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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.08.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-08-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980816020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898081602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898081602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-08
- Tag1898-08-16
- Monat1898-08
- Jahr1898
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Die Morgen.AuSgabe erscheint um '/,7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. BczugS-PreiS i» der Hauptexpeditiou oder den im Stadt- beztrt uud den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins HauS 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierlestährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandsendung ins Ausland: monatlich 7.50. NeLaction und LrveLition: JohanneSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Ltlo Klcmm'S Sortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Latharinenstr. 14, pari, und Königsplatz 7. Abend-Ausgabe. tipngtr tagtblall Anzeiger. Ämtsbtatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Ratljes nnd Notizei-Amtes der Ltadt Leipzig. AnzeigemPreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg? Reklamen unter dem RedactionSstrich (4ae- spaltra) 50 vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- vrrzeichuiß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-vetlagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mrt Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bonniriags 10 Uhr. Morge u-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 413. Dienstag den 16. August 1898. 92. Jahrgang. Nochmals Herr Andrem White. —p. Der Berliner Botschafter der Vereinigten Staaten Herr Andrew White, hat bekanntlich schon einmal in einer Leipziger Tischrede den Versuch gemacht hat, die unleugbar in einem großen Theile des deutschen Volkes seit geraumer Zeit vorhandene Mißstimmung gegen Amerika und die Amerikaner nicht nur verschwinden zu machen, sondern in Wohlwollen und Sympathie zu verwandeln, wobei er wiederholt mit Nachdruck daraus Hinweisen zu sollen glaubte, daß nicht der Amerikaner als solcher, nicht die Politik seiner Staatsmänner den Deutschen Anlaß zu ärgerlicher Stimmung gegeben hätte, sondern die „verkehrten" Zeitungs-Artikel „verkehrter Amerikaner", die nicht ernst zu nehmen seien und in Amerika auch nicht ernst genommen würden. Wir haben damals — am 6. Juli d. Js. — gleich unter ungcheuchelter Anerkennung der verdienstlichen Absicht Wbite's, wieder gute Stimmung bei uns für die Vereinigten Staaten zu machen, ausführlich nachgcwiesen, daß die ablehnende Haltung des deutschen Volkes gegen Amerika und amerikanisches Wesen gute und zureichende Gründe hat und daß nicht wir, sondern die Herren Amerikaner es sind, die freundlicher in den Wald rufen müssen, wenn sie ein freundlicheres Echo wünschen. Nun hat Herr White abermals das Bedürfniß gehabt, über den Gegenstand sich des Langen und Breiien ausnr- sprechen. Die „New Horker Staatszeitung" vom 2. d. M. veröffentlicht eine Depesche ihres Berliner Correspondenten, n welcher dieser nachstehende Erklärungen des Botschafters wörtlich wiedergiebt: „Die Beziehangen zwischen den Negierungen Deutsch, lands und der Bereinigten Staaten waren und sind noch ausgezeichnet. Als einfache Thatsache will ich nur ansührcn, daß es keiner mit den Verhältnissen nur einigermaßen vertranten Person einfallen wird, in Abrede zu stellen, daß die deutsche Negierung die unsere in loyalster Weise behandelt hat, oder behaupten zu wollen, daß sie unserer Regierung oder deren Vertretern in Berlin gegenüber die nöthige Courtoisie nicht be obachtet hätte. Auch nicht ein einziger Ausnahmefall ist zu ver zeichnen. Was das d eutsche Volk im Allgemeinen betrifft, so bin ich der Ueberzeugung, daß der vernünftig denkende Theil desselben im großen Ganzen den Vereinigten Staaten freundlich gesinnt ist. Ich erhalte jeden Tag Briefe, welche darauf hindeuten. Bei einer beträchtlichen Anzahl von Personen gab sich für Spanien, als schwächere Nation im Kampfe mit einer stärkeren, natürlich eine gewisse Sympathie kund; auch ist es sehr wahrscheinlich, daß ein großer Theil der grundbesitzenden Classen und der hervorragenden Fabrikanten Vorurtheile gegen die Ver einigten Staaten hat, weil dieses Element die Bereinigten Staaten theilweise für eine Verminderung seiner Prosperität verantwortlich machen zu muffen glaubt; und es muß auch zugestanden werden, daß eine große Mehrzahl der deutschen Zeitungen den Ver einigten Staaten gegenüber sich mehr oder weniger feindlich verhielt; doch ist es vollständig klar, daß die Stimmung der Deutschen sich in dieser Hinsicht mit jedem Tage bessert, je mehr der wahre Charakter des Kampfeserkannt wird. Unzweifelhaft fanden auch von amerikanischer Seite verschiedene Provokationen statt, es wurden aber einige meiner ruhmredigeu und prahlerischen Lands leute hier viel zu ernst genommen. Von Zeit zu Zeit sind auch in amerikanischen Zeitungen, selbst in den respekta belsten, Aeußerungen über Deutschland laut geworden, welche in gewissen deutschen Kreisen bittere Antworten heraus forderten. Thatsächlich schienen aus beiden Seiten des Atlan tischen Oceans feit Langem andauernde Versuche gemacht worden zu sein, nach beiden Richtungen hin Alles zu tendenziös zu entstellen, um böses Blut Hervorzurusen. Wer auf dieser Seite des Oceans (oder auf jener) dafür ver antwortlich ist, das kann ich hier nicht desinire»; aber so viel ist gewiß, daß die absurdesten Beschuldigungen nach den Vereinigten Staaten telegraphirt und dort weithin verbreitet worden sind. Selbst hervorragende Amerikaner waren der Ansicht, daß die deutsche Negierung und das deutsche Volk die Amerikaner schlecht behandelten, während gerade das Gegentheil der Fall war. Andererseits veröffentlichten einflußreiche deutsche Zeitungen Briese aus Amerika, in denen die Beschuldigung erhoben wurde, daß die Deutschen in den Vereinigten Staaten schlecht behandelt und gehaßt würden. Ein oder zwei Vorfälle mögen dafür als Illustration dienen. Kurz nach meiner Ankunft in Berlin kabelte Jemand nach Amerika, daß die Abneigung gegen die Vereinigten Staaten hier eine so große sei, daß der Kaiser sich gezwungen gesehen habe, einen Befehl zu erlassen, daß die Beamtenwelt sich zu meinen Empfangssoiröen einstellen müsse; dieser „Befehl" war aber in Wirklichkeit nichts weiter, als die übliche osfi- cielle Benachrichtigung, die immer erlassen wird, wenn ein neuer Botschafter eintrifft und bereit ist, seine drei regulären Empfänge zu veranstalten. Alle Eingeladcncn zeigten das höflichste Benehmen und das liebenswürdigste Entgegenkommen. Gegen Schluß der Session wohnte ich einer der Sitzungen des Reichstages bei, um eine äußerst interessante Debatte anzuhören. Zu meiner Ueberraschung erfuhr ich bald nachher, daß in den Vereinigten Staaten eine Nachricht weit verbreitet worden sei, daß der Botschaftssccretair und ich bei dieser Gelegenheit von konservativen Reichstagsabgeordneten insultirt worden wären. Auch an dieser Geschichte war absolut nichts Wahres. Im Geg-ntheil, eines der konservativen Mitglieder des Bundesrathcs kam nach der diplomatischen Loge, setzte sich zu uns und zeigte uns die interessantesten Persönlichkeiten unter den Abgeordneten; andere Mitglieder begrüßten uns höflich von ihren Sitzen aus; und weder an diesem Tage noch an irgend einem anderen Tage wurde gegen die Botschaftsbeamten oder irgend einen einzelnen derselben die geringste Animosität an den Tag gelegt. Ich könnte noch mehrere andere Beispiele von Telegrammen anführen, die augenscheinlich nur zu dem Zwecke abgefaßt und abgesendet worden waren, um eine ebenso unbegründete wie ab.surde Abneigung gegen die Deutschen Hervorzurusen. Es liegt auch klar auf der Hand, daß der sogenannte „Jrene"- Zwischenfall von Personen ausgenutzt wurde, die in gleicher Weise eine Animosität zwischen beiden Nationen herbeizuführen suchten. An dem ganzen Vorfälle war nichts, was dazu hätte dienen können, einen Antagonismus zwischen beiden Ländern zu verursachen. Dasselbe mag in Bezug aus das angebliche Rencontre zwischen den Admiralen Dewey und Dicderichs gesagt werden. Alle Einzelheiten darüber sind Erfindung. Ich will weder behaupten noch in Abrede stellen, daß die leitenden Geister in Deutschland sich mit großen Plänen sür Ausdehnung des kom merziellen Einflusses des deutschen Reiches tragen, ich betrachte überaus alle Fälle solche Bestrebungen nicht nur als natürlich, sondern als lobens» werth. Bisher ist zur Förderung dieser Pläne nichts geschehen, worüber wir uns beklagen könnten. Meine eigene Ansicht geht dahin, daß eine Ausdehnung der Handelssphäre Deutsch lands und der anderer großer europäischer Mächte im Osten mit unseren eigenen Interessen nicht unvereinbar ist, sondern glaube vielmehr, daß solche Interessen, wenn richtig wahr genommen, so gestaltet werden könnten, daß sie sich gegenseitig unterstützen, und daß Amerika nur noch stärker und reicher sein wird durch die Ausdehnung des civilisatorischen Einflusses Deutschlands und anderer hochcivilisirter Mächte in jenen Regionen. Denkende Männer in Deutschland kommen mehr und mehr zu der Ueberzeugung, daß das die Ansicht der amerikanischen Regierung ist, und daß die deuischcn Interessen weit besser gefördert werden können durch freundliche Beziehungen zu uns, als durch eine unangeneh in eEin Mischung irgend welcher Art. Das ist nicht blos eine vage Vermuthung von meiner Seite; Alles, was ich über die Beziehungen beider Länder weiß, zeigt mir, Laß das richtige Gefühl für uns hier vorherrscht. Weit entfernt davon, daß die Stimmung der Deutschen gegen uns eine schlechtere wird, hat sie sich fortwährend zu einer besseren gestaltet. Diese Aeußerungen sind noch um einen Ton friedlicher und versöhnlicher als White'S Leipziger Tischrede, und wir unterschreiben von vornherein Alles, was der Botschafter, offenbar einer der begabtesten und weitcstblickenden Diplomaten der Gegenwart, über die kulturelle Interessengemeinschaft der Vereinigten Staaten und Deutschlands im fernen Osten sagt. Deutschlands Handel und Industrie wird sich dieses Wort merken uud daraus willkommene Eonseguenzen ziehen, und wir werden nölhigenfalls die Amerikaner daran erinnern. Einem aber müssen wir direkt widersprechen. Wir haben doch auch die deutsche Presse ziemlich genau verfolgt, aber es ist uns auf Grund unserer berufsmäßigen Lektüre durchaus nicht „vollständig klar geworden, daß dieStimmung derDeutschcn bezüglich des Krieges mit Spanien sich mit jedem Tage bessert, je mehr der wahre Charakter des Kampfes erkannt wird." Im Gegenth-il, so lange die Staatsmänner und in Ueberein- stimmung mit ihnen die Presse der Union humanitäre Grünte für die Kriegserklärung an Spanien vorschütztcn, hat es noch einige wenige naive Leute gegeben, welche die Culturmission der Vereinigten Staaten auf Cuba priesen, ebenso wie sie die edlen, selbstlos christlichen Absichten Englands in Armenien in den Himmel hoben. Jetzt aber, wo die Blätter der Vereinigten Staaten die Maske abwerfen und gar keinen Versuch mehr machen, es abzuleugncn, daß der nackteste Egoismus die Feder geführt hat, welche die Kriegserklärung unterzeichnete, ist in Deutsch land nur eine Stimme über die Motive des kubanischen „Kreuzzuges". Schon lange hatten die Vereinigten Staaten ihr Auge auf das reiche Cuba geworfen, wiederholt sind Versuche gemacht worden, es den Spaniern mit be waffneter Hano abzujagen, und auch der letzte Krieg, der jene Gelüste endlich ihrem Ziele unmittelbar nahe brachte, hatte keine andere Bedeutung. Darüber herrscht nirgends mehr Klarheit als unter den Amerikanern selbst, von denen ein nicht geringer Bruchtheil sich nicht einmal mehr mit den Antillen begnügen, sondern eine Weltexpansionspolitik im verwegensten Sinne treiben will. Unser Urtbeil bleibt allo in diesem Punkt unverändert besteben. Dasselbe ist der Fall bezüglich der Thatsache, daß, abgesehen von den commerziellenProhibitivmaßregeln der Union, nicht die Presse hüben und drüben, sondern, daß lediglich die amerikaniscbe Schuld ist an der Verstimmung der beiden Völker. Herr White führt ja selbst ausschließlich solche Beispiele auf, welche die krasseste und frivolste Verhetzung des Amerikaner- thums gegen basDeutschthum in amerikanischen Zeitungen illustrircn. „Absolut nichts Wahres war daran, alle Einzel heiten waren Erfindung" sagt White und der Herr Botschafter selber gesteht zu, daß diese Sorte Berichterstattung, welcher die Blätter der Union ibre Spalten bereitwillig öffneten, nur den ausgesprochenen Zweck verfolgt hat und noch verfolgt, „eine ebenso unbegründete wie ab surde Abneigung gegen die Deutschen her vorzurufen". Wir theilen Andrew White's Entrüstung darüber, aber sie richtet sich bei uns gegen seine Lands leute nur insofern und insoweit, als sie jenen Sensations und Lügentelegrammen den Weg durch die ganze Union ebneten und ihnen kritiklos Glauben beimaßen. Tie eigentlichen Urheber und Inspiratoren der von White treffend stigmatisirten Tartarennachrichten aber suchen wir — und dabei glauben wir gerechter gegen die Amerikaner zu sein als der Amerikaner White — nicht in amerikanischen, sondern in — englischen Kreisen und Wundern uns nur, daß dem aufgeklärten Staatsmann, der sich selbst von der Gutgläubigkeit des überwiegend vernünftigen Theiles seiner Landsleute, wie der Deutschen überzeugt hält, hierüber ein Licht noch nickt aufgegangen ist. Die Negierung in Washington hat während des Krieges mit Spanien — und wir erkennen das mit aufrichtigem Dauke an — wiederholt in aller Form Hetzmclvungen, welche die Vereinigten Staaten in Conflict sowohl mit Frankreich, wie namentlich mit Deutsch land zu bringen suchten und mit dem Stempel macke in ^.morillu in die Welt sprangen, urdi et orbi als tendenziöse Hetzver- suche englischer Provenienz gekennzeichnet und in aller Form demenlirl. Diese nahe liegende Einsicht der amerikanischen Regierungskreise ist es denn auch gewesen, welche ein fort dauernd durchaus korrektes Verhältniß zwischen den Regie rungen in Berlin uud Washington ermöglicht hat. Dasselbe besteht nach wie vor und wir geben unS der zuversichtlichen Hoffnung hin, daß auch zwischen beiden Völkern, die nach White's Leipziger Ausführungen so manches Band traditioneller Geistes- und Interessengemeinschaft verbindet, wieder ein correcteS, ja herzliches Verhältniß sich Herstellen lasse. Man möge in der Union nur vor Allem bedenken, daß man im internationalen Verkehr mit der Maxime „Leben und leben lassen" am weitesten kommt und möge die Augen auf- thun, um genau zu sehen, wo man seine Freunde, wo seine Feinde zu suchen hat. Tas alte deutsche Wort „Trau, schau, wem?" gilt wie im Verkehr der Einzelnen, so in dem der Völker. politische Tagesschau. * Leipzig, 16. August. Ein politisches Ferientbema ersten Ranges hat das leitende socialdemokratische Organ durch die Behauptung von der specifisch nationalen (Kcfinnnng seiner Partei an geschnitten. Gewiß wäre es irrthümlich, sämmtliche social demokratische Wähler in Deutschland für antinational zu erklären; unter den Hunderttausenden von „Mitläufern" be finden sich gewiß zahlreiche Personen, die ihr Vaterland lieb haben; ob sie daS auch noch thun werden, wenn sie erst einige Jahre „mitgelaufen" sind, ist freilich eine Frage sür sich. Aber der Vergleich mit der nationalen Gesinnung der socialdemokratischen Parteien in anderen Ländern fällt doch sür den deutschen Socialismus äußerst beschämend aus. Englische, schweizerische, spanische Socialdemokraten sind zuerst Fettilleton. » In der Lrandung des Lebens. 9j Romau aus dem amerikanischen Westen. Von Theodor Eicke. Nachdruck verboten. XIV. Nachdem Brant sich am Sonntag« so weit vergessen hatte, war es unvermeidlich, daß er am Montag reuevoll und mit Ge wissensbissen erwachte. Er stand spät aus; und als er mit Muße gefrühstückt hatte und zur Stadt hinabgegangen war, um auf dem Bureau wieder einen Tag unfreiwilligen Nichtsthuns zu verbringen, fing sein Gewissen mächtig an zu schlagen und Genugthuung zu verlangen. Was für ein unglaublicher Thor war er doch gewesen und wie sehr hatte er Mrs. Langford's Ansicht von ihm gerecht fertigt! Wie war er doch der Liebe eines edlen Weibes so ganz unwürdig! Wenn der Oberst doch nur zurückkommen und ihm Vie Freiheit geben wollte, fortzugehen und sich in einem ent legenen Winkel der Welt zu verbergen. Das war der Schluß jsdes neuen Ausbruches von Selbstanklage. Wenn Brant an Dorothy dachte, mischte sich in seine Ge wissensbisse em gewisses Maß von Dankbarkeit — inniger Dank barkeit dafür, daß die verhängnißvolle Stunde für ihn geschlagen hatte, ehe er Gelegenheit gehabt, ihr Schicksal mit dem scinigen zu verketten. „Großer Gott!" jammerte er, indem er sich in einen Stuhl warf und die erst halb aufgerauchte Cigarre aus dem Fenster schleuderte. „Ich hätte sie ja von der Stelle weg geheirathet — einen Engel geheirathet — ich mit einem ganzen Nest doll Teufel, die in meinem Hirn schlummern und nur auf die kleinste Gelegenheit warten, ans Licht zu kommen. Gott helfe mir! Ich bin schlechter, als ich dachte — viel schlechter. Herein!" Es war der Briefträger, und Brant ergriff die Briefe eifrig in der Hoffnung, einen von Hobart zu finden. Er war ent täuscht, aber da war wieder eine Mittheilung vom Chefingenieur, daß seine Rückkehr sich um einige weitere Tage verzögern werde. Brant las es, und was ihm noch von Geduld geblieben war, ging in einer Fluth von ärgerlichen Worten unter. Eine Minute spater stürmte er in Antoine's Bureau. „Wo ist Mr. Craig?" fragte er. „Er ist verreist", sagte Antoine, erstaunt, was denn passtet sein mochte, um die Ruhe des Ingenieurs so zu stören. „Das fehlt auch gerade noch. Wann kommt er denn zurück?" „Weiß ich nicht. Ende der Woche wahrscheinlich." „Den Teufel auch!" Antoine lachte. „Was ist denn los mit Ihnen heute Morgen, George? Sie sehen aus, als wenn Sie eine schlechte Nacht gehabt hätten. Kommen Sie her und setzen Sie sich." Brant trat näher und zog sich einen Stuhl heran. „Sie müssen mir helfen, Harry", sagte er. „Sie haben doch hier das Regiment, wenn der Alte nicht da ist, nicht wahr?" „Nun ja, der Tradition nach. Was giebt's denn?" Brant sah fragend nach dem Stenographen hin, und Antoine verstand den Blick. „Ach, John", sagte er, „nehmen Sie doch diese Briefe und tragen Sie dieselben zum Kasten — oder gehen Sie lieber zum Postamte selbst." Als die Thür sich hinter dem Jungen geschlossen hatte, wandte er sich wieder zu Brant: „Nun, was haben Sie auf dem Herzen?" „Ich muß nothwendig sofort die Stadt verlassen und möchte, daß Sie einen Mann bestimmen, der für mich Haus hält, bis der Oberst wieder da ist." Der Bureauchcf lächelte. „Es muß wohl etwas Ernstliches sein, George, daß Sie so außer Rand und Band sind. Sie sind doch «in zu guter Eisenbahnnrann, um nicht zu wissen, daß mein Departement nichts mit dem Ihrigen zu thun hat. Uebrigens, da fällt mir ein, hier ist ein Bries des Generaldirektors, der eine Karte von uckseren Bahnen haben will. Der Präsident kommt in der nächsten Zeit nach dem Westen, und man plant, glaube ich, Erweiterungen. Da müssen Sie also doch wohl hier bleiben und die Karte zeichnen." Für einen Mann in Brant's Seelenstimmung war Be schäftigung fast ebenso willkommen wie die sofortige Freiheit, und er ergriff den Vorschlag so bereitwillig, daß Antoine ganz überrascht war. „Dachte, Sie müßten auf jeden Fall fortgehen!" sagte er erstaunt. „O, wenn's nöthig ist, kann ich es aufschieben", erwiderte Brant. „Das heißt also mit anderen Worten, das Weitere geht mich nichts an", sagte Antoine gutmüthig. „Nun gut, ich will Ihnen übrigens zum Tröste sagen, daß, wenn Ihnen etwas quer geht. Sie sich dabei in der besten Gesellschaft befinden. Kein Mensch hat ein Monopol auf alle Sorgen in der Welt." „Vermuthlich nicht", erwiderte Brant, der seinen eigenen Kummer soweit vergaß, um zu bemerken, daß Antoine blaß und elend aussah. „Sie sehen aus, als ob Sie auch Ihr Päckchen zu tragen hätten, Harry. Wie ist das?" „Kann schon stimmen", antwortete Antoine, indem er sich wieder seinen Papieren zuwandte. „Ist es etwas, wobei ich Ihnen helfen kann?" „Nein", erwiderte der Bureauchcf so heftig, daß Brant lächeln mußte. „Das geht mich also nichts an. Dann wären wir ja quitt." „Ich würde es Ihnen eher sagen als irgend einem anderen Menschen, George, aber es hat keinen Zweck. Jeder muß sehen, wie er mit sich fertig wird." Brant nickte, und nach einer Weile fragte Antoine: „Sind Sie kürzlich bei Langfords gewesen?" „Nein." „Dachte es mir; Dorothy fragte das letzte Mal, als ich sie sah, nach Ihnen." „Wann war das?" fragte Brant so eifrig, daß Antoine bei dem Gedanken an seinen ungerechten Verdacht gegen Isabel sich schämte. „Am letzten Mittwoch. Sie wollte wissen, ob Sie die Stadt verlassen hätten." Brant wurde von einer Fluth sich drängender Gedanken be stürmt. Vielleicht befand Dorothy sich doch noch in glücklicher Unkenntniß der Dinge, und ste hotte ihn einfach nicht gesehen, als er den Hut vor ihr gezogen hatte. Dann war aber sein letzter Rückfall zu dem Bösen um so schlimmer. Diese Logik war ihm unangenehm, und er kehrte lieber zu der ersten Annahme zurück, daß sie ihn jedenfalls gesehen hatte. Plötzlich erfaßte ihn ein unwiderstehliches Verlangen, die volle Wahrheit zu erfahren, und er folgte einer augenblicklichen Eingebung, Antoine zum un bewußten Boten zu machen. „Wann gehen Sie wieder hinüber, Harry?" fragte er, indem er seinen Worten einen möglichst harmlosen Klang gab. „Ich weiß nicht", sagte der Bureauchcf, sein Gesicht in seinen Papieren vergrabend. „Wenn Sie wieder hingehen und Miß Langford Sie wieder fragt, dann sagen Sie ihr doch, daß ich binnen kurzer Zeit die Stadt verlasse." Antoine sah ihn überrascht an. „Ich weiß wirklich nicht, was Sie eigentlich wollen. Weshalb gehen Sie denn nicht selbst hin und sagen es ihr? Sie kennen doch den Weg." Jetzt war es an Brant, einen Ausweg zu finden, und er that es so ungeschickt, daß Antoine ihn mitleidig unterbrach. „Hören Sie doch auf, George, es nützt Ihnen doch nichts. Und was die Botschaft an Langfords anbetrifft, da kann ich Ihnen nicht helfen ich komme selbst nicht mehr in Frage — nein, bitte, fragen Sie nicht weiter; ich kann selbst mit Ihnen nicht darüber sprechen." In diesem Augenblick kam der Stenograph zurück. Brant nahm den Brief des Generaldirektors, sagte Antoine, er werde die Karte anfertigen, und ging nach seinem Bureau zurück. Dort machte er sich sofort mit solchem Eifer an die Arbeit, daß der Tag vorbei war, ehe er daran dachte. Als er das Bureau um sechs Uhr verließ, begegnete ihm ein Laufbursche an der Thüre. Er kam vom Redakteur des „Plainsman" und brachte einen Brief, der kurz lautete: „Wenn Sie nichts Besseres vorhaben, kommen Sie heute Abend in die Redaktion. Ich habe ein vielversprechendes kleines Geheimniß an der Hand, das Sie vielleicht interessiren wird." Brant ging zu seinem Pult zurück und schrieb eine Ant wort. Er wollte eigentlich an seiner Karte weiterarbeiten, in dessen die Einladung des Redakteurs kam ihm als willkommene Abwechselung. Das Kartenmachen dauerte doch nicht so lange, und Alles, was die Rückkehr der bösen Tage des Nichtsthuns ver zögern konnte, war ihm angenehm. Deshalb nahm er mit Freuden an und ging mit dem tröstlichen Gedanken zum Abend essen, daß die nächsten Stunden gut untergebracht waren. XV. Es war noch früh am Abend, als Brant die Treppe im Ge bäude des „Plainsman" hinaufstieg, um seine Verabredung mit dem Redakteur inne zu halten. Die Maschinen im Erdgeschosse waren in geräuschvoller Thätigkeit, während von den Mitgliedern der Redaction nur der Telegraphist, der bei dem Scheine der Lampe mit rasender Eile schrieb, im Dienste war. Als Brant's Schatten in die geöffnete Thür hereinfiel, sah er empor. „Forsyth ist zum Essen gegangen", sagte er. „Läßt Ihnen sagen. Sie möchten sich's bequem machen, bis er wiederkommt." Brant nickte und ging durch die verlassenen Räume zu dem Zimmer des Nachtredacteurs. Die Fenster standen offen, die Kühle des Septemberabends lag in der Luft, aber im Kamin glühte noch ein bischen Feuer. Brant fachte es wieder an und wollte sich gerade einen- Stuhl beranziehen, als Forsyth eintrat und ihn freudig begrüßte. „Sehen Sie sich und rauchen Sie eine Cigarre, während ich Ihnen eine Geschichte erzähle. Hat mein Brief Ihre Neugierd erregt oder sind Sie frei von dieser weibischen Schwäche?" Brant lachte. „Ich bin überhaupt von keiner Schwäche frei, und die Neugierde wird auch zugegeben. Heraus mit dem Ge- heimniß!" Forsyth nahm eine Zeitung von einem neben ihm liegend«?
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