anwesenheit des cubanischen Generals Perez an Bord der „Marblehead" höchst ungehalten ist, weil die Vereinigten Staaten die Aufständischen nicht förmlich als kriegführende Nation anerkannt haben. Das sollte dock wahrhaftig den Insurgenten über die Motive der amerika nischen Kriegführung endlich die Augen öffnen! Von den Philippinen liegen folgende Meldungen vor: * Hongkong, 21. Juni. (Telegramm.) Ter amerikanische Aviso „Satiro", der am 17. d. M. von Manila in See gegangen war, ist heute hier eingetrosfen. TaS Schiss bringt die Nachricht, die Aufständischen hielten 4000 Spanier gefangen; 1000 Ein geborene hätten am 14. d. M. die Stadt Dalaga genommen. Im äußersten Nordwcsten der Insel Luzon seien 30 Cara- bineros bei dem Versuche, zu desertiren, am 15. d. M. gefangen und sodann erschossen worden. Aguinaldo habe Len amerika nischen Cousul davon benachrichtigt, daß die Aufständischen eine provisorische Regierung eiusetzcn wollten, Laß er aber wünsche, die Philippinen sollten amerikanische Colon ie (?) werden. Die Spanier hätten einen Kreuzer an der Mündung des Flusses Pasig sinken lassen, um so den Hafen zu blockiren. * Madrid, 21. Juni. (Telegramm.) Nach amtlicher Depesche aus Manila ist dort die Lage noch rrnstcr geworden. Wenn Augusti gezwungen wird, sich in die Stadtumwallung einzuschlicßcn, jo wird jede Verbindung sür ihn völlig anfhörcn. Das klingt so trostlos als möglich und kommt dem Ein- gcständniß gleich, daß man Manila verloren giebt. Sicher wird Aguinaldo nickt warten, bis die amerikanische Trans- portflotte angekomincn ist und die Amerikaner ihm den Vogel wegschießeu. Er wird die Stadt nehmen, so rasch er nur kann. Die englischen Ausstreuungen über JntcrventionS- und Annexionsabsichten Deutschlands auf den Philippinen werden mit Conscquenz fortgesetzt, aber schon nicht mehr ernst genommen. Wie aus Madrid, 20. Juni, berichtet wird, erklärte der deutsche Botschafter von Radowitz, Sagasta auf das Bestimmteste, Deutschland kümmere sich um die Philippincnfrage nur soweit, als cs sich um den Schutz der dortigen Deutschen handele, und der „New Dork Herald" (Pariser- Ausgabe) erhält von einem Berliner Berichterstatter folgendes Telegramm: Ich bin von dem hiesigen Staats- secretair des Auswärtigen dazu ermächtigt, die der Regierung der Vereinigten Staaten bereits gegebenen Ver sicherungen zu erneuern, daß Deutschland aus den Philippinen keine andere Absicht verfolgt, als Leben und Eigenthum der Deutschen, der Schweizer und der Portugiesen zu schützen. Eine Absicht, einzugreifen, ist durch aus nicht vorhanden. — Das wird überall dort genügen, wo man nicht das Bedürfniß hat, alle Well gegen Deutsch land auszuhetzen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 2l. Juni. Der Gewinn, welcher der Socialdemokratie aus der Lauheit und der Zersplitterung der bürgerlichen Parteien bereits am 16. Juni erwachsen ist und sich sicherlich noch erheblich steigern würde, wenn auch bei den Stichwahlen jene Zersplitterung herrschte, hat eine erfreuliche Folge gehabt. Hervorragende parlamentarischeFübrer der Ecntrumspartci in denjenigen Wahlkreisen, in denen bas Eentrum bei den Stichwahlen den Ausschlag gegen dieSocialdemokratie giebt, haben infolge einer Vereinbarung die Parole ausgegeben, daß überall die Centrumswähler energisch zur Bekämpfung der Social demokratie aufgcfordert werden sollen. In der Erwartung, daß Liese Aufforderung befolgt wird, hat die Centralleitung der uationaUiberalett Partei die Gesinnungsgenossen in solchen Wahlkreisen, wo das Centrum mit der Social demokratie in die Stichwahl kommt, zur entschlossenen Unterstützung der C e u t r u m s c a n d i d a t e n auf gcfordert. Infolge dessen darf angenommen werden, daß die Nativnalliberalen in Köln, Düsseldorf, Bielefeld, Höchst a. M., Mainz, Würzburg und Kronach zu Gunsten der Centrumscandidaten in der Stichwahl den Ausschlag geben. Dagegen werden, wie andererseits sich erwarten läßt, in Dortmund, Solingen, München I, Speier, Eßlingen, Tübingen, Mannheim, Karlsruhe und Pforzheim die Centrums- wähler es an der nötbigen Unsterstützung für die Candidaten der liberalen Mittelpartei nicht fehlen lassen. Hat diese verständige Uebereinkunft hinreichenden Erfolg, so dürfen Centrnm und nationalliberale Partei für sich in Anspruch nehmen, den Socialdemokraten drei weitere Wahlkreise (Solingen, Dortmund, München I) entrissen zu haben, nachdem es durch daS Zusammengehen in Straßburg und Reichenbach-Neurode bereits gelungen ist, zwei Wahlkreise den Socialbemokraten im ersten Wahlgange abzunehmen, und jedenfalls bleibt auch in den übrigen oben genannten, von der Socialdemokratie bedrängten Kreisen der bürgerliche Besitzstand erhalten. Bedenkt man, daß zwischen den Anhängern des Centrums und der national liberalen Partei seit langen Jahren die erbittertsten Kämpfe ausgefochten worden find, so wird man gesteben müssen, daß keine geringe Ucberwindung für beide Tbcile dazu gehört, einander jetzt zur Erkaltung des bürgerlichen Besitzstandes beizustehen. Um so mehr ist zu hoffen, daß das von ihnen gegebene gute Beispiel bei allen bürgerlichen Parteien, so weit dies noch nicht geschehen, Nachahmunng finden werde. Nur vom „deutschen Freisinn" ist das leider nicht zu erwarten. Am Tage nach der Wahl begann die „Freis. Zeitung" ihren Leitartikel über das Wahlergebnis; wörtlich folgendermaßen: „Ein starkes Anwachsen der socialdemokratischen Stimmen, Las ist das Charakteristische dieser Reichs tagsmahl. Die Zahl der socialdemokratischen Stimmen, welche 1893 1 786 000 betrug, wird diesmal sicherlich zwei Millionen weit übersteigen." Wer hieraus etwa gefolgert hätte, daß Herr Richter und die Seinen zu rückhaltloser und energischer Bekämpfung der Socialdemokratie wenigstens in der Stichwahl entschlossen seien, wäre des Freisinns ganz un kundig oder wüßte zum Mindesten nicht, daß Herr Richter der „Großpensionair der Socialdemokratie" ist. Nun, die »Freis. Zeitung" hat dafür gesorgt, solche Unkundige rasch zu belehren. Schon in ihrer folgenden Nummer gab sie die Stichwahlparole auS, die, nachdem das Gespenst, genannt „CarteUinehrheit", den freisinnigen Mannesseelen vorgeführt worden, also lautet: „Nichts wäre daher verkehrter, als statt des Kampfes nach zwei Fronten einzig und allein die Bekämpfung der Socialdemo- tratie in Betracht zu ziehen." Auf der nächsten Seile druckt die „Freis. Ztg." mit sicht lichem Wohlgefallen aus dem „Wochenblatte" des Bundes der Landwirthe, aus der „Deutschen Tagesztg.", aus der „Conscrv. Corr." und aus der „Kreuzztg." die Mahnung ab, unbedingt gegen die Socialdemokratie zu stimmen, auch wenn ein Freisinniger in den Reichstag käme! Für die Nationalliberalen versteht sich daS ebenfalls von selbst; Herr Richter aber, anstatt Gleiches mit Gleichem zu vergelten, d. h. sich auf den nativualen Standpunct zu stellen, kennt keinen höheren Ebrgeiz als den, für seine Partei einige Mandate heraus- zufchlagen, gleichviel ob dieser „Erfolg" der Socialdemokratie zu verdanken ist oder nicht. In sicherer Kenntnis; ihres „Groß' pensionairs" hat die Socialdemokratie ungesäumt ein cau- diuifches Joch für den Parteitaktiker Eugen Richter aufgericktct. Das Centralwahlcomitv der socialdemokratischen Partei stellt den Candidaten, die auf die socialdemokratische Stichwahl hilfe angewiesen sind, eine Reihe von Bedingungen, deren sechste den nichtsocialdemokratischen Candidaten verpflichtet, „gegen jede Vermehrung des stehenden Heeres oder der Marine" einzutreten. Selbst das „Berliner- Tageblatt" findet, kein gewissenhafter Mann könne das thun, trotzdem lehnt auch das „Berliner Tageblatt" den be dingungslosen Kampf gegen die Socialdemokratie rundweg ab! Ist Jemand so naiv, die Gewissenhaftigkeit des Herrn Richter höher zu bewerlhen, als die des „Berliner Tageblattes"? Letzterer wird sich auch mit dieser Forderung der Social demokratie abfinden, weil ihm nur dann die Socialdemokratie zu etlichen Mandaten verhelfen wird. In zwölf Wahl kreisen freilich (nämlich in Berlin I, II, III, V, Liegnitz Goldberg - Haynau, Görlitz - Lauban, Hagen-Schwelm, Lennep - Mettmann, Wiesbaden - UntertaunuS, Eisenach, Coburg, Varel-Jever) steht die freisinnige Vvlkspartei mir der Socialdemokratie in der Stichwahl. Doch was thut das? Hier ist Herrn Richter die nationalliberal - con- servativ - agrarische Hilfe, vereinzelte Ausnahmen abge rechnet, auf jeden Fall sicker. In achtzehn Wahlkreisen aber ist die freisinnige Volkspartei auf die Unter stützung der Socialdemokratie, in drei weiteren auf die Unterstützung der Socialdemokratie und des Centrums angewiesen. Diese 21 Wahlkreise sind: Westpriegnitz, Ruppin, Tilsit, Ohlau, Grimberg, Sagan, Buuzlau, Landeshut, Torgau, Merseburg, Nvrdbausen, Mühlhausen, Schleswig, Aurich, Minden-Lübbecke, Altena-Iserlohn, Meiningen, Schaumburg- Lippe, Lippe-Detmold, Oldenburg, Hirschberg! — Soweit in den hier angeführten Wahlkreisen der „Frei sinn" „siezt", geschieht es um den Preis, den laut dem „Berliner Tageblatte" kein gewissenhafter Mann zahlen darf. Wer ihn doch zahlt, das ist ver deutsche Freisinn. Zn der deutsch - tiatioiialett Presse Oesterreichs liest man zuweilen Klagen darüber, daß die Deutschen im Reiche den politischen Verhältnissen des Donaureiches zu wenig Ver- ständniß und zu wenig Theilnahme entgegenbringen. Das ist zum Theil Wohl wahr. Wahr ist aber gleichfalls, daß manche Deutschnationale politische Vorgänge i» Deutschland ganz doctrinär beurtheilen. Einen Beweis hierfür liefert z. B. die „Ostdeutsche Rundschau", die das Wachöthum der Socialdemokratie bei der Reich Stags wähl mit folgendem Cvmmentar versieht: „Wenn die Regierung ves deutschen Reiches und die entschieden reichstreu gesinnten Parteien vor der Social demokratie schon eine so heidenmäßige Angst besitzen, und dann dem Wähler erst nichts Besseres zu bieten vermögen als den Jammerruf: Um Gotteswillen, wähle wen Du willst, nur nicht socialbemokratisch! dann dürfen sie sich nicht wundern, wenn der denkende Wähler vor solchen „Argumenten" keine Achtung besitzt und ohne Rücksicht auf daS Wohl des Reiches, dem eS an einer positiven nationalen Losung fehlt, seinen Parteivortheil weiter verfolgt. Von einer Regierung darf der Ruf zur Bekämpfung einer Fenillstsn. - s - « Lauernblut. Ilj Roman in drei Büchern. Von Gerhard von Amyntor. (Dagobert von Gerhardt.) Nachdruck verboten. „Aber Peter!" mahnte Frau Lampert, „was sind das für Streiche? Wozu bestellst Du den thcuren Wein?" „Wird ein netter Krätzer sein", bemerkte der Goldschmied naserümpfend. „Der gelbgesiegelte ist gut", erklärte Peter, „'s ist nicht die erste Bulle, die ich davon trinke." „Das glaube ich", brummte Herr Lampert; „Dich jucken wohl wieder die paar verdienten Groschen?" „Nun, es sind fünfundsiebenzig Mark, die ich diese Woche zusammengeschunden habe!" protzte der Maurerpolier, „was bleibt Unsereinem denn übrig, als sein Geld zu verjubeln? Hätte ich ein Weibchen zu Haus . . . dann . . . zum Teufel! Dann könnte ich auch mit ihr eine Flasche Rothspon trinken; für Zwei würde mein Verdienst auch noch reichen." „Warum heirathest Du denn nicht?" fragte der Goldschmied. „Aber Wilhelm!" fuhr Frau Lampert auf, indem sie ihr feistes Patschchen auf den Arm des Gatten legte, „rede dem Peter doch keine Dummheiten ein! Erst muß er wohlbestallter Meister sein, ehe er daran denken darf, das eigene Nest zu bauen." „Das könnte er längst sein", versetzte der Gatte, „der liebe Gott hat ihm in seiner überschwänglichen Gnade die besten Anlagen verliehen; aber er wird niemals den Meisterbrief ge winnen." „Warum denn nicht?" fragte scharf und trotzig der Ge tadelte. „Weil Du Dich dem Teufel verschrieben hast!" erwiderte sehr ruhig der Pflegevater; „weil Du diesen socialdemokratischen Gimpelfängern an die Leimruthe geflogen bist, die Dir die Federn ausrupfen und die Schwingen der Gottesfurcht und Vaterlandsliebe verstümmeln." Peter zuckte geringschätzig mit den Schultern. Der Goldschmied fuhr unbeirrt fort: „Ist es zu begreifen? Ueber dreihundert Mark Einnahme den Monat, wie Du selber zugiebst, und Du gehst unter die Unzufriedenen, unter die Gesellschaftsfeinde?" „Wir Socialisten kümmern uns den Henker um Geld und Gut, das überlasten wir den Capitalisten, den Ausbeutern und Leuteschindern", erwiderte Peter, indem er aus der inzwischen gebrachten Flasche einschenkte. „Sie trinken doch auch ein Glas, Herr Pflegevater?" fragte er zögernd, als er drei Gläser gefüllt hatte und nun den Hals der Flasche über das leere vierte hielt. Lampert nickte: „Die nächste Flasche zahle ich — gieß' nur ein!" Und durch diese kurze Bemerkung durchaus nicht von dem verhandelten Thema abgelenkt, setzte er fragend hinzu: „Um was kümmert Ihr Euch denn sonst?" „Um das geistige Wohlbefinden der Menschen, um Bildung, um Freiheit und Glück. Wir wollen keine bevorzugten Elasten mehr; dem verfluchten Mammonsdienste muß ein Ende be reitet werden. Wer da behauptet, der Socialismus sei eine Magenfrage, der lügt! Gebt uns doppelte, dreifache Tage löhne, und wir werden bleiben, was wir sind, wenn Ihr dke Schranken nicht niederbrecht, die den Geldprotzen und Börsen schwindler vom ehrlichen Handarbeiter trennen!" Herr Lampert kniff die Lippen zusammen und schaute nach denklich in das rubinrothe Naß, das da im Glase vor ihm den Schein der Gasflammen widerspiegelte. „Allgemeine Bildung! Freiheit und Gleichheit und Brüder lichkeit! Das sind schöne Worte!" Ein tiefer Seufzer quoll ihm aus seiner nicht gerade hochgewölbten Brust. Dann fuhr er väterlich fort: „Mein lieber Junge! Gott ist mein Zeuge, wie ich aus vollstem Herzen allen meinen Menschenbrüdern die Bildung gönne; aber Bildung mehrt nur unsere Erkcnntniß, nicht unser Glück. Gleichheit ist ein Unding, ein Widerspruch gegen das Naturgesetz, dessen Wesen der Kampf zwischen dem Un gleichartigen ist. Und Freiheit? Nun, ja, wir alle schwärmen für sie und doch gewinnen wir sie nur, wenn wir uns willig dem Joche des Gesetzes beugen." „Eine für Alle gleiche Bildungshöhe ist sehr wohl möglich; das sagt auch Bebel in seinem Buche „Die Frau"." „Und Bebel ist für Dich der Prophet, auf dessen Sätze Du schwörst, wie andere auf die Bibel." „Bibel und Bebel! Ha ha ha! Den Bebel, denke ich, wird kein Ehrlicher widerlegen können." „Nun, ich hoffe, ich bin ein ehrlicher Mann und doch sage ich Dir: mißtraue diesem Schwärmer!" Und als Peter etwas ent gegnen wollte, kam ihm der Goldschmied zuvor: „Glaube nur ja nicht, daß ich Dir Deinen Heiligen verkleinern will: ich nehme vor der Thatkraft, vor dem Fleiße, vor der Tüchtigkeit dieses Mannes, der einst ein Handwerksmeister war, den Hut ab; ja, ich möchte ihn den Biedermann unter den Socialdemokraten nennen. Aber gleichzeitig ist er einer der gefährlichsten Schwärmer und Selbstbetrüger; er sicht die Schäden unserer Gesellschaft, die ich gar nicht leugne, durch ein äußerst scharf ge schliffenes Mikroskop, die Zustände in seinem erträumten Zukunftsstaate aber durch eine Verschönerungsbrille, deren lächerliche Uebertreibung selbst ein Kind bemerken müßte." „Sie haben Bebel gar nicht verstanden, wenn Sie noch von einem Zukunftsstaate reden. Gerade den Staat will er ja ver nichten; an dessen Stelle soll die socialisirte Gesellschaft treten." „Ist die denn etwas anderes als ein Staat? Das sind ja leere Silbenstechereien, die nur über den Mangel eines gesunden Gedankenkerns Hinwegtäuschen sollen. Eine Gesellschaft L la Bebel mit Arbeit- und Brodverthcilungsömtern ist doch auch ein Staat, mit deni einzigen Unterschiede, daß das Oberhaupt des selben nicht mehr Wilhelm I., sondern vielleicht Singer, und der Reichskanzler nicht mehr Bismarck, sondern Bebel heißen würde." würde." „Und da wäre sicher Allen geholfen!" bemerkte spöttisch lachend ein neu hinzugetretener Herr. Man blickte auf und erkannte Herrn Haßlach, den Inhaber einer flott gehenden Fabrik von Holz- und Blech-Blase-Jn- strumenten, der eigens hierher gekommen war, um mit Adolf Dechner, den er schon halb und halb als Theilhaber an seinem demnächst zu vergrößernden Geschäfte gewonnen glaubte, weiter zu verhandeln. Er war ein Mann in den Fünfzigen, mit klugen, freundlichen Augen; sein Gesicht war von zahllosen Pockennarben zerrissen, ohne daß dies dem sympathischen Eindrücke, den er machte, wesentlich Abbruch that. Er trug einen vortrefflich sitzenden, hechtgrauen Frühjahrs-Paletot und einen nagelneuen, glänzenden Eylinder. „Ach, Haßlach", rief der Goldschmied, „das ist nett, daß Du auch da bist! Setze Dich zu uns; mein Pflcgcsohn wird Dir einen Stuhl besorgen." Herr Haßlach zog erst vor den beiden Damen den Hut, beglückwünschte Frau Lampert zu ihrem ausgezeichneten Aus sehen und sagte Sabinen eine kleine altfränkische Artigkeit. „Braver Mann!" wandte er sich dann gegen Peter, der ihm einen Stuhl heranqeschafft hatte, „empfangen Sie meinen Dank!" Und er setzte sich behaglich zwischen das Ehepaar. „'s ist gern geschehen", versetzte Peter; in Gedanken fügte er hinzu: „Möchte der Kerl mit dem Stuhl zusammenbrechen!" Er konnte Herrn Haßlach, der ein etwas alterthümlicher Zunft schwärmer war, nicht leiden. Schallendes Händeklatschen und laute Bravorufe erschütterten die Luft: der erste Theil des Programmes war beendet, und namentlich die letzte Nummer desselben hatte allgemeinen Beifall gefunden. Hochrothen Antlitzes stieg Adolf von der Tribüne hinab und eilte an den Tisch, wo seine Braut saß. Er griff nach Sabinens Glas und sagte: „Darf ich? mir klebt die Zunge am Gaumen." Sabine nickte Erlaubniß, und er trank in einem Zuge ihr Glas aus. Jetzt erst merkte er, daß er Wein und kein Bier getrunken hatte, und verwundert fragte er: „Nanu? wer ist denn der leichtsinnige Spender dieses Stoffes?" „Dein reicher Bruder", versetzte spöttisch der Goldschmied, „die Thaler sprengen ihm sonst das Taschenfutter." Adolf schüttelte den Kopf und wollte dem Bruder eine mißbilligende Bemerkung machen; da ihm Peter aber aufs Neue einschenkte und munter zurief: „Prosit, Adolf! der Tenor soll leben!" unterdrückte er das Wort, das ihm schon auf der Zunge lag; er ergriff vielmehr das frisch gefüllte Glas und stieß mit dem Bruder freundlich an. „Wer kann ihm widerstehen?" fragte er strahlend seine Braut; „wo er nur hinkommt, bringt er Leben in die Bude; er ist wie die Maisonne." Frau Lampert tätschelte gerührt die Schulter des Lob redners; er war doch ein gar zu guter Bruder, und daß er so liebevoll und selbstlos sich entwickelt hatte, daran schrieb sie sich und ihren Erziehungsgrundsätzen nicht gerade den kleinsten Anthcil zu. Herr Haßlach winkte Adolf zu sich heran und zog ihn in ein leise geführtes, geschäftliches Zwiegespräch. Peter schlug Sabinen vor, mit ihm einen Rundgang durch den Garten zu machen; man säße sich sonst ja die Beine steif, und auf ihren Bräutigam sollte sie nur heute nicht rechnen, den hielte Herr Haßlach fest und würde ihn so bald nicht wieder loslaffen. Sabine sah Frau Lampert an, wie um deren Erlaubniß zu erbitten. Die gute Frau hatte nichts einzuwenden: „Geht nur in Gottes Namen; aber nicht zu lange, Kinder. Peter, Du bringst sie bald wieder her, verstanden? Die Pause dauert nur zehn Minuten." Peter bot dcr Schwägerin den Arm und führte sie zwischen den Tischen hindurch, damit sie die Versammelten mustern und hier und da einer näheren Bekannten einen Gruß zunicken konnte. Endlich sagte er: „Nun wollen wir aber einen Gang durch den eigentlichen Garten machen; hier vorn wird man durch das Plappern der Menschen ordentlich betäubt." , Ohne Widerstreben gab sie nach. Beide schritten bei der Tribüne vorbei und drangen tiefer in die schattendunklen Wege ein. Hin und wieder begegneten sic einem ebenfalls lustwandelnden Pärchen; aber bald wurde der Garten einsamer und stiller; sie waren allein. .
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