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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.06.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980623026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898062302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898062302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-06
- Tag1898-06-23
- Monat1898-06
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zisfernsatz nach höherem Tarif. Extra-Vellage» (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Itnnahmeschloß für Änzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Marge n-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde srüher. Anzeigen sind stets an die Expeditia« zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. ^313. Donnerstag den 23. Juni 1898. 92. Jahrgang. Der spanisch-amerikanische Krieg. —L> Die Landung der Truppen Shafter's hat gestern bei Taignirt, t7 Meilen östlich von Santiago, begonnen, während die Flotte gleichzeitig mehrere befestigte Puncte westlich und östlich von Santiago beschoß, aus denen die Spanier vertrieben werden müssen, bevor der Marsch auf Santiago angetreten werden kann. Die Landung geschah unter dem Schutze deS Feuers deS Geschwaders und unter Mithilfe von etwa 1000 Cubanern unter Führung Castillo's. DieCubaner warcnauf amerikanischen Kriegsschiffen von Acerra- deros nach Signa gebracht worden. Als die Landung begann, befanden sich die Spanier zwischen zwei Feuern, dem Ges chützfeuer von der Küste her und dem Gewehrfeuer der Cubaner; dies letztere beherrschte die spanische Landbatterie. Die Landung bei Cabannas und Aguadores dürfte wahrscheinlich den ganzen Tag in Anspruch nehmen, doch glaubte man, daß die Vorhut in wenig Stunden von den Booten der Flotte und der Transportschiffe an Land geschafft sein werde. Als die amerikanischen Kriegs schiffe CabannaS bombardirten, um die Aufmerksamkeit der Spanier von der Landung der Amerikaner abzulenken, wurde ein Mann aus dem „Texas" getödtet. Nach Daiguiri führt eine gute Straße, der Ort ist reichlich mit Trinkwasser ver sehen. Wie es heißt, werden die Truppen sich zwei Tage von Santiago entfernt halten. Von spanischer Seite liegen noch keine Meldungen Uber die Landung vor. Eine Depesche des Gouverneurs von Santiago vom 23. Juni meldet lediglich, daß die Landung zwischen Guantünamo und Daiguiri beabsichtigt scheine, um diesen Ort als Operationsbasis zu benutzen, und daß die Amerikaner voraussichtlich auch bei Acerraderos landen werden. Wären die Spanier mit einer besseren Artillerie versehe», so würden sie den Versuch haben machen können, die Aus schiffung der amerikanischen Mannschaften zu verhindern; da jedoch die Sampson'schen Kriegsschiffe mit ihren weit überlegenen schweren. Schiffsgeschützen den Küstenstrich, an welchem die Landung ersolgtr, selbstverständlich unter ein verheerendes Feuer nahmen, mußten die spanischen Befehls haber den Gegner.zunächst an Land kommen lassen, um ihm dann erst entgegenzutreten. Sind ihre Truppen in der That von der kaum noch zu zähmenden Kampslust beseelt, von der die Meldungen aus Havanna und Madrid zu be richten wissen, so können sie gegenüber dem Shafter'schen Eorps, das nicht etwa aus neuerdings erst angeworbenen und ungenügend geschulten Freiwilligen, sonders aus den besten Regi mentern der kleinen stehenden Armee der Vereinigten Staaten gebildet ist, ihre Tapferkeit und Tüchtigkeit beweisen. Im Interesse des Rufes der spanischen Waffen würde es jedenfalls liegen, wenn der ungünstige Eindruck der Berichte über ihre nichts weniger als imponirenden Leistungen auf den Philippinen durch die Bulletins vom cubanischcn Kriegsschauplatz einiger maßen wett gemacht werden könnte. Lange wird der ent- scheidendeZusammenstoß nicht auf sich warten lassen. Am 2O.d.M. hat Garcia Admiral Sampson benachrichtigt» General Pan do sei an der Spitze stärkerer Truppenmassen auf dem Wege, SantiagoVerstärkung zu bringen. Eine Depesche des Gouverneurs von Santiago bezeichnet die Meldung als unrichtig, daß in Santiago Mangel an Lebensmitteln herrsche. Es fehle zwar an Weizenbrod, Maisbrod aber sei im Ueberflusse vorhanden. Die Behauptung amerikanischer Blätter, die Spanier hätten gefallene amerikanische Marinesoldaten barbarisch verstümmelt, ist von der Madrider Regierung sofort als völlig unbegründet bezeichnet und nirgends geglaubt worden. Jetzt erklärt ein zum Geschwader Sampson's commandirter Ehirurg, also ein unverdächtiger Leuge, bestimmt, daß die gefallenen amerikanischen Soldaten nicht ver stümmelt worden seien. Die Verwundungen, welche man für Verstümmelungen gehalten habe, seien durch Schüsse aus Mausergewehren verursacht worden. Damit sollte die Sache erledigt sein und man versteht es nicht, daß sie trotzdem noch den Washingtoner Senat beschäftigen soll. Eine überraschende Nachricht geht uns kurz vor Schluß der Redaction zu: * Madrid, 23. Juni. (Telegramm.) Ein in Cadiz ein- getroffenes Schiss giebt an, von einem amerikanischen Schisse im Canal La Manche verfolgt worden zu sein. Man be fürchtet einen Angriff ans einen spanischen Hafen. Eine Bestätigung -der nicht sehr wahrscheinlich klingenden Meldung bleibt abzuwarten. Sonst sind bei uns noch folgende Nachrichten eingetroffen: * Washington, 23. Juni. (Telegramm.) Der General» advvcat hat beschlossen, die an Bord spanischer Handelsschiffe ge fangen genommenen Mannschaften fremder Länder, die Nicht» cvmbattanten sind, den Botschaftern Frankreichs und Oesterreich- Ungarns behufs ihrer Heimschaffung nach Spanien zu übergeben. * Washington, 22. Juni. Der Senat nahm eine Resolution an, in welcher der Marinesecretair Long aufgefordert wird, dem Senat Auskunft zu geben, ob Lieutenant Hobson und seine Genossen an einem Orte gefangen gehalten werden, wo sie dem Feuer der amerikanischen Kriegsschiffe ausgesetzt wären. * San Francisco, 22. Juni. Wie es heißt, beabsichtigt General Merritt, am 29. d. M. mit der dritten Abtheilung des Expeditionscorps nach den Philippinen abzufahren. * Madrid, 23. Juni. (Telegramm.) In der Deputirten- kammer griffen der Carlist Llorens und der frühere Minister Canalejas die Regierung an. Canalejas warf der Regierung ihr Stillschweigen vor und machte sie für die gegenwärtige Lage ver antwortlich. Politische Tagesschau. * Leipzig, 23. Juni. Das übrige Deutschland hat es nicht so gut, wie wir in Lei pzig, die wir heule den Wahlkampf beendigen dürfen. Das Gros der Stichwahlen wird erst morgen durchgefochten, einen Tag später fallen die Entscheidungen in Bayern, München undWürzburg ausgenommen, wo am 27. d.M. gewählt wirv. In diesen beiden Städten hat es also der Freisinn besonders gut. Er steht nicht zur engeren Wahl und kann ganz un gestraft socialdemokratisch wählen. Ob der „Mann mit zu geknöpfter Tasche" dabei sonst überall seine Rechnung findet, ist zuletzt — zu unserem Bedauern — fraglich ge worden. Ist es auch zu billigen, daß die National liberalen in Hagen noch mit ihrer Losung zurück halten , weil dort eben die Wahl des Herrn Richter, des Vaters aller Einigungshindernisse, in Frage kommt, so wäre es ein Fehler, wenn die Nationalen in allen übrigen Wahlkreisen, wo Socialdemokraten zu besiegen sind, dem Freisinn seinen Verrath am Bürgerthuni auf Kosten deS moralischen Ansehens des Bürgerthums Keimzahlen wollten. Darüber herrscht bei politisch wägenden Männern Ueberein- stimmung. Die Politik braucht deshalb keineswegs den Charakter zuverderben,weil siegelegentlichdieNothwendigkeit mit sich bringt, Ekel zu überwinden. Das muß der Soldat im Felde unter Umständen auch. Ekelerregend ist die Haltung des Freisinns allervings, und selbst ein neuerdings so weit links gelenktes Blatt wie die „Köln. Ltg." hat für die Ausführung deS Herr» Richter und seiner Umgebung kein anderes Wort als „Schamlosigkeit". In diesen Kreisen hätte die Politik, selbst wenn sie die Eigenschaft besäße, die ihr der Nichtpolitiker Bodenstedt zuschrieb, keinen Charakter zum Verderben vorgefunden. Richter und die Anderen ließen z. B. Tag für Tag die schwersten und beleidigendsten Be schuldigungen der socialdemokratischen Presse mit — wir unterdrücken das allein treffende Beiwort — Ergebenheit über sich ergehen. Da schreibt der „Vorwärts": „Wo immer ein Candidat des Sammelmischmasch unS entgegensteht — nieder mit ihm", und Herr Richter schnappt den Brocken dankbar aus. Er hat sich auch eine neue Krücken-Theorie zurechtgelegt und findet es ebenso „ehrenvoll", wenn ein freisinniger Candidat mit socialdemokratischer Hilfe in den Reichstag gelangt, als wenn ein nationaler Bewerber durch Stimmen, die nicht allein seiner speciellen Partei angehöreu, im ersten Wahlgange ein Mandat erlangt. Daß im letzteren Falle dieWahl ein Product der Uebereinstimmung in Grundaufsassungen ist, kann Herr Richter nicht merken, denn politische Ueberzeugung ist ein Ding, das er nicht kennt und an dessen Existenz er nicht glaubt. Der Freisinn verwechselt schon lange die Lust am Stänkern mit Unabhängigkeit der Gesinnung und Herr Richter erstirbt selbst in schweigender Demuth, wo der Uebermuth der Herren mit seiner Person spielt. So hat er kein Wort der Abwehr gegen ultramontane Blätter, welche die Zusage, gegen ibn in Hagen gnädig zu sein, mit der Bemerkung begleiten, Eugen Richter rechne „gewiß seine unüberlegte Abstimmung beim Iesuitengesetz zu den größten Dummheiten, die er jemals in seinem politischen Leben begangen hat". Nein, stolz ist der freisinnige Häuptling nicht, nur dreist und anmaßend, wo die klerikal-socialistische Ruthe nicht droht. Und einer solchen Erscheinung nicht mehr im Parlamente Rede gestanden zu haben, hat man einem Bismarck zum Vorwurf gemacht! Ein höchst lehrreiches Beispiel dafür, daß bei einem Streite zwischen befreunveten Parteien die Gegner dieser Parteien die lachenden Erben sind, bilden die Wahlen in den einander benachbarten Wahlkreisen Minden-Lübbecke, Herford- Halle und Bielefeld-Wiedenbrück. Diese drei Kreise wurden srüher scherzweise die preußische Venden genannt, weil sie den sichersten Besitzstand der strengconservativen Richtung bildeten. Selbst bei den Wahlen von 1881, die innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte die erfolgreichsten Wahlen für die Fortschrittler waren, gelang eS keiner liberalen Gruppe, den conservativen Besitzstand in diesen Wahlkreisen zu er schüttern. Wie sieht cs jetzt in denselben Wahlkreisen aus? In Minden-Lübbecke stellte der Bund der Landwirthe, also eine den Conservativen nahestehende Gruppe, den con servativen Bewerber einen eigenen Candivaten gegenüber; die Folge davon ist, daß der konservative Candidat mit einem Fortschrittler in der Stichwahl um den Sieg kämpften muß. In Halle-Herford und in Bielefeld-Wiedenbrück hatten die Cbristlich-Socialen, also ebenfalls eine den Conservativen nahestehende und aus ihnen hervorgegangenen Gruppe, den conservativen Bewerbern eigene Candivaten gegenübergestellt. WaS ist hier die Folge? Iu dem ersteren Wahlkreise ist der konservative Candidat gegen einen nationalliberalen Bewerber in die Stichwahl gelangt, in dem letzteren ist es den Conser vativen noch schlechter gehangen. Hier sind sie überhaupt vollständig ausgefallen, während sie 1893 in der Haupt Wahl noch die meisten Stimmen auf sich vereinen konnten. Jetzt streiten Centrum und Socialdcmokraten um die Palme des Sieges und der zu zwei Dritteln evangelische und zwar evangelisch-orthodoxe Wahlkreis wird nun entweder durch einen katholischen Klerikalen oder durch einen religionSfeindlichcn Socialdemokraten im nächsten Reichstage vertreten werden. Charakteristisch bei allen drei Wahlkreisen ist, daß diejenigen, die in den Besitzstand einer ihnen nahestehenden Partei ei» brachen, selbst nicht den mindesten Vortheil davon gehabi haben, denn wederZ sind die Bündler in Minden, noch die Christlich-Socialen in Herford und Bielefeld auch nur in die Stichwahl gelangt. Sie haben also sich selbst nichts genützt, den Freunden aber geschadet. Nach vollständiger Beendung des Wahlkampfes soll einmal ausführlich dargelegt werde», daß nicht nur in diesen Wahlkreisen, sondern fast überall, wo einander nahestehende Gruppen sich bekämpft haben, das Resultat ein ähnliches gewesen ist, nämlich nicht der Sieg der mandatshungrigen „Freunde", sondern ein Erfolg gemein samer Gegner. Neber die Frage der Zukunft der Philippinen wird uns von wohl unterrichteter Seite aus Berlin geschrieben: I» Madrid werden fortgesetzt Versuche gemacht,'die europäische» Mächte zum Aufgeben ihrer neutralen Haltung zu bewege». Der neueste Versuch besteht in der Ausstreuung, die spanische Regierung erwarte, daß der Befehlshaber in Manila, General Augusti, im Stande sein werde, mit den Commandanten der europäischen Kriegsschiffe die gemein same Besetzung Manilas zu vereinbaren, da die Stadt bis zur Ankunft der amerikanischen Truppen nicht stand halten könue. Dies würde Dewey befähigen, dem Ein rücken der Tagalcn, daS, wie Spanien vermuthet, die europäischen Mächte nicht dulden würden, vorzubeugen. Ta es der englische „Standard" ist, der das Vorstehende verbreitet, wäre die Annahme gestattet, daß eS sich um einen englischen Fühler handele, wenn nicht die Amerikaner aus der Combi nation ausgeschlossen wären. Einen solchen Tort werden aber die Engländer ihren angelsächsischen Vettern zur Zeit nicht anthuu. Man kann also sicher sein, eS mit einer spanischen Auslassung zu thun zu haben. Ihr Erfolg wird ebenso negativ bleiben wie die bisherigen einschlägigen Bemühungen. Eine gemeinsame Besetzung Manilas durch Truppen europäischer Mächte ist offen bar nur denkbar, wenn beide kriegführende Parteien darum ersuchen. Dazu hatte Admiral Dewey als Herr der Situation bisher keine Veranlassung, und eS wird mit jedem Tage unwahrscheinlicher, daß er sich hierzu versteht, weil die amerikanische Verstärkung, die vor Wochen ans San Francisco abgegangeu ist, voraussichtlich bereits in nächster Nähe Manilas sich befindet. Waö Deutsch land anbelangt, so kann nur immer wieder auf das Bestimmteste versichert werden, daß es einerseits stricte Neutralität beobachtet, andererseits den Schutz der deutschen und der sonstigen ihm übertragenen Interessen pflichtgemäß wahrnimmt. Aus der Anwesenheit der deutschen Kriegsschiffe vor Manila im Augenblick weiter gehende Schlüsse zu ziehen, wäre verfehlt. Mehr noch als Deutschland ist Rußland an der Philippinenfrage interessirt. Wie man dort über die Sache denkt, geht aus Aeußerungeu des neuen russische» Botschafters i» Washington Cassini einem Berichterstatter gegenüber her vor, welche von den Washingtoner Blättern veröffentlicht Feuilleton. Lauernblut. 13) Roman in drei Büchern. Von Gerhard von Amyntor. (Dagobert von Gerhardt.) Nachdruck vcrdolcn. Der Staatsanwalt nickt sinnend mit dem Kopfe, dann seufzt er unzufrieden auf und, eine im Stillen durchlaufene Gedanken reihe laut abschließend, verseht er: „Solch ein Zweikampf muß dem Leben beider Theile ein Ende machen, sonst ist er ein albernes Auskunftsmittel, das die Lage verschlimmert, statt sie zu bessern." Und wie Herr von Brank etwas erwidern will, kommt er ihm mit den Worten zuvor: „Ich weiß, was Sie sagen wollen, aber ich habe doch recht, ich lasse mich zu keiner anderen Ansicht mehr bekehren. In den letzten schlaflosen Nächten habe ich unausgesetzt über die Sache nachgedacht. Der Zweikampf hat nur einen Sinn, wenn man unter dieser das Gewissen einlullenden Form den Tod des Gegners und den eigenen Tod sucht und findet; in jedem anderen Falle ist er eine Farce, eine heuchlerisch-feige Ver beugung vor dem Vorurtheil einer der Zahl nach immer kleiner werdenden Gesellschaftsklasse; der Ueberlebende ändert die That- sachen nicht, er macht Geschehenes nicht ungeschehen, er häuft aber zur Unerträglichkeit seiner Lage noch die Reue und den öffentlichen Scandal und die Aussicht auf eine compromittirende Freiheitsstrafe. Wenn Sie auch mit dem Kopfe schütteln, Herr von Brank, es ist so, wie ich sage! Man kann nicht zweien Herren dienen, nicht dem Paragraphen des unbeugsamen Ge setzes und zugleich den Ueberlieferungen der sogenannten guten Gesellschaft; aber ich werde dem Zwiespalte ein Ende machen; ich werde aus dem Staats- und Justizdienste ausschriden." Just, der bescheiden am Fenster sitzt und sich von jeder Ein mischung in diese Unterhaltung fernhält, spitzt bei diesen Worten das Ohr und richtet einen verwundert fragenden Blick nach dem Staatsanwalt. Der Freiherr aber fährt mißbilligend auf: „Nehmen Sie mir's nicht übel, Herr Staatsanwalt, Sie sind ein Durch gänger und dazu ein Virtuose in der Selbstquälerei! Sie werden doch wegen einer solchen Lappalie nicht Ihrer aus sichtsreichen Laufbahn entsagen?" „Nennen Sie jene Affaire keine Lappalie; sie liegt mir wie eine Eentnerlast auf dem Gewissen. Ich bin ein berufener Ver treter des Gesetzes, ein Staatsanwalt, der jedes Verbrechen, das zu seiner Kenntniß kommt, anzuzeigen die Verpflichtung hat..." „Verbrechen! Hier handelt es sich doch um kein Verbrechen." „Nach meiner Ansicht habe ich allerdings versucht, ein Ver brechen zu begehen, ja, ich habe es begangen, denn ich habe einem Manne nach dem Leben getrachtet, den ich als Ehrenmann schätzen muß und der mir persönlich nichts zuleide gethan hat. Als gewissenhafter Staatsanwalt müßte ich mich nun selber bei meiner vorgesetzten Behörde denunciren . . ." „Wenn Ihr Gewissen so überempfindlich ist, nun, so thun Sie es doch . . ." „Ich werde es nicht thun, weil ich es eben als Mitglied jener sogenannten guten Gesellschaft anständigerweise nicht thun darf. Wenn ich unseren Zweikampf zur Anzeige brächte, so würde ich auch Ihnen, als meinem Gegner, eine Bestrafung zuziehen, eine Bestrafung dafür, daß Sie mich, den Tollkopf, großmüthig geschont haben. Pfui! Das wäre ein Bubenstreich, den ich mir nimmer verzeihen könnte. Jawohl, Herr von Brank, es wäre ein Bubenstreich! Es wäre zugleich ein Frevel an dem Andenken meiner seligen Mutter, denn jede öffentliche Ver handlung unserer Angelegenheit müßte ja den Ruf jener Frau noch heilloser zerstören." „Der Ruf der seligen Mrs. Tell kann durch die Wahrheit nie geschädigt werden", tönte es ernst und mahnend vom Fenster her. Die beiden am Tische sitzenden Herren, die die Anwesenheit des dritten beinahe ganz vergessen hatten, blickten überrascht nach Just, der die Rolle des schweigenden Zuhörers aufgeben zu wollen schien. Tell lächelte bitter: „Der Ruf einer Frau wird nicht gerade gebessert, wenn ihre Zusammenkünfte mit einem Nebenbuhler ihres Gatten bekannt werden." „Und dennoch hat Ihre Frau Mutter das Urtheil der Welt nie zu scheuen gehabt", erwidert Just mit einer gewissen Heftig keit; „ich berufe mich auf Den, der in dieser Sache der einzige competente Richter sein kann." Er deutete auf den Freiherrn, wie wenn er ihn aufforderte, für die Ehre der Mrs. Tell einzutreten. Brank wirbelte seinen grauen Schnurrbart durch die Finger und brummte zustimmend: „Der Amerikaner hat Recht . . . vollkommen Recht." Und sich gegen Tell wendend: „Halten Sie mich nicht für indiscret, wenn ich über diese Sache wiederholt mit Herrn Just gesprochen habe; es war mir eine Wohlthat; hat doch auch er jene Frau gekannt und verehrt und bewundert. Gleichwohl pflichte ich Ihnen darin bei: es wäre wenig pietät voll, wenn Sie unnöthigerweise den Namen Ihrer Frau Mutter zum Gegenstand des Stadtgespräches machen wollten." Just hat den Fensterplatz verlassen; er tritt an den Staats anwalt heran und fragt ihn sanften, wenn auch vorwurfsvollen Tones: „Meinen Sie denn noch immer, daß Sie sich Ihrer Frau Mutter zu schämen haben? Ich habe Ihnen doch schon wiederholt gesagt, und auch Herr von Brank hier bestätigt es Ihnen, daß . . ." Tell fällt ihm kurz und bestimmt ins Wort: „Lassen wir das, mein guter Just; es giebt Dinge, deren Berührung Einem Pein verursacht." „So verurtheilen Sie also Mrs. Tell? So zürnen Sie ihr?" fragt Just tief erregt, und es ist schwer, zu entscheiden, ob Unwille über die Härte des Unversöhnlichen oder nur das wchmiithige Gedenken an die einstige Freundin und Genossin seine Stimme zittern macht. Der Staatsanwalt schweigt; nach einer Weile stößt er in grimmig hervor: „Es wäre bester gewesen, meine Frau Mutter hätte überhaupt nie Anlaß zum Gerede der Lästermäuler ge geben!" Dem braven Just steigt eine Blutwelle in die Wangen; er will heftig erwidern, doch er beherrscht sich, und nach einem mehr betrübten als vorwurfsvollen Blicke auf den Staatsanwalt wendet er sich wieder dem Fenstersitze zu, wo er sich schweigend niederläßt. „Sie nehmen die Sache viel zu tragisch, mein lieber Herr Staatsanwalt", hebt Brank kopfschüttelnd an. „Lassen Sic doch das Vergangene vergangen sein; kein vernünftiger Mensch wird Sie jemals dafür verantwortlich machen." „Doch!" erwidert Tell voll Bitterkeit, „die Gesellschaft thut es; sie pflegt ein jedes ihrer Mitglieder zu fragen: wer war Dein Vater? wer Deine Mutter?" Er lächelt ingrimmig; dann stößt er wie erleichtert hervor: „Gottlob, ick, brauche diese Gesellschaft nicht; wenn ich aus dem Staatsdienste ausscheide, breche ich auch zu ihr alle Beziehungen ab. O, Sie ahnen gar nicht, wie mir das wohl thun wird, wieder ein freier Mensch zu sein, wieder das Recht zu haben, mich nach meiner Art aus leben zu dürfen und mir Das zu erhalten, was mir Staat und Gesellschaft jeden Augenblick rauben wollen: die eigene freie Persönlichkeit. Ich will mir nicht länger' verschreiben lassen, was ich irgend einer willkürlichen Sitte, einem banalen Her kommen gemäß, zu thun oder zu lassen habe; ich will mir selbst das Gesetz geben und als selbstständig denkender Mensch meinen eigenen Weg gehen." Der Freiherr bewegt ein wenig mitleidig das Haupt: „So lange Sie mit anderen Menschen dieselbe Luft athmen, so lange Sie nicht auf einer einsamen Insel im Weltmeer leben, so lange werden Sic auch das Joch irgend eines gesellschaftlichen Zwanges ertragen müssen." - - ' - - „Ich werde mich diesem Joche nicht fügen, denn als Privat mann werde ich keine Rücksichten mehr zu nehmen haben." „Was wollen Sie aber beginnen?" „Kommt Zeit, kommt Rath. Man hat mich neulich als Justitiar bei einer Versicherungsgesellschaft zu gewinnen ge sucht — das Beste wäre", fügte er spöttisch hinzu, „man würde ein Bauer und lebte im ausschließlichen Verkehr mit der All mutter Natur." „Hören Sic, da treffen Sie eigentlich den Nagel auf den Kopf", bemerkt lebhaft der Freiherr. „Ich habe schon öfter darüber nachgedacht, ob eine Reform unserer ganzen wirthschaft- lichen Lage nicht dadurch möglich wäre, daß sich die höheren Stände, statt der Beamten- und Schrciberlaufbahn, wieder der Bebauung des Bodens zuwendeten — ein gebildeter Mann hinter dem Pfluge, das wäre eine Rückkehr zum Uranfange unserer Cultur, nur mit dem Unterschiede, daß der neue Adam etwas mehr im Kopfe hätte als der alte." Der Diener bringt den durch Just bestellten Wein herein, doch Tell lehnt dankend ab; er bittet um die Erlaubniß, sich bei den Damen melden lassen zu dürfen. Nach einer Weile tritt er mit dem Orchidcenstrauß, den er im Vorflur abgelegt hatte, über die Schwelle des Gartensaales, und nachdem er der Frau vom Hause die Hand geküßt hat, wendet er sich gegen Ellen und bietet ihr ein wenig zaghaft den Strauß an. „ss'z? mein gnädiges Fräulein! Ich habe daran gedacht) daß ich nicht daran gedacht hatte." Ellen nimmt freundlich dankend die Blumen, aber in ihren tiefen dunkelbraunen Augen liegt eine unausgesprochene Frage, und das Lächeln um ihre Lippen ist wohl kein ganz aufrichtiges. Wenigstens kommt es dem Staatsanwalt so vor, und die bange Vorstellung, daß sie am Ende doch wisse, daß er der Gegner ihres Vaters war, wirft wieder dunkle Schatten in seine Seele. Doch er spielt, so gut es gehen will, den Unbefangenen, holt aus der Tasche sein Packetchen hervor und sagt: „Das Süße dem Süßen! Diese Pralines schmachten danach, in Ihrem Munde zu zerschmelzen." Er ärgert sich, daß ihm nichts Besseres einfallen wollte als diese gemeinplätzige Galanterie. Ellen öffnet ohne Ziererei die bunte Schachtel, nascht ein Stückchen Chocolade, hält dann der Mutter die Schachtel hin und fordert schließlich den Geber auf, ebenfalls zuzulangen. „Was haben Sie denn zu dem Unfälle meines Gatten ge« sagt?" fragt Frau von Brank; „Sie können denken, wie wir uns erschrocken haben." „Ich habe die größte Theilnahme empfunden", versickert
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