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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.07.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-07-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189807316
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18980731
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18980731
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-07
- Tag1898-07-31
- Monat1898-07
- Jahr1898
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.07.1898
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Größere Schriften laut unserem Preis- vrrzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsotz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderuog 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stund« früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Sonntag den 31. Juli 1898. 92. Jahrgang. Aus -er Woche. Eine bange Woche liegt hinter uns; angsterfüllt waren die Augen nach FriedrichSruh gerichtet, wo der Gesundheits zustand des tbeuersten deutschen Mannes seiner Familie Besorgnisse einflößte. Heute dürfen wir die Gefahr als be schworen ansehen; der gewaltige Leib, den die Natur dem gewaltigsten Geiste als Gehäuse gegeben, hat abermals über das alte Leiden den Sieg davongetragen; Professor Schwe- ninger's vor einigen Jahren geäußerte Zuversicht, er werde den Fürsten Bismarck auf das Alter seines kaiserlichen Herrn bringen, ist im deutschen Volke wieder lebendig geworden. Daß die Oeffentlichkeit über die Wohl schon in der vorletzten Woche eingetretene unerwünschte Wendung im Befinden des Altreichskanzlers nicht rechtzeitig und recht unterrichtet worden War, hat den Verbreitern der aufregendsten Gerüchte daS verächtliche Handwerk wesentlich erleichtert. Das hat auch die Umgebung des Fürsten eingesehen und wird in Zukunft dafür sorgen, daß dem deutschen Volke nichts vorenthalten wird, was seinen größten Mann betrifft. Fürst Bismarck fürchtet außer Gott nichts und wird Bulletins, die sein ge treuer Arzt ausgegeben hat, lesen, ohne sich zu erregen. Jetzt haben wir daS von ihm selbst an die Turner ausgegebene humo ristische Bulletin und damit einen Ausspruch, der uns BiSmarck ganz und gar als den alten zeigt. Möge er der noch lange bleiben! Die Turner mußten das heiter-liebenswürdige Wort des Verehrten als Ersatz dafür, daß sie sich seines Anblickes nicht erfreuen durften, mit nach Hause nehmen. Sie bedauern diesen Verlust vielleicht auch deshalb, weil ihnen der größte Kenner und Berather des deutschen Volkes möglicher Weise ein Wort über die geplante Einrichtung der Nationalfestspiele gesagt hätte, die ja die Turnerschaft nahe berührt. Man hat aus Anlaß deS beendeten 9. deutschen Turnfestes die Frage aufgeworfen, ob die beabsichtigte Neuerung den turnerisch wie national geschichtlich bedeutsamen Brauch der Turnfeste nicht beein trächtigen werde und ob es sich empfehle, eine urdeulsche Eigenthümlichkeit durch Veranstaltungen, die auS fremdem Boden ausgegraben seien, zu gefährden. Vielleicht bietet sich bald eine andere Gelegenheit, diese Frage dem Fürsten zur Entscheidung vorzulegen. Die Erkundigungen, die Herr v. d. Recke wegen der Ausbreitung der Socialdemokratie namentlich auf dem platten Lande einziehen läßt, werden vielfach verspottet. Man sagt, der preußische Polizeiminister müsse sich nachgerade selbst über die Ursachen der schlimmen Erscheinung klar geworden sein. Dem möchten wir nicht beipflichten. Die Landwirthe, die den Regierungspräsidenten zu berichten haben werden, und diese selbst stehen den Dingen doch näher als der Verwaltungschef in Berlin; sie verstehen insbesondere locale und persönliche Momente, wo solche auf Wahlergeb nisse Einfluß gehabt, zu erkennen und zu würdigen, wozu die Ccntralstelle nicht im Stande ist. Aber einen Grundfehler, das ist den Kritikern zuzugeben, werden und müssen die eiugeforderten Berichte haben. Die Beamten der politischen Verwaltung in Preußen sind durchweg conservative Parteimänner und zwar ostelbischen Stempelsund die Conservativen im Osten, die in der„Kreuzztg." und anderen ihrer Blätter gelegentlich mit Behagen einmal die Industrie-Arbeiter gegen die „Bourgeois" von Fabrikanten ausgereizt sehen, wollen partout nicht zugeben, daß daS Ver- hältniß zwischen den großen Grundbesitzern recbtS der Elbe und ihren Arbeitern etwas zu wünschen übrig lasse. Ver einzelte Ausnahmen bestätigen nur die Regel. So jetzt ein Frhr. von Wrangel, von dem wir allerdings nur vermuthen, daß er conservativ sei. Dieser Herr behandelt das von Herrn v. d. Recke gegebene Thema in der „Ostpreuß. Ztg.". Er findet die schärfsten Worte zur Verurtheilung der social demokratischen Agitation, aber er fordert auch, daß der Groß grundbesitz aufhöre, in seinen Arbeitern nur die ArbeitSmafsen zu sehen: „Wenn der Arbeiter bei seinem Herrn nur Härte und Gleichgiltigkeit gegen ihn findet, dabei aber beobachtet, wie der Herr das Leben sich immer genußreicher gestaltet, da kann man sich nicht wundern, daß auch der Arbeiter zu ihm daS Vertrauen verliert." In den Halbjahresberichten deS Regierungspräsidenten wird dergleichen wohl gar nicht zu lesen und eine andere Ursache der socialdemokratischen Erfolge auf dem Lande nur selten angeführt sein. Man braucht nicht mit der freihändlerischen Presse die agrarische Agitation für Alles verantwortlich zu machen, aber so viel ist gewiß: indem man sich vornahm, zu schreien wie die Socialdemokraten, und diesen Vorsatz nur zu getreulich ausführte, hat man zahllosen länd lichen Wählern nicht daS agrarische, sondern daS socialdemo kratische Geschrei beigebracht. Und politische Beamte haben mitaethan. Wenn z. B. die drei Landräthe aus dem Wahl kreise Hildesheim, die ein Flugblatt geradezu ruchlos social hetzerischen Inhalts unterzeichneten, den Minister recht berichten wollen, so müssen sie sich al-Mitschuldige an der Ausbreitung der Socialdemokratie bezeichnen, und daS werden sie ebensowenig thun, wie der Landrath von ArnSwalde eine getreue Schilderung der Geschichte der antisemitischen Agitation entwerfen wird, die der Socialdemokratie auf dem Lande die Wege geebnet hat. Es ist aber nicht nur agrarische Arbeit am Urbarmachen von Landarbeiterköpfen für socialdemokratische Ideen, worüber zu berichten wäre, sondern auch ehrliche Angst vor der Ver wirklichung gewisser extremagrarischer Projekte. Zehntausende und Aberzehntausende haben daS Spiel, daS die Herren vr.Hahn und Genossen mit dem Antrag Kanitz treiben, nicht durch schaut und wirklich an die Möglichkeit der Getreideeinfuhr- Verstaatlichung geglaubt, sie haben sich vor Währungswirren und vor allen Dingen vor der geforderten und den Land- wirthen verheißenen Fleischvertheuerung und vor Grenzsperr- excessen gefürchtet. ES ist gekommen, was vorausaesagt wurde: der zu straff gespannte Bogen deS Bundes der Land wirthe bat die geängstigten Nichtlandwirthe oder nichtverkau fenden Landwirthe bei der Socialdemokratie Schutz vor den Pfeilen der Berliner BundeSleitung suchen lassen. Aus diesem Grunde erscheint die Frage deS Herrn v. d. Recke auch nur halb richtig gestellt. Er will die Ursachen des „Anwachsen- der Socialdemokratie auf dem platten Lande" ersahren, die abgegebenen socialdemokra tischen Stimmzettel deuten aber durchaus nicht insgesammt auf ein Anwachsen der revolutionairen Partei hin, sie rühren rum großen Theil von Wählern her, die nur nach der schärfsten Form der Verwahrung gegen extremagrarische UnterjochungSpläne gesucht hatten. DaS muß übrigens der preußische Minister deS Innern auch ohne Umfrage wissen, und deshalb glauben wir nicht, was die „Nat.-Ztg." be fürchtet, daß nämlich Herr v. d. Recke mit den Erlassen bezwecke, Material für Ausnahmegesetze in Preußen, also wohl für ein Vereinsgesetz, wie daS im vorigen Jahr abgelehnte, zu erhalten. Der socialdemokratischen Propaganda kommt man mit einem Vereinsgesetz am wenigsten bei, und die Leute, die, ohne Socialdemokraten zu sein, diesmal ack Koo mit der Socialdemokratie gestimmt Haden, werden durch eine „Action", die nichts weiter als Sicherung der Großgrund besitzer gegen jede Kritik bezweckte, an die revolutionaire Partei gewöhnt werden. Die nicht leichtfertige, sondern zweifelsohne böswillige Ver leumdung der deutschen Flottenverwaltung, die sich die „Franks. Ztg." gestattet hat, wird von einem Organ auf die Absicht zurllckgeführt, jungen Leuten auS Mittel- und Süddeutschland den Eintritt in die Kriegsmarine zu ver leiden. Möglich, daß dies nebenher bezweckt war, man braucht aber gar nicht nach besonderen Gründen zu suchen. Die „Franks. Ztg." ist von einem unauslöschlichen Hasse gegen da- Reich und dessen grundlegende Einrichtungen beseelt und dies Gefühl ist wieder einmal zum Vorschein gekommen. Wer sich erinnert, wie daS Blatt zu derselben Zeit, wo eS eine ge forderte deutsche Heeresverstärkung mit fanatischer Wuth be kämpfte, den französischen Parteien die Annahme einer ihrer Entscheidung unterbreiteten Weitgreisenden Armeevergroße- rungsvorlage als patriotische Pflicht bezeichnete, und wer weiß, daß die jüdischen Herausgeber und Redacteure der „Franks. Ztg." s. Z. den Papst und die Bischöfe wegen ihrer Geneigtheit, den Culturkampf zu beenden, durch extreme Kleriker in ihrem Organ angreifen ließen: wem diese und ähnliche von seinen Thaten bekannt sind, den kann daS Frank furter Blatt nicht mehr in Verwunderung setzen. Ebenso wenig freilich läßt die Existenz einer solchen Zeitung Ver wunderung über da- von den deutschen Juden so bitter be klagte Vorherrschen deS Antisemitismus in den gebildeten Kreisen unseres Volkes aufkommen. Ein erklärter maßen jüdisches Blatt, daS „Jüdische Volksblatt", bat soeben Folgendes geschrieben: „Jetzt heißt es von den Parteien, in deren Dienst wir (die Juden) seit Menschen gedenken ein ungeheures Capital von Kraft und Geld ver schwenden, auch zu fordern." Wir glauben, das ungeheure Capital an Kraft wäre besser zur Unterdrückung der Schäd linge im eigenen Hause angewendet, und baß das dem Freisinn und der Socialdemokratle zugewendete Geld im wohl verstandenen jüdischen Interesse auSgegeben worden wäre, kann mau auch nicht finden. Die rvirlhschafüiche Erschließung Kiautschaus. In einem früheren Artikel sind die Maßnahmen besprochen worden, welche die Reichsregierung getroffen hat, um unter Niederhaltung einer ungesunden Landspeculation die gedeihliche Entwickelung unserer ostasiatischen Besitzung zu sichern. Die betreffenden Maßnahmen sind geeignet, die Grund lagen für die Erstehung einer Handels- und Villenstadt am Ge stade der Kiautschau-Bai abzugeben und zugleich eine finanzielle Einnahmequelle für die Colonie zu bilden, die bei dem steigenden Bodenwerthe immer reicher fließen und die Erreichung der finanziellen Selbstständigkeit der Colonie wesent lich erleichtern wird. Da den bisherigen Eigenthümern von Grund und Boden in Kiautschau durch Einräumung des Vor kaufsrechtes ein entsprechender Antheil an den Vortheilen der Steigerung des Bodenwerthes zugestanden ist, wird sich schwer lich von irgend einem Gesichtspunkte aus eine Einwendung gegen das Vorgehen der Reichsregierung erheben lassen. Die finanz politische Seite der getroffenen Maßnahmen fällt namentlich unter Berücksichtigung des Umstandes ins Gewicht, daß Kiau tschau zum Freihafen bestimmt ist. Darüber und über die weiteren Maßnahmen der Regierung zur wirthschaftlichen Er schließung Kiautschaus bringt die „Kölnische Zeitung" die nach stehenden Ausführungen: Kiautschau ist, wie alsbald nach seiner Erwerbung im Reichstag von maßgebender Stelle erklärt worden ist, zum Freihafen bestimmt. Angesichts des dadurch be dingten Verzichts auf alle Zolleinnahmen ist der Ertrag aus dem staatlichen Grundbesitz für die Gouvernementscaffe doppelt er wünscht. Er wird unmittelbar dem deutschen Steuerzahler zu Gute kommen, da er die Zuschüsse von Reichs wegen entsprechend vermindern wird, auf welche die junge Colonie für die ersten Jahre naturgemäß angewiesen ist. Er wird später die finanzielle Selbstständigkeit des Schutzgebietes erheblich erleichtern. Die Durchführung der letzteren an einem thunlichst nahen Zeitpunkte ist von der Marineverwaltung von Anfang an ins Auge gefaßt worden. Allein man hat auch erkannt, daß nichts verhängnis voller wäre, als wenn man diese finanzielle Selbstständigkeit allzu früh, d. h. ehe das Gebiet in seiner kaufmännischen und industriellen Entwicklung genügend erstarkt ist, etwa durch eine Häufung von Steuern oder sonstigen Abgaben erzwingen wollte. Das hieße die Kuh schlachten, die man später melken will. Man ist in der Marineverwaltung deshalb entschlossen, jeden ein seitigen Fiscalismus in Kiautschau streng zu vermeiden; man steht auf dem Standpuncte, daß für die nächsten Jahre der Ertrag Kiautschaus für das deutsche Reich nicht in baarem Gelde, sondern — abgesehen von seiner militairisch-maritimen Be deutung — vor Allem in der Erschließung eines fruchtbaren Ge bietes der Bethätigung für das deutsche Capital, für deutsche kommerzielle und industrielle Unternehmungen liegt. Ob diese Möglichkeiten wirthschaftlicher Unternehmungen großen Stiles, wie sie sich in Kiautschau und seinem weiten Hinterlande bieten, mit der nothwendigen Energie für Deutschland ausgenutzt werden, das wird in erster Linie von dem deutschen Capital selbst, von dem Grade seiner Unternehmungslust und Umsicht abhängen; die Regierung hat das Möglichste gethan, ihm die Wege zu ebnen. Wenn in dieser Richtung nach dem Eindrücke der wenigen Monate, die seit der Besetzung Kiautschaus verflossen sind, schon eine Prognose gestattet ist, so kann diese nur die allergünstigste sein. Von Anfang an haben Handel und Industrie in Deutsch land die außergewöhnlich günstigen Bedingungen, welche sich detr Unternehmungen in der Provinz Schantung darbieten, in ihrer ganzen Bedeutung gewürdigt und sich geneigt gezeigt, bedeutende Capitalien hier anzulegen. Das gilt erfreulicher Weise sowoh'l von unseren altbewährten „Ostasiaten", d. h. den deutschen Häusern, welche seit Langem in anderen chinesischen Küstenplätzen erfolgreich thätig sind, als auch von sehr weiten und finanziell außerordentlich leistungsfähigen Kreisen unserer Finanzwelt und Großindustrie, welche bisher dem Chinageschäfte noch fernstanden. Die Regierung hegt dem Vernehmen nach sehr lebhaft den Wunsch, baldigst mit der Freihafenerklärung vorzugehen, da naturgemäß erst mit diesem Zeitpunkte die wichtigeren kauf männischen Unternehmungen in Kiautschau einsetzen können, lieber den geeigneten Zeitpunkt dieser Erklärung haben bereits Erwägungen zwischen der Gouvernementsverwaltung in Kiau tschau und den dort zur Zeit anwesenden Kaufleuten statt gefunden, und hierbei haben gerade die Letzteren die Ansicht ge äußert, mit der Eröffnung des Freihafens solle gewartet werden, bis die Niederlassung-- und Landfrage ihre endgiltige Regelung erhalten hat, was nach den Ausführungen unseres vorangehenden Artikels bereits demnächst geschehen wird. Uebrigens mag dieses eine Beispiel zum Belage dafür dienen, wie sehr die Marine verwaltung das Bestreben hat, bei allen wirthschaftlich wichtigen Maßnahmen den Interessenten in weitem Maße eine berathende Mitwirkung zu gewähren. Vorläufig kann dies natürlich nur durch eine formell nicht geregelte Befragung der Sach- und Orts kundigen von Fall zu Fall geschehen. Sobald aber die Verhält nisse der europäischen Niederlassung in Kiautschau sich einiger maßen gefestigt haben werden, sobald namentlich eine genügende Anzahl angesehener kaufmännischer Elemente am Platze sich be finden wird, soll mit der Einrichtung der Selbstverwaltung in dem Schutzgebiete in aller Form vorgegangen werden. Dieses selk-sovoruinent wird das Recht der Selbstbesteuerung erhalten und soll in möglichst weitem Umfange die Pflichten auf dem Ge biete der inneren Verfassung, der Sicherheit- wie der Wohl fahrtspflege übernehmen. Dieses Streben, weiteste wirthschaft- liche Freiheit und Selbstständigkeit der Verwaltung im Kiau- tschau-Gebiete einzuführen, kann geradezu als der Grundzug der Colonialpolitik der Marineverwaltung bezeichnet werden. In allen unterrichteten Kreisen ist bekannt, daß gerade die Marineverwaltung von Anfang an mit allem Nachdruck die Auffassung vertreten hat, daß Kiautschau, unbeschadet seiner militärischen Bedeutung, in allererster Linie als Handelscolonie zu betrachten ist. Es ist in diesen Kreisen auch bekannt, daß jedem einzelnen zu dem Gouvernement Kiautschau gehenden Beamten die strengsten Weisungen in der Richtung mitgegeben sind, daß vor allen Dingen eingeschärft worden ist, sich die Förderung von Handel und Gewerbe ange legen sein zu lassen und auf die Pflege des guten Verhältnisses zwischen den Behörden und den Kaufleuten zu achten. Es ist nur natürlich, daß gegenwärtig, wo erst sehr wenige Kaufleute in Kiautschau anwesend sind und die wichtigsten kauf männischen Unternehmungen noch nicht begonnen haben, das militärische Element stark überwiegt. Das wird sich bald aus- Feuilleton. Aus den Tiroler Bergen. Ein Wanderbries von Carl Busse. Nachdruck verbot,n. Auf die Berge paßt, was Voltaire von der Unsterblichkeit sagt: Je leichter das Gepäck, um so sicherer kommt man hinein. Und wer vernünftig wandern will, schnallt sich den Rucksack über, legt den Lodenmantel darunter, setzt sich den steirischen Hut recht fest auf und sucht nach einem derben Stock. Alle Attribute des Kulturmenschen, als da sind: Kragen und Vorhemd, Hand schuhe und Manschetten, müssen zu Haus bleiben. Das Sports hemd tritt in seine Rechte, die leichten Promenadenschuhchen wei chen den nägelbeschlagenen, und wer außerdem in Waden strümpfen und Kniehosen marschirt, hat's nicht zu bereuen. In die kleine Extratasche des Rucksacks aber gehört ein« Tafel Choko- lade und eine Düte Backpflaumen. Man lernt Beides bei Hoch touren erst schätzen. Ungefähr das Dümmste, was man thun kann, wäre nämlich, sich an irgend einem Fleck der bayerischen oder tiroler Berge hin zusetzen. Wer das will, braucht die Ausrüstung natürlich nicht. Aber was im Harz und im Riesengebirge angeht, das ist im eigentlichen Hochgebirge thöricht. Besonders Nordtirol muß durchwandert werden. Seine herrlichsten Flecken stört noch kein Bahnpfiff. Hier giebt es keine befrackten Kellner und keine „Hotels", wo sogar die Hausdiener französisch und englisch sprechen und man täglich eine in Reih und Glied aufgestellte Compagnie von Leuten passiren muß, deren Jeder die Hand aus streckt. Hier ist, wenn man nur etwas von der breiten Fahr straße abweicht, noch Alles patriarchalisch; in den Gasthofs zimmern hängt der Gekreuzigte neben dem bunten Heiligenbild, und mit Blumen hat eine fromm« Hand Beide geschmückt; fi» ein paar Kreuzer findet man den besten rothen Tiroler, und der kleinsten Zugabe folgt ein freundlicher Dank der eingeborenen Kellnerin; das Beste aber sind für den müden Wattderer die breiten, behaglichen Betten, die man zu Hause nicht schöner haben kann. Der Schnellzug braust auf München zu. Die blau-weißen Reservatrechte beginnen damit, daß die Bahnhöfe kleiner und die Biergläser größer werden. Die vertrauten Namen von Pschorr und Hacker stehen vor der Einfahrt in den Münchener Central bahnhof und man gewöhnt sein Herz an Kellnerinnen und Kupfergeld. Don München geht's weiter nach Süden. Man sieht hinweg über den Starnberger See, die Ferngläser richten sich auf Schloß Berg; vor Murnau grüßt uns der liebliche Staffelsee. Dann kommen die Berge näher; Deutschlands höchster Punkt, die Zugspitze, rückt heran; „Partenkirchen — Alles aussteigen!" rufen die bajuvarffchen Schaffner. Und die Postillone blasen und sitzen da, als hätte ihr unvergessener Mär chenkönig Ludwig sie costumirt: so breit leuchtet daS Silber auf dem blauen Rocke. Es ist zuerst, als wollte es Einem den Athem benehmen, wenn man ringsum Alles geschlossen sieht von den Bergen. Dunkel und drohend scheinen sie den blauen Himmel abschließen und vernichten zu wollen, wie Titanen, die trutzig emporstiirmen gegen die heiligen Götter deS Olymps. Aber dann blühen die Gärten leuchtend um Einen herum, der Wald rauscht auf den Höhen, weiße Billen schauen inS Thal hernieder, und nun drohen die schweigenden Gipfel nicht mehr, sondern man spürt zum ersten Mal jenen Zug nach droben, der so mächtig ergreift: weit dort zu stehen, die Welt und ihre Nebel zu Füßen, hinabzu schauen auf irdische Lasten wie auf etwas Verlorenes und Ver gangenes, nur den ewigen Himmel über sich, und ein Heimweh im Herzen nach Höhen, wo der Friede noch größer ist. Da ragt im Südwesten die Zugspitze empor. Sie scheint von Parten kirchen aus kaum höher als ihre Bergvettern. Erst drüben vom Eibsee aus präsentirt sich der Koloß in ganzer Größe. Und nun Berg an Berg, scheinbar dicht aneinander, scheinbar nahe: lang hingrstreckt daS ganze Wettersteingebirge, — und doch braucht's noch Stunden und Stunden, ehe man an den Fuß solch eines BergeS kommt, der Einem so dicht vor der Nase sitzt. In Par- tentirchen wimmelt es schon von Curgästen, aus Gasthöfen, Dillen und Kaufladen für die Fremden scheint der ganze Ort zu bestehen. Kinder bieten schüchtern Edelweiß an. Wir lachen und danken, denn in uns lebt die heimliche Hoffnung, selber solch ein Edrlpflänzchen zu finden und den Hut damit zu schmücken. Nebenbei gesagt: die thörichste Hoffnung, die es geben kann. Aber was glaubt man nicht von den Bergen und — von sich. — Auf Schusters Rappen geht es nun vorwärts, die Wiesen blühen noch schöner wie im Traum und die Wälder rauschen noch tiefer. Gemächlich geht es empor, die Partnach entlang, und hinein in die Klamm, oder, wie es in der Schweiz heißt: in die Schlauche. Das sind enge Schluchten, mit vom Wasser ausge waschenen Wänden, und die bei Partenkirchen ist fast die groß artigste von Allen. Die berühmte Wimbach-Klamm bei Berch tesgaden ist daneben keinen Kreuzer Werth. Nicht durchaus schwindelfreie Personen werden in einem Anschlag vor Betretung dieser unteren Klamm gttvarnt, und in der That möchte ich keim Dame dort mitnehmen. Wer's aber wagt, der vergißt den An blick fein' Lebtag nicht. Mächtig aufsteigende Felsmassen zu beiden Seiten, oben beinahe zusammenstoßend, daß nur ein schmaler Streif des Himmels zum Vorschein kommt; drunten das wie in einem Hexenkessel kochende Gebirgswasser, das sich tobend, donnernd gegen diese Felsen bricht, und ein paar Fuß darüber, diesen Felsen entlang, ein ganz schmaler Saumpfad, den man zu gehen hat. Drahtseile zum Festhalten sind in die steinernen Mauern eingelassen, und an den Drahtseilen geht es vorwärts, Schritt für Schritt, und «inen Jeden begleitet das donnernde Schäumen des Wassers, das hier aus mächtiger Höhe herabstürzt, dort sich wie in einem Kessel fängt. An einzelnen Stellen fehlt das beruhigende Drahtseil, die Tropfen umstäuben und durchnässen uns, in immer neuen Windungen hat sich der Strom d«n Weg gebahnt, immer neue, großartige Felskeffel öffnen sich. Wer hier ausgleitet, ist verloren. Ein bekannter Münchener Maler wurde in der Mitte des Weges ohnmächtig. Mühsam hielten ihn seine Freunde. Er hatte zu lange hinein gesehen in den weißen, wilden Gischt, und dann kommt daS Locken des Abgrundes und der Schwindel. „Höllenthal-Klamm" ist auch, wenn ich nicht irre, der officielle Name der Schlucht. Allmählich verhallt dann das Rauschen der Wasser, die Felsen öffnen sich, der Wald und daS liebe Himmelslicht lieg?n vor Einem, und nun beginnen die Steigungen. Jeder Flachländer macht natürlich die gleiche Dummheit, zuerst flott loszulegen, um sich zu zeigen, und den Weg möglichst schnell hinaufzutanzen. Er kommt bald genug selber davon ab und seht Fuß vor Fuß. Auf Gebirgspfaden marschiren wir also aufs herrlich« Forst- hauS Graseck, dann mehr östlich auf Mittenwald zu. Was wir Großstädter die Welt nennen, liegt hinter Einem. Nur Rinder grasen bergauf, die Herdenglocken tönen bald hier, bald dort; mit den großen Glotzaugen sehen die rundlichen Wieder käuer uns entgegen. Am Wege schon überall Bildstöckl und Marterln; die liebe Gottesmutter ist besteckt mit frischen Blu men. Nirgends besser als an diesen Marterln aber erkennt man den conservativen Charakter der Gebirgler. Es kann Einem zuerst das Gruseln anwandeln, wenn ununterbrochen die primi tivsten Malereien und Täflein von Unglücksfällen erzählen, denn wir, die wir gewohnt sind, schnell zu leben, setzen alle diese Ab stürze in die letzten beiden Jahrzehnte. Aber weit gefehlt. Ich habe noch Tafeln getroffen, die erzählen, wie nnuo 1799 ein Bauer auf dem Heimweg hier verunglückte, wie anno 1832 der ehrenwerthe Holzfäller L. von einem Baum erschlagen, der Flößer P. dort ertrank, der Bauer Z. hier von einer Schnee lawine begraben wurde. In frommer Einfalt haben ländliche Künstler diese Ereignisse bildlich verewigt, und es ist eine schwere Kunst, dabei ernst zu bleiben. Aber der tiefe Glaube, der überall hervorsticht, adelt die Malversuche und die merkwürdige Ortho graphie. Nach mehrstündigem Marsche öffnet sich dann ein Thal, aus dem ein gar freundliches Städtchen winkt: Mittenwald. Im Abendscheine sah ich's liegen, die Kirchenglocken riefen zur An dacht, der Rauch stieg still empor aus allen Häusern, und ein Herrgottsfriede lag über dem ganzen Bilde zum Händefalten. Von der Kirch« herüber traf mein Blick ein Haus und eine Tafel, auf der groß und leuchtend der Name Go«thr stand. Hier hatte er aus der italienischen Reise gewohnt, und die Bergriesen werden auf ihn nicht anders herabgeschaut haben, als auf mich and Euch. Mittenwald ist eine musikalisch« Stadt. Die besten Guitarren und Zithern, auch Geigen kommen von dort. Dem Schüler d«s Amati, ihrem größten Sohne Mathias Klotz, haben die dankbaren Mittenwalder an der Kirche ein Denkmal er richtet; alte Ehrentafeln an dieser Kirche sprechen dem jungen Geschlechte von den Tharen der Vorfahren; anheimelnde Häuser, bunt bemalt, mit Darstellungen aus der heiligen Geschichte, predigen Frömmigkeit. Aber die Postkutsche rasselt, und wer müde Füß« hat, darf sich nicht besinnen. Da» Wettersteingebirg«
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