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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.08.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-08-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980801023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898080102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898080102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-08
- Tag1898-08-01
- Monat1898-08
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Größere Schriften laut unserem Preis« verzeichaiß. Tabellarischer und Zisfernsatz »ach höherem Tarif. - — Extra-Beilagen (gefalzt), nur init der Morgen-Ausgabe, ohne Pvstbrsörderung 60.—, mit Postbeförderuug 70.—. Jiunahmeschluß fir Anzeige«: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Volz in Leipzig. 385. Montag den 1. August 1898. 82. Jahrgang. Bismarck's Vermachtniß an sein Volk. Deutschland hat keinen Bismarck mehr! Geschlossen ist das blitzende Adlerauge, das für König und Vaterland so oft dem Tode muthig ins Antlitz geblickt. Friede lagert auf der stolz gewölbten Stirn, hinter der der Genius des deutschen Volkes rastlos die Gedanken zum Heile des Reiches wob. Still ist das Herz, das in Ingrimm pochte, wenn Bosheit und Hinterlist abgewebrt werden mußten, und hoch bewegt schlug, als vor den Völkern der Erde Zeugniß abzulegen war, daß die Deutschen nur Gott fürchten und sonst nichts auf der Welt. An der Bahre, auf der nun friedlich der Titane ruht, der mit der Riesenfaust das deutsche Volk auf den Posten stellte, der ihm seiner Begabung nach zukam, zieht wie ein langer Geisterzuglein halbes Jahrhundert vorüber. Und Jahr um Jahr legt einen Lorbeerkranz nieder und sie erzählen: von dem märkischen Junker, der für das Königthum in die Bresche sprang, als cs durch eigene Schuld im Drange einer gährenden Zeit niedergebeugt war; von einem kühnen Staatsmanne, der Preußen an die führende Stelle in Deutschland setzte und an dem Feuer, das leichtfertig der Erbfeind geschürt, die deutschen Eisenstäbe zu einem massiven Block zusammenschmiedete; von einem klugen Hüter des Friedens, der als Kanzler des mäch tigsten Reiches und Nestor unter den Staatsmännern Europas Staatenbündnisse schuf, die der europäischen Cultur eine welt umspannende Entwickelung sicherten; von dem treuen Be- rather, der in gleicher Treue drei Königen und drei Kaisern diente; von dem muthigen und pflichtbewußten Minister, der aus dem Amte schied, indem er für die constitutionclle Idee mit starker Ueberzeugung eintrat; von dem getreuen Eckard des deutschen Volkes, der dann acht Jahre lang als der Alte im Sachsenwalde das Werk hütete, das er mit der deutschen Stämme Blut und Eisen geschaffen hatte. Nur eine Natur, die in elementarer Gluth liebte und haßte, in der die Vorsehung in compacter Masse zusammen drängte, was zu den besten Manncstugenden der Deutschen gehört; die mit sicherem Griffe faßte, wo Andere unsicher getastet; nur eine Natur, aus der fascinirend zum Throne und zum Volke hin das Genie ausstrahlte: nur sie vermochte in dem Maße zu erobern und zu siegen, nur sie in solchem Maße beneidet, gehaßt, gefürchtet und so unendlich ver ehrt und geliebt zu werden, wie er, der größte Mann, den das deutsche Volk hervorgebracht hat. Und wie tief die Liebe im Herzen des deutschen Volkes ge wurzelt, das offenbart sich jetzt, wo Haß und Neid sich scheu in dunkeln Winkeln verkriechen vor der Verehrung und Dank barkeit, die sich im Volk bekundet, wo selbst bei seinen er bittertsten Feinden das Gefühl ehrfürchtiger Bewunderung siegt, die nur dem wahrhaft großen Manne zu Theil wird. Was Deutschland an seinem Bismarck verliert, dem die Geschichte mit ehernen Griffel bezeugt, daß er der Schöpfer deS Reiches ist, und dem Niemand diesen Ruhmestitel streitig machen darf — eS läßt sich in Worten nie ausschöpfen, am wenigsten unter dem unmittelbaren Eindrücke der Schmerzens kunde, jetzt, da noch der Erdball unter dem Falle der Rieseneiche dröhnt. Dieses Erdröhnen sagt unS nur, daß durch das Hin scheiden des unvergleichlichen Staatsmannes eine Lücke in den Bau deS deutschen Reiches gerissen worden ist, die nie ausgefüllt werden kann. Aber der große Baumeister deS Reiches bat dafür gesorgt, daß die fremden Fluthen nicht durch die Lücke eindringen und das Gebäude zerstören können. Er hat in seinem Vor bilde und in seinen Aussprüchen dem deutschen Volke einen sicheren Panzer, der eS gegen fremden Ansturm schützt, hinter lassen, wenn anders daS deutsche Volk einsichtsvoll genug ist, von dieser Schutzwehr Gebrauch zu machen. AuS den BiS- marck'schen Aussprüchen kann noch in Jahrhunderten jeder deutsche Mann und können insbesondere Diejenigen, die berufen sind, deS Volkes Führer zu sein, lernen, wie man sich verhalten muß, wenn man seinem Volke Segen bringen will. DaS erste Erforderniß, daS Fürst Bismarck bis in sein höchstes Alter mit Wort und That geübt hat, ist die strenge Pflichterfüllung. Der Fürst war bekanntlich trotz seines hünenhaften Körperbaues schon verhältnißmäßig frühzeitig von Leiden und Gebresten aller Art hcimgesucht. Aber das hinderte ihn nie, seine Pflicht zu erfüllen. Wiederholt hat er wehmüthig im Reichstag geklagt, daß er noch in seinem hoben Alter den Rest seiner Kräfte auf die Erwiderung von An griffen verwenden müsse, weil er es für seine Pflicht halte, seinem Könige und seinem Volke bis zuletzt zu dienen. Geradezu rührend ist eS, wie er schon vor mehr als zwanzig Jahren, am 19. Februar 1878, im Reichstage am Eingänge einer gewaltigen Rede über die ganze europäische Lage er klären muß: „Ich bitte zuvörderst nm die Nachsicht des Reichstages, wenn ich nicht im Stande sein sollte, alles, was ich zu sagen habe, stehend zu sagen." Und ähnlich erklärt er mitten in seiner gewaltigen berühmten Rede vom 6. Februar 1888: „Ich komme vielleicht später auch darauf zurück, wenn meine Kräfte mir das erlauben." Und was hatte seine gewaltigen Kräfte so erschöpft? Eben diese unerschütterliche Pflichttreue bis zum letzten Moment. Er hat dies selbst am Ergreifendsten in einer Rede vom 14. März 1885 ausgedrückt, indem er sagte: „Für mich, meine Herren, ist die nationale Frage eine Frage, die an jedem Tage und in jeder Stunde mir oft mit hundert Beziehungen entgegentritt, die mir den Schlaf, die Ruhe am Tage raubt und mich dazu treibt, hier in meinem hohen Alter an die Beantwortung von Reden das bischen Athem zu setzen, das mir noch übrig bleibt. DaS ist eben die Liebe zu meiner Nation, die Liebe zu meinem Vaterlande." Aber die bloße Pflichterfüllung ist, wenn man so sagen darf, eine mehr passive Tugend. Ihre active Ergänzung ist der Muth, der einen Staatsmann erst zum leuchtenden Bor bilde für die ganze Nation machen kann. Und diesen Muth hat Bismarck jederzeit bewährt. Er hat diesen persönlichen Muth im höchsten Maße bewiesen, als er unter den schwierigsten Umständen die Stellung als Ministerpräsident übernahm. Mit berechtigtem Stolze durste er in einer Rede vom 14. Juni 1882 fragen: „Wer hat für den deutschen Gedanken gewirkt und gearbeitet, wer hat den Entschluß gehabt, so wie ich eS im Jahre 1862 gethan habe, daß ich meine ganze Lebens existenz und vielleicht meinen Kopf einsetztr, um die Möglich keit zu haben, die Zustimmung deS Königs von Preußen zu einer nationalen Politik zu gewinnen?" Und noch bedeutsamer als dieser persönliche Muth ist für den Staatsmann der sitt liche Muth, einzugestehen, daß er irren kann und geirrt hat. Auch diesen Muth hat BiSmarck jeder Zeit gehabt. So sagte er am 17. Decembcr 1873: „Ich habe mich noch nie geschämt, eine Meinungsänderung in meiner Stellung ein zuräumen, wenn die Umstände mich nöthigten, entweder in etwas nachzugeben, ober mich zu überzeugen, daß eS so, wie ich wollte, im Interesse deS Landes eben nicht geht". Und schließlich hatte BiSmarck auch den für einen Staatsmann so bedeutungsvollen Muth, nicht vor einer Majorität zu kriechen oder vor ihr zurückzuweichen. So sagte er am 9. Februar 1876: „Ich nehme für uns daS Recht in An spruch, auch solche Anträge einzubringen, von denen wir nut ziemlicher Wahrscheinlichkeit vorauSsehen, daß sie verworfen werden." Und noch schärfer und mit berechtigtem Selbst gefühl erklärte er am 30. November 1881: „Die Leute, die der Majorität unter Umständen fest ins Auge sehen und ihr nicht weichen, wenn sie glauben im Rechte zu sein, die finden Sie nicht sehr häufig, aber eS ist immerhin nützlich, wenn der Staat einige davon in Vorrath hat." Die größte Eigenschaft aber, die dem Staatsmanne seltener eignet, wie Anderen, aber ihm zu desto größerer Zierde gereicht, ist die Treue. Man kann den Gedanken treuer Ergebenheit nicht einfacher ausdrücken, als Bismarck in einer Rede vom November 1881, in der er dartbal, wodurch er sich bewogen gefühlt hätte, 1862 eine sehr behagliche Stellung mit dem dornenvollen Amte eines preußischen Minister-Präsidenten zu vertauschen: „Ich sah, mein angestammter Herr brauchte einen Diener und fand ihn nicht; da habe ich gesagt: hier bin ich." „Hier bin ich!" dies war Bismarck's Loosungswort, wenn König und Vaterland riefen. Dieses Wort ist sein köst lichstes Vermächtniß an sein Volk. Möge es jedem deutschen Manne zum Leitwort dienen, auf daß er, wenn das Vater land ihn braucht, nicht Nachfrage bei sich hält, ob es ihm bequem ist oder nicht, ob er Opfer bringt oder nicht, sondern auf daß er vertritt vor die Reiben und einfach sagt, wie unser BiSmarck cs gesagt hat: „Hier bi» ich". Alls der Reichshauptstadt liegen mit Bezug auf das Abscheiden des Fürsten die folgen den Nachrichten vor: Berlin, 1. August. (Privattelegramm.) Der Kaiser hat angeordnet, daß bis nach der Beisetzung des Fürsten Bismarck sämmtliche Reichs- und StaatS- gebäude Halbmast geflaggt bleiben. * Berlin, 1. August. Dem „Berl. Tagebl." wird aus Friedrichsrub gemeldet: Das Beileidstelegramm des Kaisers traf am Sonntag früh um 11 Uhr ein und war m den herzlichsten Worten abgefaßt. ES war an den Fürsten Herbert Bismarck gerichtet. Der Kaiser gedenkt in rühmendsten Worten der Verdienste des Fürsten, spricht seine unauslöschliche Dankbarkeit gegenüber dem Heim gegangenen aus, der ein Vorbild treuester Pflichterfüllung ge wesen sei. Der Kaiser erwähnt Bismarck's Familienleben, worin dessen höchstes Glück bestand, und versichert die Familie seines innigsten Beileids. Des Kaisers Hierherkunft erscheint nicht ganz sicher angesichts des Um standes , daß nur eine provisorische Beisetzung für den Mittwoch geplant ist, da der Fürst den Platz für die definitive Beisetzung selbst auSgewählt hat. — Die Testamentseröffnung wird keinerlei Ueber- raschungen bringen, da der Fürst mit seinen Kindern seit vielen Jahren die Vertheilung seiner Hinterlassenschaft ver einbart hatte. Friedrichsruh fällt mit dem Fürsten titel dem Grafen Herbert zu. Vorläufig bleibt die Familie Rantzau hier wohnen. Bismarck's Baarvermögen, welches theilweise bei der Bank von England, theilweise bei Bleichröder deponirt ist, übersteigt die bisherigen Schätzungen um Millionen. Eine Million Werth repräscntiren die bei den Hofjuweliers Gebrüder Friedländer deponirten Orden, Brillanten, Goldsachen und Ehrengeschenke. Ein großer Theil des Baarvermögens ist den Söhnen deS Grafen Rantzau, die der Fürst zärtlich liebte, zugedacht. * Berlin, 1. August. Die „Berl. N. N." berichten: Ter Kaiser hat, um das Andenken deS Fürsten Bismarck zu ehren, für die Flotte Folgendes befohlen: Die Ofsiciere und Beamten der Marine haben für acht Tage Trauerflor am linken Unterarm anzulegen. Am 31. Juli setzen alle Schiffe in der Heimath die Gaffelslagge Halbstocks; eine entsprechende Bestimmung ist auch für die Flaggen am Land getroffen. Am Beisetzungstage werden die Gaffel- und Topp - Flaggen aller Schiffe, sowie die Flaggen am Land halbstockS gehißt, Mittags wird ein Trauersalut von 19 Schuß gefeuert. Entsprechende Be stimmungen sind auch für die Armee ergangen, aber bis zu diesem Augenblick im Einzelnen nicht bekannt. — Der Berliner BiSmarck-Ausschuß ist heute bereits zusammen getreten, um eine würdige Traurrfeier für den Heimgegangene» ersten Reichskanzler in der Reichshauptstadt vorzubereiten. Herr Geheimer Juslizrath vr. Ka h l hat mit daukenswerther Bereitwilligkeit die Gedächtnißrede übernommen. Die Feier findet voraussichtlich am nächsten Sonntag Mittag statt. * Berlin,31. Juli. Das Hinscheiden desFürsteuBismarck wurde in der Reichshauptstadt in aller Frühe durch die Sonderausgaben der Morgenblätter bekannt. Die Bevölkerung zeigt sich überall tief bewegt und von der unerwartet jähen Verwirklichung der gehegten Befürchtungen schmerzlich getroffen. Die Morgenblätter erscheinen mit Trauerrand und geben in warm empfundenen Artikeln der nationalen Trauer um Len Hingeschiedenen großen Staatsmann Ausdruck, dessen Lebensgang und Persönlichkeit, dessen unsterbliche Verdienste um das deutsche Vaterland, dessen heroische Größe und deutsche Eigenart ein- müthig würdigend. — Die schmerzliche Theilnahme der Bevölkerung giebt sich fortdauernd am ganzen Tage kund. An allen öffentlichen Orten wird das historische Ereigniß eingehend erörtert. Ueberall offenbart sich ernste, bewegte Stimmung. Die neuesten Berichte über die Einzelheiten des Ableben» und die sonstigen Umstände werden begierig verlangt. Die öffentlichen Gebäude und zahlreiche Privatgebäude tragen Flaggen auf Halbmast. Aus anderen Theilen deS Reiches und demAus- lande gehen uns folgende Meldungen zu: " FriedrichSrtth, 31. Juli. (Abend- 9 Uhr.) Um 4'/. Uhr Nachmittag- kamen Graf Posadowsky und die Geheimräthe Jonquieres und Hauß mit dem Schnellzuge hier an und reisten nach kurzem Aufenthalte um 6 Uhr nach Hamburg weiter. Die Leiche des Fürsten Bismarck soll dem Ver« nehmen nach heute noch einbalsamirt werden und bleibt im Schlosse bis zur Fertigstellung des Mausoleum-. Vor dem Schloßportale, wo die Condolenz-Listen ausliegen, herrschte große- Gedränge des Publicums. In der letzten Nacht hielten die Todtenwache der Leibkutscher des Fürsten, Patzke, und ein Förster. Für die folgenden Nächte halten abwechselnd Förster die Todten« wache. * Hamburg, 31. Juli. Schon gestern Nachmittag und Abend würden über das Befinden des Fürsten Bismarck schlechtere Nachrichten verbreitet. Doch hoffte man immer wieder, daß eine Besserung eintreteu würde. Um so plötzlicher und schmerzlicher wirkte daher die Nachricht von dem gestern Abend spät erfolgten Ableben des Altreichskanzlers. Die Zeitungen brachten bereits in aller Frühe die Nachricht durch Extrablätter. Die heutigen Morgen nummern erschienen mit Trauerrand und alle brachten warm empfundene Nachrufe, die den großen Verlust, den Deutschland erlitten, und Bismarck's Verdienste um das Vaterland hervorheben. FeirrHetsn» Vergeltung. bj Erzählung von Willie CollinS. Nachdruck «»roten. „Beruhige Dich, er wird heute Gelegenheit finden, einige Worte mir Dir zu wechseln." „Wo und wie?" Lady WinWord zeigte mit dem Finger nach dem zurllckge- schlagenen Thürvorhang, hinter dem man die Thür des Salons sah. Jenseits dieser Thür war ein Vorplatz, der zu einem kleineren Salon führte. „Zu Tisch", fuhr Alicia fort, „kommen nur drei oder vier Gäste, und am Abend noch einige Personen. Für diese Gesell schaft wird der kleine Salon genügen. Der Salon nebenan wird gar nicht erleuchtet sein, und hier in meinem Zimmer wird nur meine Arbeitslampe brennen. Das Zeichen zum Verlassen des Speisezimmers werde ich eher geben als gewöhnlich, und sobald das geschehen ist, schicke ich ihn ganz unbefangen in Gegenwart Aller hierher." „Unter welchem Vorwande?" „Sage ihm, er soll Dir Deinen Fächer holen, den Du, bevor wir zu Tische gehen, unter das Sophakissen steckst. Fritz wird Dein Tischnachbar sein und Du wirst ihn verständigen, daß er den Fächer nicht finden soll. Nach einer Weile wirst Du un geduldig, folgst ihm in dieses Zimmer, und Ihr seid allein!" Die zu Tisch geladenen Gäste fanden sich nach und nach ein, Lady WinWord mußte sich ihren Hausfrauenpflichten widmen. Das Mahl verlief in angenehmster Weise. Es hatte nur eine Schattenseite, es endete zu spät. Die Damen konnten sich erst wenige Minuten vor zehn Uhr in den Salon begeben, und al» Bambert sich ihnen zugesellte, schlug es schon zehn Uhr, „Zu spät", flüsterte Vally. „Evers wird gleich hier sein." „Kein Mensch findet sich so pünktlich zu einer Abendgesell- schäft ein", erwiderte Bambert. „Verlieren wir jetzt keinen Augenblick, beauftrag« mich, Deinen Fächer zu holen." Eh« Vally die Lippen öffnete, die verabredeten Worte zu sprechen, meldete der Diener: „Herr Evers!" Evers in tadellosem schwarzen Anzuge machte Lady WinWord eine plumpe Verbeugung, um dann seine Aufmerksamkeit Vally zuzuwenden, die noch immer mit strahlendem Lächeln neben Bambert stand, so ganz anders, wie sie zu Hause war, wenn sie den Freund ihre» Vater» zu empfangen hatte. Lord Winword's Töchter erfreuten sich eines gewissen Rufes als tüchtige Clavierspielerinnen, und auch was sie im Gesang leisteten, war anerkennenswerth. Den haßerfüllten Blick be merkend, mit dem Evers den jungen Arzt betrachtete, flüsterte Lady WinWord ihrer Tante einige Worte ins Ohr, und Lavinia bat sofort die jungen Damen, etwas zu singen. Auf einen Wink Vally'S erbot sich Bambert, die Noten zu holen. Erst stellte er das falsche Notenheft auf das Pult, und als er sich beeilte, es wieder wegzunehmen, fiel ein gedrucktes Blatt, das wie ein Cir cular aussah, auf den Teppich. Sidonie WinWord hob es auf und überflog es. „Herr Gott, die geistlichen Concerte!" rief sie betroffen. Ihre beiden Schwestern, die neben ihr standen, sahen einander mit schuldbewußtem Blick an. „Was wird das ComitS von uns denken? Wir haben den Verein vorigen Monat ganz vergessen." „Ist diesen Monat nicht auch eine Sitzung?" Alle drei Schwestern studirten das Rundschreiben. „Ja, am 23. December. Merke es Dir in Deinem Notizbuch an, Siddy." Und Sidonie schrieb einige Worte mit ihrem Bleistift in das goldgeränderte Büchelchen, das sie aus der Tasche zog. Vally'S noch nicht öffentlich anerkannter Gatte sah dem Vor haben gleichmüthig zu. Die erbarmungslose Ironie des Zufalles hatte Bambert zum ahnungslosen Werkzeug gemacht, die Entdeckung seines Geheim nisses herbeizuführen. Daß er ein falsches Notenheft auf dem Pult ausgebreitet hatte, veranlaßte ein Zusammentreffen zwischen den Stieftöchtern Alicia Winword's und der Frau deS Geist lichen, der feine und Vally'S Trauung vollzogen hatte. Die Gäste zu der Abendgesellschaft fanden sich ein. Der kleine Salon bot genügenden Raum für die Anwesenden. Baron v. Koslyn ergriff Ever»' Hand und führte ihn zu dem Hausherrn. Lord WinWord hatte sich im Speisezimmer mit dem Baron über finanziell« Angelegenheiten unterhalten und ihm geklagt, er sei mit der Anlage seine» Capitols in ausländischen Werthpapieren nicht sehr zufrieden, und KoSlyn'S „lieber Ro land" war ganz der Mann, Lord WinWord gut zu berathen. Die drei Herren steckten die Köpfe zusammen, und waren so ver tieft in ihr Gespräch, daß die übrige Welt gar nicht für sie vorhanden schien. Bambert, der sie beobachtete, drückte ver stohlen Vally die Hand. Ein berühmter Virtuose war angekom- men, und die meisten der Gäste umdrängten ihn, seinem Clavier- vortrag zu lauschen. Eine bessere Gelegenheit, Bambert nach dem Fächer zu schicken, hätte sich nicht bieten können. Während die Untrrredung über die Lörseufrage uud ähnlich« Dinge ihren Fortgang nahm, waren die jungen Eheleute in Alicia's Arbeits zimmer zu traulichem Gespräche vereint. Lady WinWord, welche die Entfernung des Paares Wohl be merkt hatte, behielt Roland Evers beständig im Auge. Den Rücken der Gesellschaft zugekehrt, sprach er ernst und eifrig, ohne sich nur ein einziges Mal umzusehen. Auch als die Reihe an Lord WinWord kam, seine Ansichten zu äußern, ver änderte Evers seine Stellung nicht. Erst als der Baron das Wort nahm, war seine Aufmerksamkeit erschöpft, und seine Blicke wanderten mit ängstlicher Besorqniß zu der Stelle, an der er Valeska verlassen hatte. Lord Winwörd machte eine Bemerkung, und Evers war genöthigt, ihm zu antworten, doch als der Baron einen Einwand erhob, blickte sein Schützling zum zweiten Male auf das Getriebe im Salon, und er vermißte mit unbehaglichem Erstaunen Bambert unter den Anwesenden. Von Neuem nahm Lord WinWord ihn in Anspruch und verhinderte ihn, seine For schungen fortzusetzen. Zwei Gäste, die für diesen Abend noch eine andere Einladung angenommen hatten, näherten sich der Frau vom Hause, um sich zu verabschieden. Lady WinWord mußte aufstehen und sich ihnen widmen. Sie hatten ihr etwas mitzutheilen, und thaten es mit einer Redeseligkeit, die für Alicia WinWord um so schrecklicher war, als sie ihr den Aus blick auf die Bewegungen des Feindes versperrten. Als sie die Gäste endlich losgeworden war, sah sie sich sofort wieder nach Evers um, aber er war verschwunden. Einen Augenblick hielt sie sich damit auf, den Virtuosen zu bitten, ihre Gäste noch eine seiner Compositionen hören und be wundern zu lassen, dann entschlüpfte sie unbemerkt auf den Vor platz. Bei ihrem Eintritt in den Salon hörte sie aus dem an stoßenden Zimmer Evers' drohende Stimme. Die Eifersucht ist oft mit der Gabe des zweiten Gesichts verbunden. Er hatte sich sofort an den richtigen Ort begeben und das Paar ertappt. Alicia Winword's Muth stand außer Frage, aber sie er blaßte, als sie sich ihrem Zimmer näherte. Erschrocken und zürnend hatte Valeska sich zwischen den Mann, der sie al- seine Verlobte betrachtete, und den, mit dem sie wirklich vrrheirathet war, wie zur Abwehr gedrängt. Auf Evers' stark geröthetem Gesicht zeigten sich alle Qualen unterdrückter Wuth. Bambert überreichte Valeska ihren Fächer mit dem kalten überlegenen Lächeln eines Menschen, der sich seines errungenen Dortheils bewußt ist und in diesem Bewußtsein triumphirt. „Ich verbiete Ihnen, den Fächer aus den Händen dieses Mannes entgegenzunehmen", sagte Evers, auf Bambert deutend, zu Valeska. „Ist es nicht noch ein wenig zu früh zum Verbieten, Herr Ever»?" fragt« Lady WinWord gutmüthig. „Das sage ich auch!" rief Bambert. „Es scheint nothwendig, Herrn Evers daran zu erinnern, daß er noch nicht mit Vally verheirathet ist." Diese letzten Worte sprach er in einem Ton, der die beiden Frauen für die Folgen zittern ließ. Lady WinWord nahm mit der einen Hand Bambert den Fächer ab, während sie mit der anderen Valeska's Arm ergriff. „Da ist Dein Fächer, meine Liebe!" sagte sie in ihrer un gezwungenen Weise. „Weshalb willst Du Dich von diesen beiden Barbaren zurückhalten lassen, während der berühmte Warden seine wunderbare Alpdrucksonate spielt? Komm', Fritz, kommen Sie, Herr Evers, und hören Sie unseren großen Künstler." Sie ging mit Valeska voran, den Herren winkend, ihr zu folgen. „Er hat Euch doch nicht ertappt, Vally?" flüsterte sie. „Nein, ich hörte ihn gerade zur rechten Zeit. Er traf uns dabei, wie wir den Fächer suchten." Die beiden Männer blieben zurück, um noch einige Worte mit einander zu wechseln. „Die Sache ist noch nicht zu Ende, Herr Doctor." „Darin stimme ich Ihnen bei", erwiderte Bambert mit spöttischem Lächeln. Lady WinWord blieb stehen und bat, sie nicht warten zu lassen. In dem kleinen Salon angekommen, nahmen Evers und Bambert ihren Platz unter den Gästen wieder ein, im Stillen erwägend, wie sie dem Baron ihre Beschwerden zu Gehör bringen sollten. Wieder war es Bambert, der seinem Nebenbichler zuvor kam. Er war der Erste, der sich eine Unterredung mit dem Baron sicherte. Er beklagte sich über die sinnlose Eifersucht des Handelsherrn und bat um einen Widerruf des Verbotes, das ihm den freien Verkehr in Holderwell untersagte. Evers, der Onkel und Neffen aus der Ferne betrachtete, entdeckte eine un gebührliche Vertraulichkeit in dem Gespräch der Beiden. Er schlich sich durch die Reihen der Gäste hinter sie und horchte. Warden raste mit einer Gewalt über die Tasten, daß der Baron genöthigt war, die Stimme zu erheben, um sich Bambert verständlich zu machen. „Ich empfinde die aufrichtigste Theilnahme für Dich, mein lieber Fritz", betheuerte der Baron, „und Vally fühlt darin wie ich; aber Roland verhindert uns, der Eingebung unsere» Herzens zu gehorchen. Wir müssen die Folgen bedenken, mein Sohn, die daraus entstehen könnten, wenn er dahinter käme." Er nickte dem Neffen freundlich zu, e» ablehnend, auf den Gegenstand weiter einzugehen, und begab sich nach einem anderen Lheile de» Zimmers (Fortsetzung folgt.)
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