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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.03.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-03-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960326019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896032601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896032601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-03
- Tag1896-03-26
- Monat1896-03
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I. bringt unter dem Titel: „Die Streitmacht unserer möglichen Feinde" eine Auslastung, die von unserer Seite nicht unbeantwortet bleiben kann. Es ist zwar hinlänglich bekannt, daß obige Zeitung bisher nicht zu denjenigen englischen Blättern zählte, welche von der Regierung benutzt zu werden pflegen. Allein die politischen Umstände, die dem obigen Artikel voraus gegangen waren, sowie die Thatsache, daß englische Blätter, die in der Regel das demokratische „Weltblatt" zu ignoriren pflegen, diesmal eine Ausnahme machten, verdienen doch Beachtung. Auffallend ist hierbei, daß keins dieser Blätter die materiellen Angaben der „Pall Mall Gazette" unzutreffend gefunden hat. DaS wäre an der Hand der sehr bekannten und allgemein zugänglichen Quellen doch nicht schwer nach zuweisen gewesen! Deutschland wurde dagegen die Ueber- raschung bereitet, neben Frankreich als der mögliche Feind aufgezäylt zu werden, der es auf eine Invasion Englands abgesehen habe. Die hierüber entwickelte Auffassung bleibt unberührt; doch erscheint unter bestimmten, nicht so weit außer Bereich deS Möglichen liegenden Umständen ein Offensivkrieg Frankreichs gegen England als kein besonderes Wagniß mehr. Unter dem Gesichtspunkt, daß Deutschland der mögliche Feind Englands sei, wird unser Heer einer Beurtheilung unterzogen. Sie hat das „Neue", daß ungefähr dasselbe vor etwa zwei Jahren, doch in einer Weise, welche sich wenigstens lesen ließ, als die Beobachtung eines russischen Officiers über die deutsche Armee im Druck erschien und in Deutschland vielfach besprochen wurde. Die „Pall Mall Gazette" hat offenbar aus der russischen Arbeit einige Stellen ent nommen und hoffte gewiß, einem vergriffenen Artikel unter englischer Flagge zu einem Werth auf dem politischen Markt zu verhelfen. Das Blatt ist aber so gütig, ein zuräumen, daß „die deutsche Armee in der Organisation und Vorbereitung für den Krieg von keiner anderen erreicht wird", doch macht die Zeitung den Vorbehalt, „soweit als solche Vorbereitung im Frieden möglich ist". Demgemäß müßte doch Wohl Krieg in Permanenz sein, weil nur aus diesem Wege eine Armee über diesen Grad der Vorbereitung hinausgelangen könnte. Ein Migverständniß kann nicht zu Grunde liegen, denn es heißt ausdrücklich „trrrirüug kor vrrr". Es giebt Theorien, die sich schön lesen, es giebt aber auch Erfahrungs sätze, welche jeder beachten sollte, der über solche Fragen schreibt. „Vorbereitung auf den Krieg" und Organisation hängen unzertrennlich mit dem Wehrsystem zusammen. Eng land hat seinen letzten europäischen Krieg in der Krim an der Seite Frankreichs, Sardiniens und der Türkei geführt. Es hat seitdem keinerlei Erfahrungen mehr sammeln können, seine Armeeorganisation ist die alte geblieben. Der Krim krieg bietet für die englische „Vorbereitung" und „Organisation" wieder ein so trübes Blatt in der Geschichte, daß englischer seits ein Hinweis daraus nicht provocirt werden sollte. „Die Ursache ihrer Erfolge", schreibt die „Pall Mall Gazette", „ist einfach die, daß sie (die Deutschen) ein auf die Besonderheiten ihres Volkes berechnetes originelles System langsam aufgerichtet haben. Allein eS giebt keine Organi sation dieser Art in der Welt, welche im Frieden vollendet werden könnte. Sie kann nicht das Vorhandensein eines wahren kriegerischen Geistes in den Reihen der Soldaten gewährleisten, wenn dieser Geist keine charakteristische Raffeneigenschaft ist." WaS bekundet dem gegenüber die Erfahrung? Diejenigen Armeen, gleichviel welchen Volkes, erwiesen sich im Kriege als die besten, die widerstandsfähigsten, welche in einer langjährigen Friedensschule durch einen wahren KriegS- mann für den Krieg erzogen, ausgebildet und organisirt wurden. Beispiele dafür anzuführen, ist gänzlich unnötbig. Eine Armeeleitung kann sich freilich über den Weg und das Ziel der Organisation und Ausbildung irren; das war zum Beispiel mit der jenigen Napoleon's HI. der Fall. Aber im Allgemeinen bleibt doch richtig, daß keine Organisation einer Armee mit der Dauer des Krieges sich vervollkommnet; was auf diesem Ge biet nicht durch voraussehende Friedenseinrichtungen erzielt wurde, was im Frieden nicht mit den staatlichen Ein richtungen cmporwuchs und diesen entsprach, kann während des Krieges nie mehr ersetzt werden. Aehnlich steht es mit der Ausbildung; im Kriege können am wenigsten Organisationssragen „vollendet" werden. Allerdings giebt es auf oer Welt nirgendwo eine „Vollendung". Die englischen und französischen Armeen zur Zeit ves ersten Kaiserreiches, des Krieges in Permanenz, beweisen das doch handgreiflich. Andererseits bat es, um zwei Beispiele aus der vater ländischen Geschichte anzuführen, keine vollkommeneren Heere gegeben als das preußische deS Jahres 1756 und das preußisch-deutsche von 1866 und 1870. Beide waren das Er gebnis der Organisation und Vorbereitung zweier Könige durch eine lange Zeil des Friedens aus Grund der Erfa hrungen des Krieges und unter der genialen Erkenntniß der Erfordernisse eines Krieges der Zukunft. In den Erfahrungen die Gesetze der Organisation und der Ausbildung für die Zukunft er kennen und demgemäß die Armee schulen, ist stets das Werk der Feldherrnnaluren und die wahre Ursacke ihrer Erfolge gewesen. Tadurck erzielten sie Vorsprung und Ueberlegenhett, und so wird eS bleiben. Die Frage des kriegerischen Geistes erledigt sich alsdann von selber, denn Alles, was geschieht, fußt auf der Kriegs wirklichkeit, ist der Niederschlag der Kriegslehren. Es fragt sich nur, was man unter einem kriegerischen Geist verstehen darf. Ist er identisch mit erobe- rischem Geist, so verzichten wir gern darauf. Soll aber darunter der Ausdruck des Seelenlebens und der Seelen kraft der einzelnen in den Reihen stehenden Soldaten ver standen werten, so möchten wir an das englische Blatt die Frage richten, ob es eine Armee anführen kann, vor der die unserige die Segel streichen müßte. Nickt einzeine Truppen- theile, die Armee in ihrer Gesammthert hat 1870/71 eine unverwüstliche Seelenkraft bethätigt, ohne doch dem Rassen haß und seinen verwerflichen Auswüchsen zum Opfer zu fallen. Sie stand am Ende dieses blutigen Krieges frisch, kräftig und entschlossen da und wäre bereit und im Stande gewesen, einen neuen Krieg zu beginnen. Diesen kriegerischen Geist nennen wir den milita irisch en, weil wir damit den Einfluß ter Sitten und Civilisation auf die kriegerische Urnatur des Menschen veranschaulichen wollen und durch die Thal veranschaulicht haben. Das hat uns bisher erst noch eine Armee in ihrer Gesammtheit nach zumachen. In dieser Beziehung nehmen wir mit berechtigtem Stolz für den militairischen Geist unserer Armee Bezug auf die Worte eines ehemaligen gegnerischen Generals, nämlich Trochus. Er schreibt in Isturmöe Iram;ai86 eu 1879: „Wenn einstens die Zeit gekommen sein wird, die Tage der Ver gangenheit ohne Voreingenommenheit zu betrachten, so wird Niemand dem Auftreten der deutschen Armee und der Art, Allen mit Achtung zu begegnen, die Anerkennung vorentbalten dürfen. Eine halbe Million Menschen, trunken durck eine Reihe von Siegen sondergleichen, lebte ein halbes Jahr lang mit unseren Bewohnern zusammen, ohne daß auch nur eine Frau gewaltthälig behandelt worden wäre." Die Armee, welcher neben ihren Siegen ein solches Denkmal von einem ihrer tüchtigsten und durch Wahrbeitsdrang bekannten Gegner gesetzt worden ist, bat den wahren kriegerischen Geist, der sich unter allen Verhältnissen und Unbilden be währt, sei es der fanatische Haß des Gegners, seien eS die Opfer des Kampfes, seien es die unendlichen Mühsalen eines Sommer- und Winterfelozuges ohne Unterbrechung. Eine solche Armee kann nur das Product einer zeitgemäßen Organisation und Vorbereitung sein, daS mühsame Werk des Friedens. Natürliche und sittliche Kräfte stärken diesen militairischen Geist und man kann mit Fug und Recht sagen: Wie das Volk, seine Sitten, seine Religion, seine Bräuche, seine politische Gesinnung, so die Armee. Unsere Armee empfand die unserem Könige zugcmutbete Demütkigung als eine Kränkung; Ehrgefühl und Nationalgefühl bäumten sich dagegen auf, und die Armee hat Wort ge halten in Allem, was sie gelobte. Ihr Geist blieb kräftig, ehrlich, opferwillig. Sie beschmutzte nickt durch Desertionen ihre Fahnen. „Nun trifft es sich im gegenwärtigen Augenblicke sehr günstig für uns. daß der Deutsche kein wirtlich streitbarer Mann ist. Er wird nicht kämpfen um des Kampfes willen, obgleich, wenn er überwunden oder bedrängt ist, sein strenges angeborenes Pflichtgefühl ihn zu einem so hartnäckigen Feind macht, wie man einen nur finden kann ", sagt die „Pall Mall Gazette". Nein, aus Raufbolden besteht Gott sei Dank unsere Armee nicht. Aber, worin das „sehr Günstige im gegenwärtigen Augenblick" bestehen sollte, ist doch unverständlich. Unsere Armee wird mit demselben Pflichtgefühl wie in der Vergangenheit gegen jeden Feind marschiren, sobald der Kaiser es befiehlt. Und mit diesem Pflichtgefühl sind wir vollständig zufrieden und verzichten alsdann auf jede Phrase. Wir können jedoch sagen: Wenn wir das in unseren Kriegen leisteten, was die Geschichte ver zeichnet, obne bedrängt worden zu sein, ohne die sogenannte „schwere Noth" des Krieges erduldet zu haben, dann wäre doch die logische Folge, daß wir unter „der schweren Noth des Krieges" noch Größeres leisteten. Man soll verschiedene Zeilen, verschiedene Einrichtungen nicht vergleichen. Was Preußen 1813/15 gethan, könnte immerhin nützlich sein, recht ernst erwogen zu werden, nachdem in diesen Geist das ganze deutsche Volk hineing.'wachsen ist. „Es wird allgemein vorausgesetzt, daß die Deutschen im Jahre 1870 ausgezeichnet fochten, aber dies ist bei Weitem nickt der Fall. Sie siegten, weil die Heeresleitung die Ein sicht hatte, keine zu hohen Anforderungen an sie zu stellen, und immer dafür gesorgt bat, hinreichende Massen für die specielle Aufgabe in der Hand zu haben, und überdies fanden sie in der außergewöhnlichen relativen Vortrefflichkeit ihrer Artillerie, nachdem sie erst gelernt hatten, sie zu gebrauchen, ein Werkzeug, mit welchem sie den Widerstand niederhalten konnten, bis die Truppen, die sie in der Hanv behielten, im Stande waren, i^n sicher zu überwinden" — heißt «S weiter in der „Pall Mall Gazette". Richtig hieran ist nur daS Eine, daß der Krieg von 1870 die Armee inmitten einer beabsichtigten Um bewaffnung der Infanterie und der Reglementarisirung ihrer Fechtweise überraschte; daß wir mit einem Gewehr, welches dem französischen um das Dreifache unterlegen war, in den Krieg zogen und mit einer Taktik, welche zwar manches Neue in sich ausgenommen, aber daneben viel Ueber- lebteS bewahrt hatte. Die ganze Infanterie batte das Be wußtsein, daß diese Taktik nicht mehr auSreichle. Allein die ganze Armee hat trotzdem bis zum Finale des Krieges den Geist deS Angriffs bewahrt und bethätigt. Welche andere Armee kann obne Unterbrechung auf so vielen und verschiedenen Kriegsschauplätzen dasselbe auf weisen? Der Geist des Angriffs erlahmte weder gegen das kaiserliche Berufsheer noch gegen das re publikanische VolkSbeer. Und was ist denn dieser Geist des Angriffs Anderes als die Entfaltung der Seelenkrast des Heeres, als der kriegerische oder in unserem Sinne der mililairische Geist?! Eine Artillerie mag noch so sehr der gegnerischen überlegen sein, sie kann niemals eine so große Unterlegenbeit in der Jnfanteriebewaffnung wett machen, wie sie auf unserer Seite bestand. Unsere Fecklweise zeigte an fänglich in der That die aus obigen Umständen mit Notb- wendigkeit folgenden Mängel. Nach den Augustscblachlcn wußte die Infanterie jedoch allgemein eine zweckmäßige Taktik zu improvisiren, und es ist ein glänzendes Zeugniß für die taktische Vorbereitung im Frieden, sowie für unsere Fcchtkunst, daß ohne irgend welche Bestimmungen auf so vielen verschiedenen Kriegsichauplätzen die richtige Fechtweise gefunden und bethätigt wurde; es war die Folge deS allgemeinen und hoben Grade» taktischer Entwickelung in der Armee. Ob im Angriff oder der Vertbeidigung, auf allen Kriegsschauplätzen gegen die Republik tritt unsere überlegene Fechtweise bervor. Durch sie haben wir in diesem Kriege hauptsächlich gesiegt. Beaune, Loigny, Le Mans, Cravant, Bapaume und St. Quentin, Villiers und Mont Valerien, Nuits und die Lisaineschlacht sind dafür Beispiele im Großen. Zn diesem Schluffe müßte ein unparteiisches, wahres Urtbeil kommen. Und die Anforderungen! Von uns ist kein größeres Schlachtfeld der Neuzeit unbesichtigt gelassen. Das. was von unserer Infanterie bei Wörth, Spickeren, Vionville, Gravelotte — St. Privat, später bei Beaune, Loigny, Bapaume, Le Mans und St. Quentin gefordert worden und geleistet wurde, läßt sich freilich erst beurtbeilen, wenn man diese Schlacktfelder aus persönlicher Anschauung genau kennt, wenn man selbst durch eigene Erfahrung weiß, was Truppen leisten können. Derjenige, dem Beides nicht zu Gebote steht, kann keine Armee richtig beurtbeilen. So lange es Kriegsruhm geben wird, werden die An forderungen. die an die deutschen Truppen gestellt wurden, an ihren „kriegerischen" Geist, schwerlich jemals überboten werden. Zunächst der Stellungen wegen, welche zu nehmen waren, mehr noch wegen der Tüchtigkeit der feindlichen Armee. Dies möge man in Englanv bevenken! Diese kaiserliche Armee wurde freilich weder mit Geschick noch mit Glück geführt, allein es war die beste Armee zum Schlagen, welche Frank- re i ck jemals besessen bat. Sie war auch von hohen militairischen Tugenden erfüllt. Ihre Leistungen lehren es. Sie ging mit Ehren unter. Die deutsche Armee bat darüber niemals cynisch triumphirt, sie hat dem ehemaligen Gegner immer ein echt soldatisches Mitgefühl bekundet, aber ihr Rubin bleibt es doch, gerade Liese sieggekrönte Armee niedergeschlagen zu haben. Hätte jede andere Armee es ge leistet? Die Erfahrungen, welche über die Engländer in der Krim vorliegen, sprechen wahrlich nicht dafür. Deutsches Reich. H. Berlin, 25. März. „Volker Europas, wahrt eure heiligsten Güter!" So überschreibt der „Reichsbote" einen Artikel, in dem die facultative Eivilebe verlangt wird und zwar als unumgänglich notbwendigeS Abwebrmittel gegen die Socialdemokratie. Mit der obligatorischen Eivilebe, so wird auSgefübrt, erscheine der Staat als Versucher zum Bösen, nämlick zum Verzicht auf die kirchliche Einsegnung. Nun, wenn das wahr ist, so hat sich der Staat in den zwanzig Jahren seit Einführung der Eivilebe im Reiche und in den beinahe bundert Jahren seit ihrer Einbürgerung im deutschen Westen als ein recht dummer Teufel gezeigt. Er hat sehr Wenige verlockt; denn die vier oder fünf Procent der jungen Paare, die der Eheschließung nicht die Trauung folgen ließen, waren ihm schon vorder verfallen. So viel ist sicher und kann auch vom „Reichs boten" nicht bestritten werden: wer beute vom Standes amt nicht zur Kirche geht, der wäre vor 1876 auch nicht gegangen, wenn er nicht gemußt bätte. Nun bätte es — zwar nicht religiös, auch nicht kirchlich, aber vom Standpunkte des bei einzelnen Geistlichen vorhandenen Dictaturbedürfnisses angesehen — noch einen Sinn, wenn man die jetzt Wcgbleibenden durch den Staat holen ließe. Aber das will der conservative Antrag nicht, er überläßt die der Kirche Verlorenen ihrem Schicksal und stiftet Verwirrung unter Denen, die sich ihr treu erwiesen haben — das Eine wie Las Andere natür lich bebufö Beeinträchtigung der Socialdemokratie. „Das christliche Volk", sagt der „Reichsbote", „will nicht eine künstlich theoretische Scheidung von Staat und Kirche." Gut, aber diese Scheidung kommt nicht bei der obligatorischen, sondern bei der facultativen Eheschließung zum Vorschein. Tie erstere gestattet Jedermann, zu sagen: Staat und Kirche, die letztere drängt den Brautpaaren die Wahl auf zwischen Staat oder Kirche. DaS „Gegenüber" ist also hier, während dort ein bewährtes Nebeneinander anzu treffen ist. Berlin, 25. Mär». Das preußische Abgeord netenhaus hat seine Osterferien angetreten. Die erste Hälfte seiner diesjährigen Thätigkeit liegt damit hinter ihm, und es geziemt sich, einen Rückblick auf dieselbe zu werfen. Wenn die Zahl der Sitzungen eines Parlaments einen richtigen Maßstab für seinen Fleiß abgäbe, Feuilleton. Ein Zimmerschmuck. Skizze von M. Schoenau. Nachdruck verboten. Eduard und Lisbeth waren nun schon seit fünf Jahren verheirathet, und um ihr Glück vollkommen zu machen, fehlten ihnen nur ein paar kleine Schreihälse, die noch etwas mehr Leben in ihr behagliches, aber recht stille» Heim gebracht hätten. Die ersten Jahre hatten sie ruhig gewartet auf diesen GotteSsegen, aber al» sich dieser immer noch nickt einstrllen wollt«, beschlossen sie vorläufig, mit dem oder jenem Surrogat sich zu behelfen. Zunächst war ein Aeffchen dem kleinen HauSstande ein- verleibt worden. Joko war ein liebe» und drolliges Thierchen, und LieSbeth wollte sich oft halb todt lachen, wenn Joko sich in anerkrnnenSwertber Liebe zur Reinlichkeit über Eduard'» Seife hermachte und sich die zierlichen Pfötchen damit ein rieb. Als aber Joko einmal unter da» Meißener Porzellan im Buffet gerathen war und sich damit belustigt hatte, die glatten Teller mit dem hübschen blauen Muster als Wurf geschosse gegen eine sehr kostbare antike Base zu benutzen, sand auch LieSbeth die Sache ganz und gar nicht mehr komisch. Joko wurde an eine altere Tante verschenkt, von der ohnedies keinerlei Erbschaft zu erwarten war. Sein Nachfolger wurde «in prächtig gezeichneter Papagei, der nach der Versicherung de- Verkäufer« alle» Mögliche sprechen und pfeifen konnte. Während der ersten vierzehn Tage hüllte sich der alte Herr mit dem grünen Gefieder in mürrische» Schweigen und gab keinen Ton von sich. Eine» Morgen» acker thaute er auf und Eduard unv Lisbeth hörten voller Entzücken, wie energisch er die „kleine Fischerin" zu pfeifen begann. Er pfiff dieses schöne Lied dann freilich drei Tage lang unaufhörlich von Morgens bis Abends, und zwar so falsch, wie nur irgend eine lebensmüde Drehorgel es ver mocht bätte. Eduard begann nervös zu werden und setzte sich in den Kops, dem Papagei eine andere Melodie beizu bringen. So saß er denn Stunden lang vor dem Messing bauer und pfiff dem Papagei mit Todesverachtung immer wieder daS Lied vor: „Wer will unter die Soldaten, der muß haben ein Gewehr . . ." „SblipS" — der Papagei hieß Shlips — ließ sich das eine Weile gefallen, dann sträubten sich ihm die Fevern auf dem Kopfe und er krächzte ein gurgelndes „Schafskopf" hervor. Frau Lisbeth rief entzückt: „Siehst Du, er kann auch sprechen!" Aber Eduard war beleidigt und gab es auf, ShlipS einige höhere musikalische Bildung beizubringen. Sobald er sich seitdem in der Nähe des Papageis sehen ließ, begrüßte ihn dieser stets mit demselben verächtlichen „Sckafskopf", mit dem das Sprechvermögen des guten Shlips überhaupt erschöpft zu sein schien. Auf die Dauer konnte Eouard sich solche Behandlung natürlich nicht gefallen lassen, unv so wurde sehr bald auch SblipS weiter ver schenkt. Eduard beglückte mit ihm einen Vetter, den er schon lange nicht leiden konnte. Ein völliger Bruch zwischen den beiden Verwandten war die Folge dieses Geschenks. Eduarv und Liesbeth beschlossen in Folge dieser unlieb samen Erfahrungen, in Zukunit nur noch ganz unschuldige und möglichst unhörbare Hausihiere bei sich zu dulden. Da der Geburtstag der jungen Frau vor der Thür stanv, kam Eduard auf den seiner Ansicht nach sehr glücklichen Ge- danken, sic außer allerlei Kleinigkeiten und den üblichen sechs Töpfen Liebig'S Fleischextract, worauf sie als Hausfrau sekr hielt, durck Ueberreichuug eines Aquariums zu erfreuen. Ein Aquarium, calculirte er, enthält nicht blos eine große Anzahl sehr niedlicher und Lazu gänzlich stummer Thierchen, sondern seine Pflege und Instandhaltung verschafft mir auch eine an genehme Zerstreuung für meine Mußestunden, und außerdem bildet es einen sehr gefälligen Zimmerschmuck, durch den unser Salon nur gewinnen kann. Am nächsten Tage ging Eduard ganz in der Frühe zu dem alten Händler, bei dem er schon Joko und Shlips erstanden batte unv der auch mit Aquarien nebst den dazu gehörigen Fischen, Eidechsen, Salamandern rc. ein schwunghaftes Geschäft betrieb. Der alte Herr Kuntze begrüßte seinen bewährten Kunden mit freundlichem Lächeln. „Nun, wollen Sie wieder ein Aeffchen oder ein Papa- geichen kaufen? Es ist'ne ganz hübsche Sendung angekommen, lauter feine Waar?!" „Um Gottes Willen, Herr Kuntze, lassen Sie mich damit in Ruhe. Habe grade genug davon. Ein Aquarium will ich haben und eine Collection dazu paffender Fische." Bei dem Worte „Aquarium" war ein Schatten wie von stiller Sorge über Herrn Knntze'S milde Züge geflogen, aber gleich darauf lächelte er wieder menschenfreundlich und sagte mit leichtem Achselzucken: „Ein Aquarium wollen Sie? Das können Sie auch haben. Bitte, bemühen Sie sich nur ins Hinterzimmer." Eduard folgte dem voranschreitenden Kuntze und batte bald einen geräumigen, viereckigen und oben offenen Glas kasten herau-gefunden, der sich vortrefflich zu einem Aquarium eignete. Herr Kuntze schmunzelte behaglich: „Sie sollen mal sehen, WaS für einen reizenden Zimmerschmuck daS abgiebt!" „Nicht wahr?" rief Eduarv leuchtenden AugeS. „Ich will ja auch meiner Frau damit eine Freude machen! Sie hat morgen Geburtstag." „Ihre Frau Gemahlin wird sich herzlich freuen", meinte svrr Kuntze wohlwollend. „Nun suchen Sie sich nur noch ein paar hübsche Fischchen auS, einige Wafferkräuter und einen Felsen . ..." „Einen Felsen? Wozu einen Felsen?" „Ohne einen Felsen ist ein Aquarium überhaupt nickst denkbar. Das ist doch gerade der Zimmerschmuck!" Eduard gab sich zufrieden und nahm zu den paar Dutzend Stinten, Quabben, Schnecken, Eidechsen und Sala manLern, die ihm Herr Kuntze sorgfältig einpackte, auch noch einen Felsen. „WaS kostet denn der Felsen?" fragte er jedoch vorsichtig. „Sechs Mark." „Sechs Mark? So ein einfaches Stück Tuffstein? Das ist aber kolossal tbeuer!" „Ja, sehen Sie, an den Fischen und dem übrigen Zeug ist Nichts zu verdienen. Bei Aquarien machen wir ein Ge schäft nur am Felsen." Eduard bezahlte seine Rechnung, nahm seinen GlaS käste», seine Fische und seinen Felsen und ging nach Hause. Mit Tagesanbruch schon war er wieder auf dem Posten, um seinen neuen Zimmerschmuck in Ordnung zu bringen, und daS Dienstmädchen mußte mehr als zwei Eimer Wasser in den Salon schleppen, um das umfangreiche GlaSbassin ge nügend zu füllen. Endlich war Alles in Ordnung, die Fische schwammen lustig zwischen den Algen und Kräutern Kerum, und nur der Felsen wackelte noch ein wenig. Frau Lisbeth wurde nun hereingerufen, um neben den übrigen Geburts tagsgeschenken auch daS neue Aguarium gebührend zu be wundern. Eduard stand vor seiner Schöpfung in stummer Rührung, an der sich anfangs auch Lisbeth zu betheiligen schien. Als sie aber nun daS Aquarium näher besichtigte, sagte sie plötzlich ängstlich: „Eduard ..." „WaS denn, Lisbeth, wa» hast Du denn?" „Etuard. ich glaub«, e» leckt!" „Es leckt? Nicht möglich!"
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