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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.03.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-03-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960326028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896032602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896032602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-03
- Tag1896-03-26
- Monat1896-03
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Im Hinblick auf die zahlreichen Truppen, die ihm in all den Fragen, die dem UltramontaniSmus wichtig sind, folgen, kann das Centrum sagen, dieser Reichstag v'est woi. Es mackt also Neclame, indem es ibn lobt. Wenn aber ein kon servatives Organ in einem Vergleich zwischen dem Reichs tag ter siebziger Jahre und dem gegenwärtigen dem letzteren den Borzug giebt, so ist das — originell. Es ist die „Kreuzztg.", die sich mit diesem Urtheil den Armen im Geiste einreibt und dann, ganz consequent, es dem jetzigen Reichstag zum Ruhme anrechnet, daß er Mangel an Talenten hat Immerhin läßt sich dieses Wohlgefallen an geistiger Frugalität begreifen, wenn die Medaille auch eine Vorderseite hat, und die „Kreuz zeitung" sagt auch, es käme, vom Standpunct der Fürsorge sür die Interessen des gesammten Volkes, „auf sachverständige, d. h. praktische Vertretung an". Hier aber steckt die eigent liche Anspruchslosigkeit. Das, was der „Kreuzzeitung" vor Allem praktisch erscheint, ist von diesem Reichstage nicht zu staben. Er hat den russischen Handelsvertrag genehmigt, also — in der Sprache der intimsten Freunde der „Kreuz zeitung" gesprochen — das Land an den Bettelstab gebracht, und die Mittel, das Unglück zu repariren, den Antrag Kanitz und die Doppelwährung, verweigert er hartnäckig. ES kann also der „Kreuzzeitung" unmöglich Ernst mit der Behauptung sei», dieser^ Reichstag vertrete die Interessen des Volkes praktisch. Sollte sie vielleicht „ideale Güter" — darauf haben sich die Conservativen vom Schlage der „Kreuzzeitung" ja neuerdings verlegt — im Auge haben, so kennen wir von dein Reichsparlament keine Leistung, die sich in dieser Richtung verwerthen ließe, es sei denn die vom 23. März 1895, an dem es aber auch die Conservativen Waren, die mit zu den Unterlegenen gehörten. So bleibt denn nichts übrig, als die Annahme, vaß die „Kreuzztg." sich in dem „Milieu" des Reichstages wohl fühlt und daß die Art der Stadthagen, Liebermann von Sonnenberg und wie die von den Männern deS siebziger Reichstages, auch von 'den nicht „talennrten", allerdings grell abstechenden „Praktiker" sonst heißen, ihren Beifall findet. Die Erklärung paßt auch ganz gut zur jüngsten — von der „Kreuzztg." ge machten — Geschichte der conservativen Partei. Das Agita torische, der außerhalb der Sache gelegene Zweck, ist auch ihr das Wichtigste bei der Behandlung der öffentlichen Angelegen heiten geworden. Und anS diesem Gesichtspunkte gesehen, ist der jetzige Reichstag allerdings ideal. Rur soll man, wenn man den Wcrthmesser der „Kreuzztg." anlegt, nicht sagen, der Reichstag sei arm an Talenten. Trotz der mehrfachen, dauernden und zeitweiligen Verluste, die er neuerdings er litten hat, ist dieser Reichstag reicher, als irgend jemals ein deutsches Parlament gewesen, an Leuten, die es in der Aus nutzung des Parlamentarismus zur höchsten Virtuosität gebracht haben. Die Achtung, die er beim Volke, den Re gierungen und den Bundesfürsten genießt, spiegelt diesen Vorzug deutlich wider. Die Commission deS Reichstages für daS Bürger liche (Gesetzbuch ist neuerdings von verschiedenen Seiten wegen des günstigen Fortganges ihrer Arbeiten belobt worden. In solches Lob kann unseres Erachten» nur einstimmen, wer ent weder von vornherein die Durchberathung des Gesetzentwurfes im Laufe dieser Session für unmöglich gehalten ober aber die Arbeiten der Commission nicht genau verfolgt hat. Als vor etwa 14 Tagen in dem sogenanntenSeniorenconvenldeS Reichstags be schlossen wurde, die Osterferien bereits am 24. März beginnen zu lassen, wurde dafür nicht nur der katholische Feiertag deS 25. März, sondern auch der dringende Wunsch gellend gemacht, der Commission für das B. G -B. den 26. und 27. als volle Arbeitstage frei zu lassen. Die Mehrheit der Commission hat sich aber daran nicht gekehrt, sondern in der Sitzung vom 24. März beschlossen, die Ferien gleichzeitig mit dem Plenum beginnen zu lassen. Selbst der Wunsch der Minorität, in einer Abendsitzung wenigstens die Beralhung des ObligationenrechtS zum Abschluß zu bringen, was sehr Wohl möglich gewesen wäre, wurde nicht beachtet. Man kann nach dem bisherigen Verlaufe der Arbeiten der Commission nicht gerade sagen, daß böser Wille, die Sache durch Verschleppung zu gefährden, bemerkbar geworden wäre; es hat sich vielmehr die Ansicht, daß die ausschlaggebende Partei, das Centrum, entschlossen sei, daS große Werk zu Stande bringen zu helfen, befestigt. Aber daß die Mehrheit der Commission geneigt wäre, zur Beschleunigung des Zustandekommens ein UebrigeS zu thun, wird man nicht mehr an nehmen können. Nach der bisherigen Arbeitsleistung ge messen, darf die Beendigung der 1. Lesung in der Commission kaum vor Ende Mai erwartet werden. Auch beim besten Willen ist es nur zu natürlich, daß die Juristen, je länger sie beisammen sind, um so weniger der Versuchung, sich auf breite DiScussionen einzulassen, zu widerstehen ver mögen. Sogar die Regierungsvertreter sollen mehr und mehr eine größere Rebelust zeigen, als gerade nöthig wäre, llnter diesen Umständen erscheint e« sehr zweifel haft, ob die zweite Lesung in der Commission ein schließlich der Fertigstellung der schriftlichen Berichte noch vor dem Beginn des Hochsommers zum Abschluß kommen wird. Es ist wohl noch hier und da davon die Rede, die am wenigsten umstrittenen Theile des Entwurfs gesondert fertig zu stellen und zur zweiten Berathung an das Plenum zu bringen. Wie mau sich darüber aber auch entscheide, jedenfalls muß die vollständige Erledigung des B.G.-B. im Reichstage während der gegen wärtigen Tagung al» ausgeschlossen gelten. Der RrichStäg wird eben, wenn er seine übrigen Aufgaben — und deren ist noch eine sehr beträchtliche Zahl — bewältigt hat, nicht geschlossen, sondern auf den Herbst vertagt werden. Es werden also Diejenigen Recht behalten, die von vornherein annahmen, daß das Centrum sich »war die Gelegenheit nicht werde entgehen lassen, durch positive Mitarbeit an einem großen nationalen Werke bei der Wählerschaft und den verbündeten Regierungen sich zu empfehlen, baß es aber den Entwurf möglichst lange in der Hand behalten Werve, um sich für seine sonstige Politik bei den Regierungen ein gewisses Wohlwollen zu sichern. Es zeigt sich schon heule, daß dieser Zweck mit Hilfe der Commission für daS Bürger liche Gesetzbuch in ganz unauffälliger Weise sich erreichen laßt. Die verbündeten Regierungen hätten sich schwerlich entschlossen, in die Verwendung von Ueberschüssen der Jahre 1895/97 zur Schuldentilgung ohne eine sichere Gewähr für die organische Regelung der finanziellen Verhältnisse des Reiches zu den Einzelstaaten zu willigen, wenn nicht daS Centrum das Schicksal des bürgerlichen Gesetzbuches in der Hand hielte. Nach diesem Erfolge wird daß Centrum sich erst recht nicht beeilen, den Zauberstab aus der Hand zu legen, mit dem eS die Ver bündeten Regierungen zur Nachgiebigkeit gegen die Wünsche und Forderungen, die Herr Lieber und seine Leute bei den noch zur Entscheidung stehenden Vorlagen geltend zu machen ge denken, zu bewegen vermag. Im belgischen Heere nimmt die socialdemokratische Propaganda immer größere Dimensionen an. Am Montag spielte sich vor dem Schwurgerichte von Brabant wieder einer jener Proceffe ab, welche die Aufreizung der Armee zu Ungehorsam und Widerstand gegen die Staatsgewalt zum Gegenstand haben und den eisernen Bestand der SchwurgericklS- verhanblungen zu bilden beginnen. Angeklagt waren die Genossen Lekeu, ehemaliger Gymnasiallehrer, Rebacteur am „Peuple", Stadtrath der Vorstadtgemeinde Schaerbeck und Candidat für ein demnächstigeS Kammermandat, daS ihm als Ersatz für die mit Erfolg von ihm „errungene" Entlassung aus den, Lehramte verliehen werden soll, und de Broucköre, Stadtrath von Brüssel. Die Vertheidigung führten wie gewöhnlich die Säulen der Partei aus dem Advocatenstande, Senator Picard und die Abgeordneten Bandervelde und Firnsmont. Sie bot diesen natürlich die willkommene Gelegenheit, die ganze Scala ihrer Tiraden gegen die moderne Gesellschafts ordnung und daS Militairwesen in dem gefährlichen Strome ihrer Beredsamkeit loszulassen. Bandervelde lieferte dabei eine Parodie auf sich selbst, indem er das Gebot des Dekalogs „Du sollst nicht tobten" mit dem feierlichen Schwure, daß er selbst ihm ebenfalls Folge leisten werde, auf die unter Anklage stehende Aufreizung der Soldaten zum Un gehorsam grundsätzlich geltend machte und damit die Comödie seines jüngsten Zweikampfes mit einem hiesigen Studenten selbst kennzeichnete. Die Arbeiter im belgischen Heere, meinte der hervor ragende Führer der belgischen Socialdemokratie dann weiter, seien im Falle eines Aufstandes in derselben Lage wie die Elsaß- Lothringer im deutschen Heere, denen zugemuthet würde, auf „ihre wahren Landsleute", die Franzosen, zu schießen, wo von Beiden Keiner verlangen, noch erwarten werde. Da« Schwurgericht vernrtheilte die beiden Stavträthe zu je sechs Monaten Gefängniß, aber ihren Zweck, die Diseiplin im Heere in der bedenklichsten Weise zu lockern, haben sie doch erreicht. Leider mehren sich von Tag zu Tag die Zeichen, daß die Erwartung, vie Arbeiter im belgischen Heere würden im Fall, eine» Ausstande- ebenso ihre Pflichten thun, wie dir Elsaß-Lothringer >m deutschen Heere, nicht mehr auf festen Füßen steht. In der französischen Deputirtenkammer kommt eS über den Einkommensteuergesetzentwurf der Regierung zu heftigeren Auftritten, als man bei der Zahmheit der opportunistisch - conservativen „Opposition" hätte erwarten können. Gestern wurde die Berathung über den Entwurf fortgesetzt, worüber uns folgende Meldung aus Paris zugeht: Referent Delombre fährt in seiner gestern abgebrochenen Rede fort; er erklärt, es sei richtig, daß ein Einkommen steuergesetz in Deutschland in Kraft sei, es sei aber un möglich, die beiden Länder mit einander zu vergleichen. Der Redner schließt mit der Bemerkung, daß die Regie- rungsvoriage für Frankreich unanwendbar sei; die Commission fragt die Kammer, was sie zu thun gedenke. (Beifall im Eentrnm.) Finanzminister Doumer wirft der Budgrtcommission vor, daß sie sich geweigert habe, seinen Entwurf zu prüfen, und besteht auf der Nothwendigkeit, die Steuern zu Gunsten der kleinen Steuerzahler zu reformiren. Das Centrum unterbricht den Minister heftig, al» derselbe bei seiner Behauptung bleibt, die wirkliche Verbesserung liege in der Schaffung einer Einkommensteuer. Der Finanzminister tritt sodann in die Einzelheiten der Vorlage ein, sagt, er werde etwaige Abänderungsvorschläge gern ringrbracht sehen, und ersucht die Kammer, sich über das Prineip einer derartigen Steuer, nicht über die Vorlage selbst auszusprechen, da die Budget commission es nicht für gut gefunden habe, dieselbe zu prüfen. Zum Schluß erinnert der Fiaanzminister daran, daß das Cabinet sich verpflichtet habe, das Einkommensteuergesetz einzubringen, und stellt die Vertrauensfrage. In den Wandelgängcn der Kammer wird der Sturz der Regierung trotz aller Vermittlungsvorschläge nicht als un möglich bezeichnet. Aber wenn sie mit einem Vertrauens votum aus der Debatte hervorgehen sollte, so hätte sie dies lediglich dem Umstand zu danken, daß sie den Gesetzentwurf in der Voraussicht seiner sicheren Ablehnung einfach preis gegeben und sich mit der Anerkennung des Princips einer Einkommensteuer begnügt hat: ein kläglicher Rückzug, über den im Lager der radical-socialistischen Anhänger der Regierung nicht geringe Verstimmung sich gellend machen wird. Die französische Marokkopolttik ist von der Reise des englischen Vertreters in Tanger, Nicholson, an den scherifischen Hof sehr wenig erbaut. In Paris befürchtet man, der junge Sultan Abdul Aziz werde ein willenloses Werkzeug der eng lischen Jntriguen werden, wenn Frankreich nicht auf seiner Hut sei und rechtzeitig Maßregeln treffe, um den voraussicht lichen üblen Folgen der Reise Mr. Nicholson'« vorzubeugen. Bei dieser Gelegenheit fallen auch einige Streiflichter auf das Programm der französischen Marokkopolitik. In demselben nimmt die Erbauung einer Eisenbahnlinie von einem Puncte der algerischen Grenze nach Fez, der religiösen Haupt stadt Marokkos, eine hervorragende Stelle ein. Indem in inspirirten Kundgebungen der Pariser Presse be tont wird, daß Frankreichs Trachten bezüglich Marokkos einzig und allein auf Wahrung deS Status guc> abziele, erklärt man zugleich, der Bau gedachter Eisenbahnlinie sei das geeignetste Mittel, zur Wahrung des marokkanischen Status quo beizutragen. Daß hier ein eclatanter Widerspruch vorliegt, scheint vvn den Franzosen im Uebermaß ihrer rege ge wordenen Eifersucht auf da« englische Vorgehen ganz und gar übersehen zu werden. Ein Eisenbahnbau in halb oder ganz bar barischen Ländern ist unter allen Umständen ein sehr be deutendes Zreigniß, welches wegen seiner tiefgreifenden Ein wirkung auf die ganze öffentliche Physiognomie der von dem neuen Verkehrswege durchschnittenen Gegenden den Status guu so stark beeinträchtigt, daß eS geradezu ungereimt ist, vvn einer solchen Maßregel als einem Conservirungsmittel des Status guo zn reden. Eine von Franzosen gebaute und verwaltete Eisenbahn von Algerien nach Fez würde sich sehr bald zu einer Einbruchsstelle der französischen Machtbeslrebunzen entwickeln. In Wahrheit ist Frankreich vvn einer besonderen Anhänglichkeit an die Erhaltung des marokkanischen Status guo ebensoweit entfernt wie England; was die dortigen Ver hältnisse einigermaßen stabil erhält, ist daS gegenseitige Miß trauen der rivalisirenden Westmächte, verbunden mit der Rück sichtnahme, welche man notkgedrungen den marokkanische» Inter essen der übrigen europäischen Staaten angedeiben lassen muß. Diese letzteren können selbstverständlich weder wünschen noch dazu beitragen, daß Frankreich oder England ihren Einfluß in Marokko »um Nachtbeil der anderen Interessenten einseitig ausdehnen. Was die Handel-vertragsverhandlungen der Mächte mit Marokko anlangt, so war es bis jetzt nur Deutschland geglückt, einen Vertrag mit dem Sultan abzuschließen. Der- Gottbegnadet. 9) Roman von Konrad Telmann. Nachdruck »erdote». „Herr von Sennfeldt ist wieder umgekehrt", sagte Frau Marcella ruhig, die Grüße der anwesenden Herren und Hertha« erwidernd, er wurde schwindelig. Die Herren lachten. Aber Asta ritt: „Je nun, meine Herren, e« ist nicht Jeder so fein organisirt wie unser junßer Prinz. Aber ich muß doch schnell zu ihm hinab und ihn trösten. Auf Wiedersehen! — Ah, Thea! Ich dachte, Du wärest auch unten geblieben." Thea tauchte eben auf der obersten Stufe auf. „Ich? Warum?" fragte sie harmlos. „O, Du Närrchen!" rief Asta und schlug ihr im Vorbei- geben Mit dem znsammengeklappten Facher auf den Arm. Im Herabsteigen aber dachte sie: „Ist daS nun kokette Früh reife? Oder ist sie wirklich so dumm?" Dann eilt« sie sich, hinunterzukommen. Oben batte Hertha Tbea'S Arm genommen und war mit ihr bis an die Holzbrüstung der Plattform vor getreten, um ihr unter dauerndem Lachen die gleich- giltigsten Dinge zuzuflüstern, die ibr überaus merkwürdig vor kommen mußten und von denen Thea kaum die Hälfte ver stand, weil ibr» Gedanken immer noch ganz anderSwo weilten und ein beiße», irrcS Ersckreckrn sie durchrieselte. Ihr war zu Mutbe, al« wäre etwas so Ungeheure« geschehen, daß die ganze Welt nm sie her von Recht« wegen hatte verwandelt sein müsse». Sie war erstaunt, daß Alle» so war wie sonst, daß die Menschen ganz ebenso aussahen und ganz ebenso redeten. Der Lieutenant Han» von Asten fand die Aussicht hier oben sogar wieder „feudal". Niemand hatte sichtlich im Geringsten die Empfindung einer Veränderung. Nur vor ihren Augen tanzte, flirrte und leuchtete Alle«. Eine ganz andere Sonne stand am Himmel al» sonst, und so blau war daS Meer noch nie gewesen wie heute. Und bei aller Angst, die in ibr war, hätte sie doch auch wieder laut vor sich hinauSjauchzen mögen und meint», es müsse ihr die Brust zersprengen, wenn sie stumm blieb. O, wie schön, wie schön! Hertha Ramin lachte. ,,Wa» denn eigentlich? Daß ich mir beinahe den Fuß vertreten hätte vorhin? Ich glaube, Du hast gar nicht zugehört, Thea. Ueberhaupt, Du bist so wunderlich . . ." „Fräulein Lindheim findet seit einigen Tagen an unserer Unterhaltung eben keinen Geschmack mehr", fiel die Stimme de» Assessors Eberhard von Asten ein, der hinter die beiden Mädchen getreten war. Diese Stimme durchklang eine gewisse schmerzliche Bitterkeit. Thea wurde einer Entgegnung überhoben, weil jetzt der Lieutenant von Bodenbausen herantrat, der sich mit Han« von Asten darüber gestritten hatte, ob das da in der Ferne der Kirchtburm von Wolgast oder der von Usedom sei, und nun die Entscheidung Eberhard's darüber einholen wollte, der für Alle immer als Autorität galt, wenn Meinungs verschiedenheiten vorherrschten. Er wußte denn auch richtig wieder haarscharf zu beweisen, daß in der gedeuteten Richtung nur Wolgast liegen könne, und der Lieutenant, der auf Usedom gewettet hatte, sagte resignirt: „Fabelhafter Mensch, der Assessor! Reine» ConversationSlexikon! Wenn man halb so viel wüßte. Ware man desiznirter Chef deS Generalstabs. Pyramidal!" Der Assessor ließ ein halbe« Auslachen hören. „Es ist eine sehr irrige Annahme, lieber Freund, daß man eS mit viel Wissen heutzutage weit brächte. Im Gegentheil, dazu ge hören ganz andere Mächte, da» ist unnöthigrr Ballast. Wenn man z. B. nur die Flöte blasen kann, mag man im klebrigen immerhin ein Dummkopf oder sogar ein Lums) sein, man wird von vornherein eine ganz andere Rolle spielen." Er hätte vielleicht noch mehr hinzugefügt, aber ein Blick Thea'S hatte ibn getroffen, vor dem er verstummte. E» lag etwas wie Bitte und Anklage zugleich in diesem Blick. Eber- >ard von Asten schämte sich vor demselben. Er fühlte sich leinlich, er batte roh gehandelt. Und vor Allem thöricht, lberau« thöricht. Denn so gewann er sich dir« Mädchenherz icherlich nicht, so am allerwenigsten. Höchsten-, daß »r »- ich noch mrbr und für immer dadurch entfremdete, daß Thea ein Recht erhielt, ihn zu verachten. Aber wir konnte man seiner selbst noch Herr bl»ib»n, wenn man von dem Sturm einer so au«sicht«losen, täglich, stündlich aussichtsloser werdenden Leidenschaft aeschüttelt wurde und sein schon er rungen geglaubte« Glück vor seinen Augen mußte versinken sehen, ohne e» zu halten, ohne e» für sich retten zu können! Oder durfte er e« dennoch wagen? Dann freilich war wohl kaum eine Stunde zu verlieren! Man war binabgestiegen und sah Asta mit Harry unten etwa» abseit» zwischen den Stämmen hin und wieder gehen, während der Oberst auf der untersten Treppenstufe saß und Wache hielt. Asta hatte sich in Harry's Arm gehängt und redete mit leidenschaftlichem Eifer auf ihn ein, während er den Kopf etwas gesenkt hielt und hin und wieder ein Achsel zucken für sie zur Antwort hatte. Al« sie die Gesellschaft kommen hörten, trennten sie sich, offenbar zu Asta'S größtem Verdruß. UebrigenS hielt sie sich auch jetzt dauernd in seiner Nähe. Man ging zur Waldschenke zurück und es wurde beschlossen, die Wagen nach Hause zu schicken und den Heimweg zu Fuß zu macken. Der Abend war herrlich; die Sonne, zum Theil von Wolken verhüllt, zauberte die wundersamsten Lichtreflexe auf dem Wasser und in den Kronen der Wälder sowie auf dem moosigen Untergründe hervor. Alle« athmete rundum Frische und wohlige» Behagen. Eberhard von Asten versuchte mehrfach in Thea'» Nähe zu bleiben, um unbelauscht ein Wort mit ihr frechen zu können, aber sie hielt sich fast ängstlich an der Seite ihrer Mutter, wie wenn sie seine Absicht errathen hätte und sie vereiteln wollte. Im Grunde war ja auch da» schon Ant wort genug für ihn. Einmal hatte e» Harry so einzurichten gewußt, daß er unauffällig neben ihr gehen konnte, und da hatte Eberhard ganz deutlich gesehen, daß er ihr etwa- zu flüsterte, worauf sie nur genickt hatte, aber ihr Gesicht war noch heißer dabei aufaegluht, als ohnehin heute der Aall war, gerade al« wenn di« scheidende Sonne sick darin gespielt batte. ES hatte Eberhard einen Stich inS Her» gegeben. War e« schock so weit? Kam er wirklich zu spät? Und diese Blume, die er batte noch eine Weile unter stmrn Augen sich entfalten sehen wollen, bi» sie sich immer reizvoller auS ihrer KnoSpen- hülle erschlossen, wollte, durfte ein Anderer mit kecker Hand besinnungslos brechen, — ein Anderer, von dem er, Eber hard, glaubte, wußte, er würde diese Blume eine- Tage», wenn er ihrer überdrüssig geworden und »ach andern Begebr trug. »rbarmungSloS beiseite werfen, vielleicht zertreten? Durfte da» sein? Ein heißer Schmerz wallte in ihm auf und er ballte die Faust in ohnmächtigem Groll. Lbea dagegen lächelte jetzt wie traumverloren vor sich hin. „Sagen Sie noch keinem Menschen etwa«", batte Harry ihr zugeraunt, „auch Ihrer Mutter nicht. Ueberlassen Sir Alle« mir. Vertrauen Sie mir!" Und sie hatte dazu genickt. Sic ihm nicht vertrauen! Wozu sagte er ihr da» noch erst? Und e» war also vorher wirklich Ernst gewesen, — doller Ernst, rin« wirklich» Verlobung? E» durchschauert« fi« wieder vom Wirbel bis zu den Fußspitzen hinab. Sie verlobt, und mit diesem gottbegnadeten Manne da, — sie, die noch kaum die Kinderschuhe ausgetreten hatte, dir sich noch ganz al» Kind fühlte! Nein, eigentlich doch nicht mehr ganz, — seit gestern oder vorgestern nicht mehr, — da war es plötzlich so über sie gekommen, — Harry hatte e» ja selber auch gesagt, — heute noch, — er kenne sie kaum mehr wieder, sie sei so ernst geworden. DaS war, weil sie plötzlich gewußt hatte, sie liebe ihn. Es war eigentlich recht schnell gekommen. Als der Assessor gestern Abend zu ihr in so dunkeln Andeutungen und Warnungen gesprochen hatte, batte sie noch gar nickt deutlich verstanden, worauf er eigentlich binzielte. Jetzt glaubte sie eS zu wissen. Aber warum wollte er sie denn davor warnen, Harry anzugehören? Warum haßte er ihn denn? Sollte er selber etwa —? Aber da« wäre schrecklich gewesen. Dann hätte sie ihm ja einen tiefen Schmerz bereiten müssen. Und da« wollte sie um Alle» in der Welt nicht. Ihm, der so aut, so wahr und so warmherzig war, den sie so gern zum Freunde, zu ihrem besten Freunde fürs ganze Leben gehabt hätte, und der dock in jenem Falle voraussichtlich sich gekränkt und gedemütbigt für immer von ihr abwrnden würde. Wäh rend in Thea die Gedanken fo verworren durcheinander wogten, hörte sie plötzlich die Stimme Dessen, an den sie eben gedacht hatte, neben sich. Sir hatten inzwischen den Wald verlassen und waren an den Strand hinabgekommen, ohne daß Tbra viel auf den Weg geachtet hatte. Nun sah sie, daß die Andern eine kleine Strecke voraus waren, allen voran Asta an Harry'S Arm, und daß ihre Mutter vor ihr sich mit dem Oberst an ihrer Seite unterhielt, ohne daß der schmale, von der spülenden Welle gefeuchtete Uferstreifen, auf dem allein man ohne zu große Beschwerde geben konnte, noch Platz für sie selber daneben gelassen batte. So war e« jetzt unmöglich, fick zu ihr zu flüchten. Und doch hätte sie so gern dieser Unterredung au« dem Wege gehen mögen, vor der sie sich fürchtete, weil sie plötzlich instinktiv abnte, Wa ste bedeuten würde. Wie hilfesuchend blickte sie um sich. Und gerade jetzt klang Harry » lautes, Helle« Lacken bi» zu ihr herüber. E- war ihr seltsam, daß er jetzt lacken konnte, daß er so gar nicht« Vvn Dem abnte, wa« in ihr vorging, nicht ibr» Angst und nicht ihre Verwirrung. Bestand denn kein aebeimrr Zusammenhang zwischen ibnrn Bridtn, der den Einen immer errathen ließ, wa» der Andere empfand? E- war gewiß thöricht, aber sie konnte sich ein»« peinvollrn Gefühl» nickt erwehren, sie mußte denken, daß er so vitllricht eine» Tage» auch lachen wllrdr, sorglos, heitrr.
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