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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.07.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-07-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980719029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898071902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898071902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-07
- Tag1898-07-19
- Monat1898-07
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Ein Mitglied des Ministerratbes äußerte, das Wunderbarste bei dieser Lage sei, daß Spanien sich über die Größe seines Unglücks nicht klar zu sein scheine. Die Bereinigten Staaten könnten demnach nichts Anderes thun, als den Krieg kräftig weiter führen. Hieraus erklärt sich der Befehl, alle Vor bereitungen zur Abfahrt von Watson's Geschwader und zur Expedition nach Puerto Rico zu beschleunigen. Nach dem gestrigen Ministerrathe wurde versichert, Mac Kinley habe erklärt, er habe keine Mittbeilungen über die Frage von Friedensverhandlungen von spanischer Seite erhalten. Die Regierung erwarte auch die Eröffnung entsprechender Unter handlungen nicht vor dem Falle Havannas, gegen daS die Operationen bis zum Herbst verschoben werden sollen. Die Haltung der Regierung in Madrid bestätigt diese Annahme auf amerikanischer Seite, denn sie setzt die Ver- tbeidigungsarbeiten in allen spanischen Häsen eifrig fort. Sie hat äRch das Auslöschen des Leuchtthurms von Makon augeordnet. Die Anzeichen, daß die Bevölkerung unruhig wird, mehren sich. In Saragossa herrscht eine gewisse Be wegung: die Erhöhung derOktroiabgaben ruft mancherlei Unzu friedenheit hervor, besonders unter der ländlichen Bevölkerung. In Barcelona scheint man ganz aus dem Häuschen zu sein. Dort sollen die Besitzer verschiedener großer Bank häuser und Schiffahrtsgesellschaften sich bemühen, in den französischen Unterthancnverband ausgenommen zu werden. Ueberhaupt sei eine starke Bewegung im Gange, um Eatalonien an Frankreich anzugliedern. „Ich könnte noch mehr sagen", telegraphirt der Berichterstatter des „Liberal", „aber die Censur würde es nicht durchlassen." Das ist, wie man sieht, der edle Patriotismus deS udi Kone, idi Mriu. Sollte nur ein Theil der Meldung wahr sein, so wäre das schmachvoll. Spanien opfert seine ganze Zukunft, um den Cataloniern ihre Absatzgebiete zu erhalten, und nun, wo diese sehen, daß die Colonien verloren gehen und das Land ihret wegen ruinirt ist, machen sie rechtsum kehrt und suchen sich ein neues „Vaterland". Wie sich die Mächte bei einer Invasion der amerikanischen Flotte in europäische Gewässer verhalten werden, darüber verlautet natürlich nichts Bestimmtes. Vorläufig zieht die marokkanische Regierung in der Nachbarschaft von Ceuta und Melilla beträchtliche Truppenmassen zusammen, um die Grenze bewachen und die Neutralität bewahren zu können. Diese marokkanische Maßnahme dürste auf einen Wink Frankreichs zurückzuführen sein. Die französische Regierung hatte schon vor mehreren Wochen davon Kenntniß er halten, daß man in Nordamerika beabsichtigte, bei einem etwaigen Angriff auf die Küsten und Inseln Spaniens sich in Marokko Stützpunkte zu sichern. So hatte der nord amerikanische Consul in Tanger große Kohlenvorräthe zu sammengekauft und in der ersten Iuliwoche erschienen bereits mehrere große Kohlendampfer an der marokka nischen Küste, welche sich dort unbemerkt aufzuhalten suckten, um bei dem Erscheinen des nordamerikanischcn Geschwaders dessen Schiffe unter dem Schutze der marokkanischen Küste mit Kohlen versorgen zu können. In Paris scheint man jedoch entschlossen zu sein, jede Anlehnung der Nordamerikaner an Marokko zu ver hindern, und der französische Gesandte in Tanger soll bereits hei einem kürzlichen Aufenthalte am Hofe des Sultans mit diesem bestimmte Abmachungen getroffen haben, nach denen Frankreich den Sultan unmittelbar unterstützen würde, um jede Neutralitätsverletzung an der marokkanischen Küste zu verhindern. Sonstiges Depeschenmaterial fließt spärlich. Nur wenige Einzelheiten werden hekannt: * Washington, 18. Juli. Die Regierung der Vereinigten Staaten wird unverzüglich in Santiago rin Bureau einrichten für den Empfang von Eingangszöllen als Beitrag zur Be- streitung der Kriegsausgaben. Dasselbe wird wahrscheinlich morgen eröffnet werden. Diese Maßregel ist eine vorläufige, bis zur endgiltigen Regelung der Verhältnisse aus Cuba nach dem Kriege. General Brooke, welcher die Expedition nach Puerto Rico befehligen wird, erklärt, die Armee sei zum Aufbruch bereit. Man glaubt, er werde in vierzehn Tagen 25000 Mann einschiffen können. General Duffield ist am Gelben Fieber erkrankt. Der französische Kreuzer „Rigault de Genouilly" ist augenblicklich von Guantanamo nach Santiago unterwegs. Der französische Consul ist mit 800 französischen Flüchtlingen von El Caney nach Santiago zurückgckehrt. * Madrid, 19. Juli. Eine officielle Depesche aus Annapolis, die beim Marineministerium eingetroffen ist, unterzeichnet von Cer Vera, besagt: „Wir sind hier mit dem zweiten Chef und 48 Officieren eingetroffen. Die Anderen bleiben in Portsmouth. Im Hospitale von Northfold liegen 45 Verwundete." * Havanna» 18. Juli. Der österreichisch . ungarische Kreuzer „Maria Theresia" geht morgen von hier nach Kingston ab. Von den Philippinen gingen folgende Nachrichten ein: * Hongkong, 18. Juli. (Meldung des „Reuter'schcn Bureaus.") Der deutsche Kreuzer „Cormoran", welcher am 15. dss. von Manila abgegangen war, ist heute hier eingetroffen. Derselbe berichtet, in Manila sei Alles ruhig, die Aufständischen hätten neuerdings keine Fortschritte gemacht. Weitere amerikanische Truppen seien bisher nicht angekommen. Es verlaute, Aguinaldo sei nach Manila gekommen, um mit dem Generalgouverneur zu verhandeln. Die ganze amerikanische Flotte liege vor Cavite. * Manila, 19. Juli. Aguinaldo sandte dem General Augustin zwei Parlamentaire, um ihn zur Capitulation aufzufordern, da 50 000 Rebellen den Platz umgäben, die bereit seien, ihn im Sturm zu nehmen, weil Spanien keine Berstärkungeu senden könne. Augustin erwiderte, er werde bis ans Ende kämpfen, obwohl dies hoffnungslos sei. Aguinaldo findet eS äußerst schwierig, sich Manilas zu bemächtigen, wegen der Befestigungen. Die Amerikaner erwarten die Vervollständigung der Verstärkungen und werden die Operationen wahrscheinlich erst im September be ginnen nach der Regenzeit und großen Hitze. In Manila fehlt es an Mehl, dagegen ist Reis und Fleisch für mehrere Monate vor handen. Nach und nach meldet sich auch die fachliche Kritik. General Shafter muß sich von amerikanischer Seite Manches sagen lassen. So bemerkt eine amerikanische Correspondenz in der „Allg. Ztg.": Der amerikanische Ambulanzdienst hat sich alS völlig unzureichend erwiesen. Der erste Tag (1. Juli) hat gezeigt, daß General Shafter mit unglaublichem Leichtsinn, vom militairischen Standpunkte aus, gegen wohlbefestigte Stellungen vor gegangen ist. Mit nur vier leichten und einer schweren Batterie ver sehen, unternahm Shafter den Angriff, während die Belagerungsbatterien schon in Baiquiri ausgeschifft liegen. General Shaster scheint von der An sicht durchdrungen gewesen zu sein, daß »Santiago nehmen könne, ehe noch die spanischen Verstärkungen dort eintreffen. Nach dem bisherigen Zurückweichen der kleinen spanischen Abteilungen urtheilend, scheint er die Kampffähigkeit der Spanier, sowie die Treffsicherheit ihrer Artillerie bedeutend unterschätzt zu haben. Und dann scheint noch ein anderes Moment eine Rolle bei seinen Entschlüssen gespielt zu haben, ein Moment, das gar nicht militairisch ist; er wollte noch vor dem 4. Juli, unserm Nationalfeiertag, den Fall San tiagos hcrbeiführen. Hütte er auf die Verstärkungen und den Belagerungspark gewartet, so wäre dies von vornherein unmöglich ge- wesen. Die militairischen Vorbereit u n gen waren für das Unter nehmen vollständig unzulänglich.und hätten wir nicht unsere besten Truppen im Felde gehabt — cs war mit Ausnahme von zwei Volontair-Regimentern nur reguläre Armee im Kampfe —, so hätten wir wahrscheinlich heute eine der furchtbarsten Niederlagen der neueren Zeit zu verzeichnen. Nur durch den erstaunlichen Muth und die noch wunderbarere Widerstandsfähigkeit unserer Truppen sind wir so glimpflich davongekommeu. Die Fachzeitschriften für Marinesachen in den Staaten mit größerer Seemacht haben mit ihrem Urtheil über den Werth der Seekriegerfahrungen im spanisch, amerikanischen Kriege abgeschlossen und sind meistens der Ansicht, daß sich nur wenige brauchbare Schlüsse auf den Werth des verschiedenen Schiffsmaterials ableiten lassen, weil dessen Ausnutzung durch die feindlichen Parteien doch zu ungleich gewesen ist. Die Schlußfolgerungen aus der Zerstörung der spanischen Flotte vor Santiago de Cuba endigen mehrfach mit den Worten: „Admiral Cervera und seine Untergebenen haben sich ge- schlagen wie tapfere Spanier; man kann aber nicht behaupten, daß die spanischen Seestreitkräfte so gehandhabt sind, wie man es von einer Seemacht am Ende des neunzehnten Jahrhunderts erwarten konnte." Das Gefühl der eigenen Schwäche und die Ueberzeugung, daß die eigenen Schisse doch nichts gegen die schweren amerikanischen Schlachtschiffe und besser armirten Panzerkreuzer ansrichten könnten, scheinen bei Len spanischen Führern so stark gewesen zu sein, daß sie von Anfang an an jedem Erfolge zweifelten und einen ehren- vollen Untergang als das einzige erreichbare Ziel im Auge hatten. Nur an der Hand solcher Betrachtungen kann man es verstehen, wenn der Admiral Cervera seine Schiffe bei Hellem Tage aus einem Düfilö, das nur einzelnes Auslaufen gestattete, dem sicheren Untergange eutgegenführte. Nur so wird man ahnen können, warum die Torpedobootszerstörer, die bis dahin unthätig gewesen waren, und deren Angriffs- und Erfolgsbedingung die Dunkelheit und die Unsichtigkeit dec Lust ist, sich nun beim Todeslauf dem vollen Schnellfeuer des Feindes aussetzten. — Die gänzlich zwecklose Ex- pedition des Reservegeschwadcrs unter Admiral Ca mara, die in den Philippinen höchstens ebenso wie diejenige Cervera's geendet haben würde, hat, wie vorauszusehen war, schon bei Port Said geendet. Neu ist der große Werth der Schlachtschiffe an Kampfkraft und Geschütztscin gegenüber den Kreuzern nicht. Ein Bild oder einen Beweis dafür liefern die Kämpfe am 3. Juli vor Santiago aller dings nicht, weil die amerikanischen Schlachtschiffe doch gar zu wenig getroffen sind. Der Werth der starken Panzerung der spanischen Panzerkreuzer wird dadurch in etwas bewiesen, daß die Schiffe, obwohl sie von zahlreichen Geschossen getroffen waren und schon zum Theil brannten, Loch noch mit scheinbar unverletzter Maschine laufen konnten. Die Gefahr der Verwendung von Holzwerk auf heutigen Kriegsschiffen ist hier ebenso wie vor Cavite und 1894 an der Schlacht vor der Dalumündung zu Tage getreten. Erfahrungen bei der Verwendung der spanischen Torpedoboots zerstörer sind nicht gemacht worden; ihr Führer Commodore Fernando Billomil ist gefallen, die Fahrzeuge sind zusammen geschossen worden, ehe sie einen Angriff, der vielleicht aus Gründe» einer mangelhaften Torpedoausrüstung überhaupt unmöglich war, machen konnten. Politische Tagesschau. » Leipzig, 19. Juli. Da eS unmöglich die Absicht konservativer Blätter sein kann, der Socialdemokratie wirkfamen AgitationSslosi durch Betrachtungen über die angeblich dringende Nolb- wendigkeit einer Beschränkung des RcichStagSwahlrechtS zu liefern, so darf man eS Wohl hauptsächlich dem Stoffmangc'. der hochsommerlichen Zeit zuschreiben, wenn solche Blätter trotz der jeden Erfolg eines folchen Experiments vollständig ausschließende» Zusammensetzung deS neuen Reichstags immer wieder aus dieses Thema zurückkommen. Jedenfalls wäre eS ein nützlicheres Beginnen, unter ehrlichem Berzickl auf politische Besonderheiteu und specielle Machtinteresseu auf den engeren Zusammenschluß der positiven bürgerlichen Parteien hinzuarbeiten, also beispiels weise den preußischen Conservativen die offene Abkehr von einer Klerikalisirung der Schule, wie sie sie 1892 hcrbeiführen wollten, dringend anS Herz zu legen. Am allerwenigsten erscheint eS nöthig, sich in den Mantel höherer particularer Einsicht und Noblesse zu hüllen. Das sächsische conservative Blatt, daS dies gethan hat, indem eö einen von der „Kreuzztg." aufgenommenen, von ihr aber gar nicht einmal gebilligten Vorschlag auf Einführung der Wahlpflicht als „echt preußisch" zurückwieS, hätte wissen können, daß es keinen Winkel im Reiche giebt, wo dieser Behelf nicht schon einmal empfohlen worden ist. So erst kürzlich in Württem berg vom „Schwäb. Merkur"; in Schwaben aber ist man für specisisch Preußisches bekanntlich nicht eingenommen. Das Beste an der Sache ist, daß die „Kreuzzeitung" zu erklären in der Lage ist, der Schreiber jenes Artikels mit dem „echt preußischen Vorschläge sei überhaupt kein Preuße, sondern zufälligerweise gerade ein LandSmann der „Leipziger Zeitung", Königlich sächsischer Staatsbürger". So wenig Nutzen, wie die Erörterung des Wahlrechts, hat die Fortsetzung der wahlstatistischen Betrachtungen. WaS darüber Brauchbares vorgebracht werden konnte, ist^ gesagt,' und eine soeben mit den Unterschriften der Herren Rickert und Pachnicke in die Welt getragene und ziffermaßig „belegte" Be hauptung, die freisinnge Vereinigung hätte eigentlich größere Anziehungskraft bei den Wahlen bewährt als die freisinnige Volkspartei, ist genau so viel wcrth wie die gezen- theilige Nachweisung deS Herrn Richter. Zwischen den beiden „Richtungen" scheint überhaupt wieder von Neuem ein Streit auöbrechen zu wollen, und wieder ist es die frei sinnige Vereinigung, die in Bestätigung deS Sprichwortes: „Gut machtMuth"Zankäpsel wirft.Eine nichtsbedeutendeVersammlung eines nichtSbedeutendcn Vereins der Bolkspartei im Berliner Vororte Steglitz hat verlangt, daß vor den Landtagswahlcu ein preußischer Landesparteitag berufen werde. Flugs erweitert Herr Pachnicke den Vorschlag auf Berufung eines gemeinsamen Tages „aller entschieden linksliberalen Gruppen", d. h. der Vereinigung und der Volkspartei. Herr Richter hat Beiden abgewinkt, was eigentlich schade ist, denn die Sache hätte wirklich schön werden können, vorausgesetzt, daß man die Vorsicht gebrauchte, in jeder Ecke deS Vcr- sammlungSsaalcs einen Verbandplatz einzurichlen. Zu den Erörterungen über die Zusammensetzung deS RcichstagspräfidinmS bringt das „Berliner Tageblatt" einen recht „freisinnigen" Beitrag. Nach ihm erheischt die Billigkeit, einem Socialdemokraten das Amt des zweiten Dicepräsi- Feuilleton. Sauernblnt. 35s Roman in drei Büchern. Von Gerhard von Amyntor. (Dagobert von Gerhardt.) Nachdruck verbottn. „Sie machen mich durch die Ehre, die Sie mir erweisen, un endlich glücklich!" stammelte Just, dem die Thränen im Auge schwammen; „aber eine Brüderschaft zwischen uns — das paßt sich nicht für mich. Nennen Sie mich meinetwegen Du; es wird mir eine Ehre und Freude sein; mir aber gestatten Sie, daß ich Sie nach wie vor als meinen Herrn betrachte . . ." „Als meinen Freund!" verbesserte Teil mit Nachdruck. „Aber Sie mögen Recht haben, auf die äußere Form kommt es nicht an; das, was uns verbindet, ist unabhängig von Gebräuchen und Schablonen." Er nahm den Arm des Anderen und Beide setzten ge weiteten Herzens ihren Weg fort. Als sie in Doben ange- kommen waren und Tell die Steinstufen zur Veranda empor stieg, rief Just, der hinter ihm ging: „Man hat Ihnen den Paletot arg zerrissen!" Tell faßte den einen Schooß seines Ueberziehers und zog ihn nach vorn, um nach der Beschädigung zu forschen. In der That sah er einen wie mit dem Messer in das Tuch geschnittenen rechtwinkligen Schlitz. „Das kommt davon, wenn man sich in das Berliner Gedränge begiebt. Der Paletot muß morgen zum Schneider." Just schüttelte den Kopf: ,,Erst wollen wir sehen, ob wir das nicht selber machen können." Und in der That, als der Abend dämmerte, saß er dem jünge ren Freunde gegenüber am Tische und stopfte beim Scheine der Lampe den zerrissenen Paletot so fein und geschickt, wie es ein Kunststopfer nicht besser hätte besorgen können. Tell sah dem mit der Nadel Hantirenden belustigt zu: „Daß Sie auch nähen und flicken können, überrascht mich nicht mehr; ich würde mich nur noch verwundern, wenn ich etwas entdeckte, was Sie nicht können!" — Um dieselbe Zeit rüstete sich die Brank'sche Familie, ihren Fünf-Uhr-Thee, der sich aber heute bis in die siebente Stunde verzögert l-atte, einzunehmen. Im Gartensaale war der Thee- tisch gerüstet. Frau von Brank war schnell nach oben gegangen, um Ellen, die sich in ihr Giebelzimmer zurückgezogen hatte, per sönlich zum Thee zu holen; diesen Zweck hatte sie wenigstens dem Diener angegeben, der selbst das gnädige Fräulein hatte benach richtigen wollen. In Wahrheit wollte sie aber vor dem Familien zusammensein noch einmal ganz allein in die Augen die Tochter sehen; sie hatte heute und auch schon früher so Manches be merkt, über das sie mit Ellen endlich eine Aussprache herbeizu führen wünschte. „Bist Du fertig, mein liebes Kind?" fragte sie mit ihrer silbernen, einschmeichelnden Stimme, als sie über die Schwelle der Giebelstube trat. Aber sie stutzte, denn Ellen, die offenbar geweint hatte, stand vor ihrem Stehspiegel und tupfte die ge- rötheten Lider mit einem nassen Handtuch. „Ellen! Was ist Dir denn? Du hast geweint?" Sie war besorgt an die Tochter herangetreten und sah ihr liebevoll ins Angesicht. Die Gefragte brach aufs Neue in Thränen aus und warf sich zitternd und schluchzend an die Brust der Mutter. Diese ließ sich, die Tochter zärtlich umfaßt haltend, in einen Lehnstuhl gleiten, sodaß Ellen neben ihr auf einem Fußkissen zu knieen kam und ihr Antlitz im mütterlichen Schooß bergen konnte. „Mein theures Kind!" beschwichtigte Frau von Brank die krampfhaft Schluchzende, indem sie ihr liebkosend über die dunkle Haarflllle strich, „warum weinst Du denn? Sage mir's! Schütte Dein Herz gegen mich aus! Du weißt, daß Dich Niemand lieber hat wie ich!" Ellens Schluchzen wurde ruhiger. Immer noch ihr Gesicht bergend, hob sie rastend die Hand und streichelte dankbar die mütterliche Wange. „Du schweigst noch immer?" fuhr Frau Clara fort; „kannst Du mir denn den Grund nicht sagen? Wird Dir's so schwer, mir zu vertrauen, daß Du einen braven Mann lieb hast, den auch ich achte und verehre?" Die Thränen Ellens waren plötzlich versiegt. Hastig richtete sie den vorgebeugten Oberkörper auf und sah der Mutter erwar tungsvoll in die Augen. „Mama!" rief sie, freudig überrascht. „Ist es wahr? Du hast nichts dagegen, wenn ich ihn liebe?" Frau von Brank zog die Aufgeregte an sich und sagte, schalkhaft lächelnd: „Wir meinen doch denselben?" Sie brachte ihre Lippen an Ellens rosige Ohrmuschel und flüsterte einen Namen. Verschämt nickte Ellen mit dem Kopfe. Dann umschlang sie stürmisch den Hals der Mutter: „Du liebe, gute Mama! Nun stehe mir aber auch gegen Walther bei! Er reizt und be leidigt den Justizrath, so oft er ihn nur sieht; es ist abscheulich von ihm!"^, - - . - - Ihre Lippen kräuselten sich; eine finster drohende Falte lag zwischen ihren sanft geschwungenen Brauen. „Ich werde ihn ermahnen, mein Herz! Bekümmere Dich des halb nicht! Und nun trockne Deine lieben Augen und komm mit zum Thee! Die Anderen dürfen nicht merken, daß Du ge weint hast." Sie gab der Tochter schnell noch einen zärtlichen Kuß auf di: Stirn; dann verließ sie Arm in Arm mit ihr das Giebel stübchen und Beide begaben sich nach dem Gartensaale im Erd geschoß. Zwei blauumschleierte Lampen standen dort auf dem weiß gedeckten, von Silber und Krhstall funkelnden Eßtische, und warfen einen dämmernden Schein in den blumengeschmückten, nach Hyacinthcn duftenden Raum. Herr von Brank und Sohn waren schon anwesend; sie saßen harrend auf dem kreisrunden Sovha in der Mitte des Saales, das von einer stolzen Fächerpalme überdacht wurde. Vater und Sohn erhoben sich beim Eintritt der Damen und der alte Freiherr sagte: „Kommt ihr endlich? Ein Glas warmer Thee wird Einem bei so grimmer Kälte ganz gut thun." Man setzte sich an den Eßtisch, der zwischen dem Sopha und der Thür zum Zimmer des Hausherrn angerichtet war. Neben dem Stuhle der Hausfrau, auf einem kleinen niedrigen Tischchen, stand das silberne Theegeschirr; blitzblank spiegelte es die von den Lampen ausgehenden Lichtstrahlen zurück; unter dem singen den, zischenden Kessel flackerte ein bläuliches Spiritusflämmchen; der aus dem Kessel emporsteigende Wasserdampf webte feine Netze und Schleier in der Luft. Ellen besorgte das Herumreichen der von der Mama gefüll ten Tassen. Als sie dem Bruder seine Tasse gab, sagte sie vor wurfsvoll: „Eigentlich verdienst Du es gar nicht, daß ich für Dich sorge." Walther klemmte sein Glas vors rechte Auge und sah die Schwester verwundert an: „Was hast Du mir vorzuwerfen, m» ctiöro?'* „Deine häßliche Art gegen den Justizrath." „Du meinst Herrn Tell? Nenne ihn doch nicht „Justizrath"! Er selbst will von diesem Titel nichts mehr wissen; er nennt sich einen Bauern und ist auch so plump und dickköpfig wie ein Bauer." „Walther!" rief strafend der alte Freiherr, „Du behauptest da wieder etwas, was Du nicht verantworten kannst." Walther sah die zürnenden Blicker der Schwester und den un zufriedenen, fast mitleidigen Gesichtsausdruck seiner Eltern. Das reizte ihn nur noch mehr, und heftig fuhr er auf: „Ich begreife gar nicht, was Ihr Alle an diesem Plebejer habt! Er ist so unverschämt, Ellen den Hof zu machen; ich will nicht hoffen, daß er Aussicht hat, jemals zu reufsiren." „Und wenn er nun doch rrussirte?" fragte wie im Scherze die Mutter. „Ich würde ihn nie als Schwager anerkennen. In der heutigen Zeit gilt es mehr als je, daß der Adel fest Zusammen halte, und sich gegen jeden unberechtigten Eindringling wehre; wir haben Thron und Altar zu Vertheidigen, und das können wir nur mit Erfolg, wenn wir keine zweifelhaften Verbindungen eingehen." Nun war es dem alten Herrn von Brank zuviel geworden. Er setzte die schon zum Munde gehobene Theetaffe wieder auf den Tisch und sagte streng: „Du bringst da Dinge vor, von denen Dir noch jedes Verständniß zu fehlen scheint, denn sie ge hören gar nicht hierher. Was hat Dein Schlagwort „Thron und Altar" mit .Herrn Tell zu schaffen?" „O, verzeihe, Papa, ich denke mehr, als Du zugeben zu wollen scheinst. Dieser Herr Tell ist meiner Ansicht nach ein die höheren Stände hassender, gesellschaftsfeindlichrr Wühler, ein Demokrat, der nur auf die Zeit lauert, wo die jetzt geltende Ordnung zu Grunde geht und er auf den Trümmern von Thron und Altar sein Ideal allgemeiner Gleichheit und Glaubenslosigkcit wird aufrichten können . . ." „Hör' auf!" befahl der Vater erzürnt, „Du erhebst da gegen ihn Vorwürfe, die Du in keiner Weise begründen kannst." Nach einer kleinen Pause, in der er bestrebt gewesen war, seine Ruhe zurllckzugewinnen, fuhr er mehr im Tone der Belehrung fort: „Du bist ein Vertreter jener Jugend von heute, die in ihrer Kurz sichtigkeit unzusammengehörige Dinge glaubt verquicken zu kön nen, und in solchem aussichtslosen Bestreben gern die Bethäti- gung des echten Patriotismus sehen möchte. Thron und Altar! Wer hat Dir denn weisgemacht, daß diese Beiden einander stützen? Ost ist das gerade Gegentheil der Fall gewesen, und sie haben sich als erbittertste Feinde bis aufs Blut bekämpft." „Dein Wort in Ehren, Papa, aber das bliebe doch zu be weisen." „Ist das so schwer? Hast Du so wenig Geschichte gelernt? Muß ich Dich an Heinrich IV. erinnern, den ein fanatischer Papist Namens Ravailac erstach? Wer beschimpfte zu Canossa einen deutschen Kaiser? Der Papst Gregor VH.! Wer verrieth den Kaiser Friedrich II.? Sein vertrautester, von den Päpstli chen bestochener Rath, Peter de Vinea! Wer war der Mörder deS dritten Heinrich von Frankreich? Ein Dominikanermönch — wie war doch gleich sein Name? Du wirst ihn mir sagen können..." Da Walther stumm blieb und offenbar keine Ahnung hakte,
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