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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.03.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-03-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960325027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896032502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896032502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-03
- Tag1896-03-25
- Monat1896-03
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Reclamen unter dem Redactionsstrich (4gr« spalten) üOxZ, vor den Familie»,mchricht«, (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis« verzeichuiß. Tabellarischer und Ziffernsa» nach höherem Tarif. Extra-Beilage» (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ob ne Postbesörderung »l 60.—, mit Postbesörderung 70.-. Äunahmeschluß siir Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. —»o—c>^— Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig Mittwoch den 25. März 1896. so. Jahrgang. »-SS-SSSSSSSNSSSMSS«» Politische Tagesschau. * Leipzig, 25. März. Der Reichstag bat gestern, nachdem er in zweiter Lesung die Capitulatwn deS Bundesraths in Sachen der Verwendung von Ueberschüssen der Jahre 1885—87 zur Schuldentilgung ratificirt und dann die dritte Lesung des Etats erledigt hatte, seine Osterferien angetreten. Wenn auch er der allge meinen Regel unterliegt, daß nur nach gethaner Arbeit sich gut ruhen lasse, so wird seine Feiertagsruhe keine sehr sanfte sein, denn außer dem Etat hat er in68Sitzungen nichts von Bedeutung zu Stande gebracht. Bei der Beurtbeilung dieses dürftigen Ergebnisses wird man allerdings in Betracht ziehen müssen, daß der Schwerpunkt der diesmaligen gesetzgeberischen Arbeit bisher in den Commissionen gelegen hat. Das Margarinegesetz und die Iustiznovelle, oie Vorlagen über die Erwerbs- und Wirthschastsgenossenschasten und gegen den unlauteren Wettbewerb, die nach der ersten Lesung zur Vorberathung an Commissionen verwiesen wurden, sind in diesen theils schon erledigt, theils so weil gediehen, daß sie nach den Osterferien sämmtlich zur zweiten Lesung im Plenum kommen werden. Ebenso hat die Com mission für das Zuckersteuergesetz die erste Lesung beendigt und die Börsengesetz-Commission schreitet mit ihren Arbeiten in letzter Zeit rasch vor. Das Plenum wird daher beim Wiederzusammentritt reiches Material vorfinden. Aber man wird — ganz abgesehen von dem durch Herrn I)r. Hammacher gekennzeichneten Beschlüsse der Budgelcommission, der den Abschluß der zweiten Etatsberathung verzögert hat — nicht umhin können, über schleppendes Tempo der Commissions- berathungen zu klagen. Am meisten im Rückstände ist die Commission zur Vorberathung des bürgerlichen Gesetz buches. Von den 2353 Paragraphen der Vorlage hat sie bisher etwa den dritten Theil erledigt. Wenn die Com mission nicht ein schnelleres Schrittmaß anschlägt, so liegt die Gefahr nahe, daß die Vorlage in dieser Tagung ent weder gar nicht mehr aus der Commission herausgelangt, oder doch zu spät für eine gründliche zweite und dritte Lesung au das Plenum zurückkommt. Angesichts des konservativen Antrag- Himburg zur Civilehe, der ultra montanen Wünsche zur Ehescheidung und der freisiunrgen Beschwerden Hegen die iu dem Entwürfe vorgesehene Regelung der öffentlich rechtlichen Seite des Vereinswesens mutz angenommen werden, daß die zweite Lesung des Ent wurfs im Plenum zu langwierigen Verhandlungen führen wird. Etwa noch in Aussicht genommene größere Vorlagen haben bei dieser Fülle der Aufgaben, die noch des Reichstags harren, keine Aussicht auf Erledigung. Hierhin gehört in erster Linie der Berlepsch'sche Entwurf über die Organi sation des Handwerks. Ehe dieser das Staats ministerium passirt hat, dürfte der Reichstag schon seine Pforten geschloffen haben. Kurz vor der Vertagung des Reichstags — am Montag — hat die socialdcmokratische Fraktion desselben eine schwere Niederlage erlitten. Der preußische Kriegs minister vollendete nicht nur die von dem Oberstaatsanwalt Drescher in der Gerichtsverhandlung über den Diebstahl deS „Armee-Verordnungsblattes" mit dem kaiser lichen Gnadenerlaß vom 18. Januar begonnenen Aufgabe, den „Vorwärts" deS Nimbus der geheimen Be ziehungen zu höheren Kreisen zu entkleiden und als den — Begünstigten von Dieben zu charakterisiren, sondern er übte auch an der Wahrheitsliebe des Führers Bebel eine so erbarmungslose Kritik, daß die ,,Genoffen" an dieser Abfertigung auf eine Weile genug haben dürften. Der ganze grenzenlose Aerger des Herrn Liebknecht über die Aufdeckung der Mittel und Wege, durch welche der „Vorwärts" jenen Nimbus um sich verbreitete, kam in der Vertheidigung zum Durchbruch, die dieser sonst so strenge Sittenrichter den Ehrenmännern angedeihen ließ, die nach ihm einen „ganz harmlosen Vertrauens bruch" begingen, als sie auf rafsinirte Weise den „Vorwärts" in den Besitz der gestohlenen Nummer des „Armee-Verordnungsblattes" setzten. Eine verlegenere Aus rede als der von den Abgg. Liebknecht und Bebel ver suchte Hinweis auf frühere Veröffentlichungen secreter Dinge in der bürgerlichen Presse und gar auf die Verwendung der geheimen Fonds von Seiten der Regierung ist nicht denkbar. Geradezu grotesk war Vie Behauptung Liebknecht's, die Veröffentlichung geheimer Aktenstücke im „Vorwärts" erfolge „im Interesse der öffent lichen Moral." Nun, diese „Moral" des „Vorwärts" ist am Montag von Herrn von Bronsart mit den richtigen Worten als gewerbsmäßige „Hehlerei" und Begünstigung des gemeinen Diebstahls charakterisirt worden. In Ver bindung mit der in zahlreichen Fällen zur Evidenz nachgewiesenen Unwahrhaftigkeit der „Methode Bebel" ermöglicht dasPlaidoyer deS Herrn Liebknecht eine Vorstellung von dem socialdemo- kratiichen Sittenkodex, wie er für eine Partei, die mit allem zur Zeit Bestehenden und Hochgebaltenen brechen will, aller dings nicht übel paßt. Der preußische Kriegsminister erwirbt sich ein wahres Verdienst dadurch, daß er sich der Mühe unterzieht, den Behauptungen Bebel's über Soldaten mißhandlungen und sonstige Vorgänge in der Armee genauer nachzugehen. Was er vorgestern darüber beibrachle, war für Bebel geradezu vernichtend. Tie beiden social demokratischen Parteigrößen Liebknecht und Bebel konnten sich am Schluffe der vorgestrigen Reichstagssitzung die Hände reichen in dem Bewußtsein, sich und ihre Partei nach Kräften — um mit Liebknecht zu reden — „an den Pranger gestellt" zu haben. Wie peinlich die Verlegenheit war, in die Herr Bebel durch Herrn v. Bronsart versetzt wurde, geht übrigens mit voller Deutlichkeit erst aus dem jetzt vorliegenden ausführlichen Sitzungsberichte hervor. Eine der interessan testen Episoden der Sitzung ist in den Berichten der meisten Zeitungen nur mit folgenden Sätzen erwähnt: Abg. Bebel: .... Jedenfalls verwahre ich mich dagegen, daß der Kriegsminister sich hcrausnimmt, mich der Unwahrheit zu zeihen. (Präsident v- Buol: Er hat nur von unbewußter Unwahr« heit gesprochen.) Soweit ich von Ungesetzlichkeiten und Willkür in der Armee gesprochen habe, habe ich immer nur an der Hand von Thatjachen gesprochen. Nach dem ausführlichen Sitzungsberichte spielte sich diese Episode folgendermaßen ab: Abg. Bebel: Ueber den Königsberger Fall ist mein Gewährs mann ein angesehener Bürger, der auch eine Beschwerde an den Kriegsminister emgereicht hat. (Minister v. Bronsart: (Anonym, anonym I) Dann — dann — dann — (Große Heiterkeit.) Herr Kriegsminister, Sie irren! (Unruhe. Der Kriegsminister, auf Bebel zutretend: Die Beschwerde war anonym!) Anonym! Ja, dann, dann — (Heiterkeit, Zwischenrufe.) — dann (große Heiterkeit). Nun, jedenfalls verwahre ich mich dagegen, daß der Kriegs minister sich herausnimmt (lebhafte Rufe: Oh, oh! Unruhe rechts), mich der Unwahrheit zu zeihen. Präsident Frhr. v. Buol: Der Minister hat Ihnen lediglich gesagt, daß Sie unbewußter Weise objektiv unwahre Thatsachen vorgebracht hätten. Abg. Bebel: „Wenn Miller jetzt ableugnet, was er früher ge schrieben hat, so hätte er sich das seiner Zeit besser überlegen sollen. Im Schweizer Nationalratb kam bekanntlich am 2l. März die im ganzen Lande mit großer Spannung er wartete Interpellation über die Gründe der Demission desCavatlerie-OberstenWille zur Sprache. Die Debatte hierüber füllte den ganzen Tag. Es bandelte sich um die Frage, ob der Bundesratb dadurch, daß er gegen den Vor schlag der Obersten Wille und Bleuler und des Vorstehers des Militairdepartements den aargauischen Ofsicier Mark- walder zum Commandanten beförderte, gegen die Vor schrift des Militairorganisationsgesetzes verstoßen habe. Die gesammte konservative und ein Theil ter liberalen Presse valte den Anlaß zu einer heftigen Campagne gegen den Bundesratb benützt, indem sie davon ausging, daß über die Verbindlichkeit jenes Vorschlags kein Zweifel bestehen könne. Die an sich berechtigte Kritik — der Wortlaut des Ar tikel 60, welcher von der Wahl „aus" dem Vorschläge spricht, ist vollständig klar — wurde dann aber in tendenziöser Weise ausgebauscht, und es wurde dem BundeSralbe der direkte Vorwurf gemacht, er lasse sich von politischen Freunden bei den militairischen Beförderungen beinflnssen. Die Mehrheit des Nationalralbs nun hat auch jenen berech tigten Kern verkannt und in überwiegender Mehrbeil dem Bundesratb ein Vertrauensvotum ertheilt. Daß dabei die eigentliche Rechtsfrage der formellen Verbindlichkeit oder Un verbindlichkeit des Vorschlags binter die rein politischen Er wägungen znrücktrat, stand zu erwarten, handelte es sich doch im Schlußeffect um die Erhaltung oder Erschütterung des Ansehens der obersten Landesbehörde. Aus der Dis kussion ging zur Entlastung des Bundesraths so viel hervor, daß das umstrittene Vorschlagsrecht im Schooße des Bundcsralhs schon seit längerer Zeit als unver bindlich aufaefaßl und gehandhabt wurde, und daß andrerseits Wille schon mehrmals versucht hatte, den Bundes rath durch Demissionsgesuche einzuschüchtern. Die Ge nehmigung des Vorgehens des Bundesraths durch den Nalionalrath sand in der Form statt, daß mit 76 gegen 40 Stimmen eine Motion gutgeheißen wurde, welche eine Klarstellung der Vorschlagsbestimmungen im Sinne aus drücklicher Unverbindlichkeit der Commissionsvorschläge ver langt. Damit ist die Stellung des Bundesraths für den Augenblick allerdings befestigt worden. Die öffentliche Meinung, welche eine solche Erweiterung der discretionairen Befugnisse der vollziehenden Behörde sehr ungern sieht, wird sich damit jedoch nicht so leicht zufrieden geben. Man mußte gespannt sein auf den Ton, den die russische Presse bei dem egyptischen Intermezzo anschlagen würde. Die „Nowoje Wremja" findet den Entschluß Deutschlands, dem Vorschläge Englands wegen der Verwendung des egyptischen Reservefonds zur Bestreitung der Kosten der Dongola - Expedition beizutreten, durchaus begreiflich. Italien sei nun einmal Deutschlands Verbündeter, und so entspreche es durchaus der Hochherzigkeit des Kaisers, im Interesse seines Verbündeten für den englischen Vorschlag einzutreten. Man sieht, die „Nowoje Wremja" unterscheidet sehr scharf, aber durchaus zutreffend zwischen einem Acte im Interesse Italiens und der För derung englischer Absichten. Die Einwilligung Deutschlands zur Verwendung des egyptischen Reservefonds, fährt das mit dem Auswärtigen Amt in Fühlung stehende Blatt fort, sei nur deshalb erfolgt, weil Deutschland glaube, daß Italien in Kaffala der Hilfe Englands bedürfe. Dies beweise jedoch nicht, daß der Dreibund bereit wäre, sich in einen Bier bund zu verwandeln. In dem Augenblicke jedoch, wo Kaiser Wilhelm II. die Ueberzeugung gewinnen werde, daß Italien auS der englischen Expedition nach Dongola keine Vortheile ziehen könne, werde Deutschland nicht versäumen, sich Frank reich und Rußland anzuschließen, die in der Sudan- Erpedition eine Gefahr für Egypten erblicken, welche auch die deutschen Colonien in Afrika bedrohen könnte. Aebnlick äußern sich die „Nowosti" und die „Petersburgskija Wjedo- mofti", welche meinen, die Londoner Regierung hätte die Zustimmung Deutschlands nur deshalb erlangt, weil man die Interessen Italiens in Kaffala als Grund der Sudan- Expetition angegeben habe. Auf der andern Seite findet sich in der (russischen) „St. Petersburger Zeitung" eine nicht minder interessante Erörterung über die egyplische Frage. Der bekannte Journalist Pierre le Mort kommt zu dem Er- gebniß, daß es sich bei der Okkupation Egyptens um ein LebenSintereffe Englands handele und daß man sich nicht darüber verwundern dürfe, daß das Londoner Cabinet nicht gewillt sei, auf die Räumung Egyptens einzugehen. Für die Auffassung, daß die internationale Commission für die egyp tische Schuld nickt einstimmig, sondern per iimzoiL beschließen könne, wird von englischer Seite geltend gemacht, daß die Commission ihre Verwaltungsaufgabe nur unter dieser Voraussetzung lösen könne. Sollte Ein stimmigkeit erforderlich sein, so hätte das ausdrücklich ftipulirt werden müssen. Ueberdies sei die Commission selbst gar nicht in der Lage, über diese Frage der Geschäftsordnung zu beschließen, denn auch in diesem Falle würde von Neuem die Frage auftauchen, ob der Beschluß per mmvru oder ein stimmig gefaßt werden müsse. Es ist von Interesse, welche Stellung Rußland zu dieser Frage einnehmen wird. Auch der Eongostaat plant einen großen Feldzug g'egen die Mahviftcn im oberen Nilgebiet, ob im Einver- stäudniß mit England, muß noch dahingestellt bleiben. Com- mandant DHanis ist am oberen Uelle erschienen, um das Vorgehen gegen die Derwische in die Wege zu leiten. Dort findet er bereits 150 belgische Officiere und Unter- officiere und 3000 schwarze Soldaten versammelt. Vom August bis März siub 150 Officiere und Unterofficiere über Antwerpen nach Afrika abgegangen, am 6. k. Mts. folgen ihnen weitere 23 Officiere und Unterofficiere nach; andere sind ihnen über Rotterdam und Lissabon gefolgt. Dbanis ist zum Aeußersten entschlossen und will 20 000, ja 30 000 Eingeborene bewaffnen und mit den Mabdisten (wenn's ihm glückt!) ebenso umspringen, wie er es mit den Arabern gethan. lieber die Lage am oberen Nil und ins besondere die Stellung des Congostaates daselbst giebt (wie schon kurz erwähnt) das „Mouvement göographique" eine recht zeitgemäße Uebersicht. Die Mahdislen wurden in den Jahren 1832—34 aus der Provinz Bahr-el-Ghafal erst durch die Belgier, dann aber vor Allem durch den Aufstand der Dinka vertrieben. Ihre südlichsten Stützpunkte am Nil sind Bor und Gaba Chamba, etwa 100 bezw. 300irm nördlich vonLado, durch die in ihrem Besitze befindlichen Dampfer beherrschen sie die Fahrstraße des Nil. Was nun die Belgier anlangt, die 1882 den Nil erreichten und in der Aequatorialprovinz zwischen Wadelai und Lado drei Stationen errichteten, so ist jetzt der Uelle die Operationsbasis für die Truppen de» Congostaates in ihrem Vordringen nach Nordosten. Vier stark befestigte Lager, die mit Kanonen ver sehen sind, erheben sich an den Ufern diese» Flusse«, näm lich von Osten nach Westen Djabbir, Uerre, Nyangara und Dogau. Das letzte hat «ine vorzügliche Lage am Zusammenflüsse des DonguflusseS mit dem Uelle. Es wird FettiHeton. Gottbegnadet. 8) Roman von Konrad Telman«. Nachdruck dirboten. Das Mahl verlief in heiterster Stimmung. Frau Marcella fühlte sich sichtlich angeregt und Harry sprudelte von über- müthiger Laune. Alle» Gemachte, Ueberreife und Blasirte fiel von ihm ab, er gab sich ganz als der jugendlich-lustige, durch eine Art von treuherziger Naivetät entzückende Natur bursche mit den feinen Formen der guten Gesellschaft, der er im Grunde war. Selbst die „weltschmerzliche Künstler locke", wie Asta von Flügge sie nannte, batte er von seiner Stirn zurückaestricken. Etwas Offenes und Freies war dadurch in sein Gesicht gekommen. Er erzählte mit viel Humor von seiner Laufbahn al» landwirthschaftlicher Volon- tair auf verschiedenen Gütern, deren Besitzer mit seinem Vater befreundet gewesen; wie er in den ersten Tagen immer vor Sonnenaufgang auf den Beinen gewesen, um in hoben Stiefeln und mit der Reitgerte sporenklirrend über den Hof zu schreiten und nach dem Rechten zu sehen, bi« er dann jeden Tag eine Stunde später aufgestanden sei, schließlich die Früharbeit am Flügel versäumt habe und die Gutsherrschaft, die ihn singen gehört, ihn selber gebeten, doch ja und ja die WirthschaftSbeaufstchtigung den Inspektoren zu überlassen und statt dessen ihnen etwa» vorzumusiciren. „Zuletzt blieben von der ganzen Herrlichkeit einzig noch die hohen Stiefel übrig, die ich trug, sagte er, und die habe ich noch beute." Und auf der landwirthschaftlichen Akademie war's auch nicht ander» gewesen. Professoren und Commilitonen batten ihn bloS wollen singen hören, — die reizendsten Abende hatten sie dabei mitsammen gehabt, — und er war immer auS- grlacht worden, wenn er einmal ein landwirtbschaftlicheS Lehrbuch vor sich aufgeschlagen gehabt, — bi« er denn zuletzt selber in diese» Lachen eingestimmt. „Ich glaube, ich batte auch zu feine Hände zum Landwirth", sagte Harry und zeigte sie nicht ohne einen Anflug von Eitelkeit, — „schmale, Weiße, wohlgepflegte Hände mit langen, spitzen Nägeln und kostbaren Ringen an den Fingern, — die paßten gar nicht reckt für die Carriöre. Wenn die Leute hörten, ick wollte Landwirth werden, lachten sie mich gewöhnlich au«." Und Frau Marcella und Thea mußten unwillkürlich gleich falls lachen. Dieses feingliedrige, vornehme, verwöhnte Herrlein sah wirklich nicht so aus wie ein allem Wetter und Wind trotzender Landwirth, der fest und behäbig auf der eigenen Scholle sitzt, die ihm feine Welt ist. Und doch mußte Frau Marcella denken: Das ist eben gerade das Schlimme, daß man ihn gar nicht ernstaft nehmen kann, außer allein, wenn er singt. Harry aß und trank mit der harmlosen Genußfreudigkeit eines KindeS. Er lobte Alles und man sah ihm an, daß es ihm ernst damit war. „Das ist doch nun reizend, solch ein Beisammensein!" sagte er alle Augenblicke. Nach Tische nahm man den Kaffee im Gartensalon, dessen Flügelthüren offen standen — draußen hatte es aufgehört zu regnen und eine feuchte Frische drang von Bäumen und Büschen herein —. Harry rauchte seine Cigarette und plau derte weiter. Er war in der glänzendsten Stimmung. „Wenn jetzt nur nicht Frau Asta wieder kommt", sagte er plötzlich. „Ist sie Ihnen nicht sympathisch?" fragte Thea neugierig, „man müßte nach Allem eigentlich denken, daß Sie beide in einem sehr nahen, freundschaftlichen Verhältniß stehen." „O — o ja", machte er gedehnt. „Gewiß. Sie ist eine von meinen vielen Freundinnen — von den jünger«, wissen Sie, denn ich habe auch alte, ganz alte. Eine von denen, die im Allgemeinen zu meinem Leben ganz nolhwendig gehören. Aber jetzt und hier kann ick sie durchaus nicht gebrauchen. Sie würde mir wieder das ganze Behagen stören. Im Ver trauen gesagt: sie ist furchtbar eifersüchtig." Er sah, daß Thea erröthet war, lächelte, stand auf und ging an« Clavier. Nachdem er ein paar Töne versucht batte, zog eine Wolke über seine Stirn. „Das ist dumm! Ich hab eS schon heute Morgen gemerkt. Meine Stimme ist etwas belegt. Es muß gestern Zlbend doch wohl unvorsichtig gewesen sein, daß ich so aus dem heißen Zimmer gradeSweg« in« Freie und an den Strand gestürmt bin. Aber ich konnte nicht anders. Ich hatte . ." „Dann singen Sie heute lieber nichtl" fiel Frau Marcella ein. „Sie sollen sich um unsertwillen keinesfalls anstrengen oder gar einer Gefahr aussetzen." „Pah!" lachte er. „Davon ist keine Rede. Ich ärgere mich ja nur, daß ich nicht ganz so gut werde singen können wie sonst, äck bin eitel." Und nun sang er. Man spürte von Heiserkeit in seiner Stimme nicht», höchsten« daß er sich manchmal, wie zur Schonung, nicht recht getraute, mit voller Kraft zu singen. Aber was er gab, war vollendet. Er gerieth auch immer mehr in Eifer und Leidenschaft beim Gesänge, seine Augen leuchteten, sein Gesicht war wie verklärt und durchgeistigt. Dazwischen sagte er einmal, halb wie zu sich selber: „Zu dumm, was mir das immer gleich für einen Schrecken ein flößt! Grade wie eine düstere Ahnung kommt's dann über mich." Und dann sang er weiter, mit einer Art von Trotz, oder wie um fick selber zu beruhigen und Lügen zu strafen. Und er fühlte jetzt, daß er kaum je schöner gesungen habe. Zuletzt — er war heute unerschöpflich — schlug er auf den Tasten wieder an: „Du bist die Ruh'". Dabei wandte er sich kalb um, sah Thea an und sagte: „Verzeihen Sie, eS ist vielleicht schon etwas abgedroschen für Sie. Aber ich muß eS singen. Nichts paßt besser für Sie. Ich möcht' es, wenn ich hier bin, immerfort singen und sagen: „Du bist die Rub', Du bist der Frieden. Wenn Sie wüßten, wie mir das von Herzen kommt und wohlthut! Mein Leben ist sonst so gar nicht ruh- und friedevoll. Aber gleich, als ich Sie zum ersten Mal sah — neulich, im Concert — und dieses Lied — es kam mir unwillkürlich, das müßt ich singen und zu Ihnen . . ." „Nun ist's aber genug der Vorrede", fiel Frau Marcella lachend ein. Harry drehte sich ganz um und lackte gleichfalls, während er ihr ganz freundlich zunickte. „Sie haben richtig schon wieder mal recht", sagte er, setzte sich zurecht und sang das Lied, inniger und hinreißender als je. Eine Quelle des Wohllauts schien sich aus seiner Kehle zu ergießen. Als er zu Ende war und aufstand, drückte ihm Frau Marcella ergriffen die Hand. Auch er selber war bewegt. Er vergaß ganz darüber, sein nach beendigtem Vortrag üb liches abgespannt-leidendes Gesicht zu machen — Asta nannte es das „Künstlermärtyrergesicht" —, sondern sah innerlich befriedigt und gehoben aus. In solchen Augenblicken fiel jeder Rest von allmählich zur Gewobnheit bei ihm gewordener Pose von ihm ab.' Er glühte noch von heißer Erregung. Und so trat er auf.Thea zu. „Sie haben mir eigentlich noch nie ein Wort über Mein Singe» gesagt, Fräulein." Thea war erröthet. „Ich?" fragte sie, „waS sollte ich —? WaS könnte Ihnen daran liegen, waS ich — „Bedürfen Sie wirklich noch deS Lobes?" siel Frau Mar cella ein. „Tragen Sie ihren Lohn nicht in sich? Es wäre seltsam." Harry gab keine Antwort. Er schien gar nicht recht aus die Frage gehört zu haben und sagte jetzt nur halb nach denklich: „Fräulein Thea ist gar nicht mehr so lustig wie damals, als ich sie im Walde traf — man könnte denken, es wäre wochenlang her. — Sie hat so etwa» merkwürdig Gesetztes bekommen. Wissen Sie waS?" fragte er dann, sich an Frau Marcella wendend, während er bis dahin die er- röthete Tbea angeblickt hatte, „ich glaube, im Grunde ist Fräulein Thea eine furchtbar strenge Natur, sie läßt gar nicht mit sich spaßen". Sie lackten alle drei. Dann schlug Harry vor, auSzu- geben. E« war Heller draußen geworden, hier und da brach die Sonne durch das jagende weißgraue Gewölk. Die Regen tropfen an Blättern und Aesten glitzerten wie funkelndes Geschmeide. „Wir sollten in den Wald fahren", sagte Harry. „Da muß es jetzt herrlich sein. Aufs Meer mag ich nicht. Ich habe eine kindische Furcht vor dem Meere. Ich glaub, ich müßte schon todesunglücklich sein, so daß mir an Leben und Sterben nicht mehr viel läge, wenn ich ein mal aufs Meer ginge." „Haben Sie denn niemals Sehnsucht nach fernen Länder» und Wundern gehabt?" fragte Frau Marcella. „Da sind wir Bewohner einer Handelsstadt so nahe dem Meere doch andere Menschen. Wir fahren in Gedanken mit jedem Segler in die Welt." „Das schon", erwiderte er. „Früher — als ich noch naivere Begriffe über Rang und Stand hatte als beute — bad' ich sogar immer davon geträumt, als Sänger nack Amerika zu gehen und auf einer Tournse eine halbe oder ganze Million zu verdienen. Es ist ein ganz angenehmes Bewußtsein, daß man das kann, wenn man wollte, und es doch nicht nötbig bat." Er drehte befriedigt seinen blonden Schnurrbart dabei. „Aber nun, bitte, lassen Sie unS auf brechen! Ich wette sonst, daß uu« Frau Asta doch noch in den Weg schneit. Sie spionirt mir gar zu gern nach, und ich möchte mit Ihnen Beiden lieber allein bleiben." Dieser letztere Wunsch Harry s ging jedoch nicht in Er füllung. Die Drei batten die Villa kaum verlassen, um den nächsten Waldweg einzuschlagen, al» ein Laufbursche auS Lindemann « Hotel auf sie zueilte, um ihnen, die Mütze in der Hand, ein Billet zu übrrbrinHen. „Natürlich von Frau Asta!" sagte Harry resignirt, während Frau Marcella da» Blatt, das an sie gerichtet war, aufriß. Und so war e» in der That. Asta schrieb, daß man bei dem unerwarteter Weise wieder sich aufklärenden Wetter eine Fahrt «ach dem Langenbcrg schleunigst improvisirt babe, ohne daß noch Zeit geblieben fei, Marcella vorher davon zu benachrichtigen. Man erwarte jedoch mit Bestimmtheit, daß sie Nachkomme»
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