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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.06.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-06-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980628023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898062802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898062802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-06
- Tag1898-06-28
- Monat1898-06
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Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr. di« Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Vedarlion «nd Erpe-Mo«: Iohanitesgafie 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Filialen: Otto Klemm'» Tortini. (Alfred Hahn), Universitätsstraßr 3 (Paulinum), Laut» Lösche, Katharinenstr. 44, Part, und KönigSplatz 7. Bezugs-Preis id Ur Hanptexpedition oder den im Stadt» bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgrholt: vierteljährlich ^»4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau« 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich ti.—. Directe tägliche Kreuzbandsendung in» Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. MpMer TagMM Anzeiger. Amtsblatt des königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes «nd Nolizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-PreiS die S gespaltene Petitzcile 20 Pfg. Neclamen unter demRedactionSstrich (»ge spalten) 50^, vor den Familieanachrichtea (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen«Ausgabe, ohne Postbrförderung SO.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgab«: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 322. Dienstag den 28. Juni 1898. 92. Jahrgang. Der spanisch-amerikanische Krieg. —k>. Die Eroberung Santiagos wird ein hartes Stück Arbeit werden. Zwar scheinen Juragua und Sevilla, von denen das letztere nicht weiter als eine deutsche Meile von der Stadt entfernt liegt, trotz der Verluste, welche die Ameri kaner bei den Vorpostenkämpfen vom Freitag erlitten, von Shafter besetzt zu sein, aber der Plan der Spanier dürste der sein, den Feind durch planmäßiges Zurückweichen so viel wie möglich auS dem Bereich der amerikanischen Schiffs kanonen in das Gebirge zu locken und einem entscheidenden Kampfe nur auS dem Wege zu gehen, bis die von Manza nillo und Holguin (ersteres westlich, letzteres nördlich von Santiago) abgegangenen Verstärkungen eingetroffen sind. Allerdings können die spanischen Hilfstruppen bei den fortgesetzten Angriffen der Insurgenten auf den aufgeweichten Wegen nur sehr langsam vorwärts kommen, allein noch schwieriger gestaltet sich der Vormarsch für die Amerikaner. Zuverlässige Nachrichten stimmen darin überein, daß derselbe dadurch verzögert wird, daß man die Artillerie nicht vor wärts bringen kann. Es fehlt an Pferden. Schon Anfangs war an Pferden Mangel, viele kamen auf dem Transport um und mehrere gingen seit der Landung zu Grunde. Leichte Artillerie befindet sich auf der Straße von Iuragua nach Sevilla, die Belagerungsgeschütze liegen aber noch da, wo sie auSgeladen worden sind. Dabei herrscht eine erstickende, entnervende Hitze. Die spanischen Operationstruppen sind an solche klimatische Ver hältnisse seit drei Jahren gewöhnt und einigermaßen gegen das Fieber immun, aber die neuangekommenen Amerikaner muffen in dieser Hinsicht ein böses Lehrgeld zahlen. Das ist auch hauptsächlich der Grund, weshalb, wie uns telegraphisch gemeldet wird, in Chattanooga noch 15 Reserve-Regimenter zur Abfahrt nach Cuba bereit gestellt sind. Tie Amerikaner geben sich auch durchaus keinen Illusionen hin. So berichtet man uns: * New Uork, 28. Juni. (Telegramm.) Ein Berichterstatter bei den amerikanischen Truppen am Rio Guama meldet vom 26. d. M.: Die Avantgarde der Amerikaner lagert an dem User de« Rio Guama; die Stadt Santiago ist in einer Entfernung von 5 (eng lischen) Meilen in westlicher Richtung sichtbar, vier Batterien mit je vier Gatlingsgeschützen sind aus dem Kamme eines Hügels aufgestellt, der die Thalmulde dominirt, in deren Mitte Santiago liegt. Die amerikanischen Officiere erkennen die Schwierigkeit, die Stadt, die gut befestigt ist, zu erobern. Die meisten von ihnen vertreten die Ansicht, daß es unnütz sei, einen Angriff auf die Stadt zu unternehmen, bevor beträcht liche Verstärkungen an Belagerungs-Artillerie ein getroffen seien. Den „Central News" wird auS Sevilla de Cuba ge meldet, Kundschafter sagten auS, daß Linares in Santiago die größten Anstrengungen mache, um die Stadt zu ver- tbei di gen. Er hat Schanzgräben um dieselbe aufgeworfen und sieben Linien Stacheldraht jenseits der Gräben gezogen. Es müsse daher ein furchtbares Gemetzel geben, wenn die Amerikaner die Stadt zu erstürmen versuchen sollten. Die Nachrichten der englischen Blätter constatiren übereinstimmend, daß sich in Amerika die Ansichten über die Lage in Santiago geändert haben. Die Einnahme der Stadt war für Sonntag bestimmt angesagt, jetzt heißt eS, daß große SiegeSsreude herrschen werde, wenn man in dreißig Tagen Santiago habe. T? In Madrid kritisirt man den Befehl Cervera's zur Theil« nähme seiner 2500 Mann zählenden Schiffsbesatzungen an den Landkämpfen. Man fürchtet, sie könnten für den Fall, daß sie sich nach ihrer Ausschiffung von Santiago entsernt -aben, von den Schiffen abgeschnitten werden und diese dann dem Feind ziemlich wehrlos in die Hände fallen. Diesem Vorwurf begegnet Cervera von vornherein mit dem Hinweis darauf, daß die Entscheidung jetzt auf dem Lande liegt und daß, wenn es den Amerikanern gelingt, Santiago und die Bucht einzuschließen, auch die Schiffe verloren sind. Die „Colon" und die „Bizcaya" sind so ausgestellt, daß sie mit ihren schweren Geschützen die Hafeneinfahrt beherrschen. Wir hatten die Meldungen von der Einnahme Manilas als verfrüht bezeichnet. Thatsächlich waren sie es auch, wie aus folgender Nachricht hervorgeht: * Madrid, 28. Juni. (Telegramm.) Depeschen aus Hong, kong melden, daß die Lage auf den Philippinen unverändert ist. Die Spanier halten Manila immer noch besetzt. Sie haben neue Laufgräben ausgeworsen. Eine Bestätigung findet diese Nachricht in der bereits mitgetheilten des Correspondenten des „Neuter'scken Bureaus" in Manila. Ausfallend ist, daß die lange fällige ameri kanische Transportflotte noch nicht bei den Philippinen ge sichtet ist, jetzt wo uns aus San Francisco vom 28. Juni gemeldet wird, daß weitere Occupationstruppen, nämlich 4000 Mann auf den Transportschiffen „Obar", „City of Para", „Morgan City" und „Indiana" nach Manila in See gegangen seien. Die in Port Said eingetrosfene spanische Flotte unter Admiral Cümara bat, wie allgemein angenommen wird, den Befehl, nach den Philippinen zu fahren. Nach der von den sechs Großmächten, Spanien, der Türkei und den Niederlanden unterzeichneten Convention vom 29. October 1888 ist der Suezcanal zu allen Zeiten für alle Schiffe, Kriegsschiffe wie Kauffahrteifahrer, offen, doch dürfen im Canal selbst, sowie in den Gewässern an den Enden desselben in einer Ausdehnung von drei Seemeilen keine feindseligen Handlungen von den Kriegführenden auSgeführt werden. Die Einfahrten in den Canal dürfen nicht blockut werden und der Aufeu.haU von Kriegsschiffen der Kriegführenden oder deren Prisen in den Häfen an den beiden Enden des Canals darf nicht vierund zwanzig Stunden überschreiten und die Kriegführenden dürfen weder im Canal, noch in den Häfen Truppen ausschiffen oder Kriegsmaterial verladen. Unter diesen Umständen ist es nicht recht verständlich, wenn der Washingtoner Corre- spcndent eines Londoner Blattes meldet, er habe von einem hohen Beamten erfahren, daß lebhafte Verhandlungen mit England im Gange seien, um die Durchfahrt des Geschwaders Cämara's durch den Suezcanal zu verhindern. Abzuwarten bleibt, ob wirklich ein amerikanisch es Ge schwader nach Spanien fahren wird. Das Washingtoner Marine-Departement veröffentlicht schon eine Kundmachung, welche eine Zusammenstellung der Schiffe enthalt, die das zum Angriff auf die spanische Küste bestimmte Geschwader unter Commodore Watson bilden werden. Zum Admiral- Schiff sei der Kreuzer „Newark" bestimmt. Die anderen Schiffe seien: die Panzerschiffe 1. Classe „Iowa" und „Oregon", sowie die Kreuzer „Iosemite", „Zänker" und „DixeS". Drei Kohleoschiffe werden die Flotte be- i gleiten. Das bedeutet eine Schwächung der Streitkraft ! Sampson's vor Santiago, die möglicherweise Cervera Luft I schafft, so daß es ihm vielleicht gelingt, anS seiner Mause alle zu entkommen. Daß man die spanischen Küsten ebenso venig wie die Canarischen Inseln von Kriegsschiffen entblößt ;at, ist nicht anzunehmen. Commodore Watson wird also nicht ohne Gruß empfangen werden. Wie uns auS Madrid gemeldet wird, schloß die Negierung soeben mit einem ita lienischen Agenten einen Vertrag ab, nach welchem derselbe binnen sechs Wochen für Spanien zehn größere Schnelldampfer zujliefern hat, welche theilS als Hilfskreuzer, theils als TranS- wrtschiffe Verwendung finden sollen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 28. Juni. Die zuletzt bekannt gewordenen Stichwahlergebnisse "ind besonders günstig für das Centrum, das allerdings die Stärke, zu der es durch die Wahlen von 1890 angewachsen war, im neuen Reichstage nicht völlig erreicht, aber immerhin sehr zufrieden sein kann. Die Wahltaktik freilich, die ihm zu diesem Erfolge verholfen hat, wird ihm manche Ver legenheiten bereiten. Es hat bereits die Gunst der „Köln. Ztg." eingebüßt, die ihm in letzter Zeit mancherlei Gutes nachzurühmen wußte und eö als bündnißsähig ansah. Heute schreibt das rheinische Blatt: „Einen häßlichen Flecken, der nicht so leicht vertilgt werden kann, hat das Centrum durch seine nichtsnutzige Wahltaktik aus leinen Schild gebracht. Man sollte sagen, unter anständigen Menschen sei es selbstverständlich, daß man bei der Stichwahl dem jenigen seine Stimme gibt, der einem politisch, geistig, social und wirthschastlich am nächsten steht. Jede andere Abmachung kenn zeichnet sich von selbst als ein unsittlicher Schacher. Das Centrum bekennt sich nun aber ohne jede Scham zu dem Grundsatz der absoluten Grundsatzlosigkeit; es erklärt ganz cynisch, wenn wir in der Stichwahl vernunftbegabte Leute unter stützen wollten, so könnte sich ja leicht der Fall ereignen, daß das Centrum bei der Mehrheitsbildung entbehrlich würde. Deshalb begünstigt das Centruin bei der Stichwahl erprobte Neinsager, wilde Männer, politische Trottel, die über jeden Ver dacht erhaben sind, als könnten sie sich jemals rcalpolitischen Erwägungen zugänglich erweisen. Man weiß wirklich nicht, soll man sich mehr über die krankhafte Kleinlichkeit und Verschrobenheit Lieser Denkweise, oder über die un gewöhnliche Verworfenheit dieser Gesinnung ver wundern. Wir machen doch schließlich nicht Gesetze, um irgend einer raschoerwelkenden Regierung einen Gefallen zu erweisen, sondern wir beschließen diese Gesetze, weil wir glauben, daß sie der Gesammt- heit nutzen. Und wir schicken in den Reichstag Männer, die uns in diesem Bestreben unterstützen wollen. Es beweist die sittlich vergiftende Wirkung der jesuitischen Dressur, daß die Centrums presse sogar der Dortmunder Centrumsleitung allerhöchst einen Rüssel rrtheilt wegen des Pacts mit den Nationalliberalen gegen die Socialdemokratie. Tie Ccntrumsprcsse betrachtet es nämlich als ein schreckliches Unglück, daß das Zusammengehen der bürgerlichen Parteien in Dortmund möglicher Weise die Socialdemokraten in andern Wahlkreisen verstimmt und z. B. gegen einen so vortreff lichen Mann wie Fuchs eingenommen haben könnte. Dabei muß nian wissen, wie man in Centrumskrcisen über diesen besagten FuchS Lenkt; man ist herzlich froh, daß ein Mann mit so engem Gesichtskreis und derartigen Hetzmanieren das Centrum nicht mehr bloßstellt; denn mau weiß sehr wohl, daß die vielbeklagte Erscheinung, daß die Elite des Ultramontanismus einfach nicht mehr mitthut, aus das Gebühren der Fuchsleute zurückzusühren ist. Aber dennoch hat man für Las verständige Vorgehen Les Dortmunder Centrums nur die hoheitsvolle und unzufrieden-stolze Miene des Censors, ür das schmachvolle Vorgehen des Centrums in Baden und in der Pfalz aber kein Wort des Tadels. Es wird noch wohl mal eine Rechnung darüber ausgemacht werden, wie viel Zehntausend und mehr Ultramontane in Speyer, Mannheim, Pforzheim und Karlsruhe für die Socialdemokrati« mobil gemacht worden sind, um liberale Männer 'zu fällen. Das Centrum, das stets mit einem Auge nach oben und mit einem Auge nach unten schielt, wird dann vielleicht die betrübliche Entdeckung machen, daß dieses schamlose Benehmen ihm an den entscheidenden Stellen in Deutschland manches Ohr verschlossen hat." Dieser Grimm des rheinischen Blattes wird sicherlich nicht besänftigt werden, wenn das Centrum die Forderungen stellt, auf deren Bewilligung es jetzt infolge seiner Wahlsiege ein noch größeres Recht als früher zu haben glaubt. Gerade bei dieser Gelegenheit dürften aber die Risse wieder zu Tage treten, die den „festen Thurm" schon seit Jahren durchziehen. Zeigt es sich, daß das „schamlose Benehmen" des demo kratischen Flügels dem Centrum an den entscheidenden Stellen Deutschlands manches Ohr verschlossen hat, so wird der rechte Flügel, der die Bekämpfung der Socialdemokratie bei den Stichwahlen empfohlen hatte, mit Vorwürfen nicht zurückhalten. Daß dieser innere Streit den Thurm aus einander treiben werde, glauben wir nicht, jedenfalls aber wird er zur Festigung des Gebäudes nicht beitragen. Der wieder in den Reichstag gewählte Professor Hänel hat am Abend des Stichwahltages eine aus mehrfachen Gründen höchst beachtenöwerlhe Rede gehalten. In dieser Rede sagte er über die Stellungnahme der bürger lichen Parteien gegenüber der Socialdemokratie Folgendes: „Den Socialdemokraten gegenüber wird es ferner hin nicht mehr zweifelhaft sein können, daß jede der bürger lichen Parteien nicht mehr die Methode befolgen darf, nur von Fall zu Fall, von Zeit zu Zeit, je nachdem es der Vor- theil oder der Augenblick mit sich bringt, Stellung zur Social demokratie zu nehmen, nicht nur Stellung zu nehmen in grundsätzlicher Weise, sondern auch in taktischer Weise. Und ich meine, sämmtliche bürgerliche Parteien sollten zu- sammeusteben, um das zur Wahrheit zu machen, was bisher nur eine falsche Anschuldigung von Seiten der Svcialdemokratie war, nämlich es zur Wahrheit zu machen, daß wir, das deutsche Bürger- thum, der Socialdemokratie gegenüber in der That eine einige feste Masse sind." An anderer Stelle äußerte sich Hänel über die Gefährlichkeit der Social demokratie in folgender Weise: „Streiten wir, wie es Männern geziemt, aber dann, wenn die Grundlagen er schüttert werden, wenn sie unterwühlt und unterhöhlt werden, wenn sie angegriffen werden in ihrem innersten Kern, wie es von der Socialdemokratie geschieht, daun lassen Sie unS eng und fest zusammenstehen." An dieser Rede ist zunächst ru beachten, daß sie mit vollster Schärfe die von Herrn Richter beliebte Methode der Ablehnung jedes Zusammcn- I gehens gegen die Socialdemokratie verurtheilt. Wären die Feuilleton. Sauernblut. 17j Roman in drei Büchern. Von Gerhard von Amyntor. (Dagobert von Gerhardt.) Nachdruck verdolra. Die allein Gebliebene preßte die Rechte gegen die Herzgegend und starrte mit leeren Augen auf die Cotillonsträuße. „Wo bleibst Du denn, Kind?" Kannst Du nicht finden?" fragte Frau Julie, deren erhitztes Antlitz sich durch den Spalt der halbgeöffneten Thür geschoben hatte. „Ich komme schon, Frau Lampert; ich mußte mein Kleid in Ordnung bringen, man hat es mir beim Tanz zerrissen." Mit beiden Blumenkörben in den Händen trat sie in den Gang hinaus; sie hatte sich schnell gefaßt, und wenn ihr das Herz auch schmerzhaft zuckte, so fand sie doch Trost in dem Gedanken, daß sie mit einem Manne wie Peter niemals hätte glücklich werden können. Der Cotillon hatte begonnen, und Sabine saß unter den Zuschauern, denn Peter, mit dem sie ihn getanzt haben würde, hatte, ohne Abschied zu nehmen, die Lampert'sche Wohnung ver lassen. „Sie tanzen nicht, Fräulein Meerholt?" fragte der Staats anwalt da« ernst dreinschauende Mädchen. „Wo ist denn Ihr Bräutigam?" Sie schaute zu dem Fragenden auf und erwiderte: „Ich habe keinen Bräutigam, Herr Staatsanwalt." Ein feines Lächeln lag jetzt um ihren reizenden Mund; sie war ein Mädchen, das sich nicht so leicht durch irgend ein Ereigniß auS dem Gleich gewicht bringen ließ. Teil zog einen Stuhl neben den ihrigen, setzte sich zu ihr und fragte verwundert: „Ich denke. Sie sind die Braut de« Maurermeisters Dechner?" „Das glaubt alle Welt — ich habe zu dieser Annahme nie Veranlassung gegeben — ich bin nur befreundet mit den beiden Dechner'schen Brüdern." Tell schaute der kühl und gleichmüthig Sprechenden in dke Augen: sie ertrug ohne Zwang seinen forschenden Blick. Sonder- bar! dachte er, was mag hier nur vorgefallen sein? Er würde die Unterhaltung vielleicht haben fallen lassen, wenn er nicht gerade jetzt bemerkt hätte, daß Sabine in der That ein Mädchen von ganz auffallendem Liebreiz war; und da die weibliche Schön heit fast auf jeden Mann wie der Magnet auf Eisen wirkt, so rückte er seinen Stuhl noch näher an sie heran und sagte mit gedämpfter Stimme: „Dann habe ich mich in einem Jrrthum befunden; verzeihen Sie, Fräulein Meerholt!" Und nach einer kleinen Pause fuhr er verbindlich fort: „Ich würde Sie um den Cotillon bitten, wenn ich kein zu ungeübter Tänzer wäre; vielleicht aber schenken Sie mir die Gunst Ihrer Nachbarschaft, so daß ich diesen Tanz mit Ihnen gewissermaßen absitzen darf." Sie erwiderte belustigt: „Eine ganz neue Art von Engage ment — es wird mir ein Vergnügen sein, Herr Staatsanwalt." So blieb er denn neben ihr und weidete sich im Geheimen an ihrer lieblichen Erscheinung. Als die Sträußchen ausgetanzt wurden, holte der Staats anwalt ein solches aus duftigen Maiblumen und überreichte es Sabine mit der Frage: „Wollen wir nicht auch einmal Herum walzen?" „Auch zweimal, Herr Staatsanwalt." Sie lächelte schelmisch, stand auf und überließ sich ihm zum Tanze. Wie er ihre schlanke Taille umfaßt hielt, durchströmte ihn ein eigenthümliche« Behagen. Er trank ihren reinen Odem, und er fühlte, wie die Atmosphäre, die dieser warme, schwellende Körper aushauchte, ihn in einen Glücksrausch versetzte, wie er ihn lange nicht mehr kennen gelernt hatte. Sie ist noch schöner als Ellen! Unwillkürlich hatte er diesen Vergleich angestellt; aber schon verdroß ihn derselbe; wie kam ihm jetzt die Erinnerung an Ellen? Er hatte den ganzen Abend nicht an sie gedacht! Seine Beziehungen zu Giesdorf waren endgiltig abgebrochen; was ging ihm daS hochmüthige Landfräulein an, das ihn längst aus ihrer Erinnerung ausgetilgt haben mochte? Das Mädchen hier, das er im Tanze drehte, da« war wahrscheinlich anderer Art; es würde sich sicher geehrt fühlen, wenn er um ihre Gunst würbe; sie war ja nur die Tochter eines kleinen Subaltern beamten, sie sah zu ihm, dem fiudirten Manne, gewiß wie zu einem Halbgott empor. War er ein Halbgott? Er hätte bitter auflachen mögen, er, der Sohn eine» umherziehendrn Gauklers und einer etwa» anrüchigen Schönen! Teufel! Wie gut er zu dieser Sabine passen würde! Oder vielleicht paßte er noch nicht einmal zu ihr; vielleicht würde ihm auch diese» anspruchs lose Mädchen einen Korb geben, wie sie einen solchen doch wohl auch seinem Stiefbruder Peter gegeben haben mußte? Er schaute mißmuthiq drein, als er wieder Platz genommen hatte, und ein leiser Seufzer entrang sich seiner Brust. „Sind Sie unzufrieden, Herr Staat»anwalt?" fragte seine Nachbarin in sorgender Antheilnahme. Wie berückend ihm diese Worte ins Ohr klangen, wie weich und wohlig sich diese Silberstimme in sein Herz schmeichelte! „Wer ist heute nicht unzufrieden, Fräulein Meerholt? Oder sind Sie ein Sonntagskind, dem das Leben noch nie ein ernstes Antlitz zeigte?" „O, auch ich weiß, daß wir nicht zum bloßen Vergnügen auf der Welt sind — aber ein Mädchen hat schweigend zu dulden. Wie beneide ich Sie, Herr Staatsanwalt! Als Mann dürfen Sie kämpfen und ringen, um das Glück beim Schopfe zu fassen!" Merkwürdig! Etwas AehnlicheS mußte ihm Ellen auch ein mal gesagt haben! Erzeugt denn der Verkehr mit dem Manne in allen Mädchen dieselben Gedankenreihen? Bei welcher Ge legenheit hatte es doch Ellen geäußert? — Immer wieder Ellen! Warum drängte sich die Erinnerung an sie zwischen ihn und dieses Mädchen? Mit spöttisch zweifelnder Betonung wiederholte er Sabinens letzte Worte: „Um das Glück beim Schopfe zu fassen! Du lieber Gott! Es läßt sich nur nicht so leicht festhalten, und wenn man wirklich glaubt, man habe es erwischt, dann ist's ein Schatten, nach dem man gegriffen hat, und man hält ein Nichts in den Händen!" Sabine schwieg. Sie wunderte sich im Stillen, daß Tell, der Stolz des Lampert'schen Hauses, der hochangeschenc Beamte, der in der vornehmenWelt verkehrte und hier, wohl nur aus Rücksicht auf seine etwas eitle Pflegemutter, eine flüchtige Gastrolle gab, doch allem Anschein nach auch nicht ganz glücklich und zufrieden war. Sie hätte ihm gern Muth zugesprochen, aber sie getraute sich nicht, vor dem studirten Manne ihre Mädcheneinfalt aus zukramen. Deshalb begnügte sie sich mit einem warmen und er munternden Blicke in seine großen, ehrlichen Augen; dann stand sie auf, huschte in die Mitte des Saale», wo Herr Knoblauch ein AtlaSkissen mit bunten Papierorden auf ein Tischchen gelegt hatte, und suchte einen silbernen Stern au», um ihn dem Staats anwalt mit geschickten Fingern an seinen Frack zu heften. Der so Ausgezeichnete nickte ihr geschmeichelt zu: „Nun müssen Sie mir noch eine Tour schenken." „Mit sichtlichem Vergnügen kam sie seiner Aufforderung nach und schmiegte sich in seinen sie umfassenden Arm. Gegen drei Uhr war der Cotillon beendet und die übermüdeten Ballmütter drängten zum sofortigen Aufbruche. „Aber warum denn so eilig?" fragte unzufrieden die Wirthin; „jetzt kommt ja erst der Kaffee . . . Nun soll e» erst recht ge- müthlich werden." Der dicke Lohndiener humpelte mit verglasten Augen, ein Riesenbrett mit randvoll gefüllten Kaffeetassen auf dem Arme, in den Saal. Er war jetzt völlig trunken (nach Völker'» Be hauptung: „wie eine Radehacke") und bemerkte gar nicht, daß sich bei seinen schwankenden Bewegungen ein Theil des Inhalts der Tassen in die Untersätze ergoß. Der College, der ihn begleitete, trug einen Chimborasso kleiner, in allerlei phantastischen Formen gebackener und reich mit Früchten belegter Kuchen. „Alle Achtung!" spottete der mit seinem Freunde Tell plau dernde Maler, „die Mieseke macht sich auch noch über dieses Kuchengebirge her! Der Leichnam dieser Frau muß nach der Anatomie kommen, sie hat entschieden einen Klapperschlangen magen!" „William!" keuchte Frau Julie, indem sic dem Staatsanwalt ihre Hand auf den Arm legte, „Du mußt mir einen Gefallen thun und Frau Meerholt nebst Tochter nach Hause bringen; einen Wagen werden die Beiden wohl nicht bestellt haben ... Du begreifst, der Kosten wegen. Es wäre Peter's Pflicht gewesen, sie zu begleiten, aber der ist ja über alle Berge; so ein Mensch! Ich begreife gar nicht, was da vorgefallen sein muß . . ." „Pscht! Pscht!" mahnte der Staatsanwalt, „davon ein ander mal! Was Meerholts anbetrifft, so sei unbesorgt; ich werde sie unter meinen Schutz nehmen." „Danke, William; Du bist wie immer ein aufmerksamer Cavalier! Ich werde es Frau Meerholt sagen." Es war schon in der vierten Morgenstunde, als die durch Mäntel und Kopftücher wohl verwahrten Meerholt'schen Damen die Richtung nach der Chausieestraße einschlugen. Tell ging neben ihnen und unterzog sich höflicher Weise einer etwas ge quälten Unterhaltung mit Mutter Meerholt, die, wie sie sagte, für heute genug hätte und mit hastig trippelnden Schritten dem Ziele ihrer nächtlichen Wanderung zustrebte. Der volle Mond schwamm am wolkenfreien Himmel; es war bitterkalt; im Osten dämmerte es schon wie Frllhschein Uber die Dächer herauf. Ein Wächter schaute mit etwas zudringlichem Forscherblick den beiden Frauen ins Angesicht. „Bitte, Herr Staatsanwalt", sagte Frau Meerholt mit be sonderer Betonung de» Titel», „geben Sie meiner Tochter den Arm! Ich alte Frau bedarf keine» Schutzes." Der Wächter stutzte und trat, höflich grüßend, einen Schritt zurück, den Weg frei zu machen. Tell dachte im Stillen: „Frau Meerholt ist eine schlag fertige Frau, sie weiß sich zu helfen." Mit Vergnügen unterzog er sich dem ihm aufgetragenen Ritterdienste; er bot dem hübschen Mädchen seinen Arm und ließ ihn nicht eher wieder los, al» bis man vor dem Meerholt'schen Hause angekommen war. Frau Meerholt schloß auf, dankte dem Staatsanwalt für seine liebenswürdige Begleitung und trat in den dunklen Haus flur. Sabine wollte der Mutter folgen, al» sie Tell mit den Worten zurückhielt: „Warten Sie, Fräulein Meerholt . . . .
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