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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.07.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-07-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980715028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898071502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898071502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-07
- Tag1898-07-15
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zissernfatz nach höherem Taris. Extra-veilagcn (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, obne Postbesörderung X 60.—, mlt Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: BormittszS 10 Uhr. Morgen - Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. n c»> Druck und Verlag von L. Polj in Leipzig. Freitag den 15. Juli 1898. 92. Jahrgang. Der spanisch-amerikanische Krieg. „Die Capitulation Santiagos ist unterzeichnet worden. Die Spanier erhalten freien Abzug mit allen kriegerischen Ehren und werden sofort nach Spanien zurückgeschafft werden." Das ist eine wichtige und folgen schwere Meldung, die der Telegraph heute übermittelt hat. Angesichts dieser Thatsache werden nun wohl in Madrid die Herren Minister ein Einsehen haben und Marschall Blanco wird begreifen, daß man auch auf Grund fortwährender Befehle, enie Stadt bis aufs Aeußerste zu vertheidigeu, nicht im Stande ist, eine Stadt zu halten, wenn Hunger und Pulver mangel, Krankheit und Unmuth die Begeisterung verfliegen lassen. Die Vertheidiger Santiagos haben sich wie Männer, wie Helden benommen und auf sie kann Blanco's Wort von den Nachkommen der Vertheidiger Saragossas angewendet werden. Wenn sie schließlich von einer nutz losen Opferung abgesehen haben, so haben sie jedenfalls im Interesse Spaniens gehandelt, das wohl jetzt einem Bürger kriege oder einer Invasion des Don Carlos entgegengeht. Man kann auch die Amerikaner beglückwünschen, daß sie Maß gehalten und den tapferen Bertheidigern die mili- lairische Ehre belassen haben. Entweder gab Mac Kinley seine Ansicht von der unbedingten Uebergabe auf, oder General Shaster hat aus eigener Machtvollkommenheit als Militair und Kamerad gehandelt. Was für Bedingungen Weiler verabredet sind, ist noch nicht bekannt; ob insbesondere die Ansprüche Amerikas, oder wie cs auch beißt, das Anerbieten Toral'S, den Osten Cubas ;u übergeben, erfüllt worden sind, ist noch offene Frage. Auf alle Fälle wird Toral, wenn er nach Spanien kommt, noch einen härteren Strauß zu bestehen haben und Vorwürfe, wie die, die Bazaine gemacht worden sind, werden nicht ausbleiben. Uebrigens nehmen die Friedens stimmen überhand. Nicht nur die ausländische Presse räth Spanien zum Frieden, auch einige Politiker in Madrid zeigen sich zum Theil vernünftig. So erklärt Silvcla, er habe bereits sechs Monate vor dem Beginne des Krieges öffentlich den sofortigen Abbruch der diplomatischen Be ziehungen mit den Vereinigten Staaten gefordert, weshalb fein jetziges Eintreten für den Frieden ihm gewiß nicht den Vorwurf der Feigheit eintragen könne. Damals sei Spanien in der Lage gewesen, binnen drei Tagen von Cuba ans eine Angriffstruppe von 30 bis 40 000 Mann nach Florida zu werfen und durch einige schnelle Schläge die Vereinigten Staaten zur Nachgiebigkeit zu zwingen. Heute dagegen sei die Fortsetzung des Krieges eine unver antwortliche Preisgebung der letzten Vertheidigungsmittel Spaniens. Deshalb müsse die Regierung, so lange noch die spanischen Truppen auf Cuba, Porto Nico und den Philippinen unbesiegt seien, ihre ganze diplomatische Kunst aufwenden, um durch die Vermittelung der Großmächte einen möglichst günstigen Frieden herbeizuführen. Der Tag jedoch, an welchem die Feindseligkeiten eingestellt würden, müsse zugleich der Anfangstag für eine Zeit der angestrengtesten Rüstuiigen sein, um Spanien binnen kürzester Zeit zu einem neuen Machtfactor innerhalb der europäischen Bündnißpolitik zu erheben. Dann werde es gelingen, alle Verluste deS jetzigen Krieges reichlich wieder einzubringen. Nun Santiago besiegt ist, entfällt ein Factor aus Silvela's Rechnung, und was die letztere Bemerkung vom „Macht factor" anbetrifft, so hat es damit gute Wege. Auch Sagasta will den Frieden. Einer Drahtmeldung des „Matin" zufolge erklärte er einem Berichterstatter, die Regierung wolle Frieden, aber einen Spaniens würdigen Frieden. Der Zeit nach haben die Ereignisse vor Santiago sich wie folgt zugetragen: * Washington, 14. Juli, 11 Uhr 40 Min. Vormittags. Eine soeben eingegangene Depesche des Generals Shaft er meldet, daß die Spanier Commissare ernannt hätten, um über die Be« dingungungen der Capitulation Santiagos zu verhandeln. * Washington, 14. Juli. (Meldung des „Reuter'schen Bureaus".) Nach einer Conferenz im Weißen Hause wurde an General Shaster eine Depesche gesandt, welche denselben anweist, den spanischen Vorschlag zu verwerfen und Alles abzu lehnen, ausgenommen die sofortige bedingungslose Uebergabe Santiagos. * Washington, 14. Juli. (Meldung des „Reuter'schen Bureaus'.) Ueber die Auslegung der Depesche Shafter's herrschte Anfangs Unklarheit. Endlich beschloß man, an Shafter zu trlegraphiren und ihn zu ermächtigen, Commissare zu ernennen, vorausgesetzt, daß der einzige Zweck die sofortige Uebergabe Santiagos sei. Anderenfalls wären die Vor schläge zurückzuweisen und mit den Feindseligkeiten wieder zu beginnen. Kurz darauf erhielt die Regierung folgendes Telegramm Shafter's: „Ich hatte soeben eine Besprechung mit General Toral. Derselbe stimmt der Uebergabe zu unter der Voraussetzung, daß er nach Spanien zurückgebracht werde. Sein Anerbieten umfaßt den ganzen Osten Cubas, von Acerradores an der Südküste über Palma bis nach Sagua an der Nordküste, welches zum Bereiche des vierten spanischen Armeecorps gehört. Die Commissare treten heute Nachmittags 2 Uhr 30 Minuten noch einmal zusammen, um die Capitulationsbedingungen endgiltig festzusetzen." Nach anderweitige» Meldungen scheint hcrvorzugehen, daß amerikanische Schiffe die Truppen Toral's nach Spanien transportiren sollen, und Laß die Grenzlinie derart festgesetzt ist, das; Holguin und Manzanillo, wo die Spanier beträchtliche Streitkräfte haben sollen, von der Capitulation ausgeschlossen sind. * London, 15. Juli. Die „Times" melden auS New Aork vom gestrigen Tage: Abends wurden die Verhandlungen betreffs der Rücksendung der in Santiago gefangen genommenen Truppen nach Spanien eingeleitet. Die Ueberführung soll auf neutralen Schiffen erfolgen. Die Verhand lungen werden, wie verlautet, durch Vertreter Frankreichs und Oesterreich-Ungarns geführt. * New Nork, 14. Juli. Weitere Entsendungen von Truppen von Charleston aus sind auf weiteren Befehl eingestellt. Auf den Philippinen ist noch Alles wie sonst. Zur Abwechselung berichtet heute der Generalgouverneur Augustin, daß General Monet versucht habe, Macabebe in Ruderbooten zu verlassen. Die Boote seien den Amerikanern entkommen, aber von den Aufständischen genommen worden. Gegen Monet sei die- Unter suchung eingeleitet. Was es mit dieser Meldung auf sich hat, ist uns unerfindlich. Vor einigen Tagen wurde berichtet, daß Monet mit der Familie des Gouverneurs in Sicherheit sei, jetzt ist er in den Händen der Aufständischen und eine Untersuchung ist eingeleitet worden. Von wem? Von Augustin oder von Aguinaldo? Vielleicht erfahren wir es noch! Inzwischen richten die Amerikaner sich auf die Stellung einer Colonialmacht ein. Auf Veranlassung Mac Kinley's bat das Kriegsdepartement einen eiligen Gesetzentwurf, betreffend Ausbildung einer ständigen, aus 25000 Negern bestehenden Colonial armee, ausgearbeitet. Die Truppe soll gleich den Colonialarmeen der europäischen Staaten ausschließlich von weißen Officieren geleitet werden, während in die Hälfte der Unterofficierstellen Schwarze aufrücken können. Sollte sich der jetzige Krieg noch lange hinziehen'., so würde die Truppe noch ui diesem Verwendung finden; im anderen Falle würden die Friedensbesatzungen die „neuen Colonien" (Hawaii, Cuba, Puerto Nico, Philippinen u. s. w.) zu stellen haben. Diese schwarzen Mannschaften sollen sämmtlich Staatsangehörige der Vereinigten Staaten sein, so daß sie einen integrirenden Theil der Bnndestruppen darstellen würden, die jedoch besser als die weißen Truppen bas tropische Klima der künftigen Colonien ertragen könnten. Politische Tagesschau. * Leipzig, 15. Juli. Nachdem die „Kreuzzeitung" auSemandergesetzt hatte, daß die Leitung des Bundes der Lanvwirthc bei den Wahlen schlecht, schlecht wenigstens unter dem Gesichtspunkte der land- wirthschaftlichen Interessen, „abgeschuikten" habe, befand die Bundespresse, solche Erörterungen seien „unnütz und zwecklos". Gemeint war jedoch „unbequem und peinlich". Gegen daS Rechnen an und für sich findet Herr lir. Hahn nichts eio- zuwenden, nur gegen das richtige Rechnen. Die „Deutsche Tageszeitung" kehrt daher, um den üblen Eindruck der von der „Kreuzzlg." auS den Thatsachen, den Wahlergebnissen, gezogenen Folgerungen zu verwischen, zu ihren auS den Fingern gesogenen Riesenzahlcn von Wählerstimmen znrück, die auf Candibaten nach dem Herzen der Bundesleitung sich vereinigt haben sollen und die Alles weit zurücklassen, was gewisse Kleidergeschäfte vor dem Inkrafttreten des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb an imponirenden Zahlen über ihre Bestände und Errungenschaften dem geduldigen Papiere anzuvertrauen pflegten. Diese Aufschneiderei, die die Abneigung der „Deutschen Tagesztg." gegen amerikanische Productionsformen durchaus vermissen läßt, könnte belustigend wirken, wenn sie nicht die Absicht verriethe, das alte gefährliche Bauernbethörungsspiel von Berlin aus weiter zu betreiben. Den Landwirthen soll bei gebracht werden, daß die von ihnen auf mehr oder minder anfechtbare Weise gezogenen großen Geldsummen fruchtbar oder wenigstens nicht unnütz angelegt seien, und sie sollen fortsahren, die ihnen beigebrachte Ueberzeugung von dem hereingebrochenen Ruin ihres Gewerbes wenigstens insofern zu verleugnen, als sie weiter fleißig Bundespfennige dar bringen. Geboten wird ihnen dafür ja Mancherlei — auf dem Papiere. Die „D. T." hat schon wieder begonnen, in der bekannten oberflächlichen Weise gegen die bestehende Wäh rung Stimmung zu machen, d. h. die Bauern hinter einem Phantom herzuhetzen. Der Antrag Kanitz, der bei den Wahlen selbst kaum aus den Agitatorentaschen gezogen wurde, dürfte auch bald wieder seine srühere Rolle spielen, wohl aber nur in der Presse und in Versammlungen. Im Reichstage wird man sich hüten, die Probe auf das Zweimillionen-Stimmen-Exempel durch die Wiedereinbringung von Anträgen auf Einführung der Doppelwährung („nöthigen falls auch ohne englische Mitwirkung") und auf die Ver staatlichung der Getreideeinfuhr zu machen. Daß nur eine kleine Minderheit der Landwirthe sich für dergleichen Phan tastereien einnehmen läßt, haben zwar die Wahlen bewiesen, zugleich aber haben sie auch gezeigt, daß die Bedrohung der nichtlandwirthschaftlichen Bevölkerung mit Projekten, deren Verwirklichung für sie den wirthschastlichen Tod bedeuten würde, der principiell landwirthscbaftsfeiiidlichen Social demokratie zu Statten kommt. Und die nächste Zukunft wirt darthun, daß die agitatorische Ausbeutung dieser Project: gerade einer solchen Handelsvertragspolitik in den Weg tritt, die der Landwirthschaft gerecht werden will. Nun bat die Regierung und haben die positiven Parteien keine Mittel, einer solchen verderblichen Propaganda, so weit sie in der Presse und in Versammlungen hervortritt, entgegen zu wirken. Aber die fernere Unterstützung des der „Samm lung" entgegenwirkenden Treibens durch Staatsbeamte sollte, da die Reichstagswahlen gezeigt haben, wem cs frommt, nicht mehr für vereinbar mit der Amtspflicht gelten dürfen. Der Mißerfolg, den die Socialdrmokratie in Berlin erlitten hat, liegt den „Genossen" sehr schwer im Magen: sie sinnen über die Ursachen ihrer Niederlage nach und ge langen dabei stellenweise zu einem Ergebniß, das einen alten Zwist erneuert und verschärft: den Streit über die Be schaffenheit des „Vorwärts". Bisher ist das social demokratische Centralorgan überwiegend hinsichtlich seiner Bedeutung für das Reich kritisirt worden. Jetzt benutzt die „Sachs. Arbrilerztg." den Berliner WahlauSfall, um die locale Wirkung des „Vorwärts" zu untersuchen. DaS Resultat, zu dem daS Dresdner „Bruderorgan" gelangt, ist für den „Vorwärts" nicht weniber beschämend,. als über raschend sür den unbefangenen Dritten: es gipfelt in der Beschuldigung, das Central-Hetz-Orgau der socialdemokra- tischen Partei Deutschlands Hetze lange nicht genug! Eine Reihe wichtiger politischer Gelegenheiten, bei denen der Unterschied zwischen der socialrevolutionären Stellungnahme und der des kleinbürgerlichen Freisinns klar zum Vorschein komme, sei vom „Vorwärts" agitatorisch sehr wenig ausgenutzt worden, z. B. die Artillerie-Forderungen, die Colonialpolitit, die Zollpolitik. Der „Vorwärts" sündige gegen die alte, von Marx formulirte taktische Maxime, die Dinge auf die Spitze zu treiben, indem er den Dingen die Spitze abbreche. So erkläre sich auch seine Furcht vor „Parteidiscussionen". Dem Inhalte des „Vorwärts" entspreche auch die Form. Biel „schärfer" als er schreibe die bürgerliche Berliner „Volkszeitung". Und das verlangten die Arbeiter, der „Vorwärts" aber sei im Großen und Ganzen eine Sammlung socialpolitischer Notizen ohne jede agitatorische Pointirung, wie sie etwa in einer gelehrten (!!) socialpolitischen Zeitschrift am Platze wären. Mit einem Wort, der „Vorwärts" habe sich zu einem parla mentarischen Blatte im Stile der „Freis. Ztg." entwickelt, er müsse wieder durch und durch eine Arbeiter-Zeitung werden. „So lange dies nicht geschehen, werden wir vergebens in Berlin andere Wahlresultate erwarten." — Wer den „Vor wärts" auS eigener Lectüre kennt, weiß, daß er den Vorwurf, zu wenig zu Hetzen, wahrlich nicht verdient. Giebt cs trotzdem „Genossen", denen er nicht „scharf" genug schreibt, so ist diese Thatsache ein eclatanter Beweis für die sittliche Ver- Feuilleton. Sanernblut. 32 j Roman in drei Büchern. Von Gerhard von Amyntor. (Dagobert von Gerhardt.) Nachdruck verboten. Es wurde tapfer gegessen und noch tapferer getrunken. Die beiden einzigen Enthaltsamen waren Teil und Just, der ebenfalls an den Tisch geladen worden war. Frau Mieseke vertilgte einen Cubitfuß Salat und dazu mehrere Pfunde Wurst- und Braten- Aufschnitt; dabei gab sic Hofgeschichten zum Besten, wie sie von den Lakaien über die Hintertreppen getragen und so unter die Gutgläubigen der niederen Volksschichten verbreitet werden. Knoblauch trank sich einen kleinen Spitz an; er zog den alten Haßlach wegen seiner, der Frau Dechner gewidmeten Aufmerk samkeiten auf und und meinte, er, Knoblauch, wäre selber doch wohl ein noch aussichtsvollerer Courmacher als „so 'n Instru mentenbauer, der keinen rechten Pust mehr im Leibe hätte". Die Anderen lachten und auch Sabinens Gatte lachte gutmüthig mit; er war sich der Treue seiner Frau bewußt, und wenn es der Ge fallsüchtigen schmeichelte, den alten Haßlach zu ihren Füßen zu sehen, so wußte er, daß das ein recht unbedenklicher Spaß war, gegen den er durchaus nichts einzuwenden hatte. Nach der Tafel empfahl sich Völker und machte sich auf den Weg nach der nahen Bahnstation. Test gab ihm das Geleit. Die anderen Gäste wollten erst den allerletzten Dorortzug be nutzen. Es war ein warmer, köstlicher Herbstabend; von den Wiesen wehte ein würziger Heuduft und drüben im See spiegelte sich magisch die fast volle Mondscheibe. Tell schien heute aber un empfänglich für die Zauber der Natur; er seufzte aus tiefer Brust und gab dem ehrlichen Bekenntniß Ausdruck: „Gut, daß wir entflohen sind! Jch^bättc diese Menschen nicht mehr er tragen! Diese Frau Miefm mit ihren Hängebacken und ihrem Klapperschlangen Appetit urd dieser platte Herr Knoblauch als Jncroyable und Witzbold — es ist geradezu fürchterlich!" Völker hemmte den Schritt, wandte sein Antlitz nach der Seite und sah seinen Begleiter spöttisch lächelnd an: „Und wer wollte einst alle Ständeunterschiede fortdecretiren und den ge sellschaftlichen Urbrei anrühren? — Mein lieber Freund, ich freue mich, daß Ihre wahre Natur immer mehr zum Durchbruch kommt: Sie sind ein Aristokrat wie ich, und wenn es noch keine Stände gäbe. Sie würden der Erste sein, der durch Absonderung vom großen Haufen einen besonderen Stand bilden würde." „Ich bin ein Bauer, und will nichts Anderes sein." „Das ist nahe zu dasselbe, wie ein Aristokrat. Der Bauer hat wider die Unterschiede in der Gesellschaft nichts einzuwenden; er findet sie ganz in der Ordnung und ist, Gott sei Dank, noch so nackensteif und selbstbewußt, daß er den anderen Ständen ihre Besonderheiten und eingebildeten oder wirklichen Vorzüge neid los gönnt. Diejenigen, die sich über gewisse Abstufungen in der Gesellschaft des Maul zerreißen, sind meist innerlich gewöhnliche und unvornehme Naturen, die in kleinlicher Mißgunst auf die Höhcrgestellten sehen und sich ärgern, daß sie nicht auch da oben ihren Platz haben. Der wahrhaft Vornehme giebt sich selbst den Werth, und wenn wir wieder dahin kommen könnten, daß jeder Stand sich für den ersten und besten hielte, und keinen Anderen um irgend etwas beneidete, dann hätten wir einen, wenn auch kleinen Theil des socialen Problems gelöst." Tell antwortet nicht gleich; nach einer Weile, da Beide schon wieder weiter schreiten, hebt er nachdenklich an: „Sie mögen recht haben, Völker; es ist überhaupt eine Thorheit, etwas für sich zu begehren; aller selbstische Eigenwille führt zum Leiden." Der Maler stutzt; dann sagt er munter: „Sie wollen doch kein Asket werden? Hören Sie, Tell! Wer nur ein Bauer sein will, ein echter Bauer, aus lauter Stolz und Unabhängigkeits drang, der paßt nicht zum Narrenthum der Weltentsagung." „Nennen Sie die Entsagung kein Narrenthum! Giebt es etwas Edleres, als nichts für sich zu begehren, und sich selbstlos für das Ganze darzubringen?" „Das sind schöne Worte! Leere Phrasen! Es giebt Dinge, denen man, wenn man sie überhaupt erst kennen gelernt hat, nicht mehr entsagt. Kennen Sie jene Strophe: Und doch, wiewohl sie Leiden Allzeit zum Lohne giebt, Nie mag von Liebe scheiden, Wer einmal recht geliebt . . . ? Sic sollten ein Weib nehmen! Wer ein echter Bauer sein will, darf nicht unbeweibt bleiben." „Und das rathen S i e mir, der Sie selber ein hartgesottener Junggesell sind?" „Ich bin ein Künstler; ich tauge nicht zur Eh«; mein Herz ist zu weit und hat für zu Viele Raum; eine Einzige würde ich nur unglücklich machen. Aber Sie, wahrhaftig! Sie scheinen mir wie vorherbestimmt zur Ehe; ich bin überzeugt, Sie würden einen ausgezeichneten Ehemann abgeben. Ueberlegcn Sie sich's." „Gut", erwiderte Tell in scherzendem Tone und seit langer Zeit irrt zum ersten Male wieder ein leises Lächeln um seinen Mundwinkel, „ich will mir's überlegen, wenn man Ihnen auch nicht trauen darf; man weiß nie, ob Sie Ernst oder Scherz machen." Er bleibt stehen und bietet dem Freunde die Hand zum Abschiede: „Hier mache ich aber Kehrt. Gott befohlen, Völker! Kommen Sie bald wieder, aber ohne die Anderen!" „Gute Nacht, Tell! Sie werden der ganzen Gesellschaft noch begegnen." „Das werde ich nicht, ich gehe ihr aus dem Wege." Er trennt sich vom Professor, verläßt die Straße und folgt einem Fußpfade, der auf einem kleinen Umwege längs des Sees nach Doben zurückführt. Wie er hinter einer Sträuchergruppe, aus deren Blätter ein zelne Beeren im Mondlicht wie Blutstropfen leuchten, am Ufer entlang schreitet, hört er menschliche Stimmen von der Wasser seite her. E bleibt stehen und lugt hinter einem Strauche her vor nach dem See. Dicht vor ihm schwimmt ein Kahn mit Ellen von Brank, deren Bruder und dem Herrn von Tollen; die beiden Herren machen gerade eine Pause in der Führung der Riemen; auch Ellen, die auf dem Platze des Steuermanns sitzt, hat das Ruder aus ihrer Hand gelassen. Der Rittmeister von Tollen hat mit seinen Falkenaugen den nur halb verdeckten und voll vom Mondlichte beschienenen Be obachter erkannt und ruft munter: „Sieh da! der Jusiizrath! Was treiben Sie denn da? Suchen Sie Kräuter im Mond schein oder wollen Sie nach Regenwürmern zum Angeln Da sich Tell erkannt sieht, tritt er hinter dem Gesträuch her vor und zieht grüßend den Hut. »Ich suche weder Regenwürmer noch Kräuter, Herr von Tollen, sondern schaue nur nach dem Wetter aus." „Und was kündet der Himmel?" fragte Tollen. „Es scheint, wir werden Sturm bekommen . . ." „Wie im Menschenleben nach sonnigen Tagen", ergänzt der Rittmeister mit einem komischen Seufzer. Ellen bleibt stumm; sie erwartet, daß der Einsiedler, der sich ihr in Giesdorf noch nicht ein einziges Mal gezeigt hat, zuerst das Wort an sie richten werde. Ein Gleiches setzt Tell voraus; wenn das Fräulein keine Silbe der Begrüßung für ihn hat, so will sie offenbar nichts mehr von ihm wissen, so darf er auch seinerseits den Bann nicht breck'en. Walter von Brank, der längst aus Heidelberg zurückgekehrte, jetzt im Vaterhause wohnende Majoratserbe, schweigt ebenfalls; nur wie Tollen zu einer neuen Frage an den Justizrath anheben will, flüstert er halblaut, doch so, daß Tell es hören kann: „Es wird wahrhaftig Zeit, daß wir heimkehren, Herr von Tollen." Die Herren im Kahn grüßen, der Rittmeister durch lauten Zuruf und mit freundlicher Handbewegung, Walter von Brank nur durch einen kurzen Griff an seine Jockeymütze; dann lassen sie die Riemen wieder in die Fluth tauchen und treiben das kleine Fahrzeug vom Ufer ab. Tell setzt mit getheilten Empfindungen seinen Weg fort und sieht, wie der Kahn nach wenigen Minuten drüben landet und seine Insassen aussteigen. Warum hat ihm Ellen nur zugenickt? Warum ihm kein freundliches Wort der Begrüßung gegönnt? O, er weiß es recht gut; er ist damals im Neuen Palais so berech nend unhöflich gegen sie gewesen; aber, wenn er ihr nicht gleich gültig ist, kann sie denn nicht verzeihen und vergessen? Und wie steif und gefroren wieder der Bruder Ellens gegen ihn gewesen ist! Wittert der hochnäsige Junker in ihm, dem Bauern, etwa den Bewunderer seiner Schwester? Ha, ha, ha! Es wäre eigent lich eine famose Demüthigung für den eingebildeten Patron, wenn er es erleben müßte, daß seine Schwester, das blaublütige Freifräulein, einem Bauern ohne Adelsdiplom die Hand reichte! Aber was sind denn das für Phantasien? Er hat ja alle Brücken mit Giesdorf abgebrochen; das Wasser, das zwischen ihm und Ellen fließt, ist viel zu tief, und über tiefe Wasser kommen, wie es im Liede heißt, selbst Königskinder nicht zu sammen. Aufseufzend kehrt er dem See den Rücken und wendet sich seinem Heim zu, das inzwischen auch von dem Rest dec Gaste verlassen worden ist. NeunzehntesCapitel. „Das Herz möchte Einem brechen, wenn man bedenkt, daß de: Hobe Herr sein Leben darangeseht hat, um aus dem sonnigen Süden in dieses mörderisch-eisige Land zurllckzueilen und das S:epter seiner Väter zu ergreifen." Tell sagt es zum Pfarrer Sammler, der aus Breditz bei Giesdorf herübergetommen ist, um den Einsiedler von Doben zu kincni Spaziergang« abzubolcn. Beide schreiten nebeneinander am See entlang, auf der im Märzwinde staubenden Straße nach Breditz. Der Pfarrer nickt mit dem weißumbuschten Haupte und verletzt ernst: „Es ist eine Prüfung, wie sie Gott der Herr nur dem deutschen Volke aufrrleat." „Warum nur diesem?" „Weil es stark und gläubig genug ist, um sie ohne Schaden zu ertragen; ja, ich denke, unser Volk wird durch die Hammerschläge dieser Heimsuchungen immer noch mehr gefestigt werden im Ver trauen auf Gott und auf sich selbst. Es giebt kein zweites Volk der Erde, dem im ganzen Laufe der Zeiten je ein so hochehrwür diger, glanzumwobener Kaiser gestorben wäre, wie unser greiser Wilhelm, und noch nie ist ein so heiß geliebter, großherziger und
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