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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.08.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-08-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980816013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898081601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898081601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-08
- Tag1898-08-16
- Monat1898-08
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Der Beschluß der Breslauer, mitruthun, hat bisher keineswegs die vom „Vorwärts" erhoffte anfeuernde Wirkung gehabt, und wenn von dem Wiener Socialistenblatt geschrieben worden ist, die Socialdemokratie werde vermuthlich im größten Theile Preußens auf dem Platze sein, so stehen dem ziemlich entschieden ablehnende Aeußerungen einflußreicher Partei blätter entgegen. Aber in der geradezu erbärmlichen Betheiligung, die die preußischen Landtagswahlen seit langer Zeit kennzeichnet, liegt die Gefahr, daß schon das Ausbringen kleiner socialdemokratischer Fähnlein, wenn auch nicht die künftige Zusammensetzung des HauseS, so doch die Urwahlergebnisse recht stark beeinflußt. Daß eine zeitraubende öffentliche Wahl Massen in Bewegung setzen werde, glaubt selbst der „Vorwärts" nicht, aber wen» die herkömmliche bürgerliche Wählerträgbeit wieder in die Erscheinung tritt, so braucht es auch keiner Massen, um der Socialdemokratie einen moralischen Erfolg zu verschaffen. Trotz dieses wohlbekannten Sachverhaltes ist im bürgerlichen Lager noch so ziemlich über allen Gipfeln Ruh', während in der Socialdemokratie wenigsten» die entschiedenen Anhänger der Betheiligung bereits lebhaft und nicht unwirksam an die Ausgabe von Wablschlagwörtern herangetreten sind. Der „Vorwärts" beleuchtet soeben die ganze Frage noch einmal von allen Seiten nnd verlangt die „ehrliche" Ausführung des Ham burger BetheiligungSbeschlusseS. DaS Wiederaufwerfen von Fragen, die durch den Parteitag bereits erledigt worden seien, würde nach der Ansicht des Centralorgau» der Partei mehr Schaden zufügen können, als die „ganze BetheiligungS- frage Werth ist". DaS ist im Hinblick auf den nächsten Parteitag geschrieben, den die Führer offenbar nicht noch einmal mit der Sache befaßt sehen möchten. Daher da» Drängen des „Vorwärts" zu raschen Entscheidungen. ES ist mehr zu verlieren, weil die preußischen Landtag-Wahlen in sehr kurzer Frist anberaumt sein können. Und die Partei würde sich lächerlich machen, wenn sie nach den langen und zum Theil hitzigen Debatten über die Stellungnahme zu den preußischen Landtagswahlen schließlich von den Landtags wahlen überrascht würde, ehe die einzelnen Wahlkreise sich über ihre Stellungnahme schlüssig gemacht. „Dieser Gefahr und Blamage dürfen wir un» nicht aussetzen." Die Augst vor dem Parteitag ist begreiflich, denn der Ham burger Beschluß ist in höchster Geschwindigkeit und unter Umständen, di« eine Erörterung nicht mehr zuließen, in einer sehr anfechtbaren Weise von Herrn Singer „authentisch rnterpretirt" worden. E» handelt sich bekanntlich um die Frage, ob das vom Parteitag für die Fälle der Betbeiligung erlassene Verbot von „Compromissen und Bündnissen mit anderen Parteien" dieStimmabgabe für nicht socialdemokratische Wahlmänner ausschließt. Der Beschluß ist absichtlich zwei deutig gefaßt, aber nicht zweideutig ist die Erläuterung, die er jetzt kurz vor der Entscheidung durch den „Vorwärts" erfährt. Da werden in der Interpretation, wonach „nur durch Aufstellung socialdemokratischer Wahlmänner in die Wahl eingetreten werden kann", die Worte „gleich im ersten Wahlgang" hinein geschoben und später ist geradezu die Rede von der „absolute» Unmöglichkeit, ohne Cvmpromisse und Wahlbündnisse in Preußen socialistische Landtagsabgeordnete zu wählen." Die Ausführung de» so verstandenen Beschlusses macht da» Organ der Parteileitung den „Genossen" der einzelnen Wahlkreise „zur Pflicht", zunächst jedoch nur dort, wo die Wahl eine» „reaktionären" (Kandidaten zu befürchten steht. „Wenn das nicht der Fall, dann fällt für die Betheiligung im Sinne des Hamburger Beschlusses jeder Grund weg" — eine Auffassung, mit der übrigens die vom „Vorwärts" eingeflochtene An deutung, in Berlin werte man sich jedenfalls durch eigene Wablmänner betheiligen, nicht in Einklang zu bringen ist. Dies nebenbei. Die Sociäldemokraten wissen so gut wie Eugen Richter, daß sie dem Freisinn unter Umständen durch die Auf stellung socialistischer Wahlmänner zu Gunsten der „Reaktionäre" schaden können. Was aber soll in diesen Fällen geschehen? Der „Vorwärts" sagt es nicht gerade heraus, aber er treibt seine Leser förmlich an, sich die Frage zu beantworten: „Dann müssen nichtsocialvemokratische Wahlmänner von uns gewählt werden" und zwar gleich im ersten Wahlgange, also gegen den „Sinn des Hamburger Beschlusses". Daß dieser Taktik weniger der angegebene Zweck, „Verhinderung der Wahl von reactionärcn Wahtmännern", als die Absicht zu Grunde liegt, dem Freisinn Mandatsabtretungen abzutrotzen, ist mehr als wahrscheinlich. In kleineren Orten können für bürgerlich demokratische Wahlmänner abgegebene Stimmen von Sociäldemokraten in der Thal auch so viel nützen, daß der Freisinn in den großen Städten dafür etwas bezahlen könnte — wenn, ja wenn er bei den Urwahlen in einer größeren Anzahl von Städten Er oberungen machte. Von seiner jetzigen Armuth kann er wirklich nichts abgeben, und die „Voss. Ztg." ist nur auf richtig, wenn sie die Versicherung dieses Unvermögens in Worte kleidet, die auf die jämmerliche, aber ausreichende Entschuldigung hinauslaufen: „Was kann ich armer Teufel beten?" Zur Arbeiterwohnungsfrage. 8IiX. Als zu Ende Januar die Nachricht durch die Zeitungen lief, die bürgerlichen Kollegien der Stadt Mannheim hätten mit einer an Einstimmigkeit grenzenden Mehrheit beschlossen, unter gewissen Bedingungen den Erbauern von Arbeiterwohn häusern Straßenkoften und Geländekauffchilling ganz oder theil- wrise zu erlassen, da erregte dieser Vorgang in weiten Kreisen gerechte Verwunderung. Wohl ist man gewohnt, seitens gemein nütziger Vereine, auf Congreffen und zuweilen auch in den TageSblättern das Eingreifen in die Wohnungsfrage als eine wichtige Aufgabe kommunaler Socialpolitik bezeichnet zu hören, allein, von vereinzelten rühmlichen Ausnahmen abgesehen, pflegen solche Anregungen in den Gemeindevertretungen höchstens zu platonischen Erklärungen der Nothwendigkeit positiver Maß regeln sich zu verdichten. Bei den „reiflichen Erwägungen" hat es dann gewöhnlich sein Bewenden. Wenn man in Mannheim so rinmüthig vom Erwägen zum Handeln übergegangen ist, so wird die Erklärung für diese Erscheinung unschwer in den rastlosen Bemühungen des dortigen Oberbürgermeisters Beck zu erkennen sein und vor Allem in der trefflichen Denkschrift, durch welche er seine Vorschläge begründet hat.*) Mit Recht hat diese Schrift in der Fach- und Tagespresse allgemeine Beachtung und uneingeschränkte Zustimmung ge funden. Man erfährt aus der Denkschrift zunächst, daß auch in Mannheim der Baum nicht auf einen Streich gefallen ist, daß vielmehr der Kampf des Stadtrathes gegen die Wohnungsnoth schon vor 40 Jahrn-begonnen hat. Ernsthaft geführt worden ist er indessen erst seit dem Beginn des laufenden Jahrzehnts, seitdem die Mannheimer gemeinnützige Waugesellschaft des Stadtrathes materielle Unterstützung für ihre Bestrebungen mit Aussicht auf Erfolg zu gewinnen trachtete. Die anderwärts ge machte Erfahrung bestätigte sich damals auch in Mannheim: mit Wucht warf sich die Mehrheit des Hausbesitzerthums der städtischen Hilfsaction entgegen. In lebendiger Darstellung schildert die Denkschrift die einzelnen Phasen dieses Kampfes bis zum nunmehr erfolgten vorläufigen Abschluß. Sie giebt dann ein Bild der Mannheimer Wohnverhältnisse in der be kannten Beleuchtung des großherzogl. Fabrikinspectors Ober regierungsrath Wörishoffer, wie andererseits auf Grund der Wohnungszählung vom December 1895 und sonstiger statistischer Veranstaltungen. Um sich aber eine möglichst sichere Unterlage für ihr Vor gehen zu verschaffen, hat die Stadtverwaltung 1892 die Ansicht der verschiedensten Amtsstellen, Corporationen u. s. f. über die Wohnungsfrage erhoben und auch deren Gutachten sind ihrem 'wesentlichen Inhalt nach aufgesührt. Eine kurze Angabe der seitherigen polizeilichen und gesetzgeberischen Maßnahmen ver vollständigt die — man darf wohl sagen — erschöpfende Dar stellung der Mannheimer Wohnungsfrage. Besonders freudig ist aber zu begrüßen, daß damit der Verfasser sich nicht begnügt, vielmehr seine Schrift auch auf fremde Verhältnisse ausgedehnt und damit zu einem Wegweiser durch die Wohnungsfrage im Allgemeinen gestaltet hat. In systematischer Uebersichtlichkeit werden all' die verschiedenartigen Methoden dargelegt und kriti- sirt, mittels deren man versucht hat, dem Problem beizukommen. Dabei ist die einschlägige, bekanntlich sehr umfangreiche Literatur des In- und Auslandes auch in ihren weniger leicht zugänglichen Theilen, wie z. B. Verwaltungsdrucksachen, ohne jede Vor eingenommenheit aufs Gründlichste verwerthet. Als Frucht seiner Untersuchungen entwickelt der Verfasser schließlich in neun Puncten ein engeres und ein weiteres Pro gramm. Das engere nimmt die Herstellung von Miethwohnungen durch die Stadt für ihre Arbeiter und die materielle Förderung aller auf den Bau von Arbeiterwohnungen gerichteten Be strebungen unter Auferlegung gewisser Verpflichtungen in Aus sicht. Das weitere Programm sieht die beschleunigte Planlegung und Erschließung geeigneten Geländes durch Erlaß einer Zonen bauordnung mit erleichterten Bauvorschriften und feine rasche Angliederung durch Schaffung billiger Straßenbahnverbindungen vor. Theilweiser Ersatz für die nie ganz zu behebende Be *) Die Wohnungsfrage mit besonderer Berücksichtigung der Mannheimer Verhältnisse; Denkschrift des Oberbürgermeisters Beck an den Stadtrath der Hauptstadt Mannheim. 8" und 138 Seiten. schränktheit der Wohnräume soll die Schaffung von Anlagen und Spielplätzen bieten. Endlich sollen rasch sich wiederholende statistische Ermittelungen die Stadt über die Lage des Woh nungsmarktes, periodische gesundheitspolizeiliche Enqueten über die Beschaffenheit der Arbeiterwohnungen auf dem Laufenden erhalten. Bereits ist in einzelnen Fällen die zugesicherte Beihilfe der Stadt beansprucht worden und daß sie nicht vereinzelt bleiben werde, dafür bietet das energische und überzeugende Vorgehen des Mannheimer Oberbürgermeisters in dieser hochwichtigen Frage eine sichere Gewähr. Deutsches Reich. * Berlin, 15. August. Generalsuperintendent Babnscn in Coburg hat, nachdem er, wenn wir nicht irren, auf dem Eisenacher Kirchentage bereits über den Gegenstand referirt, die Stellung der evangelischen Kirche zur Feuer bestattung in einer ziemlich umfangreichen Broschüre aus führlich beleuchtet (Verlag von A. Duncker, Berlin). Ter Verfasser steht, seiner leitenden Stellung innerhalb der coburg- gothaischen Landeskirche und der Praxis derselben gemäß, aus dem Standpunkt der kirchlichen Billigung der Feuerbestattung. Andere Kirckengemeinschaften, im Besonderen auch die preu ßische Landeskirche, machen gegen die Feuerbestattung, soweit bei ihr geistliche Betheiligung gefordert wird, geltend, daß dieselbe dem kirchlichen Dogma, der Bibel und besonders der Lehre Jesu, vor Allem aber auch der christlichen Sitte wider spreche. Dem letzteren Einwand begegnet der Verfasser mit eingehendster Widerlegung, worauf er sortfährt: „Darf ich hiernach auf Anerkennung des Satzes rechnen, daß die Erdbestattung in unserer christlichen Kirche resp. in unseren christlichen Völkern keineswegs specisisch christlichen Mo tiven ihre Existenz verdankt, daß r» Erdbestaitnng gab längst be vor es ein Lhristenthum gab, und Feuerbestattung auch in Christen kreisen, so sieht Niemand ein, warum man im Interesse des Christenthum» für diese« fürchten sollte, wenn sich Be strebungen geltend machen, die Bolk-sitte der Erdbestattung, al» allein berechtigte Form aller Bestattung, zu beschränken. Wie viele Sitten, die sich noch ganz ander» mit dem christlichen Dogma oder der Bibel berührten, haben wir schon hiusinken gesehen I Ich erinnere an di« frühere strenge Fastenprari», an das Eintauchen bei der Taufe, an den Brauch beim heiligen Abend mahl, an die Umwandlung der früheren Eheschließungspraxi» in die Tivilehe, an die Emancipatioa der Schule von der Kirche. Ja, was wäre aus dem Werk der Reformation geworden, wenn alle Sitte, sobald sie einmal mit Kirche und Religion irgendwie zu- sammenhäugt, nm deswillen schon für sacrosanct erklärt worden wäre? Wie hätte man die widerwärtigen Hexeuprocesse und ähn- liche auf Aberglauben beruhende Erscheinungen beseitigen sollen? Die Kirche hat, glaube ich, alle Veranlassung, sich davor zu hüten, unter der Firma „Bewahrung der christlichen Sitte" allerhand Be strebungen zu decken, hinter denen, bei Licht besehen, nicht selten ein gut Theil Geistesträgheit steckt." DaS Ergebniß der Untersuchungen Bahusen'S gipfelt schließ lich in dem Satze: Jeder christlich Verstorbene hat an ein ehrliches Begräbniß ein Recht, und eines solchen Rechtes kann I er durch den Wunsch, daß seine Leiche einstmals verbrannt I werde, niemals verlustig gehen. „Fast fürchte ich", sagt er Um die Erde. Reisebrirs« von Paul Lindenberg. NaLdruck vnbole«. Städte-Anfänge in Wild-West. — In Omaha. — 160 000 Einwohner in 50 Jahren. — Die Trans-Mississippi-Ausstellung. — Von Omaha nach Chicago. — Das Deutschthum und der Krieg. — Allerhand Befürchtungen. — Englische Lügen. — Touristenreisen in Amerika. — An den Niagara-Fällen. New Kork, 21. Juni. Wozu der brave holsteinische Freiheitskämpfer, von dem ich in meinem letzten Bericht erzählt, sechs Monate gebrauchte, nämlich auf endlosen Wanderungen die über tausend englische Meilen betragende Entfernung von Omaha zur Salzseestadt zurückzulegen, die Bahn erledigt dies heute in kaum vierund dreißig Stunden. Sobald die Gebirge des Utah-StaateS mit ihren wildromantischen Thaleinschnitten und ihren ganz nah aufragenden schneeigen Häuptern überwunden sind, geht'S in schwindelnder Hast dahin durch die Hunderte von Meilen sich erstreckenden Prairien, die noch Raum bieten für ungezählte Tausende von Menschen. Nur zum Wassereinnehmen macht der ungefüge Eisenkoloß, der den schweren Zug zieht, Halt. Oft bestehen die Stationen blo» aus einigen roth angrstrichenen Blockhäusern, in denen die Bahnbeamten mit ihren Familien wohnen, de» Oefteren au» frisch angelegten Ortschaften, die in interessanter Weise die Entstehung einer Stadt in Wild-West verkörpern: so eine von Holzhäusern gebildete Art Straße läng» der Eisenbahngleise, mit einigen einstöckigen Buden, al» „Globe- Hotel" oder „Grand-Hotel" auffrisirt, mit anderen nicht minder fragwürdigen Gebäuden, deren jedes sich stolz al» „Bank" be- zeichnrt, mit verschiedenen, durch grelle Anstriche kenntlich ge machten „Saloon»" (Restaurant»), dann einem Kirchlein, einigen Dutzend auf den Feldern verstreuter Häuschen und einer Reihe von Zelten, in denen die jüngsten Ankömmlinge, die sich noch nicht ihr Heim zusammengezimmert, Hausen. Solch «ine neue Ort schaft zählt zunächst «in paar Dutzend Einwohner, dann mehrere Hundert, schließlich deren Tausend«, und liegen die Verhältnisse günstig, können in der Näh« womöglich Kohlengruben oder Bergwerke eröffnet werden, so wachst hier fast Über Nacht «in volkreicher Platz au» dem Boden. I Mit Omaha, wo ich einigen Aufenthalt nahm, war es nicht anders, die Stadt ist noch nicht fünfzig Jahre alt und zählt heute über 160 000 Bewohner, die in einem Jahre für ca. 200 Millionen Mark Maaren hervorbringen. In derselben ver blüffenden Weise vermehrte sich die Zahl der westlich vom Mississippi lebenden Bevölkerung der Vereinigten Staaten; be trug sie 1860 nur 4- Millionen Seelen, so heute zum Mindesten 20 Millionen! Diesen neuen Städten merkt man ja natürlich überall ihr treibhausartiges Entstehen an. Breite und große Hauptstraßen mit wahren Palästen für die ersten Firmen, mit eleganten Läden und umfassenden Waarenhäusern, prächtigen officiellen Bauten, die jeder europäischen Hauptstadt zur Zierde gereichen würden, überall natürliche elektrische Beleuchtung und elektrische Straßen bahnen, ein wenig abseits der Hauptverkehrsadern gewaltige Fabrikanlagen, in den Nebenstraßen aber noch allerhand Bretter buden und sonstige Baracken, von Gärtchen umgeben, in denen sich die Bewohner dieser dürftigen Behausungen ihre Kartoffeln und Gemüse ziehen. Ein frischer und energischer Zug aber geht durch diese neuen Städte. Zum Faulenzen und Traumen ist keine Zeit, „Geld verdienen", das ist die Losung, denn wer nicht besonders Glück und Beschick (oder auch in manchen Fällen ein sehr weites Ge wissen) hat, der findet die Dollars nicht auf der Straße! „Die Arbeitszeit ist ja nicht länger wie in Deutschland", sagte mir ein deutscher BierauSschänker, den ich zufällig in einer Bar in Omaha traf, „aber wie wird in der Zeit gearbeitet! Ich kann Ihnen sagen, ich fühle Abends meine Knochen!" — „Und ver dienen Sie denn wirklich viel mehr als drüben?" — „O ja. Seh'n Sie, ich habe hier am Buffet nur den Ausschank des Bieres und stehe mich monatlich auf 300 bis 400 c«." — „Ja, sehr schön, aber hier ist auch Alles um das Doppelte und Dreifache theurer wie „drüben"!" — Darauf bekam ich al- Antwort nur ein Achselzucken. Derselbe Deutsche erzählte mir, daß er in San Francisco ein eigenes, gut gehendes Geschäft gehabt hätte, er hatte sich schon 20 000 gespart, die er in Goldminen ver- speculirte. „Das war aber leichtfertig gehandelt!" »darf ich hin. „Was wollen Sie", erwiderte er, „ein Freund von mir hatte kurz vorher in Goldminen 480 000 gewonnen! — Ich fange nun wieder von vorn an!" — In Omaha ist gegenwärtig eine TranS-Mississtppi-AuSstellung veranstaltet, deren großartige Gebäude auf jeder Weltausstellung ihren Platz behaupten dürften; um einen langgestreckten See sind sie in geschicktester Weise gruppirt und überraschen durch den künstlerischen Geschmack ihrer äußeren Gestaltung wie durch ihre praktischen inneren Einrichtungen. Auch der Inhalt der Säle fesselt in vielfacher Weise da» Interesse; vor Allem hat die Re gierung der Bereinigten Staaten in umfangreichster Art die einzelnen staatlichen Einrichtungen — Heer- und Flottenwesen, Post, Münze, Verkehr rc. — zur Anschauung gebracht, daneben tritt die in Omaha sehr entwickelte Industrie gebieterisch auf den Plan. In zierlichen und auf das Behaglichste eingerichteten Ruhepavillons kann man sich erholen von den buntfarbigen Ein drücken wie von den langen Wanderungen durch die reich gefüllten Säle und kann von den Terrassen und Fenstern die Blicke bewundernd schweifen lasten über das liebliche Missouri- Thal mit seinen fruchtbaren Gebieten und bewaldeten Höhen, durch die sich silbern der breite Fluß windet. Wenn die ersten Ansiedler, die hier vor einem halben Jahrhundert ihre Zelte errichtet, sehen könnten, was aus dem damals menschenleeren Stückchen Erde geworden ist, oder wenn man sie Abends auf den Ausstellungsplatz führen würde, um dessen herrliche weiße Paläste sich dann Tausende von elektrischen Glühlichtchen ranken, was müßten sie empfinden! Sie, die muthigen Pioniere, waren ja die Bahnbrecher für all Jenes, was hier in verwirrender Fülle Menschengeist und Menschenhände geschaffen! Von Omaha fuhr ich die Nacht hindurch nach Chicago, der „Stadt der Massen", wo Alles gigantisch ist und Manches in seiner Ueberwucht fast erdrückend wirkt. Hier in Chicago war gerade ein tausend Mann starkes Regiment deutscher Freiwilliger gebildet, um in wenigen Wochen nach dem fernen Kriegsschau plätze geschickt zu werden. In Chicago, dem mächtigsten Handels plätze der Vereinigten Staaten, merkte man nur wenig von dem Feldzüge; mancherlei Fahnen in den Straßen, der Verkauf nationaler Abzeichen und das Ausrufen von Extrablättern, die nichts von Wichtigkeit enthielten, das war Alles. Auch in Chicago, wie in New Kork, war das Deutschthum durchaus gegen den Krieg gewesen, muß nun aber, wo er im Gange ist, gute Miene zum bösen Spiel machen und erhofft selbstverständlich einen günstigen Ausgang für die Vereinigten Staaten, obwohl Diese und Jene meinen, daß ein gelegentlicher kleiner Dämpfer gar nicht schaden könnte! Darin stimmen Aller Meinungen überein, daß viel nichtiger wie der Krieg seine Folgen sein werden. Der amerikanische Nationalstolz ist auf seiner Höhe angelangt, und es ist noch gar nicht auszudcnken, welche Purzelbäume er schießen kvird. Eines ist sicher: Gutes wird dabei für Europa nicht herauskommen, und wir werden uns auf sehr bedenkliche Ueberraschungen, zunächst auf wirth- schaftlichem Gebiet, seitens der Vereinigten Staaten gefaßt machen müssen, unsere Industrie mag sich dies rechtzeitig gesagt sein lassen! Den Werth der deutschen Freundschaft haben aber doch hier Regierung und Volk erkannt, und man merkte aus zahl reichen Artikeln einflußreicher Zeitungen die Befürchtungen über die s. Z. nicht als sicher erkannte Haltung der leitenden deutschen politischen Kreise heraus. Wa» der „Kaiser" — mit welch deutschem Wort ohne jeden weiteren Zusatz die amerikanischen Blätter unseren Herrscher stets bezeichnen — beschließen und thun könnte, wird in ellenlangen Berichten zu ergründen gesucht, und jede Aeußerung von ihm, die Amerika betrifft, wird in Riesenbuchstaben wiedergegeben. Die infamsten Lügen, Deutschlands Stellung zu Amerika und Spanien betreffend, gehen wiederum von England aus; jeder Tag bringt neue ungeheuerliche Enten, die von jenem europäischen Lügenwinkel aufflattern und die sich geschickt in amerikanischen Journalen einnisten. Unermüdlich werden diese oft haarsträubenden Schwindeleien von der treu das Dcutsch- tk.nm verfechtenden deutsch-amerikanischen Presse, in kampfes- frahester Weise von der „New Korker" und der „Jllinois-Staats- zeitung" aufgedeckt, aber ihren Schaden richten sie trotzdem an. Diese Hallunkcreien zeigen so recht von Neuem, wie wichtig ein directes Kabel von Deutschland nach Amerika wäre; bisher laufen alle telegraphischen Meldungen über England — das sagt genug! Die Fahrt vom Stillen Ocean zum Atlantischen liegt nun hinter mir — vom Fenster meines hoch gelegenen Hotelzimmers aus erblicke ich in der Ferne den Hafen von New Kork mit seinem Mastenwald, in wenigen Tagen geht's von dort der Heimath zu. Zieht man Zeit, Beschwerlichkeiten und Geldausgaben in Betracht, die eine längere Reffe in Amerika verursachten, so kommt der Tourist, der sich nach Naturgenüssen sehnt, kaum auf seine Kosten, von ein paar Stellen abgesehen, die durch ihre romantische Wildheit imponiren. Wer aber Anmuth und Lieb lichkeit in der Landschaft sucht, der sieht in einigen Stunden in unserem lieben Deutschland mehr wie in einer Woche in den Vereinigten Staaten, und wie oft dachte ich während der un endlichen Prairiefahrten der lachenden Gefilde des Rheinlandes, Thüringens, Sachsens, Schlesiens! Und dann Oesterreich und die Schweiz, Frankreich und Italien! Eins freilich haben diese Länder nicht — die Niagara-Fälle! Sie sind von überwältigender Wucht und Großartigkeit! Dem tosenden Sturz der schäumenden Wasser oben von den lauschigen Parkanlagen zuzuschauen, sich unten im „Keller der Winde" im ölgetränkten Schifferanzuge an der Hand des Führers unter dem donnernden gischenden Prall des Falles auf schaum- umsprihten Felsstegen dahin zu tasten, während das Herz fast zu schlagen aufhört, dann in dem kleinen und doch so wider standsfähigen Dampfboot in den brandenden, dampfenden, von Höllenspcctakel erfüllten Kessel der großen Fälle hinein zu fahren, nichts mehr sehend als nur die sprühenden Wasserwolken um sich herum — da- sind Eindrücke, die ewig haften und die schwerlich auf dem weiten Erdenballe übertroffen werden können!
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