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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.04.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-04-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960423025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896042302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896042302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-04
- Tag1896-04-23
- Monat1896-04
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That- sächlich aber zeigte sich schon wenige Wochen nach Erlaß Les Wahlgesetzes ein tiefer Riß in der Phalanx ver sächsischen Socialdemokratie und heute liegt der Beweis vor, daß wenigstens die den beiden sächsischen Kammern angehörigen Mitglieder der staatSeryaltenden Parteien über die ihnen zirfallende Hauptaufgabe der Bekämpfung der Umsturzbewegung einiger sind als je. Wie bereits aus unserer heutigen Morgennummer ersichtlich ist, haben diese Mitglieder, mit alleiniger Ausnahme der Prinz- lichen Angehörigen der Ersten Kammer, deS Bischofs I). Wahl und der beiden Antisemiten Theuerkoru und Schubert, am Vorabend deS Geburtsfcstcs Sr. Majestät deS Königs eine Erklärung erlassen, in der sie ihre Ueberzeugung, daß ein Zu sammengehen dieser Parteien auch außerhalb deS Landtags allenthalben zum Wohle des sächsischen Volkes und Vater landes dringend geboten sei, aussprechen und den Willen bekunden, hierfür und für gemeinsames Eintreten dieser Parteien bei öffentlichen Wahlen zu wirken. Wir sind überzeugt, daß Sr. Majestät kein Geburtstags geschenk willkommener gewesen ist, als diese Erklärung, die jede Besorgniß vor einer Spaltung innerhalb der staatserhaltenden Parteien infolge des Wahlgesetzes verscheucht und die Aussicht auf erfolgreiche Bekämpfung der Umsturz partei bei allen Wahlen im Königreiche eröffnet. Daran, daß im ganzen Lande das gute Beispiel der Kammermitglieder befolgt und ihren Bemühungen die größte Bereitwilligkeit ent gegengebracht werden wird, zweifeln wir nicht. Gilt eS doch, dem ganzen Reiche zu zeigen, daß in Sachsen die staat«- erhaltenden Parteien das Wohl de» Vaterlandes über die Interessen der Partei stellen. Je größere Sorge der LentrumSparlrt die agrarische Bewegung im eigenen Lager macht, um so mehr ist sie be flissen, ihren konfessionellen Charakter zu betonen und durch die Aufstellung kirchenpolitischer Forderungen die secessionSlustigen Elemente unter die alte Fahne zu zwingen. Dies zeigt sich recht deutlich an den bereits mitge- lbeilten EentrumSanträgen zum Eherccht des Bürgerlichen tÄcsctzbuchcS, die nichts Geringeres bezwecken, als die Ehe zu einer rein kirchlichen Einrichtung zu machen. Dem Staate soll nur gestattet bleiben, das eheliche Güterrecht zu regeln; über das Recht, eine Ehe einzugehen, über die Giltigkeit einer Ehe, die Ehescheidung u. s. w. sollen die Vorschriften der Religionsgrsellschaften entscheiden. Dem Staate wird damit angesonaen, die seiner Auf fassung von der Ehr vielfach widerstreitenden Vorschriften der katholischen Kirche — man denkt nur an die Unauf löslichkeit der Ebe nach kanonischem Recht — in seinem Gesetzbuch zu sanctionireu. Bezüglich der Eheschließung lassen die Anträge primär nur »ine Nothcivilehe für die jenigen zu, welche die Ehe nicht in den Formen der Kirche, der sie angrhören, schließen können. Hier will sich da- Centrum eventuell mit der von den Conservativen beantragten fakulta tiven Civilehe, und wenn auch diese abgelehnt werden sollte, mit der Forderuttg „begnügen", daß der Standes beamte auf Verlangen der Ebrschließenden anwesend sein und deren „bei der kirchlichen Trauung" vor dem Geistlichen abgegebene Erklärung protokollireN muß. Also das Mindeste, was da» Centrum verlangt, ist die Decretirung der rein kirchlichen Eheschließung von Fall zu Fall Und die Citatio» des bürgerlichen Beurkundungsbeamten gewissermaßen als Assistenten bei dem kirchlichen Act. So ungeheuerlich diese Forderungen sind, so werden sie doch im ganzen ultramontaneu Lager Zustimmung finden. Ob sie aber die agrarische Secession verhüten, ist doch sehr fraglich. Anderer seits zeigen sie den konservativen Freunden des Centrum», daß dieses eine specifisch kirchliche Partei ist, deren Haupt zweck die Beugung des Staate» unter die römische Kirche bleibt. Hoffentlich sehen nun auch die protestantischen Con- servativen, die bisher die obligatorische Civilehe bekämpften, ein, daß sie nur dir Geschäft« der Curie besorgten. Wird der Kaiser, der bekanntlich ein leidenschaftlicher Anhänger des Wassersports ist, auch in diesem Sommer nach CoweS gehen? Diese Frage scheint gewisse Leute jenseits deS Canals lebhaft zu beschäftigen, und dann ist die Folge die, daß auch die deutsche Presse neugierig wird. Aus dem Umstande, daß der Kaiser bei seiner Anwesen heit in SyrakuS dem dort ankernden englischen Kriegsschiff „Astraea" einen Besuch — sogar in englischer AdmiralS- uniform — abgestattet und dem englischen Capitain zu einem Besuch an Bord der „Hohenzvllern" aufgefordert bat, bei dem der englische Germann die Ehre hatte, beim Frühstück den Platz zwischen dem Kaiser und der Kaiserin einzunehmen, hat eine Berliner Zeitung sogar den Schluß gezogen, daß der Kaiser nicht abgeneigt sei, den ge wohnten Besuch in Cowes auch in diesem Jahre zu machen. Nach dem Bericht der „Nordd. Allg. Ztg." hat übrigen- der Kaiser nicht nur dem englischen, sondern auch einem italienischen Kriegsschiffe, das im Hafen von SyrakuS ankerte, einen Besuch abgestattet. Hierzu wird dem „Hamb. Corr." aus Berlin geschrieben: „Ob der Kaiser seinen demnächstigen Besuch in Cowes bereit» angekündigt hat, entzieht sich unserer Kenntlich. Aber selbst wenn da» der Fall wäre, so versteht es sich ganz von selbst, daß der Kaiser bet seiner hinlänglich bekannten Gewissenhaftigkeit einen Besuch in England nicht au-führen würde, ohne auf die jeweilige politische Lage Rücksicht zu nehmen. Bei dem reichen Wechsel der pblitischen Eonstellationen ist r» kaum möglich, Reisedispositionen dieser Art für Nionate im Vorau» zu treffe». Die Situation in Südafrika ist Völlig unberechenbar. Dir TranSvaalfräge kann von heute auf Morgen eine kritische Gestalt annehmrn, wenn e« den Minensprculanten, dir in den „Times" und anderen englischen Blättern ihr Wesen treiben, ge- lingrn sollte, die Regierung zu einem Conflict mit dem Präsidenten Krüger zu treiben, oder wenn Mr. Rhode» den Aufstand im Gebiet der Charteret» Cornpany benutzen sollte, einen neuen Angriff auf Johanne-bura in Scene zu setzen. Auf der anderen Seite ist eben so Möglich, daß Mt. Chamberlain da» Felh behauptet und die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit Transvaal» respertirt." DaS ist kurz und deutlich: unsere getreuen Nachbarn jenseits de» CanalS haben eS sich selbst zuzUschreiben, wenn der Kaiser in diesem Soinmer nicht nach CoweS kommt. Man kann die schäumende Wuth der „Times" gegen das voerenthum in Südafrika verstehen, wenn man sich ver gegenwärtigt, daß sie aus dem Bewußtsein der Ohnmacht englischer Jntriguen und Kräftanstrengungen gegenüber der tbatsächlichen Macht hervorgeht, welche daS BoerenthuM reprasentirt. Die militairischeit Vorbereitungen der Boeren lassen erkennen, daß eS für England ein sehr gewagte» Spiel wäre, eS mit diesem Gegner auf einen EnlschridungSkamvf um die Suprematie am Eap ankommen zu lassen. Ein Gewährsmann de» „Hannoverschen Courier" in Johannes burg giebt darüber folgende Aufschlüsse: „Alle Boeren sind mit den neuesten Gewehren bewaffnet und mit genügender Munition versehen; die Feldkornet«, die militairischen Führet in den verschiedenen Distrikten, haben zahlreiche Reservemunition; die Artillerie zählt 420 gute Leute und ist mit Krupp schen 7H cm-Kanonen aus gerüstet, für die ebenfalls genügender Schießbedarf vorhanden ist, außerdem sind l2 om-Schnellfeuergeschütze mit großen MunitionSvorräthen bestellt. In Johannesburg ist dir Polizei truppe verzehnfacht worden und außerdem hat sich rin Frei willigencorps von lOOO Mann au» Deutschen, Afrikandrrn und Holländern gebildet. Dir Boeren sind also kriegs bereit. Und kommt »S zum Kriege, so können sie auf die Unterstützung des Oranjrfreistaate» und AfrikanderbundrS rechnen. Da« Bündniß zwischen der Südafrikanisch»» Republik und dem Oranjefreistaat ist abgrschlofsen worden, al» die Präsidenten der beiden Republiken vor etwa »in»m Monat am Vaalrivier zusammentrafen und ein gemeinsames Vorgehen gegen britische Unverschämtheiten und Vergewalti- gungsversuche verabrrdeten. Der Afrikanderbund in der Cap- colonie und im Betschuanaland» hat sich offen auf die Seite Transvaal« gestellt, so daß in einem etwaigen Kriege zahlreiche „öritisk subjecta" verrint mit den Boeren drn englischen Ein fluß in Südafrika bekämpfen würden. Und wie die Boeren de» Transvaals, so sind auch die de« OranjefreistaateS, sowie die Mitglieder de« Afrikanderbunde« für alle Fälle wohl gerüstet. Die Boeren sind keine Zulu« »der Ashanti«. Sie haben am Majuba, bei LangSneck und Brockerspruit gezeigt, wa« sie können, und auch der von seinen Land«- leutek viel bewunderte Typus eines rücksichtslosen Ver fechterS englischer Räubervolitik, vr. Jameson, hat Lies erfahren. Er hätte gehofft, bis nach Johannesburg zu kommen, bevor sich die Boeren versammelt hätten; Low als er seinen Jrrthum rinsah, da ergab er sich, weil et Wohl wußte, daß alle seine Leute von diesen besten Schützest der Wett erschossest worden wären. Die Boeren können eicht 30 000 bis 35 000 Mann ins Feld stellen, zu denen efwa 20 000 Mann aus dem Oranjefreistaat und zahl reiche Mannschaft vom Afrikanderbund stoßen würden. Eine ausreichende Zahl von Geschützen ist ebenfalls vorhanden. Hiergegen kann England selbst mit 60 000 Mann nichts machen, und die Zukunft wird zeigen, daß englische Hinterlist und Prahlerei an der urwüchsigen Kraft der Boeren elend scheitern müssen. Wohl haben die Engländer auch ihre Freunde. Die Swazis, etwa 4000—5000 Bewaffnete, und die ungefähr 20 000 Mann starken Basutos werden sofort, jene gegen Transvaal, diese gegen den Oranjefreistaat zu Felde ziehen, aber die prächtige Methode englischer Kriegskunst, die Eingeborenen mit Maximgeschützen niederzumähen, wird auch hier von den Boeren angewendet werden, und einige tausend Boeren werden genügen, diese Feinde sehr bald zu vernichte». Auch „Rhodesia" mit seinen Polizeitruppen und Abenteurern, etwa 2000 Mann, vermag den Boeren nicht viel anzuhabeit. Ehe diese Mannschaften von Norden her weit genug kommen, sind sie von den Boeren in den Zout- panSbergen aufgeriebrn. So liegen die Verhältnisse, und mit guter Zuversicht sieht der Boer in die Zukunft. Er vertraut auf Gott, sein gutes Recht und seine nie fehlende Büchse. Wie die Dinge liegen, giebt es nur zwei Möglichkeiten: entweder England bewilligt die berechtigten Forderungen Transvaal» oder es giebt einen gewaltigen südafrikanischen Krieg." Durch drn Entschluß des EadieretS VourseotS, zu de- missionirrn, erscheint die Lage für den Augenblick gebessert. Allerdings mußte eS auffall«», daß Bourgeois erklären ließ, da« Ministerium wolle, bevor e» dem Präsidenten sein Ent- lassungSgesuck formell unterbreite, erst noch vor die telegraphisch «inzubrrufende Kammer treten, man mußte argwöhnen, das Eabiaet rrflectire auf eia neues Vertrauensvotum der Kammer, um dann auf Grund desselben dem Senat weiter Trotz zu bieten und im Amte zu bleiben. Allein nach übereinstimmenden Meldungen scheint der Entschluß, zu demissioniren, rin end- giltiger zu sein. In drn dirsem Entschluß vvraufgrhendrn Brrathungen drr Minister wollte ein Theit derselben, nament lich Doumrr, Cavaignac und Ricard, nichts von einem Rück tritt wissen, zumal drr Fiuanzminifter erklärt batte, er be dürfe die Afrika-Eredite vor dem 3l. Mai nicht; von dirsrr Srite wurde «in Appell an die Kammer und sogar die Einbringung einer Vorlage auf Revision der Ver fassung befürwortet. Die kriegerisch« Partei verlor aber immer mehr an Terrain. Mit Recht machten Bourgeois und Sarrirn geltend, daß, wenn auch der heutige Tag dem Ferrilletsn. Gottbegnadet. 31) Roman von Konrad Telmann. Nachdruck verboten. So, von ihm gewandt, sagte sie langsam: „Es war besser so. Ich hätte ihm nicht sein können, was er verlangte." Es klang, als ob sie damit jede weitere Frage seinerseits abschneiden und das Gespräch überhaupt beenden wollte. Er wenigstens faßte cs so auf und fügte sich. Schweigend, die Augen gesenkt, die Unterlippe zwischen den Zähnen, stand er da und wartete darauf, daß sie ibn verabschieden sollte. Plötzlich fuhr sie aus und fragte ihn: „Weshalb kamst Du nicht und meldetest Dich auch nicht, als Du erfuhrst, daß Deine Mutter im Sterben liege nnd nach Dir verlange?" Er schüttelte langsam den Kopf. „Ich konnte nicht." „Du fürchtest Dich vor dem Wiedersehn — vor der Heimkunft?" „Nein. Nicht deshalb. Alle falsche Scham, alle gemeine Feigheit hab ich überwunden — hatte es damals schon . .." „Dann wars also, wie ich dachte: Du wolltest ihr den Schmerz nicht antbuu, Dich so Wiedersehen zu müssen. Ich meine", setzte sie errötbend hinzu, als er kurz seine Augen mit vorwurfsvoll traurigem Blick auf sic richtete, „nach dem Ver lust Deiner Stimme. Sie war immer so stolz darauf ge wesen Nnd batte dieser gottbegnadeten Stimme zuliebe Dich von allem andern im Leben ferngehaltcn. was sonst Männer lockt und reizt. Und nun solltest Du so — ich begriff, daß Du das nicht wolltest, nun sie siech und sterbend war. Und deshalb wolltest Dn lieber todt für sie sein und Dich von ihr be weinen lassen". Harry atbmetr ein paarmal schwer, ehe er erwiderte: „ES war auch nicht das allein. Ich hätte ihr nicht verzeihen können". „Harry!" schrie sie erschrocken auf» al- er eS mit dumpfer Stimme herausgestoßcn batte. Es war das erste Mal, daß sie seinen Namen wieder nannte. Ihr Gesicht war wie entgeistert. Er aber nickte still vor sich hin und sagte nach einer Weile leise: „Es ist furchtbar, ja, und ich habe Dir neulich noch zugrrufe», Du sollest dir Tobten ruhen lassen. Aber ich wäre ein Lügner, nenn ich ander« redete. Meine Mutter bat schwer an mir gesündigt". „Au« Lieb», Harry". „War da» noch Lieb»? Auch daß sie mich Dir nicht gönnte und vor keinem Mittel zuriickscheute, mich Dir zu ent fremden — vor keinem? Ich will meine Schuld nicht auf sie abwälzcn, daS wäre feig und erbärmlich. Aber sie kannte meine Schwächen, bi« sie srtbst von j« her genährt hatte, vor Allem meine maßlose Eitelkeit — sie hält» dir« Spitt nicht spielen dürfen. Ihr» Liebe sagst Du, war ter Anlaß? Mutterliebe kennt doch keinen EgoiSmu«. Sie will nur glücklich machen und glücklich sehen, auch wenn sie selber ver zichten und entbehren muß. Grade deshalb ist sie ja dir hehrste und heiligste von Allen, weil sie die selbstloseste ist. Ich bin durch diese Übel verstandene Mutterliebe tief unglücklich ge worden, ich wäre fast daran zu Grunde gegangen. Und — trotz der eigenen Schulderkenntniß — hat daS an mir gezehrt und gezehrt. Ich konnte nicht zu meiner Mutter gehen — Gott verzeihe mirs! Jetzt, wo sie vollendet hat, hab ich ihr vergeben. Friede ihrer Asche I" Er hatte die Worte leise eines nach dem andern vor gebracht, wie wenn jedes ihm Anstrengung und Olual kostete. Wie gebrochen starrte er vor sich hin. „Sie hat schwer ge büßt und gelitten", sagte Thea. Ein leises Zittern durchrann seinen Körper. „Ich weiß. So lange ich konnte, habe ich ihr LooS zu mildern gesucht — eS War nicht lange. Dann — waS hätte ich thun sollen? Ich war selbst am Verhungern. Als ich zuerst wieder in der Lage war, geben zu können, war es zu spät für sie. Es hat mir daS Elend nicht leichter gemacht, daß ich wußte, auch sie müsse darben." „Sie bat nicht gedarbt", entgegnete Thea mit Wider streben. „In der Art wenigstens nicht, wie Du fürchtest". „Wer sollte ihr zur Seite gestanden haben?" fragte er bitter. Dann durchfuhr eS ihn und er sah sie unaewiß an. „Du doch nicht? DaS ist — daS wäre groß von Dir. Du hast . . . ?» „Ich habe sie nicht wiedergesehen, fiel Thea rasch ein, ich konkte nicht. Aber ich habe durch Asta, als ich von ihr er fuhr — bitte, laß das alleS jetzt! Ich wollte Dir nUr diese eine Sorge wenigstens nehmen. Sprich nicht mehr davon — ich bitte Dich dringend". Sie war heiß erröthet. „Wie Du willst", sagte er demüthig, „nur noch einmal danken werde ich Dir ja Wohl dürfen. Und dann — ich weiß nicht, wie ick es sagen soll — ich wäre heute in der Lage, Dir zu ersetzen, waS Du — es würde mich auch zwingend dazu treiben, wenn ich nicht dächte, daß ia doch ohnehin Alles, wa« ich besitze, einmal an daS Kind fallen wird. Und somit. . ." Er brach ab und auch Tbea sprach nichts weiter. Sie standen alle beide schweigend. ES war, als hätten sie sich noch so viel zu sagen, daß sie nicht wußten, wie sie beginnen sollten, oder al» sei nun Alles zwischen ihnen schon zu Ende geredet. „Ick muß jetzt gehen", sagt« er nach einer Weite. „Man kann dock nicht wissen . . ." Er stand aber trotzdem und zögerte. Dann war r» Thea, die zuerst ging. Sie schritt ihm voran auf dem Wege, den er einscklagen mußte, war wie selbstverständlich, daß sie zusammengingen. Eine Strecke weit, immer über drn Hügel kamm hin^ wanderten sie stumm, »nd immer unter ihnen lag da« Meer und die schimmernde Küste und immep grüßte mit rothen Dächern durch di« klare, blaue Luft die Stadt zu ihnen herüber, die sich an den herrlich geschwungenen Busen de« Golfe« sckmiegte. So mannigfach dir Verschiedenheiten auch wart», vornehmlich in Licht und Farbe kam den beiden doch gleicherzeit der Ostseestranb in vi« Erinnerung und lte. sie fertig. jener Heimweg bergab durch den Buchenwald an daS Ufer, auf dem sie beide gewußt hatten, daß sie einander angehören wollten. Es war ihnen, al« läge rin Menschenleben zwischen jener Wanderung in Norden und der heutigen im Süden. Und die Ströme von Goldlicht, die heute aus einem gnädiger« Himmel herabflutheten, konnten doch den Glanz nicht über strahlen, der über jener Sommrrstunde au-qebreitet lag und deren Wärme sie heute noch und heute plötzlich wieder in ihrer Seele fühlten. Mitten aus dem Wege beim Berstab steigen hielten sie mit einem Male beide ruckartig zu gleicher Zeit den Schritt an und blickten sich, wie auf Verabredung, in die Augen. Dann errötbeten sie beide und gingen hastiger weiter. Aber es mochte Wohl mitten aus den jahling« ge weckten Erinnerungen heraus kommen, daß Harry, halb vor sich hin, plötzlich sagte: „Der arme Eberhard! Damals stand ich ihm im Wege und jetzt . . . Und doch wäre er Deiner so viel weither gewesen!" Und nach einer Pause wieder fragte er: „Und Du willst imnter allein bleiben? Auf Lensiyn Dich vergraben?" Vielleicht hatte Thea die Frage nicht gehört oder sie wollte sie nicht beantworten; sie mochte auch denken, daß sie überflüssig sei, weil sie ihm schon langst früher Antwort darauf gegeben. Sie blieb stumm, und stumm legten sie beide den Rest des WegeS zurück. Als sie sich mitten im bunten Menschenleben deS Quai du Midi trennten, warS, als wären sie sich völlig wieder fremd geworden und jede weiche Regung, die ihnen aus der Erinnerung angefloaeN, sei wieder aus ihrem Innern verbannt. Wit zwei Menschen, die nichts miteinander innerlich gemeinsam haben, trennten sie sich. Und doch brach wieder ein heißer, tepevoller Schmerz in Thea au», als sie zu Haus« anlangt». Sie preßte da- Kind in leidenschaftlichem Ungestüm an sich. Wieder war eine Mahnung an sie ergangen und wieder hatte sie ungehört sie verhallen lassen. Nun würde eS vielleicht zuM letzten Mal gewesen sein. Und dann war alle« zu spät. Wollte er sich denn nimmer bändigen und niederzwingen lassen, drr klägliche Stolz ihre» Herzen«? Und «S schrie und schrie doch Nack Erlösung? Aber nicht an ihr war eS ja, hier ein erste« Wort zu sprechen, hier einen ersten Schritt zu thun. Sie war die Beleidigte, die in allem Heiligsten Verwundete und Gekrankte; sollte sie sich auch noch vor ihm demüthigeN, sick vielleicht von ihm zurückweisen lassen? Nein, er selbst hätte sich ihr nahen und hätte reden müssen. Nur, daß auch er vielleicht heute zm stolz war, um zu betteln, oder zu zaghaft, um zu hoffen. Daß er vielleicht alle« und für immer aufgegeben hatte, um nur sich selber achten zu können. Thea versuchte sich immer wieber in Hardy'S Seelenzustanv hineinzudenken, sie vertiefte sich darein mit wahrer Leidenschaft. Er wollte Ruhe haben, er wollt» den Frieden, den er sich mühsam errungen, nickt leichtfertig wieder aufs Spiel setzen, selbst nicht um den Preis, den er vielleicht hätte dadurch gewinnen können. Er hatte verzichtet und wollte nicht« mehr al« arbeiten, fern von allen früher« Kämpfen, Leiden und Triumphen arbeite», für sich und andere. Ader weshalb hatte das Kind keine Macht über ihn? War es nur für ihn da, um sich liebkosen und mit Geschenken überschütten zü lassen, ein gelegentliche« Spielzeug, da« man wieder vergißt, wenn man e« nicht mehr sieht? Sie ließ da« Kind heute den ganzen Tag nickt von sich. E« «ar ihr, als müsse sie sick noch inniger daran klawmrtn al« bisher, und als besäße sie in dem Kinde zugleich ein Stück von dem, der ihr für immer entrissen bleiben sollte. Wenn nur nicht diese fragenden Kinderaugen gewesen wäre», in denen sie fort und fort ein staunendes Forschen und eine stumme Bitte laS, zu lesen glaubte. Sie wußte allmählich kaum selber mehr, ob sie nicht ihre eigenen Gedanken und Wünsche in die KindeSseele hineintrug. Der Tag ging zu Ende. Hinter den duftverschleierten Zacken de- Esteval stieg die Sonne nieder, ihr letzte« Gold funkelte in den Scheiben der Schlösser und Villen am Mont- vovon. Graue« Zwielicht überdämmerte die Küste und in der Ferne verschwammen Meer und Himmel in eins. Wieder ein Tag vorüber! Und wieder alles daS Gleiche in ihr und um sie her. Und so ein Tag nach dem andern, nutzlos, inhaltlos, freudelos. Darüber spann sich ibr Leben dann ab. Und Harry war dann lange fort. Sie schloß Lydia fest in ihre Arme, sie weinte über dem Haupte deS Kindes. Warum? wußte sie selber kaum. Da wurde draußen die Schelle heftig gezogen. Thea ruckte zusammen. DaS konnte nur Harry sein. Obgleich ihr Verstand ihr zurief, sie täusche sich, hämmerte ihr Herz dock' wild. Und sie stand auf, Lydia an der Hand, um Harr» entgegenzugehen. E« war aber wirklich nicht er — sie häkle e- sich denken können. Und doch wär? ibr, als träfe sie ein Schlag Wie wild der Aufruhr ihrer Nerven war! Wie ihr Blut tobte! Mademoiselle Claire war eingetreten, um einen Brief zu überbringen, der eben abgegeben worden. Thea wollte ihn achtlos auf den Tisch werfen, aber Mademoiselle Claire füzt- hinzu, deb schwarze Jos« habe gesagt, e« sei eilig, und er warte vraußeN, habe auch den Wagen warten lassen, in dem er gekommen. Nun riß Thea de» Brief aus. Ihre Finger zitterten, als sie Harry'« Schrift erkannte. Wie lange batte^sie die nicht mehr gesehen! Und beim Schein der Lampe, die Mademoiselle Claire hekttntrUg, la« sie die sichtlich Mit bebender Hand rasch hingeworfenen Zeile»: „Don Tessin», der sein Ende nahe fühlt, möchte Dich und da« Kind noch einmal sehen. Wenn Du drn Wunsch eines Sterbenden erfüllen willst, komm rasch. Ich glaube, es ist nicht mehr viel Zeit zu vertieren. Harry". Thea überlegte nicht, wa« der Brasilianer ihr zu sagen haben könne, da« Wunderliche und Befremdliche, das in Harry'« Aufforderung lag, sich mit dem Kinde an da« Sterbe bett eine« Maune« zu begeben, den sie kaum zwei oder dreimal gesehen UNP nur einmal gesprochen halte, kam ihr gar nicht zum Bewußtsein. Sie fühlte und wußte in dirsem Augen blick nur, daß er sie rief, daß st» zu ihm kommen soll Und sie zaudert« nicht. In fünf Mmutrn war sie ferti
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