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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.06.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980627021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898062702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898062702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-06
- Tag1898-06-27
- Monat1898-06
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Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,? Uhr« di« Abend-Ausgabe Wochentag- um 5 Uhr. Filialen: Dtt« Slcmn»'S Sortim. (Alfred Hahn), Universität-straßr 3 (Pauliuum), LoniS Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und Königsplatz 7. Le-action und Expedition: Jo-anneSgasse 8. Die Expedition ist Wochentag- unnnterbrocheck geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Bezugs-Preis G» Ust Hauptexpedition oder den im «Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, bet zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliührlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandiendung in- Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. —----»»»—-—»»—».««WM»—E MpMerLMblatt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes nnd Nokizei-Amtes der Stadt Leipzig. AuzeigeN'PreiS dir S gespaltene Petitzellr >0 Pfg. 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Sie sind zwar noch nicht ganz vollständig, aber zweifellos wird eine nach oben wie nach unten minimale Verschiebung in den Stärke verhältnissen der Parteien die Signatur ter nur, drei Bezirke ausgenommen, vollzogenen Wahlen sein. Numerisch sind die Veränderungen gegen den früheren Reichstag kaum ter Rete Werth. Der Blend-Effect, den die Socialdemokratie in der Hauptwahl gemacht, hat sich auf einen reellen Gewinn von 9 Mandaten reducirt. Sie besitzt deren statt 48 nunmehr 57, nachdem sie 397 Bewerbungen aufgestellt, wovon mehr als ein Drittel ernsthaft gemeint war. Auch der Zuwachs des CentrumS ist zahlenmäß bedeutungslos, zumal da feinem kleinen Gewinn Verluste bei den ajsiliirten Gruppen der Polen und der Elsässer gegenüberstehen. Die Bedingungen der Mchrheitsbildung sind ganz die alten geblieben und der 1898er Reichstag kann im Guten wie im Schlimmen genau dasselbe Andenken sich erwerben, wie sein Vorgänger. Es fehlt ihm dazu nicht einmal Herr Ahlwardt, den die Wähler von Arnswalde vermuthlich aus dem Grunde nicht verschmäht haben, weil sie die Kerze nicht verlöschen lassen wollten, die das Wesen der antisemitischen Bewegung in die richtige Beleuchtung rückt. - Bei der kaum geänderten Zusammensetzung des Reichs tags kann die Socialdemokratie die Geduld des Landes durch eine die Geschäfte störende und die Achtung vor dem Parla mente stetig mindernde Verhetzungsrhelorik nach wie vor auf die Probe stellen; ein besserer Besuch deS Hauses wird sie kaum daran hindern. Aber ihre Versprechungen sowohl, als ihre Renommistereien werden noch gezwungener klingen müssen als früher. Die Partei hat diesmal ihr Programm ganz und gar verleugnet; wenn ihr bethörte Bürgerliche glauben sollen, müssen ihr di: „zielbewußten Genossen" mißtrauen und umgekehrt. Ruhmestitel im Sinne der An hänger hat sie gleichfalls nicht erworben, sie müßte denn die fünf stattlichen Tumulte, die ihre Agitation gezeitigt, hierher rechnen. Zn keinem einzige» Wahlkreise hat die angeblich stärkste Partei Deutschlands die Stimmen der Mehrheit aller Wähler er hallen, der Verlust bedeutender Städte und Znduslriebezirke bat gezeigt, daß auch die Socialdemokratie einen eisernen Bestand nicht besitzt. Dafür sind freilich der revolutionären Partei zum ersten Male Wahlkreise zugefallen, denen ein überwiegend städtischer oder industrieller Charakter fehlt, nicht zu reden von dem in der Mandatsvertheilung nicht zum Ausdrucke kommenden Stimmenzuwachs auf dem Lande. Wenn sich die Herren Bebel und Singer im Reichstage dieser Erfolge rübmen werden, dann können ein Theil der Antisemiten und die Leiter des Bundes der Landwirthe mit gutem Grunde ent gegnen, daß die Socialdemokratie sich mit fremden, von ihnen — den Bindewald, Hahn, Ploctz u. s. w. —, den Land leuten ausgerupflen Federn schmücke. Die Antisemiten haben in Berlin und vielen anderen Orten abseits gestanden, als eS galt, bei den Stichwahlen der Socialdemokratie die Einnahme einer übermächtigen Stellung im Reichstage zu verwehren. Diesen Antisemiten wie der Bundesleitung ist eS mit zu danken, wenn der „Vorwärts" mit einem Schein von Berechtigung von dem „Fortschritt der socialistischen Ideen" sprechen darf und der mit der Massencandidirung von der Socialdemokratie verfolgte Zweck einigermaßen erreicht wird. Die große Gesammtziffer der für die Unisturzpartei ab gegebenen Stimmen, das bat man längst erfahren und daS müssen auch die Herren vr. Hahn, Rösicke und Lucke gewußt haben, imponirt, so wenig hinter ihr steckt, der Menge, und wer der Menge imponirt, dem schließt sie sich leicht an. So wirkt das demagogische Treiben eines TheileS der antisemitischen und der gesammteu BnnkeSagitation auch dort, wo es der Socialdemokratie noch nicht den vollen Erfolg in den Sckooß geworfen bat, noch über diese Wahlen hinaus und für die nächsten Wahl kämpfe zum Schaden vor Allem der landwinhschaftiichen Interessen fort. Dabei ist aber die Zabl der Wahl kreise, die schon jetzt der Dank der Aufwühlung durch Anti semiten und Berliner Bundessendlinge an die Socialdemo kratie verloren gegangen sind, sehr bedeutend; die drei, ganzen drei „reinen" Bundesmandate der Herren Or. Hahn, Rösicke und Lucke sind theuer bezahlt, freilich nicht von diesen Leicht herzigen, sondern vom Bürgerthum und der Bauernschaft. Herrn Ör. Hahn wird es keine bösen Träume verursachen, daß z. B. die Bauern des Kreises Speier-LudwigSbafen in den nächsten fünf Zähren durch einen Socialdemokraten für die Wahrung der landwirthschaftlichen Interessen in den Handelsverträgen vertreten sind; die 9000-^-Gehälter gehen ja fort. Wie der Socialdemokratie, so haben die von Berlin ausgehenden vergeblichen agrarischen Sprengungsversuche auch dem Freisinn, der Freihandelspartei, genützt. Eine Reihe jener Gewählten verdankt der vom Bunde ver ursachten Zersplitterung die Einbeziehung in die Stichwahl und danach den Sieg. Auf der andern Seite beruht eS auf völliger Nichtbeachtung der Wablziffern, wenn gesagt wird, die National liberalen hätten sich durch Entgegenkommen gegen maßvolle und berechtigte landwirthsckaftliche Wünsche geschadet, nichtland- wirthschaftliche Wähler dadurch abgestoßen. Wie viel Mandate haben denn die Autiagrarier, die Leute des „Schutzverbandes", die Gc.ner deS Börsengesetzes, für sich allein errungen? Ant wort: g'knze drei im ganzen Reiche. Was er jetzt, nach den Stichwahlen besitzt, läßt den Freisinn in der Lage eines bankrotten Mannes erscheinen, dem das Hans subhastirt werden sollte, für den aber die Nachbarn collcctirt haben, um nicht einen noch widerwärtigeren Patron in ihre Nähe zu bekommen. Daß „Collecte" auf Deutsch mit dem verhaßten Worte „Sammlung" wiederHugeben ist, könnte ja den Besitz der geretteten Habe vergällen, aber Herr Richter ist nicht so delicat, und in wenigen Tagen wird man überdies in jener Zeitung die Schenkung abgeleugnet und den Freisinn als einsam von allein gemachten Eroberungen zurückkehrenden Ritter abgemalt sehen. Heute meint er, die Organisation der freisinnigen Volkspartei habe sich „durchweg vortrefflich be währt". Eine Organisation, die von 397 Mandaten ein einziges nnd dieses nur mit Hilfe einer andern Partei ge bracht hat! Diese Bemerkung ist aber noch nicht als erstes Wort deS Undankes gegen die mittelparteilich-conservativen Retter anzusehen, sie gilt der freisinnigen Vereinigung, die sich eben in ihren Organen als „Krystallisationspunct für eine liberale Partei" empfehlend in Erinnerung gebracht hat, wodurch noch vor völliger Beendigung der Wahlen der alte Bruder streit wieder auSgebrochen ist. Ist in den Parteigruppirnngsverhältnissen so ziemlich Alles beim Alten geblieben, so nicht in den Personenverhält- nissen. Eine große Einbuße mußte der neue Reichs tag infolge des Ausscheidens zahlreicher bedeutender Köpfe aus dem parlamentarischen Leben erleiden. Ob von den vielen „neuen Männern" einige annähernd Ersatz bieten, ist fraglich. Leider wird die geistige Verarmung durch manche Wahlergebnisse über daS Maß der unabänderlichen Notkwendigkeit erweitert werden, so durch die Niederlage hervorragender politischer Talente wie der Professoren Friedberg und Paasche. Doch ist in Herrn Bassermann eine von Freund und Gegner geschätzte Kraft dem Reichstag erhalten geblieben und in den früheren Reichstags- und bis herigen Landtagsabgeordneten Ov. Sattler und Möller werth volle Mitglieder wieder gewonnen worden. Auch in Herrn v. Levetzow, dem einstmaligen Präsidenten, ist dem Reichstage eine Zierde bewahrt worden. Oer spanisch-amerikanische Krieg. —i>. Die letzten Nachrichten vom cubanischen Kriegsschau plätze lauten für Spanien nickt ungünstig. Am Sonnabend war bekanntlich auS New Dort gemeldet worden, die amerikanische Flagge webe auf Zuragua, östlich von Santiago, und die Spanier zögen sich auf letzteres zurück. Heute treffen aber Berichte und zwar ebenfalls aus amerika nischer Quelle ein, welche es sehr zweifelhaft machen, daß Zuragua von den Truppen Shafter's genommen ist. Wenigstens haben diese bei den Kämpfen um den Ort empfindliche Ver luste erlitten. Die Berichte besagen: * New Bork, 26-Juni. TcrCorrcjvondcnt der „World" meldet aus Playa del Este: Die „rcnißch riäor-" sind bei Juragua in einen Hinter- halt gefallen. Sie rückten ohne jeden besonderen Angriffsplan (?) vor und ritten geräuschvoll unter lebhaftem Plaudern einen engen Weg den Wald entlang, als sie plötzlich sahen, daß sie sich innerhalb der spanischen Linien befanden. Ein heftiges Feuer wurde auf sie gerichtet; es war aber kein Feind sichtbar. Die Amerikaner erlitten schwere Verluste infolge der merkwürdig falschen Auffassung über die Kampfesweise der Spanier von gedeckter Stellung aus. * Ncw Bork, 26. Juni. Der Corresvondent der „Post" sendet eine Depesche aus Playa del Este vom 24. ds. MtS., in welcher er bezüglich des Gefechts von Juragua sagt: Sofort nachdem eine An- zahl der „rouxb rickers" von feindlichen Geschossen getroffen war, stießen sie heftige Verwünschungen aus, während ihr Oberst ihnen zurief: „Flucht nicht, sondern kämpft!" Tie Spanier feuerten aus gedeckter Stellung fortgesetzt Salven ab. Die Amerikaner wichen 100 Parbs weit zurück, sammelten sich aber wiederauf er- mulhigendeZuruse ihrerLfsiciere. DieimHasen liegenden Hilfskreuzer versuchten auf die Spanier zu feuern; ihre Geschütze waren jedoch nicht weittragend genug. Die Panzerschiffe „Iowa", „Oregon" und „New Orleans" waren die Küste hinabgefahren und bewachten die über den Juragua-Fluß führende Eisenbahnbrücke, eifrig bedacht, die Spanier an der Zerstörung derselben zu verhindern. — Das Bedürfniß nach Pferden bei den Operationen zu Lande macht sich gebieterisch geltend. Es sind nicht genug Pferde vorhanden zur Bespannung der Artillerie, geschweige denn zur Fortschaffung derTraincolonnen. Gegenwärtig sind Belagerungsgeschütze auf dem Wege gegen Santiago hin. * New Bork, 26. Juni. Nach einer Trahtmeldung aus Juragua sind in dem Kampfe, der vorgestern dort slattgefunden hat, 17 Amerikaner gefallen, 36 verwundet und 9 ver schwunden. Im Gewirre des Gefechts sollen die Amerikaner auf ihre eigenen Leut« geschossen haben. Wenn die amerikanischen Berichte solche Verlustziffern zugeben, kann man die letzteren getrost mindestens mit Zehn multipliciren. Sehr naiv ist das Zugeständniß, die Amerikaner hätten eine merkwürdig falsche Auffassung von der gedeckten Kampfesweise der Spanier gehabt. Der Fehler liegt in der für die Amerikaner sehr ungünstigen Beschaffenheit des Terrains, in dem sie sich voraussichtlich noch mehr als einmal blutige Köpfe holen werden, zumal da sie aus Mangel an Pferden mit ihrer Artillerie nicht vorwärts kommen. Tie Hauptsache ist jetzt die, daß die Vertheibigung Santiagos geschickt vorbereitet worden ist, d. h., daß in erster Linie die Höben in der unmittelbaren Umgegend der Stadt von den Insurgenten, die sich dort festgesetzt haben sollen, gesäubert sind. Ist dies nicht der Fall, dann würde die amerikanische Artillerie, sobald sie auf den Höhen angelangt ist, ^ebr bald mir der Stadt fertig werden. Die Belagerungsgeschütze sind bereits nach Santiago unterwegs und scheinen, soweit ebenes Terrain in Betracht kommt, keinem Hindernisse begegnet zu sein. Dafür würde auch sprechen, daß die Spanier daö Eastell Morro geräumt haben sollen, welches den Hafeneiu» gang von Santiago aus der Oslseite deckt. Die in weiterer Umgebung von Santiago gelegenen Höhen sind von den Spaniern besetzt. So die bei Sevilla, östlich von Santiago. Hier haben vorgestern Kämpfe mit den Znsurgenten stattgesnnden. Man meldet unS darüber: * Madrid, 26. Juni. Nach einer amtlichen Depesche aus Santiago de Cuba wurde die Colonne des Generals Linares aus den Höhen bei Sevilla von amerikanischen Truppen und einer Abtheilnng Aufständischer angegriffen. Der Feind wurde mit großen Verlusten zurückgeschlagen. Die Verluste auf spanischer Seite betrugen 7 Todte und 27 Verwundete. Unter den Letzteren befinden sich 3 Lfficiere. In Ensenada dauert die Landung der Amerikaner fort. General LinareS mußte die Ort- schäft räumen, La dieselbe in Trümmer geschossen wurde. Ta das amerikanische Geschwader die spanische Infanterie auf 2000 Meter aus schweren Geschützen beschoß, zogen sich dir Truppen unter Mit nahme des Kriegsmaterials zurück. Den Amerikanern droht aber noch andere Gefahr. Ts wäre nämlich leicht möglich, daß General Luque mit den Divisionen von Holguin, auS nördlicher Richtung, etwa über Altosongo, Ti-Arriba und El Ramon de las Daguas kommend, dem Landungscorps Shafter's in die rechte Flanke und in den Rücken fällt und dasselbe dadurch zum Rückzüge und zur Einschiffung zwingt. Es fragt sich, ob General Shafter sich durch Besetzung der Gebirgsübergänge, welche die Nord- und Südküste mit einander verbinden, etwa durch Znsurgenten- Abtheilungen gegen diese Gefahr vorgesehen hat. Wie eS um Manila steht, läßt sich mit voller Be stimmtheit nicht sagen. Das officielle Zugeständniß der Capitulation liegt noch nicht vor und man sollte meinen, daß, wenn die Hauptstadt der Philippinen thatsächlich ge fallen wäre, darüber in New Dork Telegramme vorlägcn und sich ein mächtiger Jubel erhoben hätte. Das spanische Neservegesch Wader ist, bestehend aus den Panzern „Pelayo", „Carlos Quinto", zwei Panzer kreuzern, drei Torpedobooten und fünf Transportschiffen mit 4000 Mann, beim Suez-Canal angekommen, steuert also wirklich nach den Philippinen. Da die amerikanischen Blätter damit gedroht haben, daß, sobald daS Geschwader den Canal Passire, amerikanische Schiffe nach Spanien kommen würden, trifft die Madrider Negierung dringende Maßnahmen. Feuilletsir. Lauernblut. 16j Roman in drei Büchern. Von Gerhard von Amyntor. (Dagobert von Gerhardt.) Nachdruck verboten. Der Redner war nicht ganz mit sich zufrieden; das, was er gesagt hatte, entsprach nicht genau Dem, was er hatte sagen wollen; die Anwesenheit Peter's, des Socialdemokraten, hatte ihn ein wenig aus dem Text gebracht und ihn angetrieben, statt eines Hochs auf die beiden Wirthe, das er eigentlich im Sinne gehabt hatte, ein solches auf das Staasoberhaupt auszubringen. Ein brausendes, jauchzendes Hochrufen folgte aber seinen Worten; Alle waren aufgestanden und ließen die Gläser an einander klingen; der Clavierspieler in der Ecke des Saales mußte die Nationalhymne spielen; der begeisterte Vortänzer, Herr Knoblauch, wurde auch zum Vorsänger und hob mit heiserer Stimme an: „Heil Dir im Siegerkranz!" und die ganze Tafel runde stimmte rin und sang stehend den ersten Vers des patrio tischen Liedes. Daß Peter vor Beendigung dieses Toastes hinausgegangen war, war kaum von Allen bemerkt und von den Wenigen, die es bemerkt hatten, auch nicht gerade als Demon stration gedeutet worden; nur der Staatsanwalt verstand den wahren Beweggrund und auch Sabine machte ihrem Bräutigam, als er wieder zuriickkehrte und neben ihr Platz nahm, leise, aber heftige Vorwürfe wegen seines unpassenden Verhaltens. „Ich werde diesem Quasselpeter doch nicht den Gefallen thun und mit ihm in ein Hoch auf den Kaiser einstimmen? Das fehlte mir noch! Ich bin ein zielbewußter Socialdemokrat; ich hasse den Staat." Sabine sah den Sprechenden an; sie hätte ihm zürnen mögen, denn er griff ihr da in etwas, das sie, als Tochter eines alt preußischen Beamten, wie ein Heiligthum im Herzen trug; aber seine Augen flammten so wild und leidenschaftlich, seine Wangen waren so prächtig geröthet, in seinem männlich schönen Angesicht lag ein so fesselnder Ausdruck von unerschütterlicher Ueberzeugung und wildtrotziger Thatkraft, daß sich ihr Groll beinah« in Be wunderung verkehrte. „Wenn Du nur nicht so hübsch wärest!" flüsterte sie ihm voll unwillkürlicher Zärtlichkeit zu. „Nun? Was dann?" fragte er leise zurück. „Ich glaube, dann würde ich mich vor Dir fürchten." „Närrchen!" gab er zur Antwort. Er nahm sein Glas, stieß mit ihr an und leerte es in einem Zuge. Die Tafel war schnell beseitigt worden; man tanzte wieder in dem zum Ballsaal zurückgewandelten Speisezimmer; das Fest hatte seinen Höhepunct erreicht. In Frau Juliens Salon stand der Staatsanwalt im Gespräch mit Lampert und Just, als er Peter, der seine Braut einem Anderen zum Tanze hatte überlassen müssen, in seiner Nähe bemerkte. Er ging auf den Stiefbruder zu und redete ihn zum ersten Male an diesem Abende an: „Du hast mich bis jetzt hartnäckig übersehen, aber wenn Du Zeit hast, Peter, möchte ich mit Dir ein Wort unter vier Augen sprechen." „Große Ehre für mich!" versetzte etwas höhnisch der Andere. Sie traten in eine Fensternische und der Staatsanwalt be gann: „Ich möchte Dir einen brüderlichen Rath geben." „Hoffentlich keinen stiefbrüderlichen." Tell überhörte den Spott, der in dieser Bemerkung lag, und fuhr unbeirrt fort: „Wenn Du einmal wieder in einer gebil deten Gesellschaft bist und es wird ein Trinkspruch auf unseren Kaiser ausgebracht, dann vermeide es, Dich demselben durch Fortgehen zu entziehen; wenn es durchaus gegen Dein Gewissen ist, an einem Hoch auf dos Staatsoberhaupt theilzunehmen, dann bleibe lieber ganz aus solcher Gesellschaft fort." Eine kleine Pause folgt«, in der sich die Stiefbrüder in ver haltener Feindschaft mit den Blicken maßen. Dann sagte Peter sehr ruhig: „Ich konnte ja plötzliches Nasenbluten vorschützen, um mein Hinausgehen zu begründen, aber einem Staatsanwalt gegenüber muß man ja wohl die Wahrheit sagen. Also, ja, ich bin hinausgegangcn, um nicht auf da- Staatsoberhaupt trinken zu müssen, da ich den ganzen Staat als solchen derurtheile; ich habe nichts Anderes gethan, als was unsere socialdemokratischen Vertreter im Reichstage stets bei solcher Gelegenheit thun . . ." „Und was sie nach Ansicht jedes normal empfindenden Deutschen besser unterließen; man bethätigt seine politische Ge sinnung nicht durch — Rücksichtslosigkeiten, um mich eines par lamentarischen Ausdrucks zu bedienen; sonst hätte ich ein anderes Wort für ein solche- Benehmen." „Bitte, sprich es aus; ich bin Deinesgleichen gegenüber durch aus nicht empfindlich." In Tell kochte die Entrüstung; die verletzende Ruhe des Gegners brachte ihn immer mehr au» der Fassung. Doch er beherrschte sich, und nur seine Stimme bebte leicht, al» er er widerte: „Nun, wenn Du es hören willst: es ist ein schamlose Nichtachtung des Anstandes, sich von einem Hoch auf den Landes herrn auszuschließen . . . „Vielleicht ein Majestätsverbrechen? Ein Landesverrath? Ein Sacrileg? Thue Dir keinen Zwang an!" „Ja, auch dies ist es; Du wählst ganz richtige Bezeichnungen; ich sehe mit Genugthuung, daß Dein Taktgefühl noch nicht ganz erstorben ist. Ich möchte Dich aber warnen, Peter; es gab eine Zeit, da wir uns näher standen, da wir als Knaben in diesem Hause gemeinschaftlich gespielt haben. Wohin hast Du Dich verirrt? Nimmt nicht der Protestant auch im Dome des Katho liken den Hut ab? Und behalten wir ihn Beide nicht auf, wenn wir einmal die Synagoge des Juden betreten, weil es dort Brauch ist, ihm aufzubehalten? Man achtet doch die Gefühle seiner Mitmenschen und hat Ehrfurcht vor dem Heiligen, in welcher Gestalt es Einem auch begegnet. Magst Du politische Ansichten haben, welch« Du willst — das ist Deine Privatsache, ich will auf Niemenden einen Gewissenszwang ausllben — aber ungestraft beschimpft man nicht Das, was allen deutschen Männern, allen Parteien heilig ist, nur nicht der Deinen!" „Wer wird mich dafür strafen?" „Die Mißachtung aller Gesitteten und die Stimme Deines eigenen Gewissens! Es ist keine Gesinnungstüchtigkeit, einem Hochrufe auf unseren greisen verehrungswürdigen Kaiser aus dem Wege zu gehen; es ist nur ein trauriger Mangel an allen den Eigenschaften, die den feinfühligen und gesitteten Menschen kennzeichnen, mag er sonst irgend welcher Partei angehören." „Bist Du fertig, Herr Staatsanwalt?" »Ja." „So höre meine Erwiderung. Der Staat, in dem wir Beide leben, Du mit Behagen, ich nur widerwillig durch eine unselige Schicksalsfügung, dieser Staat, dessen Anwalt Du natürlich bist — Dein Titel besagt es ja schon, haha! —, geht seinem unver meidlichen Bankerott entgegen; wenn Du rin feinere« Ohr hättest, Du würdest die Todtenglocke hören, die ihm schon läutet. Dieser Staat ist durch Mammonismus verseucht und verpestet; die Ca- pitalhyänen beherrschen ihn; in den Pranken dieser Bestien zappeln selbst die Minister und Regierungen; es sind willenlose Puppen geworden, die so tanzen müssen, wie der Satan de» Goldes pfeift. Für diesen Staat habe ich nichts übrig, al» die ingrimmigste Verachtung, und gegen keinen seiner Vertreter, er stehe hock oder niedrig, habe ich irgend welche Rücksicht zu nehmen, wenn ich mich nicht der allerniedrigsten feigsten Heuchelei schuldig machen will. Wären die Räthe und Hofschranzen der Fürsten so muthig, ehrlich und überzeugungstreu, wie wir Socialisten e« sind, es stände besser um die Gesellschaft; ihre Socialisirung ließe sich vielleicht noch im Wege friedlicher Reformen durch führen. So aber — nun, wir werdens ja erleben, welche Ströme von Blut noch fließen werden, und diesen Mord und Greuel habt ihr, ihr Vertreter des kapitalistischen Staates, die ihr nicht hören noch sehen wollt, ganz allein zu verantworten." Er trat einen Schritt zurück, verbeugte sich spöttisch und wandte ihm mit dem Gruße: „Guten Abend, Herr Staatsanwalt!" den Rücken. „Er ist wahnsinnig!" dachte Tell, „da ist jedes Wort umsonst!" „Mag er sich's hinter die Ohren schreiben!" dachte Peter, indem er sich voll Genugthuung nach dem Tanzsaale zurückbegab; „es wird freilich nicht viel nutzen; ein Staatsanwalt erkennt zu allerletzt die hereinbrechende Zeit: wen die Götter verderben wollen, den verblenden sie erst." Neuntes Capitel. Und weiter paukte der Clavierspieler auf das schon ziemlich verstimmte Instrument, und unermüdlich wirbelten die erhitzten Paare im tollen Reigen. Es war in der zweiten Stunde nach Mitternacht und immer wieder mußte der Vorländer neue Tänze einschieben, damit das Ende des Balle- so weit wie möglich hinausgerückt würde. Herr Wilhelm Lampert, der im Rahmen der Thür zum früheren Schlafzimmer als Zuschauer Platz genommen hatte, war todtmüde; wie gern würde er für dieses ohnehin schon recht kostspielige Fest noch einen Hundertmarkschein mehr aufgewandt haben, wenn er sich jetzt nur hätte zurückziehen und behaglich in seinem Bette ausstrecken dürfen. „Julie", lispelte er der Gattin zu, die hinter seinen Stuhl getreten war und sich über ihn beugte, um ihn mit einem Lächeln der Genugthuung anzusehen, „wäre eS jetzt nicht genug? Herr Knoblauch könnte dreist mit dem Cotillon beginnen." Frau Julie begriff nicht diese Ungeduld. Wenn es nach ihr gegangen wäre, dieser Ballabend hätte nie ein Ende ge nommen. „Wilhelm", sagte sie vorwurfsvoll, „sei doch nicht so un- gemüthlich! Sieh doch nur, wie sich die Leutchen amüsiren! Er ist eine Null-Polka; die Damen engagiren; gieb Acht, ich hole mir jetzt unseren William, er muß auch einmal mit mir tanzen!" „Du wirst doch nicht?" wollte der überraschte Gatte ein wenden, aber sie war schon fort und hörte ihn nicht mehr. Und wahrhaftig! Da stand sie auch schon knixend vor dem Staatsanwalt, und dieser mochte sich strauben, so viel er wollte, sie ließ sich nicht abweisen; er legte endlich seinen Arm um ihre umfangreiche Taille, und dahin hüpften Beide: da- schon über ständige, aber noch immer gefallsüchtige Ewig-Weibliche mit der ernsten, gesetzten, etwas spröden, männlichen Vollkraft. „Solo!" rief Herr Knoblauch mit Stentorstimme; die übrigen Tänzer»
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