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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.04.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-04-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960409026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896040902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896040902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-04
- Tag1896-04-09
- Monat1896-04
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2082 Par« gehörig avtzzudeuteo und auSzubruten, aber man ist im Irrtdum, wenn man glaubt, daß die deutsche Diplomatie ihre Entschlüsse von beute aus morgen änvere, zumal wenn kein greifbarer Anlaß dazu ersichtlich ist. Die Anwesenheit Hohenlohe'» in Paris bat durchaus nichts Ausfälliges, da die Fürstin Hobenlohe-Wittgenstein jedes Jahr mindestens einmal nach Paris zu kommen pflegt und da man weiß, daß Fürst Hohenlohe seine Gemablin, ohne irgend einen politischen Zweck zu verfolgen, begleitet. Fürstin Hohen lohe bat noch auS früherer Zeit eine Wohnung in der Avenue du BoiS de Boulogne. Selbstverständlich beobachtet Fürst Hohenlohe daS strengste Jncognito und hat nur wenige Besuche gemacht, lieber eine» aber kann man in Paris beruhigt sein: Unsere Zustimmung zu dem Sudanunternehmen Englands hat durchaus keine Spitze gegen Frankreich und bildet nichts weniger als einen Präcedenzfall, aus welchem aus eine Annäherung an England geschlossen werden könnte. Der Rückzug Meneltk'S nach Makalle giekt den ita lienischen MilitairS und Politikern zu denken. Man mußte annebmen, daß, wenn die FriedenSverhandlungen scheiterten, der NeguS sich zu einem Vorstoß gegen Asmara entschließen würde, wo zur Zeit daS italienische Expeditionscorps in wohl verschanzten Stellungen steht. Anstatt dessen siebt sich der sieg reiche „König der Könige", der den Italienern nicht weniger als drei schwere Niederlagen beigebracht und 2000 Kriegsgefangene gemacht hat, durch die herannahende Regenzeit und den in seinem Lager herrschenden Nahrungsmangel gezwungen, sich mit seinem 80 000 Mann starken Heere in das Innere seines Reiches zurückzuziehen und befindet sich bereits 100 km süd lich von Adua, seinem früheren Hauptoperationspunct. Nur die beiden fanatischen Feinde der Italiener, RaS Alula and Ras Mangascha, sind mit einem Corps von 20 000 Mann in der Nähe von Adigrat, wo bekanntlich noch immer ein italienisches CorpS eingeschlossen ist, zurück gelassen. Angesichts dieser Situation erscheint die Lage complicirt. General Baldissera steht vor der Frage, ob er sich noch weiter auf die Defensive beschränken oder sofort zum Entsatz von Adigrat vorgeden und sich in einen Kampf mit Ras Alula und Ras Mangascha einlassen soll. Die Erfolge, die die Italiener soeben bei Kassala gegen die Derwische errungen haben, würden diesen Vorstoß wesentlich erleichtern. Die Crispi nahestehende „Tribuns" schreibt zu diesen Erfolgen, dieselben seien eine crnste Mahnung an daS Cabinel Rudini, keinen übereilten und demüthigen Frieden mit Menelik abzuschließen. Die italienischen Soldaten hätten gezeigt, daß sie unter guter Führung selbst gegen eine Uebermacht zu siegen verständen. — Hätte man sich Äigland gegenüber nicht verpflichtet, Kassala zu halten, bis der Sudanzug entschieden ist, setzt wäre cs Zeit, eS aufzugeben und zu einem die militairische Ehre Italiens rettenden Schlag gegen Menelik auszuholen, der offenbar unter großen Berproviantirunzsschwierigkeiten leidet Die Jahreszeit gestattet, wenn auch nur mit genauer Noth, gerade noch einen Borstoß nach Süden. Hoffentlich kommt es wenigstens zum Entsatz Adiaratö, da zu diesem Zweck Baldissera nicht seine ganze Macht südwärts zu bewegen braucht. Zwischen der russischen Regierung und Bulgarien schwebt augenblicklich, wie österreichisch-ungarische Blätter behaupten, die Frage des bulgarischen Schismas. Die bulgarische Kirche ist nämlich keine Landes-, sondern eine Nationalkirche. Ihr Oberhaupt ist der bulgarische Exarch in Konstantinopel, der, unab hängig vom ökumenischen Patriarchat, nicht bloö für die Bulgaren im Fürstenthum Bulgarien und in Öst- rumelien, sondern für sämmtlicke Bulgaren auf der Balkan halbinsel, also namentlich auch für diejenigen in Make donien, sein kirchliches Amt versieht. Dasselbe hat somit eine großpolitische Bedeutung und verkörpert in sich bis auf Weiteres die großbulgarische Idee. Man meldet nun, daß von der russischen Botschaft in Konstantinopel Ver handlungen mit der Pforte und dem ökumenischen Patriarchat eingeleitet wurden, um daS bulgarische Schisma zu beseitigen und so an Stelle des Exarchats eine autokephale bulgarische Landeskirche, wie die serbische, griechische, rumä nische Kirche, zu schaffen. DaS Oberhaupt dieser Kirche hätte seine Residenz in Sofia und die Grenzen seiner Com- petenz innerhalb der Grenzen deS Fürstenthums Bul garien und Ostrumelien. Die Bulgaren io Makedonien und den anderen unter direkter Oberhoheit des Sultans auf der Balkanhalbinsel gelegenen Landstrichen würden aber der kirchlichen Judikatur des ökumenischen Patriarchats über wiesen und so ihrer kirchlich-nationalen Sonderstellung und Autonomie verlustig gehen. Es ist begreiflich, daß nicht bloS daS bulgarische Exarchat in Konstantinopel dieser „Reform" lebhaft widerstrebt. Die Beseitigung des Exarchats würde, wie der „Pol. Corr." geschrieben wrrd, ohne allen Zweifel die Opposition deS größten TheileS deS bulgarischen Volkes sowohl im Fürstenthum, als auch in der Türkei bervorrufen, da eben durch diesen Act daS wirksamste Mittel zur Förderung der großbulgarischen Pläne auf der Balkan-Halbinsel verloren ginge. Die Berlängerung deS Konstantinopler Aufenthalt» de» Fürsten Ferdinand von Bul garien hängt, die Richtigkeit jener Meldungen vorausgesetzt, wohl mit dieser Angelegenheit zusammen. Er hat sich jetzt zu überlegen, ob er sich der russischen Anregung bequemen und eben dadurch mit der Mehrheit seines Volte« in Wider spruch setzen oder gleich im Anfang daS eben erst hergrftellte Verhällniß zu Rußland trüben will. Für die spanisch-amerikanischen Beziehungen ist und bleibt Euba der Stein des Anstoßes. In Madrid ver folgt man mit dem lebhaftesten Mißvergnügen den Fortgang der cubafreundlichen Propaganda auf amerikanischem Boden und ist von dem Beitritt des Washingtoner Repräsentanten hauses zu der cubafreuudlichen Resolution des Senats äußerst empfindlich berührt. Die Resolution lautet: Beschlossen vom Senat unter Zustimmung des Hauses der Re präsentanten, daß nach der Meinung des Congresies ein Kriegs zustand zwischen der Regierung von Spanien und der von dem Volke Cubas proclamirtcn und seit einiger Zeit durch Waffengewalt ausrechterhaltencn Negierung besteht und daß die Bereinigten Staaten von Amerika eine stricte Neutralität zwischen beiden streitenden Mächten beobachten sollten, indem sie Jedem alle Rechte der Kriegführenden in den Häsen und ans dem Gebiete der Ver einigten Staaten gewädren. Beschlossen ferner, daß die guten Dienste der Bereinigten Staaten durch den Präsidenten der spanischen Regierung angeboten werden sollten zur Anerkennung der Un abhängigkeit Cubas. Da die beiden Körperschaften sich auf den Wortlaut der selben Resolution geeinigt Haden, diese also eine sogenannte „Concurrcnte" ist, so bedarf sie nach dem bisherigen Brauche nicht der Unterschrift des Präsidenten, wird ihm demnach auch nicht zur Bestätigung oder Ablehnung vorgelezt. Vielmehr wird die Sache einfach dadurch erledigt, daß der Präsident der Resolution Folge giebt, oder sie auf sich Keruben läßt. Allerdings wissen die spanischen Regierungskreise, daß Cleveland der erklärte Gegner jeglicher Zuspitzung der wegen Cubas zwischen Spanien und den Vereinigten Staaten herrschenden Meinungsverschiedenheit ist, und auch, daß sein Einfluß hinreicht, den kubanischen Sympathien des Congresses die Stange zu halten, allein dies ist ein vergleichsweise nebensächliches Moment, das seine Wirkung nur nach der negativen Seite hin zu entfalten vermag. Cleceland kann, so lange er am Ruder ist, einen Bruch der Beziehungen zwischen beiden Staaten bintanhalten, er kann aber nicht verhindern, daß die gereizte Stimmung in Spanien weitere Fortschritte macht und zu irgend einem Zeitpunkte, der die vermittelnde, versöhnende Action der Staatsmänner und Diplomaten an der Entfaltung ihrer vollen Kraft hindert, mit elementarer Wucht hervorbricht. Das osficielle Spanien hat wiederholt er klärt, es werde Alles an die Behauptung feiner Herrschaft über Cuba setzen. Um Lieser Erklärung Nachdruck zu verleihen, wird mit den Rüstungen zu Lanve und zu Wasser fortgefahren. Da die Fieberjahreszcil vor der Thür fleht, welche jede größere militai rische Kraftanstrengung auf Cnba unmöglich macht, können die gegenwärtigen Rüstungen Spaniens nur einen demonstrativen Charakter beanspruchen, indem sie Zeugniß ablegen von der Entschlossenheit des Mutterlandes, im Herbste den Faden der Action da wieder aufzunehmen, wo man ibn jetzt nothgedrungen liegen lassen muß. Ihren nächstliegenden Zweck werden die spanischen Rüstungen ersüllt haben, wenn sie den Amerikanern einige Zurückhaltung in Sachen Cubas abnöthiqen sollten. Wir glauben auch nach wie vor, daß dieser Zweck erreicht werden wird, denn die Abkühlung des amerikanischen Chauvinismus ist eine merkliche, mehr noch im Lande als in den Vertretungen. Hier ist die Majorität für die Resolution von 262 auf 244 Stimmen gesunken und die Minderheit von 17 auf 44 Stimmen gestiegen; dort will, wie aus der maßgebenden Presse hervorgeht, kaum noch Jemand von der „Anrempelei" Spaniens wegen der cuba- nischen Zuckerplantagen wissen. Um so weniger sollte sich aber der spanische Patriotismus durch derartige „Provoka tionen" zu fortgesetzten Demonstrationen hinreißen lassen, die schließlich der ganzen Angelegenheit noch eine sehr ernste Wendung geben können. Die richtige Antwort auf die Be schlüsse der amerikanischen „Volksrepräsentanz" wäre ein entscheidender Schlag gegen dir Insurgenten. Allein dieser ist bis jetzt weder Campos noch Wehler geglückt. Deutsches Reich. 2 Berlin, 8. April. In der preußischen Creditvorlage, die soeben dem Abgeordnetenhause zugegangen ist, werden 3 Millionen für Errichtung von landwlrtbsckaftlichen Getreidelagerhäusern verlangt. Die der Vorlage bei gegebene Denkschrift über die Errichtung solcher Lagerhäuser zeichnet sich durch eine außerordentliche Vorsicht in der Ab wägung des Planes und seiner mutbmaßlichen Folgen aus. So wie die Sache gedacht ist, werden sich schwerlich stichhaltige Einwendungen allgemeiner oder finanzpolitischer Natur dagegen erbeben lassen. Das finanzielle Risico des Staates ist aus ein Minimum eingeschränkt, da nach der Denkschrift nicht nur bei der Errichtung der Kornhäuser die Lage der örtlichen Verhältnisse einer eingehenden Prüfung unterworfen und die Auswahl der für die Anlage in Betracht kommenden Punkte sorgsamst getroffen werden soll, sondern auch der einsichtige und zuverlässige Betrieb der Kornhäuser durch leistungs fähige Träger von vornherein sichergestellt werden wird, so daß eine angemessene Verzinsung und Tilgung der auf gewendeten Beträge zu erwarten ist. Da weiterhin zu beachten ist, wie auch die Denkschrift wiederholt betont, daß es sich zunächst nur um ein versuchsweises Vorgehen bandelt, so wird sich nach dieser Seite hin kaum ein Bedenken ergeben. Zieht man andererseits die großen Vortheile in Betracht, welche sich für unsere Lanv- wirthschaft aus dem Gelingen deS Versuchs unzweifel haft ergeben werden, Vortheile, die zum wesentlichsten Theile obne jede Schädigung des Consumenten erreicht werden, so dürfte der Rest von Bedenken wohl schwinden. Die Wirth- schaftspolitischen Einwendungen, welche gegen den Plan er hoben werden könnten, werben von der Denkschrift in der Hauptsache bereits mit der Bemerkung erledigt, daß nicht eine Vertheuerung der Brodfrüchte, sondern die thunlichste Beseitigung eines unnöthigen Zwischenhandels und die Ver minderung der .Kosten der Behandlung des Getreides den Zweck der Errichtung bilden soll. Selbst einen auf die Selbsthilfe pockcnden Doktrinarismus dürste der Umstand zu Gunsten Les Planes stimmen, daß auf dem vorge;chlagenen Wege eigentlich nur die Vorbedingungen für die Bethängung der genossenschaftlichen Selbsthilfe erfüllt werden sollen. Wir sind der Ueberzeugung, daß dem Plane die Zustimmung der großen Mehrheit des Abgeordnetenhauses nicht fehlen wird. * Berlin, 8. April. In dem Handelsverträge mit Japan hat das Recht der Erwerbung von Grundeigenthum nicht durchgesetzt werden können. Die deutsche Regierung ist, wie der „Magd. Ztg." geschrieben wird, denselben Bedenken begegnet wie im Jahre 1889 bei den damals geführten Ver handlungen über den Abschluß eines Handelsvertrages. Man befürchtet in Japan, daß bei dem Zugeständniß des Rechts zur GrundeigenthumSerwerbung der japanische Grund und Boden bald in die Hand ausländischer Spekulanten über gehen werde und hat deshalb auch in den mit England rc. abgeschlossenen Verträgen keine Zugeständnisse in dieser Be ziehung gemacht. Es ist indessen den Bemühungen unserer Unterhändler gelungen, einen Ersatz für die Nichteinräumung jenes Rechtes insofern zu schaffen, als in Form von Mieths- und Pachtverträgen eine rechtliche Unterlage für gesicherte Niederlassungen von Deutschen in Japan geschaffen ist. Der glückliche Verlauf unserer Verhandlungen mit Japan legt die Hoffnung nahe, daß eS in absehbarer Zeit gelingen werde, auch für unsere Handelsbeziehungen zu China eine günstigere Unterlage zu schaffen, als der Handels- und FrcundschaftSverlrag vom 2. September 1861 und die Zusatzconvention vom 31, März 1880 sie gewährt. Die Aussichten hierauf würden um so günstiger sein, wenn sich be stätigen sollte, daß unser früherer Gesandter in Peking, Herr v. Brandt, die Stellung eines vertraulichen Rathgebers bei der chinesischen Regierung erlangt hat. * Berlin, 8. April. In einem „Privatperson und Parteipräsident" überschriebenen Artikel macht die „Conservative Correspondenz" den Hofprediger a. D. Stöcker für die Auslassungen des „Volk" verantwortlich. Herr Stöcker hat in seiner „Dlsch. Ev. Krchztg." geschrieben, er sei sich nickt bewußt, seit seinem Austritt in Wort und Thal irgend etwas gegen die conservative Partei unternommen zu haben. Die „C- C " will diese Behauptung nicht einmal für die Person Stöcker's unbeanstandet lassen; allein, eS handele sich nickt um Herrn Stöcker als Person, sondern als Präsident der Christlich-Socialen, und als solcher sei er unzweifelhaft für die Angriffe und Aeußerungen des Parteiorgans verantwortlich. Es heißt in dem Artikel dann Weiler: „Der Frankfurter christlich-sociale Parteitag hat nun aber mit Einstimmigkeit die Zeitung „Das Volk" als osficielles Parteiorgan vroclamirt. und „Tas Volk" hat damit sich einverstanden erklärt. Daraus ergiebt sich, daß das genannte Blatt seine bis dahin stets betonte volle Unabhängigkeit geopfert und der Disciplin des Partei vorstandes sich unterworfen hat. Die Aeußerungen der Zeitung „Tas Volk" tragen also partei-osficiöjen Charakter, und für sie ist der Präsident der Partei, Herr Hofprediger Stöcker, insoweit ver antwortlich. als er ihnen nicht widerspricht. Es geht jetzt nicht mehr an, „Das Volk" als ein unabhängiges, dem Einflüsse der christlich-iocialen Parteileitung nicht zugängliches Blatt hinzustellen. Eine Erklärung des Herrn Hofpredigers Stöcker dahingehend, daß er persönlich nichts Feindseliges gegen die konservative Partei unternommen habe oder unternehmen werde, dürfte unter diesen Umstünden nicht genügen, die gegenthcilige Meinung einer großen Zahl konservativer Parteigenossen zu widerlegen; den« in dem Augenblicke, wo „DaS Volk" ofsicielles Organ der nunmehr auf eigenen Füßen stehenden christlich - socialen Partei geworden ist, hat das Verhällniß dieses Blattes zn der christlich - socialen Partei leitung, insonderheit zu deren Vorsitzenden Herrn Stöcker eine feste, greifbare Gestalt angenommen, und mit dem Augenblicke, wo Herr Stöcker erklären würde, er besitze einen maßgebenden Einfluß aus die Zeitung „Das Volk" nicht, würde dieses Blatt nothwendigerweise und folgerichtig aushören müssea, sich als osficielles Organ der Partei, deren Präsident Herr Hofpredigrr Stöcker ist, zu betrachten." Die „C. C." fordert zum Schluß Herrn Stöcker auf, waS ihm ja nicht schwer fallen könne, daS Organ seiner Partei zu einer Einstellung der Feindseligkeiten gegen die Conservativen zu zwingen, sofern eS in der Tbat sein fester Wille sei, solche Feindseligkeiten oicht blo» für seine PeHon -u vermeiden. Für diesen Fall garantirt da» osficielle Organ der Conser- vativea Herrn Stocker und der christlich-socialen Partei volle Gegenseitigkeit. Daß der Fall aber eintreten werde, glaubt die „C. C." wohl selber nicht. — Zu dem christlich-socialen Parteitag waren etwa 120 Delegirte und Theilnehmer anwesend. Vor dem Eintritt der Mittagspause wurden folgende, telegraphisch schon kurz erwähnte Beichüsse gefaßt: „Der Parteitag beschließt, daß die christlich-sociale Agitation in erster Linie in den Städten ihre bisher ruhende Thätigkeit auszu- nehmen und mit geeigneten, den localen Verhältnissen entsprechenden Mitteln ihre Ziele zu fördern hat. Arbeiterfrage, Handwerkerfrage und Frauensrage sind zunächst dem allgemeinen Berständniß in christ- lich-socialem Sinne nahe zu bringen »ad dahin zu wirken, daß staatliche und commnnale Institutionen den Forderungen der ver schiedenen socialen, in besouderer Noth und Gefahr stehenden Volks- gruppen gerecht werden. Der Parteitag spricht Herrn Hosprediger a. D. Stöcker, dem hochverehrten und geliebten Vor sitzenden, in dankbarer Anerkennung seiner ungebeugten Festigkeit gegenüber auch seinen neuen Gegnern aus dem con- servativrn Lager das unbegrenzte Vertrauen aus und gelobt, seiner Fahne in unerschütterlicher Treue Folge zu leisten." Die Annahme dieser Resolution erfolgte einstimmig. — Im Anschlüsse an den Parteitag fand Abends eine große öffentliche Versammlung statt, in der Stöcker die allgemeine Lage und die Broschüre deS Obersten von Krause besprach. Die Versammelten erkannten die endgiltige Scheidung von der konservativen Partei an. — Graf Mirbach liebt eS bekanntlich, von seiner Person möglichst viel reden zu machen. Heute veröffentlicht er einen schriftlichen Dank in der „Deutschen Tageszeitung", da eS ihm nicht möglich gewesen sei, alen den Männern, insbesondere auS dem Kreise der Landwirthe, die ibm ihre Anerkennung für seine Ausführungen vom 26. März im Herren Hause ausgesprochen haben, brieflich zu danken. — Gegenüber der Meldung eines Berichterstatters, die Hauptverhandlung gegen 56 Vorstandsmitglieder social demokratischer Vereinigungen in Berlin werde am 28. April vor dem Schöffengerichte unter der Bezeichnung Hintze und Genossen stattfinden, schreibt der „Vorwärts", den An geklagten sei von dem Termine noch nichts bekannt. Außer dem finde der Proceß vor dem Landgerichte unter der Bc zeichnung Auer und Genossen statt. — In Marinekreisen erregt die vom Oberkommando der Marine verfügte sofortige Entlassung des von der türkischen Regierung zur Dienstleistung in unserer Marine abcomman dirten Capitainlieutenants MuSlihuddiu Aufsehen. — Or. HanS Gruner ist, von Jena kommend, gestern in Berlin eingetroffen. Er begiebt sich nach Erledigung seiner Angelegenheiten im Auswärtigen Amt nach Hamburg, von wo er am 10. d. seine zweite Reise antritt, vr. Gruner sind, der „Post" zufolge, für seine zweite, in daS Hinterland von Togo gehende Reffe aus dem AsrikafondS 20000 bewilligt worden. — Ja der „Germania" veröffentlicht der Abg. Porfch daS ge wünschte „kräftige Dementi" der Mlttheilungen der „Deutschen Reichszeitung" über die Gründung einer katholischen Volks partei rc. Am Schluß erklärt er auch, daß die Mittheilungen über eine parteipolitische Thätigkeit deS Cardinals Kopp «ine jede: Grundlage absolut entbehrende, frivole und ungerechte Erfindung seien. — In einer öffentlichen Versammlung der Schuh macher kam es gestern, wie die „Post" berichtet, zu stür mischen Auseinandersetzungen zwischen den Socialdemokraten und Hirsch-Duncker'schen Gewerkvereinlern: Letztere erklärten sich mit der Verkürzung der Arbeitszeit, auch mit dem Acht stundentag, einverstanden und regten ein gemeinsames Vor gehen zu diesem Zwecke an. Ihr Anerbieten wurde mit Hohn znrückgewiesen; sie selbst wurden mit beleidigenden Zurufen überschüttet. Für den ersten Mai beschloß die Versammlung unbedingte Arbeitsrube für alle Branchen der Schuhmacherei. Nachdem die neunstündige Arbeitszeit in den Schuhfabriken errungen, soll der Versuch gemacht werden, sic auch in den Schuhmacherwerkstätten durckzuführen. — Wegen Majestätsbeleidigung wurde gestern der Arbeiter Rudolf David von der zweiten Strafkammer am Landgericht I zu drei Monaten Gefängniß verurtheilt. Wegen Ungebübr vor Gericht — der Angeklagte war im angetrunkenen Zustande zu der Verhandlung erschienen — erhielt er eine sofort zu verbüßende Haftstrafe von einem Tage. — Wegen Beleidigung eines katholischen Priesters wurde heute der Schuhmacher Johann Pichockn vor der dritten Strafkammer hiesigen Landgerichts I zur Verantwortung gezogen. Der Angeklagte ist verantwortlicher Redakteur der in Berlin in polnischer Sprache erscheinenden socialdemokratischen Arbeiterzeitung. Die Zeitung brachte in ihrer Nummer vom 16. November v. I. eine Correspondenz auS Kattowitz, worin der in einem dort benachbarten er seine Zwecke verfolgte. So jagte er denn auch heute in wilder Carriöre dahin, um noch rechtzeitig an der Station zu sein. Dabei merkte er, daß seine Mutter wirklich recht gehabt batte: e» war schwül, unerträglich schwül. Der Schweiß troff ibm von der Stirn, wie er so dabinjagte, wiewohl keine Sonne am Himmel stand. Die Luft war völlig unbewegt, sie blendete mit einem grauweißen Schein, der den Augen wehtbat. Eine lastende Schwere brütete über den öden Stoppelfeldern, zwischen denen er auf den weißen Sandwegen scrffprengte. Es war Alle» leer in dieser Nachmittagsstille rundum. Nur irgendwo sah Harry auf dem Felde eine Schafherde, die sich ganz dicht zusammengedrängt hatte und bewequngölo» in die schwüle, trockene Lust stierte, die ganz mit Sandkörnchen erfüllt zu sein schien, obgleich kein leisester Lusthanck ihn aufwirbelte. Der Schäfer kauerte strickend im ! argen Schatten eine« Überhängen-«» Baumzweigö am Feld- ran?, neben ihm sein zottiger weißer Hund, der die Zunge, rasch und kurz athmend, weit zum Maul herauShängen ließ. Harry sah da» Alles wie in einem Traum vorübergleiten. Hin und wieder nach der Uhr blickend, überzeugte er sich immer aufs Neue davon, daß er die höchste Eile nöthig habe, und schonte Reitpeitsche and Sporn nicht. DaS Pferd keuchte schon hin und wieder, weißer Schaum flockte ihm um Gebiß und Trense. Und noch immer wollte da» StationShauS nicht austauchen. Endlich sah er r» vor sich. Aber fast iw gleichen Augen blick börte er auch den Zug, den er benutzen wollte, schon beranpfeifen, und dieser hielt nur eine einzige Minute in Borkeafrirde. Nun also galt e». DaS Pferd bäumte sich hoch auf unter dem Spornstoß Harry'», der ibm zu Theil wurde, eS fah auS, als wollte e» sich in der nächsten Sekunde mit seinem Reiter Überschlagen. Dann aber brauste eS wie im Sturm dahin, keuchend, mit geblähten Nüstern, mit wild schlagenden Flanken, ganz von Schweiß und Schaum über deckt. Und Harry selber zitterte vor Anstrengung und Auf regung. Sein Körper glübte. die Zunge Neble ibm am Gaumen, er athmete mit Mühe, Alle- an ihm vibrirte und der Schweiß floß in Strömen an ihm herab. E» kam ibm vor, als se, daS Höchste daran gelegen, daß er jetzt sein Ziel «rreichte. Und er erreichte e» wirklich. Die Beamten sahen den beraobraufenden Reiter, der mit Hand und Gerte Zeichen machte, der Zug möge halten, und da sie ihn Alle kannten, hielten sie wirklich. Es kam auf dieser Nebenbahn auf ein paar Minuten mehr oder weniger nicht so genau an. AIS Harry in den Hof der Station rinritt, brack sein Pferd in die Kniee, über dessen Hals fort sprang er hinab, rief dem herbeigelaufenen Stationsvorsteher ein paar Worte zu, für daS Thier zu sorgen, hörte nock dessen bedauernde Erwide rung, das Thier scheine zu Schanden geritten zu sein, und batte in der nächsten Sekunde die Thür deS ihm vom Schaffner dienstbereit aufgerissenen AbtbeilS hinter sich zu geschlagen. Der Zug setzte fick in Bewegung. Harry hatte seine Mütze abgeworfen und die Joppe geöffnet. Er riß beide Wagenfenfter auf und lehnte sich dann hinaus, um nach seinem Pferde zu seben. Gerade konnte er nock gewahren, daß eö hilflos, unfähig, sick zu erheben, sich am Boden wälzte und ein Schwarm von Neugierigen sick darumber ange sammelt hatte. Schade, dackte er, da» Thier ist hin. Aber e» war ja ohnedies eine unglückliche Acquisition. Und wer weiß, wann ich wieder ein Reitpferd auf Lensihn nöthig habe? Heute muß ich von Dellin auf einem Officierpferb nach Hause reiten. Damit warf er sich aufathmend in die Sammetpolster zurück. Die Zugluft im Wagen tbat Harry wohl. Er war am ganzen Körper naß, seine Brust athmete ungestüm, die Haare klebten ihm an den Schläfen. Nach einiger Zeit verspürte er freilich eine unbehagliche Abkühlung am Körper, er schauerte leicht zusammen, ihn fröstelte sogar. Aber er athmete nun doch wieder leichter und ruhiger. Mit einer gewissen innerlichen Genugtuung stieg er in Dellin aus. Sein erste-, al» er im Officiercasino eintrat, war, mit seinem Parforceritt zu reoommiren. Er erregte auch wirklich große- Aufsehen damit. Daß er daS Pferd hatte so schonungslos verenden lassen, nur um seinen Willen durchzusetzen, imponirte allgemein. Es waren freilich nickt Viele in der Lage, ein eben erst um Koben Preis erstandene- Thier so aufs Spiel setzen zu können. DaS war's vor Allem, was Eindruck mackte, trotzdem Viele da- Pferd bedauerten. Man trank Harry zu, er selbst war auf geräumter al» je, und der Abend gestaltete sick so äußerst angeregt. Man rauchte und becherte viel. Schließlich sollte Harry auch durchaus singen, obgleich er daS sonst hier unter Cigarrenrauck und Weindunst utld vor lauter Herren, die ein ganz anderes Genre von Musik liebten, nickt zu tun pflegte. Heute war er so angeregt, daß er noch weiß Gott was sonst gethan haben würde; er wollte sich ja betäuben. Und so sang er denn, sogar ohne viel Ziererei und Mätzchen, ganz frisch d'rauf lo». Nicht einmal mit Heiserkeit entschuldigte er sich. Und nun passirte e- ihm mitten im Gesang, daß ihm die Stimme versagte. Sie blieb völlig auS, auck nicht einen einzigen Ton brachte er zum Vorschein. Leichenblaß, mit zitternden Gliedern trat er zurück. Er hatte daS noch nie erlebt. Wie von einem Schlaganfall getroffen sank er in einen Stuhl. Die Officiere wandten den ganzen Vorfall ins Komische und überboten sich in mehr oder minder gelungenen Scherzen darüber. Harry war jedoch minutenlang fassungslos. Er hatte noch nie etwas AehnlicheS erlebt. Ihm war's geradezu wie ein memento wori. Es war eine ungeheure Angst, ein merkwürdiges Grauen in ihm. Nach ein paar Minuten hätte er weiter singen können, er fühlte, daß die Stimme wieder da war und fand eS durch eine Probe, die er an stellte, auch bestätigt. Aber nun mochte er nicht mehr singen, eine unbesiegbare Scheu war in ihm, daS Gleiche könne nock einmal geschehen wie vorhin. Um so mehr trank er, um wieder lustig zu werden und den unangenehmen Zwischenfall zu vergessen. Allmählich gelang ihm daS auch. Aber nun war eS spät geworden und er mußte an den Ausdruck denken. Nur daß man gerade jetzt anfing zu spielen und ihn um keinen Preis fortlassen wollte, zumal da er etwas von seiner demnächstigen Abreise auf unbestimmte Zeit hatte verlauten lassen. Wohl oder übel mußte er sich noch an ein paar Spielen betheiligen. Lieutenant Horstmann weigerte sich, ihm sonst daS Pferd zur Verfügung zu stellen, auf dem er nach Lensihn zurückreiten wollte. ES war überdies rathsam, die Morgenhelle zu diesem Ritt abzuwarten, denn der Nachthimmel war sternenlos, dunkle Wolken umlagerten ihn. Harry spielte also mit. Und, wie gewöhnlick, verlor er, diesmal sogar rascher und bedeutendere Summen, al» sonst. Er spielte infolge seiner Gemüthsstimmung aufgeregt und unruhig, er war zerstreut und seine Verluste wuchsen immer mehr an. Da seine Baar mittel, die er bei sich trug, erschöpft Warrn, mußte er schließlich Ebrenschrine auSstellen, und je mehr er verlor, desto kopfloser svielte er. Dabei fieberte er zuletzt vor Erregung. Sein Kopf glühte und seine Adern klopften. Endlich ließ man ihn fort, man redete ibm sogar zu, er solle aufbrrchea. Mit den Ehrbegriffen der Officiere vertrug eS sich nicht länger, ihn dauernd so stark verlieren zu lassen, während man sah, daß er nicht im Geringsten bei der Sache war. Wie viel er verloren hatte, wußte er selber nickt, al» er, wie ein Trunkener, in Begleitung von ein paar Officiere» vor da» Casino hinauStrat, wo da» gesattelte Pferd seiner schon harrte. Es war gegen drei Uhr und eine schwüle Nacht. I» der Ferne grollte e», als Harry zu Pferde stieg. Gute Nacht — oder vielmehr: Guten Morgen, meine Herren! Und er galoppirte davon. Als er kaum eine halbe Stunde geritten war, brack endlich da» Gewitter lo», da» schon seit dem Nachmittag gc droht hatte. Blitz und Donner folgten sich fast unmittelbar, eS war eigentlich ein ununterbrochene» Rollen und Knattern am Himmel. Und dann fing eS an, niederzugießen, wahre Ströme Wasser» brachen hervor. In wenigen Minuten war Harry, der große Mühe hatte, sei» scheueadeS Thier vom Durchgehen zurückzuhalten, völlig durchnäßt. Trotzdem gab eS keine Möglichkeit, irgendwo emzvkehren, und nicht einmal schnell reiten konnte man, weil die Wege im Umsehen so aufgeweicht waren, daß da» Pferd bei jedem Schritte tiej einsank, und die Finsterniß zudem fast uadurchdringlich war, so daß die höchste Vorsicht geboten schien. Nach vierstündigen! Ritt, vor Frost zitternd, so daß ihm die Zähne zusammen schlugen, von Nasse triefend und kaum mehr im Stande, die Zügel zu halten, langte Harry endlich todtmüde aus Lensibn an. Man mußte ihn au» dem Sattel heben, weil nun, wo die Aufregung nachließ, ihn eine Schwäche befiel, die eiaer Ohnmacht sehr ähnlich war. Er sah völlig entfärbt aus und hielt sich nicht mehr aufrecht, seine Stirn glühte und seine Augen waren wie verglast. Man trug ibn in» Hau- Frau Lydia schlief noch, aber Thea war natürlich längst auf. Sie erblaßte, als sie Harry in solchem Zustande wieder sah, sagte aber kein Wort, sondern traf nur mit ruhiger Umsicht ihre Anordnungen. Sofort mußte ein »necht io die Stadt reiten, um ven Arzt zu holen. Inzwischen hatte sie selber schon alles Nöthige besorgt, so daß der Arzt bei seinem Kommen e» nur noch zu bestätigen wußte. Im Uebrigea konnte er blo» fest stellen, daß Harry in heftigem Fieber lag, hoffte aber, den aesammten Zustand nur de» stattgehabten Erregungen und Anstrengungen zufchrribeo zu dürfen, obne daß eine ernstliche Krankheit als Folge davon zu befürchten war. Schonung war in allen Fällen dringend geboten. Harry selbst war vor Schwäche thrilnabmloS, auch sichtlich unklar. Uebrrdie» war eine sonderbare Angst io ihm, er wagte offenbar gar nicht zir sprechen. Aber Thea fragte auch nicht. Kein Borwurf war über ihre Lippen gekommen, uod sie forschte nicht, wie und warum vaS Alle- gekommen war. Für sie handelte es sich nur darum, daß Alle» wieder gut wurde. Sie war die aufmerksamste und umsichtigste Pflegerin, die mao kch nur wünschen konnte. (Fortsetzung folgt)
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