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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.04.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-04-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960410020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896041002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896041002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-04
- Tag1896-04-10
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Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mn Postbesörderung >8 70.—. Anzeiger. Ätttlsklaü des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Ratljes «nd Nokizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Freitag den 10. April 1896. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei dm Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig SV. Jahrgang. Amtlicher Theil. Postschalter-Verkehr an Sonn- und Feiertagen. Boa der Postverwaltung ist die Beschränkung der Zeit, während deren an den Sonntags« und Feiertags-Nachmittagen die Post schalter geöffnet sind, auf eine Stunde» und zwar 5 bi» 6 Uhr, in Aussicht genommen. Däfern gegen diese Maßregel in den Handels- und Industrie- Kreisen sachliche Bedenken obwalten, bitten wir solche bi« znm 18. p. M. schriftlich bei unserer Kanzlet, Neue Börse, Tr. ä, I., anzubringen. Leipzig, den 10. April 1896. Die Handelskammer. A. Thieme, Bors. vr. Gensel, S. Politische Tagesschau. * Leipzig, 10. April. Der von der socialdemokratischen Parteileitung erlassene und in unserer heutigen Morgenausgabe mitgetheilte Ausruf zur Feier des 1. Mai weicht von seinen jüngeren Vorgängern wesentlich dadurch ab, daß er sich bei der Em pfehlung der Arbeitseinstellung weit weniger Zurückhaltung aufrrlegt, als jene. Zwar fehlt die herkömmliche Einschränkung nicht, daß die ArbeitSruhe nur eintreten möge, wo eS „ohne Schädigung der Arbeiterinteressen" geschehen könne, der Aus ruf gieot aber deutlich zu verstehen, daß man diesmal sehr viel mehr wagen dürfe als bisher. Es wird gesagt: „Die gegenwärtige, aufsteigende Conjunctur ist für die all gemeine Durchführung der ArbeitSruhe als der würdigsten Form der Feier des 1. Mai eine günstige." Und weiter: „Der Moment muß ausgenutzt werden." Es kann dahin gestellt bleiben, ob die Parteileitung spontan zu dem Entschlüsse gelangt ist, zu einer verschärften Herausforderung der ganzen nichtsocialdemokratischen Bevölkerung anzuspornen, oder ob sie ihrerseits einem von den Anhängern in Berlin und anderen großen Städten auSgeübtrn Drucke nach- giebt; für die letztere Annahme spricht der Umstand, daß bereits die Berliner Metallarbeiter bedingt, die Maurer und Zimmerer daselbst unbedingt den Maistreik proclamirt haben. Wie dem sei, jedenfalls steht zum Mindesten das Bürgerthum der Reichshauptstadt dem seit 1890 nicht ernstlich wiederholten Versuche socialdemokra tischer Agitatoren, ihm den Fuß auf den Nacken zu setzen, gegenüber. Möglicherweise wird hier die Abwehr dadurch etwas erschwert, daß nach dem 1. Mai noch zahlreiche Arbeiten ftlr die Gewerbe-AuSstellung zu vollenden sein werden. Diese Ausstellung ist auch insofern in Betracht zu ziehen, als ihre feierliche Eröffnung durch den Kaiser für den von der internationalen Social demokratie als „Weltfeiertaa" auSersehenen Tag angesetzt ist. Bei dem außerordentlichen Interesse, das man in Berlin dem Unternehmen entgegenbringt, ist nicht ausgeschlossen, daß der Eröffnungstag in den Kreisen gewerblicher Unternehmer vielfach als ein „halber Feiertag" betrachtet und dadurch eine gewisse Nachsicht in Bezug auf daS Fernbleiben der Arbeitnehmer von der Arbeit nahegelegt werden wird. Selbst verständlich würde aber von der Agitation die Arbeitsruhe nicht auf die Rechnung der Ausstellung gesetzt, sondern auf das von dem Pariser internationalen „Arbeitercongreß" vom Jahre 1889 für den 1. Mai erlassene Arbeitsverbot zurück geführt werden. Es ist nicht unseres Amte-, ein Mittel zur Verhütung dieses üblen Scheins vorzuschlagen, aber wir dürfen wohl der Zuversicht Ausdruck geben, daß das Berliner Bürgerthum in dem Augenblicke, wo cs das übrige Deutschland als Zeugen seiner gewerblichen Tüchtig keit zu laden gedenkt, sich seiner Solidarität mit dem gesammten deutschen Bürgerthume nicht weniger bewußt zeigen wird, als in den ersten fünf Zähren seit der Erfindung der „socialdemokratischen Ostern". Wenn die Socialdemo kratie sich am 1. Mai in Berlin mit einem halben, ja auch nur mit einem Achtelserfolg brüsten könnte, so wäre nicht nur sür die Reichshauptstadt, sondern für das ganze Reich der Vorzug verloren, den Herr Bebel widerwillig der deutschen „Bourgeoisie" zuerkannte, als er auf dem social demokratischen Parteitag im Jahre 1892 einem ob der Nichtausführung der Pariser Maiordonnanz ungehaltenen österreichischen „Genossen" bemerkte, die deutschen Arbeit geber seien zu energisch, um sich die Maifeier octroyiren zu lassen. Der, abgesehen von ganz vereinzelten, allerdings aber unentschuldbaren Ausnahmen — wie das Pactiren mit den in Folge eines Maistreiks ausgesperrten Berliner Brauern — überall erfolgreiche Widerstand gegen die Zu- mulhung, einen zur höheren Ehre der Führer der internationalen Socialdemokratie eingesetzten Festtag anzuerkennen, ist in der That der größte Erfolg, den das Bürgerthum seit der Aufhebung des Socialistengesetzes über seine Todfeinde davongetragen hat. Er zeigt den von socialdemokratischem Terrorismus bedrohten Arbeitern die Grenze der Macht der social- revolutionairen Agitation und bringt bei ihnen um so tieferen Eindruck hervor, als die Duldung der Maidemonstration wirthschaftlich nicht absolut unzulässig, jedenfalls zulässiger wäre, als manche andere, die Arbeitszeit betreffende social demokratische Forderung. Es wäre eine Vorbereitungshand lung zum Selbstmord, wenn das Bürgerthum irgendwie und aus irgend welchen Gründen auch nur den kleinsten Fleck von dieser starken Position preisgeben wollte. Daß der „christlich-sociale Parteitag für den Norden und Osten", der vorgestern in Berlin stattgefunden hat, Herrn Stöcker Veranlassung geben würde zu einer Art General abrechnung mit den Eonservativen. war vorauSzusehen. In der That hat er denn auch im Anschluß an die be kannte Broschüre des Vorsitzenden des deutsch - conser- vativen Wahlvereins, des Obersten a. D. von Krause, einen dicken Strich zwischen sich und seiner Partei und den Eonservativen gezogen. Die am Schlüsse der vertraulichen Versammlung gefaßte Resolution, welche Herrn Stöcker ein Vertrauensvotum brachte, wie die in der öffent lichen Versammlung beschlossene Resolution lassen keinen Zweifel daran, daß das „friedliche Nebeneinander", welches die „Kreuzzeitung" nach dem Ausscheiden des Herrn Stöcker aus der eonservativen Partei aufrecht erhalten wissen wollte, nur noch als frommer Wunsch — auf conservativer Seite eristirt. Die von der öffentlichen Versammlung gefaßte Resolution unterscheidet sich scharf von den Beschlüssen conservativer Organisationen, in welchen das Festhalten an dem bisherigen Parteistandpuncte stets mit allerlei sentimentalen Redensarten über die „ bedauerliche Trennung" verbrämt war. Da ist von keinem Bedauern die Rede; klipp und klar erkennen die Christlich- Socialen von Nord- und Ostdeutschland die „endgiltige Scheidung von der konservativen Partei" an und erklären, „dem bevorstehenden Kampfe herzhaft und getrost entgegen zugehen". Dieser Beschluß und die Ausführungen Stöcker's bilden die Antwort auf den Versuch der „Eonservativen Corre- spondenz", Herrn Stöcker und die Seinen durch das Versprechen »völliger Gegenseitigkeit" zum Verzicht auf den weiteren Kampf zu bewegen. Und damit die Antwort ja an die richtige Adresse gelange, ließ Stöcker, nachdem er eine überaus herbe Kritik an Herrn von Krause und seiner Broschüre geübt hatte, durch den zweiten Vorsitzenden des eonservativen Wahl vereins fcststellen, daß die Broschüre gar nicht die Arbeit des Herrn von Krause sei, sondern daß im Parteivorstande darüber berathen worden sei, unter wessen Namen die Broschüre erscheinen solle. Die mise en seöne dieses Coups war unbestreitbar fein ausgedacht. Ueber Herrn Stöcker selbst und seine Bestrebungen sind wir längst im Klaren. Zn diesem Puncte bot der Parteitag für uns nichts Neues. Die „Enthüllung" der ultramonlanen „Deutschen Reichsztg." über den angeblichen Plan des Fürstbischofs Kopp und der Herren Freiherr v. Loö, Fürst Löwenstein-Wertheim, Graf Strachwitz, Prinz Arenberg, vr. Porsch :c., an die Stelle des Zentrums eine „katholische Volks partei" zu setzen, sowie eine Ständevertretung zu schaffen, in welcher der Adel eine bevorzugte Stellung mit gesetzgeberischen Befugnissen einnehmen solle, hat mehrere der des BerrathS am Eentrum beschuldigten Herren zu Entgegnungen veranlaßt, die nicht minder interessant sind als die Enthüllung selbst. Während nämlick dieHerrenVr.Porsch, Frhr. v. Loö und Graf HoenSbroech rundweg Alles in Abrede stellen, was von ihnen behauptet wird — Frhr. v. Loö spricht seine Verwunderung über solche „Produkte des mensch lichen Gehirnes" aus und Graf HoenSbroech nennt das von der „Deutsch. Reichsztg." veröffentlichte Schriftstück ein „nichtsnutziges anonymes Geschreibsel" —, erklärt Fürst Löwenstein, der ständige Commissar für die alljährlichen Katholikentage, er würde sich selbst als reif fürs Irrenhaus betrachten, wenn er „Beseitigung des Centrums und Wieder erneuerung geburtsständischer Vertretungen anstreben wollte", aber er sagt über den Frhrn. v. Loö und dessen Anschauungen: „Baron v. Loö erkennt in der berussgenossenschaftlichen Reorganisation das Heil- und RettungSmittel wie der Gesellschaft im Allgemeinen, so auch des bäuerlichen Stande». Er befindet sich hierbei im Einklänge mit den Lehren Leo's XIII. und mit der Ueberzruguna fast aller christlichen Social» Politiker. Nicht diese Bestrebungen des Freiherrn v. Loö werden verhängnißvoll für das Centrum; verhängnißooll wäre nur, wenn das Centrum sich diesen Anschauungen verschließen oder gar entgegentrrten würde und wenn es, abweichend von den Normen, die es sich selbst in dem Programm bei seiner Constituirung 1871 gegeben hat, die iibsrtas iu «lubiis seinen Mit- gliedern nicht gestatten wollte." Von einer berufsgenossenschaftlichen Organisation der Gesellschaft zu einer ständischen Vertretung ist nur ein kleiner Schritt, und wie mit einer ständischen Vertretung die Fort existenz des CentrumS sich vertragen soll, ist dem Fürsten Löwen stein sicherlich ebenso unklar, wie dem Freiherrn v. Loö. Wenn also beide Herren in Uebercinstimmung mit dem Papste und anderen „christlichen Socialpolitikern" eine berufsgenossen schaftliche Reorganisation der Gesellschaft erstreben, so sind sie so himmelweit, wie sie behaupten, von den ihnen in der „Deutschen Reichszeitung" untergeschobenen Absichten nicht ent fernt und müssen eine Organisation von der Art des Bundes der Landwirthe für heil- und segensreicher halten, als eine Organisation von der Art des Centrums. Die Bewegung, welche die „Enthüllung" der „Deutschen Reichsztg." im ultra montanen Lager hervorgerufen hat, wird also durch die Entgegnungen der beschuldigten CentrllmSzrößen nicht ab geschlossen werden. Der in Prag abgehaltene 5. Parteitag der öster reichischen Socialdemokraten unterschied sich vorthcil haft von seinen Vorgängern. Die gereizte, mit dem Aeußersten drohende Sprache der socialdrmokratischen Führer bat einer kühleren Auffassung Platz gemacht, und wenn sich auch die Anhänger der schärfsten Kampfmittel reckt bemerkbar machten, so zeigte die Abstimmung ein so erdrückendes Uebergewicht der gemäßigteren Rick tung, daß die Radikalen nicht mehr hoffen können, die Leitung der Partei an sich zu reißen. Gleich der erste Vorstoß, den sie unternahmen, ließ den entschiedenen Stimmungs- umsckwung erkennen, der in der Partei seit dem theilweisen Durchdringen ihrer Wahlrechtsforderung eingetreten ist. Die Radikalen kamen auf das von der Parteileitung noch vor nickt gar langer Zeit ernstlich ins Auge gefaßte Kampfmittel des MassenauSslandes zurück; die Versammlung verhielt sich aber ganz ablehnend und stimmte der Ansicht zu, daß der Plan eines ganz Oesterreich umfassenden Generalausstandes nicht mehr zweckmäßig sei. Die Hauptberathung drehte sich um die Wahlresormvorlage. Auck> da kamen die Radikalen mit allerlei Anträgen. Theils verlangten sie, daß die Wahl reform des Cabinets Badem mit allen Mitteln unmöglich gemacht werden solle, theils forderten sie für den Fall der Annahme der Reform eine Obstructionspolitik im Ab geordnetenhause, um das allgemeine, gleiche und directe Wahlrecht zu erzwingen. Diese Anträge wurden jedoch mit erdrückender Mehrheit abgelehnt. Die Letztere pflichtete der Parteileitung bei, welche die Badenische Wahlreform zwar gehörig heruntermachte und sie als ein von der Noth des Augenblicks eingegebenes elendes Flickwerk be zeichnete, aber der Partei empfahl, die Reform als eine vollendete Thatsache zu betrachten und das Wahlrecht, das immerhin 3 600 000 Menschen gewährt werde, zur Erringung des allgemeinen, gleichen und directen Wahlrechts auszunützen. Der Grundsatz „Alles oder nichts" hat sonach auf dem 5. Parteitag der österreichischen Socialdemokraten keinen nennenswerthen Anklang mehr gefunden. Die deutschen Socialdemokraten besitzen, wie der Parteibericht mittheilt, gegenwärtig 30 Kreis- und 110 Bezirksorganisationen, sowie 65 Zeitungen mit einer Auslage von 229 000 Nummern. Ein osficiöser Petersburger Brief der „Polit. Corresp." betont, daß in der cgyptischen Frage das Einvernehmen zwischen Rußland und Frankreich ernst und fest sei. Die Vermehrung der Beziehungen Rußlands zu Ostasien habe den innigen Zusammenhang der egyptiscken und der ostasiatischen Frage hervorgekehrt, weil England Lurch Len Besitz Egvptens, Gibraltars und Maltas die Verbindung zwischen Rußland und Frankreich und deren ostasiatischen Besitzungen unterbrechen könne. Daher bezwecke das feste entschlossene Zusammengehen Rußlands mit Frankreich eine Verhinderung der unbegrenzten englischen Besetzung Egyptens, und die zwischen Petersburg nnd Paris schwebenden Verhandlungen gingen darauf aus, eine wirksamere Grundlage für die Lösung der egyplischen Frage zu finden. Worin diese Grundlage gesucht wird, läßt ein Petersburger Brief der „Jndöpendance Beige" er kennen, der darauf hinweist, daß Rußland zwar allen Grund hatte, Frankreich in seinem Einsprüche in der Dongola- Angelegenheit zu unterstützen, jedoch nicht gewillt ist, die Sache bis zu einem ernsten Conflicte zu treiben, ja fick sogar vielleicht dazu entschließen würde, seine jetzige Opposition aufzugeben, wenn sich England dazu verstehen wollte, gewisse Verpflichtungen hinsichtlich einer späteren Räumung Egyptens einzugehen. Das halte man in Petersburg für den endziltigcn Ausgang der Unterhandlungen, die augenblicklich zwischen den willen sich zu Grunde gerichtet habe, weil sie ihm den Aufenthalt im Hause unleidlich gemacht und dabei doch nicht geduldet habe, daß er fortgehe; wahrscheinlich sei eS auf einen Selbstmord abgesehen gewesen, was ja kaum noch Wunder nehmen könne, und man müßte von Rechtswegen froh und dankbar sein, daß Alles so glücklich abgelaufen; nun freilich wolle sich Thea offenbar der Heilung Harry's, die ihr ja Wohl nicht gelegen kommen möge, widersetzen, und deshalb sei die Mutter aus dem Krankenzimmer ihres Sohnes verbannt. Der häßliche Auftritt hatte zur Folge, daß Frau Lydia Lensihn überhaupt verließ. Sie hatte damit gedroht, daß sie es thun werde, wenn man ihr weiterhin das Zusammensein mit Harry verweigere, und auf Thea hatte das keinerlei Eindruck gemacht, keinen Einspruch bei ihr her- vorgerufen, wie sie wohl erwartet haben mochte. Und nun ging sie wirklich. Man konnte ihr unschwer anmerken, daß >hr daS nicht leicht wurde. Sie glaubte bis zum letzten Augenblick noch, als ihre Koffer schon auf den Wagen geladen wurden, der sie zur Bahnstation bringen sollte, daß man sie halten, daß Harry von seinem Krankenbett aus ein Macht wort sprechen werde. Sie war bereit, dann zu bleibe», sie war so nachgiebig gestimmt wie nie. Im Grunde hatte sie ja nur drohen wollen und gar nicht daran gedacht, daß man sie zwingen würde, die Drohung wahr zu machen. Harry war noch immer nicht genesen, wenn auch auf dem Wege entschiedener Besserung — Dank Thea s unübertreff licher Pflege, wie der Arzt versicherte. Frau Lydia war in so weicher Stimmung, daß sie selbst Thea in Folge dessen in dieser Stunde Alles verziehen haben würde, was diese ihr nach ihrer Meinung angethan, wenn nur daS Wort gesprochen worden wäre, das sie hielt. Aber dies Wort fiel nicht. Und nun verhärtete sich Alles, wa« bis dahin noch an Milde und Nachgiebigkeit im Herzen dieser Frau geschlummert batte, in blinden, starren Haß. Sie schied von Thea, die sie zu diesem ungeheuerlichen Schritte gezwungen, wie eine Tod feindin. Und nicht nur das — auch mit dem festen Ent schlüsse, Vergeltung zu üben. Inzwischen gena« Harry. Es war wirklich zu keiner ernsthaften Krankheit gekommen, nur da« Fieber hatte au«- toben müssen, und schließlich ergab sich, daß der Kehlkopf so angegriffen war, daß man eine Cur dafür gebrauchen mußte. Harry « Befürchtungen, die da- Fieber bei ihm zweifello« gesteigert hatten, er werde seine Stimme ganz verlieren, schienen fick» zu bestätigen. Er war wie zerschmettert davon, und sein» Erholung verzögert« sich merklich darüber. Aber FeitiHetsir. Gottbegnadet. 20) Roman von Konrad Telman». Nachdruck verboten. Zwischen Frau Lydia und ihr dagegen kam eS zu einem Kampf um daS Krankenbett. Frau Lydia wollte die Pflege selber übernehmen. Sie betrachtete daS als ihr Recht, daS sie eifersüchtig in Anspruch nahm, und sie war auch über zeugt, daß sie eS besser auSzuüben verstand als Thea. Vor Allem gönnte sie ihr Harry S Dank dafür nicht. Zn dem leidenschaftlichen Ungestüm, daS ihr eigentliches Naturell bil dete und daS sie nur hinter ihrer vornehmen Zurückhaltung sonst geschickt zu verstecken wußte, forderte sie Einlaß in das Krankenrimmer, wo sie sich in maßlosem Schmerz und mit wilden Klagen am Krankenbett in die Kniee warf. Harry selbst bat sie mit Zeichen und Geberden, sie möge aufhören und gehen. Er warf sich unruhig, wie gepeinigt hin und her, bis Thea selber den Arm ihrer Schwiegermutter ergriff und sie hinausführte. Draußen kam eS dann zu einem erbitterten Wettstreit, be, dem Frau Lydia sich in herben Anklagen gegen Thea erging und diese ihr zuletzt in kalter Entschiedenheit verbot, das Krankenzimmer überhaupt wieder zu betreten, bi« eS mit Harry besser stand. Nun brach Frau Lydia in ein krampfhaftes, mit Weinen vermischtes Lachen au«. Zbr den Zutritt zu ihrem Sohn verweigern? DaS wäre denn frei lich die Krone von Allem gewesen. Aber Westen mußte sie in diesem Hause nicht gewärtig sei», wo man alle ihre heiligsten Empfindungen mit Füßen trat und ihren glücklich gekaperten Sohn systematisch zu Grunde richtete! Sie erging sich in einer Fluty^von Anschuldigungen, die Thea anhorte, ohne nur mit der Wimper zu zucken. Sie zwang sich, nichts zu erwidern, gerade weil sie so viel zu erwidern gewußt hätte. Aber in ihrem Entschluß, diese leidenschaftliche Frau, die sich nicht ru beherrschen vermochte, von Harry'« Krankenlager serazuhalten, blieb sie unerschütterlich fest. Auch der Arzt gab ihr recht darin. Aber gerade dadurch wurde Frau Lydia in ihrer Erbitterung nur bestärkt. Sie wollte sich den Eingang in« Krankenzimmer schließlich mit Gewalt er zwingen. Und al« ihr selbst da« nicht gelang, kannte sie keine Rücksichten mehr. Mit grausamen Worten scblrndrrte sie Tbea die Anklage in« Gesicht, daß Harry nur um ibret- der Arzt gab die besten Hoffnungen; bei gehöriger Schonung werde er rasch wieder zu dem vollen Gebrauch seiner Stimm mittel gelangen; ähnliche Extravaganzen wie diejenigen, welche seiner Erkrankung offenbar vorangegangen waren, würde er sich in Zukunft freilich niemals wieder gestatten dürfen, da der Ausgang zum zweiten Male vielleicht doch nicht mehr so glücklich sich gestalten würde. Thea traf nunmehr alle Vorbereitungen zur Abreise. Sie nahm als selbstverständlich an, daß sie Harry begleiten würde, und jetzt war mit keinem Wort mehr vom Gelde die Rede. Die Nothwendmkeit fand sie, wie immer, klar und kurz entschlossen in ihrem Handeln. Die Geschehnisse der Nacht, die Harry's Erkrankung voraufgegangen waren, waren inzwischen zum größeren Theil zu ihren Ohren gedrungen. Daß Harry sein kürzlich erst um einen nnverhaltnißniäßig hohen Preis er standenes Reitpferd zu Schanden geritten, blvS um sich eine Wegstunde Reitens zu ersparen und die Eisenbahn zu benutzen, hatte sie ebensowohl erfahren müssen, wie daß er wieder ein mal mit den Delliner Officieren gespielt und beträchtliche Summen dabei verloren hatte. Jetzt aber mußte Harry ihr auch bekennen, daß seine Spielschulden zum größten Theil noch nicht gedeckt waren und daß die aus gestellten Ehrrnscheine eingelöst werden mußten. Es war ein Gemisch von Trotz und Scham, mit dem er ihr dies Geständniß machte. Man merkte ihm an, daß er auf Vor würfe, vielleicht auf Thränen vorbereitet war und daß er sich dagegen zu wappnen gesucht hatte. Vielleicht wäre er sogar brutal in seinen Entgegnungen darauf geworden. Aber Thea blieb ganz ruhig. Sie zeigte weder Betroffenheit noch Em pörung, nur traurig war sie. Ihre Augen redeten für sie. Und als er sich in hastigen, wirren Worten vertheidigen wollte, erwiderte sie kühl: „Laß doch! DaS Geld soll heute noch bezahlt werden. Aber eS ist viel, Harry, weit mehr, als unseren Verhältnissen entspricht. Wir werden eine neue Hypothek ausnehmen wüsten, um Alles zu decken und Geld für unsere Reise übrig zu behalten. Deshalb muß eS daS letzte Mal gewesen sein, glaube ich." Weiter war nicht mehr dir Rede von der Sache. Aber gerade diese kühle, fast verächtliche Ruhr, mit der Thea sie behandelte, blieb pemvoll nnd unbehaglich für Harry. Er fragte jedoch nicht writer, er war daran gewohnt, daß Andere für ihn handelten. Den Kranken spielte er mit viel Selbst gefälligkeit, ohne sich an den Rrisevorbereitunaen zu be- theiligen. An seine Mutter schrieb er lange Briese, die Tbea nicht zu lesen bekam. Es war ibm offenbar Betürsniß, sich ihr gegenüber auszuklagen, obgleich er im Grunde selbst nickt recht wußte, weshalb und worüber. Dann reiste man in den ersten Septembertagen an den Genfer See ab. Harry war in heiterster Stimmung. Und auch Thea's Seele war von freudigen Hoffnungen geschwellt. Vielleicht war DaS, was nun hinter ihnen lag, die Krise ge wesen, und sie gingen lichteren Zeiten entgegen. 11. Man war wieder in Berlin, als die Gesellschaftssaison anfing. Harry war in Montreux völlig genesen. Als er nach mehrwöchentlichem Aufenthalt dort zum ersten Mat, nicht ohne ein Gefühl der Bangigkeit, seine Stimme wieder zu erproben wagte, ergab sich, daß sie voller und kräftiger klang als je. Auch der Arzt, den sie consultirten, hatte fest gestellt, daß das Organ durchaus intact und in der milden Herbstluft am Seegestade merklich erstarkt sei. Er warnt, zwar vor irgendwelchen Ueberanstrengungen, setzte aber lächelnd hinzu: „Wenn Sie jetzt ein Concert-Tournöe unter nehmen wollten, ich hätte ärztlicherseits nichts mehr dagegen." Harry hatte Tbea mit einem seltsamen Blick angesehen, ohne weiter ein Wort über diese Aeußeruna zu verliere» Nur sang er seitdem häufig im Salon der Pension, in ver sie wohnten. Es verstand sich von selbst, daß er mit seinem Gesang wieder Beifallsstürme erregte und daß seine Person in Kurzem der Gegenstand des allgemeinen Interesses ini ganzen Ort wurde. Er bezauberte Alle, die ihn hörten, und man drängte sich zur Zeit, wo er sang, in den Raum, ja, selbst auf dem Corridor standen die Hörer aus den anderen Gasthöfen. Der „Name Harry von Sennfeldt" war wieder in Aller Munde, und eS fehlte nicht an schmachtenden Blicken, entzückten Worten und Hellen Freudenthränen, die ihm als Lohn zu Theil wurden. Er schwamm nun aufs Neue ganz in seinem Fahrwasser. Anfangs hatten sie sehr still und zurückgezogen gelebt. Harry trug eine schwermüthige Leidensmiene zur Schau nnd gefiel sich in Menschenscheu. Trotzdem war eS eine glückliche Zeit für Tbea. Sie hatte sich vorgenommen, hier in der Stille sich ihren Gatten zurückzugewinnen, und ihre sich immer glrichbleibende Liebe und Hingebung, die Geduld, mit der sie alle seine wechselnden Launen ertrug, rührten ibn sichtlich in der That. Auch für sein Kind, da« köstlich gedieh, gewann Harry hier mehr Interesse. Aber das Alles ging rasch vorüber, seit man angefangen hatte, ihm Schmeicheleien zu sagen, für di« er nicht nur immer empfänglich war
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