Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.06.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980624027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898062402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898062402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-06
- Tag1898-06-24
- Monat1898-06
- Jahr1898
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Die Morgen-Au-gabe erscheint um '/,? Uhr. die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Filialen: Dtt» Alemm'S Sortim. (Alfred Hahn). Universitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Katharinens)!. 14, Part, und Königsplatz 7. Ledariion und LrpeLition: Iohanne-gaffe 8. Di» Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet vou früh 8 bi» Abend- 7 Uhr. Bezugs-Preis I» Ur Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Bororten errichteten Au-- aabestrllen abgrholt: vierteljährlich^ 4.50, bet zweimaliger täglicher Zustellung in- hau- X 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertestührlich S.—. Direkte tägliche Kreuzbandsendung in- Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. MpMer Tageblatt Anzeiger. Ämtsbtatt des Lömglichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Natljes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis i>ie 6gespaltme Petit-rile 20 Pfg. Reklamen unter demRrdartion-strich (»uv. spalten) 50vor den Familieanachrichtea (6 gespalten) 40/^. Brühere Schriften laut unserem Preis- verzrichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Ertra-Vtilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Au-gabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung -ck 70.—. ^nnahmetchluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittag- 10 Uhr. M-rge u-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anreisen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Bolz tu Leipzig. ^315. Freitag den 24. Juni 1898. 92. Jahrgang. Der spanisch-amerikanische Krieg. -p. Spanier und Amerikaner sind bei Santiago im Hand gemenge und kämpfen um die einzelnen befestigten Stationen auf dem Wege nach der Stadt. Wie wir schon in einem Theile des MorgenblattcS mittheilten, stießen die Gegner gestern zunächst bei Punta de Barraco östlich von Santiago zusammen, wo der eine Theil der Amerikaner gelandet war. Der Angriff der Letzteren auf die mit der Besatzung der Schiffe vereinigten spanischen Landtruppen soll nach barten,, blutigem Kampfe zurückgeschlagen worden sein. Ein Telegramm Cervera's an die Madrider Regierung bezeichnet trotzdem die Lage als kritisch, während eine dem ÜnterstaatS- secretair beim Ministerium des Innern zugegangene Depesche, welche später eintraf, meldet, daß die Spanier auch die weitere» Angriffe deS Feindes siegreich zurückgewiesen hätten. Nicht minder heftig entbrannte der Kampf um die gleich falls östlich von Santiago gelegenen Orte Siboney und Daiguiri, worüber uns Folgendes berichtet wird: * Madrid, 23. Juni. Wie eine Depesche Les Gouverneurs von Santiago meldet, dauerte der Angriff des amerikanischen Ge schwaders auf die Ortschaften Siboney und Daiguiri bis Ein bruch der Nacht. Die Amerikaner wurden auf der ganzen Linie zurückgeworfcn, nur aus dem linken Flügel bei Daiguiri mußten die Spanier weichen, da amerikanische Truppen, welche 9 km westlich von Daiguiri gelandet waren, eine Umgehung aus geführt hatten. Die Spanier zogen sich in voller Ordnung in die Berge zurück. Die Ortschaften Siboney und Daiguiri wurden vollständig durch die Geschosse der Amerikaner zerstört. * Madrid, 23. Juni. Aus Len vorliegenden Meldungen ergiebt sich, daß nur der linke Flügel der Spanier, und zwar um nicht umzingelt zu werden, sich in das Gebirge zurückzog. Die eingelaufenen Nachrichten haben hier einen guten Eindruck hervorgerufen, da sie zeigen, welchen Schwierigkeiten die Amerikaner begegnen werden. Die Landungsstelle ist sehr ungesund und vom gelben Fieber heimgesucht. Die New Aorker „Evening World" veröffentlicht, wie uns im Drahtwege gemeldet wird, ein Telegramm aus Washington, das berichtet, man glaube, daß gegenwärtig sich ein großes Gefecht zwischen der Armee des Generals Shafter und den Spaniern entwickele. Die Kabelvrrbindung mit Guantünamo sei unterbrochen. Die letzte Meldung von dort habe besagt, es werde jeden Augenblick erwartet, daß das Geplänkel in eine Schlacht übergebe. Wäre dies der Fall, dann ständen die Chancen der Amerikaner insofern günstig, als die Berstärkungen, die Spanier unter Pando erwarten, noch nicht eingetrosien sind, während, wie uns aus New Port (Virginia) telegraphirt wird, der amerikanische Hilfskreuzer „4)ale" mit Truppen an Bord, die nach Santiago bestimmt sind, gestern Abend 6 Uhr in See gegangen ist. Wenn die Meldungen über die ersten Landkämpfc in Madrid einen guten Eindruck gemacht haben, so ist das nur cum grano 8uli8 zu verstehen; denn einmal ist die Thatsacke nicht wegzuleugnen, daß die Spanier nicht vermocht haben, einen Nückenangriff der Insurgenten zu verhindern, und so dann ist ihr linker Flügel bei Daiguiri zurückgeschlagen. Auch bei Punto de Barraco scheint eS mit dem „Sieg" der Spanier nicht weit her zu sein, sonst würde Eervera die Lage nicht als kritisch bezeichnet haben. Nach Privatnach richten aus Madrid ist mau dort auch durchaus nickt in gc. hobener Stimmung, was auch in den Cortes zum Ausdruck kam. Man meldet uns darüber: * Madrid, 23. Juni. (Srnat.) Nachdem die Telegramme des Gouverneurs von Santiago und des Admiral- Eervera verlesen waren, ergreift Fabie das Wort und ruft für die Verthcidiger der Rechte Spaniens die Hilfe des Gottes der Schlachten an. Navarro protestirt dagegen, daß Spanien von Europa im Stich gelassen worden sei, und sagt voraus, dies Imstichlassen werde ein Uebergewicht der Angelsachsen herbciführen. Redner will, daß die wirkliche Verantwortlichkeit festgestellt werde. * Madrid, 23. Juni, Abends. (Senat.) Der Republikaner Gonzales führt ans, die Verantwortlichkeit für die Ereignisse treffe das ganze Land, das Volk und die Regierung. Redner spricht für den Frieden. Navarro bezichtigt Gonzales, er sei der Anwalt der Vereinigten Staaten. Der Minister der Colonien brandmarkt das Vorgehen der Vereinigten Staaten und lobt die Haltung der spanischen Marine. Nach mehreren anderen Auseinandersetzungen erklärt Gonzales, der Augenblick der Sühne sei gekommen. Die Wahrheit müsse wieder zu ihrem Rechte kommen. An Zeit, eine stärkere Truppenmacht in der Nähe deS bedrohten Santiago zu concentrire», hat eS der spanischen Oberleitung auf Cuba nicht gefehlt; sollte sie es dennoch unterlassen haben, dafür Sorge zu tragen, daß das ameri kanische Landungßcorps überlegenen Streitkräften begegnet, so würde die öffentliche Meinung in der Heimatb sie für den etwaigen Fall Santiagos und die aus ihm sich ergeben den Consequenzen verantwortlich machen müssen. Ob die Stadt nach völliger Cernirung sich längere Zeit wird behaupten können, erscheint immerhin zweifelhaft. Ein wohnerschaft und Garnison sind schon jetzt nickt mehr im Stande, sich Weizenbrod zu verschaffen, und müssen sich Laber mit Maisbrod begnügen. Das wäre an sich gewiß kein übergroßes Nebel, eS fragt sich nur, wie lange die den Ersatz für Weizen bietenden Maisvorräthe ausreicken werden. Der Verbrauch des letzten Centners Mais würde nicht weniger unheilvoll sein, als das Verschießen der letzten Patrone. Die spanische Flotte unter dem Befehle Cervera's ist zur Uuthätigkeit verurtheilt. Sie vermochte nicht die Landung der amerikanischen Truppen zu verhindern, und sie wird auch bei dem Kampfe um den Besitz Santiagos zuschauen müssen. Den Ausweg aus der Bucht versperren ihr mehr als 15 amerikanische Kriegsschiffe; fällt Santiago in die Hand der Amerikaner, so bleibt dem spanischen Commodore nichts Anderes übrig, als zu capituliren oder sein Geschwader von den Amerikanern in den Grund schießen zu lassen. So stellt sich die Situation nach der erfolgten Landung der amerikanischen Invasionsarmee dar. Das Bild kann sich wesentlich verändern, wenn die Spanier eine genügende An zahl von Truppen herbeizuschaffeu vermögen, um sich zunächst den Rücken bei Angriffen der Insurgenten frei zu halten und die anrückende Jnvasionsarmee zum Kampfe zu zwingen, bevor diese zum Angriff auf Santiago schreitet. Die Besatzung des Platzes allein kann den Amerikanern keinen erfolgreichen Widerstand leisten, denn sie besteht aus 8000 Mann, und die Be festigungen sind auf die Wirkung der modernen Geschütze nicht berechnet. Zn einer Feldschlacht dagegen kann es sich zeigen, ob die spanische wohldiSciplinirte Armee den ameri kanischen Milizen so scbr überlegen ist, daß diese zu ihren Transportschiffen zurückgetrieden werden können. DaS rechte Vertrauen haben wir freilich ebensowenig zur spanischen Armee wie zur militairischen Oberleitung, die es thatsächlich fertig gebracht hat, das Reservegeschwader Cämara's oder wenigstens einen Theil desselben nach den Philippinen zu dirigiren, wo nichts mehr zu verlieren ist. Man meldet unS: * Palermo, 23. Juni. (Agenzia Stefani.) DaS „Giornale di Sicilia" hat von der Insel Pantelleria unter dem gestrigen Datum eine Depesche erhalten, die berichtet, am 2l. d. Mts. Nach mittags habe der Küslentelegraph das spanische Geschwader unter Admiral CLmara signalisirt. Das Geschwader bestehe aus 4 Kreuzer», 3 Torpedobooten und 5 Transportschiffen und sei in südöstlicher Richtung nach Suez gefahren. Sonst sind noch folgende Meldungen zu verzeichnen: * Havanna, 23. Juni. Einem spanischen Uebcrsee-Dampfer gelang es, die Blockade von Ciensuegos zu durchbrechen und in Len dortigen Hafen einzulaufen. Tas Schiff bringt Vor- räthe mit. (Wiederholt.) * Madrid, 23. Juni. (Teputirtenkammer.) Ter Minister des Innern verliest das Telegramm des Gouverneurs von Santiago und die Depesche des Admirals Eervera, welcher mit- theilt, er habe einen Theil seiner Mannschaft an Land geschickt, damit dieselbe gemeinsam mit den Landtruppen dem Feinde Wider stand leiste. Ter Marine-Minister verliest das Telegramm, welches das Einlaufen des spanischen Uebersee-Dampsers „Reina Cri- stina" in den Haien von Ciensuegos meldet. Aus demselben gehe hervor, daß die Blokade dieses Hafens eine nicht effective fei. Politische Tagesschau. * Leipzig, 24. Juni. Dafür, daß trotz der Mahnungen hervorragender Centruinsführer, bei den Stichwahlen überall, wo Socialdemokraten und Candidaten bürgerlicher Parteien einander gegenübersteben, die katholischen Stimmen auf die letzteren zu vereinen, und trotz des Ausrufs der nationalliberalen Centralleitung an die Partei genossen den Centrumscandidateu gegen ihre socialdemo- kratiscken Getier zu unterstützen, das Ccntrum in Baden entschlossen il>, in den Wahlkreisen Karlsruhe, Pforz heim und Mannheim den socialdcmokratischcn Bewerbern zum Siege über ihre nationalliberalen Gegner zu verhelfen, liegt jetzt der Beweis vor. Der Führer der badischen Social demokratie, Genosse Dreesbach, hat dem Centrum folgende Erklärung zugeken lassen: „Wenn das Centrum nur den geringsten Versuch macht, seine Wählertruppen für Herrn Bassermann, Herrn Schneider oder Herrn Frank in Bewegung zu setze», so kostet es der Social demokratie nur einige Telegramme, und in den Wahlbezirken Donau eschingen, Lörrach, Freiburg, Lahr, Offenburg, Heidelberg und Pirmasens, wo zudem die Stichwahl erst einen Tag nach den badischen Stichwahlen stattfindet, fallen die Centrumscandidaten wie die Mücken." Die Antwort der badischen CentrnmSführnng lautet: „An die Centrumswähler der Bezirke Karlsruhe, Pforzheim und Mannheim. Gegenüber verschiedenen Kundgebungen national liberaler Blätter erscheint es angemessen, jedem Mißvcrständniß vo.i vornherein den Boden zu entziehen und in aller Form zu er klären, daß die Ccntrumspartei in Baden nicht in der Lage ist, irgend Etwas zur Rettung eines nationalliberalen Mandates zu thun. Seit Jahr und Tag hat die Politik der nationalliberalen Partei die unter der Jahne des Centrums organislrten Katholiken (!) des Landes so behandelt, daß es schon als ein Gebot der Selbst achtung erscheint, eine unbedingt ablehnende Haltung gegen über Len uationalliberalen Hilferufen einzunehmen. Von Anfang an hat es als Hauptaufgabe des CentrumS erscheinen müssen, die Macht des Nationallibrralismus zu brechen. Jetzt, da die Erreichung dieses Zieles nach schweren Kämpfen, opfervollen Arbeiten und bitteren Leiden endlich in Aussicht steht, wäre es un- verständlich und selbstmörderisch, dem Nationalliberalismus irgendwie die Hand zu reichen, um ihm das wohlverdiente Schicksal zu ersparen oder auch nur zu erleichtern. Namens des CentralcomitSs: W. Fischer, Vorsitzender." An dieser Kralle erkennt man den Löwen Wacker. Als vor nicht allzu langer Zeit in Karlsruhe in Gegenwart des Großherzogs von Baden der Grundstein zur Bernhardskirche gelegt wurde, rief Weibbischof I)r. Knecht in einer zündenden Rede dir gesummte Geistlichkeit gegen die Socialdemokratie auf. Von Stund au ging das Bestreben des Pfarrers und Geistlichen Raths Wacker dabin, die Erinnerung an jene Rete zu verwischen und alle Bedenken gegen die offene Unter stützung ter Socialdemokraten zu beseitigen. Der „Badische Beobachter", das Organ des genannten badischen Centruni- sührers, schrieb schon im vorigen Sommer vor den badischen Landtagswahleu: „Wir werden sagen: Socialisten zu wählen ist uns unmög lich; aber einige Socialisten durch Nationalliberale fern zu halten, ist uns »och unmöglicher; das wäre Feigheit und Thorheit, ja geradezu politischer Selbstmord; denn zwei Socialisten mehr oder weniger in der Kammer werfen den Staat nicht um, wenn sie auch ihre Schnurren loslasseu!" Gegen die Mitte des Septembers 1897 legte Pfarrer Wacker selbst mit eigener Namensunterschrifl im „Badischen Beobachter" wörtlich dar, daß die Socialdemokraten immerbi» noch .bessere Freunde der katholischen Kirche" seien, als die Nationalliberalen; sein Artikel klang in den schönen Worten aus: in Baven gebe es noch schlimmere Elemente, als die Socialdemokratie, und auf diese schlimmeren Elemente stütze sich die Regierung. Wenn das keine direkte Aufforderung zur Unterstützung der social demokratischen Candidaten war, dann giebt eS über haupt keine. Trotzdem brachte eS die Jesuiterei des „Bad. Beobachters" fertig, den Vorwurf, daß die Katholiken Karls ruhes zur Wahl von Socialdemokraten aufgefordert würden, für tendenziöse Lüge zu erklären. Jetzt hat die badische Centrumsleitung auch den letzten kärglichen Rest nationaler Schamhaftigkeit abgeworsen, der Triumph des Pfarrers und Geistlichen Raths Wacker ist vollständig geworden und der Rubin der katholischen Kirche als „des" Bollwerks gegen die Socialdemokratie erstrahlt in blendenderem Glanze als jemals.... Trotz seiner „Zuverlässigkeit" im Kampfe gegen den Umsturz trägt sich das Centrum augenscheinlich mit großen Plänen. Das geht aus der Unermüdlichkeit hervor, mit der die „Köln. Volksztg." Kriscngcrüchle ausstreut. Trotz aller mficiösen Versicherungen, daß irgend eine Krisis nicht bestehe, fährt das klerikale Blatt fort, zu behaupten, daß „etwas vorgebe", würfelt alle möglichen Vorkommnisse bunt durch einander, begleitet die Aufzählung dieser „Thatsachen" mit verschleierten Andeutungen und fügt hinzu, man müsse sich zwar die Mittheilung von Einzelheiten versagen, aber . . . Schließlich steht man vor der tiefsinnigen Weisheit, die der Feuilleton. Lauernblut. 14) Roman in drei Bücher». Von Gerhard von Amyntor. (Dagobert von Gerhardt.) iitachtiuN verdoikn. Auch an Teil hat die Musik, wie jede echte Kunst, eine sitt liche Läuterung vollzogen, und wie er bald daraus mit Ellen durch den Garten nach dem Secufer zuwandclt, fühlt er sich angetrieben, die Scheidewand, die die Unwahrheit zwischen ihm und seiner Begleiterin errichtet hat, mit kühner Hand nieder- zureißen. Er möchte Ellen beichten, daß er eS war, der gegen ihren Vater im Zweikampfe gestanden hat; er möchte von ihren Lippen seine Begnadigung oder seine Verdammniß erfahren. Und — trifft es sich in der That nicht sonderbar? — auch Ellen muß von diesem Bedürfniß nach Wahrheit zwischen ihnen beiden erfüllt sein, denn plötzlich bleibt sie vor einem über und über mit lila Blüthentrauben bedeckten Fliedcrbusche stehen, und zu ihrem Begleiter die Augen aufschlagend, fragt sie unver mittelt: „Herr Staatsanwalt, wollen Sie mir auf eine ver trauliche Frage eine ehrliche Antwort geben?" Eine bange Ahnung zuckt durch seine Seele, doch entschlossen sagte er: „Das will ich." „So sagen Sie mir: ist mein Papa wirklich nur auf dem Scheibenstande oder nicht vielmehr in einem Zweikampfe ver wundet worden? Und sind Sie am Ende sein Gegner ge wesen?" „Wie kommen Sie auf diese Bermuthung?" „Durch Ihr eigenes Benehmen. Die Unsicherheit, die Sie mir gegenüber heute den ganzen Tag gezeigt haben, hat Sie verrathen — nicht wahr, ich habe Recht?" „Leider ist es so", gesteht der Staatsanwalt in muthigem Wahrheitsdrange. Banges Schweigen auf beiden Seiten. Durch Ellen's schlanken Wuchs geht ein Zittern; mit bebender Hand greift sie nach der Orchidee, die sie dem Strauße des Staatsanwalts entnommen und in das Knopfloch ihres Mieders gesteckt hatte; ohne zu wissen, wa- sie thut, zerpflückt sic die Blume mit kurzen, heftigen Bewegungen und läßt die losen Blätter achtlos auf den Kies des Weges flattern. „Mein gnädiges Fräulein", fleht Teil bestürzt, „urtheilen Sie nicht nach dem Schein! Wenn Sie wüßten, welch ein grausames Mißverständniß diese unselige Sache veranlaßt hat, Sie würden mir verzeihen, wie dies auch Ihr Herr Vater längst gethan hat. Fragen Sie ihn, ob ich anders konnte; ich handelte unter einem Zwange, für den Sie mich wahrlich nicht verant wortlich machen dürfen." Vergebens bemüht er sich, seine Vertheidigung zu führen. Mit gesenktem Haupte steht Ellen da; sie athmet schwer und rief und zerfetzt auch noch den Stiel der bereits zerpflückten Blume. Ihre Brust hebt und senkt sich in schluchzenden Stößen und eine Thränenfluth stürzt ihr über die schmerzlich zuckenden Wangen. „Ich beschwöre Sie, Fräulein Ellen — ich bin unschuldig — so hören Sie mich doch nur an!" Sie hört ihn nicht mehr. Hastig hat sie sich abgewandt und mit hastigen Schritten kehrt sie zum Schlosse zurück, ihn der Einsamkeit und seiner Bestürzung überlassend. Eine Stunde später sitzt Tell mit der freiherrlichen Familik und Just an der Abendtafel; er hatte schon unmittelbar nach der Scene im Garten abreiscn wollen, aber der ahnungslose Herr von Brank hat ihn nicht fortgelassen. Ellen ist schweigsam und etwas bleich; der Glanz ihrer Augen ist weniger lebhaft als sonst; auf Befragen der Mutter erklärt sie, daß sie eine Anwandlung von Kopfschmerz habe. Tell nimmt gezwungen an der Unterhaltung Theil, deren Kosten besonders der Hausherr und Just zu tragen haben. „Die Zustände in Berlin werden immer greulicher", wendet sich Brank an seinen Gast. „Kennen Sie denn schon die famose Rede, die Peter Dechner, der berüchtigte Socialdemokrat, neulich in einer Versammlung gehalten hat? Ich las sie soeben in meiner Abendzeitung." Der Gefragte verfärbt sich; will sich denn heute Alle- gegen ihn verschwören?" „Nein", wirft er scheinbar gleichgiltig hin, „derartige- Zeug lese ich überhaupt nicht." „DaS sagen Sie, ein Staatsanwalt? Ei, ei! Von solchen Dingen müßten Sie doch eigentlich Kenntniß nehmen", bemerkt scherzend der Freiherr. „Ich würde übrigens solche- Zeug, wie Sie eS ganz richtig nennen, auch nicht lesen, wenn nicht gerade dieser Peter Dechner hier bei mir einen Dau geleitet hätte. Ein gewandter, schneidiger Bursch, den ich solche Verbohrtheit gar nicht zugetraut hätte; es ist jammerschade um ihn!" „Was hat er denn gepredigt?" fragt Frau von Brank, die sich des hübschen Maurerpoliers nun auch «rinnert. „Ach, liebe Clair», da- läßt sich vor Damenohren eigentlich gar nicht wiederholen; er hat über Vie Frauen und die Ehe ge sprochen — ich sage Dir, die Haare sträuben sich Einem, wenn man es liest. Die Ehefrau soll ihrem Gatten als Freie und Gleiche gegenüberstehen . . ." „Nun, das ist gar keine so unberechtigte Forderung", wendet der Staatsanwalt ein. „Sie soll Herrin ihrer Geschicke sein und in freier Liebeswahl nur aus Neigung den Ehebund schließen . . ." „Das letztere unterschreibe ich auch", bemerkt Frau von Brank. „Höre nur weiter", fährt der Freiherr unbeirrt fort, „das dicke Ende kommt nach. Der Ehebund sei ein reiner Privat vertrag ohne Dazwischentreten irgend eines staatlichen oder kirch lichen Functionärs; er könne wie jeder andere Privatvertrag jeder zeit gekündigt und aufgehoben werden, wenn sich Unverträglich keit, Enttäuschung oder Abneigung zwischen den Gatten Heraus stellen sollte." „Pfui", ruft Frau Clara, „was soll denn aus den Kindern einer solchen Ehe werden?" „Hierauf hat Herr Peter Dechner auch die Antwort bereit: nach seiner Meinung kennt nur die Bourgeois-Zwangsehe eine Rücksicht auf die Kinder, da eben der Bourgeois legitime Kinder als Erben seines Besitzes haben müsse; in der socialisirten Ge sellschaft gebe es aber nichts mehr zu vererben und deshalb falle jede Bedenklichkeit wegen der Kinder fort. Wenn eine vom Gatten aufgegebene oder ihrerseits dem Gatten fortgelaufcne Frau zufällig Kinder habe, so könne sie in der socialisirten Ge sellschaft durch diese Kinder in keiner Weise in ihrer Freiheit und Beweglichkeit verkürzt werden, denn das socialistische Zuchthaus — Pardon! ich wollte Gesellschaft sagen — habe soviel Pflege rinnen und Erzieherinnen für die vaterlosen Würmer übrig, daß eine Mutter niemals Sorgen um ihre Kinder, sondern einzig und allein nur noch Vergnügen an ihnen haben werde. Mit einem Worte: paart Euch in freier Liebcswahl ohne Kirche und Standesamt, trennt Euch wieder, wenn Euch der Sinn danach steht, und die Kinder überlaßt getrost — nicht etwa dem lieben Gott, den haben diese Weltbeglücker längst für abgesetzt erklärt, sondern dem socialistischcn Zuchthause. Frau Clara schüttelt entsetzt den Kopf; Ellen blickt ernst und still auf ihren Teller; Just kneift die glatt rasirten Lippen zu sammen und trommelt leise mit den Fingern auf dem Tischtuch«. Der Staatsanwalt, der die Verpflichtung fühlt, doch etwas zu erwidern, bemerkt geringschätzig: „Die alte Weisheit aus August Bebel's verbotenem Buche, nur daß sie dieser Herr Peter Dechner mit seinen eigenen Zuthaten wohl noch verschlimmbessert hat." Ein eigenthümlicher Trotz regt sich in dem Sprechenden: warum geht er dem Bekenntniß, daß dieser Peter fein Stiefbruder sei, so ängstlich aus dem Wege? Hat er denn einen zwingenden Grund, dies zu verheimlichen? Wird er besser oder schlechter durch die zufällige verwandtschaftliche Beziehung zu einem So cialisten? Und kann sich nach dem, was er vorhin im Garten erlebt hat, seine Stellung hier in Giesdorf überhaupt noch ver schlechtern? „Es ist ein Jammer", fährt er nach kurzer Uebcr legung fort, „daß man jenes Bebcl'sche Buch mit dem Jnterdict belegt hat; es wird trotz aller Ueberwachung nur um so eifriger im Geheimen verbreitet. Wenn ich die Entscheidung hätte, ich gäbe es sofort frei; denn auf diesem Wege käme es zur öffent lichen Besprechung; das Wahre in ihm verschaffte sich Aner kennung und der Unsinn und die Uebertreibungen darin würden als solche nachgewiesen und unschädlich gemacht werden. Was übrigens Peter Dechner anbetrifft, so ist er gerade kein Flach kopf, er ist nur ein Durchgänger, der sich immer mehr versteigt und erhitzt, je länger man die Wahrheiten, die als verlorene Weizenkörner auch in der Spreu der socialistische» Doctrinen stecken, zugleich mit dem Unsinn unterdrücken will." „Sie wollen doch einem solchen Menschen nicht ernstlich das Wort reden?" fragt der Freiherr verwundert. Tell lächelt im Vorgenusse der Verblüffung, die seine Mit- theilung Hervorrufen wird, und sagt deutlich und mit einem Schielblick nach der noch immer schweigsamen Ellen: „Ich möchte nur gerecht gegen ihn sein, denn er ist mein Stiefbruder." „Ihr Stiefbruder?" fährt Brank betroffen auf. „Pardon! Das wußte ich nicht; davon haben Sie uns nie etwas gesagt." Das, was der Staatsanwalt eigentlich erwartet hatte, ist wunderbarerweise nicht eingetreten: Ellen zeigt keine Spur von Ueberraschung; sie scheint ausschließlich unter dem Banne der ihr im Garten gewordenen Mittheilung zu stehen und für alles Andere gänzlich unempfänglich zu sein. Auch Frau von Brank nimmt da» Bekenntniß des Staats anwalts, wenigstens scheinbar, mit großer Gemüthsruhe auf. Nur Just schaut verwundert darein; er begreift nicht recht, warum sein jugendlicher Freund auf einmal Verhältnisse so offen darlegt, zu deren strengster Geheimhaltung er ihn noch vor Kurzem so dringend verpflichtet hat. „Ihr Sttesbruder?" wiederholt der Freiherr noch immer ver- ständnißlos, „Ist denn Ihre Frau Mutter noch einmal in zweiter Ehe verheirathet gewesen?" „Peter Dechner ist ein Sohn au- meines Vaters erster Ehe; damals hieß mein Vater noch Dechner; erst, als er zum zweiten Male heiratheie, hat er den Namen Tell angenommen." „Hm, hm", macht Btank, der jetzt erst mit dem Namen Dechner seine eigenen Iuqenderlebnisse in Verbindung zu bringen beginnt, „das ist ja höchst merkwürdig! Ich kann mir übrigens
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite