Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.07.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-07-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980728017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898072801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898072801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-07
- Tag1898-07-28
- Monat1898-07
- Jahr1898
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugS-Prey in dir Haoptexpeditioa oder den 1» Stadt bezirk und d«i Lororten errichteteu Aus» vobestellen abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, vei zweimaliger täglicher Zustellung in» Lau» 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertrliährlich 6.—. Direkte tägliche jkreuzbandiendung in« Ausland: monatlich 7.50. Dir Morgen-Au-gabe erscheint um '/,? Uhr, di« Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Redaction und Expedition: JohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen grössnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: Dtt» Klemm'S Sortim. (Alfred HahnX UniversitätSstraße S (Paulinus-V Lolli» Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und Königsplatz 7> Morgen-Ausgabe. ripziger JagMM Anzeiger. Amtsölatt -es Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, -es AatHes nn- Voüzei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. Anzeigen-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Neclamen unter dem Redaction-strich (4g«» spalten) 50^, vor den Familiennachrichte» (bgejpalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis» Ve^eichniß. Labellarischer und Ziffernfatz nach höherein Laris. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuag 60.—, mit Postbesörderuag 70.—. Ivnahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: vormittag» 10 Uhr. Marge «-Ausgabe: Nachmittag« 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eia« halbe Stunde früher. Anzeige» sind stet« an di« Erpeditio» zu richte». Druck und Verlag von <k. Polz t» Leipzig. 377. Donnerstag dm 28.'Juli 1898. 92. Jahrgang. vom Fürsten Bismarck. Die erschütternde Meldung deS „Berl. Loc.-Anz." von einer schweren Erkrankung de« Fürsten BiSmarck stellt sich erfreulicher Weise mindesten» al» eine Urber - treibung heraus. Vollständig au» der Luft gegriffen ist sie leider nicht gewesen. Man kann das Letztere schon daraus schließen, daß in Hamburg da» Gerücht vom Ableben des Fürsten verbreitet war. Unser Hamburger Ge währsmann, an den wir un« um Auskunft über die Be gründung der Meldungen des „Berk. Loc. - Anz." gewendet hatten, konnte auch anfänglich — wahrscheinlich weil in FriedrichSrub unzählige Anfragen eingegangen waren — nur feststellen, daß da» in Hamburg verbreitete Gerücht un begründet war. Erst später vermochte er uns die bereits in einem Theile unserer gestrigen Abendausgabe mitgetheilte Meldung zu übermitteln: „ES bestätigt sich, daß Fürst BiSmarck mehrere Tage bettlägerig und appetitlos war. Die letzte Nacht » verbrachte der Fürst jedoch gut; er schlief 7 Stunden. Graf Wilhelm Bismarck reist am Sonnabend wieder ab. Auch eine Meldung der „Hamb. Nachr." läßt er kennen, daß daS Befinden des Fürsten mehrere Tage weniger zufriedenstellend gewesen ist, als vorher. Der Telegraph meldet nämlich: Hamburg, 27. Juli. Die „Hamburger Nachrichten" erhalten über daS Befinden deS Fürsten Bismarck folgende authentische Auskunst: Das Befinden deS Fürsten ist unverändert. Der Schlaf in der letzten Nacht war gut. Es ist kein Grund zur Beunruhigung vor handen. E» ist selbstverständlich, daß daS gute Befinden in der Nacht vom 26. zum 27- d. M. nicht hätte betont zu werden brauchen, wenn eS in den vorauSgegangenen Nächten ebenso gewesen und dann unverändert geblieben wäre. Daß ein beunruhigender Zwischenfall eingetreten war, geht auch auS folgenden Telegrammen hervor, die der „Voss. Ztg." zu gegangen sind: Hamburg, 27. Juli, 12 Uhr 5 Minuten. Die hiesige „Börsenhalle" meldet: Fürst Bismarck befinde sich gar nicht gut und habe seit mehreren Tagen das Bett nicht ver lassen können. Hamburg, 27. Juli, 12 Uhr 15 Minuten. Die Friedrichsruher Schloßangestellten erklärten, eS gehe dem Fürsten Bismarck gut. Die Wege zum Schloß und Park sind strengstens abgesperrt und bewacht. Die Besuche der Turner sind abgesagt, die Besichtigung des Parke würde ihnen verweigert. Gerüchte von dem Ableben deS Fürsten sind im Umlauf, aber falsch. FriedrichSruh, 27. Juli, 12 Uhr 35 Min. Professor Schweninger erklärt auf Anfrage, der Fürst habe eine gute Nacht gehabt und fast sieben Stunden geschlafen und befinde sich heute zwar schwach, aber besser. AuS der gleichen Quelle, wie die in unserem gestrigen Abendblatte mitgetheilte Meldung auS Braunschweig, scheint eine den „Berl. N. Nachr." zugegangene Nachricht zu stammen, über die der Telegraph Folgendes berichtet: Berlin, 27. Juli. Die „Berliner Neuesten Nachrichten" melden aus FriedrichSruh: Das Befinden Bismarck'S ist un verändert. Von Anschwellungen ist keine Rede. Der Schlaf ist gut. In den beiden letzten Meldungen ist von einem minder günstigen Befinden in letzten Tagen nicht die Rede; sie aber für zuverlässiger zu halten, als die unseres Hamburger Mitarbeiters und das, was die Gewährsmänner der „Hamb. Nachrichten" und der „Voss. Ztg." theilS ahnen lassen, theil- direct zugestehen, haben wir leider keine Ursache. Immerhin cheint der Zwischenfall beinahe vollständig überwunden worden zu sein und das ist in den Jahren des Fürsten vielleicht ebenso erfreulich, ja Wohl noch erfreulicher, als gleichmäßiges Befinden. DaS rasche Ueberwinden einer Störung kann ebenso überzeugend für eine kräftige Consti tution sprechen, wie das Ausbleiben einer Störung. Dem Gewährsmann des „Berliner Local-AnzeigerS" wird hoffentlich die Gelegenheit entzogen, die Welt noch ferner durch aufgebauschte Berichte zu beunruhigen; dem Fürsten aber wird die tiefe Erschütterung, die gestern die ganze deutsche Nation ergriff, eia neuer wohlthuender Beweis für die Würdigung sein, die selbst seine verbissenen Gegner seiner Größe und seinen unsterblichen Verdiensten angedeihen lassen, wenn da» überwallende Empfinden ihren Neid und ihren Groll zum Verstummen zwingt. Sie streikenden Aerzte in Barmen. Der Streik ist ein Machtmittel, dessen sich eine Macht gegen die andere bedient. Mit den von den Führern der Social demokratie so oft betonten und in den Vordergrund gestellten idealen Bestrebungen, die allen anderen politischen Parteien abhanden gekommen sein sollen, hat solch ein Machtmittel wie der Streik freilich nichts zu thun. Beim Kampf um ideale Güter handelt es sich um einen Streit der Geister, der nicht mit äußeren Machtmitteln zum Austrage gebracht werden kann. Trotz aller Betonung des Idealismus arbeitet die Socialdemo kratie aber doch mit einem solchen Machtmittel, ja, sie hat zeit weilig die Gewohnheit, den Idealismus ganz auf den Altentheil zu setzen. Der Streik ist ihr eine liebe alte Gewohnheit ge worden. Ist es da nicht überraschend, wenn Mitglieder des so genannten Claffenstaates in diese geheiligte Domaine des Socia- lismus mit frecher Hand hineingreifen und aus der social demokratischen Rüstkammer das beste Stück entnehmen, um es gegen den eigenen Bater zu schwingen — den Streik? In Barmen ist's, wo die Aerzte, welche die zahlreichen Mitglieder der dortigen Ortskrankencassen behandeln, in einen „Streik" eingetreten sind. Darob natürlich große Entrüstung in den Reihen der Socialdemokratie. Die Barmer OrtSkrankencasse ist, wie die vieler anderen Städte, in den Händen der Socialdemokratie. Dieser waren die Honorare der Aerzte zu hoch; außerdem kamen auch sonst die Aerzte den Wünschen der socialdemokratischen Mitglieder der Casse nicht genügend entgegen. Die Aerzte Barmens wehrten sich gegen die Forderungen socialdemokratischer Führer. Ver gebens; es blieb ihnen schließlich nichts Anderes übrig, als ge meinsam ihre Thätigkeit bei der OrtSkrankencasse einzustellen. Die Barmer Socialdemokratie will also Aerzte, die sich, wie es der ärztliche Beruf erfordert, die Freiheit des Handelns nicht nehmen lassen wollen, entlassen; man will die Besoldung der Aerzte herunterdrücken; man will die Cassen möglichst bereichern. Je mehr Geld die Casse hat, um so größer ihre Macht. Sic kann Aerzte anstellen und entlassen; anstellen solche, die gefügig, d. h. — um es offen zu sagen — Genossen sind; absetzen solche, die — wenn sie auch als Aerzte tüchtige Männer sind — sich eine andere politische Ueberzeugung gebildet haben. Hin und wieder lüftet ein kecker Hauch einen Zipfel des Schleiergewebes, mit welchem die Socialdemokratie ihr wahres Gesicht verhüllt. Man fühlte sich in der Barmer Ortskranken kasse bereits als Kapitalist, und nun zum Teufel alle Verstellung — wir haben das Geld, d. h. wir haben die Macht, und ge brauchen dieselbe. Dem Harmlosesten muß doch klar werden, wie verschieden die Worte der Socialdemokratie von ihren Thaten sind. Aber noch ein Anderes lehrt der Barmer Vorfall. Wer sind denn die Capitalisten, gegen welche die Casse vorging? Sind es die „Männer mit großem Vermögen", „die Schlemmer, welche den Schweiß der Armen verprassen", „die in Faulheit und Sinnentaumel dahinleben"? Es sind Aerzte, Männer der hin gebenden und opferfreudigen Arbeit; Männer, welche die milde Lehre Christi, mögen sie einem Glaubensbekenntnisse angehören, welchem sie wollen, in die That übersetzen; die wirklich den armen und geplagten Mitmenschen ihre Hilfe nicht versagen und opfer willig Tag und Nacht bereit sind, mit Einsetzung der eigenen Gesundheit ihren Beruf zu erfüllen. Für diese Männer giebt es keinen Achtstundentag und meistens keine Reichthümer. In ihrer großen Mehrzahl sind sie auf geringen Verdienst an gewiesen und alle- Andere als Capitalisten. Und gerade gegen diese Männer richtet sich die Socialdemokratie. Sie hat eine feine Nase; sie weiß, daß der Aerztestand bereits in hohem Maße proletarisirt ist, also nur munter drauf, noch mehr drücken, dann haben wir ihn ganz in der Hand. Das ist socialdemokratischer Idealismus, das ist die Freiheit, die uns Allen erblüht, sobald die „Genossen" die Macht in Händen haben, wie sie diese bei einem Theile der Krankencassen bereits besitzen — und ausüben. Die Aerzte haben in voller Erkennung ihres Berufes, der sie fern hält von den Rednern der Straße und dem ganzen politischen Getriebe, still geschwiegen, bis der Bogen, der zum Aeußersten gespannt war, nicht mehr halten wollte. Da haben sie in Barmen „gestreikt". Aber sie vergaßen, >die Bahnhöfe und Landstraßen mit Vertrauensmännern zu be setzen, um Zuzug fernzuhalten. Dieselbe Socialdemokratie, welche jeden Streikbrecher in Acht und Bann thut, welche die persönliche Freiheit des Einzelnen — ob er arbeiten will oder nicht — knebelt und als Verbrecher an der heiligen Sache hiw stellt, dieselbe Macht bedient sich der „schnöden Mittel der Capitalisten, der Unternehmer" — sie läßt sich andere Aerzte kommen. Die Socialdemokratie im Gewände des Capitalismus zeigt ihre Macht. Man hat ja Geld und Aerzte giebt es in Menge. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, den Gang des Kampfes in Barmen in seinen Details zu verfolgen. Für uns genügt es, zu sehen, wie sich der socialdemokratische Zukunftsstaat anlassen wird. Hier hat sich einmal der Schleier lüften lassen, und was man sah, das war nichts Ideales, das war Nichts, was sich mit den schönen Worten der Socialdemokratie deckte. Das war eine Gestalt aus Stein mit einer ehernen Ruthe in der Hand; in ihren Zügen lag keine Milde, kein Erbarmen, das war das Bild der verkörperten Macht, die mit ehernem, rücksichtslosem Fuß Alles hcrunterdrückt, was sich gegen sie aufzulehnen wagt. Mögen doch Alle, die aus unverstandener Humanität mit der Socialdemokratie liebäugeln, dieses wahre Gesicht nicht vergessen; mögen vor allen Dingen die deutschen Aerzte geschlossen Front machen, so lange es noch Zeit ist, mögen sie in dieser brennenden Frage vor allen Dingen auch ihrerseits eine Machtfrage seben, damit sie nicht eines Tages ohnmächtig von den allmächtigen socialdemokratischen Cassen mit ungeschminkter Wahrheit und Deutlichkeit hören müssen: „Ja, Macht geht vor Recht!" Die Necrutirung -es Jahres 1897 in Frankreich und in Deutschland. Nach den vom französischen Kriegsministerium veröffent lichten Ergebnissen der Recrutirung im vorigen Jahre betrug die Zahl der Altersklasse 1896 im Ganzen rund 338 000 Mann und ist um rund 6900 gegen das vorhergehende Jahr gestiegen. Diese Zunahme ist jedoch im Ganzen nicht sehr bedeutend. Die Zahl der Wehrpflichtigen eines Jahrganges ist seit 1893 stets schwankend gewesen und hat sich zwischen 343 000 im Jahre 1893 und 330 000—337 000 in den anderen Jahren bewegt. Wenn so die Zahl der Recruten sich in Frankreich nur unbedeutend steigert, so ist in Deutschland die Zahl der Dienstpflichtigen in stetigem Wachsthum begriffen, sie hat in diesem Jahre um 34 500 Mann zugenommen, der Jahrgang 1896 war rund 1048 000 Mann stark, beträgt also mehr als das Dreifache der französischen Recruten. Von älteren Jahrgängen, die zurück gestellt waren, kamen in Frankreich rund 76 000 Mann zur Untersuchung, in Deutschland aber 527 000 Mann. Die Zahl der zu jedem Dienste Untauglichen hat in Frankreich um 5300 Mann zugenommen und betrug 27 800 Mann, während sie in Deutschland 38 000 Mann beträgt. Aus diesen Zahlen geht hervor, daß die körperliche Tüchtigkeit der jungen Männer in Deutschland wesentlich größer ist als in Frankreich, denn bei einer dreifach größeren Recrutenzahl würde für Deutschland die Zahl von 82 000 Untauglichen entsprechen. Von den drei fran zösischen Jahrgängen wurden zusammen ausgehoben 231 278 Mann gegen W3 669 Mann in Deutschland, und es treten zu diesen ausgehobenen Mannschaften in Frankreich noch rund 18 000 Freiwillige für das Heer hinzu, in Deutschland aber 42 220, von welchen die Hälfte vor Eintritt in das dienst pflichtige Alter freiwillig eingetreten ist. Somit beträgt die Gesammtzahl der im vorigen Jahre zum Dienste Eingestellten in Frankreich rund 249 000, in Deutschland aber rund 265 800 Mann, wobei in Deutschland noch 9800 vollständig dienstbrauch ¬ bare Leute überzählig geblieben sind. Da in Frankreich seil mehreren Jahren jeder überhaupt zum Dienste brauchbare Mann auch wirklich eingestellt wird, so bleibt dort überhaupt Niemand mehr übrig, und es zeigt sich jetzt wieder, daß die Aufstellung weiterer vierter Bataillone nur dann möglich wird, wenn die einzelnen Truppenkörper noch schwächer als bisher gemacht werden. In Deutschland aber bleiben außer den schon erwähnten 9800 vollständig Tauglichen auch in diesem Jahre wieder zu sammen 188 470 Mann übrig, welche, mit kleineren Fehlern behaftet, zum Dienste im Felde brauchbar sind und im Frieden zur Ersatzreserve bezw. zum Landsturm 1. Aufgebots bezeichnet wurden. Wenn daher Frankreich auch in der nächsten Zeit mit Gedanken für Heeresvermehrung umgeht, so hat doch Deutschland mit seinem jährlichen Gesammtübcrschuß von 200 000 ein solches Uebergewicht über Frankreich erhalten, daß dort auch der wildeste Chauvin endlich zur Vernunft kommen sollte. Von den französischen Recruten ist wieder nahezu der dritte Theil, nämlich 72 000, zu nur einjähriger Dienstzeit berufen, und es ist gegenwärtig von Neuem die Frage ernsthaft behandelt worden, ob nicht die zweijährige Dienstzeit für die Infanterie allgemein eingeführt werden solle. Die Zahl der französischen Unterofficiere, welche sich zum Capituliren entschließen, hat sich gegen das Vorjahr um etwa 400 vermehrt und betrug 6817 Mann, allein diese Zahl ist bei der Gesammtstärke von mehr als 40 000 Unterofficieren immerhin noch verschwindend klein. Man hat die vor einigen Jahren auf 100 Francs herabgesetzte Jahreszulage der Kapitulanten wieder auf die frühere Höhe von jährlich 200 Francs gebracht. Die Kapitulanten erhalten überdies nach den neuesten Bestimmungen vom 10. Januar 1898 neben ihren Prämien von 240—600 Francs je nach Länge der übernommenen Dienstverpflichtung noch monatliche Zulagen von 9—21 Francs und, wenn sie nicht in der Caserne wohnen, außerdem noch monatlich 15 Francs, allein alle diese wichtigen Verbesserungen genügen nicht, eine größere Zahl von Unter officieren zum längeren Dienste zu veranlassen. Was uns auch in diesem Jahre, wie in allen früheren Jahren, wieder ganz be sonders auffallend erscheint, ist die verhältnißmäßig geringe Anzahl Derer, die sich in Frankreich dem Dienste entzogen haben. Nur 9600 Mann haben sich nicht gestellt, d. h. noch nicht 2,4 Proc., während in Deutschland 111000 Mann oder 7,2 Proc. ohne Entschuldigung ausgeblieben sind und 24 932 wegen un erlaubter Auswanderung bestraft wurden. Diese Zahlen zeigen, daß bei dem jungen Franzosen das vaterländische Gefühl mäch tiger ist als beim Deutschen, und daß es dort entschieden für eine Schande gehalten wird, sich dem Dienste im Heere zu ent ziehen, trotz der geringeren Schulbildung, welche im Allgemeinen der Franzose hat. Nahezu 5 Proc. aller französischen Recruten, nämlich 16 672, konnten weder lesen noch schreiben, 5000 Mann können nur lesen, aber nicht rechnen, und 45 600 Mann oder 13,5 Proc. begnügten sich mit diesen beiden Künsten, ohne eine weitere Schulbildung zu haben. Zur Fremdenlegion traten mehr als 5500 Mann ein, unter welchen leider Deutschland und na mentlich die Reichslande wieder trotz der schlimmen Erfahrungen, die diese Söldlinge machen, sehr stark vertreten sind. Der fran zösische Stabsofficier Roger de Beauvoir giebt in seinem 1896 erschienenen Buche über die Fremdenlegion die Zahl der in der Legion dienenden Franzosen auf nur 5 Proc., die der Deutschen auf 12 Proc. und die der Elsässer auf 45 Proc. an, so daß mithin 57 Proc. aller Legionaire Deutsche sind. Von den Elsässern sagt dieser französische Schriftsteller: „Arme Söhne des Elsaß, glücklich aus Deutschland zu fliehen, dienen sie dem Lande, aus welchem sie herstammen und dem sie unverbrüchlich anhängen. I Zu 3, zu 5 und zu 10 kommen sie zu uns, sie kennen nur das I Wort „I'ranee", und Thränen laufen ihnen über die Wangen, ! wenn sie die Tricolore sehen. In Tongking, in Madagaskar sterben sie als Fremde, deren Blut nicht zählt, während sie davon träumten, auf anderen Schlachtfeldern ihr Leben zu lassen. Wann endlich wird dieser Friedensvertrag zerrissen sein, der uns verhindert, die Elsässer in die alten französischen Regimenter einzustellen!" Wir wollen hoffen, daß bis dahin auch bei den Elsässern die Erkenntniß zum Durchbruch kommt, daß es für sie besser ist, ihrer Dienstpflicht in Deutschland zu genügen, als den Franzosen in den Colonien als Kanonenfutter zu dienen oder dem Klima zu erliegen. (Köln. Ztg.) Deutsches Reich. U Berlin, 27. Juli. Der Finalabschluß der Reichs- bauptcasse für daS Etatsjahr 1897 98 hat u. A. ergeben, daß eine Ueberschreitung deS Etatsansatzes der Ausgaben um Fettillctsn. Schwierige Sachen. Humoreske von Emil Peschkau. Nachdruck versoten. Der Directorial-Assistent Müggenberger ging wieder einmal so lange mit gefurchter Stirn, emsig seinen Hintrrkopf reibend, im Büreau auf und ab, daß sein College Hambrok kaum mehr das Lachen „verbeißen" konnte. Jetzt blieb Müggenberger stehen, und nachdem er Hambrok eine Weile angestarrt hatte, sagte er geheimnißvoll: „Was meinen Sie, College? Sagen Sie mir offen und ehrlich Ihre Ansicht. Kann ich eigentlich in diesem Anzug noch unter Leut? gehen?" Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als Hambrok bereit» einen krampfhaften Lachanfall bekam. Beleidigt wandte er sich ab. „Wenn man mit Ihnen kein ernste» Wort sprechen kann —" „Aber, lieber College", unterbrach ihn Hambrok mit dem ernstesten Gesicht, dessen er fähig war, „wer wird denn gleich so empfindlich sein! Ich mußte lachen, weil Sie eben eine komische Frage an mich richteten. Ich wundere mich längst, daß Sie, ein vermögender Mann, mit solch' einem Anzug herum gehen. Wenn Sie sich wenigsten» die Knopflöcher ausbeffern liehen!" Müggenberger nickte mit tragischer Miene. „Da» sind eben schwierig« Sachen, lieber College. Die Knopf löcher find einer der zahlreichen Mängel unserer Weltordnung. Sie halten nie länger, al» ein paar Tage. Don den Hemdknopf löchern hab' ich mich ja glücklich emancipirt, indem ich nur große! Cravatten trag«, aber Röcke chn« Knopflöcher giebt es leider nicht. Und Sie kennen ja die Miethfrauen aus Ihrer Jung gesellenzeit her. Ich wage mich an die meinige nicht mehr heran. DaS giebt gleich ein Gebrumme, al» wär'S wirklich eine Arbeit, die mit Goldstücken bezahlt werden müßte. Da kauf' ich mir schon lieber einen neuen Anzug, wenn'» eben nicht länger geht. Ich werd« also wieder mal in den sauren Apfel beißen müssen." Hambrok schüttelte so ernst als möglich den Kopf. „Für Sie kann doch der Apfel nicht so sauer sein. Da Sie nicht auf Ihr Gehalt angewiesen sind —" „Aber es handelt sich nicht um's Geld, lieber College. Das sind eben schwierige Sachen. Für mich wenigstens. Ihnen fällt das leicht, aber mir ist e» entsetzlich, einen neuen Anzug auszu suchen. Wenn man noch irgend eine treue, ehrliche Seele hätte, die einem sagen würde, ob d«r Anzug wirklich paßt. Ich wollte schon Sie bitten, mich zu begleiten, aber Sie sind auch nicht ganz ehrlich. Ack, verstellen Sie sich nur nicht, ich weiß ja, daß Sie mich innerlich doch auslachen. Und wa» haben Sie denn auch für ein Interesse daran, daß ich gut aussthe? Je komischer ich au-sehe, desto mehr können Sie über mich lachen. Ich will also lieber wieder allein den schweren Gang thun." „Warum lassen Sie nicht nach Maß arbeiten? — Wenn ich Geld hätte, wie Sie —" „Früher that ich'« ja. Aber da ist man erst recht der Ge foppte. Da muß man die Katze im Sack kaufen. Den fertigen Anzug seh« ich wenigsten», ehe ich ihn kaufe. Einiges Urtheil habe ich ja selbst, wenigsten« über di« Vorderseite. Wenn man nur ruhig ausfuchen könnte! Aber diese» ewige Ueberreden! Keiner sagt die Wahrheit! Und dann kommt die Qual der Wahl dazu! Schließlich folgt man doch dem Verkäufer und .. . «I ist eben eine ganz verfluchte Weltordnung. Ich wollte, ich wäre als Wilder zur Welt gekommen. Sie glauben also wirklich, College, daß ich in diesem Anzug nicht mehr unter die Leute kann?" „Sie haben mich ja lachen gehört. An die Wahrheit meines Lachens werden Sie doch glauben?" Müggenberger seufzte. „Sie haben Recht. Daran muß ich glauben. Ich will mich also heute auf die Reise machen. Was das für schwierige Sachen sind! Wo kaufen Sie jetzt Ihre Anzüge?" „Bei Meiersohn in der Friedrichstraße." „So. Na, da will ich's auch mal dort probiren. Sie sehen gut aus. Und die Knopflöcher?" „Die find auch bei Meiersohn nicht diel wexth. Meine Frau näht fie eben immer nach. Sie sollten auch heirathen, lieber College." Müggenberger schüttelte den Kopf. „Das find schwierige Sachen . . . sehr schwierige Sachen. Man müßte mal einen Preis aussehen auf Röcke ohne Knopf löcher. Das wäre tausendmal mehr w^th, als lenkbare Luft schiffe. Ich will aber jetzt das Ersen schmieden, so lange es noch warm ist. So — na — dann will ich also gehen. Es wird ja heute nichts mehr los sein. Wenn der Chef kommt —" „Dann sage ich, daß Sie beim Zahnarzt sind." „Beim Zahnarzt — ja wahrhaft-g — mir ist eigentlich gerade so zu Muth, als ob ich zum Zahnarzt müßte. Was das für schwierige Sachen sind!" Dann nahm er kopfschüttelnd Hut und Schirm, grüßte und ging. Hambrok aber sah lange nach der Thür find . . . . lachte . . . Das schwierige Werk gelang bei Meiersohn auch nicht rasck>r als anderswo, und als Herr Müggenberger endlich seinen Anzug bezahlt hatte, standen ihm wie dem Verkäufer die Schweißtropfen auf der Stirn. Die Kleidungsstücke waren aber noch nicht einge packt, als Müggenberger plötzlich erblaßte und erschrocken „Halt" rief. — „Zeigen Sie nochmals die Weste!" sagte er ängstlich. „Ich glaube nämlich . . . wahrhaftig ... der Ausschnitt ist ja für meine Cravatten viel zu groß!" Nun wurde der Verkäufer unwillig. Ohne den Einwand zu beachten, machte er das Packet fertig, und Müggenberger fand nicht den Muth, zu opponiren. Er beschränkte sich darauf, ver drießlich zu sagen: „Ich werde mir größere Cravatten kaufen müssen!" und dann, während schon wieder eine neue Sorge sich seiner bemächtigte, fragte er bittend: „Wo bekomm' ich denn wohl etwas Passendes?" Der Verkäufer sah ihn an, al» bemühte er sich, ein Lächeln zu unterdrücken, und dann geleitete er ihn zum Ausgang. „Da drüben, wenn'» gefällig ist. Da finden Sie Alles. Habe die Ehre." Müggenberger fühlte sich mehr todt al» lebendig. Er wäre jetzt am liebsten ausgekniffen. Kaum, daß er den Anzug über standen hatte, sollte er schon wieder ans Cravattenkaufen gehen! Das war ja an und für sich keine so schwierige Sache, aber sie wurde wieder dadurch erschwert, daß in den Cravattengeschäften die Verkäufer — Verkäuferinnen sind. Und Müggenberger hatte, obwohl sich sein blonder Haarschopf bereits bedenklich zu lichten begann, seine Schüchternheit dem weiblichen Geschlecht gegenüber noch immer nicht überwinden können. Aber e« mußte sein — also lieber gleich, als erst noch ein paar Stunden lang mit dieser unbehaglichen Aussicht in die Zukunft herum gehen! Al» er tn dem Lravattenladrn seinen Wunsch autgesproche«
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite