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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.06.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980622014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898062201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898062201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-06
- Tag1898-06-22
- Monat1898-06
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Di» Morgen-Au-gabe erscheint um '/,? Uhr, di« Ubrnd-AuSgabe Wochentag» um ü Uhr. Nedacttou und LrveLitiou: Jshemne-gaffe 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Meads 7 Uhr. Filialen: . Dtt» Klemm'» Tortiin. (Alfred Hahn), Universitätsstratze 3 (Paulinum), Louis Lösche, Katharinenstr. 14, part. und König-Platz 7!» BezugS.PreiS In der Hauptexpedition oder den im Stadt- be»irk und den Vororten errichteten Aus- aabestellen ab geholt: vierteljährlich ^!4.üO, ort zweimaliger täglicher Zustellung tn- Hau- 5.K0. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertestäbrlich S.—. Dirrctr tägliche Kreuzbandiendung ins Ausland: monatlich 7.öO. Morgen - Ausgabe. KlWM TaMalt Anzeiger. ÄmtsMLk des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Natljes und Notizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. AnzeigenPreis öie 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Rrclamen unter dem Redactionsstrich ^ge spalten) KO/H, vor den Familiennackrichtea (6gespalten) 40^. Größere Schristen laut unserem Preis- vrrzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Vrilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung SO.—, mit Postbesörderung 70.—. - Annahmeschluß sur Anzeigen: Abend-Au-gabe- Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Mittwoch den 22. Juni 1898. 92. Jahrgang. Die rothe Gefahr. 8» den Stichwahlen. ss „Die Wahlschlacht ist geschlagen, der Sieg ist er rungen! Stolz wehen über unserer Hansastadt die bremischen Farben. Vergeben- waren alle Anstrengungen der Social demokratie, Bresche zu legen in die Hochburg deutscher Bürgerkraft. Schulter an Schulter standen auf den Schanzen alle Diejenigen, die die nationale Ehre als das höchste Gut ansehen, die da» Vaterland über die Partei stellen." Was hier ein bremisches Blatt mit berechtigter Freude schreibt, das kann man sonst in Deutschland leider nur sehr selten hören. Wenn alle Städte über 50 000 Einwohner allein ein Parlament wählten, so würden die nicht-socialbemokra- tischen Abgeordneten so selten in der Volksvertretung sein, wie ein weißer Rabe in einem Rabenschwarme. Denn was in Bremen geschehen ist, daß man nämlich das Vaterland über die Partei gestellt hat, das ist leider selten geworden im deutschen Vaterlande. Fast nirgends berücksichtigte man die Gefahr, die sich ergeben mußte, wenn dem geschloffenen Angriffe der Socialdemokratie die bürgerlichen Parteien uneinig gegenüber standen. Und wenn sich nur noch die Parteien bekämpft hätten, deren Grundsätze durchaus entgegengesetzt sind, wie eS etwa bei den Volksparteilern und den Conservativen der Fall ist! Aber auch Parteien, die mit einander viele BerührungSpuncte haben, wie die frei sinnige Volkspartei und die süddeutsche Volkspartei, be kämpften einander vielfach. Ein charakteristisches Beispiel für die Folgen dieses Bruderkampfes bildet der Wahlkreis Meißen. Hier stritte» conservative und deutschsociale Reformparteiler in erbitterter Weise um das Mandat, ohne der socialistischen Gefahr zu achten und ohne zu bedenken, daß jeder Vorwurf, den die eine Partei gegen die andere schleuderte, von der Socialdemokratie gegen beide auSgebeutet und als ein von bürgerlicher Seite selbst beigebrachter Beweis für die Verkommenheit der bürgerlichen Gesellschaft bingestellt werden würde. Die Folge davon war, daß die bürgerlichen Parteien 1000 Stimmen weniger erhielten, als vor fünf Jahren, während dem socialdemokratischen Bewerber 2000 Stimmen mehr zusielen, als damals. So sind also selbst Wahlkreise mit einer vorwiegend ländlichen oder kleinstädtischen Bevölkerung ernsthaft durch die Social demokratie gefährdet. Und wie sieht eS erst in den großen Städten auS! Es ist bezeichnend, daß die Hauptstädte der größeren deutschen Staaten sämmtlich entweder bereits im ersten Wahlkampfe von den Socialdemokraten erobert oder in der Stichwahl bedroht sind. In Berlin sind zwei Wahlkreise im ersten Wahlgange von den Socialdemokraten errungen, in den vier anderen kommen sie in die Stichwahl. In München und Dresden haben sie je einen Sitz in der Haupt wahl errungen, in je einem sind sie in die Stichwahl gelangt. Stuttgart haben sie erobert. In Karlsruhe, Darmstadt, Weimar, Schwerin stehen sie zur Stichwahl. Die Residenzen des preußischen Königs, Berlin, Breslau, Königsberg, Hannover, Potsdam, Cassel, Wiesbaden, sind theilS im ersten Wahlgange der Socialdemokratie verfallen, theilS für die Stichwahl ihre fast sichere Beute. Trotzdem liegt kein Grund vor, zu verzweifeln. Gerade diese Erfolge der Socialdemokratie haben weite bürgerliche Kreise aus der Sorglosigkeit, mit der sie sich der beliebten gegenseitigen Bekämpfung Hingaben, aufgerüttelt, und die Siege, die hier und da, wie in Bremen, daS einige Bürger- thum über den nach Umsturz lüsternen Gegner errungen hat, dienen ebenso zur Aufrichtung des MutheS, wie zu der Lehre, daß keine einzige Partei sich einbilden darf, einen Wall gegen über der Socialdemokratie zu bilden. Es giebt nur einen Wall gegen den revolntionairen Ansturm, und daS ist die Einigkeit deS deutschen BürgerthumS. Wie sich dieser Wall in Bremen bewährt hat, so würde er eS auch in vielen anderen Fällen gethan haben. Wo diese Lehre bei den Stichwahlen beherzigt wird, wird auch der Sieg nicht auSbleiben. Es ist freudig anzuerkennen, daß von der conservativen Presse, von dem ofsiciellen Organe des Bundes der Landwirthe, ja sogar von hervorragenden Führern des Centrums die Parole ausgegeben wird, bei den Stichwahlen auch feindliche bürgerliche Parteien gegen über der Socialdemokratie zu unterstützen. Nur in der führenden linksliberalen Presse ist leider von dieser Parole nichts zu merken. Die meisten Organe gehen um diese Frage herum und die „Vossische Zeitung" erklärt sogar: „Wir wollen nicht einmal verhehlen, daß an eine allgemeine Zusage der Gegenseitigkeit um so weniger zu denken ist, als die freisinnigen Wähler in den ver schiedenen Wahlkreisen sich schwerlich einer einheitlichen Parole fügen, sondern nach ihren eigenen Ansichten nnd nach den Verhältnissen ihres Wahlkreise« verfahren werden." DaS heißt doch nichts Anderes, als daß man damit rechnet, daß ein Tbeil der fortschrittlichen Wähler in Stichwahlen zwischen rechtsstehenden Parteien und der Socialdemokratie sich der Stimmen enthalten oder gar für die Socialisten eintreten wird. Es läge ja nahe, die Fortschrittler, die in einer ganzen Reihe von Wahlkreisen (darunter vier Berliner Kreise) mit der Socialdemokratie in Stichwahl stehen, damit zu strafen, daß man sie ebenfalls nicht nachdrücklich unter stützte. Aber die rothe Gefahr ist viel zu groß, als daß man an solche Rache denken dürfte. Ueberhaupt, wenn Rache in irgend einem Falle berechtigt wäre, so ist sie eS nicht in der Politik und ganz besonders bei politischen Wahlen. Wer sich für eine erlittene „Unbill" rächen will, vergißt, daß jeder Candidat, der. sich von einer einzelnen bürgerlichen Gruppe als Candidat aufstellen läßt, die anderen Gruppen zu seiner Bekämpfung herausfordert und daß in keinem Kampfe die Leidenschaft völlig zum Schweigen gebracht werden kann; er vergißt die alte Erfahrung, daß kein Mensch völlig frei ist von der Schwäche, sorgfältige Schonung seiner eigenen empfindlichen Haut zu fordern, vom Gegner aber zu verlangen, daß er das Fell eines Bären sich anschaffe. Vor Allem aber vergißt er, daß er sich weniger am Gegner, der einen Durchfall ver schmerzen kann, als an der Gesammtheit, am Reiche rächt, das doch wahrlich an Wahlreden, Flugblättern und Ausschreitungen von Wahlkämpfern so schuldlos ist, wie der Mond am Sonnenstich. Wer bei Wahlen durch gekränkte- Ehrgefühl sich leiten läßt, der behaupte ja nicht, daß ihm das Vaterland über Alles gehe; eS geht ihm nicht einmal über die eigene Person. Nickt ander- ist es mit dem bestellt, der sich durch den Aerger über einen Miß erfolg seiner Partei bestimmen läßt, gegen den Can« didaten derjenigen Partei zu stimmen, die erfolgreicher gewesen ist. Ist ein solcher Erfolg eine Schuld, die man be strafen müßte? ES ist doch nur da- gute Recht jedes Wählers, nach seiner Ueberzeugung für eine Partei und einen Candidaten sich zu entscheiden, ja sogar seine Pflicht und Schuldigkeit. Hat nun eine Mehrheit sich für eine und gegen eine andere Partei entschieden, wie dürfte die letztere sich dafür rächen wollen, und noch dazu an dem schuldlosen Reiche? Wer so bandeln kann, belügt sich selbst, wenn er sich einredet, das Vaterland gehe ihm über die Partei. Und ebenso belügt sich, wer sich daS Recht zuschreibt, sich an einer anderen Partei dafür, daß sie etwas dem Reiche Nach theiliges thut, dadurch zu rächen, daß ex daS Gleiche übt. Auch das ist Rache am Reiche, ist Verdoppelung der Schuld, die der Andere auf sich geladen hat und über die man sich entrüstet. Die Strafe für solche Schuld bleibt auch nicht aus. Sie liegt in der Abwendung aller wahrhaft patriotisch gesinnten Wähler von Parteien, die ihres eigenen VortheilS willen den des Vaterlandes aus den Augen setzen. Wer also ein Gefühl für die Nothwendigkeit, daS Staatsleben vor der Uebermacht der Socialdemokratie zu schützen, besitzt, muß unter allen U!m ständen gegen die Socialdemokratie eintreten, nicht nur vor directer Unterstützung dieser Partei zurückscheuen. Auch Stimmenthaltung in einer Stickwahl ist Be günstigung des einen Candidaten, dem der betreffende Wähler seine Stimme zu geben sich schämt, und eine Benachtheili- gung des Gegenkandidaten. Wer sich nicht entschließen kann, gegen einen Socialdemokraten zu stimmen, dem hänir der Socialdemokrat doch an den Rockschößen und der ssl mitschuldig, wenn die rothe Gefahr, die durch die Wahlen am 16. Juni fo klar hervorgetreten ist, durch dir Stich wahlen nicht vermindert wird. Deutsches Reich. * Leipzig, 21. Juni. Im Auftrage deS national socialen Wahlvereins ersucht uns Herr Rechtsanwalt Martin um Aufnahme der folgenden Erklärung: „Die Stichwahl nötbigt unS, unsere Stimmzettel ent weder für Herrn Professor vi. Hasse oder für einen Social demokraten abzugeben. Zwar ist da« Verständniß der „Ord- nungSparteien" für die sociale Entwickelung so gering, daß von dieser Seite unser Eintreten für berecktigte Arbeiter forderungen lediglich alS Schüren deS „revolutionairen Feuers" bezeichnet wird („Leipziger Tageblatt" vom 16. d. M ). Aber- Herr vr. Hasse ist jedenfalls ein national gesinnter Manu und hat ausdrücklich versprochen, im kommenden Reichstag für die Erhaltung deS bestehenden allgemeinen gleichen, direkten und geheimen ReichStagSwablreckts einzulreten. Ans der anderen Seite will die Socialdemokratie von te» nationalen Forderungen überall nichts wissen und zur rechten Vertretung deS socialen Gedankens ist sie nicht im Stanre. Unter diesen Umständen empfehlen wir den national-socialen Wählern, in der Stichwahl ihre Stimmen für Herrn Professor vr. Hasse abzugeben. Leipzig, am 20. Juni 189?. Der national-sociale Wahlverein. Prof. l)r. Sobm. Prof. Or. Gregor». RechtSanW. Martin. Max Lorenz." * Leipzig, 2l. Juni. Wahlschwindel. Mit welchen Mitteln von gewissen Seilen gearbeitet wird, dafür ein Beispiel. Jedermann in Leipzig und namentlich jeder Post beamte, Militair und sonstige Neichsbcamte weiß, daß Herr Professor Or. Hasse im Reichstage am 4. December 189«! und am 4. Mai und 22. Mai 1897 auf da? Entschiedenste — wenn auch erfolglos — für die Versetzung der Stad: Leipzig aus der ServiSclasse l. in die ServiSclasse.4 ein getreten ist. DaS ist eine nicht zu leugnende Thalsache, die freilich den socialdemokratischen Gegnern Hasse s unbequem zu sein scheint. Also waS tluin? Da wird jetzt den Leipziger Postbeamten ins Obr gezischelt, Hasse sei zwar im Plenum, nicht aber in der Budgetcommission mit gleicher Entschiedenheit für Leipzig eingetreten. Beweis: die Entscheidung sei mit 12 gegen 11 Stimmen gegen Leipzig gefallen, während z. B. die Versetzung von Wilhelmshaven in eine andere Classe gelungen sei. Diese Verdächtigung iü Fruilletsn» Etwas über Gespinltmotten und Thiergespinfte. Nachdruck »erboten. Gegen Ende deS Mal und in der ersten Hälfte des Juni macht sich in unseren Anlagen gelegentlich ein unangenehmer Gast bemerkbar. Manche Ziersträucher, wie der Faulbaum (kruiius psckus), das Pfaffenhütchen (Lvouz-mus ouropaeus), die Heckenkirsche (I^ovioer» x^logteurn), erscheinen dann kahl- gcfrefsen wie Besen und sind überzogen von einem weißlich grauen Gespinstschleier. Bisweilen werden auch Apfel- oder Pflaumenbäumchen auf ähnlich« Weise verunstaltet. Wer sich jetzt einen solch wenig schönen Anblick verschaffen will, der begebe sich in die Liebigstraße. Hier wird er, wenn er von der Nürnberger Straße her kommt, linker Hand, un mittelbar hinter der „kohlensauren" Bude neben dem Anatomie gebäude zwei niedrige Bäumchen oder Büsche bemerken, die sich in jenem Zustande übersponnener Besen befinden. ES sind das ein Paar Faulbeerbäumchen. Ihre Blätter sind verschwunden, nur einige Aestchen, die aber benachbarten Bäumchen anderer Art, z. B. einer Akazie oder Robinie, angehören, sind noch grün. Die Büsche sind, und zwar zwischen den Astgabeln am stärksten, hin und wieder mit grauen Gespinnsten bedeckt, feine Gespinnstschleier ziehen sich von Zweig zu Zweig und verbinden auch die beiden Büsche. Wir treten näher hinzu, das dürfen wir zwar nicht, aber wir riskiren es, nicht jeder einzelne Miffethäter hat gleich seinen ofsiciellen Schutzmann in Person und Uniform hinter sich, wennschon einen privaten, unsichtbaren, das ist sein Ge wissen. Das erlaubt mir aber, mich dieser verbotenen Frucht zu nähern, was übrigens nicht gerade sehr bequem ist, denn der Boden um sie herum ist mit malitiös knorrigen und ein ladend stacheligen Aesten bedeckt, zum Schuh gegen Hunde und baarfüßige Gassenkinoer, von denen die Gegend dort wimmelt. Jetzt stehen wir vor dem Weltwunder und sehen,, daß in dem Gewebe schwarze Körner hängen und kleine, undeutliche Gestalten von Wurmform sich hin und her bewegen. Wir gehen in unserer Sündhaftigkeit noch weiter und suchen uns in Besitz eines übersvonnenen Astauirlchens nebst Inhalts zu sehen, was nun einmal erst recht nicht erlaubt ist — indessen, Rußland ist groß und der Zar ist weit! Wir müssen dabei einigermaßen an dem Dusche zerren und ihn erschüttern. Da sehen wir denn, daß etliche jener grauen Gestalten aus den SchleiermasseN hervcrkommcn und sich zu Boden fallen lassen, ihn aber nicht erreichen, sondern in der Luft schweben bleiben. Eine jede hat einen sehr feinen Faden im Maule, den sie nach Belieben ver- länger» kann. Lassen wir ihnen Ruhe, so wird es nicht lange dauern, daß sie an ihm wieder in die Höhe und in das Gespinst hineinklettern wie Matrosen an Tauen. Wir fangen ihrer etliche mit einer Schachtel auf zur späteren Betrachtung und wenden uns zunächst den Gespinsten selbst zu, denn wir dürfen es nicht wagen, uns zu lange auf diesem verbotenen Grund und Boden zu bewegen, der Zufall könnte uns doch einen Wächter des Gesetzes auf den Hals führen, und das wäre unangenehm, denn Ich weiß mich trefflich mit der Polizei, Mit ihren Dienern schlecht mich abzufinden — und mit dem Vorwande des „wissenschaftlichen Eifers" verleitet man sie nicht so leicht zu Jnstructionsverletzungen. Fassen wir in das Gespinst hinein, so bemerken wir, daß es trotz seiner Zartheit merkwürdig widerstandsfähig und dabei eigenthllmlich klebrig ist, und daß die schwarzen Körnchen nichts sind als die Excremente seiner Bewohner. Wir bemerken weiter, daß die beunruhigten Gestalten im Retz, es sind, wie wir jetzt bemerken, kleine Raupen, sich lebhaft hin und her bewegen und vor- und rückwärts kriechen, aber nicht planlos, sondern in bestimmten Richtungen. Die Ursache hiervon ist, daß eine jede einzelne Raupe in der großen allgemeinen Gespinst masse noch ihr eigenes Privatgespinst in Gestalt einer fein seidenen Röhre oder eines Tülltunnels hat. Will sie fressen, so streckt sie das vordere Körperende aus der Hülle hervor, will sie weiter kriechen, so verlängert sie es spinnend, denn sie scheint es für unpassend zu halten, unbekleidet zu erscheinen. Nur in höchster Roth läßt sie sich, wie wir sehen, an einem Faden aus ihrem Gehäuse herausfallen, wie auch Menschen bei plötzlichen nächtlichen Feuersbrünsten es mit der Garderobe nicht allzu genau zu nehmen pflegen. Da wir nun Alles gesehen haben, waS hier zu sehen war, wollen wir uns aus der gefährlichen Nachbarschaft wegmachen und uns auf jene Bank in den Schatten setzen, um eine unserer Gefangenen zu prüfen. Das können wir mit dem besten Ge wissen und so recht „ocm amoro" thun, wie der gebildete Deutsche sagt. Da sehen wir denn, wenn wir sie auf unseren Taschen maßstab legen, daß sie 20 mm lang ist und im Ganzen 16 Füße hat. Ihre Hauptsarbe ist araugelb, der Kopf und der erste auf ihm folgende Halsring, sowie der End- oder Schwanzring sind glänzend braunschwarz. Aus jedem anderen Körperring steht oben auf dem Rücken an beiden Seiten je ein schwarzer runder Fleck und unten und etwas nach innen von ihm ein viel kleinerer zweiter, so daß vier Reihen von je zehn schwarzen Flecken über den Rücken verlausen. An den Seiten stehen noch, wie wir mit der Lupe bemerken können, zahlreiche, viel kleinere, schwarze, erhöhte Fleckchen, die je einem feinen Härchen al» Basis dienen. An diesen Eigenschaften des Räupchens erkennen wir, daß sie die der veränderlichen Gespinst motte (R.vponornouta variabilis) ist. Die Gattung der Gespinstmotten gehört zu den sogenannten Kleinschmetterlingen, und zwar zu derjenigen Familie derselben, die man Schaben nennt, und zu der auch unsere gewöhnlichen, in Leipzig, besonders in der Nachbarschaft des Brühls, sogar entsetzlich und beunruhigend gewöhnlichen Pelz- und Kleider motten und viele Andere mehr gehören, und die fast alle die Neigung haben, als Raupen in geringerem oder stärkerem Maße zu spinnen. Zu den Gespinstmotten gehören auch In unserem Daterlande verschiedene Arten, die alle eine sehr ähnliche Lebensweise haben und einander als Raupen und Schmetterlinge, Wender als Püppchen, sehr ähnlich sehen. Die Raupen sind alle mehr oder weniger von schmutziger, gelber, oft ins Grau ziehender Farbe und haben schwarze Punctflecke. Die Schmetterlinge haben graue Hinter- und milch- oder gelblichweiße Borderflügel mit zahlreichen, sehr feinen schwarzen Pünctchen. Es liegt hier einer der seltenen Fälle vor, daß zwischen der Färbung der Raupe und des Schmetterlings eine entschiedene Ueberein- stimmung herrscht, — unter den bekannteren Schmetterlingen verhält sich das nur noch bei dem Stachelbeerspanner oder Harlekin so. Die Puppe ist gelb mit schwarzem Kopf- und Hinterleibs ende und dunkelbraunen, an den Schmetterlingspuppen bekanntlich deutlich wahrnehmbaren Flügelscheiden. Roch mehr weicht sie aber in einem anderen Punkte von denen der anderen IIz-ponomonta-Arten ab. Dir Raupen dieser Thierchen opfern nämlich nicht ihren ganzen Vorrath von Spinnstoff dem all gemeinen Besten, jede behält noch etwas davon für sich zurück, aus dem sie sich ein spindelförmiges, weißes Gehäuse webt, um in diesem Hemdchen ihre Puppenruhe zu halten. Bei der ver änderlichen Gespinstmotte ist dasselbe aber viel dünner als bei den anderen, so dünn, daß man die Puppe in ihm sehen kann. Diese eingesponnenen Püppchen hängen senkrecht in dem gemeinsamen Gespinst, dicht neben einander, aber doch nicht so dicht wie bei anderen Arten, z. B. bei der Apfelbaum- Gespinstmotte, deren Naturgeschichte von dem schwedischen Jn- sectenforscher Dahlbom sehr genau studirt wurde, und da diese Naturgeschichte in den wesentlichen Punkten die gleiche für alle Arten Gespinstmotten ist, sei sie hier als allgemeines Beispiel mitgetheilt. Im Mai des Jahres 1833 beobachtete der genannte Gelehrte in den Obstgärten SüdschwedenS an den Apfelbäumen zwischen Gruppen zusammengesponnener Blätter kleine Gespinstnester durchschnittlich von Hühnereigröße, deren jedes fünfzig Raupen oder je nach seinem Umfange ihrer mehr oder weniger enthielt. Waren die Blätter in der Umgebung des Restes von den Raupen weggefrtssen, so wanderten diese aus, und zwar nach oben zu, und legten 10—15 om höher, indem sie abermals Blätter zusammenspannen, ein neues Rest an. DaS wiederholte sich vier- oder fünfmal, und jedesmal war das Rest, entsprechend der WachsthumSzunahme der Raupen, größer. In jedem Neste schienen sich die Thiere mindestens einmal gehäutet zu haben. Im letzten Neste verpuppten sie sich, und die Schmetterlinge kamen im Juli, da die Witterung günstig war, gut aus. Tie Weibchen legten ihre Eier »hne besondere Ordnung in einem schmalen Haufen auf die zartesten Zweige der Apfelbäume in der Nähe der Blattwinkel. Die Raupen schlüpften im Herbst aus und überwinterten gesellschaftlich in den Ritzen der Bäume kn selbstgesponnenen Röhren. Die klimatischen Verhältnisse waren damals auch in diesem Winter für sie außerordentlich günstig, und im Mai des nächsten Jahres (1834) erschienen sie, sobald die Blätter der Apfelbäume ausschlugcn, in ungeheurer Menge. Sie spannen sich nicht mehr, wie die Raupen der elterlichen Generation, jene einzelnen Nester, sondern bedeckten die ganzen Baume von der Wurzel bis zum Gipfel, Stämme und Zwein, alles mit ihren Gespinsten. AlsMittcJuni dieZeit derVerpuppur kam, spannen eine Anzahl Raupen besondere horizontal au gedehnte Netze, Dächer gewissermaßen, und unter diesen der puppten sie sich in festen weißen Socons. Zuerst spannen st-' ihrer etliche dicht Neben einander ein, so daß sie eine wagerecll- Schicht einander berührender Puppenhülsen von Spindelfor: i bildeten, unter dieser eine zweite, unter der zweiten eine drill, und so fort. Dahlbom fand einen Eoconklumpen, in der, er 1500 einzelne CoconS zählte. Diese sind dabei alternireno angeordnet, indem die der folgenden Schicht sich mit ihren oberen Spitzen zwischen die unteren Spitzen der Cocons de: oberen Schicht einschieben. Im Jahre 1830 beschrieb ein Engländer Lewisdie Lebens geschichte einer anderen Art von Gespinstmotte, wahrscheinlich der veränderlichen, aber seine Angaben lauten ganz anders al^ die Dahlbom's und in der Tbat sehr merkwürdig. Nach Lewis legt die Mutterschabe im Sommer ihre Eier meist an die Unterseite eines kleinen Zweiges als rundes, kleines, etwa 5 mm im Durchmesser habendes Häufchen und überzieht sie mit einer Art von Firnis oder Kitt, der von besonderen, mit den Eileitern in Verbindung stehenden Drüsen, wie si- ähnlich bei vielen Insekten Vorkommen, ausgeschieden wird Anfang» ist dieser Stoff weich und gelb, bald aber wird er hart und braun, so daß sich Vas Eihäufchen in der Farbe nickt im Mindesten von der umgebenden Rinde des feinen Zweige unterscheidet. Schon tm Herbst schlüpfen die sehr kleinen Räupchen au>, bleiben aber den ganzen Winter über unter dem hohlen Kitt schuppen sitzen. Es sind ihrer etwa zwei Dutzend. Sobald ihre Futterpflanze anfängt Blätter zu treiben, kommen sie hervor, fangen aber nicht an, gleich Gespinste zu machen. Sie leben vielmehr zuerst wie die Raupen vieler kleiner, zur Gruppe der Schaben gehöriger Schmetterlinge und wir die Larven verschiedener Käfer und Schmetterlinge als Minirer in dem Parenchym der Blätter zwischen deren Ober- und Unter-
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