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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.07.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-07-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980713026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898071302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898071302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-07
- Tag1898-07-13
- Monat1898-07
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Bon gutunterrichteter «Leite wird uns aus Berlin mitgetheilt, daß in Madrid der Entschluß, Frieden-verhandlungen einzuleiten, immer mehr Boden gewinne und daß der Zeitpunkt, mit Bermittelungö- vorschlägen hervorzutreten, näher rücke; was Deutsch land anbelange, so werde es geeigneten Bermittelungsver- suchen sich anschließen, eine Initiative aber in dieser Richtung selbstverständlich nicht ergreifen. Ueber die Kosten des Friedens für Spanien und den Preis des Sieges für Amerika zu reden, ist müßig. Spanien will so wenig als möglich hergeben, Amerika so viel als möglich herauSschlagen, daß es aber einen Hafen auf den Kanarischen Inseln im Ernste beansprucht, das halten wir vorläufig noch für nicht glaubhaft. Freilich muß man sich jetzt von Amerika Alles versehen. In seinem Siegesräusche wird es brutal und bindet überall an. Ein Vorfall auf den dänischen Antillen ist dafür bezeichnend. Ein Telegramm meldet darüber: * New Vork, 12. Juli. Dem „Evening Journal" wird tele graphisch au- St. Thomas gemeldet: Der Gouverneur der dänischen Antillen, Oberst v. Hedemann, hat dem Consul der Vereinigten Staaten in St. Thomas, van Horne, erklärt, daß die in St. Thomas lagernde amerikanische Kohle KriegScontrebaude und daß es eine Verletzung der Neutralität Dänemarks sei, wenn diese Kohle von Amerika benutzt würde. Die Amerikaner würden daher an der Entfernung der Kohle durch ei» dänisches Kanonenboot gehindert werden. Der amerikanische Consul erwiderte, die Kohlen würden dann mit Gewalt genommen werden, woraus Gouverneur v. Hedemann erklärte, wenn das versucht werden sollte, würden die im Hasen und den angrenzenden Gewässern befindlichen ausländische» Kriegsschiffe auf die Amerikaner feuer». Consul van Horne hat geantwortet, er werde trotzdem versuchen, die Kohle wegzuschaffen. Ueber die Angelegenheit ist nach Washington be richtet worden. Die Angelegenheit ist vielleicht ausgebauscht, aber wundern würde es uns nicht, wenn sie doch ihre Richtigkeit hätte. Dänemark kann ebensowenig wie Spanien etwas gegen Amerika ausrichlen und so bat die freie Republik freie Hand, die kleineren Länder zu vergewaltigen. Bon den Groß mächten dürfte sie wohl Niemand daran hindern, denn die haben genug zu thun, sich gegenseitig eifersüchtig zu über wachen. Die Nolle des lertius guuäous, die Amerika dabei spielt, ist gar nicht übel. In Madrid ist die CabinetSkrise immer noch in der Schwebe. Die Conservativen meinen, daß sie nicht darauf eingerichtet seien, jetzt die Regierung zu über nehmen, und so wird wohl Sagasla die Berantwortung für weitere Schritte tragen müssen. Zum Ueberfluß hat übrigenS der Minister des Auswärtigen einem Berichterstatter erklärt, die von den Blättern „bezüglich des Friedens veröffentlichten Nachrichten entbehrten durchaus der Begründung". Es glaubt ihm das aber kein Mensch. InSantiago bat die Beschießnng begonnen. Daß dabei eine mit Pulver gefüllte Kirche in die Luft gesprengt wurde, baden wir schon gemeldet. Die Belagerung leitet General Shafter, da sich General Miles dem Bolkswillen fügt und Shaster daS Werk selbst vollenden läßt, das dieser be gonnen hat. Die Einzelheiten über die Beschießung lauten: * Rcw Aork, 12. Juli. Bei der Beschießung am Sonn tag und Montag schoß die Flotte Santiago an 4 Stellen in Brand. Gleichzeitig rückte das Landhecr vor und vertrieb die Spanier aus den letzten Verschanzungen, woraus das Feuer ein- gestellt wurde. General Shafter sandte einen Parlamentär an den Commandanten Santiagos, Toral, verwies auf den Erfolg der Beschießung durch die Amerikaner, betonte die vollständige Einschließung Santiagos und thcilte ferner mit, daß 18 000 Flüchtlinge in El Cassey dem Hungertode ausgesetzt seien, weil die Ainerikaner sic nicht ernähre» könnten. Shafter forderte die Uebergabe der Stadt. Toral erwiderte, er müsse erst In- structioneil von Madrid einholen. Bis Monlag Abend 6 Uhr hatte Toral noch keine Antwort gegeben. Weiter wird berichtet: * Washington, 12. Juli. Der Kciegssecretaic Alger hat an geordnet, daß alle in den Häfen der Vereinigten Staaten gelegten Minen gesprengt werden, da die Gefahr eines Angriffs nicht mehr bestehe. Die Ossiciere Les Geschwaders Watson's haben Befehl erhalte», sich unverzüglich an Bord ihrer Schisse cinzusinden. Die Ossiciere sind mit den neuesten Karten der spanischen Mittel- meerküsten ausgerüstet. — Die in Portsmouth lVirginien) internirten spanischen Gefangenen, welche verwundet sind, werden von fünf amerikanischen Militairärzten, die von zwei spanischen Aerzten unter- stutzt werden, gepflegt. Den gefangenen spanischen Osficiereu soll sür jeden Tag eine kleine Summe Geldes ausgezahlt werden, weil sie ohne Geldmittel sind. In sebr drastischen Farben gehalten ist ein Stimmungs bild aus Manila, da- ein dortiger Eorrespondent der „Evening News" per Kabel übermittelt; es wird darin u. A. auSgeführt: „Nach meiner Ankunft vor Cavite begab ich mich mit einer Ge sellschaft von noch sechs Engländern an das Land, und ich war er- staunt, überall die Fahne der Insurgenten wehen zu sehen. Unser erster Besuch galt dem Arsenal, wo wir mehrere Hundert elend aus sehender spanischer Gefangenen zu sehen bekamen, dir hungernd durch die vergitterten Fenster der Werkstätten dindurchblickten, die man als provisorische Gefängnisse für dieselben eingerichtet hat. Wie wir an die Fenster berankainen, erhoben sie ein erbarmungswürdiges Geschrei und baten flehentlich um Brod nnd Cigarretten. Ihre weißen Zähne schimmerten durch da§ Halbdunkel, und ihre glänzenden Augen funkelten fieberhaft, während sie mit ihren laugen, mageren Fingern bittend gcslikulirten. Wir gingen fort und kauften für einige Dollars von den Eingeborenen angefertigte Cigarretten und kleine Semmeln. Unsere Rückkehr zum Arsenal mit diesen Vorräthen ver- nrsachle, wie man sich denken kann, noch mehr Erregung, als unser erstes Erscheinen. Eine Masse schreiender Gesichter erschien sofort an jeden, vergitterten Fenster, und einige der Gefangenen stiegen sogar aus die Schultern ihrer vorderen Kameraden, um einen Vorder- platz zu bekommen. Es wäre vergebliches Bemühen gewesen, die schönen Sachen uun vertheilen zu wollen, und so warfen wir denn die Semmeln und die Cigarettenpackete über die Köpfe der Gefangenen weg in die Zimmer hinein. Jedes bärtige oder mit Hoarstoppcln bewachsene Gesicht verschwand wie mit einem Zauberschlage, und dann konnte man daS Poltern hören, wie die armen Menschen um den ungewohnten Luxus kämpften und rangen. Sie haben jetzt ein hartes Leben, sie sind Gefangene von Aguinaldo's Leuten und stehen unter Aussicht von schwarzen Wächtern. Wenn sie zu viel Lärm machen, dann kommt der schwarze Gesängnißwärter, der vor wenigen Wochen vielleicht noch vor ihnen gekrochen wäre, und schlägt mit einem schweren Knüttel kräftig auf sie ein, um Ordnung herzu stellen. Nicht einer dieser entmuthigten und entkräfteten Menschen wagt dann Widerstand zu leisten. Ich sah dies mit meinen eigenen welcher er will, einen Pact nicht nicht. Aber die Socialdemokratie, u-dich.m. 77-^!iL^7Ä-',kw°ui7ch"- daS erlaubt sei, «rhielt -„/„^„zen gefangen ge- Soldaten sind von den I i, ^saugen. Amerika nommen. T.e ernähren s mV baUen sj, hat nut ihnen nichts zn tl un. " ^„jj^ k-vldate» nähre», darüber gaben Nation Reis nnd Auskunft: st- bekmn.uen ^an.l.ch e.ne ^ma Wager zweimal de^ Tages, g Wunder daß sie uns dem Verhungern zu tchutze". eine'Abtheilung von so nm Nahrung s K" ,e.nc^ senden 20 Gefangenen, die an die -nst M-iyr Muskete trug unter der Aussicht eines Schwarze, ^cmiiibcr einem verachteten Aauin?l d o's"Leut°e sind alle voll von unanssührbaren Ideen. Sie si»7keineswegs geneigt/zuzugeben, daß sie Adm.ra -ow-h allem die gegenwärtige Lage verdanken und b.h^nenefle^Jdee 'LL rubia"überAcn m^ ohne Weiteres davonsahren werden, es ihn über^ eigene kleine Republik einzur.chten, frei von L^aniern Prieswrn nnd Soldaten. Sie wigen nicht, wen von dreien sie mehr hassen." Politische Tagesschau. * Leipzig, l3. Juli. Wir haben gestern an dieser Stelle die Berichtigung der in der Einladung zur 45. „Generalversammlung der Katholiken Deutschlands" enthaltenen Behauptung beleuchtet, in der Zeit der Auslösung jeglicher Ordnung vor fünfzig Jahren hätten sich „die Katholiken aller deutschen Gaue ausnahmslos als die treuesien^lnter- tHan en und als die unerschütterlichen Stutzen der bedrohten Throne" bewährt. Dw General versammlung wird aus die historischen Beispiele, die wir zur Kennzeichnung dieser Behauptung angeführt Haven, schwerlich eingehen, weil sie zu weit zurnckliegen. Aber der Verpflichtung wird sie sich wohl nicht entziehen wollen und können, um dem geistlichen Rath und Pfarrer Wacker in Baden zu zeigen, wie treu unv unerschütterlich ultramontane Vorkämpfer in der allerjüngsten Ver gangenheit in einem deutschen Gaue als Schützer der Ordnung und des Thrones gestanden und gekämpft haben. Nachdem dieser Führer veS badischen Eentrums die Haupt stadt Karlsruhe und zwei andere Wahlkreise der Social demokratie auSgelicsert hatte, hat er im „Katholischen Männer verein Konstantia" zu Karlsruhe am 7. d. M. zur Recht fertigung dieser Politik eine jetzt im Wortlaute vorliegenoe Rede gehalten, in der er sich über die Socialdemokratie folgendermaßen äußerte: „Und nun ein Wort über die Socialdemokratie. Ich habe Eingangs gesagt, die Gefahr ist nicht so groß, wie sie vielfach geschildert wird, weder in der Gegenwart, noch in der fernsten Zukunft. Tie Cocialdemokrotie an sich ist etwa-, das der gläubige Christ nur bekämpfen kann, und mit der Social demokratie an sich (!) kann der gläubige Christ, er inag einer Confession angehören, eingehen; durchaus wenn man unter anderen Gesichtspuncten die Cache betrachtet, hat in unserem politischen Leben zu recht viel Gutem unbewußt und unabsichtlich schon Anstoß gegeben. Wenn die Socialdemokratie, 92. Jahrgang. fortschreitend an Macht und an Zahl der Stimmen, nicht wäre, dann wäre schon manches an Geneigtheit, sich auf dieses und jenes ciuzulasseu, nicht zu verzeichnen gewesen, das unterliegt für mich keinem Zweifel. Und wenn es wirklich Leute giebr, namentlich in hervorragenden Stellungen, im Be sitze großer Macht, wenn es wirklich Leute giebt, bi denen nicht das gute Recht an sich laut und vernehmbar genug ruft und nicht entsprechende Beachtung findet, bei denen cs erst gehört wird, wenn man Angst bannen muß und Gefahren im Anzuge sind, ei, wenn es solche Leute noch giebt, namentlich in hervorragenden und entscheidungsvollen Stellungen, muß man sagen, wirkt die Socialdemokratie, wie es so ost in der Geschichte der Menschheit und Völker geschieht, als etwas an sich Schlimmes, das man nur bekämpfen kann, doch auch wieder gut und segens reich und sür alle diejenigen, welche eine Socialdemokratie mit ihren Gefahren brauchen, zum Berständniß für dieses und jenes zu bekommen, um zn dem und jenem bereit zu sein, wozu sie an sich bereit sein sollten ; ei, sür alle Diejenigen ist die Conaldemokratic offenbar ein nothwendiges Nebel." Wem fällt hier nicht die berühmte Epistel ein, die sich mit der Ausrottung der „verschmitzten Subjecte" von Ketzern beschäftigt und also beginnt: „O seid gesegnet ihr flammenden Scheiterhaufen"? Die Zeiten sind civilisirler geworden. Heute sagt man: „O du gute und segensreiche Socialdemokratie, die da Leuten namentlich in hervorragen den Stellungen und im Besitze großer Macht, bei denen nicht daS gute Recht au sich laut und vernehmbar ruft, Mores zu lehren hat!" Als solche Leute hat derselbe „Geist liche Rath" vor der Wahl die badische Regierung be zeichnet und manchen Brandpfeil über sie hinweg nach einem höheren Ziele geschossen. Denn das war dem badischen EentrumSführer bekannt, daß die Regierung das Vertrauen ihres Herrn besaß und daß dem ehrwürdigen Großherzog kein größeres Leid angethan werden konnte, als wenn man seine Residenz in die Hände deS Umsturzes brachte. Bei einer politischen Moral, wie sie der Herr Pfarrer Wacker entwickelt, muß das „katholische Volk", soweit cö gläubig solchen Priestern auch politisch folgt, blindlings in die Arme der Socialdcmokraten laufen. Wie kurzsichtig aber eine solche Politik ist, drängt sich auf, wenn man sich der Worte er innert, mit denen der socialdemokratische Parteitag in der Regel geschloffen wird: daß man nicht eher ruhen wolle, als bis überall die rothe Fahne wehe, nicht nur auf Burgen und Palästen, sondern auch auf Kirchen! Hoffentlich wird man Herrn Wacker ganz besonders einladen, nach Crefelv zu kommen und dort als Musterstützc von Thron und Altar sich feiern zu lassen. Nach dem Ausgang der Seeschlacht von Santiago de Cuba lag cs nahe, über „Erfahrungen im Seekrieg" Betrachtungen anzustellen. Das thut denn auch das Organ des Abg. Eugen Richter, und wir müssen gestehen, daß wir noch niemals so vollständig dem größeren Theile der Ausführungen dieses Blattes haben beistimmen können. Das Torpedo wesen, sagt es, hat im spanisch-amerikanischen Kriege nicht den Erwartungen entsprochen; die Torpedojäger wurden durch einen Geschoßhagel zurückgetrieben und die Torpedoboote mit einem solchen Hagel von Geschossen beworfen, daß „sie in wenigen Minuten dem Verderben geweiht waren". Das ist eine sehr zutreffende Beobachtung. Die deutsche Marineverwaltung ist aber schon seit längerer Zeit dieser Meinung. Sie bat außerdem an den Torpedo- F-nill-tsn. Sauernblut. 30j Roman in drei Büchern. Von Gerhard von Amyntor. (Dagobert von Gerhardt.) Nachdruck verbolen. Auf den Zehenspitzen schlich Tell an das Krankenbett und schaute fragend Frau Julie und den Arzt an, die am Fußende des Bettes standen. Der Arzt zuckte die Achseln und deutete nach dem Patienten. Frau Julie fing wieder zu weinen an. Ein einziger Blick nach dem Pflegevater belehrte Tell, daß hier eine verhängnißvolle Veränderung vorgegangen war. Herr Lampert lag still und apathisch; man hatte ihm die Perrücke ab genommen, so daß sein kahler Schädel auf dem Linnen des Kopf kissens wie eine Elfenbeinkugel leuchtete; ab und zu erschütterte ihn eine Würgebewegung; die Pupillen seiner halb geöffneten Augen waren glasig und nach oben gerichtet, gleichwohl schien er den Eintritt Tell's bemerkt zu haben, denn er machte eine leise winkende Bewegung mit den Fingern der rechten Hand, die im Uebrigen unbeweglich auf der Steppdecke ruhte. Tell trat ans Kopfende des Bettes und beugte sich zu dem Goldschmied hinab: „Mein armer Pflegepapa, wie geht es denn?" Er hatte die Hand des Kranken ergriffen und streichelte sie theilnehmend. Herr Wilhelm Lampert versuchte, nach der Seite, von wo die Worte kamen, hinzublicken; aber es wurde ihm offenbar schwer; er gab es auf und begnügte sich, die Lippen murmelnd zu bewegen. „Ich kann ihn nicht verstehen", sagte Tell, der sich hilflos nach seiner Pflegemutter umschaute. Diese hatte gerade den scheidenden Arzt, der einige Ver haltungsregeln gegeben und für den nächsten Morgen sein früh zeitiges Wiederkommen in Aussicht gestellt hatte, bis zur Thür geleitet; sie eilte nun ans Bett und fragte mit sanfter Stimme: „Was willst Du, Wilhelm?" „Sag's ihm doch", versetzte der Kranke mit Anstrengung; und als die Gattin nicht gleich errieth, was sie sagen sollte, fügte er einige stammelnde Laute hinzu, dir für Tell völlig unverständ lich waren, von Frau Julie aber verstanden wurden. „Du meinst, was wir heute früh besprochen haben?" Herr Wilhelm vrrsuchte zu nicken, was aber keineswegs gelang; der Ausdruck seiner Züge kündete aber, daß sein Wunsch richtig verstanden worden war. , „Ach Gott", hob Frau Julie, gegen Tell gewandt, an, „der Vater wünscht, daß ich Dir Das mittheile, was er mir erst noch heute früh als seinen letzten Willen bezeichnet und auch schon seit längerer Zeit ausgeschrieben hat. Aber", sie wandte sich wieder an den Gatten, „wozu denn jetzt, Männe? Das hat doch Zeit; Du wirst cs, wenn Du mit Gottes Hilfe wieder gesund bist, dem William selber sagen." „Nein, nein", hauchte der Kranke, „sage es ihm; ich will — wissen, ob er — es auch thun wird." Diesmal hatte er etwas deutlicher gesprochen und auch Tell hatte ihn verstanden. „Ich thue Alles, was Du wünschest, Papa", sagte der Staats anwalt; „beunruhige Dich doch nicht! Ich weiß, Du wirst nichts Unerfüllbares von mir verlangen." Herr Wilhelm schaute die Gattin an und wiederholte hart näckig und unverkennbar schon recht ungeduldig: „So sag' es ihm doch!" „Nun wohlan, mein Sohn", nahm Frau Julie das Wort, „wenn cs der Vater durchaus will, so wisse denn, daß es sein Wunsch ist. Du mögest Doben übernehmen und verwalten, für den Fall, daß ich ihn überlebe. Du sollst mir dann auf Doben ein Stübchen als mein Altentheil gönnen. Willst Du das thun?" „Gern, Papa, von Herzen gern! Du kommst mit dieser An ordnung meinen eigenen Wünschen nur zuvor — ich bin des Staatsdienstes müde und sehne mich nach Freiheit und Selbst ständigkeit." „Aber William, was sind das für Grillen!" fiel Frau Julie vorwurfsvoll ein, „Du wirst doch Deine glänzende Laufbahn nicht aufgeben wollen? Denke doch nur, der Kronprinz kennt Dich und will Dir wohl! Wir müssen Dich noch einmal als Präsidenten oder Minister sehen!" Herr Lampert gab sich vergebliche Mühe, den kranken Kopf zu schütteln; grollend murmelte er: „So laß ihn doch! Er kann thun, was er will; die Mittel dazu werden — ihm nicht fehlen. Sage ihm das — Andere!" „Der Vater hat über sein Vermögen derart verfügt", fuhr nun Frau Julie gehorsam fort, „daß das Baarvermögen, das er hinterläßt, für den Fall, daß wir ihn überleben, zwischen mir und Dir und Adolf zu gleichen Thcilen getheilt werden soll; Doben sollst Du außerdem bekommen und bewirthschaften unter der schon erwähnten Bedingung, daß mir dort ein Absteige stübchen verbleibt. Das Haus hier in Berlin, das der Vater besitzt, soll mir und Deinem Stiefbruder gehören; wenn ich aber sterbe, sollst Du meinen Antheil davon erben. So, nun weißt Du es; aber wozu wir das heute besprechen, sehe ich nicht ein. Wünschest Du noch etwas, Wilhelm?" Herr Wilhelm hatte mehrere Lippenbewegungen gemacht und wiederholte leise und unbeholfen: „Frag' ihn, ob er auch will." „Freilich will ich, mein guter Pflegepapa", sagte Tell und bückte sich, um die Hand des Goldschmiedes zu küssen, „Du bist immer so gut und lieb gegen mich gewesen; aber Mama hat Recht, wir können das wirklich ein andermal besprechen . . ." Tell stockte und sah erschrocken nach dem Kranken, der aufs Neue von Brechreiz angewandelt wurde und sich stöhnend und würgend zusammenkrümmte. Friedrich Just, der bisher stillschweigend an der Thür ge standen hatte und von den Anderen kaum beachtet worden war, sprang hinzu und unterstützte den von krampfhaften Zuckungen Erschütterten. Als der Anfall vorüber war, erschien der Gesichtsausdruck Herrn Lampert's noch stärker verändert: die Pupillen waren vollständig verglast, die Wangen bläulich-fahl und eingefallen, kein Muskelspiet v-rricth, daß in diesem Wesen noch Sinne und Nerven thätig waren — es war ein hippokratisches Gesicht. Der erfahrene Friedrich Just hatte es sofort erkannt. Er zupfte den Staatsanwalt heimlich am Acrmel, führte ihn vom Bette, wo Frau Julie allein sitzen blieb, nach einer Fensternische und flüsterte ihm ins Ohr: „Es geht mit ihm zu Ende; er erlebt den Morgen nicht mehr. Wollen wir's der Frau sagen?" „Um Gottes willen nicht! Lassen wir ihr noch die Hoffnung! Sie wird es zeitig genug erfahren. Aber wollen Sie mir einen Gefallen thun? Gehen Sie zu Adolf und holen Sie ihn; wir sind ihm dies schuldig."' „Gern, sehr gern, Herr Staatsanwalt. Gott segne Sie! Sie haben ein gutes Herz und denken an Alles!" in der Morgenstunde an seinem Geburtstage, als der Goldschmied Wilhelm Lampert, umgeben von seinem treuen Weibe, seinen beiden Pflegesöhnen, Herrn Friedrich Just und den Dienstboten des Hauses, seinen letzten Seufzer aushauchte. „Er hat ausgerungen", verkündete Tell mit ernster, feierlicher Stimme. ' Fran Julie fing laut zu heulen an; es war ein unbändiger, wild tobender Schmerzausbruch, dem sie sich überließ. Tell faltete die Hände und begann das Vaterunser zu sprechen. Das wirkte. Sie wurde etwas stiller und betete schluchzend mit' Alle Anderen hatten die Häupter geneigt und die Hände gefaltet. Dann nahm Tell den Arm seiner Pflegemoma und führte Ne mit sanftem Zwange nach einem der vorderen Zimmer Er wollte rhr dort Trost zusprcchen, aber sie fing sofor't wieder an zu schreien und zu toben und sich so fassungslos und ver zweifelt zu geberden, daß er den Versuch, ihren Schmerz zu dämpfen, als gänzlich aussichtslos aufgab und sich mit den Worten begnügte: „Gott stehe Dir bei, meine arme Mama! Alles Geschäftlich« wegen des Standesamts und der Beerdigung nehme ich Dir natürlich ab; Du sollst Dich um nichts Derartiges sorgen." Da fuhr sie, plötzlich Fassung gewinnend, lebhaft auf: „Nein, das werde ich selbst besorgen." „Du wirst Dich doch nicht auf das Standesamt bemühen, meine gute Mama?" „Nun, dahin magst Du meinetwegen selber gehen; aber zum Kirchhof fahre ich — wir haben dort schon unsere Stelle —, und auch den Sarg werde ich aussuchen, auch zu unserem Pastor werde ich fahren; wir müssen eine Trauerandacht im House haben und eine zweite auf dem Friedhöfe — auch ein ausgiebiges Geläut werde ich bestellen — er hörte immer so gern die Abend glocken." Sie schien nun völlig gtröstet. Die Sorge um den Pomp der Bestattung hatte sie der Betäubung entrissen und der W.It und ihren kleinlichen Verrichtungen wiedergegeben. Als der Arzt dagewesen war und Tod und Todesursache bestätigt hatte, stieg Frau Lampert, die sich in aller Eile schwarz gekleidet hatte und keine Thräne mehr vergoß, in eine Droschke, um die verschiedenen Besorgungen zu erledigen, die sie sich selber aufgebürdet hatte. Adolf Dechner war nach seiner Fabrik zurück gekehrt. Tell begab sich, von Just begleitet, nach dem Standes amt, um von dem Ableben seines Pflegevaters pflichtmäßige Anzeige zu machen. „Eine merkwürdige Frau, Ihre Pflegemutter", sagte Just unterwegs und sah dabei seinen Begleiter von der Seite an. „Nennen Sie sie nicht meine Pflegemutter; sic ist nur meine Pflegemama." „Den Unterschied verstehe ich nicht recht." „Und doch liegt er auf der Hand. Mama ist mehr ein Kose name, den man, wenigstens meiner Ansicht nach, jeder beliebigen älteren Frau geben könnte; aber Mutter, das ist für mich ein heiliger Name, den man nur einem einzigen Wesen auf dieser Erde geben kann — ach! ich habe niemals dieses Wort bewußt aussprechen dürfen!" Just nickte schmerzlich zustimmend und ergriff des Anderen Hand in stummer Theilnahm«; er hatte sich so weit vorgebeugt, daß die Hutkrempe sein Antlitz beschattete und sein Sesichtsaus- druck unerkennbar blieb. „Wir sind am Ziele", sagte Tell, da die Droschke anhielt. „Gott sei Dank! Don hier fahre ich direct nach Hause und
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