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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.07.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-07-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980704026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898070402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898070402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-07
- Tag1898-07-04
- Monat1898-07
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Die Mvrgcn-AuSgabe erscheint um Uhr, dir Abend-Ausgabe Wochentags um b Uhr. Re-artion und Crpedition: Johannesgasse 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Filialen: Dito Klemm'S Tortim. (Alfred Huhn), Universitiitsstraße 3 (Paulinum), LoniS Lösche, Katharinenstr. 14, part. und KönigSplatz 7. Bezugs-Preis In der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Au»- eabestellen abgeholt: vierteljährlich ^4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau« 5.S0. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljäbrltch 6.—. Directr tägliche Kreuzbandirndung in» Ausland: monatlich 7.50. Abend - Ausgabe. MpMrTlMblalt Anzeiger. Amtsblatt des ÄönigkiclM Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Nolizei-Äintes der Stadt Leipzig. Aazeigen'Prei- die 6 gespaltene Petitzeile SO Pfg. Reclamen unter dem Redactionsstrich (4ge- spalten) 50^L, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unserem Preis« verzrichniß. Tabellarischer und Ziffernjatz nach höherem Tarif. Extra-veUagcn (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anreisen sind stet» an die Expedition zu richten. —— Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 333. Montag den 4. Juli 1898. 92. Jahrgang. Der spanisch-amerikanische Krieg. <^> Wenn die Depescke, die wir heute Morgen erhalten Haden, die Wahrheit verkündet, dürste das Ende des spanisch amerikanischen Krieges nicht mehr fern sein. Sie lautet: * Washington, 4. Juli. (Reuter-Vnrcan.) La» Weihe Hans »irbt bekannt: Admiral Lampson sei am Sonntag in Santiago eingedrunsen nnd habe die Flotte Ecrvera s zerstört. Das KriegSdcpartemcnt meldet, die scsammte spanische Flotte mit Ausnahme eines Schiffes sei zerstört und an der Küste verbrannt worden. — Tas Weihe Hans erhielt nachfolgende Depesche vom General Lhafter ans Playa del Este vom A. diese» MonatS: Hente früh habe ich die Uebcrgabc von Santiago gefordert nnd gedroht, die Stadt zu bombardiren. Ach glaube, die Stadt wird sich übergeben. Gegen diese Tbatsache treten alle anderen Nachrichten, die noch vorliegen, zurück. Alle Berichte über Einnahme von Sckanzen, von Dörfern, Brücken, Städten und Festungs werken verblassen vor der Nachricht, daß Cervera's Flotte vernichtet ist, daß Shafter sich kräftig genug fühlte, ohne auf die Unterstützung aus Tampa zu warten, den entscheidenden Schlag gegen Santiago zu führen. Was nützen denn auch die von den Spaniern so energisch und zähe vertheidigten Höhen, was nützt ihr Geschick im Schießen, was nützen ihnen ihre großen Berluste, wenn von der Seeseite her Santiago frei ist. Und dieser Eervera! Welche Heldenthaten hatte man von diesem zweiten k'adius cunctator erwartet, wie hatte man ihm allgemein Sympathie entgegengebracht, weil man glaubte, daß sein Zaudern mit eurem strategischen Plane Zusammenhänge! Wie hatte man in den Kreisen, die die Operationen der Spanier wohl wollend verfolgten, immer noch gehofft, daß es seinen Kanonen gelingen werde, Sampson und Shaster aufzuballen, bis Pan do angckommen sei und mit seinen Truppen in den Kampf eingriffe. Und nun scheint, oder besser ist, alles verloren. Die Amerikaner berichten selbst, daß die Spanier wie die Löwen gekämpft haben. Die Generäle haben sich an die Spitze ihrer Truppen gestellt, General Linares ist schwer verwundet worden. Seil einigen Tagen litten die Spanier in Santiago thatsächlich Hunger und trotzdem standen die Soldaten wie die Mauern und nur der Zähigkeit der Amerikaner, die selbst großen Muth und Ausdauer bewiesen, gelang es, die Schlinge um die Stadt noch fester zuzuziehen. Ob Pando angekommen ist, das weiß man nicht, aber daß die Colonnen Eöcerio und Pereja irgendwo untergegangen sind, scheint sich zu bestätigen. Sind sie den Insurgenten in die Hände gefallen, sind ihre Truppen aus den unwirthlichen Wegen verkommen und versprengt worden oder sind sie desertirt? — Niemand weiß eS! Nach den in unserer heutigen Morgennummer enthaltenen Nachtkcpeschen war ein so entscheidender Schlag noch nicht so bald zu erwarten. Daß die Minen des HasenS nicht auS- reichten, um ibn zu verlheidigen, das wußte man, aber es verlautete auch, daß die Amerikaner auf alle Fälle noch Ver stärkungen erwarteten. Sie batten selbst viele Verluste. Nach der eigenen Meldung Shafter's betragen sie etwa 1500 Mann, die Liste ist aber noch nicht aufgestellt. Verhältniß- mäßig sind wenig Kranke, die Truppen sind aber durch Hitze und durch die Anstrengungen während der Schlacht ermüdet. General Whecler ist schwer erkrankt und wurde hinter die Front gebracht. Auch General Uonng ist sehr krank und muß das Bett hüten. GeneralHawkuiS ist bei einem Ausfälle, den die Spanier unternahmen, leicht am Fuße verwundet worden — das sind die Verlustverzeichnisse deö Gefechts vom).Juli, vom Freitag. Bei diesem Gefechte verfügte, nach spanischen Ouellen, General Shafter über 17 000 Mann und 82 Ge schütze und wurde von 6000 Aufständischen unterstützt, während die Spanier nur 2000 Mann zur Verfügung halten. Der Kampf dauerte drei Stunden. Die Amerikaner batten zahlreiche Trancheen zu überwinden und große Weg schwierigkeiten, da die Straßen durch den Regen auf geweicht waren. Die Spanier zogen sich in voller Ord nung zurück. Oberst Ordoüez und zwei Majore wurden verwundet. Bei El Ganey haben an demselben Tage zwei Gefechte stattgefunden; im ersten wurden die Amerikaner zurückgeschlagen, der Auögang des zweiten Gefechtes ist „un bekannt". Aber im Minrsterrath zu Madrid weiß man und bestätigt es, daß General Varaderey beim dritten An griffe auf El Ganey, wo er mit weniger als 500 Mann Widerstand geleistet hat, gefallen ist, ebenso, daß die beiden Flügeladjutantendes General Linares getödtet wurden. Dem denkwürdigen Sonntage, dem 3. Juli, ging am Tage vorher eine Conferenz in Washington voraus, in der man den ursprünglichen Plane Shafter's, auch ohne Ver stärkungen am Sonntage eine Entscheidung _ herbeizu führen, gebilligt und bestärkt haben muß. Man darf nicht vergessen, daß die Verluste der Amerikaner auf daS amerikanische Volk auch niederschlagend wirken und daß immer erneute Opfer schließlich den Amerikanern Veranlassung gegeben hätten, über die Gründe des Krieges nachzudenken. Wenn daher politische Gründe für die Durchführung der ursprünglichen Absicht Shafter's vorlagen, so auch tactische. Die Spanier waren geschwächt, wie die Amerikaner, ob Pando mit seinen Truppen angekommen war, wußte man noch nicht, cS war aber zu erwarten; man wußte ja, daß die Spanier, wenn auch nicht einen Sieg errungen, so doch keine Niederlage erlitten hatten und daß der Erfolg dieses Kampfes sie moralisch stärken mußte. Dieser Kampf war ein Kampf zur See und über ihn wird Folgendes berichtet: * London, 4. Juli. Eine Depesche von der Höhe von Santiago vom 3. d. M. meldet: Als Samson in Erfahrung gebracht hatte, daß 3 spanische Torpedoboote in Manzanillo seien, gab er der „Hist", der „Hörnet" und der „Wampatuck" Befehl, sie zu ver- Nichten. Die Amerikaner drangen in den Hafen rin, wo unter dem Schutze der Strandbatterien und spanischer In- fanterie neun spanische Schiffe, unter ihnen ein Torpedoboot und rin Kreuzer, sichelförmig Aufstellung genommen hatten. Ter Kampf dauerte mehrere Stunden. Die Amerikaner bohrten ein Kanonenboot, eine Schaluppe und ein Ponton in den Grund nnd beschädigten mehrere Kanonenboote und die Strandbatterien, aber die,„Hist" wurde elsmal von Granaten getroffen und die „Honet" wurde außer Gefecht gesetzt. Die „Hist" mußte die „Honet" zurückschleppen, während „Wampatuck" den Rückzug vor der spanischen Uebermacht deckte. Tie amerika- nischen Schiffe bemerkten die „Purisima", „Concepcion" und zwei große Transportschiffe in Manzanillo. Der Kampf zu Lande begann schon am Sonnabend in aller Frühe. Während die Truppen der Amerikaner zwischen El Ganey und Santiago von Nordosten her drängten, stießen, so berichtet der „New Jork Herald" aus Playa del Este, andere Divisionen von Süden nnd wieder andere mar- scyirten von Osten her gegen daS Centruin der Stadt vor. Die gesammte Flotte bombardirte ohne Unter brechung die Batterien des Hafens. Eine maskirte spanische Batterie eröffnete das Feuer gegen ein Regiment Frei willige, die einen Fußpsad hinaufklommen, und richtete in dessen Gliedern große Verheerungen an. Das Regiment hielt sich sehr brav und vertrieb die Spanier und brachte ihnen große Verluste bei. Auch die irreguläre Cavallerie sah sich am Morgen einem sebr lebhaften Feuer ausgesetzt. Ein heftiger Kampf entwickelte sich bei San Juan, der zwei Stunden dauerte und infolge dessen die Spanier sich eilig auf Santiago znrückzogen. Fünf Regimenter Cavallerie, unterstützt von zwei Regimentern Infanterie, nahmen San Juan, aber die Verluste waren empfindlich. Ein Ballon, der im Kampfe zur Verwendung kam, leistete treffliche Dienste, aber cs gelang den Spaniern, ihn zum Platzen zu bringen. Das Hospital in Siboney ist mit Verwundeten gefüllt, ebenso das Hospitalschiff „Texas". — Soweit der amerikanische Bericht. Das Ende des Gefechtes giebt die an der Spitze dieses Artikels wiedergegebene Depesche wieder. ES scheint um Santiago geschehen zu sein. Was nun? Die Frage drängt sich mit Gewalt auf und auch die spanischen Minister können ihr nicht mehr ausweichen. Römers Robledo hat schon in der Kammer für den Frieden geredet, Sagasta bat kalt lächelnd abgewinkt. Die Arbeiter und die HandelSkrcise in Barcelona haben schon vor einigen Tagen ernste Vorstellungen gemacht, ohne Gehör zu finden. Und dock ist die Lage jetzt nahezu verzweifelt. Zwei Flotten vernichtet, eine drille, die nur das Zerrbild einer Flotte ist, drückt sich im Rothen Meere herum, Soldaten nicht vorhanden, und wenn auch 26 000 Mann einberusen sind, wer weiß, ob sie dieser Negierung noch folgen. Die Amerikaner haben jetzt das Heft in Händen. Werden sie zu einem ehren vollen Frieden geneigt sein? Wir glauben es nicht und des halb hat eine Zuschrift aus Madrid Interesse, die sich mit der politischen Lage befaßt und zwar der, wie sie jetzt eingetreten ist. Es beißt da: Die spanischen Negierungskreise rechnen heute nicht mehr mu' der Möglichkeit, den , Nordamerikanern gegenüber das Felc siegreich zu behaupten. Auf Cuba werben sich die spanischen Truppen strengstens auf die Vertbeidigung beschränken, nur um das Borrücken des Feindes nach Möglichkeit zu verlang samen. Auw dasGe'chwaderC am a r a's hat nickt dieBestim mung, einen offenen Kampf mit dem Geschwader Dewey's aufzu nehmen, sondern er wird versuchen, einen leicht zu ver- theidigenden Hafen der noch nicht im Besitz der Auf ständischen befindlichen Inseln zu erreichen, um dadurch das Noch-Vorhandcnsein der spanischen Rcgierungsgewalt auf den Philippinen überhaupt festzustellen. Hierbei denkt man sich die weitere Entwickelung folgender maßen: Auf Cuba ist schon jetzt der Gegensatz zwischen dem Jnsurgeiltenführer Calixto Garcia nnd dem anderen weit bedeutenderen Führer Maximo Gomez schroff bervor- getreten. Letzterer war bisher von der cubanischen Junta in New Aork als oberster Führer des Aufstandes anerkannt worden und er selbst verfolgt offenkundig das Ziel, dereinst „Präsident der cubanischen Republik" in aller Form zu werden. Calixto Garcia ist sein jüngerer Neben buhler, der schon lange danach strebte, sich der Oberleitung des Maximo Gomez zu entziehen. Und da dieser j.tzl beim Ausbruch deö Krieges zögerte, sich und seine Truppen bedingungslos dem nordamerikanischen Generalstabe zur Verfügung zu stellen, so ergriff Garcia begierig die Gelegenheit, sich sofort den Nordamerikanern an den Hals zu werfen, hoffend, auf diese Weise von den Vereinigten Staaten über Gomez gestellt zu werden. Diese persönliche Rivalität bietet nach spanischer Auf fassung die Sicherheit dafür, daß Maximo Gomez selbst im Falle eines vollständigen Sieges der Nordamerikaner an die Großmächte appelliren wird, um diese zur An erkennung der cubanischen Republik, nöthigenfalls unter dem Schutze einzelner oder aller Mächte, zu ersuchen. Ganz ähnlich liegt die Sache auf den Philippinen, wo Aguinaldo persönlich nach der Würde eines Präsi denten strebt und gegenüber einer von den Nordamerikanern geplanten Besitzergreifung ebenfalls die Hilfe der Mächte an rufen würde. Somit würde das muthmaßliche Ergebniß des Krieges sein: 1) Cuba wird selbstständige Republik, welche noch eine bestimmte Zeit lang (etwa 50 Jahre) an Spanien einen JahreStribut zu entrichten hat. Während dieser Zeit unterhält Spanien in einem Hafenort eine mäßige mili- tairische Besatzung, gleichzeitig wird einzelnen Großmächten die Befugniß zugeständen, zum Schutze ihrer Angehörigen kleinere Truppenkörper aus der Insel zu halten. 2) Die Philippinen werden ebenfalls eine selbstständige Republik, welche jedoch dauernd einen Jahrestribut an Spanien zu entrichten hat. Spanien behält eine kleinere Insel in seinem unmittelbaren Besitz, auf welcher es eine Militairmacht unterhält. Manila wird Hauptstadt derRepublik, doch erhalten auch dort die betheiligten Großmächte das Recht, kleinere Besatzungen in die Stadt zu lege», wofür diese Mächte die Unabhängigkeit der Republik zu ver bürgen haben. 3) Portorico erhalten die Vereinigten Staaten als Pfand für eine näher zu bestimmende Kriegsentschädigung. Sobald diese Spanien bezahlt, fällt diese Insel an Spanien zurück. Man wird bald sehen, ob sich Amerika mit diesen spanischen Wünschen begnügt. Es giebt ein Sprichwort, das von ^kuterrux ck'^spugue spricht — Luftschlösser scheint man in Spanien auch jetzt noch zu bauen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 4. Juli. Wie von uns, so ist die Verhätschelung der Litaner, mit der die preußische Regierung anqesangen, auch von der „Köln. Zeitung" verurtheilt worden. Nur daß dieses Blatt bei der Gelegenheit noch bemerkte, eS fei Herr I)r. v. Miquel ge wesen, der 1890 die „Besänftigungspolitik" den Polen gegenüber begonnen habe. Die „Voss. Ztg.", die zum Unter schied von den meisten anderen freisinnigen Blättern nicht ausgesprochen polenfreundlick ist, griff in nicht rostender alter Liebe diese Angabe auf und meinte, nun sei eS am Tage, daß Herr v. Miquel der Urheber jener Polenpolitik gewesen, die seit Jahren „von der Bismarckpressr" dem Grafen Caprivi zum schwersten Vorwurf gemacht wurde. Worauf die „Bert. Neuest. Nachr." entgegnen: „Tie „Boss. Ztg." sollte den Liebling der Freisinnigen, den Grafen Caprivi, doch nicht gar so geringwerthig behandeln! Was müßte sie von einem Ministerpräsidenten und Reichskanzler denken, der es duldete, daß der Resortches der Finanzen eine von dem leitenden verantwortlichen Staatsmanne nicht gebilligte Polen politik triebe, die doch so stark auf das Gebiet der auswärtigen Beziehungen des Reiches übergreistl Hat Herr von Miquel damals die Polen „besänftigt", so hat er sich jedenfalls in einer sonst ziemlich seltenen Uebereinstimmung mit dem Grasen Caprivi befunden. Feuilleton. Lauernblut. 22j Roman in drei Büchern. Von Gerhard von Amyntor. (Dagobert von Gerhardt.) Nachdruck verboten. „Willkommen, Herr Staatsanwalt! Aber — sehe ich recht? Wen bringen Sie denn da mit? Herrn Just?" „Ganz richtig — Friedrich Just", erklärte, sich selbst vor stellend, der Amerikaner, dem das Blut in die Wangen geschossen war, so daß das kleine rundliche Männchen mit dem kurz geschorenen Äraukopf und den dunklen lebhaften Augen förmlich hübsch und rosig aussah; „habe den Herrn Staatsanwalt mit dem Herrn Criminalcommiffar ganz zufällig auf dem Bahnhofe getroffen, und da waren die Herrn so freundlich und ver- statteten mir auch ein Plätzchen im Wagen. Ich habe von dem Einbruch in der Zeitung gelesen und will mich doch persönlich überzeugen, ob der Schreck auch Niemandem geschadet hat. Doch rch sehe, Ihnen, gnädiges Fräulein, hat er nichts angehabt; Sie sind von der guten altbrandenburgischen Rasse, bei der eS heißt: bange machen gilt nicht." William Teil hatte inzwischen der Frau vom Hause die Hand geküßt und ihr dann den Criminal-Commissar, einen in Civil gekleideten, scheinbar gutmüthig drcinschauendrn Mann in mitt leren Jahren, vorgestellt. Frau Clara von Brank dankte dem Kommissar, daß er sich ihretwegen bemühen und den Spuren deS Einbrechers nach forschen wollte; dann wandte sie sich wieder mit liebenswürdigem Vorwurfe an Tell: „Sie haben sich eine Ewigkeit nicht mehr bei uns sehen lassen, Herr Staatsanwalt! Nun hat der Ver- lüft, der uns betroffen, wenigsten» die eine angenehme Folge, daß er uns den ungetreu gewordenen Freund wieder zuführt." Der Staatsanwalt glaubte nicht recht zu hören; grollend und verbittert war er einst aus diesem Hause geschieden; er hatte ge meint, daß die Brücken mit GieSdorf ein- für allemal für ihn abgebrochen wären. Und nun empfing man ihn mit so viel Herzlichkeit, als wenn gar nichts vorgefallen wäre. War es vielleicht nur, weil man ihn brauchte? Weil man von seiner Umsicht den Wiedergewinn eine» vielleicht schmerzlich entbehrten Capital» erwartete? Aber pfui! In solchen Verdacht di« Familie Brank zu nehmen, hatte er wahrlich kein Recht. Mochte sie möglicherweise auch eingebildet auf ihre alte, vornehme Ab- stammuna und daher «twa» hochfahrend und selbstbewußt sein, jedenfalls besaß sie neben dem Adelstolz auch den echten und Niemand verletzenden Stolz der wahren Vornehmheit, der es ihr unmöglich gemacht hätte, aus irgend einem nur materiellen Be weggründe Jemandem ein freundliches Gesicht zu zeigen, dem man nicht wohl wollte. „Sie sind sehr gütig, gnädige Frau", versetzte er, im Herzen schon versöhnt, „und was an mir liegt, so will ich mit Hilfe dieses Herrn (er deutete auf den Criminalbeamten) versuchen, ob sich nicht noch der Raub oder wenigstens ein Theil desselben für Sie reiten läßt." Die Herren waren in das Zimmer des Freiherrn gegangen, während die beiden Damen sich zurückgezogen hatten, um die An ordnungen für ein Frühstück zu treffen. Friedrich Just stand mit untergeschlagenen Armen und stumm beobachtend in der Verbindungsthiir zur Bibliothek, während Tell und der Com missar im Zimmer umherforschten, das noch offenstehende Schränkchen musterten und auch den Fensterflügel mit der zer brochenen Scheibe, der nebst dem anderen, wegen schlechten Schlusses ausgehobenen Flügel an der Wand lehnte, in Augen schein nahmen. Dann begaben sich Beide nach dem Garten, betrachteten das Fenster von außen und untersuchten sorgfältig den Erdboden vor demselben. „Schade, daß es in jener Nacht geregnet und gestürmt hat", sagte der Commissar, „die Fußspuren sind schon sehr undeutlich. Ist hier neuerdings schon Jemand gegangen?" fragte er den Freiherrn, der nun auch in den Garten gekommen war, während ^ust sich immer noch im Zimmer aufhielt und zum Fenster hinausschaute. „Nein", erwiderte Brank, „ich habe Niemanden hierher ge lassen; selbst dem Gärtner habe ich verboten, diesem Theile des Hauses zu nahe zu kommen." „Dann sind es mehrere gewesen, die den Einbruch verübt haben", erklärte der Beamte mit Bestimmtheit. „Merkwürdig! Hier führt auch eine Spur nach jener Ecke des Schlosses . . . . was für Zimmer liegen denn da?" „Unser Schlafzimmer", versetzte der Freiherr. „Aha!" fuhr der Beamte fort, „man hat gewußt, daß es Ihr Schlafzimmer ist, und hat eine Schildwache dort auf gestellt." Er ging der Spur nach und fand an ihrem Ende eine größere, fast kreisrunde Stelle, die vielfache, durcheinander laufende Fußabdrücke, ober alle von derselben Art, enthielt. Kein Zweifel, hier hat einer „Schmiere gestanden". Er maß die schon ziemlich unkenntliche Fußspur; dann kehrte er zu den Anderen zurück und sagte zum Staatsanwalt: „Jetzt werde ich selbst einmal einsttigen, um zu sehen, wie das gemacht wurde." Er kletterte am Spalier in die Höhe, packte das Fensterkreuz und schwang sich durch das offenstehende Fenster ins Zimmer. Der Freiherr war durch den Gartensaal wieder ins Haus gegangen. Tell, der allein noch draußen war, untersuchte noch einmal das Erdreich unter dem Spalier, indem er die Rosen- und Clcmatisranken auseinanderbog, und plötzlich schimmerte ihm zwischen den grünen Blättern etwas Weißes entgegen. Begierig bückte er sich danach, und schon wollte er freudig ausrufen: Hier habe ich einen wichtigen Fund gemacht! als er heftig er schrocken verstummte. Sein schnelles Auge hatte auf dem weißen Briefumschlag einen Namen erkannt, der ihm alles Blut zum Herzen drängte. „Herrn Maurermeister Peter Dechner!" stand als Adresse auf dem Umschläge geschrieben. Wenn Peter diesen Brief hier ver loren hatte, dann war er auch der Einbrecher gewesen, dann war er, der Staatsanwalt, als Stiefbruder eines gemeinen Verbrechers so schimpflich gebrandmarkt, daß ihm Ellen, die sich gewiß nur mit großer Anstrengung heute zu einem so freund lichen Empfange bequemt hatte, wahrscheinlich fortan mit zwie facher Verachtung den Rücken zukehren würde. Hastig schob er das verhängnißvolle Papier in seine Brust tasche. Die Hände zitterten ihm; er fühlte, daß er leichenblaß geworden sein mußte. Nach oben spähend, um zu ermitteln, ob nicht etwa Jemand sein Verhalten bemerkt hatte, gewahrte er zu seiner Beruhigung nur Just, der am zweitnächsten Fenster stand und unbefangen zum Himmel emporschaute. Tell rief ihm mit erzwungener Munterkeit zu: „Ich will doch auch einmal hier hinaufklettcrn." „Thun Sie das, Herr Staatsanwalt; aber seien Sie vor sichtig!" Tell trat dicht ans Spalier, und ehe er den Fuß auf die unterste Latte setzte, bückte er sich schnell noch einmal, weil er wiederum etwas bemerkt hatte: es war ein Knopf, den er aufhob und heimlich in seine Westentasche gleiten ließ; dann stieg er an dem Spalier in die Höhe und gewann ohne besondere Schwierigkeit das Zimmer. Das Herz schlug ihm bis an den Hals: er hatte zwei Gegen stände gefunden, die unzweifelhaft auf di- Spur des Verbrechers führen mußten, und diese Gegenstände unterschlug er sowohl dem Commissar als auch dem bestohlenen Schloßherrn. Der Hehler ist so gut wie der Stehler! rief ihm eine innere Stimme zu; aber gewaltsam vekschloß er fick» ihr und beharrte bei seinem Entschlüsse; lieber wollte er die Folterqualen eines bösen Ge wissens erdulden, als sich vor Ellen und ihrer Familie al» Blutsverwandter eines tief gesunkenen und anrüchigen Menschen demüthigen. „Ich glaube nicht, daß es Hausdiebe waren", sagte der Com missar zum Freiherrn; „sie würden den Weg kaum durchs Fenster genommen haben; aber sie müssen ganz genau mit der Lertlichkeit vertraut gewesen sein. Wann haben Sie, Herr von Brank, das Geld in den Wandschrank gelegt?" „Erst am Tage vor dem Raube; ich begreife nicht, wie man überhaupt wissen konnte, daß ich so viel Geld im Hause hatte." „Nun, der Zahler des Geldes muß es doch gewußt haben." „Allerdings, Herr Wilhelm Lampert hat in eigener Person mir hier in dieser Stube das Geld auf den Tisch gezählt; ein Glück, daß es nicht der ganze Kaufpreis war und daß er den Rest erst im nächsten Jahre begleichen wird!" „War Herr Lampert allein, als er zahlte?" „Ganz allein; es ist Niemand mit ihm hier gewesen." „Und Sie haben sonst keinem Menschen mitgetheilt, daß Sie das Geld dort im Schranke verwahrt hatten?" Herr von Brank überlegte: „Außer meiner Frau, die gewiß nicht davon gesprochen hat, wüßte ich nicht . . . halt! Einem habe ich es doch gesagt, dem Instrumentenmacher Dechner, der zufällig hier war, um den neuen Flügel abzuliefern." „Dechner?" wiederholte der Commissar, „ist dies Adolf Dechner, der Socius von Haßloch?" „Derselbe, ein äußerst zuverlässiger und ehrenhafter Mann . . ." „Der freilich über jeden Verdacht erhaben ist", ergänzte der Commissar; „fragt sich nur, ob er nicht bona kicke zu Anderen geplaudert hat." „Das ist wohl unmöglich anzunehmen", erklärte niit be sonderem Nachdruck der Staatsanwalt, der bisher schweigend zugehört hatte, jetzt aber in das Gespräch eingriff, da die Wendung, die es zu nehmen drohte, ihm heimlich den Angst schweiß auf die Haut trieb; „ein so erfahrener und besonnener Geschäftsmann, wie Adolf Dechner, schwatzt nicht von Geld sachen, deren Kenntniß er nur dem ehrenden Vertrauen eines Anderen verdankt." „Davon bin auch ich überzeugt", stimmte der Freiherr bei. „Es war auch nur so eine Idee", meinte der Commissar; „ich selbst bin ganz Ihrer Ansicht; immerhin kann man Herrn Dechner gelegentlich ja einmal fragen." Die Erkundigungen de» Criminalbeamten bewegten sich nun in anderer Richtung, und Tell, der seine Befangenheit um jeden Preis verbergen mußte, entzog sich der Unterhaltung und fing noch einmal an, das Zimmer zu durchforschen; dabei bückte er sich absichtlich so oft und tief, um unter die Spinden und Divan»
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