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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.08.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-08-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980804027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898080402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898080402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-08
- Tag1898-08-04
- Monat1898-08
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzejchniß. Tabellarischer und Zifserusatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgeo-Ausgabe, ohne Postbefürderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Änrmhmeschluß für Anzeigen: Abend»Ausgabe: Bormitiags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedttt«« zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 391. Donnerstag den 4. August 1898. 92. Jahrgang. Dom Fürsten Lismarck. Franz v. Lenbach hat einem Berichterstatter Mit theilungen über seinen letzten Aufenthalt in Fried- richsruh gemacht, aus denen hervorgeht, daß eine sen sationelle Meldung, wonach der Maler und Freund des tobten Fürsten in auffälliger Eile von dort abgereist sei, auf Erfindung beruht. Lenbach erklärte: „Wenn ich bald wieder von Friedrichsruh abreiste, so hatte keinerlei Verstimmung damit zu thun. Ich habe meinem Trauerempfinden Genüge geleistet, und längeres Verweilen, ohne irgendwie mithclfen zu können, wäre eher peinlich gewesen." Seine Eindrücke beim Anblick beS Tobten schildert der Künstler also: „Ich habe Bismarck noch auf dem Sterbelager gesehen. So er greifend und traurig schön der Anblick war, ein Bedürfniß, ihn künstlerisch festzuhalten, habe ich nicht gehabt. Der Todte lag im weißen Nachthemd auf dem Rücken, den Kopf seit wärts geneigt und den Mund ein wenig geöffnet, als sollte er jeden Augenblick auswachen und sprechen. Die schöne rechte Hand lag auf dem Schooße leicht vorgestreckt. Bismarck sah durchaus nicht entstellt aus, und im warmen Lichte, das durch die Fenster hereinquoll, in den Farben der Bilder und der Möbel sah das Ganze so lebendig aus, daß die Schauer LeZ Gefühls, hier sei der Tod eingczogen, doppelt erschütternd wirkten. Dieses Gefühl, wie es mich beherrschte, mag wohl der Grund sein, daß auch früher fast keiner der großen Tobten auf dem Sterbelager gemalt wurde. Um nur ein Beispiel anzusühren: Das Sterbelager von Rubens war gewiß von Meisterschülern des Meisters umgeben, und doch hat ihn keiner ge malt. Solcher Todesschauer ist künstlerisch nicht zu fassen. Nur einmal habe ich den Anreiz verspürt, einen aufgebahrten Tobten zu malen. Das war vor dem Sarge Döllinger'S. Der Tapfere hatte im Leben ein rothes Gesicht, dessen lebendiges Mienenspiel kaum eine Vertiefung in die Architektur Les prachtvollen Kopfes zuließ. Im Tode sah ich einen bleichen, herrlichen Dantekovf. Aber auch Dollinger habe ich nicht gemalt, und bei Bismarck kam noch dazu, daß der Profilanblick, das Typische des Kopses, Len breiten Schädel nicht zur Geltung kommen ließ und Laß LaS Wesen fehlte — die Augen." Daß die Abnahme einer Todtenmaske unterblieben ist, bedauert Lenbach. Dagegen bezeichnet er die Absperrung des Schlosses als eine von den Umständen gebotene Maßregel: „Den Hunderten von Deputationen, von Berichterstattern, den Tausenden von Verehrern des Fürsten, die alle gewiß mit den pietätvollsten Absichten um Einlaß warben, hätte der Eintritt un- möglich gewährt werden können. Zu einer Auswahl fehlte es an Zeit und an allen Eiurichtnngen." Wir schließen hieran die noch über den Fürsten Bismarck vorliegenden Meldungen: * FriedrtchSriih, 3. August. Laut der „Köln. Ztg." bemerkt die Familie BiSmarck's, alle jene Anordnungen nach dem Tode, die vielfach eigenthümlich erschienen, seien auf das Wort des Fürsten zurückzuführen, daß er wenigstens im Tode Ruhe haben wolle. Die Leiche soll doch erst in etwa sechs Wochen nach der Fertigstellung der den Unterbau des geplanten Mausoleum- bildenden Gewölbe bei gesetzt werden. * Hamburg, 3. August. Die „Hamburger Nachr." veröffentlichen die Beileidstelegramme, die auS den regierenden Häusern an den Fürsten Herbert Bismarck ein gegangen sind. Das Telegramm des Prinzen Heinrich auS Fusan lautet: „Tiefst bewegt. Heinrich." Durch Abwesen heit eines Beileidstelegrammes glänzt Reuß ä. L. Unter den mitgetheilten Depeschen finden sich solche des Kaisers von Rußland und des Präsidenten von Frankreich nicht. 1t Kiel, 3. August. Auf Befehl des Kaisers hatten sämmtliche Schiffe im Kieler Hafen einschließlich „Hohen- zollern" am 2. August die Flaggen Halbstocks gehißt und feuerten, um >2 Uhr beginnend bis 1 Uhr Mittags einen Trauersalut von IS Schuß zu Ehren des Fürsten Bismarck, indem alle Schiffe immer mit drei Minuten Intervall zugleich je einen Schuß abgaben. Nach dem Salut wurden die Flaggen vorgehißt. * Berlin, 3. August. Wie die „Berl. N. N." hören, bat der im „Reichs-Anzeiger" erschienene Nachruf für den Fürsten BiSmarck den Director der Staatsarchive, Geheimrath vr. Koser, den Schüler und Nachfolger Sybel'S, zum Verfasser. Der Auftrag ist ihm durch den Reichskanzler Fürsten Hohenlohe ertheilt worden. * Berlin, 4. August. (Telegramm.) Die Morgen blätter berichten: Gestern wurde eine Bismarck-Trauer feier sämmtlicher Berliner Hochschulen im Saale der Brauerei Friedrichshain abgehalten. Es waren über 2000 Studirende anwesend. Die akademische Lehrerschaft war fast vollständig erschienen. Auf der Gallerte befanden sich viele Damen in Trauerkleidern. Professor AdolfWagner hielt die Gedächtnißrede, in der er ausführte: Unsere Zeit war daS Zeitalter BiSmarck's. Nach der Rede wurde ein Trauer salamander gerieben. Mit dem Liede: „Deutschland, Deutsch land über Alles!" wurde die Trauerfeier geschlossen. >v. Meiningen, 2. August. Der Herzog von Meiningen bat folgendes Telegramm an den Fürsten Herbert Bismarck gesandt: „Im tiefsten Innern erschüttert, habe ich die Trauerbotschaft erhalten, vor der in Deutschland jedes andere Interesse erblaßt. Er, der uns Deutschen die Einheit und das Reich gab, ist ein gegangen in die Gemeinschaft der Größten aller Zeiten. Möge sein Werk dauern, wie die liebende Verehrung für ihn nicht aushören wird, zu wachsen bis in die fernsten Zeiten. Ich empfinde es als eine schwere Prüfung, daß meine Gesundheit mir verbietet, mir die Ehre za geben, persönlich an der letzten Huldigung theilznnehmen, die ganz Deutschland an seinem Sarg versammeln wird, und habe meinen ältesten Sohn beauftragt, mich hierbei zu vertreten, sowie der Ueberbringer meiner innigen Theilnahme an Ew. Durchlaucht und Ihre ganze Familie zu sein. Georg." * Jena, 3. August. (Telegramm.) Heute Mittag fand hier zum Gedächtniß des Fürsten BiSmarck eine akade mische Feier statt, bei der Professor Delbrück die Festrede hielt. Im Anschlüsse an diese Feier wurde heute Abend ein Trauerfackelzug veranstaltet, an dem das Oorxus ucaäomicuw, die Studentenschaft, die Gemeindebehörden, militairische und bürgerliche Vereine, inSgesammt über 1000 Personen, theil- nahmen. Unter dem Geläute der Glocken zogen die Bethei ligten nach dem Marktplätze, wo die Feier mit einer Ansprache und dem Gesänge des Liedes „Deutschland! Deutschland! über Alles!" ihr Ende erreichte. * Karlsruhe, 3. August. Staatsminister Freiherr von Brauer hat sich heute Vormittag nach Berlin be geben, um als Vertreter des Großherzogs an der Trauer feierlichkeit für den Fürsten Bismarck in der Kaiser-Wilhelm- Gedächtnißkirche theilzunehmen. (Wiederholt.) Folgende Auslandsstimmen sind noch zu verzeichnen: * Rom, 3. August. Das militairische Blatt „Esercito" schreibt: Italien und Deutschland verbündet, können sich gemeinsam in Ehrfurcht vor dem Grabe des Fürsten Bismarck vereinigen, der es verstanden hat, sie in einem dauernden Freundschafts« vertrage zu vereinigen und Len Grund zu der Politik zu legen, die eine neue Bestätigung erhalten wird und bestimmt ist zu neuen Erfolgen in der Zukunft. VV. Warschau, 4. Juli. (Privattelegramm.) Die hiesige deutsche Colonie beabsichtigt, um das Andenken Les verewigten Fürste» Bismarck zu ehren, einen Unterstützungsfonds sür alte und arbeitsunfähige deutsche Reichsangehörige zu bilden. Die „St. Petersb. Wjrdomosti" des dem Zaren nahestehenden Fürsten Uchtomski äußern sich in einem Leitartikel über den Fürsten Bismarck unter Anderem in folgender Weise: Die Nachricht von seinem Tode wird überall mit den ver schiedenste» Gefühle» ausgenommen werden, aber Niemand wird sich zu diesem Ereigniß mit Gleichgiltigkeit ver halten. Es war dies eine Welt kraft, zu der man sich sowohl feiernd als äußerst negativ verhalten konnte, die aber durch die Größe ihres Einflusses forderte, daß alle Elemente und alle Er scheinungen des menschlichen Lebens zu ihr eine bestimmte Stellung etnnahmen. Jgnorirt konnte diese Kraft nicht werden ... Bismarck war ein tief nationaler Held, wie ihn Deutschland früher nicht gesehen hat: durch die Krast seiner bedeutenden Individualität hat er die nationalen Eigenheiten des deutschen Charakters fast umgeschasfen. Seine Thätigkeit war rein schöpferisch, weil sie tief bewußt und selbstständig in allen den mannig faltigen Fragen war, die Len Gegenstand der von ihm durch geführten Politik bildeten. . . . Freilich war er manchmal nicht wählerisch in den Mitteln im Kampse mit den Parteien in Deutsch land, aber manchmal auch nicht in äußeren Fragen. Die inneren Compromisse erklären sich durch die parlamentarische Regierungs form in Westeuropa, und in dieser Hinsicht wendete Bismarck im Kampfe mit seinen Gegnern deren eigene Waffen an. Anders ist cs in der internationalen Politik. . . . Bismarck hat das deutsche Reich nicht nur geschaffen, sondern es auch gerettet in dem kritischesten Moment seiner Geschichte: im Kampse mit den Resten der revolutionairen Elemente in Deutschland. Durch die von ihm im Reichstag durchgcsührten Gesetze über die Versicherung der Arbeiter, der Krankencassen nnd der Altersrente sür dieselben hat er dem Socialismns in Deutschland seinen gefährlichen Charakter genommen. . . . Nur einmal hat sich Bismarck geirrt; als der Zar- Friedensstifter dem deutschen nationalen Genius Len russischen nationalen Genius gegenüber stellte, sowie Gleichberechtigung und Achtung sür demselben forderte.(?) Tatsächlich hegte Bismarck, obgleich er oft in heraussordernder Weise gegen Rußland austrat(?), Loch Besorgniß vor denselben oder — richtiger — er wollte lieber in ihm eine» guten Nachbar und Freund sehen, welche Gesühle in Bezug aus Deutschland auch von den Russen getheilt worden. Solche Besorgnis; von seiner Seite ist der beste Zoll der Hochachtung gegen Rußland. DaS russische Volk ist im Stande, dem Verstorbenen ein gutes Andenken zu bewahren, bei vollkommen unparteischer Würdigung seiner Thätigkeit. Politische Tagesschau. * Leipzig, 4. August. Herr vr. Moritz Busch setzt in den Londoner „Times" die Veröffentlichung von Beiträgen zur neuesten Geschichte fort. Documente, die wesentlich Neues enthalten, bringt er jedoch nicht bei. So ist eS beispielsweise schon bisher wohl bekannt gewesen, daß Fürst Bismarck auch zu Hause Schwierig keiten zu überwinden hatte, ehe er zu dem Bündniß nnt Oesterreich gelangte. Dazu giebt nun Busch einen Privat brief BiSmarck's an den Grafen Andrassy bekannt. DaS Datum ist nicht angegeben. Busch berichtet nur, daß ihm der Brief im Jahre 1887 gezeigt worden sei. Derselbe lautet: „Ich bin vergnügt, aus Ihrem Brief zu ersrheu, daß Ihr Herr, Kaiser Franz Joseph, einen Fuß in dem Steigbügel bereits hat, und ich verzweifle nicht, daß unsere gemeinsamen Anstrengungen den Erfolg haben werden, ihn ganz in den Sattel zu heben. Unglück- licherweise liegt es in der Natur der Dinge, daß mein Theil Les Geschäfts nicht so schnell besorgt werden kann, als der Ihrige. Mündliche Auseinandersetzungen haben nicht allein den Vorzug der Raschheit, sondern auch den, lne Discussivn zu beschränken auf die Beantwortung der Fragen, die alsbald von den Souve- rainen gestellt werden. In meiner: geschriebene» Ausführung dagegen habe ich in der Vorausnahme des Entstehens von Miß- Verständnissen, dessen Möglichkeit ich ann ehmcn kann, zu discutiren. Ich bin in einem solchen Zustande, daß ich meinem Sohne dictiren muß. der mit Ihrer freundlichen Erlaub»iß dies schreibt, und zwar 60 Seiten und einen Anhang, der zmn größten Theil die Beaur- wortung telegraphischer Anfragen enthält. Nichtsdestoweniger bin ich nicht glücklich genug gewesen, trvtz aller meiner Sorgen voll ständig ein Mißverständniß fern zu halten, nämlich das, als ob irgend ein Hintergedanke von Angriffen in unserm friedlichen Plan verborgen liege. Der Gedanke hieran ist einem Fürsten unsym pathisch, der 82 Jahre alt ist; aber ick; hoffe, daß ich im Stande jein werde, ihn zu vertreiben, obgleich es mich noch einen an- sehnlich großen Nachtrag zu diesen 60 Seiten kosten wird. Die Abneigung meines Herrn, in neue Situationen ein zutreten, eine Abneigung, welche in seinem Temperament be gründet ist, hindert meine Thätigkeit. Ganz entscheidend ist in seinen Augen die letzte Handlung des Kaisers Alexander. Er hat an seinen Onkel einen Brief geschrieben, in dem eine Stelle wie eine Drohung lautet, die erste blitzgleiche Offenbarung einer Lage, der ich während der letzten zehn Jahre öfters gezwungen war, gegenüberzutceten. Es ist außerordentlich hart für Se. Majestüi, daß er zwischen zwei benachbarten Reichen wählen muß. Deshalb wird er so lange wie möglich die Angen der Ueberzeugung ver- schließen, daß der Moment gekommen ist, zu handeln. Gewohnhett hat eine große Gewalt in unserem königlichen Haus, und die Dis position, zu beharren, wächst mit dem Atter. Sie lehnt die Ancr- kenntniß der unbestreitbaren Veränderung der äußern Welt ab." Das Original dieses Schreibens ist Busch gezeigt worden. WaS er über Vie Bemühungen BiSmarck's, den König Wilhelm von der Theilnahme am Frankfurter Fürsten-Congreß von 1863 abzuhalten, veröffentlicht, verbreitet gleichfalls kein neues geschichtliches Licht. Das Blatt jenes Tagebuches, daS darüber berichtet, ist 1870 ge schrieben, kurz nach der Unterhaltung beim Thec: „Ja, damals gab's heiße Kümpfe", sagte Bismarck, als er mit der Erinnerung an seine harte Arbeit bezüglich der schleswig- holsteinischen Afsairr schloß, „Kämpfe, welche besserer Nerven als meiner bedurften." Und wiederum vor dem Fiirstencongreß in Frankfurt, als der König von Sachsen in Baden gewesen, um unseren König zu überreden, nach Frankfurt zu gehen: „Es war thatsächlich im Schweiße meines Angesichts, daß ich ihn davon abhielt." Buich fragte ihn, ob der König wirklich sich den anderen Fürsten an- schließen wollte. „Ganz gewiß", antwortete er. „Mit unendlicher Mühe hielt ich ihn an den Rockschößcn fest. Tie Frauen waren alle dafür, die Königin-Wittwe zuerst, dann Augusta und die übrigen. Ich sagte der Königin-Wittwe, ich würde nicht Minister bleiben nnd würde nicht nach Berlin zurückgehen, falls der König sich Herum kriegen ließe. Da sagte sie, das würde'ihr leid thun, und wenn dies wirklich meine Absicht sei, so müsse sie die ihre ändern, und sie würde dann, obwohl sehr gegen ihre Ueberzeugung, auf ihren Schwager in dieser Richtung einwirken. Dennoch wurde mir die Arbeit bitter genug gemacht. Nachdem der König von Sachsen und Beust bei ihm gewesen, lag er auf dem Sopha und weinte bitterlich, und als ich ihm den cndgiltigen Absagebrief abgerungen, war ich so schwach nnd müde, Laß ich kaum ans den Beinen stehen konnte. Ich taumelte, als ich Las Zimmer verließ, und ich war in einem Zu stande solcher nervösen Aufregung und Erschöpfung, daß ich, als ich die Thür »ach dem Vorzimmer schloß, die Klinke ab- brach. Der Adjutant fragte mich» ob ich unwohl sei. „Nein", antwortete ich, „jetzt ist mir wieder wohl." Aber ich erzählte Beust, Laß ich, wenn nöthig. den Commandeur des Preußischen Regiments in Rastatt um Mannschaften bitten würde, um das Haus zu be- setzen und unseren Herrn vor weiterer Versuchung und Beschädigung der Gesundheit zu bewahren." Herr v. Keudell erzählte Busch, daß der Minister auch die Absicht hatte, seinen sächsischen College» thatsächlich arretiren zu lassen, falls er zurückkäme. - ' ' FciriHeton. Vergeltung. 8j Erzählung von Wilkie CollinS. Nachdruck vcrboten. „Wenn vr. Bambert kommt, sie zurück zu verlangen", sagte er sich toll, „soll er finden, daß unsere Rechnung ausgeglichen ist." Er sah nach seiner Uhr. War es noch möglich, den letzten Zug zu erreichen und diesen Abend zurückzukehren? Nein, der letzte war schon fort. Würde sie aus seiner Abwesenheit den Vortheil ziehen, zu entfliehen? Nein, das war nicht zu befürchten. Sie würde nicht zugegeben haben, daß ihre Tante ihn in das Win- word'sche Haus schicke, wenn sie den leisesten Verdacht gehabt hätte, daß er dort die Wahrheit erfahren könnte. Es war früh genug für ihn, wenn er am nächsten Morgen mit dem ersten Zuge zurückkehrte. Inzwischen hatte er die Stunden der Nacht vor sich, um die ernsten Fragen zu überdenken, die erledigt wer den mußten, eh« er London verließ, vor Allem die Frage, wir er die vierzigtausend Pfund zurückzahlen sollte. Jetzt gab es für ihn nur noch einen Weg, das Geld zu erlangen. Koslyn hatte sein Testament gemacht, das ihm, wie der Anwalt ausdrücklich erklärte, die unumschränkte Verfügung über das Hinterbliebene Vermögen übertrug. In vierundzwanzig Stunden wollte Evers die Sache entschieden und das Geld in Händen haben. Der Schlag sollte ohne eigene Gefahr durch ein anderes Werkzeug geführt werden. Angesichts der Wahrscheinlichkeiten, angesichts der Thatsachen, hielt Evers sich überzeugt, daß der Baron um den gegen den Freund verübten Betrug wußte. Den Ehevertrag, die Aussetzung des Testaments, den Besuch der Familie in Somersetshire hielt er für eine Kriegslist, erfunden, ihn bis zum letzten Augenblick zu täuschen. Die Wahrheit lag sür ihn in jenen, von ihm belauschten, zwischen dem Baron und Bambert gewechselten Worten, und in der Thatsache, daß Bambert, ohne Zweifel von seinem Onkel dazu ermuntert, in Holderwell gewesen war. „Ihr Vater soll mir doppelt dafür zahlen, mit seiner Börse und mit seinem Leben", sagte sich Evers, die berüchtigten Gaffen am Fluß durchwandernd, bis er in die Ankergasse, den SchlUpf-- winkel der ruchlosesten Verbrecher Londons einbog, und das dort gelegene Wirthshaus aufsuchte. Der vor der Hausthür stehende Wirth schien ihn zu er kennen, und ging ihm voran. Sie durchschritten ein mit Matro sen aller Nationen gefülltes Zimmer, die rauchend und trinkend vor schmutzigen Tischen saßen, stiegen ein« Hintertreppe hinauf und blieben vor der Thür eines Zimmers im zweiten Stock werk stehen. Hier that der Wirth zum ersten Male den Mund auf. „Wie gewöhnlich hat er sein Geld längst aufgebraucht, und schon wieder eine Menge Schulden gemacht", sagte er. „Sein Rock hängt ihm nur noch in Fetzen am Leibe. Ich glaube nicht, daß der arme Teufel es noch lange machen wird. Gestern Abend hatte er wieder einen Anfall von Säuserwahnsinn." Nach diesen Worten öffnete er die Thür, und Evers trat in das Zimmer. Auf dem elenden Bette lag ein alter Mann von riesiger Gestalt in zerrissenem Hemd. An seinem Bette, durch einen wackeligen Tisch, auf dem eine Branntweinflasche stand, von ihm getrennt, saßen zwei Ungeheuer in Frauen kleidern. Der Geruch von Branntwein und Opium erfüllte die Luft. Bei Evers' Eintritt richtete der alte Mann sich auf und streckte ihm mit gierigen Blicken die Hand entgegen. „Gold, Herr", rief er mit heiserer Stimme. „Eine Krone voraus, zur Erinnerung an alte Zeiten." Ohne ihm zu antworten, wendete sich Evers an die beiden Weiber. „Seine Kleider sind natürlich bei dem Pfandleiher", be merkte er: „Wie viel?" „Dreißig Schilling." „Bringt sie her, aber schnell, es soll Euer Schade nicht sein." Die Weiber suchten die Pfandscheine hervor und ver schwanden. Evers verriegelte die Thür und setzte sich an das Bett, legte vertraulich die Hand auf des Riesen Schulter, sah ihm voll ins Gesicht und flüsterte: „Thomas Wilde." Der Mann zuckte zusammen und fuhr sich mit der großen, behaarten Hand über die Augen, als wollte er sich vergewissern, ob er wache oder schlafe. „Seit zehn Jahren haben Sie mich nicht mehr bei diesem Namen genannt", sagte er. „Wenn ich Thomas Wilde bin, wer sind Sie?" „Wieder Dein Capitain." „Und ist wieder Einer aus dem Wege zu räumen?" flüsterte der Alte. „Ja." Der Riese schüttelte kläglich den kahlen Kopf. „Es ist zu spät, ich tauge nicht mehr zur Arbeit. Da, sehen Sie." Und er hielt die Hand empor, und zeigte Evers, wie sie zitterte. „Ich bin ein alter Mann", seufzte er, und ließ Ne Hand schwer neben sich aufs Bett fallen. „Der Mann ist ebenso alt wie Du", erwiderte Evers, „und das Geld, das zu verdienen ist, lohnt sich der Mühe." „Wie viel?" „Hundert Pfund." „Thomas Wilde's Blicke hefteten sich gierig auf Evers' Gesicht. „Lassen Sie einmal hören, Herr Capitain", sagte er leise, „lassen Sie hören!" Als die Frauen mit den Kleidern zurückkamen, hatte Evers das Zimmer bereits verlassen. Der ihnen versprochene Lohn lag auf dem Tisch. Thomas Wikde wartete ungeduldig auf seine Sachen, um sich anzukleiden und fortzugehen. Auf alle Fragen, die sie an ihn richteten, antwortete er nur, er habe ein Geschäft in Händen, das keinen Aufschub dulde, iiz ein oder zwei Tagen würden ste ihn mit gefülltem Geldbeutel Wiedersehen. Mit dieser Versicherung ergriff er seinen schweren Knotenstock, der in einem Winkel der schmutzigen Kammer stand, und entschlüpfte raschen Schrittes durch die Hinterthür des Hauses in die Nacht hinaus. 11. Capitel. Der Abend war frisch, aber für die Jahreszeit nicht eigent lich kalt. Der Mond schien nicht, aber die Sterne glitzerten am Himmel und die Luft war ruhig. Die Bewohner des kleinen Dorfes Baxdale in Somersetshire waren darüber einig, schon feit Jahren kein so schönes Weihnachtswetter gehabt zu haben. Gegen acht Uhr Abends war es in der einzigen Straße des Dorfes leer, nur in der Nähe des Wirthshauses war etwas Leben zu bemerken. Die altersgraue kahle Kirche, die sich in einiger Entfernung vom Dorfe erhob, sah in dem matten Sternenlicht noch weltentrückter aus als gewöhnlich. Aus dem Pfarrhaufe, das dicht neben der Kirche im Schatten des Thurmes lag, drang weder der freundliche Schein eines Kaminfeuers oder des Lampenlichtes, die düstere Landschaft zu erhellen. Fenster laden und Vorhänge waren dicht geschlossen. Der einzige Licht strahl, der auf das winterliche Dunkel fiel, ergoß sich aus dem unverhüllten Fenster eines einsamen Hauses, das durch die ganze Länge des Kirchhofes von dem Pfarrhaufe getrennt war. An dem Fenster stand ein Mann, der den spähenden Blick auf merksam auf den öden Kirchhof hinausschickte. Der Mann war Evers, das Häuschen, in dem er Wache hielt, gehörte ihm. In diesem Augenblick blitzte ein Funke wie von einem an gezündeten Streichhölzchen in der Ferne auf. Evers verließ sofort das leere Zimmer, durchschritt den Hintergarten des Häuschens, öffnete eine Thür in der niedrigen steinernen Um friedigung und begab sich auf den Friedhof. Die schattenhafte Gestalt eines hochgewachsenen Mannes richtet« sich zwischen den Gräbern auf und kam ihm entgegen. „Hast Du Dich im Wirchshaus einquartiert, Thomas?" fragte Evers mit gedämpfter Stimme. „Ja, Herr Capitain." „Hast Du den Weg nach dem Malzhaufe hinter der Um zäunung meines Obstgartens noch bei Tageslicht gefunden?" - „Ja." Nun hör' mich an. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Ver stecke Dich hinter dem Grabstein dort. Heute Abend vor neun Uhr wirst Du mich mit dem Manne, auf den Du warten sollst, über den Friedhof kommen sehen. Er wird eine Stunde bei dem Pfarrer in dem Hause drüben zubringen. Hier an dieser Stelle werde ich stehen bleiben und zu ihm sagen: Jetzt können Sie Ihren Weg nicht mehr verfehlen, ich werde umkehren. Wenn ich weit genug von ihm entfernt bin, werde ich Dir mit meiner Pfeife ein Zeichen geben. Sobald Du den Pfiff hörst, folgst Du dem Mann und schlägst ihn zu Boden, ehe er den Kirchhof verlassen hat. Du hast doch Deinen Knüppel bei Dir?" Thomas Wilde hielt seinen Knotenstock in die Höhe. Evers betastete mißtrauisch seinen Arm. „Du hast wieder einen Anfall gehabt", sagte er. „Was hat dieses Zittern zu bedeuten?" Er zog eine Branntweinflasche hervor, Wilde entriß sie ihm und leerte sic auf einen Zug. „Jetzt ist Alles wieder in Ordnung", rief er. Evers befühlte von Neuem den Arm des Trunkenboldes. Das Zittern hatte bedeutend nachgelassen. Wilde fuchtelte mit seinem Stock und schlug damit auf einen Grabhügel. „Wird er an einem solchen Hieb genug haben?" frug er. „Wenn Du ihn zu Boden geworfen hast", fuhr Evers in seiner Unterweisung fort, „plünderst Du ihn aus. Du nimmst ihm sein Geld und seine Schmucksachen ab. Ich will, daß man die Sache als Raubmord betrachte. Ehe Du Dich ent fernst, vergewissere Dich, daß er auch wirklich todt ist, dann gehst Du in das Malzhaus. Daß Du von irgend Jemand gesehen wirst, hast Du nicht zu befürchten. Die Leute sind alle zu Hause, um das Weihnachtsfest zu feiern. In der Mälzerei wirst Du einen Anzug und einen Kessel mit ungelöschtem Kalk finden. Den Anzug, den Du trägst, vernichtest Du, und den andern ziehst Du an. Folge dem Kreuzweg bis zur Land straße, dann wende Dich links. Ein Marsch von zwei Stunden bringt Dich nach der Stadt Harmünster. Dort übernachtest Du, und Morgens mit dem ersten Zuge fährst Du nach London, gehst in mein Comptoir und sagst dem Cassirer: Ich komm«.
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