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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.08.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-08-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980819029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898081902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898081902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-08
- Tag1898-08-19
- Monat1898-08
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M Die Morgeu-Au-gab« erscheint nm V,? Uhr, di« Abeud^lu-gabe Wochentag« um b Uhr. Re-actio« ««- Erpe-Mo«: IohauneSgasse 8. Die Ex-edition ist Wochentag- nauuterbroch« »öffnet von früh 8 bi« «bend« 7 Uhr. Filialen: vtt« Slrmm'S Tortim. (Alfred Hahn). UniversitätSsttaße 3 (Paulina»), Laut» Lösche, «acharinenstr. 14, Part, uud -öniL-platz 7. VezngSPreiS >d der Hauptex-rditiou oder den in» EiadS» b«trk und dm Bor orten errichteten Lu«- aavestellm abgeholt: vierteljährlich4ck0, bei «wetmaliaer täglicher Zustellung in« Han« b.bO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: virrteliäbrlich 6.—. Dirrcte tägliche Kreuzbandsendung in« dlnöland: monatlich ^ll 7.L0. Abend-Ausgabe. MpMer IllgMM Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes und Volizei-Ämtes der Lta-t Leipzig. Freitag den 19. August 1898. AnzeigenPretS die -gespaltene Petitzeile SO Pfg.' Nrclamk, unter demRedactionSstrich (4«o- spalten) ÜO>C, vor dm Familimnachrichteu (6 gespalten) 40^. Gröbere Schriften laut unserem Preis- verzeichaiß. Tabellarischer und Ztfsernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen »Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Äunahmeschluß für Rasigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Volz in Leipzig. 92. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 18. August. Vorschläge zur Abänderung des AeichStagSwahlrecht« sind jetzt so zahlreich wie Sternschnuppen im September. Ja conservativen Blättern wimmelt eS förmlich von Artikeln, die die- Thema behandeln — eine eigentbüm- liche Erscheinung, wenn man sich erinnert, daß die Con servativen vor den Wahlen erklärten, an rin« Abänderung de- bestehenden Wahlrecht« nicht einmal zu denken. Ab gesehen von der „Krruzztg.", hat besonder- die amtliche »Leipziger Zeitung" die ganze Schlechtigkeit unsere- Wahlsystems al- Specialthema schon seit Langem sich aus ersehen, allerdings, wie man zugebe» muß, auch schon vor den Wahlen. Diese- Blatt ist nun in seinen Betrachtungen bereit« bi« zu dem Punkt gelangt, wie man eS möglich machen könnte, die Parteien für eine Aenderung de- Wahl rechts zu gewinnen. Bisher hat noch keine andere Partei Lust gezeigt, zu einem so riskanten Wagniß, dessen Folgen sich gar nicht übersehen lasten, die Hand zu bieten. Zwar sind auch aus dem rechten Flügel des Centrums Stimmen laut geworden, die auf alles Andere als eine Abgeneigtheit schließen ließen. Aber im Centrum giebt die demokratische Richtung den Ausschlag, und so wagen die conservativen Elemente in ihm sich mit ihren Ansichten nicht recht hervor. Da nun ohne das Centrum an eine Verfassungsänderung nicht zu denken ist, so glaubt die „Leipz. Ztg." die stärksten Reizmittel anwenden zu sollen, um die Ultramontanen für ihre Pläne zu gewinnen: sie bietet ihnen freundlichst die Aufhebung deS Jesuitengesetzes an. Sie schämt sich aber doch ein wenig und bemüht sich daher nach Kräften, dem Jesuitengesetz den Mantel der Harm losigkeit umzuhängen. Das Blatt versucht nämlich dieBedeutunz des Gesetzes nach Möglichkeit berabzudrücken, indem es einen Mißerfolg desselben daraus herzuleiten sucht, daß die Cen trumspartei seit dem Erlasse des Gesetzes mächtiger geworden sei, als je zuvor. Die conservative Partei ist bisher anderer Ansicht von dem Werthe deö Gesetze« gewesen, sonst hätte sie bisher nicht immer gegen die Aufhebung deS Jesuiten gesetzes gestimmt. Auch der BundeSrath hält das Gesetz augenscheinlich nicht für wirkungslos, da er ja, obwohl der Reichstag den CentrumSantrag schon wiederholt angenommen hat, sich noch immer nicht veranlaßt gesehen hat, das Gesetz aus zuheben. Wäre er von der Wirkungslosigkeit des Gesetzes überzeugt, so würde er gewiß schon längst zur Belohnung für das artige Verhalten des Centrums bei der Erledigung des Bürgerlichen Gesetzbuches und bei der Marinevorlage dem Verlangen de: ReichStagsmehrbeit entsprechend das Gesetz aufgehoben haben. Mit Spannung wirv man der Antwort des Centrums auf das freundliche Angebot der „Leipz. Ztg." und ihrer Hintermänner entgegensehen dürfen. Denn das geschäftskluge Ccntrum wird genau prüfen, ob eS dabei ein gutes Geschäft macht, wenn eS da« bestehende populäre Neichstagswahlrecht aufgiebt und dafür die Aufhebung des Jesuitengesetzes rintauscht. Nimmt es den Vor schlag an, dann würde es eine Stärkung seiner Stellung durch die Jesuiten für sicher halten. Damit aber wäre die Behauptung der „Leipziger Ztg." von der Wirkungslosigkeit des Jesuitengesetzes selbst aufs Schlagendste widerlegt — und die conservative Partei hätte sich selbst eine Grube gegraben. Daß die gemäßigt Liberale» ebenso der Rückkehr der Jesuiten und der Stärkung des CentrumS, wie der Abänderung deö Wahlrechts energischen Widerstand leisten müssen, bedarf keiner Erklärung. Eine so einschneidende Maß- l regel wie die Aenderuug des Wahlrechts zudem noch zu einem I Schachergeschäft zu machen, würde jeder Staatsklugheit j ins Gesicht schlagen. Es ist auch zweifellos, daß die Social demokraten bei ihrem Bestreben, die breiten Massen gegen jede WahlrechtSänderung zu alarmiren, den größten Erfolg haben müßten, wenn sie darauf Hinweisen könnte», daß Volks rechte verkauft worden seien. Man darf wohl die Hoffnung hegen, daß trotz des amtlichen Charakters der „Leipziger Ztg." es sich hier um eine vollständig private Leistung handelt und daß innerhalb der verbündeten Regierungen keine Neigung zu derartigen Handelsgeschäften besteht. „Der große langersehnte Augenblick naht." Mit diesen pathetischen Worten wird in der CentrumSpresse die 45. Generalversammlung der deutsche» Katholiken an gemeldet. Der Versammlungsort Crefeld scheint eine be sonders starke Vertretung des intransigenten Parteielementes zu involvirea. Man weiß, daß am Niederrhein der Katho- liciSmuS seit alter Zeit eine beträchtlich dunklere Färbung zeigt, als in Süddeutschland oder Schlesien. Ganz ent sprechend wird auch eine Wallfahrt nach Kevelaer angekündigt. Ohne gegen diese an sich da« Geringste einwenden zu wollen, wird man doch vielleicht daran erinnern dürfen, daß von dieser Wallfahrt die Heine'sche Romantik längst abgeblichen ist und sie jetzt in der Hauptsache recht leidig an dic Nachbar schaft mit dem Heimathlande weiland der Luise Lateau erinnern soll. Wenn übrigens die Centrumspartei ihre Heerschau diesmal gerade in Crefeld veranstalten will, dann könnte sie sich vielleicht mit der intellektuellen und moralischen Beschaffenheit der katholischen Arbeiterbevölkerung in den Fabrikvororten jener Stadt befassen, die von Kennern als ungewöhnlich tiefstehend geschildert wird; namentlich die famose Hinlertreppen-Belletristik der Colportageromane mit den entsittlichenden Greuelschilderungen soll dort eine ihrer Hauplabnahmestellen in Deutschland besitzen. Jndeß an so nahe gelegene Beschäftigungsgegenstände wird das Crefelder FestcomitH wohl kaum denken können. Für die Kriegsbereitschaft der Kopenhagener Lee- befefttgunge» und zur Anschaffung von Munition sind, wie wir unlängst mittheitten, über den Etat hinaus LOO ÜOO Kronen verwendet worden. Die dänische Regierung theilte den Führern der oppositionellen Parteigruppen mit, die soeben gemachten Ausgaben für die Neubeschaffungen von Muniliou feien keineswegs die Einleitung zu einem neuen Verfassungsconflict; vielmehr werde die Regierung sofort zurücktreten, falls der Reichstag die später zu gebenden Er klärungen nickt billige und den Ausgaben die nachträgliche Bewilligung versage. Die Ankäufe seien erfolgt auf die un mittelbare Initiative der Krone hin, und zwar unter Hinweis auf die auswärtige Lage. Die Regierung habe sich den von der Krone geltend gemachten Gründen durchaus anzeschlossen, so daß daS Ministerium auch die volle Verantwortung übernehme. Eine vorherige Einberufung des Reichstages aber sei nicht möglich gewesen, da die Verhält nisse nicht die geringste Verzögerung der Munitionskäufe ge stattet hätten. Eine bemerkenswertbe Ergänzung dieser Mittheilungen findet sich in dem cänischen Blatte „Vort Land". Bor einiger Zeit hieß e«, England beabsichtige, sein Canal- und Resrrvegeschwader nach der Ost see zu entsenden. Ein solches Ereigniß hätte nicht anders aufgefaßt werden können, denn als eine Demonstration Englands. „Vort Land" versichert nun mit aller Bestimmtheit, daß gleich zeitig mit der beabsichtigten englischen Flottendemonstraliou in der Ostsee vertrauliche Mittheilungen von hochstehenden britischen Per sonen an den dänischen Hof eingclaufen seien, in welchen von kriegerischen Verwickelungen zwischen Rußland und England al« von einer so naheliegenden Möglichkeit gesprochen sei, Laß eS unverantwortlich gewesen wäre, nicht damit zu rechnen. Chamberlain'« Drohung gegen Ruß land in seiner berühmten Birmingham-Rede habe dadurch eine solche Unterstreichung erfahren, daß es dem hohen Empfänger der vorher erwähnten vertraulichen Mittheilung hatte sofort klar werden müssen, daß die Welt vor einer augenblicklich drohenden Kriegsgefahr stände, die für Dänemarks Neutralität besonders verhängnißvoll werden könnte wegen der besonderen strategischen Lage LcS Landes. Das habe ungefähr um den 20. Juni herum der Lage einen plötzlichen Ernst gegeben und im höchsten Grade bestimmte Beschlüsse und schnelle Handlungen erfordert. Beides sei durch die Initiative der Krone geschehen. Der König habe dlrcct elngegriffen und die Staatsrathsbeschlüsse veranlaßt, deren entschlossene Ausführung dic in diesen Tagen viel erörterten Neubewilligungcn erforderten, um die dänische Marine und die dänische Seebesestjgung in einen vertheidigungsfähigen Stand zu setzen. — „Vort Land" erwähnt hierbei auch die seiner Zeit gemeldete Ansprache des Königs Christian an die dänischen Invaliden aus den schleswigschen Kriegen. Der König sprach bei dieser Gelegenheit die Ueberzeugung aus, daß, wenn das Vater land es fordern sollte, die Jugend in derselben tapferen Weise kämpfen werde wie die Alten von 1848. Der König fügte die Worte hinzu: „Aber damit unser braves Heer im Stande sein kann, den nöthigen Widerstand zu leisten, muß man vorbereitet jein. Ich bitte zu Gott, daß unser Heer und unsere Marine immer im Stande fein werden, nufer Land und unsere Selbst ständigkeit zu verthcidigen." Nicht anSgeichlossen ist, daß der König diese Worte im Hinblick auf die Möglichkeit eines nahe bevor stehenden internationalen Conslicts gesprochen hat. In Zusammen hang damit wird auch die Zusammenziehung der dänischen Uebungs- flotte im Sunde gebracht, die in den letzten Jahren stet« im großen Belt manövrirt hat. ES ist bekannt, daß die englisch-russischen Beziehungen sich von Tag zu Tag verschlechtern. Wenn auck in den letzten Tagen wieder ein osficiöser Petersburger Zeitungs- Artikel den ausgesprochenen Zweck verfolgte, zu retardiren und die in England immer lauter werdende KricgSpartei zu beschwichtigen, so entsinnt man sich dock der äußerst scharfen nickt minder officiösen Petersburger CommuniquöS, die in letzter Zeit wiederholt die Runde durck die Presse mackten. Ebenso bleibt die Tkalsacke bestehen, daß die russische Concurrenz in Ostasien für England immer bedrohlicher wird. Es wird menschlicher Voraussicht nach in nicht allzu langer Zeit zum Kriege zwischen beiden Mächten um die Vorherr schaft in Asien kommen, nur daß Rußland ein Interesse daran hat, den Ausbruch des Conflictes noch möglichst dinauSzu- schirben. Für den Kriegsfall muß Dänemark, dessen See- befestigungeu den Weg von London nach Petersburg und umgekehrt beherrschen, sich auf eine starke bewaffnete Neu tralität vorbereiten, welche eS vor dem Schicksal bewahrt, von der einen oder anderen der rivalisirenden Mächte in die Wirren eines Weltkrieges hineingerissen zu werden. In Folge des Streike« in Süd-Wale- sind in den Kohlenlagern der Docks ganz bedenkliche Zustände ein getreten. Es ist, so wird dem „Hamb. Corr." aus Loudon geschrieben, nicht mehr zu verheimlichen, daß in verschiedenen Häfen der Vorrath an walisischer Kohle nahezu erschöpft ist. In Portsmouth werden die vier zum Canalgeschwader gehörigen Schlachtschiffe demnächst den Rest entnehmen. Wenn nun jetzt gerade eine Mobilmachung käme! Es ist nichts charak teristischer für die jeder militärischen Einsicht entbehrende An schauungsweise der Engländer, daß man nie nach den Interna von Marine und Heer fragt. „Unsere unüberwindliche Flotte", damit ist Jeder zufrieden. Aber in dieser „unüberwindlichen" Flotte herrschen Zustände in Bezug auf die Kriegsbereitschaft, die ein Seitenstllck zu den französischen von 1870 bieten. Die überzeugendsten Mahnungen hat der jetzt beendete Krieg gebracht, bis sie aber die in Fanatismus erstarrte Verwaltung aufrütteln, den Staub vergangener Zeiten aus Köpfen und Acten fegen und «inen thaksächlichen Wandel zur Folge haben, wird eS erst noch ein Weilchen dauern. Und bis dahin? Herr Goschen hielt dem Parlamente selbstbewußte Reden über seine Kohlenlager, das Manöver ist „nur der Sicherheit halber" abbestellt worden, und jetzt ist die Kohle doch fast zu Ende. Das haben nur die Spazierfahrten der Geschwader zu Stande gebracht! Wie unzulänglich müssen also die Lager gewesen sein! Man sagt, daß die Admiralität jederzeit eine Menge Kohlen von Süd-Wales haben könne, aber der Preis sei hoch und die Qualität gering. Di« von Natal an gebotene Kohle hat sich in einem Falle selbst entzündet, und die Schiffe der südafrikanischen Station dürfen die Natal-Kohle nicht mehr verwenden. Die Kohlen des nützlichen Englands werden ebenfalls nicht für genügend gut befunden. Man wird daher wahrscheinlich mit amerikanischer Kohle Versuche beginnen, da sie gute Resultate liefern und selbst nach Einrechnung der Fracht noch billiger als die von Süd-Wales sein soll. Amerika wird also eventuell nicht nur Korn, sondern auch Kohlen für England liefern, ein weiterer „überzeugender Grund" für dauernde innige Freundschaft. Ein Krieg ohne den treuen Beistand des Blutsverwandten würde eine Katastrophe in wenigen Wochen unausbleiblich machen. — Noch eine Erfahrung hat man bei dieser Gelegenheit gemacht: Man hat entdeckt, daß man eine große Portion Kohlen seit so langer Zeit auf Lager hatte, daß ihre Kraft nur als eine verminderte anzusehen war. Man möchte fragen, wie auch dies möglich gewesen? Wie kam es, daß die Vorräthe nicht regelmäßig aufgefrischt wurden? Zur Frage deS Valkau - Bunde- wird uns aus Bukarest gemeldet: Von halbamtlicher Seite werden alle Gerüchte, daß auf russische Veranlassung hin irgend welche Bündniß-Vereinbarungen zwischen Rumänien, Bulgarien und Montenegro getroffen seien, für unbegründet erklärt. Auch bezweifelt man sehr, daß es dem Fürsten Ferdinand gelungen sei, in Cettinje irgend welch« Bündnißzugeständnisse zu erlangen. Der Hauptgrund des Mißtrauens bei allen Balkan-Staaten gegenüber Bulgarien liege in dessen zweideutiger Haltung in der makedonischen Frage. Es ist allgemein bekannt, daß der Zar und die russischen Staatsmänner dem Fürsten Ferdinand die I äußerste Zurückhaltung in den makedonischen Streitfragen an- I empfohlen haben, und doch hat bald nach dem Besuch des Fürsten I in Rußland der bulgarisch-makedonische Congreß getagt, welcher F-nilleton. In der Brandung des Lebens. 12j Roman au« dem amerikanischen Westen. Bon Theodor Licke. Nachtnxk vntotni. Brant trat heran und legte ihm die Hand auf die Schulter, so daß er erschreckt zur Seite fuhr. „Was giebt's?" rief er ärgerlich, schien aber etwas betroffen, als er Brant erkannte. „Sie auch hier, Brant?" „Ja, Harry, ich suchte Sie, hatte eine Bitte an Sie — doch das hat Zeit. Zunächst schütten Sie mir 'mal Ihr Herz au« und sagen Sie mir, weshalb Sie solche Thorheiten machen." „Weil'- mir so gefällt", antwortete Antoine mürrisch. „Die Antwort sollten Sie mir nicht geben, Harry", sagte Brant, „Thatsachen möchte ich hören." „Verzeihen Sie mir, Brant, Sie haben Recht. E« giebt nur eine Thatsache: Isabel will mich nicht!" „Was Sie sagen? Und deshalb machen Sie solche Thor- heikn, weil rin Mädchen nicht weiß, was sie will!" „Aber sie weih das sehr wohl!" fiel Antoine ein. „Unsinn! Sie sind doch kein Junge und sollten das besser wissen. Wenn Sie sie lieben — und daran zweifle ich nicht — so haben Sie nicht« weiter zu thun, al» geduldig zu warten — und daS werden Sie auch thun, wenn ich noch etwa« Uber Sie vermag. Und nun kommen Sie her und lassen Sie un« nach Hause gehen." Er faßte Antoine unter den Arm und zog ihn mit sich fort, ohne Widerstand zu finden; und diesmal verlieh er ihn nicht eher, al- bi- er ihn in seinem Bette liegen gesehen hatte. Al- er auf sein eigene« Zimmer kam, fand er die Papiere noch in seiner Tasche — er hatte gar nicht wieder daran gedacht. Achtlo« warf er sie auf den Tisch, dachte aber gleich daran, daß e» doch besser wäre, sie etwa« sorgfältiger zu behandeln. „Bin heute zwar in einer Stimmung", meinte er, „daß ich sie verbrennen und dem Kerl seine Ruhe wiedergeben könnte; aber nein, eS werden so schon Viele mich für nichts Andere- ali einen Hehler halten, weil ich ihn nicht anzeige. Möchte wohl wissen, wie sie darüber denkt. DaS würde ich thun. Ja — ja, ist doch ein curiose- Ding, die alte runde Welt, aber seit heute freue ich mich doch wieder, darin zu leben." Mit solchen Gedanken ging er zur Ruh«. Am nächsten Morgen steckte er früh seinen Kopf in Antoine's Zimmer, der gerade beim Ankleiden war. „Guten Morgen, Harry! Wie geht's? Aüsgeschlafen?" „Danke schön, erträglich, bin sofort fertig. Wenn Sie's nicht zu eilig haben, warten Sie auf mich, dann frühstücken wir zusammen." So thaten sie und gingen dann nach dem Frühstück zusammen zur Stadt hinunter. Es war ein köstlicher Herbstmorgen; ein frischer, reiner Wind wehte vom Gebirge herüher, und eine wundevbare Klarheit herrschte in der Luft, welche die fernen Bergesgipfcl fast in greifbare Nähe zu bringen schien. An solchen Tad<n ist es eine Lust, zu leben, und Brant machte eine darauf bezügliche Bemerkung. „O ja", meinte Antoine, wenn man nur einen so klaren Kopf haben könnte, wie diese Luft eS ist." „Man sollte sich den Schädel nicht mit schlechtem Feuer wasser trübe machen." „Ganz recht; aber da- meint« ich eben nicht — da« ist wieder nur eine Folge." „In Ihrem Falle eine sehr unnöthige Folge. -Sie haben auch nicht die kleinste Entschuldigung für Ihre Thorheiten, Harry." „Wohl möglich, wenn Sie der Sach« auf den Grund gehen. Ein Mann hat nie ein« hinreichende Entschuldigung dafür, daß er einen Affen au» sich macht. Aber ich kann Ihnen sagen, George, e« hat mich gepackt. Seitdem Isabel und ich zusammen zur Schule gegangen sind, hat mir dieses Glück stets vorgeschwebt — und nun da- Alle« aufgeben zu müssen — e- ist wahrhaftig keine Kleinigkeit." „Aber Sir tverden e- nicht aufgeben, wenn Sie nicht ein Narr sind." „Wa, soll ich thun?" „Sie sollen sich aufrappeln und wieder ganz in da» alte Glei« kommen. Wie lange haben Sie das Mädel nicht gesehen?" „Eine Woche." „So folgen Sie meinem Rathe und gehen Sie heute Abend hinüber, al« wenn nickt« passirt wäre. Geben Sie Acht und Sie werden sehen, daß Isabel ebenso erfreut ist. Sie zu sehen, wie umgekehrt." „Da« meinen Sie, George; aber, wissen Sie, ich hab« sie seit vielen Jahren gekannt, und —" „Und d««halb glauben Eie, sie vollständig zu kennen — aber da» ist^nicht der Fall. Ich habe von den Langford« in den letzten drei Monaten auch allerlei gesehen, und wenn Eie keine Hypothek auf die jüngste Tochter haben, dann hat sie keiner." „Da» weiß ich wohl — wenn dir Kunst nicht wäre —" „Ach, gehen Sie mit der Kunst! Vielleicht einmal in tausend Jahren mögen Sie ein Mädchen finden, das zuerst Künstlerin und dann Weib ist, aber damit dürfen Sie nicht rechnen. Wenn Sie dagegen haben, behaupte ich, daß Isabel die reinste Dilet tantin ist — sie kann überhaupt nicht malen." „I was? Das ist Alles, was Sie wissen?" antwortete Antoin« aufgeregt. „Sie wollen doch nicht behaupten, daß Sie von Kunst etwas verstehen?" Brant schüttelte sich vor Lachen. „Gar nichts, mein Sohn, weniger als gar nichts! Wollte nur gern sehen, ob Sie wirklich auf Jsabel's kleine Liebhaberei eifersüchtig sind. Gehen Sie, Harry, und siegen Sie! — Ich zweifle nicht daran." In dieser fröhlichen Art begann «in Tag, der viel Gutes brachte. Brant vollendete seine Karte zur rechten Zeit für die Zwicke des Generaldirectors; und kaum war sie vom Brett her unter, da kam Oberst Bowran zurück, und damit war der er zwungene Müßiggang, den Brant mehr als alles Andere fürch tete, auf unbestimmte Zeit vertagt. Der Oberst war sehr zu frieden mit dem Ausfall der Zeichnung und erfreut, daß Brant auf eigene Verantwortung die Sache ausgeführt hatte. Im Gegensätze zu vielen anderen Chefs zögerte er auch nicht, dem Ausdruck zu geben, so daß Brant wohl Ursache hatte, freudig und hoffnungsvoll der Zukunft entgegenzuqehen. Außerhalb des engen Gebietes, das Brant übersah, ereig neten sich inzwischen auch Dinge, die für seine Zukunft nicht be deutungslos waren. Zunächst brachte der Zug au« dem Minen bezirk Howart und feine Gattin nach Denver; dann verzögerte sich Antoine'« beabsichtigter Besuch bei den Langford- durch eine plötzlich anzutretend« Dienstreffe. Weiter schrieb am Nachmittag Mr». Langford einen Brief, den sie mit eigener Hand in den Postkasten steckte; und etwa zu derselben Stund« trafen sich zwei D««perado- hinter einer verschlossenen Thür in einem Logirhause West-Denvers, um die Zündschnur an eine Mine zu legen, in der die Explosivstoffe bereit« angehäuft waren. Bei dieser Conserenz entstand eine leichte Meinungsverschiedenheit infolge der sehr natürlichen Weigerung de« einen Verschworenen, für den anderen die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Schließlich aber kamen die Beiden — natürlich Harding und Gasset — doch überein, daß der Letztere gegen eine Summe von hundert Dollar» bei Brant einsteigrn und die Papiere entwenden sollte, deren Existenz Jenem so viel Sorge machte; und zwar sollte die schwarze That noch an jenem Abend« zur Ausführung kommen. Brant hatte, wie gesagt, den Tag in bester Stimmung be- gönnen und weitergeführt. Da brachte ihm der letzte Brief träger einen Brief mit einer Stadtpostmarke. Bei der schon ein getretenen Dämmerung ging Brant an das Fenster, um ihn zu lesen. Als er ihn las, war es ihm, als ob der Boden unter seinen Füßen schwankte. Der Brief war sehr formell und ging direct auf sein Ziel los. „In Anbetracht seiner gestrigen heimlichen Zusammenkunft mit Miß Langford", so las der Ingenieur, „wird Mr. Brant auf eine solche Einmischung seiner Pläne, wie die Schreiberin dieser Zeilen sie beabsichtigt, gefaßt sein. Bis jetzt hat sie es sorgfältig vermieden, selbst im Familienkreise, eine Angelegenheit zu besprechen, die ihr ebenso abstoßend wie erniedrigend für Mr. Brant ist; wenn aber dieser Herr es nicht für angebracht hält, sie einer weiteren Verantwortlichkeit dadurch zu entheben, daß cr Denver sofort verläßt, dann wird es eine unangenehme Pflicht für sie werden, ihre Töchter in ihr Vertrauen zu ziehen — eine Pflicht, dic, wie sie zuverlässig erwartet, Mr. Brant nicht zu einer zwingenden machen wird." Der Brief trug keilte Unterschrift und bedurfte einer solchen auch nicht. Brant las ihn zweimal durch und riß ihn dann lang sam in kleine Stücke. Das war also das Ende aller seiner be geisterten Entschlüsse: verbannt zu werden wie ein Unreiner, ein moralisch Aussätziger, dessen leiseste Berührung Ansteckung her- vorruft. Er öffnete das Fenster, streute die Papierstückchen in die Dämmerung hinaus und sah zu, wie sie Schneeflocken gleich dahinflogen. Dann hob er die gefalteten Hände über den Kopf empor und schwor sich zu, wieder dahin zu gehen, woher er ge kommen war, wenn ei denn einmal keine Reue für ihn gab, wenn die Welt des Anstandes und der guten Sitte nichts von ihm wissen wollt«. Er schloß das Fenster und setzte sich nieder, um jetzt ebenso ernstlich über seine Rückkehr nachzudenken, wie er vorher das Ge bäude feiner guten Vorsätze errichtet hatte. Er wollte warten bi- morgen, wo Oberst Bowran von der kurzen Jnsprctionsreise, di« er unternommen hatte, zurückkehrte, um dann ruhig und möglichst ohne Erklärungen zu verschwinden. Dann wollte er fortgehen und sich vrrgraben, wo er Leisi hatte, am besten in den Goldgräberansiedelungen. Dort fand er Gesetzlosigkeit und Frei heit von allem Zwang und Verkommenheit genug, um den Funken erlösender Gnad«, den «r auf dem Altar seiner Lieb« entzündet hatte, zu ersticken. Und inzwischen? Inzwischen wollte «r Vergessenheit suchen, wie ein Mann muß, der zu dem Aeußcrsten entschlossen ist, wie mancher bessere Mann schon vor ihm Methan hatte. Er stand auf und deckte das Staubtuch über sein Zeichenbrett, indem er eS sorg fältig an den Ecken zusammenlegte, wie man wohl daS Bahrtuch über den Leichnam eine« Kindes breitet. Der Gedanke drängte sich auch ihm auf, und bitter meinte er: „Ja, ganz recht, ein
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