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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.07.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-07-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980708021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898070802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898070802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-07
- Tag1898-07-08
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Größere Schriften laut unserem Preis« verzeichniß. Tabellarischer und Ziffern, atz nach höherem Tarif. yxtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschlnß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von C. Pol; in Leipzig. 341. Freitag den 8. Juli 1898. 92. Jahrgang. Die Dreysnsinterpellation. Gestern hatte diefranzösische Kannnereinegroße Sitzung. Frau Dreyfus hatte gelegentlich des Regierungswechsels ihre Sache wieder ausgenommen und an den "Justizminister Sarrien zwei Eingaben gerichtet, die im Wesentlichen auf eine Wiederaufnahme des Processes ihres Gatten hinausliefen. Wie nicht anders zu erwarten, ist sie abschläglich beschicken worden, doch hat ihr energisches Vorgeben einige Beunruhigung bervorgerufcn, der der Abgeordnete Castelin gestern durch eine angemeldcte Interpellation Ausdruck gab. Ueber die voraussichtliche Antwort des Kriegsministers Cavaignac waren die Meinungen ziemlich getheill; einige Blätter glaubten in ihm schon einen Abtrünnigen zu sehen und drohten ihm niit Abfall. Diese Befürchtungen sind freilich nicht ein getroffen. Cavaignac hat sich so brillant aus der Affaire gezogen, daß es Wohl verständlich ist, wenn seinem College» Brisson bei den Ovationen nicht gerade gemüthlich zu Muthe wurde. Neben den bekannten Redensarten über die Armee, mit der jeder Minister in einer fran zösischen Kammer Anklang finden wird, hat er aber auch seinen Standpunkt durch Verlesung von drei Schrift stücken befestigt und vor der Verlesung in ostensibler Weise darauf hingewiesen, daß die Kammer bei sich zu Hause sei und keine Rücksicht auf außenstehende Personen oder andere Mächte zu nehmen brauche. Daß Cavaignac diese Mächte nicht genannt und daß einige Stellen in den Briesen unterdrückt wurden, thut nichts zur Sache j die fran zösische Presse wird Wohl nicht verfehlen, wieder darauf hinzuweisen, daß hinter dem Briefschreiber der einstige deutsche Militairattachö von Schwartzkoppen stecke. So glänzend nun Cavaignac'S Ausführungen in der Kammer aus genommen wurden, so macht sich außerhalb der Kammer die Kritik der Verlesung der schon zum Theil bekannten und als Fälschungen bezeichneten Briefe geltend. So bemerkt die Leitung „Droits de l'homme" in Betreff der von Cavaignac vorgebrachten Schriftstücke: „Die vor und während des Pro- cesscs im Jahre 1894 gesammelten Beweisstücke sind ungiltig, da man dem Angeklagten nicht gestattet hat, sich über die selben zu äußern. Die später gesammelten Beweisstücke können vielleicht für den nächsten Proceß von Werlb sein, für den früheren sind sie es nicht." Ueber den Werth der Schriftstücke sich zu streiten, hat wobl keinen Zweck. Die Schriftstücke könnten noch so beweiskräftig sein, wenn die Negierung keine Revision des Processes will, so wird eben keine vorgenommen. Von pikantem Interesse ist die Bemerkung von der disciplinaren Bestrafung eines Ofsiciers. Man fragt sich, wer es sein könnte. Auf Esterhazy kann man eigentlich nicht folgern, denn es wird fortwährend versichert, daß er nicht mehr der Armee angehöre. Indessen die Ansicht, daß Esterhazy verhaftet und vor die Untersuchungscommission gestellt worden sei, tritt mit solcher Bestimmtheit auf, daß wenigstens etwas Wahres daran sein muß. Die denkwürdige Sitzung der französischen Kanimer nahm nach dem Tele gramm von Wolffs Bureau folgenden Verlaus: * Paris, 7. Juli. Das Haus ist überfüllt, die Diplomatenloge dicht besetzt. Ter Präsident der Kammer Dechanei wendet sich im Namen des Hauses vor Eintritt in die Tagesordnung in bewegten Worten an die Familien Frankreichs und des Auslandes, welche von der Katastrophe der „Vourgogne" betroffen sind, und zollt den französischen Officieren, welche so hcldenmüthig ihre Pflicht erfüllt haben, den Ausdruck der Bewunderung. Der Minister präsident Brisson schließt sich unter dem Beifall des Haufes den Worten Dechanel's an. Hierauf interpellirt Ca stelln wegen der Dreyfus-Angelegenheit und beklagt, daß man zwei Jahre hindurch die Freunde Dreyfus' da- Land habe beunruhigen und die Leiter der Armee angreifen lassen. In seiner Erwiderung aus die Interpellation Castelin'r erklärt der Krieg-Minister Cavaignac, die erste Ausgabe der Regierung sei eS gewesen, Mittel zn suchen, um die Agitation im Lande zu beendigen; die Regierung sei der Ansicht, daß der Kammer und dem Lande die volle Wahrheit zugängig gemacht werden müsse, soweit dies möglich sei. Die Mitglieder des ersten Kriegsgerichts urtheilten nach ihrem Gewissen und ohne Leiden schaft. (Beifall.) Man habe versucht, an Stelle de- Dreyfus einen andern Officier unterzuschieben, welcher morgen von einer verdienten DiSciplinarstrafe werde betroffen werden. Die Richter des zweiten Kriegsgerichts waren in ihrem Gewissen der Meinung, daß man ihnen keine Beweise von dem diesem Officier zur Last gelegten Verbrechen erbracht habe und daß übrigens diese nicht Dreyfus als unschuldig hinstellen konnten. (Beifall). Die Regierung werde sowohl den Urtheilen, wie auch den Richtern des Kriegsgerichtes Achtung verschaffen. Die Regierung habe die Pflicht, Licht zu schaffen, sie wolle die Achtung vor der Armee nicht durch Repressivmaßregeln wahren. Die Armee, welche die Suprematie der bürgerlichen Gewalten achte, braucht sich nicht hinter den Grundsätzen von dem Wohle deS Staates zu verstecken. (Beifall.) Die Regierung habe die absolute Gewißheit von der Schuld Dreyfus'. (Beifall auf allen Bänken.) Wenn sie diese Gewißheit nicht hätte» so würde keine Rücksicht auf das Staatswohl sie bestimmen können, einen Unschuldigen im Bagno zu lassen. Ca- vaignac fährt sodann fort, er könne um so freier sprechen, als nichts in seinen Worten liege, was auswärtige Regierungen in die Sache hineinziehe. Sechs Jahre lang habe das Bureau für den Nachrichtendienst mehr al- 1000 Schriftstücke gesammelt, welche keinen Zweifel bezüglich ihrer Echtheit und bezüglich der Perso nalien ihrer Verfasser ließen. Ich werde diejenigen Motive meiner Ucberzengung bekanntgeben, bei denen ich die- thun kann. Wir sind Herren in unserm Hause und können unsere Angelegenheiten so behandeln, wie wir da wollen. (Lebhafter Beifall.) Im Uebrigen werden die Er klärungen, welche ich abzugeben habe, in keiner Weise fremde Re gierungen in diese Sache verwickeln. Der Nachrichtendienst des Krlegsministeriums hat in sechs Jahren über tausend Originalbriefschaften in die Hände bekommen, welche theils wahre, theilS verabredete Namen tragen und bei keinem gutgläubigen Menschen Zweifel aufkommen lassen können. Von diesen Schrift stücken müssen drei hervorgehoben werden. Erstens eins, vom März 1894 datirt, lautet: „Gestern Abend ließ ich schließlich den Arzt holen, der mir verbot, auszugehen. Da ich morgen nicht zu Ihnen kommen kann, bitte ich Sir, Vormittags zu mir zu kommen; denn Dreyfus hat mir viele sehr interessante Sachen ge bracht, und wir müssen die Arbeit theilen, da wir nur zehn Tage Zeit haben." Der zweite Brief: „Ich bedauere. Sie vor meiner Abreise nicht gesehen zu haben. Uebrigcns werde ich in acht Tagen zurück sein. Beiliegend 12 Pläne von (folgt der Name einer Festung, die Cavaignac bei der Verlesung unter drückte), welche diese Canaille von D. mir für Sie gegeben hat. Ich habe ihm gesagt, daß Sie nicht die Absicht haben, die Beziehungen wieder aufzunehmen. Er behauptet, daß ein Mißverständniß vorliege und daß er Alles thun werde, um Sie zu befriedigen. Er sicht, daß er eigensinnig gewesen und daß Sie ihm das nicht übel nehmen sollen. Ich habe ihm geantwortet, daß er verrückt sei und daß ich nicht glaube, daß Sie die Beziehungen zu ihm wieder ausnehmen wollten. Machen Sie, was Sie wollen!" Der dritte Brief lautet: „Ich habe gelesen, daß ein Deputirtcr über Dreysus interpelliren wird. Wenn („hier", so bemerkt Cavaignac, „folgt ein Satz, den ich nicht verlesen kann") . . ., dann werde ich sagen, daß ich niemals Bc- ziehungen zu diesem Juden gehabt habe. Das ist abgemacht. Wenn man Sie fragt, sagen Sie auch so; denn Niemand darf jemals wissen, was mit ihm vorgegangcn ist." (Be wegung.) Die Schuld des Dreysus ist auch noch durch ein anderes Schrift stück bestätigt, welches ich nicht vorlesen kann. Das ist jedoch nicht Alles. Dreyfus hat auch Geständnisse abgelegt. Hier ist ein Brief des Generals GonseanBoi-deffre: „Ich habe Hauptmann Lebrun-Rönault zum Kriegsminister geführt, dem er einen laugen Monolog wiederholte, den Dreyfus gehalten hat und dessen wichtigste Stellen lauten: „Im Grunde genommen hat man keine Original« documente au-geliefert, sondern blos Copien. Der Minister weiß, daß ich unschuldig bin. Er hat es mir durch Major Paty de Clam sagen lassen. Und wenn ich Documente ausgeliefert habe, so sind die- Documente ohne Wichtigkeit gewesen und nur ge- liefert worden, um andere, wichtigere, dafür zu erlangen." An demselben Tage schrieb Lebrun - RSnault in sein Notizbuch: „Gestern Degradirung des Hauptmanns Dreyfus. Er sagte mir, der Minister weiß, daß, wenn ich Documente ausgeliefert habe, diese werthlos waren, und daß ich eS nur that, um mir wich tigere zu verschaffen." Cavaignac bemerkt dann weiter, er könne nicht annehmen, daß irgend Jemand diese Worte gesagt haben würde, wenn er nicht wirklich Documente geliefert hätte. (Beifall.) Aus die dritte Erklärung Lebrun-RLnault's geht Cavaignac nicht ein, weil sie erst späteren Datum- ist. Redner schließt: Durch drungen von der Wahrheit der Sache, welche sie vertheidigt, wird die Regierung nicht zugeben, daß die nationalen Interessen, deren Gut ihr anvertraut ist, verletzt werden. (Stürmischer Beifall, Ruse: Hoch Frankreich!) Die Regierung hofft, daß morgen alle Franzosen darin einig sein werden, zu erklären, daß die Armee, die ihren Stolz und ihre Macht bildet, nicht nur stark ist durch das Vertrauen des Landes, sondern auch durch die Gerechtigkeit ihres Handelns. (Lauter Beifall.) Der Teputirte Mirman beantragt den öffentlichen Anschlag der Rede Cavaignac'S. Dieser Antrag wird mit 572 gegen 2 Stimmen angenommen. Der spanisch-amerikanische Krieg. Die anscheinend spanisch-osficiöse „Internationale Correspondenz" versichert, der Entschluß der spanischen Negierung, den Krieg auf alle Fälle fortzuführen, stütze sich nach der allgemeinen Auffassung auf die Be rechnung, daß. die Großmächte bei einem Angriff auf die europäischen Küsten und Besitzungen Spaniens nicht mehr die völlige Neutralität bewahren würden. Man spreche davon, daß Rußland der spanischen Negierung erklärt habe, seine bisherige Neutralität habe die Voraus setzung gehabt, daß der Krieg eine rein amerikanische An gelegenheit sei. Desgleichen würden sich besonders Deutsch land und Frankreich einer Beschießung aller derjenigen Stätte widersetzen, in denen Interessen beider Staaten vorlicgen. Als Antwort hierauf telegrapbirt der amerikanische Marinc- secretair Long an Admiral Sampson, er möge sofort ein Geschwader absondern, mit dem Watson nach Spanien gehen solle. So schnell ist nun freilich die Sache nicht abgcthan und der Marinesccretair Long hat schon sehr viel telegrapbirt und angeordnet, was nicht ganz so schnell auSgesübrt wurte. Immerhin deutet die Anordnung daraus hin, daß Amerika nicht gewillt ist, Spanien leichten Kaufes davon kommen zu lassen. Auch der Wunsch Kinley'S, daß der Congreß nicht auseinandergehe, bevor er nickt 25 000 farbige Freiwillige für Cuba genehmigt habe, deutet darauf hin. Daß die Amerikaner jetzt an den Patriotismus ihrer schwarzen Mitbürger appelliren, ist ganz praktisch, erstens können diese das Klima Cubas, wo unter den amerikanischen Söldnern Malaria und Typhus im höchsten Grade herrschen und alle Krankenstationen belegt sind, bester vertragen und dann wird man sie auch selbst los. Auch General Mi les, der Mann, der immer unterwegs nach dem Kriegsschauplätze ist, soll sich nun wirklich in Charleston demnächst nach Santiago ein schiffen. Inzwischen hat sich vor Santiago nichts Neues zu getragen. Die Vorposten sollen einander sckon sehr nahe gerückt sein, hin und wieder mag auch ein Schuß fallen, doch ist an einen Sturm noch nicht zu denken. Erst müssen ameri kanische Verstärkungen da sein, und dann bofft man, daß Linares angesichts dieser Verstärkungen Santiago ohne Schwertstreich übergeben werde. Au- Tampa sollen schwere Belagerungsgeschütze gelandet werden. Inzwischen sucht die amerikanische Flotte die westindischen Gewässer nach spanischen Schiffen ab und eS hat auch glück lich das Kanonenboot „Eagle" den spanischen Schooner „Gallito" mit Vorrätben auf der Höhe von Isla de Pinos ausgebracht. Bemerken wollen wir hier noch, daß General Shafter in Abrede stellt, daß die cubanischen Insurgenten spanischen Gefangenen die Köpfe abgeschlagen hätten, und ferner, daß Admiral Cervera sich noch in Gefangenschaft befinde. Die letzte Nachricht mag ihre Nichtigkeit haben, aber die andere dürfte nicht über jeden Zweifel erhaben sein. Wenn man überschaut, welche Greuel im Laufe der cubanischen Jnsurrection vor gekommen sind, so wird man gewiß die Enthauptung der Ge fangenen für wahrscheinlich halten, um so mehr als auch die Spanier mit den Mestizen und Creolen nicht gerade glimpflich umgegangen sind. Die Spanier nehmen wieder einmal den Mund etwas voll. Sie lassen sich folgende, in ihrem ersten Theile wahrscheinlich unzutreffende, Nachricht zu ihrem Tröste telegraphiren: * Madrid, 7. Juli. Nach einer über London gelangten Drahtmcldung der „Correspondencia Espana" haben die Spanier einen Ausfall aus Santiago gemacht, die feindlichen Linien durchbrochen und 58 Officiere, darunter 5 Generale, getödtet. Ter Colonialminister erklärt, er habe keine Nachricht hierüber. — Amtlich wird bestätigt, das Kabel von Santiago sei durchschnitten. In Manila scheint sich eine Entscheidung vorzubereilcn. Wenigstens heißt eS, daß die amerikanischen Truppen am 4. d. M. in Cavite landeten, daß die kriegerische Thätigkeit der Aufständischen fortvauere und daß Aguinaldv die Feuilleton. Dauernblut. L6j Roman in drei Büchern. Von Gerhard von Amyntor. (Dagobert von Gerhardt.) Nachdruck vrrdonn. Der Kronprinz nickte zustimmend. „Das ist allerdings nicht unwahrscheinlich. Glauben Sie, daß nur zwei Personen bei dem Einbruch betheiligt waren?" „Nein, Kaiserliche Hoheit, ich nehme an, daß es drei ge wesen sind." „Warum?" „Der Fußspuren wegen. Zwei haben den eigentlichen Ein bruch besorgt und ein dritter hat Wache gestanden." „Wenn es zutrifft, daß der Londoner Freund des Verhafteten der zweite Spitzbube war, bliebe also noch immer der Dritte zu ermitteln — haben Sie gar keine Vermuthung?" Dem Gefragten wurde abwechselnd eiskalt und siedeheiß. Welches Interesse hatte der Kronprinz an diesem Dritten? Wußte cr am Ende mehr, als er zu wissen sich den Anschein gab, oder hatte er gemerkt, daß ihm noch etwas vorenthalten wurde? Dummes Zeug! beruhigte sich Tell sofort im Stillen; nur dein schlechtes Gewissen wittert hinter den Fragen des hohen Herrn eine besondere Absicht, du zitterst bei jedem Zufalls wörtchen, wie Gretchens Bruder im „Faust". Aber er wollte und konnte den Kronprinzen nicht geradezu belügen: er stand unter dem Banne dieser hochgearteten, herzgewinnenden und un bedingtes Vertrauen heischenden Persönlichkeit und sagte daher: „Eine Vermuthung wohl. Kaiserliche Hoheit, ich möchte ihr aber nicht eher Ausdruck geben, als bis sie sich zu größerer Wahr scheinlichkeit verdichtet hat; eS ist so unverzeihlich, einen Un schuldigen zu verdächtigen." Der Kronprinz legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte mit Wärme: „Seien Sie immer so vorsichtig und zurück haltend, Herr Staatsanwalt! Ich denke wie Sie und ich möchte lieber zehn Schuldige entschlüpfen als einen Schuldlosen ange klagt sehen. UebrigenS werde ich dem guten Brant Glück wünschen; seine Sache ruht, wie ich sehe, in den ausgezeichnetsten Händen und ich zweifle nicht, Sie werden sie glänzend zu Ende führen. Meinen besten Dank für Ihre mir sehr interessanten Mittheilungen! Und nun erholen Sie sich hier ein wenig von den schweren Pflichten Ihres Amtes und genießen Sie die musikalischen Vorträge, die unser noch warten. Ich werd« mich freuen, Sie wiederzusehen." Er schüttelte ihm mit herzhaftem Drucke die Hand und wandte sich den in der Nähe des Flügels harrenden Künstlern zu. Die Unterhaltung mit Tell hatte mehr Zeit in Anspruch ge nommen, als der Kronprinz sonst bei derartigen Anlässen einem Einzelnen spenden konnte, und dieser Einzelne war nicht einmal eine Fürstlichkeit oder ein Großwürdenträger, sondern nur ein einfacher Staatsanwalt. Gehört hatte kein Dritter etwas von den ausgetauschten Worten; man unterhält sich bei Hofe nur mit gedämpfter Stimme und die dem Staatsanwalt zunächst stehenden Personen hatten sich bei der Annäherung des Kron prinzen ehrerbietig einige Schritte zurückgezogen. Um so leb hafter war nun aber das Interesse der Geladenen an Tell er regt worden. Wer war denn dieser in der Gesellschaft ganz unbekannte Mann, und was mochte der Kronprinz so lange mit ihm verhandelt haben? Es ist merkwürdig, wie schlau berechnend manche von Denen, die sich auf dem Parket eines Hofes tummeln, den Wind für ihre Segel zu fangen suchen. Ein einfacher Staatsanwalt bürgerlicher Herkunft, der von dem Erben der Krone hierher be fohlen und durch so lange Ansprache geehrt worden war, mußte jedenfalls ein« Zukunft haben; er würde dereinst vielleicht Minister und ein mächtiger Mann werden; ja, er hatte vielleicht jetzt'schon geheimen Einfluß; es war jedenfalls weise, sich mit ihm rechtzeitig bekannt zu machen. Und so drängten sich denn Leute an ihn heran und ließen sich ihm vorstellen, die ihn ohne diese Auszeichnung durch den hohen Gastgeber wahrscheinlich hartnäckig übersehen hätten. Tell empfand das Unwürdige dieses Verhaltens und er hätte seiner Empörung über die niedrig ge sinnten Streber sicher dem Professor Völker gegenüber aufs Neue kräftigen Ausdruck gegeben, wenn er sich nicht durch den Zauber, den da- Wesen des Kronprinzen auf ihn ausgeübt hatte, noch immer gewissermaßen in eine andere Welt verseht gefühlt hätte. Was war dieser Hohenzollernprinz doch für eine gottbegnadete, liebenswerthe, sonnenhafte Persönlichkeit! Tell hatte alle seine Sorge und sein Bedrücktsein, all seinen Ingrimm gegen ständisch« Gliederungen, alle seine Eifersucht auf Ellen von Brank ver gessen; er schwelgte noch immer in dem herzerwärmenden Glanze, der ihm aus diesen schönen blauen Augensternen ge leuchtet hatte, in dem Tone dieser klangreichen, bald freudig scherzenden, bald von tiefster Seelenbewegung leicht zitternden männlichen Stimme, in der ganzen Atmosphäre, die von diesem reckenhaften und doch so leutseligen Herzeneroberer ausging, der wie ein Märchenprinz und Zauberer sich Alt und Jung, Mann und Weib, Freund und Feind mit einem einzigen Worte, einem einzigen Blicke unterthan zu machen wußte. In der Mitte des Saales stand in einer plaudernden Damen gruppe ein junges Mädchen, das an der Unterhaltung nur ge ringen Antheil nahm; in seinem Herzen regte sich die lebhafteste Genugthuung, daß Tell vom Kronprinzen so ausgezeichnet worden war. Das wird ihn wieder mit der Welt versöhnen, dachte sie freudig bewegt, der er sich doch ohne allen Grund immer feindlicher entfremdet; wenn er jetzt nur zu mir käme, ich möchte ihm so gern von Herzen Glück wünschen! Aber der sehnlich Erwartete kam nicht. Er hatte gesehen, wie Ellen die Huldigungen Randenstein's geduldet hatte, und er war zu stolz, sich da einzudrängen, wo, wie er in seiner Ver bitterung wähnte, ein Anderer der Willkommnere war. So kehrte er auf seinen alten Standort zurück, hörte dort auch den zweiten und letzten Theil des Concertes an, und fand sich erst im Marmorsaale des ersten Stockwerkes, zu dem man empor gestiegen war, um sich an einem reich besetzten Buffet zu er frischen, ganz plötzlich und unausweichlich dem bisher so ge flissentlich von ihm gemiedenen Fräulein von Brank gegenüber. Fünfzehntes Capitel. Ellen redete ihn zuerst an, damit er ihr im Durcheinander der an die Herrlichkeiten des Buffets drängenden Herren und Damen nicht wieder entführt würde. „Guten Abend, Herr Staatsanwalt, endlich bekommt man Sie auch einmal zu sehen!" Er verbeugte sich steif und förmlich und erwiderte den freund lichen Gruß des Mädchens in auffallend zurückhaltender Weise. Was hat er nur wieder? dachte Ellen, enttäuscht zu ihm auf blickend; sollte ihn die Unterredung mit dem Kronprinzen fo wenig befriedigt haben? Laut fragte sie: „Warum so ernste Falten auf der Stirn? Ich hatte ein frohes Gesicht von Ihnen erwartet, da Ihnen der Kronprinz so viel gnädige Aufmerk samkeit erwiesen hat." Da war sie schon wieder auf dem Wege nach dem Thema, das ihm nachgerade unerträglich deuchte! O, wie er diese Gies dorfer Geschichte haßte und sich und sein Amt dazu! Sein ganzes Nervensystem gerieth fchon in Aufruhr, sobald Jemand nur von Weitem auf diese Sache anspielte. Er zuckte mit den Achseln und gab sich den Anschein, als ob er gar nicht verstände, was ihm besonders begegnet sein sollte. „Sie schauen mich so fragend an?" fuhr Ellen verwundert fort; „lassen Sie es als keine Ehre gelten, vom hohen Herrn dieses Hauses in in so langes Gespräch gezogen zu werden?" „Ja so!" rief er, wie sich plötzlich erinnernd (war er doch selbst durch die Huld des Kronprinzen so angenehm berührt worden, daß er in seiner Verehrung für den hohen Herrn nicht mißverstanden sein wollte), „allerdings! Seine Kaiserliche Hoheit waren fehr gnädig gegen mich; ich wundere mich nur, daß Sie, mein gnädiges Fräulein, das bemerkt haben." „Warum sollte ich es nicht bemerkt haben?" „Sie waren so beschäftigt — so vertieft in Ihre Unter haltung mit Herrn von Nandenstein —" Er brach ab. Sie verstand ihn nicht. Worauf zielte er eigentlich hin? Daß er auf Herrn von Randenstein eifersüchtig sein könnte, daran dachte sie nicht im Traume. Was verdarb ihm denn die Laune? Vielleicht der Umstand, daß er mit seinen amtlichen Nachforschungen noch immer kein erschöpfendes Ergebniß erreicht hatte? Das mochte es sein! Gewiß, das war es! Sicher hatte er dem Kronprinzen keine ganz genügende Aus kunft geben können und das verbitterte ihm die Stimmung! Aber — war sie denn nicht in der Lage, ihm helfen zu können? Die Furcht, den Ueberempfindlichen durch die Mittheilung von dem, was sie wußte, zu verletzen oder zu demüthigen, schwand vor der entscheidenden Thatsache, daß er sich durch Entdeckung der Verbrecher in den Augen des Kronprinzen als geschickter, scharfblickender, eifriger Beamter zur Geltung bringen konnte. Sie durfte nicht länger mehr schweigen! Er würde ihr früher oder später für ihre Mittheilung äußerst dankbar sein und auch sie würde endlich die Unruhe los werden, die sie wegen der Ver heimlichung dessen, was sie gesehen hatte, Tag und Nacht quälte. „Herr Staatsanwalt", hob sie unvermittelt an, und sie reckte ihr zierliches Persönchen, foweit sie konnte, in die Höh«, um ihre frischen Lippen seinem Ohre möglichst nahe zu bringen, „ich habe Ihnen eine Mittheilung zu machen —" „Ah, ich weiß schon", unterbrach sie der Ahnungslose in bos haftem Spott, da er ihre noch leeren Hände bemerkt hatte, „Ihr Cavalier läßt Sie Noth leiden, was befehlen Sie, daß ich Ihnen vom Buffet bringen soll?" „Sie verstehen mich falsch, Herr Staatsanwalt; es ist eine ernste, eine hochwichtige Mittheilung in der Angelegenheit, deren Erforschung Sie betreiben." Er stutzte und sah sie erschrocken, fast feindselig an. Schon wieder diese unselige Sache? Und was wußte sie denn von ihr? Was würde er zu hören bekommen? „Nun?" versetzte er gespannt, und sich gegen eine ihm uner klärliche schlimme Ahnung wehrend, „was haben Sie mir zu fügen?" „Sie müssen mir erst versprechen, Herr Staatsanwalt, daß Sie sich das, was ich Ihnen mittheilen werde, nicht zu Herzen nehmen wollen; wenn es Sie vielleicht auch peinlich überraschen wird, es wird doch gut und segensreich für Sie und Ihre Zu- kunft sein, wenn Sie es wissen; denn wohl gemerkt, Sir selber
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