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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.04.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-04-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960420021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896042002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896042002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-04
- Tag1896-04-20
- Monat1896-04
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernjax. nach höherem Taris. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig ^°1W. Montag den 20. April 1896. Sv. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 20. April. Im RcichstagSwahlkreiseLsnabrück findet beute die Stich wahl zwischen dem Welfen Freiherrn v. Schele und dem nationalliberalen Candidaten Gutsbesitzer Wam ho ff statt. Line besondere politische Bedeutung durfte bereits dem Ausgange der ersten Wahl deshalb beigemessen werden, weil sich dort bekundet hatte, daß bei allen Meinungsverschieden heiten über die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen einzelner Berufsstände doch noch ein größerer Gegensatz vor handen ist und von der Wählerschaft jenes Kreises auch ein- geseben und praktisch anerkannt wird: der Gegensatz der nationalen Interessen der gesammten Reichspolitik und der freiheitlichen Interessen im Gebiete des Schulwesens und oer Kirche einerseits zu dem Ultramontanismus und seinen Helsersbelfern andererseits. Es versteht sich, daß dieser Gegen satz den Stichwahlkampf, der heute ausgetragen wird, ausschließ lich beherrscht. Wer sich hierbei etwa untkätig auf die Seite stellen oder durch Quertreiberei die Klarheit dieses Gegen satzes noch im letzten Augenblick zu verwischen suchen wollte, würde sich nirgends im ganzen Wahlkreise Dank ver dienen, vielmehr das Nestchen Vertrauen, Las nach der ersten Wahl vielleicht noch vorhanden geblieben ist, ver scherzen. Die Entschiedenheit, mit welcher insbesondere die Vertreter der l a n d w i r t h s ch a f l l i ch e n Interessen in den letzten Tagen ihren gemeinsamen nationalen und politisch-freiheitlichen Standpunkt gegenüber dem welfisch- tlerikalen Candidaten betonten, ist eine so erfreuliche Er scheinung in der Gegenwart mit ihrem Uebermaß von Wirrungen und Irrungen, daß auf dieses rühmliche Beispiel großer und klarer politischer Erwägungen allgemein hingewiese» zn werden verdient, einerlei, ob nun ein paar Hundert Stimmen mehr oder weniger in der Stichwahl den Ausschlag so oder so geben werden. Indem aber von diesem rühmenswerthen Verhalten der agrarischen Führer in Len ländlichen Bezirken des Wahlkreises Zeugniß abgelegt wird, erfährt auch ein An griff, der gewohnheitsmäßig von welfiscker Seite her zu geschehen Pflegt, seine eigenthümliche Widerlegung. Das Welfenthum liebt eS, der Bevölkerung in Hannover vor- znreden, daß unter preußischer Herrschaft alle überlieferten Einrichtungen, insbesondere alle „Freiheiten" verloren ge gangen seien. Nun aber tritt doch in der Bekundung eines ausgesprochenen Liberalismus auf geistigem Ge biete zugleich die Thatsache hervor, daß im Schul- und Kirchenwesen der Provinz Hannover eine freiheitliche Grund lage zur Zeit noch vertheidigt werden kann, also jedenfalls noch nicht zerstört worden ist. Aber auch die Thatsache verdient hervorgehoben zu werden, daß eine intelligente ländliche Bevölkerung dort, wo man den Ultramon- lanismus in seinem Wesen und allen seinen Zielen so zu sagen am Hellen Tage beobachten kann, mit achtens- werlher Zähigkeit an den überlieferten freiheitlichen Einrich tungen im Kirchen- und Schulwesen festhält. Wenn im Jahre 1893 der liberale Gegenkandidat, nach längerer Zeit wieder einmal, schließlich zum Siege gelangte, so hat an diesem Erfolge der ein Jahr früher unternommene Versuch einer reaktionären Schulgesetzgebung in Preußen seinen nicht unerheblichen Antheil gehabt. Und wenn auch jetzt wieder das Zünglein an der Waage nach der liberalen Seite sich hinneigt, so mag das Eentrum und bas Welfenthum sich nicht verhehlen, daß der Vorstoß gegen die obligatorische Civilehe, namentlich da er als Mittel zum Zweck einer Treiberei gegen das Bürgerliche Gesetz buch überhaupt aufgefaßt wird, in jenem hannoverschen Be zirke großes Aergerniß erregt hat. Insofern sind die Beobach tungen, die man jetzt in den einzelnen Wahlkreisen macht, noch von allgemeiner Bedeutung für den Fall, daß im weiteren Stadium der Verhandlungen das Bürgerliche Gesetzbuch auf ernstliche Hindernisse stoßen sollte. Wir thun uns nichts darauf zu Gute, daß wir gleich bei der Trennung der konservativen Partei von Herrn Stöcker vorausgesagt haben, daß auf die ausge tauschten Toleranzversicherungen nichts zu geben sei und alsbald bittere Fehve zwischen Len Geschiedenen entbrennen werde. Das mußte kommen, und es ist überraschend früh eingetrelen. Der Streit ist noch viel heftiger, als m der beiderseitigen Presse erkennbar wird. Diese legt sich eine gewisse Zurückhaltung auf, der man allervings aumerkt, wie schwer sie der gegenseitigen Feindseligkeit abgerungen ist. Die Kampfesposilion der konservativen Partei ist natürlich viel ungünstiger, als die der „älteren" Christlich-Socialen. HerrStöcker ist durch dieTrenuung der Chef einer homogenen Partei geworden und hat volle Frei heit des Handelns erlangt. Der konservativen Partei hin gegen ist mit den mehr oder minder christlich-social gerichteten Elementen in ihrem Schooße der innere Zwiespalt verblieben. Der Kampf, der sich jetzt zwischen Len Mandanten der „Cons. Corr." und Herrn Stöcker abspielt, ist zugleich ein Bürgerkrieg im konservativen Terri torium. ES war eine konservative Stimme, der der „Reichs bote" vor einigen Tagen zu einem scharfen Angriff auf die Protokoll-Erklärungen der „Cons. Corr." Raum geben mußte, und es ist ein Parteimitglied, Lessen Auf treten zu Gunsten Stöcker's der Parleirath des Berliner deutschconservativen Wahlvereins soeben öffentlich genußbilligl hat. Herr Stöcker gleicht einem aus einer Stadt Verbannten, der dort bewaffnete Anhänger zurückgelassen hat. Angesichts dieser Situation, die nicht abgeleugnel werden kann, weil sie fast alltäglich irgend eine fatale Erscheinung zeitigt, steht es der „Kreuzzeitung" besonders gut, mindestens aller drei mal vierundzwanzig Stunden über die Zerfahrenheit innerhalb der — nationalliber'aten Partei Betrachtungen anzustellen. Solche kleine und kleinliche Manöver machen Dutzendpolitiker gewöhnlich, wenn sie die Auf merksamkeit ihrer Angehörigen von der eigenen Misere abziehen wollen. Aber die „Kreuzzeitung" kann sich Tag für Tag überzeugen, daß ihr Kniff bei den Parteigenossen nicht verfängt; darum ist ihr Verfahren einfach albern. Die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der nationallibcralenParlei liegen an sich und in ihren Ursachen klar zu Tage und berühren nirgends die Grundlage der Partei. Deshalb konnte sie auch in guter Zuversicht die Einberufung eines Parteitages wagen, ein Unternehmen, das der „Kreuzztg." so viel Neid und Aerger erregt. Was aber in der konservativen Partei vor geht, ist geeignet, ihr Funvanient zu erschüttern. Von englischer Seite werden, wie den „B. N. N." aus Wien mitgetheilt wird, große Anstrengungen gemacht, den öentschen Kaiser zu veranlassen, den gewohnten Besuch in Cowes auch in diesem Jahre zu machen. Man glaubt in ! England einen großen Eindruck zu erzielen, wenn der I grautlson ok Her Llazest)' nach Allem, was geschehen, doch 1 noch kommt und man erblickt in dem Besuch, den der Kaiser im Hafen von SyrakuS dem englischen Kriegsschiff „Astraea" in englischer Admiralsuniform abstattete, em den Wünschen Englands günstiges Symptom. Die Bemühungen sind auch in Venedig fortgesetzt worden, eS wird behauptet, der Militair- bevollmächtigte von Jacobi sei mit einem Briefe an die Königin Victoria nach Nizza gesandt, der Kaiser habe Len Besuch darin bereits zugesagt. Die „Times" lassen sich auch schon aus Berlin schreiben: es sei, „wenn auch nicht sicher, so doch gar nicht außer dem Bereiche der Wahrscheinlichkeit, daß der Kaiser, der seinen Sommerplan noch nicht geregelt habe, auf kurze Rast in Cowes einkehre". Viel Muhe hat sich auch Kaiser Franz Josef, mit dem die Königin sehr ein dringlich über das Verhältniß zu Deutschland gesprochen hat, in der Sache gegeben. Der obenerwähnte Brief unseres Kaisers wird als sehr herzlich geschildert. Die „Berl. N. N." bemerken hierzu: Soweit die uns zugehende Information, die wir ungeachtet ihrer Berufung auf eine erste Quelle angesichts der unverschämten Be- miihungen der englischen Presse, für den deutschen Kaiser ein caudi- nijchcs Joch aufzurichten, als unglaubhaft hinnehmen. An Be- miihungen von englischer Seite in der angedeutelen Richtung mag es ja nicht fehlen, aber man weiß dort sehr genau, daß ihr Erfolg mit der nationalen Würde Deutschlands unvereinbar sein würde und deshalb unmöglich ist. Deutschland darf keine Familienpolitik treiben, sondern nur eine Politik seiner Würde und seiner Interessen, eine Politik, die nicht im englischen Kielwasser gemacht werden kann. Auch wir haben uns letzter Tage in ähnlichem Sinne aus gesprochen und haben daher der Auslassung des Berliner Blattes nichts hinzuzufügen. lieber die Reise des deutschen Kaisers nach Venedig und Wien äußerl sich die „Now. Wremja" in bedeutsamer Weise. Das dem Petersburger Auswärtigen Amte nabe stehende Blatt kennzeichnet die Reise als entscheidend für den weiteren Gang der politischen Ereignisse in Europa und bemerkt im Einzelnen: „Bei diesen Besuchen handelt es sich nicht allein darum, die Gerüchte wegen einer etwaigen Auf lösung des Dreibundes zu zerstreuen, sondern um die Erneuerung der „Friedensliga", deren fünfjähriger Termin bald sein Ende erreicht. In dieser Perspective liegt nichts Besorgniß- erregendes für den europäischen Frieden. Die Zeiten, da der Dreibund mit Krieg in „zwei Fronten" drohte, (?) sind für immer vorbei. Die Annäherung Rußlands an Frankreich, die Anfangs einen herausfordernden Charakter für Deutschland zu haben schien, wird heute von allen leiden schaftslosen Leuten des Westens als Garantie für den europäischen Frieden betrachtet. Deutschland hat zuerst bewiesen, daß es diese Meinung theilt, indem es auS eigenem Antriebe seine Mitwirkung im fernen Osten Rußland und Frankreich anbot, um die armenische Frage zum friedlichen Abschluß zu dringen. Die ganze Haltung des deutschen Kaisers im Verlaufe des letzten Winters bewies, daß nicht Rußland und Frankreich seine Unzufriedenheit in der internationalen Politik erregten. Unter diesen Umständen können wir uns der Erneuerung des Dreibundes gegenüber vollständig ruhig verhalten und uns sogar der Hoffnung bingeben, daß unter der Leitung Deutschlands die Mächte dieser politischen Combination im gegebenen Falle mehr oder weniger aus Seiten Rußlands oder Frankreichs stehen würden. Das behaupten wir nicht etwa nnter dem Eindrücke eines vor gefaßten Optimismus. Wir wissen genau, daß es genug Russophoben urd Francophoben in Deutschland, Oesterreich und Italien giebt, und wir rechnen auch nicht ans ihre Sympathie, sondern vielmehr auf daS gesunde Verstäntiß ihrer eigenen Interessen. Besonders bauen wir dabei aus Deutschland, dessen entscheidende Stimme auch Oesterreich und Italien dahin beeinflussen kann, daß die gegenseitige vor herrschende Sorge diejenige sei, nicht zuzulassen, daß England durch seine eigennützigen und ehrgeizigen Hintergedanken den europäischen Frieden störe." Zum vierten Mal ist vr. Lueger vom Wiener Gemeinde- rath zum Bürgermeister gewählt worden, was Wunder, daß seine Anmaßung wieder um einen Grad gestiegen ist. Bei den letzten Wahlen galt es noch das Duell Badeni-Lueger. Dieser Standpunkt ist dem Antisemiten-Parvenu jetzt „zu kleinlich", ihm ist die Wiener Frage zu einem Kriege zwischen Wien und — Ungarn avancirt. Das ist daö Charakteristische an Lueger's vorgestriger Rede. „Die Wiener Bürgermeister- Frage", sagte Herr Lueger wörtlich, „ist keine Frage von rein örtlicher Bedeutung, sondern eine Frage von großer Tragweite in wirthschaftlicher und politischer Beziehung. Tie in Ungarn derzeit herrschende Partei versucht cs, ihre Macht sphäre noch weiter auszudehnen und sich auf die Verhältnisse unseres geliebten Vaterlandes Oesterreich einen ihr nicht ge- bübrenden Einfluß anzumaßen. Dem muß mit Ruhe, aber auch mit Entschiedenheit enlgegengetreten werden. Eine Nach giebigkeit in irgend einem Punkte würde unberechenbaren Schaden verursachen." Die Begriffsverwirrung muß in Wien unter der antisemitischen Mehrheit schon sehr wert ge diehen sein, wenn ein neugewädlter Bürgermeister anstatt von den Angelegenheiten der Stadt von den Angelegenheiten Ungarns sprechen kann und dafür auch noch angejubelt wird. Indessen scheint diese Sprache, mit welcher Lueger alle Schiffe hinter sich verbrennt, zugleich anzudeuten, daß er selbst auf seine Bestätigung nicht rechnet, und das dürfte der einzige richtige Gedanke in seiner Rede sein. Welchen Weg jetzt die Regierung einschlagen wird, ist noch nicht bekannt: es heißt, sie werde vielleicht die Bestätigung Lueger's oder vielmehr die Nichtbeslätigung aussetzen, inzwischen die (jedenfalls auch antisemitischen) Vicebürgermeister wählen lassen, deren Wahl der Sanctionirung nicht bedarf, und dann, nachdem Lueger's Bestätigung abgelehnt, eventuell diese walten lassen. Gegen ein solches Auskunfts mittel als ein unwürdiges protestirt die liberale Presse, ob mit Erfolg, muß sich erst zeigen. Deutsches Reich. * Leipzig, 20. April. Der Cardinal Fürstbischof Kopp hat, wie uns aus Beuthen telegraphisch gemeldet wird, in päpstlichem Auftrage dem Polenblatte „Katolik" die fernere Erwähnung des früber ertheilten apostolischen Segens untersagt. Die Förderung des Polonismus durch das Centrum dürfte hierdurch nicht im Mindesten abgeschwächt werden. * Berlin, 19. April. Die Cabinetsordre, durchweiche der Kaiser das Gesuch des Hofpredigers v. Fromme! um Enthebung von Len Aemtern als Militair-Oberpfarrer und Garnisonprediger genehmigt hat, lautet: „Ich entspreche Jkrem unter dem 10. Mürz d. I. eingereichten I Gesuche, indem Ich Ihnen die erbetene Entlassung aus dem Dienst- I verhältniß als Mitiiair-Oberpsarrer und Garnisonprediger mit I Pension in Gnaden ertheile. Gleichzeitig bestimme Ich, daß Sie in FriirHeton. Gottbegnadet. L8) " Roman von Konrad Telman». Nachdruck verroten. Als Thea immer noch schwieg, fuhr er lebhafter fort: „Ich wiederhole Ihnen, daß ich darauf meine Hoffnungen und Wünsche nicht baue, daß ich, auch wenn ich glauben könnte, ;a sicher wüßte, Harry lebte noch, doch in Sie dringen würde mit der gleichen Beharrlichkeit und der gleichen Zuversicht, Sie möchten mich erhören. Daß Sie eine gerichtliche Schei dung jeden Tag erreichen können, wissen Sie ja. Aber ich möchte Sie nochmals fragen, worauf hoffen Sle denn noch? Wenn Harry lebte, warum bliebe er verschollen? Sie können sich denken, daß seine Mutter ihm goidene Berge im Falle seiner Heimkunft versprochen hat. Und die Nachforschungen sind sehr gründlich, unter Zuhilfenahme aller amtlichen Mittel und Wege geführt worden. Ich selbst habe durch meine Be ziehungen amtlicher Natur sogar dabei rege mitgeholfen. Sie wissen, daß ich der Gesandtschaft in Buenos Aires attachirt war, als ich damals Deutschland verließ, und daß Harry zuletzt in Chile gesehen worden war. Es war mir ein Leichtes, infolgedessen seine Spuren zu verfolgen, bis — sie sich völlig verloren. Alle Consulate Südamerikas sind um Auskunft über ihn angegangen worden, alle haben umfassende Nachforschungen angestellt, wobei die dortigen Behörden ihnen bereitwillig Beistand leisteten, und daS Ergebniß war überall das gleiche: Harry war nirgends aufgetaucht, er war verschollen. Und »nn rechnen Sie dazu, daß er selbst ans Sterbebett seiner Mutter nicht eilte, daß er nicht nach ihrem Tode kam, um ihren Nachlaß in Anspruch zu nehmen, — und dann sagen Sie mir, ob Sie wirklich an seinem Tode noch zweifeln können." „Es ist seltsam," sagte Thea halb vor sich bin, „mir ist nie bis heute der Gedanke an solche Möglichkeit gekommen. Ich meine, den Tod eines Menschen, der uns nahe steht, müßte man doch irgendwie spüren und empfinden, der kann toch nicht vor sich gehen, obne daß unS eine Ahnung davon überschauert, wir können doch nicht später gelegentlich davon kören, wie von dem eines fremden Menschen. DaS ist un möglich, daran glaube ich nicht. Ich weiß, daß Harry nock lebt." Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn hin, wie um etwas zu verscheuchen. „Er kann infolge seine- Unglücks in eine so dunkle Existenz hineingerathen sein," fuhr sie dann leise sinnend fort und sah Eberhard an, als ob sie ihn um Verzeihung bitten wolle, daß er sich schämt, sich zu entdeckeu. „Man muß denken, daß er ja außer seiner herrlichen Stimme, um derentwillen man ihn verhätschelte, nichts hatte und nichts kannte, um sich seinen Lebensunterhalt zu erwerben. Das einzugestehen wird er zu stolz gewesen sein. Diese Stimme, die ihm zum Segen hatte werden können, ist ihm zum Fluch geworden." Eberhard hatte sich erhoben. Es kostete ihm sichtlich Mühe, dieser unerschütterlichen Beharrlichkeit gegenüber seine Geduld zu bewahren. Er machte ein paar Gänge auf und nieder. So schwer batte er cs sich doch nickt gedacht, das Andenken dieses Mannes aus der Brust der Frau zu reißen, die er liebte. Dann setzt er sich wieder. Er zwang sich zur Ruhe. „Ich weiß nicht, ob Sie über Alle-, was Harry be trifft, bis zu dem Augenblick seines spurlosen Verschwindens genau unterrichtet sind, gnädige Frau," sagte er. „Ich habe alle Zeitungen nach den Notizen über ihn durchforscht, bis — keine mebr etwas brachte." „So wissen Sie also, daß er nach einem kurzen Triumph zuge in Südamerika, wo er mit seinem Gesang Ruhm und Geld einerntete und wie ein Phänomen gepriesen wurde, in folge eines Seeunglücks, bei dem er sich eine schwere Er kältung zuzog — die aus dem leck gewordenen Schiff ge retteten Passagiere hatten mehrere Tage und Nächte auf hoher See im Boot sich treiben lassen müssen, — seine Stimme plötzlich vollständig verlor. Die Zeitungen brachten Klageartikel darüber, dann war Alles stumm. Harry war zuletzt im internationalen Hospital von Valparaiso geseben worden. Die ebenso schnell unter- wie aufgetauchte Größe vergaß man — dort zu Lande vergißt man noch schneller als bei uns —; das Wabrsckeinlicbe bleibt aber doch, daß er an den Folgen jenes Unglücks überhaupt zu Grunde gegangen ist. Mit dem Verlust seiner Stimme war er für die Oeffentlichkeit vollkommen abgethan, sein Tod danach konnte nicht mehr das geringste Interesse erregen. So erklärt sich da« Schweigen darüber einfach genug." Wieder war Eberhard auf^estanden. Er batte den rechten Arm um einen der niederbängenden Ulmenäste geschlungen und starrte eine Weile selbstvergessen vor sich binau«. Dann, als Thea'S Schweigen andauertr, wandte er sich wieder zu ihr um und sagte: „Ist eS im Grunde auch nicht das Beste so für ihn? Mit seiner Stimme hatte er ja Alle« verloren, wa« ihn ans Leben fesselte und LaS Leben für ihn auSmachte. Ohne sie war er gar nicht mehr er selbst. WaS sollte er noch auf Erden? Was konnte er noch? Alle Freudigkeit, aller Stolz war für ihn dabin. Er hatte sich ja nie einen andern Daseinsinhalt verschaffen wollen oder können. Und dieser jähe, tiefe Sturz nach einem so glänzenden Aufstieg! Nein, er konnte das Alles ja gar nicht überleben. Ihm ist es gut geworben." Noch immer kein Wort von Thea'S Lippen. War sie endlich überzeugt? Oder schwieg sie nur, um ihm nickt wehe zu thun und weil sie fürchtete, er werde dann im Zorn von ihr scheiden? „Warum sagen Sie mir kein Wort, Frau Thea?" „Was könnt ich Ihnen sagen?" „Daß Sie mein sein wollen, — endlich, endlich! Daß Sie sich frei machen wollen von diesen Fesseln der Ver gangenheit." Tbea schüttelte traurig den Kopf. „Ich kann nicht. Lieber, lieber Freund, ich kann nicht. Und wenn Alles wahr ist, was Sie mir gesagt haben, wenn er wirklich nicht mehr lebt: ich kann doch nicht." „Thea!" Es lag das ganze Weh einer todtwunden Seele in seinem Aufschrei. Er starrte sie fassungslos an. Das hatte er nicht erwartet. Wie gebrochen lehnte der starke Mann vor ihr. „Sie — gönnen mir'auch jetzt keinerlei Hoffnung? Nach all den Jahren des Harrens und Ringen nicht? Und um eines Phantoms willen?" Sie hatte sich höher aufgerichtet, ihre Mienen waren sehr ernst genorden, ihre Augen ruhten mit tiefem Mitleid auf ihm. „Ich weiß, daß ich Ihnen jetzt einen großen Schmerz antbun muß, Eberhard, vielleicht den größten, herbsten Ihres Lebens. Aber ich kann nicht ander-." „Ist — daS Ihr letztes Wort, Thea?" fragte er bebend. „Ja. Es muß so kein. Lasten Sie mich weiter der Hoffnung leben, oder — wenn sie trügt — der Erinnerung. Ich würde, wenn ich Sie erbörte, lugen. Ich kann keinem andern Manne je angehören als dem einen, den ich geliebt habe und noch liebe — trotz Allem. Nennen Sie e« Verblendung, Wahnsinn, — wie Sie wollen; dem Herzen läßt sich nicht gebieten. Mich schreckt die Einsamkeit nickt. Lasten Sie mich weiter hier Jahr um Jahr in der Stille walten und wirken und meinem Kinde leben Ick brauche, ick will nichts andere-. Ihnen könnt ich Loch kein freie- Hrrz entgegen bringen, Eberhard. Sollt ich mit der Liebe zu dem Andern neben Ihnen hinleben? Wäre da- ehrlich? Würde eS un« Glück bringen? Nein, nein, dringen Sie nicht weiter in mich! Es kann nicht sein. Es ist mein Verbängniß so." Er stand noch immer auf der nämlichen Stelle, das Haupt gesenkt, die Stirn düster umwölkt, wie unfähig, sich zu bewegen. „Wollen Sie mir auch keine Hoffnung lassen, daß ick nach Jahren eine andere Antwort von Ihnen er langen könnte?" brachte er endlich mühsam hervor. Sie schüttelte den Kopf. „Es wäre unaufrichtig, wenn ich« thäte, denn ich glaube selber nicht daran. Was könnten Jahre ändern — was haben sie geändert? Es ist ja kein Phantom der Pflicht, an das ich mich klammere — welch? Pflicht könnte mich binden? Es ist mein Gefühl, das mim allein leitet und ras mächtiger ist als mein Wille. Lassen Sie diese Stunde mich Sie nicht ganz und für immer ver lieren, Eberhard. Scheiden Sie ohne Groll von mir! Wenn Sie wüßten, wie weh und wund Alles in mir ist, weil ick Sie nicht halten darf! Lassen Sie mich nicht den besten Freund einbüßen, den ich bis heute gehabt habe!" Sie reicht.' ihm ihre Hand hin. Eberhard rang einen schweren Kampf in sich, seine Brust arbeitete heftig. Anblicken konnte er Thea nicht. Noch immer faßte er es nicht ganz, daß ihm wieder und wieder dieser Andere im Wege stand, der wohl nicht einmal mebr unter den Lebenden weilte, und daß er übermal« um seinetwillen zurücktreten und verzichten sollte. Es traf ihn wie ein Schlag. Er sah die Hand nicht, die Thea ihm bot, es lag wie ein Schleier über seinen Augen. Und vor ihm alles grau und düster. ,Mnnen Sie mir nicht verzeihen?" fragte Thea nach einer Weile traurig. „Soll ich Sie so scheiden sehen? Und wie soll ich in der Ferne Ihrer denken?" „O", fiel er mit einem Ton ein, in dem die Bitterkeit mühsam zurückgedrängt erschien, „sorgen Sie nicht um mick. Mein Weg ist vorgezeichnet. Ich bin keiner von denen, die alle- fortwerfen und alles für vergeblich erachten, weil Wärme, Glanz und Duft aus ihrem Leben geschwunden ist. Ich werbe auch im Dunkel weiterschreiten." Er nahm ihre Hand jetzt. „Ich habe ja kein Recht, Ihnen zu zürnen. Aber Liese Stunde ist die schwerste meines Lebens, Thea. Leben Sie wohl! Vielleicht darf ich Ihnen in Jahren noch einmal die Hand drücken, obne daß von diesem Stachel etwas in meiner Seele zurückgeblieben wäre. Leben Sie wohl!" Er beugte sich über ihre Hand und küßte sie. Sie selbst war so be wegt, daß sie nicht zu sprechen vermochte. Dann ging er und sie blickte ihm nach, wie er in seltsam müder Haltung
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