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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.07.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-07-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980720023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898072002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898072002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-07
- Tag1898-07-20
- Monat1898-07
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Größere Schriften laut unserem Preis verzeichnis. Tabellarischer und Zisjernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Sxpehitia» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 421. Sonnabend den 20. August 1898. 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 20. August. Das Liebeswerben einzelner konservativer Blätter um die Gunst des Centrums, mit dessen Hilfe eine Acnderung des Rcichstagsmahlrcchts herbeigeführt werden soll, wird von der „Köln. BolkSztg.", dem hervorragendsten Organ des demokratischen Flügels im Centrum, mit Spott und Hohn zurückgewiesen. Zu dem Vorschlag der „Kgl. Leipz. Ztg.", eine Abänderung des ReichstazswahlrechtS gegen die Aufhebung des Iesuitengesetzes einzu rauschen, meint sie spottend, der Haß gegen das NeickS- tagswahlrccht müsse recht arg sein, wenn er sogar den Haß gegen die Jesuiten überbiete, und nickt minder spottend schreibt sie, der Schwindel mit dem Reichstagswahl- re ch le sei jetzt in seiner ganzen Schönheit enthüllt worden. Dann aber freut sie sich, daß dieser Schwindel gerade jetzt aufgedeckt worden sei: „Wir treten allmählich in die Agitation für die preußischen Landtagswahlen ein. Da werden die Cartellparteien, be sonders die Herren aus der Rechten, zu Len Wählern wieder in Schafskleidern kommen. Sie werden Alles versprechen und Alles ableugnen, was man nur will. Sie werden eine schöne Reform des preußischen Wahlrechtes versprechen und alle bösen Absichten aus die allgemeinen staatsbürgerlichen Freiheiten, auf das Vereins- und Bersammlungsrecht re., alles Streben nach Classen- und Standesprivilegien, nach einseitigen Bortheilen für bestimmte Erwerbs- zweige auf Kosten der Gesammtheit feierlich ableugnen. Dann mögen sich die Wühler erinnern, wie mans in den Blättern dieser Parteien vor und nach Len Reichstagswahlen über das Reichs tagswahlrecht las. Sie werden dann den Werth der Versprechungen und Ableugnungen von dieser Seite zu schätzen wissen." Zum Schlüsse mahnt das rheinische Blatt die Centrums wähler, sich nicht von der Rechten umgarnen zu lassen: Ten Centrumswählern wird man hier und da wohl wieder ein zureden suchen, sie müßten für die Conservativen stimmen, weil diese eine christliche Partei seien und mit dem Centrum Religion, Christenlhum und Kirche schützen wollten. Thatsächlich haben die Conservativen in langenJahren nicht einen Finger für uns gerührt und alle Klagen und Beschwerden des Centrums kaltlächelnd angehört. Die Conservativen haben das Cen trum betrogen bei der Wahlrechtsreform und soeben wieder Haden sie, gleich den übrigen Cartellbrüdern, ihre feierlichen Ver sicherungen bezüglich des Reichstagswahlrechts im Handumdrehen vergessen. DaS ist hart, aber gewisse konservative Kreise werben darum doch nie ablassen, sich zu einem Gang nach Canossa anzubieten. Der diesjährige focialdcmokratifchc Parteitag soll nach einer vom Parteivorstande heute im „Vorwärts" veröffent lichten Bekanntmachung in der Woche vom 3. bis 9. Oktober in Stuttgart tagen. Auf der provisorischen Tagesordnung steht zunächst nur ein Punkt von allgemeinerem Interesse, nämlich die brutsche Zoll- und Handelspolitik, über welche der Abg. Schippel, Vertreter von Chemnitz, referiren soll. Es fehlt aber auch nicht an Anträgen aller Art, und erfahrungs gemäß pflegen diese zu den bemerkenswerthesten Debatten zu führen. Es hat den Anschein, als ob die Stellung der Partei zur Zoll- und Handelspolitik eingehend erörtert und präcisirt werden soll. Hierbei wäre zu bemerken, daß in der letzten Zeit sich innerhalb der Partei ein gewisser Gegensatz zwischen Doktrinarismus und Realpolitik gezeigt bat. Der neugewählte socialdemokratische Abgeordnete Calwer (Holzminden) ist z. B. vor einiger Zeit in der focialdemokratischen Wochenschrift „Die neue Zeit" für ein mitteleuropäisches Zoll- und Wirthschaftsbündniß gegen über Amerika eingetrcten, allerdings nicht ohne Widerspruch der Redaktion der Wochenschrift, und schon auf dem vor jährigen Parteitag in Hamburg hat der Abg. Schippel in Betreff der Zollpolitik beachtenSwerthc Aeußerungeu gethan. Als nämlich eiu Redner bei der Debatte über die Thätigkeit der socialdemokratischen Neichstagsfraclion cs bemängelte, daß die selbe zum deutsch-amerikanischen Handelsvertrag nickt Stellung genommen, und daß der in Aussicht genommene Sprecher der Partei, eben Schippel, nicht geredet habe, erklärte der letztere, der Moment wäre der denkbar schlechteste gewesen, gegen unsere deutsche Schutzzollpolitik vorzugehen, um der amerikanischen zu nützen. Er sei doch nicht gewählt in erster Linie als internationaler Freihändler, sondern als Vertreter der Industriearbeiter. Jnternatio- nalität müsse auf Gegenseitigkeit beruhen, und wenn ein Ausland fortwährend gegen Deutschland ungerecht sei, so bestehe doch die Znternationalität nicht darin, daß man fortwährend den auswärtigen Bourgeois lobe und über den deutschen herfalle. „Gerade Amerika gegenüber sind wir Deutsche doch immer noch der bessere Theil." ES wird sich in Stuttgart zeigen müssen, ob die Socialdemokratie gewillt ist, die zoll- und handelspolitischen Kämpfe auch vom nationalen Stand punkte aus zu beurtheilen und zu würdigen. Herr Schippel, der als Vertreter eines sächsischen industriellen Wahlkreises die Folgen der amerikanischen Absperrungspolitik gerade für die sächsische Industrie kennt, scheint auf dem besten Wege zu sein, diese nationale Würdigung eintreten zu lassen. Voraus sichtlich wird der Stuttgarter Parteitag besonders aus Süd deutschland gut beschickt werden, was bei der bekannten gemäßigten Haltung der süddeutschen „Genossen" nicht ohne Bedeutung ist. Wichtige Anträge sollen nach der Bekannt machung des Parteivorstandes vor dem Zusammentritt des Parteitags in der Parteipresse erörtert werden. Zu den wichtigsten Anträgen dürfte auch der der Bielefelder Partei genossen gehören, der für die bevorstehenden preußischen Landtagswahlcn bekanntlich ein förmlichcS Wahlbündnis! mit den Freisinnigen wünscht. Daß die Polcnpolitik der -reutzische» LtaatSregicrung an allen nationalgesinnten Kreisen einen starken und ver- ständnißvollen Rückhalt findet, ist eine Wahrnehmung, welche nicht nur darnach angetban erscheint, das um die Behauptung seiner Position in den Ostmarken ringende Deutschthum mit neuem Vertrauen auf die Znkunft zu erfüllen, sondern auch die Zuversicht rechtfertigt, daß die behufs kräftiger und konsequenter Durchführung der Regierungs action in den östlichen Landestheilen erforder lichen nicht unbedeutenden Mittel, welche nach osficiöser Auslassung zur Einstellung in den nächsten Etat gelangen werden, auf anstandslose Bewilligung seitens der staalserhaltenden Richtungen des preußischen Ab geordnetenhauses rechnen dürfen. Indessen erschöpfen sich die Ob liegenheiten einer Politik des Schutzes der deutsch-nationalen Interessen keineswegs mit der Abwehr des polnischen An sturmes von Osten. Auch in Nordschleswig hat das Deutschthum einen gefährdeten Posten zu sickern. Wenngleich ja von einer direkten Zurückdrängung der Deutschen durch die danljche Nationalität an unserer Nordmark nicht eigentlich st'" kann, so muß doch zugegeben werden, daß das Deutichthum m Nordschleswig seit 1864 nicht diejenigen gemacht bat, welche man erwarten durfte periodljchen Ucbergange eines dänischen Hofes in deutsche Hande ist so gut wie gar nichts erreicht: hier kann nur em groß angelegtes Vorgehen Nutzen schaffen, und zwar empfiehlt es sich, Len Hebel an einer ganz bestimmten Stelle anzusetzen, das ist die wirthschaftlichc Hebung deS nord - sch leswlgschen Deutschlhums. Der zielbewußten Politik ohne Unterlaß an der Stärkung der wirthschaftlichen Anziehungskraft ihrer nahe der deutsch- danifchen Grenze gelegenen Verkehrscentren arbeitet, muß deutscherseits in vorausschauender, vorsorglicher^ Weise begegnet werden. Ein solcher Punct, wo mit Aussicht aus baldigen und lohnenden Erfolg in eine Action zur wirthschaftlichen Stärkung des DeutschthumS eingetreten werden konnte, ist Haders leb en. Diese kerndeutsche Stadt bildet den natürlichen VerkehrSmittelpunct des gleichnamigen Kreises dis nach der Grenze im Norden hm, sie kann aber, wie die Dinge liegen, gegen das benachbarte dänische Kolbing nicht auskommen, weil letzterer Platz, durch einen Hafen mit günstiger Einfahrt und Wasser tiefe bevorzugt, für den Verkehr auch des nördlichen Theiles des HaderSlebener Kreises eine unwidersteh liche Anziehungskraft übt, und Stadt und Hafen von Habersleben zu einem bloS vegetativen Dasein verurtheilt. Hierin wenn irgend möglich Wandel zu schaffen, hat eine Abordnung HaderSlebener Bürger sich in diesen Tagen nach Berlin begeben und hier, gelegentlich einer Audienz beim Flnanzminister, diesem ihre Wünsche vorgetragen. „Man darf annehmen", bemerken dazu die ofsiciösen „Berl. Pol. Nachr.", „daß seitens der preußischen Staatsregierung in eine ernste undwohlwollen de Prüfung derAngelegen- beit eingetreten und den Wünschen HaderSlcbens thunlichst Rechnung getragen werden wird". Aus den Resultaten des spanisch-amerikanischen Krieges zieht Sir George Elliot folgende Lehren für die Kriegs flotten: 1) Jede Marine muß schon im Frieden sich in einem solchen Zustande befinden, daß die Flotte jederzeit ins Gefecht gehen kann. 2) Jede Macht, welche überseeische Interessen durch ihre Marine zu Vertheidigen hat, muß im Besitze erstklassiger, günstig gelegener, stark befestigter Flottenstationen jein, welche den eigene» Schiffen sichere Zuflucht gewähren, und sie mit allem Röthigen (Ersatz der Kohlen, des Proviants, der Munition u. s. w.) zu versehen in der Lage sind. 3) Die Kreuzer, besonders diejenigen, welche nur schwache Pan zerung aufweisen, müssen eine große Geschwindigkeit besitzen, um sich dem Kampf mit weit überlegenen Schlachtschiffen leicht entziehen zu können. Bezüglich des ersten Punktes glauben die „Berl Reuest. Nachr." mit Recht behaupten zu können, daß in keiner einzigen Marine, die englische und die französische nicht ausgeschlossen, die Ausbildung des Personals im Frieden für den Krieg so sachgemäß geschieht, wie bei uns und daß bez. der Instand haltung des Materials in Friedenszeiten in Deutschland Alles geschieht, waS möglich ist, um die Schlagfertigkeit unserer leider noch so kleinen Flotte in möglichst hoher Voll kommenheit zu erhalten. In Betreff des dritten Punktes werden die von Sir George Elliot geäußerten An sichten wohl von allen deutschen Secofficieren getheilt. Was schließlich den zweiten Punkt anbetrifft, so ist das genannte Blatt der Meinung, daß Sir George Elliot auch hierin durchaus Recht hat, und daß eine Flottenstation um so selbstständiger, also besser ausgerüstet sein muß, je weiter sie von dem Heimathlande entfernt ist, und je größer die Interessen sind, welche die betreffende Flotte daselbst zu schützen hat. Die „B. N. N." hoffen, daß auch Kiautsckap in kurzer Zeit ein Flottenstützpunkt ersten Ranges werden wird, und wissen, daß dieser Wunsch in Marinekreiscn, in denen man doch etwas davon versteht, allgemein getheilt wird. Der Fall von Manila hat in Spanien peinliches Auf sehen erregt. Man hatte dort erwartet, daß wenigstens dieser Platz, der so lange Zeit den feindlichen Angriffen widerstanden hatte, bis zum Friedensschluß gehalten werden würde. Nach in London eingetroffenen Hongkonger Tele grammen war die Erstürmung Manilas eine verab redete Komödie. Der spanische Commandeur soll Deweh einen Wink gegeben haben, wie er die Einnahme mit möglichst wenig Blutvergießen bewerkstelligen könne. Nach der Einnahme hatten Merrit und Iaudencs eine Con- ferenz in Manila. Dabei wurde ein Uebereinkommcn betreffs der Ueberaabe der Philippinen getroffen und rie Entwaffnung der Soldaten verabredet, welche jedoch unter dem Commando ihrer Officiere bleiben sollen. Ferner kam eine Vereinbarung wegen der Verproviantirung zu Stande. Das Leben und Eigenthum der Spanier wurde garantier. Die Frage des Transports der spanischen Soldaten nack Spanien soll in Washington entschieden werden. Die Banken u. s. w. sollen ihre Geschäfte nach den bestehenden Vor schriften fortsetzen, sofern die amerikanischen Bebörden diese nicht ändern. NebrigenS scheint nicht General Augustin die Schuld für die Vorgänge zu treffen, da er schon mehrere Tage vorher seines Amtes als Gcneralgouverneur entsetz', war. Vielmehr wird in Madrid gegen seinen Nachfolger Anklage erhoben, die Stadt vorzeitig preisgegeben zu haben. Nun soll ein kriegsgerichtliches Verfahren bevorstehen. Verschiedene katholische Geistliche in Frankreich sind jüngst zum Protestantismus übergetreten und haben diesen Schritt ausführlich begründet. So zeigte kürzlich, der „Post" zufolge, der Professor am Novizenhaus der Oblaten von Notre-Dame-des-LumiereS, Pater Patel, dem Gcneralvberen der „Oblaten der unbesteckten Jungfrau Maria" sein Ausscheiden auS der römischen Kirche mit einem Schreiben an, in welchem es heißt: „Der Austritt bedeutet für mein Gewißen den Zugang aus der Knechtschaft zu. der Freiheit, die den Menschen und Christen macht. Die Mönchsgelübde sind widernatürlich. Das Gelübde der Armnth raubt die Freiheit nach der materiellen Seite der Existenz hin. Das nicht zu rechtfertigende Gelübde der Ehelosigkeit, vom Herzen als ein Gott angenehmes Opfer verlangt, erzieht zu sklavischer Abhängigkeit, wenn nicht zur Heuchelei. Das Gelübde des Gehorsams überliefert den Willen, die unverletzlichste unserer Gaben, Menschen, die sich uns als Götter aufdringen wollen. Eine Mönchsregel endlich, die sich in kleinlicher Weise in die Einzelheiten jedes Augenblicks eindrängt, bricht die Spann kraft des Geistes und zerstört jede persönliche Initiative. Anstatt zur Freiheit der Kinder Gottes zu gelangen, ist der Mensch, seiner Persönlichkeit beraubt, weiter nichts als ein Werkzeug und bleibt lebenslang ein bevormundetes Kind. Ich habe mein Oblatenkrevz abgelegt und meinen katho lischen Priesterrock ausgezogen; ersteres wäre auf meiner Brust ein bloßer Tand, letzterer ist zu sehr das Sinnbild der Knechtschaft und Heuchelei. Die katholische Kirche würde zu wenig die Freiheit meines Gewissens gewährleisten, da sie sich solidarisch gemacht hat mit den Mönchsorden, in denen Ferrrlletsn. In der Lrandung des Lebens. 43j Roman aus dem amerikanischen Westen. Von Theodor Eicke. Nachdruck »nbolrn. Da Brant gerade jetzt von einer maßlosen Ungeduld gequält war, so versuchte er nicht, die Unterhaltung auszudehnen; als er wieder allein war, las er den Brief noch einmal und wieder, bis er ihn Wort für Wort wiederholen konnte. Er war von Dorothy; sie hatte ihr Versprechen gehalten, ihn anzurufen im Falle der Noth. „Lieber Herr Brant", schrieb sie, „Sie waren freundlich genug, uns Ihr« Hilfe wieder anzubieten, wenn die Gelegenheit käme. Sie ist gekommen. Will hat gestern Nachmittag das Haus verlassen, und wir haben ihn seitdem nicht gesehen. Mama ist außer sich vor Angst, und mein Vater ist so muthlos, daß er nichts thun will. Wollen Sie nicht noch einmal versuchen, meinen Bruder wiederzufinden? Nachschrift. Mrs. Hobart, deren Gatt« ein Freund von Ihnen ist, ist bei uns und wird sich freuen, Sie zu sehen, wenn Sie kommen wollen." Als Brant den Brief ganz seinem Gedächtniß eingeprägt hatte, schickte er sich an, ihn zu beantworten. Was er sonst auch immer war oder werden mochte — und er betrachtete diese Frage als vollständig erledigt — auf jeden Fall war er Dorothy's getreuer Lehnsmann; und so lange er ihr dienen konnte, mußte die Zukunft, mochte sie gut, schlecht oder gleichgiltig sein, warten. Deshalb schrieb er Folgendes: „Meine verehrte Miß Langford! Ihr Brief, der mich zugleich betrübt und erfreut hat, kam eben in meine Hände. Seien Sie überzeugt, daß ich, während ich an Ihrer Sorge vollen Antheil nehme, mich doch freue, Ihnen einen Dienst leisten zu können. Seien Sie guten Muthes. Ich zweifle nicht, daß wir Ihren Bruder schnell finden werden, und daß nichts Ernstliches ihn betroffen hat. Sollte er heute Abend nicht kommen, so schicken Sie mir, bitte, morgen früh noch eine Nachricht und seien Sie gewiß, daß ich jetzt wie allezeit bin Ihr ergebenster Freund George Brant." Brant las noch einmal durch, was er geschrieben hatte, und war nahe daran, den Brief zu zerreißen. Er erschien ihm so kalt und förmlich, so gar nicht im rechten Verhältnisse zu dem Maß seiner Liebe. Dann bedachte er, daß er di« Möglichkeit in Betracht ziehen müßte, daß die Antwort in unfreundliche Hände fiel, und ließ das Schreiben, wie es war. Dann holte er sich einen Boten herbei und schärfte dem Jungen ein, daß er den Brief keinem Anderen übergeben sollte, als der auf der Adresse bezeichneten Dame. Als das erledigt war, machte er sich seinen Plan für ein« zweite Suche nach dem verlorenen Sohn. Das Auffinden des selben war dieses Mal wahrscheinlich ebenso einfach wie das vorige Mal; aber da der junge Herr Harding's Spießgeselle ge worden war, so zweifelte Brant sehr, ob irgend etwas, das er sagen oder thun konnte, ausreichen würde, denselben zu veran lassen, heimzugehen und sich anständig zu benehmen. In diesem Dilemma kam ihm der gute Gedanke, Harry Antoine zur Unter stützung mitzunehmen, und er ging sofort, um den Bureauchef aufzusuchen, der gerade sein Bureau schloß, um zum Abendessen zu gehen. Brant ging mit ihm. „Was haben Sie heute Abend vor, Harry?" fragte er. „Ich möchte noch einmal zum Bureau zurück und etwas arbeiten. Weshalb?" „Ich möchte Sie um eine Gefälligkeit bitten", sagte Brant. „Aber selbstverständlich. Was grebt's denn?" Brant erzählte ihm ausführlich, worum es sich handelte. „Ich denke, ich weiß schon, wo wir ihn zu suchen haben", meinte er schließlich, „aber ich fürchte nur, daß ich all' meine Be- redtsamkeit vergebens an ihn verschwenden werde. Deshalb möchte ich gern, daß Sie mit gingen; und wenn wir ihn finden, wird es Ihre Sach« sein, ihn zu bewegen, daß er nach Hause geht." „Er ist mir zwar durchaus nicht geneigt,, wie ich Ihnen schon einmal sagte", entgegnete Antoine, „aber ich will mitgehcn und thun, was ich kann. Es ist ein Jammer, daß der Richter ihn nicht zur Arbeit anhält." „Was ist er denn eigentlich — oder ist er überhaupt etwas?" fragte Brant. „Ich wüßte nicht. Auf der Schule war er der beste Mathe matiker seiner Classe, und er wollte einmal Ihren Beruf er greifen. Mrs. Langford war auch ganz damit einverstanden, bis es zur praktischen Arbeit im Gelände kam. Das paßte ihr nicht. Ihr Sohn sollte nicht mit einem Haufen roher Leute in der Welt umherziehen, meinte sie." „Na, natürlich nicht!" sagte Brant mit zornigen? Lachen. „Sie hat ja auch ganz recht — wir sind eine schlimme Ge sellschaft." Der Ton der Wort« war so bitter, daß Antoine erstaunt auf sah. „Hat sie Ihnen schon eine Vorlesung darüber gehalten?" fragte er scherzend. „Wer — Mrs. Langford? Durchaus nicht. Sie hat meinen gegenwärtigen Beruf mir gegenüber noch nicht erwähnt." „Sie wird's eines Tages schon thun, besonders wenn —" Aber Antoine war sich über Brant's Neigungen doch nicht klar genug, und deshalb brach er schnell ab und kehrte zu der früheren Frage zurück. „Ich vermuthe, Sie beabsichtigen, gleich nach dem Essen aufzubrechen, nicht wahr?" „Gewiß", sagte Brant, als sie gerade bei ihrem Logirhause angekommen waren. Nach dem Essen hatte Brant auf seinem Zimmer einen kleinen Kampf mit sich selbst. Er war im Zweifel, ob er seinen großen Revolver einstecken sollte. „Ich will verdammt sein, wenn ich's thue!" sagte er endlich zu sich selbst, indem er die Waffe mit der Flasche Brandy, die er gestern gekauft hatte, in einen Auszug seiner Commode legte. „Finde ich den Jungen mit Harding, dann giebt's einen Skandal; und in ihrem Dienste will ich lieber Unrecht leiden als thun." Dann lies er hinunter und holte Antoine, und zusammen gingen sie auf die Suche nach William Langford. Entgegen seiner Annahme gestaltete sich die erste Hälfte des Unternehmens schwieriger, als Brant erwartet hatte. Sie fingen mit Localen vom Range des Draco'schen an und gingen dann vom Schlechten zum Schlechteren, bis Antoine den Athem anhielt und um Jsabel's willen hoffte, daß die Suche nach ihrem Bruder in dieser Richtung erfolglos bleiben möchte. Und so war es auch, obwohl Brant unermüdlich war und seinen Gefährten von einer Spelunke in die andere schleppte, bis der Bureauchef halb be rauscht war von der Mischung von Tabak- und Alkoholdunst. „Um des Himmels willen, das ist ja fürchterlich!" keuchte er, als sie aus einer besonders widerlichen Höhle emportauchten. „Lassen Sie nus aufhören, George, und heimgehen; ich habe genug davon." „Noch nicht!" widersprach Brant, „wir finden ihn sicher, früher oder später, und es ist noch früh." Antoine sah nach seiner Uhr. „Es ist elf", meinte er, „ich nenne das spät; aber vorwärts, ich bleibe bei Ihnen." Elf Uhr war es also, und der Polizist, dessen Bezirk die ruhig« Gegend einschloß, von der Mrs. Seeley's Logirhaus das Centrum bildete, hatte feinen Rundgang beendet und sich un besorgt in das Opernrrstaurant zurückgezogen, um einige Er frischungen zu sich zu nehmen, wie sie die Wirthe unaufgefordert den Wächtern der Ruhe vorzusetzen pflegen. Und doch hatte er .kurz vorher in einer stillen Straße «ine Stund« vor Mitternacht einen Mann getroffen, der eine Leiter trug; das war ihm aber ganz unbedenklich erschienen. Wenn der Schutzmann durchaus ruhig blieb, so blieb es der Mann mit der Leiter durchaus nicht. Im Gegentheil, er war sehr beunruhigt, und nur die Furcht, daß eine Kugel aus der Pistole des Beamten ihn treffen könnte, hielt ihn ab, seine Bürde von sich zu werfen und Fersengeld zu geben. Als die Gefahr vorüber war, lehnte er die Leiter gegen ein Gitter und nahm einen langen Zug aus einer schwarzen Flasche. „Der Teufel hole die Schießerei!" brummte er vor sich hin, indem er Athem schöpfte und die dunklen Fenster oes Hauses der Mrs. Seeley musterte. „Wenn ich mit der Geschichte doch erst durch wäre! Renne ich da gerade so 'nem „Bobby" in die Hände, nachdem ich 'ne halbe Stunde d'rum herum ge gangen bin." Wieder wurde die Flasche hervorgeholt und dann die Leiter aufgehoben und ruhig in den Hof hinäbgelassen, um gleich darauf an der Veranda des Hauses hoch gerichtet zu werden. Einen Augenblick später erschien der Mann oben und kroch vorsichtig über das Blechdach, das unter ihm sich bog und krachte, daß ihm der Angstschweiß aus allen Poren brach. Vor Brant's Fenster machte er Halt, stieß eine dünne Stange unter dem Schiebe fenster ein und versuchte, es hoch zu heben. „Natürlich fest gemacht", eine Messerklinge wurde zwischen das untere und das obere Fenster geschoben, ein Klirren ertönte, und dann öffnete sich das Fenster geräuschlos. Nachdem er erst einmal sicher drinnen war, war des Einbrechers erster Gedanke, das Fenster zu schließen und den Vorhang vorzuziehen. Dann zündete er eine Diebeslaterne an und ließ ihren Schein durch das Zimmer fallen. „Alles sicher!" murmelte er. „Na, denn an die Arbeit!" Er nahm zur Einleitung noch einen Zug aus der schwarzen Flasche und begann darauf das Gemach mit der Geschicklichkeit und Schnelligkeit eines Mannes, dem das Handwerk nicht neu ist, zu durchstöbern. Der Inhalt eines Junggesellenzimmers ist bald aufgeräumt. Brant's Gepäck war sehr leicht, und bald war der Einbrecher mit seiner Arbeit zu Ende, ohne etwas von Werth gefunden zu haben, abgesehen von einem großen Revolver und einer Flasche Brandy. Die Waffe legte er bei Seite, die Flasche aber entkorkte «r und probirte ihren Inhalt. „Brandy — hm! mindestens zehn Jahre alter Cognac, weiß Gott! Na, Brant, mein Junge, kannst glücklich leben und selig sterben, wenn Du 'n Tropfen davon kriegst!" Damit verschwand ein beträchtlicher Theil des Inhaltes der Flasche in die Kehl« des Einbrechers, der wohlgefällig mit den Lippen schnalzte und sic mit dem Aermel seines Rockes ab wischte. „Gewitter noch 'mal, der weiß, was gut schmeckt —
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