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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.08.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-08-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980803015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898080301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898080301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-08
- Tag1898-08-03
- Monat1898-08
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In FriedrichSruh erfüllt man getreulich den Wunscd des Entschlafenen nach „Ruhe auch im Tode", und das deutsche Volk begehrt nicht, die Größe mit Leichenflitter aufgeputzt zu sehen. Der echte Schmerz be darf dessen nicht, will derlei nicht. Schlichtheit allein, wie die, mit der König Albert seine Seelenerschütterung bekundet hat, ziemt sich an dem Grabe, das auf einen allem Schein abholden Helden wartet. Die Grabschrift, die sich Fürst Bismarck selbst gewählt, sollte vorbildlich sein. Sie ist großartig in ihrer Einfachheit, die dennoch einen unermeßlichen Inhalt birgt: „Ein treuer deutscher Diener Kaiser Wilhelm'S des ersten". Wie wahr! Ein Diener und deutsch und treu, aber der Diener eines Kaisers, der ehedem nicht gewesen und den Bismarck erst hat erstehen lassen. Nicht nur er, auch sein Werk ist in dieser Inschrift genannt, die zugleich sagt, daß der Verfasser sein großes Schaffen mit dem Tode deS ersten Kaisers für abgeschloffen erachtet bat. Kaiser Friedrich'» Regentenzeit konnte bei ihrer Kürze und den tiefbeweinten Umständen, von denen sie begleitet war, in der lapidaren Kennzeichnung seines historischen Charakters nicht hervortreten und an den StaatShandlungen seiner beiden letzten Amtsjahre wollte der erste Kanzler sich nicht einen Antheil zuschreiben, der ihm nicht gebührt. Wenn BiSmarck sich als dem alten Kaiser allein gehörig bezeichnet, so begeht er keinen Raub an der deutschen Nation, denn Wilhelm I. gehörte seinem Volke, weil er sich ihm ganz zu eigen ge geben. Die weiteren Trauerfeierlichkeiten, diesen Wunsch wiederholen wir, sollten über den von dem Verewigten selbst gezogenen Rahmen nicht hinanSgehen. Er wollte das „Officielle auf daS Mindestmaß beschränkt" haben. Es wäre eitles Beginnen, in den Mittelpunkt dieser Schmerzenskundgebungen etwas Andere» hineinzubringen, als ihn, dessen Hintritt den Schmerz erweckt. ES ist ein schöner Gedanke, daß die letzte Ruhestätte nur ihm und der Frau, die ihm im Leben verbunden war, gehören soll. DaS Anerbieten des Kaisers, den Leichnam neben einer Reihe seiner Vorfahren, inmitten vieler brandenburgischer Herrscher, zu betten, ist ehrend. Aber, wie BiSmarck sich selbst, so sehen die Deutschen lieber ihn allein, inmitten seines geliebten Waldes, an einer nur ihm geweihten, den Wallern zugänglichen Statte den ewigen Schlaf schlafen, auf daß, wie man treffend gesagt hat, ein Heiligthum entstehe, wie da» Mausoleum in Charlotten- bürg. Denn, war er gleich ein Diener, so ist er doch unendlich viel mehr gewesen, als ein Mitarbeiter. Die Welt, die er im Leben so oft bezwungen, sie ist sein im Tode, Alles, WaS sie noch ehegestern bewegte, versinkt vor dem Sarge in FriedrichSruh. Der Erdball huldigt der Größe und dem Giganten de» Jahrhundert», aber auch dem Staatsmann«, dessen unerhörte Mäßigung nach unerhörten Erfolgen Segen über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus gestreut hat. Wenn Italien dankbar rühmt, wie des Verstorbenen deutsche Politik der eigenen nationalen Wiedergeburt die Wege ebnen half, wenn die Ungarn den unmittelbaren Gewinn auS dem Wirken Bismarck's für ihr Land hervorheben, so bezeugt da» übrige Europa bereit willig, daß er als ein Hort des Friedens der Gesittung der gesammten Welt unschätzbare Dienste geleistet. Alle aber erblicken seinen höchsten Ruhmestitel in Dem, WaS er für uns gethan, in der Verwirklichung deS zum Kinderspott gewordenen Traume» von der deutschen Einheit, und am lautesten verkünden diese» Verdienst die Verwünschungen an der Seine, die da» Heroische im Weltaccord dieser Tage nur noch vernehmlicher machen. Deutschland jedoch bedarf dieser fremden Beleuchtung seine» Verlustes nicht, und bei aller Bewunderung des Großen vermag kein Fremder zu fassen, was unsere Herzen am Sarge de» Beglückenden und Geliebten durchwallt. Seine Arbeit fürs Vaterland war zu überwältigend, sie steht auf zu vielen Blättern der Weltgeschichte, al» daß die Deutschen sie sich in einem umfassenden Bilde vergegenwärtigen könnten. Aber von der bezwingenden Persönlich leit taucht Zug um Zug vor vem Auge aus, jeder einzelne, weil dahin, ein neue Schmerzen bohrender Dolch. Noch ist es nicht auszudenken, WaS da» Wort besagt: Deutschland ohne BiSmarck, und wenn der furcht bare Gedanke un» vertraut sein wird, dann werden wir fühlen: «S ist ein andere» Deutschland, das Deutschland ohne ihn. Da» Berhängniß muß in Ergebenheit hingenommen werden. Aber man sage nicht, daS Grab, das den Dreiundachtzigjährigen aufnimmt, umschlösse keine Hoff nungen. Viele» noch versprach der hohe Greis, wenn auch in einsamer Zurückgezogenheit lebend, für da» Vaterland zu sein, sein Dasein allein war ein Bollwerk gegen so manches Unheil. Seine Größe bedurfte deS Instru ments einer verleihbaren Macht nicht, um zu wirken. Diese Größe haben wir empfunden, doch auch erfaßt? Es will scheinen, als ob auch die feurigsten Bewunderer, die treuesten Anhänger de» Entschlafenen, die besten Kenner seiner Persönlichkeit daS Genie in ihm mehr geahnt als erkannt hätten. Vielleicht ist dies MenschenlooS. DaS irdische Auge vermag nicht in die Sonne zu blicken. Fürst Bismarck — warum e» leugnen? — hat noch auf der Höhe seine» Ruhme», da längst unermeßlich große Thaten Zeugniß von seinem Können und seinem Tiefblick abgelegt batten, das Schicksal erfahren müssen, bei den Getreuesten unverstanden zu bleiben. So in der schwersten Zeit seine» Lebens, den dem Rücktritt inS bürgerliche Leben vorausgegangenen zwei Jahren. Aber WaS die Köpfe nicht voll erfaßt, das füllte ganz die Herzen auS. Wir fühlten die Größe des Dahingegangenen, nicht allein, weil wir von ihr herrliche Früchte pflücken durf ten, sondern auch darum, weil er ein wahrhaft Großer, daS will sagen rin menschlich Großer gewesen ist. Fürst BiSmarck war mehr als ein genialer Staatsbildner und SlaatSlenker. An den Eigenschaften der Geisteskraft und Willensstärke ge messen, hätte ihm der gewaltige Corse den Ruhm deS ersten Manne» des Jahrhundert» streitig machen können. Aber während die Ichsucht die einzige Triebfeder von Napoleon'S Thun gewesen ist, hat BiSmarck seine unvergleichlichen Gaben in den Dienst Anderer gestellt, seine» König», seines Volkes. Ein harter Verächter eitlen Wesen«, ist er selbst von Ehrgeiz frei gewesen. Wir wissen, er hat lange geschwankt, ehe er den ersten Schritt auf dem Wege that, der ihn zu den höchsten Höhen führen sollte. Anfänglich für Preußens Ehre und Sicherheit, später, um Deutschlands vielhundertjähriges Sehnen nach Einheit und Achtung zu stillen, ist BiSmarck BiSmarck geworden, hat er seine Neigungen einer um ihrer hohen, nicht um eigennütziger Zwecke willen betretenen Lauf bahn geopfert. Für uns hat BiSmarck sich emporgerungen, nicht für sich, seine dämonische Kraft, daS jedes Hindcrniß mit unerbittlicher Gewalt niederzwingende Ungestüm, die kühle Berechnung, die er seiner Leidenschaftlichkeit aufzwang, Alles, womit er verwundete, Ware» nur Waffen, geschwungen zum Heile seines Vaterlandes und nachmals einer friedliebenden Welt. Nicht zu kneten war da« deutsche Reich, es mußte ge hämmert werden, und Fürst Bismarck erkannte, konnte und wirkte, WaS noth that. Großes, Unentbehrliches haben Andere neben ihm, mit ihm gewirkt, aber welchem Deutschen ge rinnt nicht daS Blut in den Adern, wenn er sich fragt, wie eS heute mit Deutschland, mit Europa stünde, wenn Bismarck nicht erschienen wäre, wenn er die überkommene Auffassung von dem Verhältniß Preußens zu Oesterreich bei- b^alten, wenn er seinem Könige nicht neue Ziele gezeigt, Roon'S Arbeit nicht nutzbar gemacht, Moltke'S Schwert nicht auS der Scheide gezwungen hätte? Thoren, die wähnen, jede Epoche bringe den Mann hervor, der ihre eigenartigen Bedürfnisse befriedige, die da meinen: Deutschland wollte einig werven und deshalb kam ein Bismarck. Nein, tausend mal nein! Der Mann macht seine Zeit, dieser Mann wenigstens, der jetzt in die Grube steigt, hat seine Zeit gemacht. Wenn er nicht gekommen wäre und wenn er — das Zeichen wahrer Heldengröße — inmitten ungeheuerer Schwierigkeiten sich nicht behauptet hätte, das Nachspiel der Befreiungs kriege und da» Schicksal des Frhrn. von Stein hätten sich wiederholt. Aus dem Trauerhause liegen folgende Meldungen vor: FriedrichSruh, 2. August. (Telegramm.) Die Familie Bismarck's empfing heute Vormittag das Abendmahl von dem Pfarrer Westphal aus Brunsdorf.— Fortgesetzt treffen zahlreiche Kranz- und Blumenspenden ein, u. A. von den Deutschen New UorkS, und ein prächtiges Blumenarrangement von Li-Hung-Tschang, ferner von dem StaatSsecretair deS Innern Grasen v. Posadowsky, dem Hamburger und dem Bremer Senat. — Unter der Führung des Regiments-CommandeurS traf eine Abordnung deS Znsanterie-NegimentS Nr. 31 (1. Thüringisches) auS Altona hier ein. — Der Zutritt zum Schlosse wird Niemandem gestattet. FriedrichSruh, 2. August. (Telegramm.) Der Kaiser trifft heute Nachmittag hier ein. — Eine Abordnung deS Herrenhauses, bestehend aus dem ersten Vice präsidenten Freiherrn v. Manteuffel, dem Grafen v. Hutten- CzapSki und dem Oberbürgermeister von Altona, vr. Giese, traf beute Vormittag bier ein, um einen Kranz mit Widmung am Sarge des verewigten Fürsten niederzulegen. FriedrichSruh, 2. August. (Telegramm.) DaS Kaiser paar wird um 5 Uhr Nachmittags in Begleitung deS StaatssecretairS v. Bülow, der Chefs der drei Cabinete und deS persönlichen Dienstes hier eintreffen, um an der Trauerfeier im Familienkreise theilzunehmen. — Der eichenpolirte Sarg mit der Leiche de» verewigten Fürsten steht im schwarzdecorirten Hinterzimmer, umgeben von Säulen mit silbernen Kron leuchtern. Als Altar, an dem die Familie heute das Abend mahl einnahm, wurde der historische Tisch benutzt, an dem im Jahre 1871 der Friedensvertrag unterzeichnet worden ist. — Eine Abordnung des Berliner BiSmarck-AuS- schusses überbrachte eine kostbare Kranzspende, die sie im Sterbezimmer niederlegte. — Graf August BiSmarck ist hier eingetroffen. Aus der Reichshauptstadt, den Hauptfftjädten der Bundesstaaten und andereu Städten deS Reiches wird berichtet: Berlin, 2. August. (Telegramm.) Der Reichs kanzler macht bekannt: „Auf Befehl dc« Kaisers findet am Donnerstag, dem 4. August, früh 10 Uhr in der Kaiser- Wilbelm-Gevächtnißkirche eine liturgische Andacht anläßlich de» Hinscheidens des Fürsten BiSmarck statt. Die Mitglieder deS Reichstags und de» Landtag«, die tbeil- zunehmen wünschen, werden ersucht, ihre Einlaßkarten in den BureauS dieser Körperschaften in Empfung zu nehmen." Berlin, 2. August. (Telegramm.) Auf kaiserlichen Befehl werden an der am Donnerstag in der Kaiser-Wilhelm- Gedächtnißkirche abzuhaltenden liturgischen Andacht für den Fürsten BiSmarck außer dem Kaiserpaare die in Berlin anwesenden Prinzen und Fürstlichkeiten, die Bot schafter, die Gesandten, der Reichskanzler, die Staatsminister, die Staat-secretaire, verBunveS- rath, die Mitglieder der gesetzgebenden Körper schaften, die Generalität und Vertreter der Reichs-, Staats- und Gemeindebehörden theilnehmen. Lilder aus dem Leben des Fürsten Sismarck. Von Robert Berndt. Nachdruck vrriotkN. X. Im Charlottenburger Mausoleum. (1890.) Der Vorfrühlingstag neigte sich seinem Ende zu und über das Charlottenburger Kaiserschloß, in dem Kaiser Friedrich die Augen geschlossen und Kaiser Wilhelm seine letzte Ruhestätte ge funden hatte, senkte sich schnell der Abend herab. Da fuhr vor den Seiteneingang des Palastes ein Wagen vor und ihm entstieg die noch immer mächtige Gestalt des Reichskanzlers. Nein — des gewesenen Reichskanzlers, des Gefallenen, dessen Entlassung vor einer Woche die Welt in eine ungeheure Erregung, in eine Art athemloser Beklemmung, Deutschland aber in eine schmerz liche Erstarrung versetzt hatte. Kaum hatten die Wenigen, die hier einen einsamen Abendspaziergang machten, den Fürsten be merkt, da war er schon in dem Portale verschwunden und schritt durch den schönen Park dahin, dem Wege folgend, der ihn an der Orangerie vorüber führte. Stiller und ernster wurde es um ihn. Die lustigen Bild werke, mit denen die Vergangenheit die Alleen geschmückt hatte, lagen hinter ihm, eine feierliche Fichtenallee nahm ihn in ihr Dunkel auf, — und jetzt stand er vor seinem Ziele: dem Mausoleum. Abschied wollte er nehmen, Abschied von seinem theuren und treuen alten Herrn, Deutschlands ersten Heldenkaiser, der da unten den ewigen Schlaf schlief. Der Mann von Blut und Eisen — wer hätte ihn heut und hier wohl wiedererkannt, wie er zu der weihevollen Stätte der Erinnerung pilgerte, wie er seinem Ge fühle ganz sich hingab, wie er kaum die in seinem Antlitze zuckende Bewegung beherrschte! Morgen sollte er die Stadt ver lassen, die er zur Hauptstadt deS mächtigsten Reiches der Welt gemacht; würde er sie wohl je Wiedersehen? Dunkel war die Zukunft, und ohne Abschjsd mochte er von Kaiser Wilhelm I. nicht weggehen. Drei Rosen trug der einsame Mann in der Hand, wie er in das Mausoleum eintrat. Matt schien noch ein blauer Strah des weichenden Tageslichts durch die hohen Fenster, während er einen Augenblick an den Särgen Friedrich Wilhelm'» IU. und der Königin Luise verweilte. Dann schied sich der Fürst vom Tage und stieg hinab in die Kaisergruft und blieb — allein. Allein mit dem Geiste de» theuren Lobten und einer Welt von sorgenvollen und bitteren Gedanken, von Erinnerungen und Befürchtungen. Vor ihm stieg die Gestalt Kaiser Wilhelm'» auf, treu und schlicht, kernig und gesund, vornehm und stolz, und doch so tiefbescheiden und so gerecht gegen jede» wahre Ver ¬ dienst, so dankbar für jedes. Er sah ihn vor sich in seiner jungen i Ritterlichkeit, wir er dermaleinst auf dem Hofball über seine I Länge gescherzt und das Gardemaß der Frau Justitia bewundert I hatte; er sah ihn als den rüstigen Siegergreis und als den unermüdlich thätigen verehrten Patriarchen. Er dachte an so manche ernste Stunde, in der er mit ihm hatte ringen müssen um das Geschick der Zukunft, und an die beinahe zärtliche Huld, mit der er ihn endlich überhäuft. Und er dachte, was der stille Schläfer da wohl gesagt hätte, wenn er diese bittere Stunde hätte ahnen können, und welche Sorgen er sich dann um das geliebte deutsche Land gemacht hätte. Ja, Deutschland, das Reich, sein Reich — was sollte, was würde nun aus ihm werden, da sein getreuer Eckart von ihm ging! Doch, da erhob der Ein ame das gebeugte Haupt. Nein, getrost! „Das Vaterland, das Du uns gründetest. Steht eine feste Burg . . . Das wird ganz andre Stürme noch ertragen, Das wird sich ausbau'n herrlich, in der Zukunft, Erweitern unter Enkels Hand, verschönern, Mit Zinnen, üppig, feenhaft, zur Wonne Der Freund« und zum Schrecken aller Feinde!" Ja, sein theures deutsches Vaterland — sie hatten es stark und kräftig gemacht, sie Beide zusammen, der ehrwürdige Tobte und er, und jetzt, in diesem ernsten Augenblicke dankte er seinem alten Herrn noch einmal, daß er ihm seinen Antheil an dem großen Werke neidlos vergönnt. Und tiefernst, doch hoch aufgerichtet, verließ Fürst Bismarck die Gruft seine» kaiserlichen Herrn. XI. „ Am 1. April 1895. Es summt und rauscht tausendfältig auf den sonst so stillen Wegen des alten Sachsenwaldes. Fahnen flattern, bunte Ge wänder blitzen in der Sonne, Lieder erklingen und Alles über tönt der Marschtritt von Tausenden. Die deutschen Studenten, des Vaterlandes Blllthe und Hoffnung, sind es, die herbeigeeilt sind, um dem Gründer des Reiches an dem Tage, an dem er fein 80. Lebensjahr vollendet, zu huldigen. Aus allen Theilen des Reiches sind sie gekommen; Corps und Burschenschaften, Universitäten und technische Hochschulen — sie Alle sind zur Stelle. Stolz tragen die jungen Leute die farbigen Banner und den studentischen Schmuck und ihre Augen leuchten und die Pulse klopfen dem großen Augenblicke entgegen. Nun find sie vor dem schlichten Herrenhause von FriedrichS ruh angelangt. Bor ihnen erglänzt die breite Terrasse im Lichte der Sonne, die nach langem Kampfe endlich die dunklen Wolken überwunden hat. Da stehen harrend die Hausgenossen und Freunde de» Fürsten. Auck die greise Schwester, die treue „Arnimen", fehlt nicht, lächelnd lorgnettirt sie das junge Volk da unten. Nur Eine fehlt an diesem Ehrentage, — die Gattin, / die der grimme Tod entführt hat ... . Und nun öffnen sich die Flügelthllren und er tritt heraus I in den jungen Frühling, ein Grei», den da» Alter gebeugt, aber nicht gebrochen hat, gewaltig noch immer in seiner Kürassier uniform, Leben in jedem Nerv. Schritt für Schritt tritt er langsam bis zum Terraffenrande heran und nimmt den blinken den Stahlhelm ab und grüßt. Grüßt mit einem langen, tiefen Blicke seiner leuchtenden großen Augen, der den ihm so wohlvertrauten Schloßpark und den rauschenden, frisch ergrünenden Sachsenwald und die unüber- ehbare Menge umfaßt, die Kopf an Kopf sich da unten vor ihm drängt, — weiter, als sein Auge sehen kann, bis tief in die Waldeinsamkeit hinein. Grüßt die deutsche Jugend, der die Zukunft gehört und die sich heute zu ihm bekennt, die ihm heute huldigt als ihrem Ideale, die ihn mehr als verehrt, — die ihn liebt. Sagen das nicht die strahlenden Blicke, die ihn grüßen? Nicht die klirrenden Speere, die sich senkenden Fahnen? Nicht der brausende Jubel, der wie in Sturm zu ihm hinaufrauscht und drüben über dem kleinen See ein Riesenecho findet bei einer vieltausendköpfigen Menge? Der Fürst grüßt und winkt und lächelt; er fühlt, dieser Tag krönt sein Werk, die Zukunft erklärt sich für ihn. Von der Zukunft spricht er nun auch zu ihnen. Von dem, was errungen ist, und was sie halten sollen; von dem Guten, das sie nicht Preisgeben sollen für ein vermeintliches Bessere. Durch die tiefe Stille, die nur ab und zu ein Rauschen der Banner, ein Knarren der Fichten im Winde unterbricht oder das ferne Jubclgeschrei derer, die noch hinten weit im Walde stehen, durch die Stille ziehen seine schlichten Worte, durchtränkt von der köstlichen Weisheit der Erfahrung eines wohlangewandten Lebens, durchleuchtet von der Milde eines abgeklärten Alters. Und den Jünglingen ist es wie ein Traum, daß hier in der deutschen Waldeinsamkeit ihre verkörperte Geschichte selbst zu ihnen spricht und ihren Blick auf die Höhen hebt, auf denen das Alltägliche verschwindet und nur noch das Große und Ewige sichtbar bleibt. Märchenhaft, wie das ganze Leben des Ge waltigen, ist es, daß er hier im ehrwürdigsten Greisenalter der blühenden Jugend seinen letzten Willen sagen und tief ins Herz prägen kann. Und nun ziehen sie an ihm vorbei. Ein endlos langer Zug, und immer mehr noch strömen vom dunklen Waldrande her. Auf merksam blickt der greise Fürst auf sie herab und auf ihre Banner; Bayern und Holsteiner, Schlesier und Elsässer — ja, sie sind noch Alle beieinander und werden's bleiben; denn die Kette, die der Meister Schmied gearbeitet, ist gut. Und in der Freude seines Herzens ergreift er ein paar Rosen und wirft sie den Jünglingen hinab. Arme Rosen! Hundert Arme strecken sich ihnen entgegen, kämpfen um sie, zerpflücken sie, und wer nur ein Blatt erobert hat, ist Jubels voll. Da lacht der Grei», lacht so rin herzliche» Lachen, wie es nur ein freies Herz und eine reine Seele haben kann, und wirft mehr Blumen hinab, und immer mehr; alle Damen auf der Terrasse müssen ihm ihre Sträuße hergeben und unten fangen die Begeisterten die Blumen grüße auf. Sie jubeln hinauf und er lächelt hinunter: das ist nicht meher der gewaltige Staatsmann, der Gründer des Reiches, I der Mann von Blut und Eisen, dem sie ehrfürchtig huldigen, — » das ist ein deutscher Mann, der sein Volk von Herzen liebt und dem es seine Liebe vergilt von Herzensgründe. XII. Der Einsiedler im Sachsenwalde. Auf einer Bank im Schloßparke sitzt der Greis von FriedrichS ruh, freut sich der wohligen Sonne und zeichnet mit seinem Stocke Figuren in den Sand. Wie schwach ward sein Fuß und wie eng sein Kreis! Er, der einst rastlos Europa von Süden zum Norden und von Ost nach West durchflog, ist jetzt zufrieden, wenn er zur nahen Bank fahren und die Sonne genießen kann. Abgefallen sind alle Schlacken von ihm, ausgebrannt ist die flackernde Leidenschaft, still ist's in ihm, wie um ihn. Ihn er füllt die Liebe Gottes und der Menschen. Er verlangt nichts mehr von der Welt, er versteht und ver zeiht, „über der Menschen Thun und Gebühren blickt er mit ruhiger Klarheit dahin". Gleichmäßigen Schrittes wandeln die Tage des Greisenalters leise dahin und jeder bringt ihn der Pforte näher, die er nicht fürchtet. Wenn aber die liebe Sonne scheint, dann sitzt er gern auf der Bank und zeichnet Figuren in den Sand und horcht auf die Stimmen, die sein über Alles geliebter Wald ihm zuträgt. Was rauscht der Wald dem Einsiedler von FriedrichSruh zu? Er flüstert ihm die leisen Grüße der Abgeschiedenen zu, die ihn rufen: der theuren Gattin, des unvergeßlichen königlichen Herrn, des heldenhaften Kronprinzen, der großen Mitpaladine. Sie mahnen ihn und rufen ihn zu sich und er ist bereit und harrt der Stunde. . . . Er trägt ihm Nachricht zu von dem brausenden Leben da hinter dem Walde, und manche Botschaft, daß er sich noch einmal gürten und auf die Wahlstatt treten möge. Doch der GreiS schüttelt lächelnd das Haupt und horcht weiter . . . Er bringt ihm die Grüße seines Volkes. Er bringt die Männer zu ihm. Alte und Junge, Handwerker und Gelehrte, Männer von den Alpenbergen und vom Bernsteinstrande, die ihm künden, daß der greise Einsiedler nicht einsam ist, daß ein ganzes großes, freies und dankbares Volk mit ihm lebt, fühlt, bei ihm weilt und für jede Stunde seines Lebens in tiefer Freude dankbar ist. Daß im einsamen Sachsenwalde Deutsch lands Herz und Liebe wohnen; daß seine Volksgenossen zu seinem stillen Heim pilgern, um sich durch einen Blick in seine treuen Augen Trost zu holen in trüben Zeiten und Zuversicht in des deutschen Volkes Bestimmung und Zukunft; daß Deutsch land sich zu seinem großen Sohne gefunden hat und nie wieder von ihm lassen wird.... Und nun? Rauschet leise, ihr Bäume des Sachsenwold«», wehe sacht, linde Sommerluft; stört den stillen Mann nicht, der nach jahr zehntelanger schwerer Fahrt zur Erde zurückgekehrt ist. Rauscht ihr Bäume weiter und erzählt Kindern und Kindeskindern von dem Manne, der zuletzt hier lebte, von dem großen deutschen Manne, Otto von Bismarck!
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