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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.07.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-07-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980729011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898072901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898072901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-07
- Tag1898-07-29
- Monat1898-07
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Manche oieser alten Geheimmittel werden freilich schon in den alten „Kräuter büchern" ihres Nimbus entkleidet. Und heute? Heute, in dem Zeitalter der Aufklärung, haben die Geheimmittel wieder eine Bedeutung gewonnen, die es für den Staat zur Pflicht macht, auf sie rin wachsames Auge zu haben, um die Leichtgläubigen vor Betrug und Schwindel zu bewahren. So sind denn die ver schiedenartigsten landesgesetzlichen Vorschriften zum Schutze des Publikums erlassen worden und namentlich hat man den Gehcimmitteln dadurch den Garaus machen wollen, daß man das öffentliche Ankllndigen bez. Anpreisen derselben verbot. In Sachsen sind erst kürzlich neue gesetzliche Bestimmungen dieser Art publicirt und von uns an dieser Stelle besprochen worden. Jetzt wird die Geheimmittelfrage von Neuem in den Vordergrund der gesetzlichen Fragen gerückt, weil verlautet, daß im Reichsamt des Innern bez. im kaiserlichen Gesundheitsamt Vorbereitungen für eine einheitliche Regelung der Geheim« Mittelfrage getroffen worden seien und ein Beschluß des Bundesrathes in Aussicht stehe. Nicht zum ersten Male wird an eine reichsgesetzliche Regelung des Geheimmittelwesenk gedacht. Die ungleichmäßige Behandlung der Geheimmittel in den verschiedenen Bundesstaaten mußte zu Unzuträglichkeiten führen. Aber immer, wenn man den Versuch einer einheitlichen Regelung machte, scheiterte derselbe daran, daß es nicht gelang, eine klare Definition de» Begriffes „Geheimmittel" zu geben. Ob es dem kaiserlichen Gesundheitsamt gelungen ist, eine Halbwegs annehmbare De finition zu finden? Wir möchten es bezweifeln. Auch die in Sachsen dellenden gesetzlichen Bestimmungen haben dies« De finition nicht gegeben. Der Judikatur bleibt es daher vorläufig noch überlassen, im einzelnen Falle zu entscheiden. Daß dieser unsichere Rechtszustand mit empfindlichen Nachtheilen für Alle verknüpft ist, welche im guten Glauben handeln, von der Judi katur aber eines Anderen belehrt werden, ist oft genug constatirt worden. Geben doch die Verwaltungsbehörden den Interessenten im Voraus meist nicht einmal einen Bescheid darüber, ob das von ihnen erfundene Heilmittel als ein „Geheimmittel" anzusehcn sei oder nicht. Und hat eS die moderne Judikatur doch glücklich so weit gebracht, daß bei Ankündigungen von Gehrimmitteln in der Presse nicht nur der Anzeigende, der das Inserat anfgiebt, sondern auch der Inhaber der Annoncenexpedition und der Redakteur als Mitthäter bestraft werden, der Letztere sogar dann, wenn er nach Fassung der Anzeige zu dem Glauben berechtigt war, es handle sich nicht um die Ankündigung eines Geheimmittrls. Die letztere monströse Ansicht ist glücklicherweise nach einem Plenarbeschlüsse des Reichs gerichts nicht mehr haltbar. Aber das schließt nicht au«, daß der Redakteur einer Zeitung trotzdem haftbar ge macht wird, wenn im Jnferatentheil ein Geheimmittel an gekündigt ist — vorausgesetzt, daß ihm ein Verschulden bei- zumessen ist. Wann ist die» der Fall? Der Laienverstand könnte sagen, wenn dem Redakteur bekannt ist, dag eS sich um ein Geheimmittel handelt, wenn er aus der Art der Ankündigung das ersehen muß. Ob der Juristenverstand dabei Halt machen wird? Die Judikatur in den einzelnen Staaten hat gelehrt, daß man dem Redakteur geradezu eine Prüfung des Mittels auf seinen Charakter als Geheimmittel hin octroyirt. Bei allen den zahlreichen Husten-Bonbons, Haarwassern, Verdauungspillen u. s. w. möchte erst eruirt werden, ob ein Geheimmittel in Frage kommt. Diese Prüfung kann aber nur gelingen, wenn der Begriff des „Geheimmittel»" fefifieht, und damit sind wir wieder bei der gefährlichen Klippe angelangt, von der wir aus fuhren und an der das Schiff wohl abermals scheitern dürft«. Dem Gesetz dürfte Genüge gethan sein, wenn der Verfertiger deS Geheimmittels, welcher sein Mittel kennt und die Vorschriften hinsichtlich solcher Mittel kennen muß, wegen der veranlaßten öffentlichen Ankündigung — denn schon diese, nicht nur die An preisung, ist strafbar — belangt würde. Warum in Mitthaterschaft obendrein den arglosen Redakteur einer Zeitschrift belangen? Wer nur eine Ahnung von dem ZeitungSbetrirbe besitzt, — es soll allerdings Juristen geben, denen selbst diese Ahnung fehlt — der wird die Unmöglichkeit einer Prüfung der Inserate auf ihren Gehcim- mittel-Charakter hin durch den verantwortlichen Redakteur einer periodischen Druckschrift, die nicht Fachschrift ist, einsehen. Lediglich um einer juristischen Consequenz willen wird der Presse, der in letzter Zeit ja so manche juristische Ueberraschungen be schert worden sind, eine neue Last aufgebürdet! Die „Geheimmittelfrage" ist in der „Deutschen Juristen- Zeitung" vom Kainmergertchtttrath Vr. K r o n e ck e r in Berlin, wohl mit Rücksicht auf die vom kaiserlichen Gesundheitsamt ge plante einheitliche Regelung derselben, jetzt eingebend, unter Be rücksichtigung der vorhandenen Judikatur, ventilirt worden, und eS ist interessant, zu sehen, wie rin erfahrener und angesehener Jurist, entgegen der herrschenden Judikatur, zu Gunsten der Fabrikant«» und d«r Press» die Fahne d«r Toleranz aufhißt. In der Hauptsache werden von der Judikatur al» Geheimmittel all« vorgeblich mit brsonderer Heilkraft begabten, staatlich nicht anerkannten, in Arzneiform dem menschlichen Körper innerlich oder äußerlich einzuführenden Heilmittel betrachtet, deren Natur, Zubereitung und Zusammensetzung nicht deutlich erkennbar ge macht wird. Bei dieser Begriffsbestimmung aber fallen noth» wendiger Weise unter die Heilmittel auch Liköre zur Heilung oder Verhütung von Magenkrankheiten, z. B. ostindischer Magen likör, Mariazellcr Magentropfen, frrncr alle kosmetischen Mittel zur Verhütung des Ausfallen» der Haare, Aüfspringens der Haut, dir Mittel gegen rotht Nasen und Hände u. s. w., die Mittel zur Beseitigung de» Bandwurm», von Hühneraugen, wie zur Beseitigung der Trunksucht, und viele» Andere mehr. Man sieht, es werden mit dieser Definition — und eine bessere dürfte gefunden werden — auch Mittel von der Ankündigung ausgeschlossen, die sich als nützlich erwiesen haben, ohne „staatlich anerkannt" zu sein und die man im Grunde auch gar nicht hat treffen wollen. Die Strafbarkeit der Ankündigung solcher Heilmittel fällt allerdings weg, wenn Bestandtheile und Zusammensetzung der selben gleich bei der Ankündigung angegeben werden oder all gemein bekannt sind. Wem kann aber zugemuthet werden, daß er sein Geheimniß so ohne Weiteres preisgiebt und die Kon kurrenz geradezu heraussordert? Muß doch nicht einmal nur jeder Bestandtheil, sondern auch das Verhältniß der Bestand theile zu einander angegeben sein. Ja, man ist so weit gegangen, die Angabe der Zubereitungsart zu fordern. Und wie, wenn nun bei der Ankündigung nicht alle Bestandtheile angegeben sind? Dann ist der Verfertiger und Inserent strafbar. Ist es auch der verantwortliche Redakteur? Wir sagen: Nein! Ob das auch immer die Juristen sagen werden? In einigen unserer Bundesstaaten, wo man der Presse nicht gern giebt, was der Presse ist, sondern ihr als einer unbequemen Macht das Leben sauer zu machen Pflegt, wird man unter Umständen verlangen, daß der Redakteur „mit Hilfe von Sachverständigen und durch Studium wissenschaftlicher oder technischer Werke" die Zu sammensetzung des Heilmittels prüft. Das wäre nur die äußerste juristische Consequenz in dieser Angelegenheit. Wir sind keinesfalls Anwälte des Geheimmittelwesens. Wir geben zu, daß diese Geheimmittel in nur allzu zahlreichen Fällen eine Schädigung des Volkswohlstandes bedeuten, daß sie oft genug eine Schädigung der Gesundheit zur Folge haben, aber die Art und Weise, wie die Geheimmittelfrage jetzt meist geregelt ist, auch bei uns in Sachsen, wirft doch schädliche Heilmittel und unschädliche, harmlose Stärkungsmittel, sowie kosmetische Mittel in einen Topf! In dieser Beziehung sind Unterschiede geboten. Man kann Kronecker vollständig beistimmen, wenn er am Ende seiner eingehenden Untersuchung resumirt: „Danach ist der Be griff Geheimmittel gesetzlich nicht zu definiren, sondern auf zugeben. Ankündigung und Anpreisung schädlicher Mittel ist zu verbieten, diejenigen differenter (die bei richtiger Anwendung nützen, bei falscher schaden), in der Fachpresse zu gestatten. A n - kündig ung und Anpreisung harmloser Stär- kungs- und Krankheitsverhütung»m i t tel, sowie der Kosmetik ist freizugeben. Im Uebrigen ist zwischen Ankündigung und Anpreisung zu unter scheiden: Die Anpreisung von Heilmitteln, mag sie öffent lich oder privatim, durch Aufdruck oder Abgabe vervielfältigter Empfehlungen u. s. w. geschehen, ist zu verbieten. Die bloße Ankündigung unschädlicher Heilmittel ist zu gestatten. Vom Reichsgesundheitsamt sind periodisch Listen der Heilmittel aufzustellen und zu veröffentlichen, dir als unschädlich zu er achten und d«r öffentlich««, Ankündigung zu überlassen sind. Daß eine solche Freigabe als Reklame benutzt werden könnte, ist nicht zu besorgen, da nur die Ankündigung gestattet werden soll." Die Klagen aus dem Kreise der Industrie werden bei einer Durchführung dieser Vorschläge mehr und mehr verstummen. Nicht so leicht die aus dem Kreise der Presse, wie die „Kölnische Zeitung" optimistisch glaubt. Wie soll der Schriftleiter einer periodischen Druckschrift wissen, ob ein schädliches Mittel vor liegt? Ober ob eS unter die in der Ankündigung freigegebenen Mittel zu rechnen ist? Was soll ihm die Liste nützen, die ein zelne freigegebene Heilmittel aufsührt, wenn ein darin nicht auf geführtes, aber doch unter Umständen nützliches und harmloses Heilmittel inserirt werden soll? Nach unserem Dafürhalten wäre es richtiger, periodisch Listen zu veröffentlichen, welche die schädlichen, von der Ankündigung ausgeschlossenen Heilmittel ent halten, und nur den Redakteur haftbar zu machen, der, dieser amtlichen Liste zuwider, schädliche Heilmittel ankündigen läßt. In anderen Fällen, wo der gute Glaube ihm nicht abzusprechen ist, wäre seine Haftbarkeit, die trotz ihrer juristischen Begründung eine thatsächliche Ungerechtigkeit enthält, außer Angriff zu setzen. Dann erst werden auch die Klagen aus dem Kreise der Presse verstummen! Deutsches Reich. L Berlin, 28. Juli. Die socialdemokratische Partei trägt sich allem Anschein nach mit der Absicht, die seit mehreren Jahren zurückgestellte Agrarfrage wieder auf das Programm ihrer Parteitage zu setzen. Dies ergiebt sich aus einer statistischen Betrachtung, die auf Grunv der seit 188 l in sechs ReichStagSwahle» abgeaebenen Stimmen zu den, Ergebniß kommt, daß in den Großstädten über 100 OVO Einwohner ein Zustand der Sättigung mit socialist'schen Wählern erreicht sei, und daher in den kleinen Städten und auf dem Lande nun da- Feld der nächsten Eroberungsüige liege. Zum Beweis dafür werden folgende Slimmenzahlen angeführt: im ganzen Reich 1881 31196b 1893 1 786 738 1898 2 120 000 Zu den großstädtischen Wahlkreisen rechnet der „Vorwärts" die folgenden 35: Berlin I bis VI, Hamburg I bis III, München I und H, Breslau I und H, Dresden I und H, Altona, Chemnitz, Nürnberg, Braunschweig, Stettin, Elbrr- feld-Barmen, Hannover, Königsberg i. Pr., Frankfurt a. M., Magdeburg, Bremen, Stuttgart, Hall« a. S., Leipzig, Straßburg i. E., Düsseldorf, Köln, Danzig, Aachen, Crefeld. Für die socialistische Agitation ergiebt sich, so schließt der Artikel, daraus die praktische Forderung, für die Zukunft die vorhandenen agitatorischen Kräfie möglichst auch in den Mittel- und Kleinstädten, sowie auf dem flachen Lande nutzbringend zu verwerthen. „Da durch wird nicht blo» die raschere Gewinnung dieser Bc- völkerungsschichten für die Ideen veS SocialiSmuS erreicht, sondern auch ganz besonder« dafür gesorgt werden können, daß die Stärke unserer parlamentarischen Vertretung in ein günstigeres Verhältniß zur Zahl der socialistischen Wähler gesetzt wird." Für diese Offenherzigkeit sind wir um so dankbarer, als wir schon s«it Jahren darauf hingewiesen städt«n 16l 059 böü 343 625 000 Großstädte 5l,6L 31,08 29.48 Feuillrtsn. Die spanische Commune. Ein Grdenkblatt zur Erinnerung an dir Revolution itt Cartagena, von Louis Abel. Nachdruck vetditkn. Was wird au» Spanien werden? Diese Frage beschäftigt schon jetzt Tausende und Abertausende und tritt mit jedem Tage unmittelbarer hervor. Wir werden Spanien» Geschicke sich entfalten, wenn eS den unvermeidlichen, verlustreichen Frieden geschlossen hat? Wird das spanische Volk den schweren Schlag mit Ruhe und Geduld ertragen? Wird der Frieden mit der Union nur der Beginn schwerer innerer Kämpfe sein, zu denen sich dir Karlisten und die Republikaner bereits heimlich oder offen rüsten? Die Vergangenheit ist der Spiegel der Zukunft, und «in Blick in sie kann uns zeigen, was dem unglücklichen Volke bevor stehen mag, wenn es in eine neue Aera der Bürgerkriege tritt. Gerade jetzt Ist ein Dierteljahrhundert über «ine Episode der spanischen Geschichte htngrgangen, die unter den heutigen Ver hältnissen einer Erinnerung wohl werth ist. Damals war ganz Europa voll von den Ereignissen von Cartagena. und nicht am wenigsten Deutschland, dar durch eine elgenthUmilche Verkettung der Dinge mit jener Revolution In nähere Berührung trat. Mag denn der Vorhang über einem Stücke Geschichte wieder ausaehen, das jene Merkwürdige Vereinigung von Grausamkeit und Narr heit, von Fanatismus und Lächerlichkeit zeigt, die die Tragi« comödten der Historie -u charskteristten pflegen. König Amadeo's kurze und freudenlose Herrschaft war vor« über, Spanien — Vas Land, dessen berühmter Wahtspruch seit Jahrhunderten „Gott und der Kvnia" gewesen war — zur Re« publik erklärt, und Pt y Maraall führte da» Steuerruder des Staate^ ein asketischer Fanatiker der Theorie, der aber den realen Dingen gegenüber lässig und schwach war. Durch lange, unausgesetzte Kämpfe zerrlltt« und gelockert, der Stütz« de» He«t<» beraubt, begann der spanische Staat in dem Auaenbkick«, da ein unschlüssiger und autaritiUsloser Mann di» Führung übernahm, völlig aut den Fugen zu gehen. Jndeß im Norden die Anhänger des Reh Carlos VN. stetig an Boden gewannen, bildete sich km Süden de» Lande» eine föderative Bewegung, deren Ziel die Errichtung einer Bundesrepublik unter Wahrung der vollständig«» Selbstständigkeit d«r einzelnen Land«sth«ilr und Bezirk« war. „Canton," schossen wi« Piu« aus d«r Erde. Ali« cantt, Castellon, Granada, Sevilla, Catztjk, Huelva UN» andere Orte meldeten »er Madrider Regteruna ihr« Stadlirung al» selbstständige republikanische Santone, «der es war keineswegs eine reist politisch« Bewegung, die da im sonnigen Süden um sich griff; rin starker sotialer -kiaeschmack haftete tzr an, und üderalt in den neuen Lantonen tauchten zweideutige Tristen««, auf, dl» -.ach der Gewalt strebten, tauchten finstere, ntttzeee vtid«nscha»t«n die nach rohen Gewaltthaten verlangten. Jll Alcoh Snüpften sich an eine Arbeitseinstellung, mit der die Revolution strgarur, dt« entsetzlichst«« Blutthaten; die Behörde« wurde« von den Aufrührern im Rathhausr, «in Gefangener in einer mit Petroleum gefüllten Badewanne verbrannt. In Granada hob die neue EantonsregittUNg ihre Dhiitigkeit damit an, daß sie den Reichen «ine Steuer von 6 Millionen auferlegtk, einem Bank haus« 10 000, «inrm Grafen 70 000 Douros abprehte. Hier war ein Schuster Ftnanzminifler, «in SUrtl« verwaltete die Justiz ein Schneider und ein Hutmache« bildeten den Kriegsausschuß. All' di«» gemahnte aN die Züge der noch in frischem Gedächtnisse lebenden Schreckenstage der Parts» Commune, und mit dieser grauenvollen Episode der französischen Geschichte batte der spa nische Cantonsrevublikanismu» auch die geflissentliche Betonung des internationalen Charakter» gemeinsam. Selbst da» revo- lutionair« Schulzenamt in San-Lucat de Barrameba geberdete sich al» ein« Art selbstständiger internationaler Macht. Von ein» unerwarteten Bedeutung aber wurde diese soderative Und kommunistische Bewegung, al» es ihr gelang, sich in CartagiN» tn den Besitz erheblicher mtlitairischer Machtmittel zu bringen. Der Held der glorreichen Revolution von Cartagena war ein sehr dicker Herr, der aber rin sehr militaitisches und schneidiges Auftreten lieble und in den Bürgerkriegen allerdings gelegentlich «in« rUSsichWtosr Tapferkeit bewiesen hatte. Er thät sich viel auf sein« weltmännischen Manieren zu Gute und trat doch zugleich als brr Rothepr der Rothen aus. Ein Abenteurer, der seine Partei in den Bürgerkriegen scrupello» gewechselt hatte, ein General, brr selbst di« Mannrzucht in Tatalonien unter- araben batte, rin grosser Republikaner, der goldstrotzende Uni« formen liebt« und für Geld und Gut» wenn r» ihm erreichbar war, »sllts Berflltndnist hätte, -- da» wa, Juan Con treras, der im Juli 1878 in Begleitung »Ine» der extremsten Tork«»abge»»dn«ttn, Antonio Galvtz, in Cartagena eintrak, und Dank der Untdcktigkeit dn localen Behörden, de» schwankenden und zweiselhasisn Verhalten» Pt y Maraall'» fast ohne jeden Widerstand sich nicht allein im Handumdrehen aller wichtigen Punrte der Stadt, sondern auch dz- Hafen» und der in ihm li«a«nden fünf grossen Kriegsschiffr bemächtigte. Im Besitzt diAer Gewalt, eonstituirt« er den „Staat von Murcia", an dessen Spitze er und fein« Gesellen traten, und während er in hohem Selbstbewusstsein »l» der «Präsident de» Canton» von Murria" an den Dtetatsr Pi al» den „Präsidenten de» Santons von Madrid" telegraphirte und ihn von der Begründung de» neuen Freistaate» in KeNNtNist fetzte, begann in der von ihm mit so völliger Freiheit beglückten Stadt ein wahrer Hexen- sabbath. Die bestehenden Steuern wurden aufgehoben und neu« ein« gefühlt. Lustig wurde drauf losverhaftet und di« Verdächtigen mußten ihre Ließ« zur Freiheit und zum Canton Murcia durch tüchtig« Griff« in den Beutel beweisen. Dir Grubenarbeiter der Umgtduns (fv «»zählt Lauset) kamen in die Stadt; sie wollten VIN »en StöttrN «htt» «rbiit und ihr«» Unterhalte» nichts wissen. Das SchiffsvGk machte unt»r Ssntreras und Genossen nicht auf dem Posten bleiben und drängte sich betrunken und schreitssd IN den Straßen Sartagenas. Zum Ersatz gab die murcianisch« Regierung I80o Gtrtiskinaen aus dem Bagno die Freiheit, be mannt« mit ihnen tzi« Schiff« Und «railnzte ha» Leer. Der Schrecket, der ComMuNe regierte in all'seiner Zügellosigkeit und Wildheit in der alten Römerstadt, deren Bevölkerung sich gegen dt« neue« Fnthettsdespoten nicht zu erheben wagt«. ... Ja, e» gab «in« richtige „murcianisch« Regierung". Der Herr Minister des Auswärtigen, Roque Barcia, rin höchst radikaler Journalist, begann sein Amt damit, daß er in La Palma, der Station vor Cartagena, alle ankommenden Zeitungen verbrennen ließ, damit di« Cartagenesen nicht etwa durch schlechte Lectür« ^schädigt würden. Der Colonialminister aber, dem uns bereits bekannten Tenor Galvez, fiel die Ehre zu, eine Ex pedition zu unternehmen, die die benachbarten Städte de» Can- toNs zum Anschluss« an die Nelle Staatsregierung bewegen sollte. Die Excellenz gürtete einen großen Säbel Um die Blouse, be waffnete sich obendrein mit einem Revolver und so schiffte sich der „Oberbefehlshaber der murcianischen Streitmächte zu Wasser und zu Lande", der seine frühere Eigenschaft als" Weingarten besitzer dadurch documeNtikte, daß er seinen landesüblichen BinseNschuhen treu blieb, allf dem Dampfer „Vigilante" ein. Der Bedeutung des von ihm mitregierten Staate» entsprechend, setzte Galvez gleich drei Flaggen an seinem Schiff: die spanisch«, eine rothe und eine roth-gelb-violette, die die Trikolore de» Staates Murcia darstellen sollte. Eben dieser Flaggenreichthum ober erregte den Verdacht de» Commodore Werner, Capitains der deutschen Fregatte „Friedrich Karl", kt unterzog das Schiff und seinen SommandaNten einem näheren Verhöre, und als ihm der tapfere Galvez erklärte, auf dem mit Pulver und Geschützen ausgerüsteten Fahrzeuge eine „Lustfahrt" zu machen, so nahm er den sonderbaren Spazterfahrer nach Seerecht gefangen. Jndeß der „Vigilante" uni«, deutscher Flagge nach Gibraltar gebracht wurde, dampfte der „Friedrich Karl* mit dem murcianischen Colonialminister zurück nach Cartagena. Hier erhob sich ein Sturm der Entrüstung. Contreras ließ sich Schärpe und Säbel bringen, und drohte „Preußen" sofort den Krieg zu erklären; di« Menge aber bedrohte da» Leben deS deutschen Konsuls, seine Angehörigen und sein Sigenthum. Endlich entschloß sich di« Republik Murcia zu einem Vertrage, wonach bis zum 38. Juli keine» ihrer Kriegsschiffe den Hafen verlassen durfte. Bis dahin konnten di« fremden Kommandanten von ihren Regierungen instruirt sein, wie sie sich zu der von der Madrider Regierung für PIratkNschiffr erklärten Armada de» neuen Freistaat«» zu stellen hätten. Kaum war diese Frist verstrichen, als Contreras selbst mit zwei Fregatten in See ging, um für den Staat Murcia zu streiten. Seine wahren Beweggründe verrieth der murcianisch« Admiral freilich, al» I» von o«r Stadt Almeria Anschluß an den CantoN und 100 000 Douros verlangte, zugleich aber ver ächtlich erklärt«, der Anschluß Almerias an die Bewegung sei ihm ganz gleichgiltig. Und als Almeria di« ContributioN nicht zahlen wollte, beschoß der Tapfer« die offene Stadt, die jedoch die Angreifer mit blutigen Köpfen hetmschickte. Nicht viel besser erging es Contreras am 1. August vor Malaga, wo ihn wieder da» deutsche Schiss im Vereine mit den Engländern in Rücksicht auf da» Leben und Sigenthum der fremden Staatsangehörigen am Angriff« hinderten. Sie brachten die beiden murcianischen Fregatten nach Cartagena zurück und Don Juan I. mußte zeit weilig al» Geißel aus dem „Friedrich Karl" bleiben. Doch litt fein Selbstbewusstsein zum Glück hierdurch nicht. Den getreuen Murcianern gab er bekannt, dass seine Schiffe di« deutsche Fregatte zwangsweise nach Cartagena gebracht hatten, und gab ihnen zu verstehen, daß er ganz Spanien zur Unter werfung unter die Regierung von Murcia zu bringen hoff«. Er hatte in der That eint förmliche Gegenregitrung gegen die Macht haber in Madrid eingerichtet; und da er sich auf eine nichtun- erhebltche Gruppe radikaler Föderalisten in den Corte» stützen konnte, da die Madrider Regierung ihm zur See entschieden Nicht gewachsen war und bet der allgemeinen Desorganisation auch zu Lande zur Zeit wenig thun konnte, so waren Contreras' Pläne einen Augenblick doch mehr al» bloße Phantasten. Um sie zur Ausführung zu bringen, verkündete der Diktator, nunmehr Madrid erobern zu wollen. Er ließ sich zu diesem Zwecke eine neue, reich gallonirte Uniform anferttgen und fuhr mit 2000 Mann auf der Eisenbahn bi» nach Chinchilla, wo sich die Linie nach Madrid abzweigt. Hier traf er zum Unglück auf eine Abtheikung RegierungstrupptN Unter General Salcedo; er hätte ohne dies Hinderniß die Bahnfahrt gewiß fortgesetzt. Nunmehr zog er die Rückfahrt nach Cartagena vor; da aber die Feinde die Schienen aufgerissen hatten, so entgleiste der Zug, an di« 400 Mann wurden von den Regierungstruppen gefangen genommen, und Contreras selbst entrann nur in einer Verkleidung. Ueberhaupt war er noch ganz guter Dinge. Er trieb überall Gelder bei, konnte bei dem großen Wirrwarr, der in Madrid herrschte, wohl noch auf einen Umschwung zll seinen Gunsten hoffen, und vor Campos' Nachfolger, Ceballos, einem trefflichen „Tresillo"-Spieler, fürchtete er sich auch nicht besonders. Er fühlte und betrug sich durchaus als Leiter eines europäischen Staate», und da er Uber anderen dringenden R«gierung»g«schäften noch keine Zett zur Ernennung von Gesandten an den fremden Höfen gefunden hatte, so Übergab er einstweilen den Tonsuln Noten an ihre Regierungen. Freilich gestaltete sich dt« Situation in der Stadt allgemach bedenklich. Her Pöbel regierte und hielt di« Verständigen und zur Einsicht Gekommenen mit den Mitteln der Gewalt und des Wahnsinns am Boden. Schliesslich war ganz Cartagena die willenlose Beute eines Briefträgers und seiner Gesellen, die sich des beherrschenden Fort» Galera» bemächtigt hatten, dort sich behaupteten und die Stadt mit ihren Batterien zwangen, sie zu verproviantiren und ihre Wünsche zu erfüllen. Die letzten Aus sichten Murcia» und der föderativen Republik zerstörte der 3. Januar, der Tag, an dem General Pavia di« Cortes aus- rinanderjagt« und eine Neue Regierung der Sonctntration und Snerqie ins Leben rief. Den seltenen Tttstllo-Virtuosen ersetzte General Lopez Dominguez, der di« Belagerung mit Eifer »eirseb und Contreras begann zu denken, daß es Zeit sei, sich au» Sem Staube zu machen. Al» Dominguez am 11. Januar 1874 das wichtige Fort Atalaha bereit» genommen hatte, begab lickt Don Juan mit seiner Junta auf die Fregatte „Numanria , durch brach glücklich die Blockade und entkam nach Algier. Am folgen den Tage capitulirt« Cartagena — der Staat Murcia war ge wesen. Ein paar arm« Menschen, Vie ernstlich an di» Ideale des föderattden Republikanismus geglaubt batten, bezahlten die Zeche. Völlige Zerrüttung de» Wohlstandes und der Ordnung, tiefgehende Erregung der Pöbelletdenschoft: da» war «», was der Held der Revolution von Cartagena, der sich in Algier seiner Thaten rühmen konnte, hinter sich liess. So endete die spanisch« Commune. Greuel, Rohheit, Eigen nutz, Narrheit theilt sie mit der Cömn^ine von Pari» — den Heroismus Nicht. Sie zeigt, waS zu erwarten steht, wenn daS Jahrhunderte lang geknechtete und corrumpirt« Volk Spanien» die Schranken der Ordnung niederwirft«
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