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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.04.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-04-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189604031
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18960403
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18960403
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
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- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-04
- Tag1896-04-03
- Monat1896-04
- Jahr1896
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.04.1896
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Di« Morgen-Au-gabe erscheint mn '/,7 Uhr. die Abend-AuSgabe Wochentags nm b Uhr. < Bezugs-Preis di der Hauptexpeditton oder den im Stadt, bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen ab geholt: vierteliährlich^lSHO, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins HauS 5L0. Durch die Post bezogen für Deutschland and Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Krenzbandiendung tnS Ausland: monatlich 7.50. Ledaction und Lrveditiou: IohanneSgafie 8 DieExvedition ist Wochentag- nnunterbrochru geöffnet von früh 8 bis Abend« 7 Uhr. Filialen: ktt« Klemm's Sortim. (Alfred Hahn), Univrrsität-straße 1, Laut» Lösche. Katharinenstr. 14, part. und KönigSvlatz 7. UchMcr.TagMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Aattjes und Volizei-Amtes der Ltadt Leipzig. ^17«. Freitag den 3. April 1896. Anzeigen-Prei- die 8 gespaltene Petitzeile LV - Reklamen unter dem Redactionöstricki l4ge- spalten) 50^, vor den Familien Nachrichten (8 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer nnd Ziffernsatz nach höherem Tarif. Optra-Veila,en (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbtsörderung 60.—, mit Poftbrsördernng 70.—. Ännahmelchluß für Änzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig SO. Jahrgang. Sterben und Werden. Lange hab' ich mich gesträubt, Endlich gab ich nach: Wenn der alte Mensch zerstäubt, Wird der neue wach. . Und so lang du daS nicht hast, Diese-: stirb und werde! Bist du nur ein trüber Gast Auf der dunklen Erde. Goethe. ch Das Leben der Natur und der Menschheit ist ein Sterben und Werden. Daran sollten wir uns an jedem Tage, namentlich aber in der Ofterzeit, erinnern, wenn der Winter vergeht und der Frühling ersteht und wenn dem ernsten Cbar- sreitag der feierliche Ostermvrgen folgt. Wie der Säe mann seine Saat dem Schooße der Erde anvertraut, so bergen wir Menschenkinder noch köstlicheren Samen trauernd in der Erde Schooß und hoffen, daß er aus den Särgen erblühen soll zu schönerem Loos. WaS wäre bas Christenthum ohne die Eharwoche, in welcher unser Heiland den schwersten Todes kampf zu kämpfen batte, aber zugleich die innigste Gemein schaft mit Golt und die höchste Liebe zu seinen Mitmenschen bekundete und den Beweis von der Wahrheit seiner Lehre und der Festigkeit seiner Ueberzeugungen lieferte! Die ganze Geschichte des Christentbums beweist, daß aus dem Tode des Erlösers und seiner Jünger und Nachfolger das wahre Leben für die Kirche und für die Gemeinschaft der Gläubigen hervorgegangen ist. Obne Leid und Kampf ums Dasein können weder einzelne Personen, noch ganze Völker zu innerer Reife und höherer Entwickelung gelangen. Selbst Epidemien, Seuchen, Kriege, Erwerbskrisen und andere Heimsuchungen dienen der Menschheit als Warnungstafeln und nölhigen sie, den Ursachen trüber Erscheinungen nachzusorschen und ihr Land und zukünftige Geschlechter vor ähnlichen Gefahren zu schützen. Wir sollen an jedem Abende abrechnen mit dem alten Menschen, sollen Zorn und Leidenschaften begraben und an jedem Morgen von Neuem geboren werden mit edleren Ent schlüssen und festerem Willen zu guten Tbaten. Unser Gemüth soll jedoch nicht blos das Irdische, sondern auch daS Ewige mit Hellem Sinn umschließen. Wir sollen uns besten bewußt bleiben, daß wir trotz unserer leiblichen und materiellen Be dürfnisse doch zugleich göttlichen Geschlechts und zur Gemein schaft mit Gott, sowie zu beglückender selbstloser Menschenliebe berufen sind. Die Gewähr der Rettung unseres Innern liegt aber nicht in unserem Verdienst, sondern in dem ernsten Streben nach Vollendung, in der göttlichen Liebe und Gnade, welche aller Welt, auch den Nichtchristen, durch den Erlöser der Welt zu Theil geworden ist, sobald sie nur mit reinem Herzen und aufrichtiger Gesinnung ihre menschlichen Pflichten erfüllen. Jeder zum Besseren aufstrebende Mensch kann auch aus den schwersten Verirrungen durch die Gottesliebe erlöst und neu geboren werden. DaS «sterben und Werden ist auch ein Gesetz deS socialen Fortschrittes der Menschheit. Viele alte Weltanschauungen und Gewöhnungen müssen begraben und aufgegeben werden, damit neue, bessere und gerechtere Organisationen an ihre Stelle treten. Vor Allem muß an die Stelle der Selbstsucht und Habsucht der Gemcingrist und die Opferwilligkeit treten. Statt des vergänglichen materiellen Besitzes mästen wir unvergängliche ideale Güter zu erwerben suchen und danach den persönlichen Werth und die Leistungsfähigkeit der Menschen und ihre Stellung in der Welt beurtheilen. Der Classenhaß muß ab st erben und menschenfreundlicher Sinn überall neu entstehen; dann wird mit der rechten Osterstimmung auch der sociale Friede sich weiter verbreiten! Das deutsche höhere Unterrichtswesen und das Ausland. Unter dieser Ueberschrift veröffentlicht der Geh. Ober schulrath Professor vr. H. Schiller in Gießen in der „Nat.-Ztg." einen Aufsatz, der nicht nur seines Gesammt- inhalt« halber, sondern ganz besonder- wegen der warmen -Befürwortung eines von Leipzig ausgegangenen Unter nehmens das Interesse unserer Leser verdient und finden wird. Wir geben ihn daher im vollen Wortlaute wieder: „ES gab eine Zeit — es ist noch nicht lange her —, da man von Seiten deS höheren Lehrerstandes und auch mehr oder weniger des gebildeten Publicums an die absolute und unvergleichliche Vortrefflichkeit unseres höheren Schulwesens und an seine unbedingte Ueberlegen- keit dem Auslande gegenüber so felsenfest glaubte, daß jede abweichende Meinung wie eine Art BaterlandS- verrath erschien. Anfang- nahmen die Universitäten und die humanistischen Gymnasien diesen Ruhm für sich allein in Anspruch, allmählich folgte ihnen das sich ent wickelnde Realschulwesen in gleicher Richtung, obgleich gerade hier kein besonderer Grund vorbanden war, da z. B. Frankreich in den Schulen, welche das moderne Wissen überliefern, unS seit Langem voraus war. Als Wiese seine Briefe über daS englische Unterrichtswesen schrieb, mußte man anerkennen, daß die englischen Gymnasien alter Observanz eine Tradition hatten, die in zwei Punkten un« entschieden über war. Der eine betraf die Mitarbeit der Schule an der Eharaktrrrntwick- lung, wenn ihr Autheil dabei auch mannigfach zu hoch und der exclusive Charakter dieser Schulen zu gering ange schlagen wurde. Den zweite» Vorzug bildete die Sorge der Schule für die körperliche Ausbildung, di, man aller dings zu sehr geoeralisirte. Es braucht hier nicht erwähnt zu werden, wie der letztere Punct allmählich für unsere deutschen Verhältnisse beherrschend wurde; wir dürfen aber Über den guten und richtigen doch auch nicht die falschen und bedenklichen Seiten vergessen, die dabei zur Entwickelung ge langten. Ich rechne dazu vor Allem die gedanken- und ur- theilslose Nachahmung alle- besten, wa- in England gemacht wurde, ohne daß man sich auch nur fragte, was allein durch das Klima, wohl aber auch durch sonstige Verhältnisse, z. B. di« Wohlhabenheit, die Lebensgrwohnheiten in Deutschland ermöglicht bezw. verhindert wird. Und wie e- in be geisterten Augenblicken zu geschehen pflegt, man sab nur das auf den ersten Blick Vortheilhafte. idealisirke selbst die Schattenseiten und beobachtete recht oberflächlich, unvollkommen und ungenau. Seitdem wir bäufige und auch sorgfältigere Studien über diese Frage in England gemacht haben und nicht mehr bloß mit den oberen Zehntausend rechnen, beginnt der überbrandende Strom wieder in seine Ufer zurückzutreten. In dieser Beschränkung und vorsichtigen Ueberkragung kann daS englische Vorbild fördernd und wobltbälig wirken, wäh rend die alle vorhandene Tradition bekämpfende und zer störende Anglomanie unserem Volksleben weniger Nutzen als Schaden brachte: denn ganz abgesehen von der praktischen Undurchsührbarkeit, sind die überlieferten Volksspiele auch ein Stück der Volksseele und haben deshalb ein Recht aus Achtung, Schonung und Pflege. WaS bedeuten aber für das große deutsche Publicum noch immer neben England auf dem Gebiete der körperlichen Erziehung die übrigen Länder Europas? Wer weiß, außer wenigen Specialisten überhaupt, wie es in Lieser Frage anderwärts bestellt ist? Und doch ist dies nicht minder interessant, ja in mancher Hinsicht bietet die Entwickelung anderer Länder für uns viel mehr Belehrung als die englische. Schweden, Norwegen und Dänemark seien nur nebenbei er wähnt , obgleich sie ausgezeichnete und unseren Ver hältnissen viel näher liegende und verwendbare Ein richtungen besitzen. Aber wie wenige Menschen haben von dem, WaS Frankreich auf diesem Gebiete seit den siebziger Jahren geleistet hak, eine Ahnung, und doch bandelt es sich dabei um eine Frage, die nicht blos für die Kenntniß deS Schulwesen- wichtig ist. Der jetzige Minister präsident Bourgeois bat als Unterrichtsminister die bis dabin mannigfach vernachlässigte körperliche Ausbildung durch Be willigung großartiger Mittel auf eine Höhe gebracht, die beute billig unsere Bewunderung erregen muß; nicht blos die turnerische Ausbildung erhält ihr Recht, sondern Be wegungsspiele und SwulauSflüge sind rasch zu einer Popu larität gelangt, von der man sich in Deutsa and wenig träumen läßt. Und nicht minder interessant als die Ein richtung ist ihre Begründung: ,^'armss viel rieuss est presque toujours ctzlls qm warcks Is mieux." Man lese die warmen und klugen Worte der betreffenden Verfügung selbst, um den Wandel der Zeiten zu verstehen! Die Frage der körperlichen Ausbildung hängt mit der Schulhhgieine innig zusammen. Gewiß haben wir in Deutschland alles Recht, auf unsere Bestrebungen auf diesem Gebiete mit Befriedigung zu sehen, und was namentlich die Bemühungen betrifft, die Gestaltung und die Methode deS Unterrichtes selbst in einer Weise zu ändern, die den Anfor derungen der Hygieine möglichst gerecht wird und die Ge sundheit der Schüler nach Kräften zu schützen sucht, so wer den wir ohne Anmaßung sagen dürfen, daß wir darin, aller dings leider noch recht vereinzelt, die sorgfältigsten Versuche und Untersuchungen gemacht haben. Aber in den großen und umfassenden Untersuchungen der Gesundheitsverhält- nisse der Schulen und Schüler sind uns Schweden und Dänemark, wie allein schon Axel Keh's und Axel Harte!'- Untersuchungen beweisen, entschieden voraus, und selbst die Amerikaner, die sozusagen am spätesten in diese Fragen eingetreten sind, veröffentlichen fast alljährlich außer ordentlich sorgfältige Berichte eigens damit betrauter Schul bygieiniker, denen wir nichts AehnlicheS an die Seite stellen können. Unsere Schulbauten sind freilich gegen die 50er und 60er Jahre unendlich besser und auch meist schöner geworden aber in wie vielen Schulhöfen finden wir so forgfältig planirt und drainirte, jeder Witterung trotzende Bodenanlagen wi in Holland, oder nach allen Richtungen zu so zweckmäßig freundlich und gesund eingerichtete Bauten, wie sie manch »euere höhere Schulen in Pari- bieten? Man zähle da gegen die Schulen in Deutschland, die einen gegen die Un bilden der Witterung geschützten Aufenthalt für die Schüler in den Pausen besitzen! Beleuchtungsversuche mit künstlich diffusem, elektrischem Lichte, wie sie Moskau in großem Maßstabe angestellt bat, werden kaum bei unS ihresgleichen finden. Denn überall steht die leidige Geldfrage im Wege; was hilft da alle bessere Einsicht und alles Wollen, wenn da- Vollbringen fehlt? Der Einwand liegt nahe, daß gerade diese Gebiete inter national seien, und daß, wa- bei ihnen gilt, doch noch lange nicht auf die Einrichtungen des eigentlichen Unterrichts an wendbar sei. Aber dieser Einwand ist mebr auf den Schein berechnet, als daß er einer ruhigen Erwägung der That- sachen Stand zu halten vermöchte. Die Gestaltung der heutigen humanistischen Gymnasien wurde für die pro testantischen Gebiete durch die Reformation in ihren großen und bleibenden Zügen festgestellt, und für die katbvlischen Länder schufen vie Jesuiten durchaus mit jenen überein stimmende lateinische Schulen. Der Straßburger Schul rector Sturm, ein TypuS deS reformatorischen Schul mannes, meinte, daß die Schulen der Jesuiten sich kaum von der seinigen unterschieden. Es war natürlich: wenn man das selbe Ziel aostrebte, die lateinische Bildung, so konnten die Ein richtungen und die Mittel, die zu seiner Erreichung dienen sollten, sich nicht sehr unterscheiden. Und aus demselben Grund« zeigte sich die gleiche Erscheinung, al- die für da moderne Leben bestimmten Schulen, die Bürger- und Real schulen in- Leben traten. Die Ziele waren durch den Auf schwung der Naturwissenschaften, durch den internationalen Handel und Verkehr und durch daS Bedürsniß einer all gemeinen geistigen Bildung gesteckt, und die natürliche Folge war, daß auch die Entwickelung dieser modernen Schulen sich im Wesentlichen übereinstimmend gestaltete. Nun hat aller ding- da» Gymnasialwesen sich in gewissem Sinne national weiter entwickelt. In den protestantisch-germanischen Ländern und vor Allem in Deutschland trat zur Zeit de- sogenannten neuen Humanismus, dem unsere großen Dichter und unsere großen Künstler und Gelehrten angehörten, da» Griechische fast ebenbürtig neben da» Lateinische, während in den katholisch- romanischen Ländern, wie natürlich, da« Latein stets die erste Stell« behielt, Vie Philosophie mehr hervor- und da« Griechische mehr oder minder zurücktrat. Aber dadurch wurde doch nicht ausgeschlossen, baß in den letzten Jahrzehnten unsere- Jahrhunderts neue Entwickelungen sich anbabnten, die hier früher und dort später Berücksichtigung und Ausdruck in der Gestaltung deS höderen UnterrichlSwesenS suchten und auch fanden. In dem Realschulwesen konnte es sich höchsten- um die Aufnahme deS Lateinischen bandeln; diese bot aber in den romanischen Ländern sehr geringe Schwierigkeit, da man ge meinsamen Unterbau so wie so batte, und auf der oberen Stufe nur nach der humanistischen Seite etwas Griechisch in Frage kam, während man nach der realistischen den mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht verstärkte. Viel tiefer gingen die Veränderungen des Gymnasialwesens. Die Kern frage bildete hier das Verbältniß der antiken und der modernen Eultursprachen, zum Theil auch der exakten Wissenschaften. Während für die Beibehaltung der ersteren in ihrer Herrscher stellung alle die Anbänger conservativer Lebensanschauung und idealistischer Richtung einlraten, forderten die Verfechter der materiellen und modernen Interessen eine größere Stunden zahl für die letzteren Fächer. Aber die bis jetzt in dieser Frage geschloffenen Compromiffe reichen nickt mebr aus, da, wie stets bei solchen, die beiden Parteien unbefriedigt bleiben. Die Anhänger der altclassischen Bil dung klagen — vielleicht etwas unvorsichtig —, daß nichts Rechtes mehr mit der beschränkten Stundenzahl zu erreichen sei, die Anhänger der modernen beschweren sich, daß sie gar zu stiefmütterlich behandelt würden und dabei der bildende Werth ihrer Fächer durchaus nicht zur Geltung käme. Die Schulgesundheitspflege verlangt eine Herabsetzung der Stundenzahl überhaupt; wie soll da geholfen werden? Und nun kommen noch pädagogische Richtungen, die den so genannten formalbildenden Werth deS Lateinischen mit guten Gründen herabmindern, theilweise sogar bestreiten und für den Anfangsunterricht zu schwer erklären und eine neuere Fremdsprache an Stelle deS lateinischen Anfangsunterrichtes setzen wollen; die Beibehaltung des Griechischen wirb selbst in Regierungskreisen bereits da und dort in Frage gestellt. Und bei diesen Streitpuncten handelt eS sich nickt blos um traditionelle und schultechnische Einrichtungen, sondern wichtige Fragen des Nationalwohlstandes und der praktischen Politik spielen herein. Wer wird bei der großen Concurrenz deS Welthandels und der Industrie, bei der Besetzung der Consulate und Gesandtschaften, bei der Verwaltung der Colonien fähiger sein, obzusiegen, diejenigen, welche die griechisch-römische oder die, welche die moderne Bildung in höherem Grade und in größerem Umfange sich angeeignet und verfügbar gemacht haben. Und wird eS bei der Ver legung des Schwerpunktes der politischen und wirtbschaft- lichen Entscheidungen in die Mafien in Folge deS allgemeinen direkten Wahlrechts aussichtSvoll sein, eine doch steiS aristo kratisch gebliebene Bildungsüberlieferung auch künftig bei der fortschreitenden Demokratisirung behaupten zu wollen? Schon sucht man da und dort in der sogenannten Einheits schule, die man sich im Einzelnen noch recht verschieden denken kann, die streitenden Parteien zu vereinigen: aber wird selbst diese auf die Dauer befriedigen? Die in Schweden gemachten Erfahrungen verbieten, diese Frage zu bejahen. Es kann nicht die Aufgabe dieser Zeilen sein, diese Fragen entscheiden oder auch nur einen weiteren Beitrag zu den vielen vorhandenen Lösungsversuchen liefern zu wollen. Hier bandelt es sich lediglich um da-, WaS wir auch in diesen Fragen von dem Ausland lernen können. Tie Frage der Einheitsschule ist in Schweden und theilweise in Norwegen und Dänemark in einer den modernen Ansprüchen günstigen Weise gelöst. Eben schickt sich Frankreich an, eine ähn liche Lösung in Angriff zu nehmen, bei der, wenn sie in der beabsichtigten Weise durchgeführt wird, die Tage des klassischen Sprachunterrichts gezählt sein werde». DaS kleine Por tugal hat im Jahre 1894 in einer vortrefflichen Gesetz gebung eine ähnliche, freilich durch die dortigen Verhältnisse längst vorbereitete und begründete Organisation gefchaffen, in Rußland, in England stehen ähnliche Absichten auf der Tages ordnung. Man kann nun allerdings nicht sagen, daß die schwe dischen und sonstigen nordischen Einrichtungen ganz unbekannt bei unS geblieben feien. Aber kennen wir sie wirklich ausreichend, um auf diese Kenntniß hin ein sicheres Urtheil zu besitzen? Die entgegengesetztesten Urtheile darüber stehen sich dort und, von dort beeinflußt, bei uns gegenüber. Eine gründ liche, d. h. längere Zeit fortgesetzte wirklich unparteiische Kenntnißnabme, gewonnen durch gleichzeitige Beobacktung von wirklich sachkundigen Commiffären, die auf verschiedenen Standpunkten stehen, ein verhältnißmäßig authentisches Ma terial zur Beurtheilung fehlt auch jetzt noch; wieder ist es daS Geld, an dem eine so wichtige Frage scheitert. Auf der anderen Seite da« Beharren der alten englischen Reichs gymnasien und Universitäten auf dem Standpunkte der ReformationSzeit oder gar der wunderbare und für den Unkundigen ganz unverständliche Aufschwung deS altsprach lichen Unterrichts in Amerika; wodurch ist Beides zu erklären, worin kann Beides vielleicht für unsere Verhältnisse lehrreich und eventuell warnend werden? Ich denke, das Gesagte wird genügen, um die Noth- wendigkeit einer ganz anders eingehenden Kenntnißnabme des ausländischen Schulwesens zu zeigen, al« sie zur Zeit besteht. Von den Regierungen werden wir dafür in nächster Zeit nicht allzuviel zu erwarten haben, da sie vielleicht wohl da- Interesse, sicher aber keine Mittel besitzen. Nur die Selbsthilfe der höheren Lehrerwelt und deS dabei interessirten PublicumS kann hier noch Wandel schaffen, und in der That ist erfreulicher Weise in dem abgelaufenen Jahre ein Ver such gemacht worden, eine deutsche Zeitschrift für Kenntniß deS ausländischen UnterrichlSwesenS ins Leben zu rufen: von R. VoigtländrrS Verlag in Leipzig, Herausgeber Drrector vr. Wyckgram Wäre eS nicht am Platze, daß die deutschen Re gierungen diese» Unternehmen wenigsten« durch eine Empfehlung zur Anschaffung in den Schulbibliotheken unterstützen würden? Man empfiehlt jetzt mit Hochdruck archäologische und andere Publikationen, die für den Unter richt recht oft einen sehr problematisckrn Werth haben; warum denn nicht ein zweifellos nützliches Unternehmen, da« aber, soll e« sich halten, unterstützt werden muß? So weit sich nach den ersten Heften urthriirn läßt, kann sich aus dieser Zeitschrift eben das entwickeln, WaS uns fehlt, eine regelmäßige und zuverlässige, von sachkundiger Hand gelieferte Mittheilung alles dessen, WaS im Schulwesen des Auslandes neu und lehrreich ist. Vieles Experimeu- tiren am eigenen Leibe und viel Kraft können durch ver ständige Verwertbung anderweitiger Erfahrungen erspart und wenn sie sich nicht ersparen lassen, wenigstens nach anderen, voraussichtlich richtigeren Zielen geleitet werden. Zweifellos wird sich aber mit größerer Sicherheit als jetzt entscheiden lassen, wie unter bestimmten Voraussetzungen mit einer gewissen Naturnotbwendigkeit auch bestimmte Erscheinungen, Bedürfnisse und Versuche zu deren Befriedigung hervor treten; die kasuistiscke und oberflächliche Erfafiung des höheren UnterrichlSwesenS, wie sie jetzt leider sehr verbreitet ist, wird dann der allein richtigen, tieferen und organischen weichen müssen — und daS wäre ein unsagbarer Gewinn." Deutsches Reich. K. Berlin, 2. April. ' Tie „Deutsche TageSztg." schreibt: „lieber das Ausscheiden des Herrn Reichsbank- Präsidenten vr. Koch aus der wirthschastlichcn Ber einigung des Herrenhauses und die Vorgänge, die Lazu führten, sind uns von unterrichteter Seite die nachstehenden Mit- theüungen gemacht worden: Im verflossenen Frühjahre ließ Graf Mirbach in seiner Eigenschaft als 1. Vorsitzender der Vereinigung an die Mitglieder eine Schrift des Herrn vr. Arendt über die Währungsrede des Rrichsbankpräsidenten Koch im Herrenhause, die auch im Buchhandel erschienen ist, vertheilen. In der Sitzung der Vereinigung vom 26. Mürz d. I. erschien Herr Reichsbankpräsldent Koch, als die Berathungsgegenslände soeben erschöpft waren, und erhielt das Wort zu einer persönlichen Bemerkung. Dabei führte der Herr Reichsbankprasident aus, er müsse sich darüber beschweren, daß der Vorsitzende, Gras Mirbach, mit dem Vermerk: „Der Vor stand der freien Vereinigung" eine Schrift des l)r. Arendt, die er als ein Pamphlet bezeichnen müsse, habe vertheilen lasten. Die Schrift sei sachlich von ganz untergeordneter Bedeutung, verdiene aber wegen gehässiger persönlicher AstMLjffr d» Bezeichnung Pamphlet. Graf Mirbach erwiderte danmf, er h«b<^«olichrr- weise darin gefehlt, daß er die Bertheilung erwähnten Vermerk: „Der Vorstand" »«Wach-qM «Ut- Vermerk: „Graf Mirback, erster Vorsitzender" -bewirkt habe. Er ffbrrnihnle jedoch persönlich jede von ihm gewünschte VekMitlMetUNg dafür. Seines Erachtens verdiene die Schrift des vr. Arendt durchd»« nicht die von dem Herrn Reichsbankvräsidenten beliebte Censur. Dieselbe sei sachlich bedeutungvoll und überschreite keineswegs das zulässige Maß des Angriff-, Der Verfasser habe vielmehr klar und unumwunden zum Ausdruck gebracht, daß ihm jede Tendenz eines persönlichen Angriffes fern liege. Er (Graf Mirbach habe wegen der sachlichen Bedeutung der Schrift und zur Klar- stellung der wichtigen Währungsfrage es für durchaus zweckdienlich gehalten, diese Schrift zur Bertheilung zu bringen. Der Herr Reichsbankpräsident erwiderte daraut, die gesammte Presse Hobe diese Schrift als ein Pamphlet bezeichnet, und erklärte aus einen Zwischenruf („Nur die liberale, bezw. Judenpressel"), daß fast die gefammte deutsche Presse, mit Ausnahme untergeordneter Jour- nale, auf dem Goldwährungsstandpuncte stehe. Er könne nur be- dauern, daß man die Schrift eines untergeordneten Literaten zur Bertheilung bringe. Der Vorsitzende, Graf Mirbach, replicirte darauf, er halte seinen Standpunkt vollkommen aufrecht, übernehme persönlich nach jeder gewünschten Züchtung die volle Verantwortung dafür. Es handele sich übrigens nicht um die Schrift eines Literaten, vielmehr um die des Abgeordneten vr. Arendt. Herr vr. Arendt sei Mitglied des Abgeordnetenhauses, mithin Mitglied des preußischen Landtags, und steh« danach vollkommen al pari mit dem Herrn Reichsbankpräsidenten." Herrn vr. Arendt baten wir hier nicht zu „notiren". Wenn aber Herr Graf Mirbach meint, der Besitz eines Man dats stelle Jeden dem anerkannt ausgezeichneten Manne gleich, so zeigt er sich über die Verhältnisse an der Mensckenbörse fchlecht unterrichtet. Es werden heutzutage nur zu viele Parlamentarier social und politisch mit DlSagio gehandelt. * Berlin, 2. April. Herr Stöcker macht in seiner „Deutschen evangelischen Kirchenzeitung" den Versuch, die in der Schrisl deS Obersten von Krause gegen ihn er hobenen Vorwürfe zu widerlegen; thatsächlich muß der Herr Hofprediger a. D. aber Alles zugeben, was ihm vor geworfen worden ist. Man böre: „Die Schrift macht mir den Vorwurf, ich hätte Freiherrn von Hammerstein noch als Mitglied der conservativen Fraclionen der Parlamente erhalten wollen zu einer Zeit, da die Majorität des Elferausschusjes die Entfernung desselben aus der conservativen Partei für unbedingt nöthig hielt und sie zieht daraus nachtheilige Schlüffe auf meinen christlichen Charakler. Richtig ist, daß ich am 18. Juni 1895 die Anträge bekämpfte, welche den Ausschluß Ham- merstein's ans der conservativen Partei bezweckten. Aber ich that dies nicht, weil ich den Schuldigen hätte schonen wollen, sondern weil die Beschuldigungen gegen ihn, auch der Ehebruch, nicht ge nügend geklärt waren; von seinen strafgesetzlich verfolg baren Verbrechen wußte man damals noch nichts. Be sonders aus diesem Grunde meinte ich, daß der Ausschluß des Freiherrn v. Hammerstein noch nicht geboten sei, umsomehr als ich annahm, daß der angekündigte Beleidigungsproceß die wirklichen Tvatsachen an da« Liwr bringen mußte. Ich führte aus, daß der Ausschluß an« der Partei Freiherrn v. Hammerstein in diesem Proceß wehrlos machen müsse, und fand dabei, wie ich mich deutlich erinnere, Zustimmung. Für den Antrag, welcher bezweckte, Freiherrn v. Hammerstein von der Redaction zu suspendiren, habe ich mit voller Ueberzeugung gestimmt. Auch diese Maßregel hätte ihn aus der Partei hmausgedrängt. Kurz darauf, als die konservative Partei deS Abgeordnetenhauses Stellung zu der Sache genommen hatte, bin ich es gewesen, der ihn veranlaßte, aus der Partei ouSzutrelen." Herr Stöcker bat schon im Februar u. A. die Unterschlagung eines Fonds und die Beziehungen zu Flora Gaß gekannt. Er hat auch in einer früheren Erklärung zugegeben, daß für ihn nur „bis zum Frühjahr" Herr von Hammerstein als Ehrenmann gegolten habe. Jetzt gesteht er, noch am 18. Juni für daS Verbleiben des Herrn von Hammerstein in der Frac- tion gesprochen zu haben. Unverständlich ist, wie Herr Stöcker gegen den Ausschluß deS Freiherr» von Hammer stein stimmen konnte, der seinen Freund wehrlos ge macht hätte, und für einen Antrag, der ihn aus der Partei „gedrängt", also dieselbe Wirkung gehabt hätte. Herr Stöcker räumt deS Weiteren ein, den Klageantrag gegen Prof. Brecher am 30. December gestellt zu haben, wahrend die Frist am 31. December ablief! Ein „un aufgeklärter Zufall" habe eS gefügt, daß der Brief der Staatsanwaltschaft erst am 4. Januar in die Hände kam. Es ist doch «in sonderbares Vorgeben, wenn man mit einer
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