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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.03.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-03-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960327029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896032702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896032702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-03
- Tag1896-03-27
- Monat1896-03
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Als die Mehrheit des BundeSratheS kur» vor den Oster ferien de- Reichstages sich entschloß, dem Parlamente einen Gesetzentwurf über die Verwendung von Ueberschüssen der Jahre 1885—97 zur Schuldentilgung vorzulegen, ge schah dies bekanntlich unter der ausdrücklichen Voraus setzung, daß mit diesem Entwürfe „der erste Schritt zu einer organischen Regelung des finanziellen Ver hältnisses zwischen Reich und Einzelstaaten" gethan werde, „zu einer Regelung, welche jene Ueberschüsse zur Schulden tilgung verwendet, aber gleichzeitig die Einzelregierungen in die Lage setzt, klare und sichere Voranschläge für ihre Etats zu machen". „Würden", so fügte der ReichSschatzsecretair dieser Erklärung hinzu, „die verbündeten Regierungen nicht das Ver trauen zu der Mehrheit deS Reichstags haben, daß dieselbe die billigen Anforderungen der Einzelstaaten anerkennen würde, gegen wechselnde Anforderungen deS Reiche« gesichert zu sein, so würden sie selbst um den Preis eines friedlichen Ausgleichs sich nicht entschlossen haben, diesen Gesetzentwurf ein- zubringen." Die Minorität d:S Bundesraths, welche dieses Vertrauen der Majorität nicht theilte, hatte alsbald die leidige Genugtuung, daß daS Centrum und Herr Eugen Richter dieses Vertrauen für ungerechtfertigt erklärten. Zu dieser leidigen Genugtuung kommt jetzt noch eine andere: der Centrumsführer l)r. Lieber, der Vater des ominösen Schuldentilgungsantrags, dessen staatsrechtliche Ungeheuer lichkeit durch jenen Gesetzentwurf beseitigt wurde, hat in einer Versammlung von 4000 Anhängern nicht nur die ausdrückliche Voraussetzung deS Bundesraths abermals als irrig bezeichnet, sondern hierzu noch den offenen Hohn gefügt, seiner Fraction sei es zu danken, „daß der Regierung das Schuldentilgungs gesetz aus der Hand gedreht wurde und dir Miquel'sche Pauke ein großes Loch er hielt." ES fehlte nur noch, daß Herr Or. Lieber sich über die Vertrauensseligkeit der Bundesralhsmajoritäl und be sonders Preußens lustig machte und an Herrn vr. Miquel die offene Frage richtete, wie er denn zu der komischen Ansicht komme, da- Centrum werde sein Vertrauen ander« al« mit einer Durchlöcherung seiner „Pauke" vergelten! Jedenfalls wird eS nunmehr dem ganzen Bundesrathe klar sein, daß daS Centrum in der nächsten Reichstagssession für eine organische Regelung deS finan ziellen Verhältnisses zwischen Reich und Einzelstaaten noch weniger zu haben sein wird, als bisher, und daß überhaupt, so lange das Centrum im Reichstage eine ausschlaggebende Stellung einnimmt, eine solche Regelung nicht zu erwarten ist. Der BundeSrath als solcher darf sich darüber nicht ein mal beklagen, denn er hat in seiner Vertrauensseligkeit selbst mit dazu beigetragen, daß ihm „das Schuldentilgungsgesetz aus der Hand gedreht" und in die „Miquel'sche Pauke" rin großes Loch geschlagen wurde. ES bleibt nur übrig, daß die e i n z e l st a a t l i ch e n Regierungen, denen für zwei fette Jahre ein Theil der Ueberschüsse entzogen, aber für schlechte Jahre die Verpflichtung, für Fehlbeträge deS Reiches auszukommen, belassen wird, das Centrum bei jeder Ge legenheit für diese That verantwortlich zu machen und dadurch zur Verminderung des Einflusses dieser Partei durch die nächsten Reichstagswahlen beitragen. Die extremagrarischen Politiker und ihre Presse schildern unausgesetzt die deutsche Landwirthschaft, sofern man ihr nicht mit einem der „großen" Mittel oder mit allen beiden zu Hilfe käme, als dem unvermeidlichen allgemeinen Bankerott verfallen: der Ackerbau muß aufhören und kann durch die Viehzucht, wenn diese nicht gleichfalls verlustbringend werden soll, nicht ersetzt werden; das flache Land wird sich entvölkern. Angesichts dieser Unglücksprophezeiungen war eS von Werth, di« Gewißheit zu erlangen, daß die Herren in Wirklichkeit nicht so trostlos sind, als sie zu erscheinen sich bemühen. Die Abgeordneten Holtz, Graf Arnim und v. Kar- dorff haben in der letzten Reichslagssitzung die Gleichstellung der landschaftlichen Pjandbriefe mit den inländischen StaatS- papieren beim Lombardgeschäft der Reichsbank verlangt und die Forderung damit begründet, daß jene Papiere diesen an Sicherheit nicht im Mindesten nachslänben. Daß der Reichs- bankprasident, der sich im Uebrigen ablehnend zu den Vorlagen verhielt, diese Thatsache anerkennen würde, war vorauszusehen, staunenerregend aber ist es, sie von Führern der agrarischen Bewegung behaupten zu hören. Die Sicherheit der land schaftlichen Pfandbriefe beruht auf dem Werth des Grund besitzes der Landschaften. Wenn aber das, was die „Kreuzztg.", die „Deutsche Tagesztg.", die Herren v. Kardorff und Ploetz rc. über den Zustand der Landwirthschaft berichten, wahr wäre, so würden Grund und Boden und infolge dessen die Pfand briefe lange nicht bas werth sein, was ein vor sichtiger Mann für Staatsschuldverschreibungen bezahlt. ES ist ja möglich, was von der agrarischen Presse oft genug in Aussicht gestellt wird, daß nämlich nach dem Bankerott der Landwirthschaft die „Börsenleute" den Grund und Boden erwerben werden. Aber rentabler würde seine Be bauung durch den Besitzübergang nicht werden. Es müßte denn sein, daß die Börsenleute den Antrag Kanitz und die Doppelwährung, die sie den Lanvwirlhen vvrenthalten, sich selbst bewilligten. Da dieser Verlauf aber noch nicht einmal in den Drucksachen des Bundes der Landwirthe vorhergesagt worden ist, so braucht man ihn einstweilen nicht in Rechnung zu ziehen. Sind aber die agrarischen Versicherungen richtig und bleiben die Getreideeinfuhr verstaatlichung und die freie Silberprägung aus, so wird die Börse, vie ja auf eine Rente nicht verzichten will, nicht so thöricht sein, für den Grund und Boden mehr zu bezahlen, als er, am muthmaßlichen Ertrag berechnet, nach den Schilderungen der Agrarier werth ist. Das wäre ein Preis, der jedenfalls weit unter der heutigen Beleihungs grenze der Landschaften steht. Man hat also keine andere Wahl, als entweder nicht an die Sicherheit der landschaft lichen Pfandbriefe oder nicht an die Zuverlässigkeit der extremen Agrarier zu glauben. Wir halten eS in diesem Puncte mit dem ReichSbankprästdenten. Wir haben nach der „Karlsruher Zeitung" die Beschlüsse mitgetheilt, die die Commission für Arbeiterstatistik betreffs der Regelung der Verhältnisse der Angestellten in offenen Ladengeschäften gefaßt hat. Den Aufgaben gemäß, welche der Commission zufielen, beschäftigen sich die Beschlüsse mit der Lage der Gehilfen und streben eine Verbesserung dieser Lage an. Daß sie nicht überall willkommen geheißen werden, erschein: selbstverständlich, denn sie schränken in gewisser Be ziehung die freie Concurrenz wieder etwas ein. Neben den Gehülfen, für die da« Gesetz gemacht werden soll, sind auch die selbstständigen Kaufleute zu berücksichtigen,aber eS scheintunS, als ob auf sie und auf die Lage deS Handels in gewissen offenen Verkaufsstellen nur wenig Rücksicht genommen worden sei. Wer die vierzehntägigrn Verhandlungen der Commission über diese Materie verfolgt hat, wird wissen, daß man im Allgemeinen mit den Absichten der mitgetbeilten Beschlüsse der Commission übereinstimmte, daß sich aber doch auch bei vorurtheils- freien Handlungsgehilfen die Meinung geltend machte, daß man die Entwickelung deS Geschäft- selbst nicht zu sehr einschränken solle. Man war Zwar z. B. mit einem Gesckäftsschluß um 8 Uhr AbendS ein verstanden, nahm jedoch hiervon ausdrücklich die Nahrungs mittelgeschäfte aus, denen eine längere OffenhaltungSzeit insbesondere Sonnabends zugestanden wurde. In den Be schlüssen der Commission findet sich eine discretionaire Be- fugniß des Bundesratbs über dieses längere Offenhalten nicht, wohl aber über die spätereOeffnung oder frühere Schließung. Die Einwände, die letzt besonders in Berlin gegen den 8-Uhr- Schluß der Geschäfte gemacht werden, sind nicht stichhaltig, denn die Aussagen beinahe aller 84 Sachverständigen aus allen Theilen Deutschlands gingen übereinstimmend dahin, daß ein 8-Uhr-Schluß auch im Interesse der selbstständigen Kaufleute sich empfehle, genau wie die Sonntagsruhe, die nun mit Ausnahme einiger Berliner Zeitungen, denen die Ruhe am Sabbalh lieber wäre, überall als wohlthätig anerkannt ist. Daß die Commission nicht zu einer Festlegung der Ar beitszeit sich herbeiließ, ist vielleicht ein Fehler, allein auch unter den Sachverständigen war s. Z. die Meinung vor herrschend, daß es dieser Festlegung nicht bedürfe, denn man komme mit der Bestimmung über da« Offen halten den Wünschen der selbstständigen Kaufleute nach und schließlich würde doch ein Kaufmann den Laden nicht eher öffnen, als er auf den Besuch der Kundschaft rechnen könne. Nun ist ja allerdings nach den mitgetheilten Bestimmungen eine Arbeitszeit von 14'/, ober 13'/, Stunden möglich, allein mit dem früheren Schluß ist schon viel gewonnen und wenn man bedenkt, daß in den Beschlüssen der Commission erst die Anfänge einer Socialgesetzgebung für den Kaufmannsstand vorliegen, so kann man sich einstweilen bescheiden. Daß die Regelung der Arbeitszeit, der Kündigungsfristen und de« Lebrling-wesenS nicht auf die offenen Ladengeschäfte beschränkt bleiben kann, ist klar, die Contore und Grossogeschäste müssen folgen. Die hier nicht berührten Bestimmungen über die Fortbildung von Leh.lingen, über Kündigungsfristen und die Concurrenz- clausel sind nur mit Freuden zu begrüßen und bedürfen keines CommentarS. Von Bedeutung sind die Puncte 9 und 10 und hier können wir auch mit Freude constatiren, daß gerade diese Ausdehnung de- Arbeiterschutzes auf das Handelsgewerbe in eingehender Begründuna m einer in Tausenden von Exemplaren vor etwa fünf Jahren er schienenen Flugschrift de« Verbände« Deutscher Handlungs gehilfen gefordert wurde. Man hat nach und nach einsehen gelernt, daß auch für die Gesundheit der Handlungsgehilfen etwa« geschehen muß. Wenn sich erst eine Bereinigung zur Durchführung der Sitzerlaubniß für GeschäftSmädchen bilden muß, so dürfte die Noth- wendigkeit eines staatlichen Eingriffe« bewiesen sein, eines Eingriffe«, der sich natürlich nicht nur mit der Beschaffung von Sitzgelegenheit, sondern auch mit der Beschaffenheit der Läden überhaupt, ihrer Beleuchtung, ihrer Ventilation, ihrer Abgeschlossenheit gegen Zugwind u. s. w. befaßt. In größeren Städten mag ja hier vieles sehr gut sein, in kleineren Slcidlen ist aber unendlich viel nachzubolen. Daß dieser staatliche Ein griff auch auf die Contore mit ihren oft geradezu allen hygie ¬ nischen Anforderungen hohnsprechenden Lichtverhältnissen aus gedehnt wird, steht Wohl außer Frage. Ueber einige Be stimmungen läßt sich vielleicht noch reden, sie mildern oder verschärfen, jedenfalls sind aber die Beschlüsse der Commission zeitgemäß, insofern sie zur Besserung der socialen Lage der Handlungsgehülfen beitragen. Da die Stadt Luxemburg nach der soeben vollzogenen Volkszählung Anspruch auf einen neuen Abgeordnetensitz hat, so findet am 30. d. M. dort eine Kammerwahl statt, deren Ausfall für die Stellung des liberalen Ministeriums Eyschen von großer Bedeutung sein wird. Bei den letzten allgemeinen Kammerwahlen errangen die verbündeten Fran- zöslinge und Klerikalen in der Landeshauptstadt, die bis dahin al« liberale Hochburg gegolten hatte, überraschende Erfolge. Gelingt es ihnen, am 30. d. M. einen neuen Sieg zu erfechten, so würde das Ministerium Eyschen, das in der Kammer ohnehin nicht mehr über die Mehrheit verfügt, derart geschwächt, daß sein Rücktritt unvermeidlich wäre. — Da neuerdings davon die Rebe ist, entweder im Bade Mondors oder in der Stadt Diekirch ein öffentliches Spielha us nach dem Muster der Spielhölle von Monte Carlo zu gründen, so bereitet die Regierung einen Gesetzesentwurf vor, der die Errichtung der artiger Spielhäuser, über deren Zulässigkeit derzeit die Gemeinden zu entscheiden haben, von der staatlichen Genehmigung ab hängig macht. Vor einigen Jahren hat die Spielgesellschafl von Monte Carlo der luxemburgischen Regierung für eine 50 jährige Spielconcession im Bade Mondors eine JahreS- abgabe von 3 Millionen, d. h. den dritten Theil der ge jammten luxemburgischen Staatseinkünfte, geboten. DaS An erbieten wurde jedoch mit Entrüstung zurückgewiesen. — Die Luxemburger Französlinge haben sich au» der vom 1. Juli v. I. erfolgten Kündigung der Verkehrsvereinbarung zwischen den elsaß-lothringischen Eisenbahnen und der Luxem burgischen Prinz-Heinrichsbahn durch die ersteren eine neue Waffe gegen Deutschland geschmiedet und ihr Führer, der Abg. Servais, hat in der Kammer die Regierung auf gefordert, Vorstellungen bei der deutschen Regierung zu er heben. Der Generaldirektor der Finanzen, Monzenasl, hat jedoch ausdrücklich erklärt, daß die Verwaltung der reick«- ländischen Eisenbahnen daS Recht habe, Vereinbarungen nach Belieben zu kündigen und adzuschließen, und daß die luxem durgische Regierung sich hierin nicht einzumischen habe. Diese Antwort war zu erwarten. Daß die Französlinge trotzdem aus der Sache Partei schlagen werden, versteht sich von selbst. Zwei französische Scanbalprocesse sind an einem Tage zu Ende geführt worden. Im Lebaudy-Proceß wurden, wie gemeldet, von den sieben der Erpressung an geklagten Zeitunasleuten nur zwei, Ulric de Civry und Werther oe Cesti, verurtheilt, die fünf anderen frei gesprochen. Ulric de Civry war der Jugendfreund Max Lebaudy's, Herausgeber des militairiscken Fachblatte« „Echo de l'Ärm^e", er suchte aus dem zum Trainsoldaten gewordenen Millionair 125 000 Fr. herauszupressen und trat gegen ihn auf, als er dasGeld nicht erhielt. Ein noch gefährlicherer Freund war dem armen reichen Lebaudy Herr Wertheimer, genannt Werther de Cesti, jener verwegene Speculant, der den Schwindel mit der Unterschiebung des HustenauSwurfs eines schwindsüchtigen Mädchens in Scene setzte, in der Erwartung, Lebaudy durch die Drohung mit der Aufdeckung des an den Aerzten begangenen FettiHetsn. Gottbegnadet. 10) Roman von Konrad Ttlmann. Nachdruck verboten. „Nein, dieser Klatsch!" rief Asta empört. „Daß Männer sich mit so etwas abgeben können." „Aber das ist dock Alles furchtbar interessant", sagte Hertha, die mit halboffenem Munde zugrhört hatte und deren Augen leuchteten. „Natürlich", brummte der Oberst. „Giebt ihm höchstens nur noch mehr Relief, nicht? Macht diesen Frauenhelden in euren Augen nur nock interessanter, ihr Kindsköpfe, wa«?" „Meine gnädigste Frau", protestirte Bodenbausen, gegen Asta gewandt, „die Hand aus« Herz gelegt, ich versickere Ihnen auf Ehrenwort, daß von Klatsch hier gar keine Rede sein kann. Kamerad von Zitzewitz — der von den elften Dra gonern — war damals auch in Nizza, hat Alles selbst mit erlebt. Rasend viel Damen die Köpfe verdreht, der Senn- feldt, während heimliche Braut in Berlin hatte, von deren Untreue noch nichts wußte. Könnte Name« nennen, Gnädigste. Haben mehrere die Sache sogar sehr ernst genommen. Und nachher hat er immer von Selbstmord geredet. Machte ja nur noch interessanter, wissen Sie. Frauen wollten ibn trösten, au« Schwermuth rausreißen — äh, und dann gings so weiter. Man begreiftS, daß er sich hat trösten lassen. Kam ganz heil und munter nach Berlin zurück. Selbst die welt schmerzliche Miene vergaß er allmählich; obgleich die Frauen fanden, sie stände ihm samoS." „Nichts als Getratsch", erklärte Asta beharrlich. „Die Zietlow; Harry Sennfeldt wird die Zietlow haben heirathrn wollen. Eine Bürgerliche nimmt er doch überhaupt nicht, nun und nimmer." „Na, eine mit 'ner halben Million", meinte nun von Kniest nachdenklich. „Warum ist sie ihm denn untreu geworden?" fragte Hertha, aufS Höchst« interessirt. „Wußte sie, daß er ihr auch nicht treu war?" „O", sagt« Bodenbausen, „ich glaube, e« war 'ne Geld- speculation de- alten Commerzienrath«, ein ganz simpler, moderner Eheschacher. So wa« kommt vor, mein gnädige« Fräulein." „Sich zu so was herzugeben!" Hertha schüttelte sich. „Nicht wahr, Papa, das brauchte ich nicht?" „Will solch ein Dreikäsehoch schon von Heirathen reden!" Der Oberst schlug die Hände wie verzweifelt zusammen. „Was verstehst denn Du von solcken Sacken? Bodenbausen, daS ist gar kein Thema für kleine Schulmädchen, die nock eben erst mit der Puppe gespielt haben. Meine verehrte Frau Nachbarin ist auch schon ganz stumm geworden." Frau Marcella, an welche die letzten Worte gerichtet waren, lächelte zerstreut. „Ich höre von lauter mir fremden Menschen und Dingen sprechen", sagte sie mit ruhiger Höflichkeit. „Thea! Weshalb sagst Du denn eigentlich kein Sterbens wörtchen?" rief Hertha herüber. „Wenn man die Frauen hier so schlecht macht, müssen wir doch zusammenhallen." Thea hatte alles Gesprochene mit wachsender Unruhe, die Lippen fest aufeinandergepreßt, mit angebört. Eine heiße Nölhe brannte auf ihren Wangen, während ihr Busen hastig auf- und niederging. Die Augen hielt sie starr gesenkt. Sie konnte jetzt Niemanden ansehen, weder einen von den Sprechenden, noch ihre Mutter, — die am wenigsten. Jeder hätte ihr ja ihr Geheimnis, jetzt von der Stirn ablesen müssen. Und wie sie mit sich kämpfen mußte, um ihr Weh und ihre Empörung niederzuzwinaen! Am liebsten hätte sie eS ja laut hinauSgeschrieen, daS Eine wie das Andere. Daß man so von ihm zu reden wagte! Daß Menschen eS thun dursten hinter seinem Rücken, die ihm in« Gesicht redeten, als waren sie seine Freunde! Sie hätte aufspringen und es ihnen allen in« Antlitz schleudern mögen, daß sie schlecht und verächtlich handelten und daß sie ihnen kein Wort von dem allen glaubte, wa« sie da vorbrachten. Ein zehrender Schmerz brannte ihr in der Seele. Wenn er dock hier wäre und mit einem einzigen Wort, nur mit seinem sieghaften Lächeln all diese schändlichen Verleumdungen hätte zu Nichte macken können. Es war ja weiter nichts als das. Aber doch that es weh, unsäglich Weh. Und gerade während dieser herben Prüfung fühlte Tbra ihre Liebe zu Harry wachsen und wachsen. Diese Stunde reiste sie. Aber warum kam er nicht wieder? Hatten diese da doch recht, daß seine Mutter ihn nicht mehr sortlassen würde? Aber er wußte doch, daß sie, Tbea, hier saß und auf ibn wartete und sich nach ihm sehnte. Er würde kommen. Wenn er nickt kam, wenn diese da Recht behielten, we-balb sollten sie dann nicht auch in allem anderen recht haben? Nein, sie wartete auf ihn, sie wußte, daß »r kam. Und während da« Alle« durch ihr Innere« kreiste und wirbelte, stießen ihre Lippen hervor: „Wenn Herr von Senn feldt hier wäre, würde er sich wohl selber am besten zu ver- theidigen wissen." „Bravo", sagte der Oberst. „Das ist ein deutsches Frauen wort. Schreiben Sie sich daS gefälligst hinter Ihre Obren, meine Herren Lieutenants. Und nun reden wir endlich einmal von etwas Gescheidterm. Meine Frau Nachbarin be kommt sonst einen Begriff von uns Berlinern, daß man sich kreuzigen und segnen muß." Man lackte und die Unterhaltung begann sich nun wirk lich um Anderes zu drehen. Selbst Asta schien den Zwischen fall vergessen zu baben. Nur Thea konnte sich an keinem Gespräch betbeiligen. Sie saß immer und wartete auf Harry. Sein Kommen sollte ihr der schlagendste Beweis dafür sein, daß Alle diese hier ibn falsch und verleumderisch beurtheilten. Und ein heißes Sehnen darnach war in ihr, diesen Triumph zu erleben. Auch etwa- andere« noch schoß ihr durch den Kopf: daß Asta gesagt hatte, Larry werde nie eine Bürgerliche beiratben. Plötzlich kam ihr dabei der Ge danke, wir viele Kämpfe e« noch kosten würde, ehe sie sein werden könnte. Bis dahin war ihr nock nichts von dem Allen eingefallen. Nun mußte sie an seine Mutter denken, und ein leichtes Zittern überrann sie. Wenn man sie an redete, gab sie einsilbige und zerstreute Antworten. Und Harry kam immer noch nicht. Der Kellner, der an ihrem Tische bedient hatte, erschien endlich, um den Herrschaften zu bestellen, Herr von Senn feldt lasse sich bei ihnen entschuldigen, daß er nicht wieder kommen könne, seine Mutter sei nicht wohl, er lasse aller seits „gute Nackt" wünschen. Bald darnach erbob sich Frau Marcella und Thea athmete wie erlöst auf. Dennoch war ihr das Weinen nahe. Und in dieser Nacht schluchzte sie viel. Erst gegen Morgen fand sie Schlaf. 5. Als Frau von Sennfeldt in Harry'« Zimmer trat, fand sie ihn bei offenem Fenster in etwas koketten« Morgen- gewand im Lehnstuhl, ein dicke« Buch im Schooß und mit halber Stimme vor sich hinmurmelnd. Sie selbst war in eleganter Toilette, schwarze Seid« und Spitzen, in Hut und Handschuhen. Sie sah stattlich und vornehm au«. „WaS treibst Du denn da?" fragte sie erstaunt. „Ich bilde mich", versetzte Harry etwa« wichtigthuerisch, ohne ein leise« Gähnen hinterher ganz zu unterdrücken. „Ack, bitte, nein", bat sie, „laß da«! Du willst Dich wieder anstrengen, gelehrte Bücher lesen — um Gottes willen! DaS ist nichts für Dich; überlaß da« doch Andern! Du darfst Dich nicht mit diesem Ballast beschweren. Wenn Du Dir die Seele nicht frei und leicht erhältst, kannst Du Deinen großen Aufgaben ja nicht gerecht werden. Immer dieser Wissensdurst! Uebrigens, es ist die böckste Zeit, mein Liebling. Ich bin erstaunt, Dich noch soweit zurück zu finden?" „Zeit? Wozu denn?" Frau von Sennfeldt machte eine strenge Miene. „Lieber Harry", sagte sie mit liebevollem Vorwurs, „es ist Sonntag heute und die Glocken läuten." Er reckte die beiden Arme in die Luft. „Ack so", machte er gedehnt, „in die Kirche soll ich. DaS hatte ick ganz ver gessen. Und offen gestanden, Mama, ich habe auch gar keine Stimmung dazu." „Harry!" „Nun, daS ist doch keine Sünde, Mama. Sünde wär'S eigentlich nur, wenn ich trotzdem in die Kirche ginge. Weißt Du, gehe auch Du lieber nickt, Mama!" „Ader, Harrv, was soll daS heißen? Ich hätte die ganze Woche keine ruhige und friedvolle Stunde. Ich sehne mick darnach, das Wort Gotte« zu hören. Und ick muß ja fast glauben, daß die Gesellschaft, in der Du hier verkcbrst, Dick mit freigeistigen Phrasen angesteckt hat. Diese Gesellschaft convenirt mir — offen heraus — sehr wenig, Harry. Er machte eine ungeduldige Bewegung mit den Schultern. „Ack, daS Kirchengehen! Was kommt schließlich dabei heraus? Ich" — er warf das Buch fort, das er geräuschvoll zusammen geklappt batte, und stand auf, um, die Hände in die Taschen seines rothsammtnen Morgenjackets gestemmt, ein paar Mal durchs Zimmer zu geben — „ich möchte WaS w'» Dir be sprechen, Mama. Bleibe einmal auS der Kirche fort und höre mich an! Es ist im Grunde ja auch was Heiliges, worum eS sich bandelt." Er blieb mitten im Zimmer stehen, fuhr sich mit der feinen Hand durch da- lockige Blondhaar und nahm eine etwa« theatralische Pose an, ohne dock augenscheinlich gleich zu wissen, wie er beginnen sollte. Frau von Sennfeldt wurde unruhig. „WaS soll daS Alle« heißen, Harry? Du machst solche feierlicke Miene. — Wa« ist denn geschehen! Ich will doch nicht hoffen . . ." ^Kurz heraus, Mama: ich will heirathen!" Frau von Sennfeldt lachte kurz auf. „Mach doch nicht
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