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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.04.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-04-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960407028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896040702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896040702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-04
- Tag1896-04-07
- Monat1896-04
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Er habe, so erklärte er, daS gegen Peters gerichtete Material erst wenige Wochen vor seiner bezüglichen Rede, zum Theil sogar erst während der Verhandlungen im Reichs tage, erhalten. Die „Rhein.-Westf. Atz." hatte darauf mitgetheilt, schon am 4. Oktober 1894 habe sie von einem Gewährsmann in Zürich erfahren, daß dieses Material Herrn Bebel zu gesandt worden sei, und im Winter desselben ZahreS sei dann die Angelegenheit in mehreren Versammlungen in Essen und Düsseldorf zur Sprache gekommen. Dieser bestimmten An gabe gegenüber muß jetzt der „Vorwärts" einräumen, daß allerdings ein socialdemokratischer Führer schon vor Jahr und Tag Material gegen Peters erhalten habe; aber, so erklärt der „Vorwärts", nicht Herr Bebel, sondern Herr v. Vollmar sei der Empfänger der betreffenden „Notizen" gewesen und habe sie auch bereits im März 1895 bei der zweiten Lesung des Colonialetats im Reichstage vor geb rächt. In der That weisen die stenographischen Reichstagsberichte aus dem März des Vorjahres Angriffe deS Abgeordneten von Vollmar gegen vr. Peters auf. ES war am 18. März 1895, als dieser Abgeordnete, nachdem er gegen eine ganze Anzahl von Colonialbeamten Beschwerde erhoben hatte, wörtlich fortfuhr: „Diejenigen, welche sich etwas für coloniale Ding« interrssiren, werden sich erinnern, daß vor kurzer Zeit gelegentlich der Expedition des Herrn Gustav Denhardt im Hinterland von Witu von schweren Uebergriffen und Gewaltacten, selbst Tödtungen die Rede gewesen ist, welche seinerzeit bei der „Deutschen Emin-Pascha» Expedition" des Herrn vr. Peters begangen worden und die betroffenen Gegenden aufs Tiefste gegen die Weißen und speciell gegen die Deutschen erregt haben sollen. Man erinnert sich dabei lebhaft an Stanley. Nun geht in Ostafrika das Gerücht, daß bet derKilima- ndscharo-Expedition ganz ähuliche Dinge vorgrkommen seien. Und zwar wird der Fall eines Mädchens angeführt, welche- wirder da- Unglück gehabt hat, zu gleicher Zeit einem Weißen und einem Schwarzen zu gefallen. (Zuruf. — Heiterkeit.) — Gewiß, zum zweiten Mal! und dergleichen wird wohl dort auch noch öfters Vorkommen. Dieses Mädchen sei sammt dem be- treffenden Eingeborenen kurzerhand getödtet worden! Und es wird ausdrücklich behauptet, daß dabei keineswegs etwa Nothwehr beziehungsweise das Gelingen der Expedition in Frage gestanden habe, sondern vielmehr ausschließlich das erwähnte Berhältniß. Es werden aus dem eingeborenen Stamm der Wanirma, welchem auch dir beiden Getödteten angebört haben, eine Reihe von Zeugen namhaft gemacht und weiter behauptet, daß auch ein Deutscher vorhanden sein soll, der um die Sache wisse. Ich habe eS für meine Pflicht gehalten, das mir Referirte wieder zu referiren, weil ich meine, daß, wenn ein derartiges Gerücht über einen höheren Beamten verbreitet ist, die Regierung alle Veranlassung zur ein gehendsten Untersuchung hat, unter Vernehmung der Zeugen — deren Namen ich zur Verfügung stelle—, damit ent- weder der Schuldige bestraft oder auch der letzte Verdacht be- seitigt werde." Director vr. Kayser entgegnete Herrn v. Vollmar, nach dem er andere Behauptungen desselben zurückgewiesen oder berichtigt hatte, Folgende-: „Der Herr Abgeordnete hat dann noch eines hohen (kolonial, beamten gedacht, der sich des Vergehens schuldig gemacht haben soll, auf der Kilimandscharostation ein Mädchen hingerichtet zu haben, weil es im Verdacht stand, daß sie außer ihm selber noch einem Anderen ihre Gunst geschenkt habe. Meine Herren, dieser Vorfall ist uns aus keiner lauteren Quelle zu Gehör gekommen, denn er ist uns von englischen Männern mitge theilt worden, die wir nachträglich aus unserem Schutzgebiet wegen feindlicher Umtriebe hätten auSweisen müssen, wenn sie nicht freiwillig gegangen wären. (Hört! hört! rechts.) Wir haben über diesen Fall diejenigen Personen vernommen, dir wir damals zur Stelle hatten und die dabei zugegen waren, und diese stellen die Sache folgendermaßen dar: Die Kilimandscharostation war in jener Zeit schwer von den umwohnenden Häuptlingen bedroht; es war nicht bloß eine Art von Belagerung, in der sich die Besatzung befand, sondern sie mußte jeden Augenblick auf einen schweren Angriff, viel leicht auch auf den Untergang gefaßt sein. In dieser Zeit hat das fragliche Mädchen, um dessen Liebesverhältnisse ich mich nickt kümmern will (Heiterkeit), al- Spionin gedient, und sie ist mehrfach bei Verbindungen mit den umliegenden feind lichen Häuptlingen ertappt worden. Damals war die Nothlage so groß, daß der von dem Herrn Vor redner nicht genannte Beamte mit seinen beiden europäischen Begleitern zur Ueberzeugung kam, um der Sicherheit des Lebens und der Sicherheit der Station willen sei eS nothwendig, ein Exempel zu statuiren, und das ist in der Weise geschehen, daß dieses Mädchen zum Tode verurtheilt und das Todesurthril vollzogen worden ist. (Bewegung links.) Das ist mir über diesen Vorfall auf Grund der Vernehmung der beiden Personen, die damals auf der Station gewesen sind, bekannt." Nach Schluß der Debatte erhielt Herr v. Vollmar noch mals das Wort zu der folgenden „persönlichen Bemerkung": „Der Herr Colonialdirector Kayser hat die Meinung ausge- sprachen, der von mir berichtete Fall über die Tödtung eines Mädchens bei der Kilimandscharo-Expedition sei durch Engländer behauptet worden, welche in schlechtem Rufe gestanden hätten, und welche man am liebsten ausgrwiesen haben würde. Ich habe daraus zu bemerken, daß ich von solchen Engländern nichts weiß, sondern daß meine Mittheilung sich aus die Aussage von fünf Manyemaleuten stützt, welche sich gegenwärtig auf der Plantage Moa befinden." Vergleicht man diese Auslassungen deS Herrn v. Vollmar mit den späteren Bebel'S, so fällt der Vergleich nicht zu Gunsten des Letzteren aus. Ersterer beschränkte sich darauf, daS zu „referiren", was er gehört hatte, und nannte die Urheber seiner Mittheilungen; Bebel erging sich in den auf reizendsten Ausfällen und berief sich auf einen angeblichen Brief, dessen Existenz mindestens zweifelhaft ist. Aber das ist nebensächlich. AuS der Rede v. Pollmar'S ergiebt sich, daß Bebel daS gegen vr. PeterS gerichtete Material nicht erst „wenige Wochen" vor seiner bezüglichen Rede im Reichstag erhalten hat; er kannte eS der Hauptsache nach schon wenigstens seit dem 18. März 1895, und wärmte es, wie aus dem Eingänge seiner Rede hervorgeht, hauptsächlich deshalb auf, um in PeterS den Förderer der Flottenbewegung zu treffen. Er wärmte es auf, obgleich er bereits am 18. März 1895 aus dem Munde des Directors Kayser erfahren halte, daß eine Untersuchung angestellt worden war, welche Beweise für die erhobenen Beschuldigungen nicht erbracht hatte. Der gegen ihn selbst erhobene Vorwurf ist also vollständig gerechtfertigt. Was seinen Tucker-Brief anlangt, das einzige neue Material, daS er beizubringen hatte, so hat er noch nicht einmal den Versuch gemacht, die wirkliche Existenz dieses Briefes zu beweisen. Die „Kreuzzeitung" rechnet in einer Besprechung der Breslauer Versammlung abfalllüsterner CentrumSwähler dem Centrum seine wirthschaftSpolitischcn „Sünden", Ablehnung deS Antrages Kanitz u. s. w., vor. Wir hätten keinen Anlaß, uns mit diesen Vorhalten zu beschäftigen, wenn nicht daS conservative Blatt sich dabei eine plumpen Geschichtsfälschung zu Schulden kommen ließe. Es schreibt: „Im Jahre 189l, als es galt, der Handelsvertrag-Politik ein priucipiis odsts zuzurufen, bat daS Centrum die nicht wiederkebrende Gelegenheit versäumt und so einer Richtung die Wege geebnet, welcbe mit der seit 1879 unter seiner eigenen Mitwirkung erfolgreich eingeschlagenen im ernsten Widerspruche stand. AuS diesem ersten Fehlgriff sind alle späteren unschwer zu erklären." Wer das liest, muß glauben und soll nach den Absichten der „Kreuzztg." auch glauben, die konservative Partei sei an jenem „ersten Fehlgriff" nicht betbeiligt gewesen. Zwei Spalten weiter wird dem also präparirten Leser denn auch geradeheraus versichert: die Conservativen haben gegen die ersten Verträge ge stimmt. Wir würden selbstverständlich keinen Anspruch auf Lob erblicken, wenn die Behauptung wahr wäre. Sie ist es aber nicht und die Conservativen müssen sich schon gefallen lassen, für den „Bruch" mit der Handels politik von 1879, der principiell durck die Handelsverträge übrigens gar nicht vollzogen worden ist, mit verantwortlich ge macht zu werden. Bei der entscheidenden Abstimmung über den für die Vertragspolitik maßgebenden Handelsvertrag mit Oesterreich stimmten von 68 Conservativen nur 36 mit Nein, während die übrigen theils weggeblieben waren, theils mit Ja stimmten. Die Partei als solche hat also, weit ent fernt, ein principüs obst» zu rufen, sich dem Vertrag gegen über so gut wie neutral verhalten, genau wie das Centrum sein Votum über den russischen Handelsvertrag durch die Theilung in 45 zustimmende und 47 ablehnende Stimmen neutralisirt hat. Wenn die Conservativen den Vertrag mit Oesterreich für verhängnißvoll hielten, so hätten sie gegen ihn eintreten müssen. Statt dessen haben sie so gehandelt, daß man, wenn man die Prosa der „Kreuzzeitung" goutiren würde, die Darstellung ihres damaligen Verbaltens „vLoäieüL" über schreiben und mit diesem Blatte citiren könnte: „Ach, daß du kalt oder warm wärest. Weil du aber lau bist, will ich dich ausspeien". Um zu beweisen, wie unermüdlich und rührig die Tscheche» in Oesterreich, speciell in Böhmen in ihrer Agitation vor wärts schreiten und von Jahr zu Jabr ganz ungeahnte Erfolge erzielen, verzeichnen wir im Nachstehenden ihre Er rungenschaften auf nationalem Gebiete im Jahre 1895. Die Erfolge derTschechenbeziehensichaufdaSdeutscheSprachgebiet in Böhmen und machen auf Vollständigkeit keinen Anspruch. Die Verluste, die das Deutschthum in Böhmen im Vorjahre erlitten hat, sind ohne Zweifel bei Weitem größer, dürften jedoch erst später bekannt werden. Im deutschen Sprachgebiete Böhmens wurden neue tschechische Schulen errichtet: in Saibendvrf bei Deutschbrod, Blisowa bei Bischofteinitz, in Podseditz beiLobositz, in Schurz bei Königinhof und in Dobrschau bei Pilsen. Die dreiclassische tschechische Schule in Salluschen bei Brüx wurde zu einer fünfclassigen erweitert. Die tschechischen Privatschulen in Teplitz, Trautenau und Theresienstadt wurden in öffentliche Schulen umgewandelt; ebenso wurde der Budweiser tschechischen Privatrealschule das Oeffentlichkeitsrecht verlieben. Ein neuer tschechischer Kindergarten wurde in Tschausch bei Brüx errichtet. In vielen deutschen Orten gründete man tschechische Vereine aller Art, so z. B. in Karkitz, Schellenten, Turn, RiederSdorf, Weipers dorf, Hostomitz, Neudörfel bei Teplitz und Podseditz Orts gruppen des TschechisirungSvereins für Nordböbmen, in Kaplitz und Buggau Ortsgruppen deS tschechischen Böhmer waldbundes, in Neuoffegg und Sallllschen Ortsgruppen des tschechischen Schulvereins, in Tberesienstadt, Hostomitz, Bilin, Lobositz und Zasmuk tschechische Turnvereine, in Tschausch eine Beseda, in Reichenberg eine tschechisch-slawische Handels ressource und in Hostomitz einen tschechischen Arbeiterverein. FsuiHeton. Gottbegnadet. 17) Roman von Konrad Telmann. Nachdruck verboten. 9. Es schien mit Frau Marcella's Einzug auf Lensihu wirk lich ein guter Geist dort Einkehr gehalten zu haben. Sie wußte „Harry zu nehmen", wie Thea meinte. Sie war nie ungeduldig, nie über DaS erzürnt, waS er vorbrachte, sondern wandte Alles, wo und wie es nur irgend anging, in- Scherz hafte. Wenn er dann selber lachte, batte sie gewonnenes Spiel. Seine weltschmerzlichen Posen machten nicht den ge ringsten Eindruck auf sie, und WaS er an theatralischen Mätz chen und Worten zum Vorschein kommen ließ, beachtete sie gar nicht. Sie blieb immer harmlos, freundlich und heiter dabei. Er selbst bewunderte daS. Und sie baute nicht ver geblich darauf, daß er ein „guter Mensch" war. Manchmal ivar er geradezu „um den Finger zu wickeln". Und wenn er trotzig und launisch war, hatte das etwas so Kindliche- an sich, daß Frau Marcella eS beim besten Willen nicht ernst nehmen konnte. Seit jenem ersten Mal sang er öfter-. ES hatte ihm trotz Allem wieder Lust und Liebe zum Singen eingrflößt. Und Frau Marcella unterhielt mit allen Mitteln diese Passion bei ihm. Sie sah ein, daß er nur hierdurck zu fesseln war und daß man ihn beschäftigen mußte, wenn er in seinem müßig gängerischen Wohlleben nicht auf schlechte Gedanken kommen sollte. Daß er vielfach mit den Delliner Ulanen und auf den Gütern der adeligen Nachbarn gespielt und im Spiet verloren hatte, daraus batte er selber ja nicht einmal ein Hehl gemacht. Wenn er etwa- Andere« wußte, um seine Stunden auSzufüllen, würde da» von selbst aufdören. Frau Marcella ruhte nicht eher, als bi- Harry bei einem renommirten Musikprofessor, dem Leiter eine- ConservatoriumS, der sich bereit erklärte, dreimal wöchentlich von Stettin auf da» Gut hinau-zufahren, Clavierunterricht nahm. E» batte längst geschehen sollen und Harry selber hatte e« stet gewünscht. Aber e» war nie Ernst damit gemacht worden. ES wurde überhaupt nie mit etwa» Ernst gemacht, WaS Harry sich vornahm, und seit seiner Kindheit war da- so gewesen und so in ihm genährt worden. Jetzt betrieb er da« Studium am Clavier mit großem Eifer. ES machte ihm selber Vergnügen, sich weiterzubilden, und er sah erst jetzt ganz ein, wie wenig er gelernt hatte, welche Lücken sein Können auf- wieS. Er schämte sich geradezu vor seinem Lehrer. Weil aber sein Ehrgeiz gestachelt war, machte er rasch glänzende Fortschritte. Er verbrachte jetzt lange Stunden hinterein ander am Clavier, um zu üben, und seine Unstätigkeit schien von ihm gewichen zu sein. Wenn er ein neues Clavierstück den beiden Frauen Vorspielen konnte, glänzten seine Augen wie im Bewußtsein einer großen und guten That. Er selbst fühlte sich befriedigter, er war gefesselt und auSgefüllt. Für seinen Weltschmerz fand er keine Zeit mehr, Frau Marcella selber spielte vierhändig mit ihm. Sie versuchte ihn mehr zu ihren alten Lieblingen herüberzuziehen, die er als Sohn einer andern Zeit über den „Neuen" völlig vernachlässigt hatte und fast nicht mehr kannte. Sie wollte ihn „klassisch" machen, wie Harry sagte. Und sie erlebte wirklich die Genug- thuung, daß er sich in Bach und Haydn vertiefte, die Clavierconcerte de» Ersteren sogar zu seinen Lieblingen wurden. Daneben suchte sie ihn, da er nun ganz in der Musik aufaing, auch zu eigenem Schaffen anzuregen. Daß er die Gabe besaß, selbstständig zu componiren, unterlag keinem Zweifel, da er schon häufig zu einzelnen VerSreilen eine überraschend glücklich erfundene Weise niedergeschrieven hatte. Nur daß er auch hier so wenig wie irgendwo Ausdauer gezeigt hatte. Nie war etwas vollendet worden. Jetzt spornte sie ihn, sich ernst lich im musikalischen Erfinden zu versuchen. Dabei ergab sich freilich, daß e» ihm doch an den ausreichenden Vorkenntniffen hierzu mangelte und rin emsige« Studium der CompositionS- lehre vorauSgehrn mußte, da« Harry sich für den kommenden Berliner Winter auch vornahm. Mitten in dies arbeit»- und plänereiche Stillleben hinein siel die Ankunft von Frau Lydia von Sennfeldt. Sie batte dieselbe bei der ihr gewordenen Nachricht, Frau Marcella werde auf Lensihn erwartet, anfänglich wieder aufgrsckoben, konnte dann aber auch die Thüringer Bergluft, die sie auf gesucht ebenso wenig vertragen wie Norderneyer Seeluft, fand nirgends Ruhe und traf eine« TageS völlig unerwartet nach einem voraufgegangenen Telegramm auf dem Gute eia. Frau Marcella wäre ihr gern auSgewichen, um jeder Mög lichkeit einer entstehenden Rivalität zwischen den beiden „Müttern" vorzubeugen, aber andererseit« mußte sie auch jeden Schein von Absichtlichkeit um Harrn'« willen vermeiden, und dann bat Thea sie dringlich, zu bleiven. Sie sprach e« nicht deutlich au«, aber e« ließ sich au« Allem entnehmen, daß sie sich vor Harry s Mutter fürchtete, nicht um ihret willen, sondern um seiner selbst willen. Frau Lydia war sehr gealtert. Sie litt stark an neu ralgischen Schmerzen und ihr Wesen hatte dadurch etwas Fahriges und Verbittertes angenommen. Manchmal verlor sie völlig 7hre Haltung. Bei alledem bestrebte sie sich, mit liebenswürdiger Bescheidenheit aufzutreten, und zeigte Frau Marcella gegenüber insbesondere die Zuvorkommenheit der Weltdame. Man kam sehr gut miteinander aus, alle Be fürchtungen schienen überflüssig gewesen zu sein. Nur in Frau von Sennfeldt's Augen, diesen merkwürdig kalten, starren, glanzlosen Augen, war etwas, wovor es Frau Marcella manchmal bangte. Diese Augen kannten sicherlich kein Mitleid, sie waren hart und dabei sahen sie Alles, es waren scharf beobachtende Augen. Die ersten Tage gingen sehr glücklich vorüber. Man machte Spazierfahrten, Harry spielte und sang, es traf sich, daß viel Besuch kam, und daS Leben auf Lensihn schien ein dauerndes Fest zu sein. Harry war in seiner strahlendsten Laune. Thea erkannte ihn oft nicht wieder, besonder« wenn sie an die letzte Zeit dachte, die der Ankunft ihrer Mutter voraufgegangen war. Harry sckien jetzt eher zu viel als zu wenig Beschäftigung zu haben und schwamm in seinem rechten Fahrwasser. Seine Gastfreundschaft war schon längst berühmt geworden im ganzen Kreise, für die Besucher war ihm nie etwas gut genug. Alles ging bei ihm auS dem Vollen, und er gab es mit jener lächelnden Sorg losigkeit, als könne eS gar nicht anders sein. Auch Hans Wietzlow kam in dieser Zett einmal. Er machte ein seltsames Gesicht, als er mit ansah, wie hoch eS auf Lensihn herzing. Und dabei war Erntezeit und alle Guts besitzer hatten die Hände voll zu thun, zumal es schwierig war, bei den fast täglich eintretenven Gewittern die Feldfrucht recktzeitig und trocken einzubringen. Den Gutsherrn von Lensihn drückten solche Sorgen offenbar nicht. HauS Wietzlow selber war nur gekommen, um Frau Marcella zu sehen. AlS er wieder fortritt und sie ihn fragte, warum er nicht häufiger komme, erwiderte er mit einer Kopfwendung nach der Veranda zu, in der eine lustige Gesellschaft tafelte: „WaS soll ich hier? Zu einsam wird« Euch ja hier nickt werden. Und der Reis gedeiht allem Anschein nach vortrefflich." — Damit ritt er mit grimmigem Lachen davon. Harry war Thea gegenüber jetzt aufmerksamer al- früher. Entweder wollte er e« seiner Mutter gegenüber zeigen oder seine Frau nicht über dieser letzteren vrrnach- Außerdem wurden in Rosawitz bei Bodenbach tschechischer Gottesdienst und tschechische Predigten eingeführt. Diese au geführten Thatsachen sprechen eine beredte Sprache und sollten Jeden, der dem Sprachenkampfe in Böhmen noch ferne siel t oder gleichgiltig zusieht, anspornen, deutsch-nationalen Vcr einen, wie dem deutschen Schulvereine oder dem Bunde der Deutschen in Böhmen, die das deutsche Sprachgebiet des Kronlandes vor slawischer Ueberwucherung zu schützen suchen, als Mitglied beizutreten. Auch in Mähren und Oesier reichisch-Schlesicn haben die Tschechen gar manchen Erfolg im Vorjahre zu verzeichnen gehabt. — In dem früher urdeutschen Wien, wo bis in die 80er Jahre die einwandernden tschechischen Handwerksgehilfen, Arbeiter und Dienstboten verhältnißmäßig rasch germanisirt wurden, da sie nur wenig Gelegenheit hatten, tschechisch zu reden, und da ihre Nachkommenschaft in den deutschen Schulen schnell Deutsch lernte, haben sich die Verhältnisse seit 15 Jahren sehr zuGunsten deS Slawenthums geändert.DieTschechen wohnen jetzt in der Stärke von etwa 80 000 Köpfen in Oesterreichs Hauptstadt, halten fest zusammen, verfügen über eine größere Anzahl tschechischer Vereine, haben tschechischen Gottesdienst und sind nicht wenig stolz darauf, daß sich das tschechische Schul wesen in Wien zwar langsam, aber doch stetig ausbreitet. Zur Zeit besteht im Bezirke Favoriten eine 7classige tschechische Volksschule mit 14 Abtheilungen, in denen 396 Knaben und 409 Mädchen unterrichtet und verhindert werden, sich das Deutsche anzueignen. Ter tschechische Kindergarten in dem selben Bezirke wird zur Zeit von 80, der neu ge gründete tschechische Kindergarten im 3. Gemeinde bezirke von 45 Kindern besucht. Die tschechische Sprach schule, für solche tschechische Kinder gegründet, die in die deutschen Gemeindesckulen geben, wird von 109 Knaben und Mädchen besucht; diese Kinder werden Mittwochs und Sonnabends in tschechischer Sprache unterrichtet. Eine tschechische Volksbibliothek ist ebenfalls im 3. Bezirke auf gestellt. Alle diese Anstalten werden vom tschechischen KomenSky- Verein unterhalten, der, Dank der Unterstützung des hohen Adels, im Vorjahre eine Einnahme von 27 328 Hl. hatte, wogegen die Ausgaben nur 22 247 fl. betrugen. Trotz des bedeutenden Ueberschusses hat aber der Komensky-Berein die echt slawische Unverschämtheit, die deutsche Stabt Wien um eine Unterstützung der überflüssigen tschechischen Anstalten zu bitten. Dem socialen Elend auf Sicilir» soll nun endlich an die Wurzel gegangen werden. Die „Agenzia Stefan," veröffentlicht ein Decret des Königs vom 5. April, durch welches für ein Jahr ein königlicher C i v i lco m mi ssa r für alle Provinzen SicilienS mit dem Amtssitz in Palermo eingesetzt wird, der zugleich die Präfectur Palermos verwalten wird. Der Commisiar ist mit den politischen und administrativen Machtvollkommenheiten der Minister deS Innern, der Finanzen, der Arbeiten, des Unterrichts und des Ackerbaues bekleidet für diejenigen Anglegenbciten, welche speciell die öffentliche Sicherheit und die Ver waltung der Gemeinden Siciliens betreffen. Auch über diejenigen Angelegenheiten, welche der Competenz der Central regierung Vorbehalten sind, werden die Präfecten Siciliens mit dem Commisiar sich zu benehmen haben. Den, Commisiar wird eine außerordentliche Revision der Budgets der Pro vinzen und Gemeinden obliegen, damit alle Ausgaben den Steuerkräften angemessen seien. Dieses Decret wird dem Parlament vorgelegt und zum Gesetz umgewandclt werden. Die Regierung wird außerdem im Parlamente Gesetzentwürfe, betreffend die Ausfuhrzölle auf Schwefel lässigen, der er mit einer durch lange Gewohnheit an erzogenen Ritterlichkeit begegnete. Vielleicht geschah das Alles auch nur instinctmäßig. Wenn er heiter war, war er meistens zärtlicher gegen Thea gewesen. Jedenfalls waren gute Zeiten auf Lensihn. Selbst da« Kind, zu dem Harry eigentlich noch nie in ein rechtes Verbältniß gekommen war, liebkoste er jetzt öfter. Man hätte glauben können, daß das Gefühl der Vaterschaft in ihm erwacht war. „Du hast aber wirklich einen musterhaften Gatten, liebe Tbea", sagte Frau von Sennfeldt eines Abends, als Harry gegangen war, etwas zu holen, wonach sie selber hatte geben wollen. Sie sagte es erst, als er wieder zurückkam, in seiner Gegenwart. Es sollte vielleicht harmlos klingen, aber für Thea lag in dem Ton etwas Verbittertes, Neidisches, sogar Aufreizendes. Es kam ihr vor wie eine versteckte Kriegs crklärung, wie das erste Signal zu einem Wettstreit. Thea konnte die Empfindung überhaupt nicht loswerden, daß Harry's Mutter den Sohn, den sie so lange ausschließlich besessen und beherrscht hatte, ihr noch immer nicht gönnte, daß es ib. nicht recht war, mit anseben zu müssen, daß er glücklich ge worden sei, und wie er überhaupt ohne sie, die Mutter, leben und seines Lebens froh werden könne. Harry seiber schien durch daS Lob seiner Mutter cr(t zum Bewußtsein dessen zu kommen, daß er in der Tbat sehr aufmerksam und opferwillig sei. Er überlegte sich sogar, ob er sich auch nichts damit vergab. Es war im Grunde etwas von einer Pascha-Natur in ihm, und seine Mutter hatte sic großgezogen. Er sagte sich, daß seine Dienstbeflissenheit wohl wirklich nicht am Platze sei. Allmählich bildete er sich aus die Geduld und Heiterkeit etwas ein, womit er sein Loos trug, und schließlich verfiel er wieder in die Ueberzeugung, daß dies Loos seiner nicht würdig sei, sondern daß seine Kräfte und Fähigkeiten hier verkümmerten. Ja, er hätte seiner Mutter jetzt auch geglaubt, wenn sie ihm gesagt hätte, er sei ein todesunglücklicher Mensch. Frau von Sennfeldt begriff das. Sie fühlte zu ihrer eigenen wachsenden Genugthuung, daß sie über Harry wieder Macht gewann, daß sie diese Macht sogar besaß, ehe sie die- selbe nock erprobt batte. Sie war mit der festen Absicht nach Lensihn gekommen, Harry zu bemitleiden. Und im Grunde: was war daS für eine Existenz, die er hier führte'? Diese Gesellschaft von Cavallerieofficieren, denen man ein längeres Vegitiren in einer kleinen, wrltabgelegenrn Garnison gar zu deutlich anmerkte, konnte ja wohl hier und da im Anekdotenerzählen und Sport-Unterhaltung über
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