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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.03.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-03-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960324025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896032402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896032402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-03
- Tag1896-03-24
- Monat1896-03
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Die Morgen-Au-gabe erscheint um '/,7 Uhr, dir Abend-Ausgabe Wochentag» nm 5 Uhr. Filialen: Ptto Klemm'S Sorttm. (Alfred Hahn), Uaiversitätsstrahe 1, Lonts Lösche, Katharinenstr. 14, vart. und König-Platz 7. Nedaction «n- Expedition: Johann,»,ass« 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend- 7 Uhr. Vszrrgs-Prei» Ni d« Han-texpeditton oder den im Stadt, bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich^4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» ^l bckO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliährlich ^l S.—. Direkte tägliche Kreuzbandieudung in» Ausland: monatlich 7.Ü0. 152. Abend-Ausgabe. KWiM TaMM Anz,ig,n.Pr»t- die 6 gespaltene Petitzeile LO Pf^. Reklamen unter dem Redactionsstrich (»ge spalten) SO^t, vor den Familieniiachllchken (tt gespalten) «0^. Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis Tabellarischer und Ziffernsatz »ach höherem Tarif. Extra-veila»en (gefalzt), nur mit der Morgen»Ausgabe, ohne Poftbeförderung 60.—, mit Poftbeförderung 70.—. Anzeiger. Amtsvlatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Polizei-Amtes der Stadt Leipzig. Dienstag dcn 24. März 1896. Annahmeschluß fiir Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Margen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die GzDehitton zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig SV. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 24. März. Die durch den Antrag Lieber, betreffend die Schulden tilgung au» Ueberschiissen, zwischen Reichstag und Bunbesrath entstandene Differenz kann als ausgeglichen angesehen werden. Der Reichstag verzichtet darauf, auf Ueberschüsse des Jahre» 1894/95 zurückzugreifen und den übrigen Zweck jenes Antrags durch daS Elatsgesetz zu erreichen; er wird daher einem besonderen Gesetzentwürfe, der die Schuldentilgung in den beiden Jahren 1895—97 regelt, seine Zustimmung geben; der Bundesrath verzichtet seinerseits durch diesen Gesetzentwurf auf denanfäuglich erhobenenWiderspruch gegen die Heranziehung auch von Ueberschiissen deS Jahres 1895/96 zur Schuldentilgung. Freilich geht aus der Erklärung, die der Neichsschatzsecretair Graf Posadowsky zu dem Gesetzentwürfe gab, hervor, daß der Bundesrath nicht einstimmig zu diesem „Friedensschlüsse" seine Zustimmung gegeben hat. Eine Minderheit, die recht ansehnlich sein dürfte, hielt an derAnsicht fest, daß die rechnungs mäßigen Ueberschüsse der Ueberweisungen, auf deren Gesammt- einnahmebetrag die verbündeten Regierungen ein gesetzliches Recht hätten, nicht zu einer zeitweisen Schuldentilgung verwendet werden könnten, so lange nicht die Einzelstaaten gegen wachsende und wechselnde Ansprüche des Reiches in Zeiten finanzieller Noth sicher gestellt seien. Auch die Mehrheit theilte diese sachlichen Bedenken, sie entschloß sich aber zur Zustimmung zu dem von Preußen vorgelegten Gesetzentwürfe „unter der ausdrücklichen Boraussetzung", daß mit diesem Entwürfe „der erste Schritt zu einer organischen Regelung des finanziellen Verhältnisses zwischen Reich und Einzelstaaten" gethan werde, „zu einer Regelung, welche zwar Ueberschüsse zur Schuldentilgung verwendet, aber gleichzeitig die Einzelregierungen in die Lage setzt, klare und sichere Voranschläge für ihre Etats zu machen." „Würden", so fügte der Neichsschatzsecretair hinzu, „die verbündeten Regierungen (d. h. in ihrer Mehrheit) nicht das Vertrauen zu der Mehrheit des Reichstags gehabt haben, daß dieselbe die billigen Anforderungen der Einzelstaaten anerkennen würde, gegen wechselnde Anforderungen des Reiches gesichert zu sein, so würden sie selbst um den Preis eines friedlichen Ausgleichs sich nicht entschlossen haben, diesen Gesetzentwurf einzubringen." Alsbald mußte jedoch der Herr Neichsschatzsecretair die Er fahrung machen, daß daö Centrum und sein freisinniges Anhängsel das Vertrauen der Mehrheit des Bund-srathe« nicht verdienen^ denn durch den Mund deS Abg. Bachem ließ das Centrum verkünden, daß es sich auf die Voraussetzung des Bundesraths nicht festlege. Herr Eugen Richter schloß sich dieser Erklärung an. Die Minderheit des Bundesraths hat also die traurige Genugthuung, der Mehrheit vorwerfen zu können, daß sie zu vertrauensselig gewesen sei. Da aber die Voraussetzung, unter der die Mehrheit dem Gesetzentwürfe zugestimmt hat, nicht in diesen ausgenommen ist und auch nicht in ihn ausgenommen werden konnte, so wird er vom Reichs tage angenommen werden ohne jeden Schatten von Ver pflichtung, auf den „ersten Schritt zu einer organischen Regelung der finanziellen Verhältnisse des Reiches zu den Einzelstaaten" einen zweiten folgen zu lassen. Das Reich fährt ja durch diesen „Friedensschluß" nicht übel, aber die Einzel staaten haben keinen Anlaß, sich seiner sonderlich zu freuen. Dadurch, daß die Mehrheit des Bundesraths zu vertrauens selig war, um seine Zustimmung zu dem Zwecke des Antrags Lieber von einer die Geneigtheit des Reichstags zu einer organischen Regelung der finanziellen Verhältnisse des Reiches zu den Einzelstaaten ausdrückenden Resolution abhängig zu machen, ist eine solche Regelung in weitere Ferne als je ge rückt worden. Es ist keine Frage, daß die gewerblichen Schulen zur Hebung des geistigen und technischen Niveaus in den ein zelnen Berufszweigen, zur Besserung der materiellen Lage derselben und damit zur Steigerung des NationalwohlstandcS recht viel beitragen. Jeder Gewerbszweig, für welchen Fach schulen eingerichtet sind, hat davon Förderung erfahren. Es ist nur natürlich, wenn die Gewerbetreibenden selbst auf die Errichtung von Fachschulen drängen und, falls hierzu die Kraft des einzelnen Gewerbszweiges selbst nicht hinreicht, diejenige von Gemeinde, Staat und Reich in Anspruch nehmen möchten. Tas französische Gewerbe verdankt feine Blüthe und die Höhe seiner Entwickelung hauptsächlich diesen Schulen. In Deutschland ist das gewerbliche Schulwesen nickt immer so eifrig gepflegt worden, wie es im Interesse des Gewerbes selbst gelegen hätte. Das deutsche Reich selbst hat bisher dafür nicht viel gethan. Das Schulwesen gehört zur Competenz der Einzelstaaten. Von den letzteren wiederum haben nur einzelne schon seit langer Zeit den Werth des gewerblichen Schulwesens erkannt und auch die Mittel zur Verfügung gehabt, um der Erkenntniß materiellen Ausdruck zu geben. Es wird allgemein anerkannt, daß nament lich Sachsen und Württemberg aus diesem Gebiete die Führung haben. Preußen ist erst in den letzten Jahren im Stande ge wesen, eine einigermaßen in Betracht kommende Summe für den in Rede stehenden Zweck aufzuwenden. Die preußischen Etats weisen in den letzten Jahren stets Steigerungen des für das gewerbliche Unlerrichtswcsen ausgeworfenen Betrages auf. Im Reichshaushaltsetat befand sich bisher eine zu diesem Zweck bestimmte Position nickt. Es ist im Interesse des gesammten Gewerbestandes mit Freude zu begrüßen, daß gegenwärtig aus dem Reichstage heraus die An regung zu einer Aenderung in dieser Beziehung gegeben ist. Die Abgg. Sa chße und Genossen haben eine Resolution zum Etat eingedrückt, in welcher die verbündeten Regierungen ersucht werden, in den Etat für 1897/98 50 000 zur Unter stützung für Handwerkerschulen im deutschen Reichsgebiete eiuzustellen. Man wird zwar sagen, daß die Competenz des Reichs sich nicht auf das Schulwesen erstrecke. Aber es handelt sich hier weniger um die Schule, als um das Gewerbe, und dessen Förderung ist recht wohl Reichs sache. Formelle Einwände werden sich demnack leicht wider legen lassen. Für die Einstellung einer solchen Summe in den Reichsetat sprechen aber schwerwiegende materielle Gründe. In erster Reihe der, daß es für bestimmte Ge werbszweige nur eine Fachschule in Deutschland giebt. Natürlich werden zunächst für solche die Gewerbetreibenden selbst, dann die Gemeinde, in der die Schule errichtet ist, und darauf der betreffende Bundesstaat herangezogen werden müssen, ehe das Reich eintrilt. Es giebt aber solche Schulen, die auch, nachdem die aufgezählten drei Faktoren ihre Unterstützung gewährt haben, noch unterstützungs bedürftig bleiben. Hier muß das Reich einspringen, und zwar umsomehr, als solche Schulen nicht bloß für den ein zelnen Bundesstaat, sondern für die Gesammtheit der Bundes staaten Vortheile bringen. Es kann demnach nur gewünscht werden, daß der durch die erwähnte Resolution gegebenen Anregung Folge gegeben und das Reich schon vom nächsten 5ahre ab in den Stand gesetzt sein wird, auch seiner seits zur Förderung des Gewerbes durch Unterstützung von Fachschulen beizutragen. Wird der Trcibun- durch die Fortsetzung der italienische» Kriegführung in Abessinien militairisch geschwächt werden? Diese Frage ist in der letzten Zeit vielfach gestellt und, im Ausland wenigstens, bejahend beantwortet worden. Wir haben die gegentbeilige Ansicht vertreten und finden heute in einem militairischen Mitarbeiter der „Hamb. Nachr." willkommene Unterstützung. In dem instruktiven Artikel wird festgestellt, daß Italien über eine Kriegsstärke von 1 Millionen Mann, wozu noch 554 000 Mann der zweiten Kategorie der Beurlaubten, der Mobilmiliz und der Special- und Territorial-Miliz, sowie 1 337 000 Mann der allerdings nickt ganz ausgebildeten dritten Kategorie der Territorial- Miliz kommen. Das Königreich verfügt somit über eine so bedeutende Anzahl von Streitkräften, daß ein Ab gang, wie der derzeitige von circa 45 000 Mann für die Erythräa und selbst bei einer Fortsetzung de» Krieges im großen Stil ein solcher von 60 000 oder 80 000 Mann, seine militairische Leistungsfähigkeit für den Dreibund nicht irgend wie ins Gewicht fallend zu beeinträchtigen ver mag. Allerdings kommt das Fehlen der Cadres, welche mit jenen Streitkräften nach Afrika gehen, weit mehr für die Kriegsleistungsfähigkeit Italiens ins Gewicht, als die Anzahl der abgegebenen Streiter. Für die Cadres ist im Falle einer allgemeinen Mobilmachung des italienischen Heeres kein Ersatz vorhanden, so daß die für sie zur Aufnahme bestimmten Reserven des gehörigen Rahmens für ihre Verwendung entbehren, somit aus den Streitkräften der ersten Linie ausfallen und gebotenen Falls durch minder- werthige Truppen der zweiten Linie ersetzt werden müßten. Besonders gilt dies hinsichtlich der mobilen Vertheidigung der Alpengrenze durch die Gebirgsbatterien, welche bekanntlich bei Adua größtentheils in die Hände der Abessinier gefallen sind, sowie hinsichtlich der Alpenbataillone, deren auch einige nach Afrika entsandt sind. Aber es bleiben zurVertheidigungder Alpen grenze immer noch 17 derartige Bataillone des stehenden Heeres und 22 der Territorialmiliz zur Verfügung. Außer dem ist die Nordwcstgrenze Italiens in Folge ihrer natür lichen Hochgebirgsbeschaffenheit sehr leicht zu vertbeidigen, so daß weder der Verlust fast der gesammten Gebirgsbatterien, noch ein Ausfall von 40—60 000 Mann und mehr, bis zu 100 000 Mann in Betracht kommen kaun. Das, was der Drei bund an militairischerKraftleistung von Italien indem erwähnten Falle aber beansprucht, besteht im Wesentlichen nur in der Ver theidigung des eigenen italienischen Gebiets und mit Bezug aus Deutschland in der Beschäftigung von 3 — 4 französischen Armeecorps an der italienisch-französischen Alpengrenze, die damit der Vertheidigung der französischen Ostgrenze den deutschen Westarmeen gegenüber entzogen werden. Bei dieser Lage der Verhältnisse erscheint daher Italien auch bei Fortsetzung des Krieges in Afrika vollkommen im Stande, die militairischen Aufgaben, die ihm dem Dreibund gegenüber bei einem großen continentalen Kriege obliegen, zu erfüllen, und gerade seine Zugehörigkeit zum Dreibunde setzt es in die Lage, unbesorgt vor fremder Intervention seine colonialen Ausgaben durchzufübren. Etwas anders verhält es sich mit der finanziellen Seite der Fort setzung des Afrikakrieges. Die Finanzen Italiens waren eben erst in der Gesundung begriffen und könnten durch eine solche wieder wesentlich geschädigt werden. Allein wenn es gilt, die nationale Ehre zu retten, wird auch das Volk bereit sein müssen, die erforderlichen Opfer zu bringen. Niemand wird behaupten, daß das Land dazu außer Stande sei. Kriecht Italien vor Menelik zu Kreuze, so steht es möglicherweise vor der Nothwendigkeit, an den Negus eine Kriegsentschädigung von 25—30 Millionen Francs zu zahlen, was jedenfalls gleich brückend, aber minder ehrenvoll wäre, als die Weiter führung des Krieges. An der Forderung einer so hohen Kriegsentschädigung — nach einer Andeutung der „Jtalie" ist dieselbe dem Negus von einer Seite, „welche die Regierung kennt" (Frankreich natürlich) suggerirt — könnten die Friedens verhandlungen sehr leicht scheitern, falls sie, was von einigen römischen Blättern aber in Abrede gestellt wird, thatsäcklich erhoben worden ist. Die Ehren, welche kürzlich dem französischen Kron prätendenten, Prinzen Henri von Orleans, in seiner Eigenschaft alstzorsckungsreisender zu Tbeil geworden sind — Verleihung des Kreuzes der Ehrenlegion, feierliche Sitzung der Geographischen Gesellschaft in der Sorbonne, liebens würdigster Empfang bei dem Colonialminister Guieysse, sofortige Gewährung der Bitte, daß sein Reisegefährte Roux ebenfalls decorirt werden möchte u. a. m. —, haben zu dem Gerücht Anlaß gegeben, der Prinz werde fortan seinem Vetter, dem Herzog von Orleans, als Tbron- prätendent Concurrenz macken. Nicht nur seine bewährte persönliche Tüchtigkeit — so sagt man — bestimme ihn hierzu, sondern es habe sich zu seinen Gunsten auch schon ein orleanistisches Complot gebildet, an dessen Spitze kein Ge ringerer stehe, als Graf d'Haussonville, der es dem „priuce gumolle^ nicht verzeihen könne, daß er ihn aus der Ver trauensstellung, die er (d'Haussonville) unter dem Grafen von Paris eingenommen, sogleich entlassen habe. Es wird hinzugefügt, der Herzog von Orleans habe von der Sympathie seiner früheren Getreuen für den Prinzen Henri Kenntniß erhalten, und zeige sich darüber um so ungehaltener, als dieser Tage auch von einer Zusammenkunft seines Vetters mit Paul Tsroulöde, dem ehemaligen Leiter der Patrioten liga, bei dem Grafen Dion die Rede gewesen sei. Da es von dem Dichter der „Soldatenlieder", der wegen plötzlicher Erkrankung zu dem angeblich geplanten Rendezvous aller dings nicht erscheinen konnte, heißt, er verfüge noch heute über die Mitglieder der Liga, so könnte es den Anschein haben, als wolle oder solle derselbe dem neuen Prätendenten die Heer schaar zuführen, die einst den Weisungen Boulanger's gehorcht hatte. Offenbar ist aber da» Ganze nur ein müßiges Ge schwätz gewisser republikanischer Kreise, in denen man immer und überall Prätendenten wittert, oder rin frommer Wunsch einzelner Monarchisten, die zum „ersten Recruten Frank reichs" nur geringes Zutrauen haben. Jedenfalls beeilt sich Prinz Henri seinerseits, dem Gerücht von einem Zwiespalt im Hause Orleans entgegenzutreten, denn er schreibt dem „Matin": „Es giebt nur einen Anwärter auf die französische Krone und kann nur einen geben, und der ist mein theurer Vetter, der Herzog von Orleans. Ich bedauere lebhaft, Staatsfragen in die Rückkehr eines Reisenden gemischt zu sehen, der versucht hat und fortfahrrn wird, seinem Land als einfacher Franzose zu dienen, wie eS ihm glücklicherweise gestattet ist". Als Nachspiel zum französischen Panama begannen gestern vor der zehnten Kammer des Pariser Zuchtpolizei gerichtes die Verhandlungen gegen den ehemaligen Secretair der Staatspolizei, DupaS, und den Rechtsbeistand Arton'S, R oyör e. Nach dem Anklageact hat DupaS am 13. Januar 1893 Royöre von der Absicht des damaligen ConseilS-Präsidenten Ribot in Kenntniß gesetzt, Arton in Pest festnehmen zu lassen. Notare richtete unverzüglich eine chiffrirte Depesche an Arton, der sich natürlich sofort auS dem Staube machte. Daher haben DupaS und Royöre das im Artikel 248 des Strafgesetzbuches vorgesehene Delikt der Vorschubleistung eines Verbrechers begangen. WaS die Thatsachen anbelangt, die am 30. December 1892 und 2. Januar 1893 sich in Venedig abspielten, als Ribot ConseilS-Präsident und Loubel Minister des Innern war (der hinter Arton hergeschickte Agent ließ sich bekanntlich mit diesem in der idyllischen Gottbegnadet. 7) Roman von Konrad Telman». Nachdruck verboten. „O ja, sicherlick. Er stiehlt keine silbernen Löffel. Und er wird nächstens einen Orden bekommen und avanciren, und all dergleichen. Aber deshalb ist er doch nur ein hölzerner Gesell. Ich bin überzeugt: für den ist die Musik überhaupt nur ein Geräusch, und der Walzer, den die Cur- capelle da unten spielt, was Angenehmere» oder doch ganz das selbe, wie die vierte Brethovenssche Symphonie. Sehen Sie: solcheMenschen sind gewiß für denStaat und dieGesellschaft sehr brauchbar, aber im Grunde leben sie in einer ganz anderen Welt als wir, und gehören gar nicht zu unS, nicht? Wer nichts für Musik empfindet — was soll un« der? Und ick weiß auch ganz gut, was alle diese Herren gegen mich haben. Ich bin ibnen nicht correct genug im Gleise, ich hab keine Staats anstellung und bin nicht mal Soldat gewesen. Wer's nicht genau so macht, wie alle Welt, der gilt bei ihnen nicht für voll. Ich hab gar keinen Titel und gar kein Amt, das ärgert sie, weil die Leute mich trotzdem alle gern haben und sich um mich reißen. Und ich brauch mir auch mein Geld nicht zu verdienen —, WaS ich ja jeden Tage könnte; denken Sie doch: mit meiner Stimme! — deshalb sind sie neidisch. — Ah! Schade! Ich glaube, daS Feuerwerk ist schon auS." Der Assessor batte nach seiner Verabschiedung von Thea Frau Marcella aufgesucht. „Ich fürchte", sagte er zu ihr in gehaltenem Tone, „daß ich heute bei Ihnen in den Ruf ge kommen bin, es mir angelegen sein zu lassen. Herrn v. Senn- feldt in Ihren Augen berabzusetzen, gnädige Frau. Ich möchte deswegen um Verzeihung bitten und nochmals betonen, daß meine Aeußerungen nicht der Person, sondern der Sache galten. Ick documentire dies dadurck, daß ich Ihr Fräulein Tochter soeben Herrn von Sennfeldt bedingungslos überlassen babe. Ich muß allerdings binzufügen, daß ich wußte, damit in Ihrem Interesse zu bandeln." Frau Marcella war erstaunt. Sie hatte Harry nicht kommen sehen, und eine leichte Unruhe ergriff sie. Sie wollte das Paar eben aufsnchen, als Frau von Sennfeldt aufgeregt und nach Athen, ringend ihr «ntgrgentrat. „Wo ist Harry?" rief sie, ohne sich Zeit zu einer Begrüßung zu lassen, und ihre Augen forschten unrnbig umher. Frau Marcella konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. „Ich höre eben, daß er gekommen ist, gnädige Frau. Herr Assessor von Asten hat ihn gesprochen. Ich denke, er wird gleich hier sein." Frau von Sennfeldt athmete auf. „Denken Sie sich", brachte sie abgebrochen hervor, ihre sonstige Zurückhaltung in der Erregung völlig vergessend, „der Junge ist ganz wie toll, — wie ausgetauscht. Plötzlich mitten vom Tisch fort, — Durchlaucht hatten eben Champagner kommen lassen, — er müßte in die freie Luft, es sei ibm zu schwül hier, — denken Sie sich, zu schwül! — er erstickte. Durchlaucht machten ein Gesicht — und die durchlauchtigste Prinzessin wurde ganz blaß. — Ich dachte, mich sollte der Schlag treffen. Weg gehen, ehe Durchlaucht die Tafel aufgehoben hat! Und Durch laucht waren lentseliger gewesen als je. Durchlaucht hatten in sichere Aussicht gestellt, daß in diesem Winter Ihre könig liche Hoheit die Prinzessin Friedrich Franz Harry zu einer Gesaugssoirse invitiren würden, voriges Jahr war es schon nahe dran — durch Fürsprache der Reichsgräfin Eberbach, wissen Sie. Und nun dieser Affront! Läuft davon, wie von einem BankierS-Diner, — da kann er sich so was erlauben, o ja! Und er hatte hinreißend gesungen! Di« durchlauchtigen Herrschaften waren enckantirt, — die Prinzessin hatte eine wirkliche Thräne an der Wimper, ich habe «S ganz genau gesehen. Aber jetzt ist alle- verdorben. Und nichts bat ihn zurückgebalten. Auf und davon ist er. Ich habe bei den Herrschaften gutzumachen versucht, soviel nur immer anging, aber WaS war da noch zu Helsen? Ich bin ihm nach, hab ihn überall gesucht. — Er soll Abends, nachdem er gesungen hat, ja überhaupt nicht mehr in« Freie. — Er hat nicht einmal seinen Ueberrock bei sich, — hier bring ich ihn mit — pnd mir schwante gleich, daß er schon wieder bei Ihnen wäre. — O, da kommt er ja! Harrv! Harry!" Harry kam, Thea am Arm führend, langsam, beiter plau dernd, den Brückensteg herabgeschlendert. Eine Wolke über flog sein Gesicht, als er seine Mutter gewahrte, die, seinen Ueberrock auf dem Arm, mit allen Zeichen mühsam verhalte ner Aufregung aus ihn zusteuerte. Ein» Falte bildete sich auf seiner Stirn. Er hob, halb wie beschwörend, halb wie drohend die Hand gegen sie auf. Aber Frau von Sennfeldt ließ sich nicht so leicht zur Ruhe bringen. „Harry, ich bin beinahe vor Angst gestorben", waren die ersten Worte, die sie berauSstieß. „Errege kein Aufsehen!" raunt» er ihr zu. „Du hast Dich doch sicker erkältet! Hier! Nimm schnell! Zieh an! Vielleicht wenn Du noch rasch einen heißen Grog tränkest. .." Sie half ihm in den Ueberzieher, zu dem er sich Wohl oder übel verstehen mußte. Das Lächeln, das die Gefickter der Umstehenden überglitt, entging ihm dabei nicht und rief eine fahle Bläffe aus dem seinigen hervor. Seine Zähne knirschten hörbar aufeinander. „Du machst Dich und mick lächerlich, raunte er ingrimmig. Dann sah er ein, daß es das Klügste sein würde, das ganze von der humoristischen Seite zu nehmen, und er rief, wie nach Kühlung lechzend: „Bei der Hitze in einen Paletot kriechen! Wenn das nicht ein Beweis kindlicher Pietät ist, meine Herrschaften I Und nun noch Grog statt Eislimonade. Nein, was zu viel ist, ist zu viel. Eine Grenze hat Tyrannenmacht. Gnädigste Frau, wandte er sich an Frau Marcella, schützen Sie mich doch!" Der peinliche Auftritt war damit zu glücklichem Ende gebracht. Alle lachten, wenn das Lachen auch nicht allgemein ganz frei und harmlos klang. Tbea gewahrte, daß der Assessor von Asten seinem Bruder, dem Lieutenant, etwas zuflüsterte, und daß dieser sich abwenden mußte, um nicht laut aus- zubrechen. E« war sicherlich etwa- recht Scharfes und Bos haftes. Sie selbst war heiß rrröthet bei dem ganzen Vorfall. Harry that ihr leid. WaS konnte er im Grunde dafür, wenn seine Mutter ihn durch ihre übertriebene Aengstlickkeit so bloßstellte? Und er hatte sich taktvoll und ritterlich genug ihr gegenüber benommen; er konnte durch diese Scene nur gewonnen haben. Während ihr das durch den Kopf schoß — Harry batte sie freigeben müssen , da seine Mutter seinen Arm ergriffen Hatte, um sich von ihm führen zu lassen, in Wahrheit mehr, um ihn selber fortzuziehen — rauschte Asta am Arm Boden hausen» heran. „Gott, da« arme Muttersöhnchen!" rief sie in grotesk bedauerndem Ton, „ausgerüstet wie zu einer Reise nach Sibirien! Und dabei prophezeihen die Fischer ein Gewitter bei der herrschenden Schwüle. Liebste, beste Frau von Senn feldt, sagen Sie mir nur um Gottes willen, was soll Harry'S künftige Frau mal mit ihm anfangen, wenn Sie ihn syste matisch so verpimpeln?" „Harry'S Frau?" Frau von Sennfeldt lachte nervös. „Ich denke, wir haben noch einige Zeit, um unS daS zu überlege»! — Harry, Du hast Wohl die Güte, mick jetzt nach Haufe zu führen. Ich bin müde. Die Sorge um Dick ist mir in die Glieder gefahren. Gute Nackt allerseits, meine Herrschaften!" ES war Harry unschwer anzumerken. welche Ueberwindung es ibm kostete, dem Wunsche seiner Mutter widerspruchslos zu willfahren. Er wäre unzweifelhaft noch gern geblieben oder bätte die Lindbeim'scken Damen wenigstens heimgeleitet. Jetzt biß er die Zäune zusammen und verbeugte sich stumm. Nur ein bittender Blick flog zu Frau Marcella hinüber. Dann trennte man sich. Die Herren ließen eS sich nickt nehmen, inögesammt Frau Marcella und ihre Tochter bis vor deren HauS zu begleiten. Unterwegs sprach man nur von Harry. Die widersprechendsten Urtheile über ihn wurden laut. Nur darin schienen Alle einig, daß er in ganz andere Hände lalS die seiner Mutter hätte gerathen müssen, wenn ein wirklicker Mann aus ihm hätte werden sollen. „Seine Mutter ist bei allem besten Willen und aller Affenliebe sein scklimmster Feind!" sagte der Oberst von Ramin. „Und sein zweitschlimmster ist seine maßlose Eitelkeit", fiel der Assessor von Asten ein. „Die eben sie auch auf dem Gewissen hat", bestätigte der Oberst, „und zu welcher im Uebrigen" — fügte er lackend hinzu — „wir alle ohne Ausnahme auch unser Scherslcin beitragen." Dann war man angelangt, und eine allgemeine Ver abschiedung erfolgte. „Du, Mama", sagte Thea, als sie im Hause waren, was mir der Assessor beute Alles gesagt bat! Ich hab's gar nicht recht verstanden. Er war so furchtbar ernst. Mir ist ein paar Mal ganz ängstlich ge worden bei seinen Reden. Er that gerade so, al» ob ich in einer furchtbaren Gefahr schwebte, und er wollte mich be freien, wenn ich Vertrauen zu ibm hätte — wa» soll denn da- eigentlich Alle« heißen? Ich bin gar nicht klug daraus geworden. Frau Marcella küßte sie auf die Stirn. „Schlaf ruhig drüber, Kind! Ueber Kindern wacht ein guter Engel. Gute Nacht!" „Bloß kein böseS Gesicht machen!" rief Harry, al« er am nächsten Tage um die Mittaarzeit schon wieder seinen Kopf durch die Thürspalte bei Lindheim« hineinsteckte. Ich find eS zu nett und zu gemüthlich bei Ihnen. Darf ich nickt kommen? Sie sehen aber wirklich ganz böse au-, gnädige Frau!" Er faßte die letzten Worte beim Eintreten mit ganz trauriger, beinahe ängstlicher Stimme, küßte Frau Marcella die Hand, sah ihr treuherzig inS Gesicht und fragte: „Muß ich wirtlich wieder geben?" Frau Marcella, di, allein im Talon war, mußt, lachen.
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